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2. Kapitel.

Lassen Sie augenblicklich meine Hände los, sonst rufe ich um Hilfe!« rief die schöne, rotblonde Frau, vergeblich gegen die ihre Hände umklammernden Finger des Mannes ringend, der mit einem grimmen Hohnlächeln in ihr von Angst und Entsetzen bleiches Antlitz sah.

»Sind Sie wahnsinnig? Was fällt Ihnen ein! Wie kommen Sie dazu, mich in meinem Wagen zu überfallen? Wer gibt Ihnen ein Recht dazu, mit hineinzusteigen?! …«

»Sie selbst!« sagte er, ihre Hände frei lassend.

»Sie wissen recht wohl, daß Sie bei H. M. Freitag Söhne Spitzen gestohlen haben, meine Verehrteste!«

»Das ist nicht wahr!« brauste sie auf, und ihre Entrüstung hatte so sehr den Anschein vollkommener Echtheit, daß sie jeden anderen, nur nicht diesen alten, geriebenen Fuchs, getäuscht hätte.

Er saß neben ihr auf dem Plüschpolster des Autos mit seiner langen, schlottrigen, etwas vorgebeugten Gestalt und dem fast unnatürlich schmalen Kopf, dessen Kinnbacken und Kinnpartie sich unter der sommersprossigen Haut stark abzeichneten. Seine große Nase und die runden, stechenden Augen, die wenig Brauen zeigten, verliehen dem ganzen Gesicht etwas Geisterhaftes. Er war im Ganzen eine höchst unsympathische Persönlichkeit, und man hatte durchaus den Eindruck, es mit einem Manne zu tun zu haben, der keine andere Rücksicht kennt, als die auf die eigene Person.

Die schöne Frau mochte das auch empfinden.

Ihr hoffärtiger Widerstand verlor sich allmählich unter seinen überlegenen Blicken. Sie sagte jetzt viel weniger sicher und fast schon mit ängstlicher Bitte in der Stimme:

»Wie können Sie denn so etwas behaupten! Das ist doch eine schreckliche Beschuldigung! … Ich bin doch eine anständige Frau!«

»O,« erwiderte er, »das sind die meisten Ladendiebinnen! Trotzdem stehlen sie wie die Raben! Und nach dem, was ich da eben gesehen habe, bin ich fest überzeugt, daß Sie, meine Gnädigste, eine schon recht erfahrene und sehr geschickte Schottenfellerin sind!«

Sie verstand diesen Ausdruck nicht, ahnte aber, daß er damit auch nichts anderes meinte, als er schon vorher gesagt hatte. So fragte sie ihn, all ihren Mut zusammennehmend:

»Nun, und wenn das wahr ist, warum haben Sie mich denn nicht im Geschäft einfach verhaften lassen?«

Er zögerte keinen Augenblick mit seiner Antwort.

»Es liegt nicht im Interesse der Handlung, Madame, öffentliches Aufsehen zu erregen. Die Firma wendet sich in solchen Fällen jedesmal an den Gatten der Diebin und fordert von diesem einen einigermaßen zufriedenstellenden Ersatz für die gestohlenen Waren!«

»Wollen Sie damit sagen, daß es ihre Absicht ist, meinen Gatten zu benachrichtigen?«

Er nickte, ohne eine Miene zu verziehen.

»Allerdings! Ich werde im Aufträge der Handlung mit Ihrem Herrn Gemahl darüber unterhandeln, wie er sich zu der Frage stellt, ob und mit welchem Betrag er sich zu einer Vergütung uns gegenüber verstehen will. Deswegen bin ich zu Ihnen in das Automobil gestiegen, und deswegen werde ich Sie jetzt in Ihre Wohnung begleiten!«

Die schöne Frau sagte kein Wort. Sie hatte vorher mit einer hastigen Bewegung ihre Pelzjacke aufgerissen und man sah, wie unter dem Tuchkleid, das bis an den Hals geschlossen war, ihre Brust sich in dem Sturm der Empfindungen, die ihr Inneres bewegten, hob und senkte.

Aber all die Angst, die namenlose Qual, die sie erbeben ließ bei dem Gedanken an ihren Gatten und ihre Familie, war nicht imstande, den scharfen Verstand und die Kombinationsgabe dieser Frau ganz lahm zu legen. Sie begann nachzudenken und gewann dabei ihre Fassung wieder. Ihre großen, sammetdunklen Augen, die durch den Kontrast zu dem Rotblond ihres Haares doppelt anziehend wirkten, fest auf ihren Nachbar richtend, sagte sie plötzlich:

»Da müssen Sie also wohl eine Generalprokura von Ihrem Hause haben, die Ihnen ein für alle Mal freistellt, zu unternehmen, was Sie wollen, denn daß Sie inzwischen mit Ihrem Geschäft Rücksprache genommen haben, ist doch ganz ausgeschlossen. … Ich bin ja direkt vom Spitzenlager auf die Straße hinausgegangen.«

Er grinste wieder, wobei häßliche, gelbe Zähne zwischen seinen schmalen Lippen, die von einem dünnen schwarzen Schnurrbart überschattet waren, zum Vorschein kamen.

