Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Als die beiden Gatten allein waren, standen sie sich eine ganze Weile sprachlos gegenüber. So belauern sich zwei Feinde, die im Kampfe aufeinander stürzen wollen, ihre beiderseitige Stärke noch nicht kennend, und von denen jeder fürchtet, daß er eine Niederlage erleiden könnte.
Aber Frau Ellinor war die Stärkere und die Mutigere.
»Ich verstehe nicht,« sagte sie plötzlich, »wie du dich derartig von einem solchen Subjekte ins Bockshorn jagen lassen kannst! Du hättest dich doch auf jeden Fall vorher mit mir ins Einvernehmen setzen müssen, das ist das Letzte, was wir so ohne weiteres hergeben können!«
Er schüttelte erst nur mit den Kopf, dann sagte er mit tonloser Stimme:
»Der Mann hat mir die Spitzen gezeigt … da sind sie, in deinem Muff …«
Die schöne Frau ging schnell nach dem Tischchen hin und faßte in den Zobelmuff hinein, um mit einem Ruf der Enttäuschung die leere Hand wieder hervorzuziehen.
»Dieser Schurke, er hat sie gestohlen!«
»Ja, wie du, Ellinor … wie du selbst!«
Ihr Fuß stampfte auf den dicken Teppich, der das Parkett bedeckte.
»Du sollst mir das nicht vorhalten! … Bin ich etwa eine gewohnheitsmäßige Diebin? Ich habe da ein paar Spitzen gesehen, und du kennst meine leidenschaftliche Vorliebe dafür! Ich konnte mich nicht beherrschen! Ist denn das auch ein Wunder? Tausende von Frauen, denen ihre Erscheinung lange nicht solche Berechtigung gibt wie mir die meine, Tausende sage ich, bekommen von ihren Gatten Toiletten über Toiletten! Die Männer fragen gar nicht nach der Höhe der Rechnung, sie fühlen sich glücklich, wenn sie ihren höchsten Schatz, der ihr Weib ist, mit allem umgeben dürfen, was eine Frau glücklich machen kann. Hast du mir das nicht auch versprochen, als du mich heiratetest?! Kann ich es nicht verlangen, bin ich nicht schöner als die anderen? … Und verlange ich denn etwas Besonderes, etwas anderes, als was jede Frau in unserem Gesellschaftskreise sich leisten kann?! Da heißt es immer, ›der bekannte Fondsmakler Hermann Brunner,‹ und alle Leute glauben, daß Millionen in deine Taschen fliegen, und wenn es nachher dazu kommt, und du sollst seine Schneiderrechnung von tausend Mark bezahlen, dann fängst du an zu klagen und zu stöhnen, als wärest du ein kleiner Beamter!«
Er schüttelte nur den Kopf und sagte, ohne sie anzublicken:
»Ich habe in dem vergangenen Jahre laut Rechnung über fünfundzwanzigtausend Mark für dich allein ausgegeben. Meine Gesamteinnahmen haben knapp vierzigtausend betragen. Du weißt, das Geschäft liegt schlecht, schon seit Jahren, und du weißt auch, wie ich Johannes und Käte dadurch benachteilige. Ich selbst will mich ja gern einschränken und tue es in jeder Weise, aber die Wirtschaft muß doch aufrecht erhalten werden! … Käte ist in dem Alter, sich zu verheiraten, und ich denke mit Angst und Sorge daran, wie ich auch nur eine Aussteuer für sie aufbringen soll.«
Frau Ellinor zuckte hochmütig die Achseln. Vorläufig hatte sie erreicht, was sie wollte. Sie hatte ihren Mann, für Minuten wenigstens, von jener gräßlichen Spitzengeschichte abgebracht.
