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8. Kapitel.

Frau Ellinor Brunner war nach dem Kaffee sofort von Hause weggegangen. Heute nahm sie sich kein Automobil, auch keine Droschke, und es war vielleicht nicht die Sparsamkeit allein, die sie dazu veranlaßte.

Sie fuhr mit der Stadtbahn vom Zoologischen Garten bis nach dem Alexanderplatz und ging in das Händlerviertel, das hinter der Kaiser-Wilhelmstraße sich hinzieht.

Es war kaltes, trockenes Frostwetter, und so fiel es nicht auf, daß das Gesicht der auch hier durch ihre stolze Erscheinung vielfacher Aufmerksamkeit begegnenden Frauengestalt dicht in einen schwarzen Spitzenschleier gehüllt war.

In der Rosenstraße verschwand Frau Ellinor in einem finsteren Torweg und gelangte von dort über einen schmutzigen, übelriechenden Hof in das Hinterzimmer einer Trödlerin, die in dem nach der Straße gelegenen Ladengeschäft alte Frauenkleider feilbot.

Frau Makropolska war im Laden beschäftigt, und so mußte die schöne Maklersgattin zu ihrem großen Aerger eine ganze Weile vor der Tür stehen, ehe die Trödlerin öffnete.

Es war eine kleine, verwachsene Person mit einem ungewöhnlich hohen, auf der linken Schulter aufgetürmten Höcker, einer Raubvogelnase und großen, tief in den Höhlen brennenden Augen

Mit einer fast kriechenden Demut begrüßte sie die Ankommende.

»Nu, mein Täubchen, mein Schönes, Einziges, sind Sie wieder mal da bei der alten Margutta? Was haben Sie denn? Was möchten Sie denn von mir? Kommen Sie doch rein, mein Täubchen!«

Damit schloß sie die mit schweren eisernen Platten gepanzerte Tür hinter der Besucherin und geleitete diese in das Hinterzimmer, in dem sich ein Mädchen aufhielt, eine junge Person von vielleicht 20 Jahren, mit einem unterwürfig demütigen Lächeln auf den gewöhnlichen Zügen.

»Geh heraus, Recha,« sagte die Alte, und rannte auf das Mädchen zu, als wollte sie es fortstoßen.

Die aber wich ihr aus, brummte etwas vor sich hin und eilte wie eine Katze aus dem Zimmer in den Laden.

Die Alte zog noch einen Vorhang von gewiß uraltem, teils schon von Motten zerfressenen und zerschlissenem goldfarbigen Seidendamast, der vielleicht einmal stolzesten Zwecken gedient hatte, vor die Tür, dann schob sie einen Lehnstuhl in die Nähe des Tisches und nötigte ihren Gast, dort Platz zu nehmen.

»Nu, meine Schönste, meine Beste, was haben Sie denn? Zeigen Sie doch her, nehmen Sie doch heraus aus Ihrer Tasche die schönen Spitzchen! Sie wissen doch, ich kaufe alles, und ich gebe doch gut, blankes Geld! Habe ich Sie schon einmal betrogen? Nicht wahr, nein, die alte Margutta betrügt keinen!«

Mit einem Widerwillen, den sie sich kaum zu verbergen bemühte, schüttelte die rotblonde Frau den Kopf.

»Ich habe heute nichts, Frau Makropolska, garnichts, ich habe Pech gehabt.«

»Was heißt Pech gehabt? Wie kann mein Goldtäubchen, mein einziges, Pech haben? Diese Hände! - Sie sollen weiß und klar bleiben in alle Ewigkeit - sie können doch nicht Pech haben!«

Finster, den feinen Mund zusammenziehend, wiederholte die Frau des Maklers:

»Ja, ich habe Pech gehabt. Irgend ein Mensch, ein Erpresser hat mich beobachtet und ist in meinen Wagen gesprungen, als ich nach Hause fahren wollte, und ist mitgekommen zu meinem Mann und hat dreitausend Mark von ihm erpreßt … weil er mich sonst anzeigen wollte …«

»Und der Herr Gemahl, er hat gegeben die dreitausend Mark? Gott, was für'n Chammer! Ich hätt' es sein sollen, nicht lebendig herausgekommen wär' der Baldower aus meiner Wohnung! … Fußangeln hätt' ich ihm gelegt! … Nu, und was nun? Wir werden nicht mehr machen können zusammen ein Geschäft! Sie werden mir jetzt mit Ihrem Besuch die Palopeten auf meine Spur lenken!«

Frau Ellinor schüttelte energisch den Kopf

»Ich werde mich befreien von diesem Blutsauger, das versichere ich Ihnen, und gerade deswegen komme ich her. Wissen Sie nicht die Adresse eines Detektivs, den man auch mit einer schwierigen Sache betrauen kann? Sie haben mir doch mal so etwas erzählt … Wie hieß er doch gleich?«

»O, die Frau Brunner meint den Frank Wesson, den alten Spitzbuben! … Nun, wenn Sie zu dem wollen, der wohnt gar nicht weit von hier in der Königsstadt.«

Sie nannte die genaue Adresse.

