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20. Kapitel.

Frau Ellinor, die sich dicht hinter ihrem zukünftigen Schwiegersohn hielt, blieb plötzlich wie in den Boden gewurzelt stehen. Durch die Glasscheibe der Ladentür sah sie den Menschen, der ihr am meisten von allen verhaßt war.

Und Anton H. Wisecky, auf dessen Gesicht wieder jenes niederträchtige Hohnlachen lag, blickte ihr gerade in die Augen.

Auf gut Glück trat der Erpresser in den Laden.

Er konnte ja nicht wissen, ob Frau Ellinor auch hier wieder die Kunst ihrer schönen, geschmeidigen Finger geübt hatte. Aber ihr Zusammenschrecken, das klare Bild des Schuldbewußtseins, das jeder aufmerksame und eingeweihte Beobachter jetzt in ihren Zügen hätte lesen können, das verhalf ihm zu der Frechheit, mit der er sich kurz entschlossen, dicht vor dem Ausgang des Geschäfts, an den Oberleutnant wandte.

Den fuchsigen Zylinder nur leicht lüftend, sagte er flüsternd:

»Verzeihung, mein Herr, ich habe Ihnen eine Mitteilung zu machen!«

Hans Stark von Materstein schaute den schäbigen Mann verblüfft an … Was wollte der denn von ihm?

Doch seine gute Erziehung siegte, und daher wiederholte er mit kühler Höflichkeit:

»Ich entsinne mich nicht, das Vergnügen gehabt zu haben … und ich glaube auch, es ist hier nicht der geeignete Ort zu einer Unterredung. Vielleicht suchen Sie mich in meiner Wohnung auf …«

Der Oberleutnant war nämlich der festen Ueberzeugung, daß diese plötzliche und scheinbar unbegründete Ansprache nur eine neue Art Bettelei darstelle.

Doch der Winkelkonsulent benahm ihm diese Ansicht schnell. Denn mit etwas lauterer Stimme entgegnete er: »Was ich Ihnen zu sagen habe, duldet keinen Aufschub, verehrter Herr, es betrifft Ihre Schwiegermutter …«

»Wie?« Hans von Stark horchte hoch auf.

»Jawohl,« nickte Anton H. Wisecky, »die gnädige Frau dort drüben,« und er deutete mit seinem häßlichen Kopf hinüber, wo die beiden Damen stehen geblieben waren, um sich die dort ausgelegten Stickereien anzusehen.

Selbstverständlich war dieses Interesse nur sehr zweifelhaft. Käte, die seit jener Revolverschießerei und der unmittelbar darauf folgenden Erkrankung ihres Vaters immer Angst vor neuen und fürchterlichen Ueberraschungen hatte, beobachtete mit Besorgnis den wenig anheimelnden Menschen, der mit ihrem Bräutigam sprach. Und Frau Ellinor brauchte all' ihre Selbstbeherrschung, um sich ihre innere Angst und Unruhe nicht merken zu lassen. Sie nahm ihre ganze Kraft und Besonnenheit, zu der ihr auch heute morgen wieder das winzige Fläschchen und die kleine Spritze geholfen hatte, zusammen.

Was der Oberleutnant aus dem Munde dieses unheimlichen Gesellen vernahm, das konnte sich Frau Ellinor wohl denken, aber auf keinen Fall war sie imstande, das geringste dagegen zu unternehmen. Und so wartete sie, während ihr Blut zu Eis erstarrte, mit festgeschlossenen Lippen, die heimlichen Fragen ihrer Stieftochter völlig überhörend, auf die Beendigung dieser Unterredung.

Der Oberleutnant schien unschlüssig, und der andere, das sah man, drang in ihn. Schon begann das Geschäftspersonal auf die beiden aufmerksam zu werden, die ja allerdings der starke Geschäftsverkehr ein wenig deckte.

Und Anton H. Wisecky bemühte sich jetzt kaum mehr, seine Stimme zu dämpfen. Frau Ellinor mit ihren scharfen Ohren hörte deutlich, wie er sagte:

»Also, wollen Sie, mein Herr, oder wollen Sie nicht?«

Das Kopfnicken, in dem Hans von Starks Erwiderung bestand, schien anzudeuten, daß er auf die Vorschläge des anderen eingehe. Dabei aber schritt er vorwärts nach der Ladentür hin, und der Erpresser mußte ihm wohl oder übel folgen.

Nun standen sie vor der Glastür, die der Diener aufriß. In diesem Augenblick ging draußen ein Polizeioffizier in Uniform mit seiner Gattin vorüber.