»Es ist schlimm genug,« sagte sie, »daß du nicht mehr verdienst, und woher kommt das? Von deiner pedantischen Gewissenhaftigkeit. Alle anderen Makler spekulieren auf eigene Faust, wenn es auch zehnmal verboten ist, du natürlich nicht! Du begnügst dich mit den paar Mark, die dir deine Wechselgeschäfte einbringen!«
»Ja,« sagte er, dessen Stimme sich verstärkte, und in dessen leidvollem Gesicht sich immer deutlicher der Aerger und die Enttäuschung über die leichtfertigen Worte seines Weibes bemerkbar machten. »Ja, da ist wenigstens einer von uns beiden ehrlich …« Er faltete die Hände und preßte sie gegen seine Brust. »Sage doch nur, Ellinor, was soll denn aus uns werden, wenn du solche Geschichten machst! Als ich vor zwei Jahren die Brillantbrosche bei dir fand, du weißt doch noch, damals, wo ich erst so eifersüchtig war und dich in einem ganz schlechten Verdacht hatte … wie du mir damals erzähltest, du hättest sie vom Ladentisch heruntergenommen, da habe ich geglaubt, es sei eine Dummheit, eine kindische Dummheit von dir gewesen, die du nachher bereut hast, und du würdest so etwas nie, nie wieder tun! … Und dann habe ich mit Todesangst im Herzen und mit aller nur möglichen Vorsicht den Leuten ihr Eigentum wieder zugestellt und habe Jahr und Tag Angst gehabt, es würde doch noch etwas hinterher kommen … und nun stehe ich heute wieder vor dir …«
Er hatte jetzt seine beiden Fäuste gegen die Schläfen gedrückt und preßte, schier verzweifelt, den Kopf, als wolle er zerspringen.
»Da kommt so ein Mensch, der dich dabei erwischt hat, wie du gestohlen hast! … ge - stoh - len! … Weib! Wie ist denn das nur möglich! Wie kann man denn überhaupt sich an fremdem Eigentum vergreifen, seine Hände nach etwas ausstrecken, was einem nicht gehört?! …«
Er ging vor ihr im Zimmer auf und ab und sagte mit dumpfer Stimme: »Herrgott im Himmel, gib mir Kraft und Mut, daß ich das ertrage!« Und sich plötzlich rasch wieder zu ihr wendend und auf sie losstürzend, schrie er: »Denkst du denn gar nicht an mich - an unsere Kinder … und an dein eigenes! Wir sind doch entehrt, vor der ganzen Welt gedemütigt! Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mir eine Kugel in den Kopf zu schießen! Johannes muß seine Uniform ausziehen, und Käte kann alte Jungfer, Lehrerin oder sonst etwas Aehnliches werden … Sie bekommt nie im Leben einen Mann mehr und Effie …«
Er hielt an und horchte nach der Tür, an der in diesem Augenblick ein leises Pochen vernehmbar wurde.
»Wer ist denn da?« fragte er unwirsch.
»Ja, Papa,« erwiderte eine feine Stimme. »Ich möchte dir gern guten Tag sagen. Ist, Mama auch da?«
Und der Mann, trotz all seines Zornes und der Empörung, die seine ganze Seele aufwühlten, konnte seinem weichen Gemüt und seiner Zartheit doch nicht Halt gebieten, als er die Stimme seines Kindes, seines Lieblings, vernahm. Er ging zur Tür, riegelte diese leise auf und ließ Effie herein, ein zartes Geschöpfchen von kaum zehn Jahren, das unter einer wilden, schwarzen Lockenfülle aus tiefen, blauen Augen in die Welt sah.
Jetzt aber waren diese blauen Sterne voller Liebe auf den Vater gerichtet, der sein Kind emporhob zu sich, und es wieder und wieder auf Stirn und Wangen küßte.
Der Mutter bot das Kind freundlich, aber mit unverkennbarer Gleichgültigkeit einen guten Tag.
Die schöne Frau, der Effie sehr ähnelte, trotz der verschiedenen Haar- und Augenfarben, schien in diesem Augenblick an nichts weniger als an Zärtlichkeit zu denken. Teilnahmslos, ja kalt, glitten Frau Ellinors dunkle Augen über Effie hinweg, an ihrem Mann vorüber und irrten umher im Zimmer, als suchten sie etwas. Aber in Wirklichkeit waren es nur die rasch umherfahrenden Gedanken, die nach Möglichkeiten und Mitteln griffen, die Vorwürfe ihres Gatten zu entkräften und sich rein zu waschen von Schuld.
»Nun geh, mein Liebling,« sagte der Makler zu dem kleinen Mädchen, »die Mama und ich haben noch miteinander zu reden. Ist Johannes schon da?«
»Ich habe ihn noch nicht gesehen,« erwiderte Effie. »Aber Käte ist eben von der Eisbahn gekommen. Ich habe sie schon singen gehört.«
Brunner erwiderte darauf mit einem Seufzer:
»Gut, daß sie froh ist … also in einer halben Stunde, Liebchen … dann essen wir. Sieh nur immer zu, daß auch ordentlich gedeckt wird.«
Stolz über die Wichtigkeit seines Auftrages entfernte sich das Kind, indem es der Mama artig zunickte.