»Das ist auch wirklich eine gute Idee, da gehen Sie nur hin, mein Täubchen, mein Liebes, mein Gutes! Ich will Sie doch wiedersehen! Sie werden wieder was haben für die alte Margutta, und ich werde Ihnen wieder zahlen, wie ich Ihnen immer gezahlt habe, bar Geld … Nu. Sie gehen schon … Ja, gehen Sie nur, gehen Sie, und ich wünsche Ihnen, daß alles gut geht …«

Die schöne Frau hatte noch kaum die Tür hinter sich geschlossen, als das schwarzhaarige Mädchen auch schon wieder zur Trödlerin in das Hinterzimmer kam.

Mit einem giftigen Blick sagte die Alte zu ihr:

»Nu, was spionierste hier rum? Willst du mir machen Schlamassel? Ich hab dir doch gesagt, daß du sollst rausgehen. Ist wohl nicht genug, daß ich dich wohnen lasse bei mir und mach dich sicher vor den Faulen?«

Mit frechem Lachen blieb das Mädchen dicht vor der Buckligen stehen.

»Tu doch nicht so, Mamme, wie wenn du mich beißen wollt'st! Wir kennen uns doch! Du würdst mich den Teufel was bei dir beherbergen, wenn du nicht wüßtest, daß ich dich verlampen könnte, so daß du garnicht wieder raus kommst aus dem Kittchen!«

Wütend fuhr die Alte auf das Mädchen los, wobei sie ihre bucklige Schulter wie einen Sturmbock vorschob. Aber die Jüngere, eine bekannte Taschendiebin, die in der Zunft unter dem Namen »Spitzfinger« bekannt war, wich ihr geschickt aus.

»Darum weiß ich doch, wen du vorhin hast reingelassen, Mamme!« lachte sie frech.

»Du weißt gar nichts!« höhnte die Trödlerin, »ich hab' eben meine Kundschaft in den feinsten Kreisen.«

Die andere wollte sich ausschütten vor Lachen.

»Feinste Kreise ist sogar sehr gut! Du meinst wohl, weil sie die ›Spitzenkönigin‹ heißt, verkehrt sie bei Hofe!«

Und die Taschendiebin lachte wie eine Besessene.

Margutta Makropolska horchte auf, und sogleich einen liebenswürdigen Ausdruck in ihr faltiges Gaunergesicht legend, fragte sie:

»Nu, was soll das heißen? Was meinst du? Du wirst dich getäuscht haben in der Aehnlichkeit! … Die Dame, was ist hier gewesen bei mir, stammt aus 'ner altadligen Familie, was sag' ich denn, 'ne Gräfin ist es mit sechszehn Ahnen.«

»So,« meinte die andere, »na, Mamme, da könntest du mir eigentlich die Adresse von dem Herrn Gemahl sagen, von der Dame, da wär' vielleicht ein ganz schönes Stückchen Geld rauszuholen …«

Aber dann den Kopf schüttelnd, daß die schwarzen, unordentlichen Haarsträhnen wirr umherflogen, setzte sie hinzu: Machwerk hat die, da können zwei mit zufrieden sein! Und das Merkwürdigste ist, sie wird nie gekappt!«

»Sagst du!« unterbrach sie die Alte mit einer charakteristischen Kopfbewegung.

Die Taschendiebin, nun sehr neugierig, fragte voll Eifer:

»Na wieso? Is se denn schon mal hochgegangen?«

Dann aber sich selbst auslachend …

»Unsinn, Unsinn, dann könnt' sie doch nicht eben hier gestanden haben!«

Die Alte, mit ihrem unergründlichen Gesicht, das Lachen und Weinen nicht zu kennen schien, erwiderte darauf nichts. Sie frug nur:

»Und wie nennt ihr se?«

»Sie heißt die ›Spitzenkönigin‹«, wiederholte Spitzfinger, »weil sie nie was anderes ganneft wie Spitzen und natürlich nur echte! … Ich hab' neulich gehört, daß ein paar große Geschäfte schon eine besondere Belohnung ausgesetzt haben auf sie.«

»Die können viel Belohnungen aussetzen,« brummte die Alte, »von alle Schottenfeller, die ich kenne, ist kein einziger so bekowit, wie die …«

»Die, die!« lachte Spitzfinger, »wer denn die?«

Aber die Alte, die für Spaß selten zu haben war, fuhr sie barsch an und befahl ihr, sie sollte wieder an die Arbeit gehen und Kleider ausbessern.

Dem Mädel blieb nichts übrig, als zu gehorchen. Die Polizei war scharf hinter ihr her, und sie konnte bestimmt darauf rechnen, wenn die Alte sie an die Luft setzte, den Beamten in die Hände zu fallen.



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