Mit einem festen Griff den Erpresser, der sich in seiner ersten Bestürzung nicht einmal wehrte, beim Kragen nehmend, rief der Oberleutnant dem nur wenige Schritte entfernten Polizeioffizier zu:

»Ah, Herr Kamerad, verzeihen Sie gütigst, wenn ich Sie bemühe! Mein Name ist von Materstein, Oberleutnant im Garde-Schützen-Bataillon. Ich übergebe Ihnen hier den Menschen, der jetzt eben in diesem Geschäftslokal eine Erpressung bei mir versucht hat.«

Natürlich war hier in dieser überfüllten Passage das Publikum sofort in Menge stehen geblieben, und die Leute stauten sich jetzt um Hans von Stark und um den Polizeioffizier wie eine Mauer.

Dieser war sofort bereit, seine Pflicht zu tun.

Er blickte sich suchend um. Indem nahten schon zwei Schutzleute, die den Auflauf und ihren Offizier in der Nähe gesehen hatten und nahmen den jetzt wild um sich schlagenden Wisecky in Empfang.

Dieser stieß Verwünschungen aus und schrie fortwährend, er wüßte sehr wohl, was er sagte: Die da drinnen wäre die schon lange von der Polizei gesuchte Spitzenkönigin, und man sollte nur nachsehen, sie hätte auch jetzt wieder ihren Raub bei sich.

Aber die Schutzleute stießen ihn fort und schoben ihn in die erste Droschke hinein, die leer vorüber fuhr, gerade in dem Augenblick, wo Hans von Stark von dem Polizeioffizier sich verabschiedet hatte.

Da traten zwei andere Herren an den Oberleutnant heran und sprachen mit ihm.

Die beiden Damen sahen das durch die breiten Glasscheiden der Ladentür.

Frau Ellinors Herz hörte auf zu schlagen. Sie gab sich verloren. Und Käte selbst war es zumute, als hätte sie ein Verbrechen begangen. Sie sah, wie sich ihr Bräutigam fragend den beiden zuwandte. Der eine von ihnen zeigte jetzt seine Erkennungsmarke und deutete in den Laden hinein, zu den beiden Damen hin.

Käte liefen die Tränen über die Wangen, während Frau Ellinor wie zu Stein erstarrt, mit bleichen Wangen und blutlosen Lippen dem Kommenden entgegensah.

Dem Oberleutnant draußen wurde es selbst unheimlich in dieser Lage. Ein dunkles Gefühl sagte ihm, daß die Kriminalbeamten vielleicht nicht so unrecht hätten mit dem Verdacht, den der Kriminalschutzmann Riesendahl soeben flüsternd aussprach.

Trotzdem erwiderte der junge Offizier:

»Haben Sie einen Verhaftungsbefehl?«

Die Beamten schwiegen zuerst, dann sagte wieder Voigt:

»Eines solchen bedarf es in diesem Falle nicht. Uebrigens sind wir uns unserer Verantwortlichkeit im vollen Maße bewußt. Vielleicht sagen Sie uns erst einmal, wer Sie eigentlich sind.«

Aber im nächsten Augenblick wurde dem Kriminalbeamten klar, daß er sich in dem wenig achtungsvollen Tone, den er dem Oberleutnant gegenüber anschlug, arg vergriffen hatte. Dieser stand auf einmal in der Haltung des Offiziers, mit strengem Auge auf den Kriminalschutzmann blickend, da.

»Mein Name ist Hans Stark von Materstein. Ich bin aktiver Offizier.«

Unwillkürlich nahmen die beiden Beamten eine dienstliche Haltung an, und Riesendahl, als der Aeltere und Bedachtsame, erklärte:

»Es tut uns sehr leid, Herr Oberleutnant, aber wir haben uns überzeugt, daß diese Dame wirklich die unter dem Namen ›Spitzenkönigin‹ bekannte Ladendiebin ist, die schon seit Jahren die großen Modewarengeschäfte plündert und für viele Tausende von Mark Spitzen gestohlen ha!«

Hans von Stark überlegte einen Augenblick: wie immer sich die Sache verhielt, so durfte er es doch unter keinen Umständen hier auf der Straße zu einem öffentlichen Skandal kommen lassen. Er nahm seine Karte aus der Tasche und gab sie dem Beamten mit den Worten:

»In einem solchen Falle ist nach jeder Seite hin Vorsicht und Bedachtsamkeit geboten, darin werden Sie mir, wie ich denke, beipflichten, meine Herren. Und nachdem ich Ihnen jetzt den Beweis geliefert habe, daß Sie es mit einem Ehrenmanne und Offizier zu tun haben, der unter keiner Bedingung daran denken würde, etwas Ungesetzliches zu tun, möchte ich Sie um Folgendes bitten:

Der eine von den Herren steigt in mein Automobil, … da hält es! Ich selbst und die beiden Damen werden alsdann gleichfalls einsteigen. Wir fahren gemeinsam nach dem Präsidium am Alexanderplatz. Da wird sich, wie ich sicher hoffe, die Grundlosigkeit Ihres Verdachtes bald herausstellen!«

Die Kriminalbeamten waren nach kurzem Ueberlegen damit einverstanden, und Riesendahl setzte sich in den Wagen, während Voigt sich zurückzog.

Der Oberleutnant ging in das Geschäft zurück, das Herz voll banger Sorge, äußerlich aber ganz zuversichtlich. Kaum hatte er wieder den Laden betreten, um sich zu seinen Damen zu begehen, bat ihn der junge Mann, der vorhin bedient hatte, der Herr möge sich doch auf einen Augenblick zu seinem Chef ins Privatkontor bemühen.

Jetzt wirklich erschrocken und von der Angst vor neuen Schwierigkeiten fast verwirrt, folgte der Oberleutnant dieser Aufforderung.

Der Inhaber des Geschäftshauses bat um Verzeihung für die Störung, die er dem Herrn Baron leider bereiten müsse. So peinlich ihm das auch sei, habe er dem Herrn Oberleutnant eine Mitteilung zu machen, die diesen voraussichtlich etwas beunruhigen würde.

»Doch ich bitte Sie, Herr Baron,« fuhr der Geschäftsinhaber fort, »vollkommen versichert zu sein, daß von mir aus alles geschehen wird, diese fatale Sache auszugleichen. Freilich, tausendmal lieber wäre es mir ja, wenn überhaupt nichts Derartiges vorläge.«

»Es hängt wohl auch mit dem bösen Zusammentreffen zusammen, das ich eben vor der Tür Ihres Geschäftshauses hatte, Herr Rotstein?«

Der Kaufmann nickte, und im Bemühen, dieser ganzen Auseinandersetzung einen möglichst verbindlichen Anstrich zu geben, sagte er:

»Ja, soweit ich durch mein Personal darüber unterrichtet bin, allerdings! … Sie, Herr Baron, werden sich erinnern, daß Ihnen und Ihren beiden Damen zuletzt von meinem Verkäufer auch echte und zum Teil sehr wertvolle Spitzen gezeigt worden sind?«

»Ganz recht,« erwiderte der Leutnant gedrückt, »ich habe sogar etwas davon gekauft.«

»Ja, in der Tat, und ich wünschte nur, wir hätten viele so gute Kunden … Leider …« er machte eine achselzuckende Bewegung, »leider sind bei dieser Gelegenheit Spitzen, und zwar gerade die kostbarsten verschwunden …«

Hans von Stark zog, ohne den Blick zu erheben, sein Scheckbuch heraus.

»Darf ich fragen, wie hoch sich die Wertsumme dieser Spitzen, die … also wie hoch sich deren Wert beziffert?«

Der Kaufmann nannte die Zahl, die viertausend Mark nicht ganz erreichte, und der Oberleutnant bat um Feder und Tinte, um den Scheck auszustellen.

Als dies geschehen war, glaubte der Geschäftsinhaber den allerdings schwer bedrückten jungen Offizier ein wenig trösten zu sollen.

»Es ist nicht das erste Mal, Herr Leutnant, daß so etwas vorkommt, und es wird auch nicht das letzte Mal sein. Die Dame ist offenbar krank, wozu hätte sie sonst notwendig, solche Sachen« … er suchte nach dem passenden Ausdruck … und sagte dann ziemlich ungeschickt, »solche Sachen überhaupt zu tun …«

Er sprach noch weiter, aber Hans von Stark, der ihm nur zerstreut zuhörte und plötzlich wieder an seine Braut dachte, die diese gräßliche Schande mit durchleben müßte, ging, die Hand an die Hutkrempe legend, grade als wenn er in Uniform wäre, mit einem flüchtigen Gruß hinaus.

Dann stieg er, Käte den Arm gebend, und Frau Ellinor den Vortritt lassend, ins Automobil, wo sich der Kriminalbeamte ruhig und zurückhaltend verbeugte, um auch während der ganzen Fahrt sich schweigsam zu verhalten.



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