Frau Ellinor hatte sich inzwischen alles überlegt, was sie den Vorwürfen ihres Gatten, die sich ja so leicht nicht erschöpfen würden, entgegenhalten konnte. In solchen Fällen war sie stets dafür, die Angreiferin zu sein, und so fing sie, ohne ihre Augen vor dem niederzuschlagen, dem sie doch sehr weh getan hatte, sofort wieder mit Heftigkeit an zu sprechen.
»Du sagst, ich hätte alles, was ich brauche, und du wirfst mir vor, wieviel ich dich gekostet habe! Aber daran denkst du nicht, was für eine Erziehung ich genossen habe und wie es in meinem Vaterhause zuging. Du weißt recht gut, daß da niemals gefragt wurde, was eine Sache kostete! … Daß sie einem von uns beiden, meiner Mutter oder mir gefiel, das genügte vollkommen für Papa. Er ging und kaufte sie. Die Ziffer auf dem Scheck, die spielte ihm gar keine Rolle!«
»Das hat ihn schließlich auch um sein Vermögen gebracht,« erwiderte der Makler. Aber sie widersprach ihm sofort:
»O, kein Gedanke! … Wenn sich Papa nicht so sehr engagiert hätte in Kupferminen-Aktien, und wenn nicht ganz Australien damals durch die fürchterliche Baisse einen so entsetzlichen Schlag bekommen hätte, so wären wir heute noch die reichsten Leute von Sidney, und Papa hätte nicht nötig gehabt, sich eine Kugel durch den Kopf zu schießen!«
»Wenn! … wenn!« sagte Brunner, die Schultern in die Höhe ziehend. »Aber das ist es ja garnicht, worüber wir uns jetzt zu unterhalten haben. Jetzt heißt es den Folgen dieser fürchterlichen Geschichte vorzubeugen, in die du uns hineingebracht hast!«
Sie lachte kurz auf.
»Ich … ich, natürlich immer ich! … Kein Mensch kann etwas für seine Erziehung! Ich habe das eben nicht anders kennen gelernt, als daß ich nach dem, was ich mir wünschte, nur die Hand auszustrecken brauchte!«
»Und da denkst du, du hast jetzt auch nur nötig, einfach zuzulangen, wenn dir irgend eine Sache gefällt,« meinte er mit bitterem Spott. »Aber du vergißt, daß wir uns hier in einem zivilisierten Lande befinden, wo solche Begriffsverwechslungen nun einfach unter das Strafgesetzbuch fallen … Was denkst du dir nun, wenn dieser Mensch wiederkommt und von neuem Geld verlangt …? Was soll ich dann machen? Es bleibt mir doch gar nichts anderes übrig, als, so schwer es mir auch fällt, einen Tausendmarkschein nach dem anderen zu opfern!«
»Für diesen Halunken?« fragte sie, und man hörte deutlich, wie fest sich ihre weißen Zähne aufeinander preßten. »Auch nicht seinen Pfennig, sage ich dir, auch nicht einen Pfennig bekommt er mehr. Sowie er sich wieder sehen läßt, rufst du mich. Ich werde schon mit ihm reden!«
»Ja, du wirst schon mit ihm reden,« sagte er mit verdrießlichem Kopfnicken, »und nachher wird er zur Polizei gehen, und dann wird ein Schutzmann kommen und wird dich holen!«
Sie lachte nun wieder. Sie war offenbar ihrer Sache sehr gewiß und sagte mit großer Ueberlegenheit:
»Ich verstehe dich nicht, Hermann, du bist doch sonst so gescheit! Dieser Mensch, wenn er wirklich noch einmal wagt, wieder herzukommen, ist doch schließlich nicht unüberwindlich. Er hat Geld von dir erpreßt, und du hast es ihm - das war das erste Mal vielleicht ganz richtig - auch gegeben. Jetzt hat er mindestens dasselbe begangen wie ich. Wenn er wiederkommt, droht man ihm einfach mit der Polizei. Natürlich denke ich ebensowenig daran, ihn anzuzeigen, wie er gegen mich vorgehen wird.«
Zweifelnd schüttelte Brunner den Kopf.