»Kümmern Sie sich nur nicht darum, meine Gnädigste! Seien Sie lieber froh, daß Sie noch nicht hinter Schloß und Riegel sitzen! Wenn ich wollte, hätte ich Sie einfach festnehmen können. Das bleibt, wie Sie eben ganz richtig andeuteten, von meinem Hause aus vollständig mir überlassen!«

Sie lachte nervös auf und wiederholte mehrmals:

»Das ist ja gleich! Das ist mir gleichgültig! Ich habe nichts genommen!«

Dabei griff ihre Rechte verstohlen nach dem - wie es die Mode mit sich brachte - sehr großen Zobelmuff, den sie neben sich auf den Sitz des Automobils hingelegt hatte.

»Lassen Sie nur die Hände davon!« sagte er, immer mit demselben höhnischen Grinsen. »Ich weiß recht gut, daß Sie die Spitzen in den Muff gesteckt haben!«

Dabei wollte er um sie herumgreifen, um ihr den Muff fortzunehmen.

Im nächsten Augenblick jedoch prallte er entsetzt zurück. Er hatte von der, in taubengraues Leder gehüllten Hand eine regelrechte Ohrfeige bekommen.

»Warten Sie nur,« knirschte er, »das soll Ihnen schlecht bekommen!«

Sie lachte hell auf, aber er hörte aus dem schrillen Ton doch, welche Angst in ihr bebte.

Den Rest der Fahrt legten sie schweigend zurück. Hatte sie anfangs Zweifel gehegt, ob er wirklich berechtigt war, sie in dieser Weise anzuhalten, so war sie jetzt überzeugt, daß tatsächlich ein Angestellter des Kaufhauses an ihrer Seite saß.

Eine dumpfe Betäubung hatte sich der schönen Frau bemächtigte. Sie wußte ja nicht einmal, wie lange sie schon die Läden, in denen sie kaufte, auf diese Art beraubte. Im Anfang hatte ihr bei jedem Griff in fremdes Eigentum die Seele gebebt in namenloser Angst, aber allmählich hatten sich ihre Finger daran gewöhnt, das zu ergreifen und festzuhalten, was nicht ihr gehörte. Und sie war vermöge ihres sicheren Auftretens und ihrer Schönheit, die überall verblüffte, dahin gekommen, überall diese Diebstähle mit großer Regelmäßigkeit aufeinander folgen zu lassen und einen bedeutenden Nutzen aus ihnen zu ziehen.

Daß sie ein Unrecht beging, dieses Gefühl hatte sich bald und mit der Zeit vollständig verloren. Ebenso auch die Furcht vor der Entdeckung, die sie im Anfang oft fast wahnsinnig gemacht, wenn sie irgend einen Gegenstand erbeutet hatte und mit diesem nun aus dem Geschäft auf die Straße hinausstrebte.

Jetzt auf einmal kehrten jene Beängstigungen tausendfach zurück. Sie sah, wie von grellem Lichte überstrahlt, die furchtbaren Folgen, denen ihre Uebeltat nicht allein sie selbst, sondern auch ihre ganze Familie aussetzte. Ihr Gatte, was würde er sagen, wenn man sie jetzt als Diebin nach Hause brachte …! Und Käte und Johannes … besonders der! … Und ihr eigenes Kind, ihre Effie … o, o, es war nichts auszudenken! …

Das Automobil hielt in der Ansbacher Straße, und die junge Frau, der ihr Begleiter mit spöttischem Grinsen aus dem Wagen half, schritt in halber Bewußtlosigkeit und dennoch nichts von ihrer Eleganz und Grazie einbüßend, über den breiten Bürgersteig auf das Haus zu.

Vor der Tür wandte sie sich noch einmal um und sah mit verlorenen Blicken nach dem Automobil hin, dessen Führer, da er noch nicht abgelohnt war, wartete.

Dann fiel ihr Auge auf den Mann, der sie mit seinen Blicken vorwärts drängte. Ein scheues Mitleidflehen war in ihrem Antlitz. Wie aber ihr dunkles Auge nur immer demselben grimmigen Hohn begegnete, da ging sie mit leicht gesenktem Kopf vor ihm her, der ihr so dicht auf den Fersen folgte, als fürchte er immer noch, sie würde ihm entfliehen.

An dem Mittelflügel der großen Glastür, die das ganze zweite Stockwerk einnahm, glänzte ein Messingschild mit der Aufschrift »Hermann Brunner«.

Und da sie selbst völlig teilnahmslos vor der Tür stehen blieb und offenbar von ihrem Mut ganz verlassen war, griff der Mann nach der Türklingel und schellte.

Unmittelbar darauf wurde die Tür geöffnet, und das Dienstmädchen, das einigermaßen erstaunt auf den fremden Herrn blickte, sagte mit einem Knix: »Guten Tag, gnädige Frau, Herr Brunner wartet schon auf Sie!«



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