»Du vergißt aber, daß er einen Beweis gegen dich in der Hand hat mit diesen Spitzen …« und plötzlich wieder in hellen Zorn und Entrüstung ausbrechend, rief der Makler, die Fäuste ballend und sie zur Decke emporreckend:
»Frau, Frau, es ist ja gar nicht auszudenken, in was für eine furchtbare Lage du uns da gebracht hast! … Schließlich wird nichts übrig bleiben, als dich in ein Irrenhaus zu stecken und zu sagen, du bist Kleptomanin!«
Sie lächelte nur, kalt, hochfahrend und ohne jedes Gefühl für den Jammer ihres Gatten.
»Nun, und wenn das schon notwendig wird, dann bleibe ich eben ein paar Monate drin und erhole mich, von den gesellschaftlichen Anstrengungen. Später gehe ich dann nach dem Süden zur Nachkur, was ich sowieso schon längst einmal tun wollte. Das ist doch schließlich alles nicht so gefährlich … Ich möchte den Richter mal sehen, der mich zu Gefängnis verurteilen würde!«
Sie stand in ihrer ganzen gebietenden Hoheit da, schön, berückend schön mit ihrem stolzen, regelmäßigen Gesicht, in dem sich der angelsächsische Typ mit dem geheimnisvoll anziehenden Nimbus einer fernen, unbekannten Rasse vermischte.
Hermann Brunner hatte diese Frau, die er während einer Geschäftsreise nach Australien kennen gelernt, und die lange Zeit für ihn kein Auge gehabt hatte, aus wahnsinniger Leidenschaft geheiratet. Seine demütige, vor keinem Hindernis zurückschreckende Liebe, die sich selbst in den Staub warf vor dem Altar dieser seltenen Schönheit, hatte zuletzt Ellinors Herz gerührt, und gerade der anfängliche Widerstand ihres damals noch millionenreichen Vaters war der Anlaß gewesen, daß sie um so fester zu ihrem Verehrer stand und die Heirat schließlich durchsetzte.
Nicht ein Vierteljahr dauerte es, da fand man Graham Webster, den Kupferkönig von Sidney, mit durchschossener Schläfe in seinem Privatkontor. Die schöne Ellinor, sein einziges Kind und jetzt eine vater- und mutterlose Waise, schien sich im ersten Augenblick ganz auflösen zu wollen vor Schmerz an der Bahre des Toten. Dann aber tröstete sie sich merkwürdig schnell und reiste kurz entschlossen mit ihrem Verlobten nach dessen Heimat.
Ein Teil dieser großen Liebe, die damals den blonden Deutschen zu Füßen der schönen Australierin sinken ließ, lebte auch jetzt noch in Hermann Brunners Herzen. Noch immer bezauberte ihn ihre Schönheit, von deren gefährlichem Belebungsmittel er nichts ahnte. Mit dem, was er in dieser Stunde erfahren, hatte Ellinor ihm vielleicht das Schlimmste angetan, was ihm, dem streng rechtlich denkenden und selbst von der kleinsten Unrechtmäßigkeit zurückbebenden Manne überhaupt hätte geschehen können. Aber die Liebe zu ihr und vielleicht noch mehr die Erinnerung an diese große Leidenschaft seines Lebens zwang ihn, ihr zu verzeihen. Wie so manchmal in ihrem gemeinsamen Dasein, versuchte er auch hier, die Schuld an dem, was geschehen war, sich selbst aufzubürden, um ihr so leichter vergeben zu können.
Und die rotblonde Frau kannte ihren Mann gut. Sie wußte, daß er nicht stark bleiben konnte ihr gegenüber. Unschwer gelang es ihr, nachdem sie ihn einmal soweit hatte, seine Bedenken auch hinsichtlich jenes widerwärtigen Gesellen zu zerstreuen, den sie jetzt schon als den eigentlichen Urheber dieses ganzen häßlichen Vorfalles hinstellte.
»Ich werde mich über ihn erkundigen, und du wirst sehen, er ist ein ganz gewöhnlicher Hochstapler und Schwindler! Aber dann werden wir auch keinerlei Rücksicht nehmen. Dann kommt er dahin, wo er hingehört!«
So wenig ihm dazu zumute war, mußte der Makler lächeln, und er beneidete seine Frau fast um diese Unbeugsamkeit, die sich in dem Augenblick, wo sie selbst dem Allerschlimmsten ausgesetzt war, schon darauf freute, daß ihr Verfolger bestraft werden würde