Victor Hugo
1793
Victor Hugo

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Zweites Buch.
Die Schenke der Rue du Paon

I.
Minus, Rekus und Rhadamantus

In der Rue du Paon war eine Schenke, die man ein Kaffeehaus nannte. Dieses nunmehr historisch gewordene Kaffeehaus hatte ein Hinterstübchen, wo zuweilen heimlich Männer zusammentraten, welche so mächtig und doch wieder so überwacht waren, daß sie sich scheuten, öffentlich mit einander zu sprechen. Hier war am 23. Oktober 1792 zwischen der Montagne und der Gironde ein berühmter Versöhnungskuß gewechselt worden. Hierher war Garat, wenn er es gleich in seinen Memoiren nicht Wort haben will, auf Kundschaft ausgegangen in jener Schreckensnacht, wo er seinen Wagen am Pont-Neuf halten ließ, um auf das Sturmgeläut zu horchen, nachdem er Clavière in Sicherheit gebracht hatte nach der Rue de Beaune.

Am 28. Juni 1793 saßen in diesem Hinterstübchen drei Männer um einen viereckigen Tisch. Ihre Stühle berührten einander nicht; jeder nahm eine Seite des Tisches ein, so daß die vierte leer stand. Es war ungefähr Abends acht Uhr. Draußen auf der Straße sah man noch hell, im Hinterstübchen aber hatte die Zuglampe bereits angezündet werden müssen, welche – damals ein Luxusgegenstand – über dem Tisch von der Decke herabhing.

Der eine dieser drei Männer war bleich, jung, ernsthaft, hatte dünne Lippen, einen kalten Blick und in der Wange ein nervöses Jucken, das ihm das Lächeln jedenfalls erschwerte. Er war gepudert, gebürstet, zugeknöpft und hatte Handschuhe an; sein hellblauer Rock warf auch nicht ein Fältchen. Er trug ein Nankinbeinkleid, weiße Strümpfe, eine hohe Halsbinde, einen gekräuselten Jabot, silberne Schnallen an den Schuhen. Von den beiden anderen war einer fast ein Riese und der andere fast ein Zwerg. Der große, ganz verwahrlost in seinem weiten scharlachrothen Rock, hatte einen bloßen Hals, denn die Binde war so lose, daß sie über den Jabot herunterhing, eine aufgeknöpfte Weste, an der ein paar Knöpfe fehlten, Stulpstiefel, borstig gesträubtes Haar, dem man noch ansehen konnte, daß es geglättet und frisirt gewesen war, ein Haar, das viel von einer Mähne hatte. Das Gesicht war voller Blatternarben; zwischen den Augenbrauen stand eine Zornfalte, aber um die Mundwinkel lag ein Zug von Gutmütigkeit; dicke Lippen, große Zähne, die Faust eines Hausknechts und im Blick ein Leuchten. Der kleine mit dem gelben Teint schien, wie er jetzt da saß, verwachsen; sein Kopf war zurückgeworfen, sein Auge mit Blut unterlaufen, seine Haut voll von grünlichen Flecken; über dem fetten, steifhängenden Haar trug er ein ungebundenes Tuch; er hatte keine Stirn und einen ungeheuren, schrecklichen Mund. Strumpfhosen und Pantoffeln hatte er an, eine Weste von Atlas, der einmal weiß gewesen zu sein schien, und über der Weste einen Kittel, in dessen Falten eine harte gerade Linie einen Dolch vermuthen ließ. Der erste dieser Männer hieß Robespierre, der zweite Danton, der dritte Marat.

Sonst war Niemand zugegen. Vor Danton stand ein Weinglas neben einer staubigen Flasche, die an Doktor Luthers Humpen erinnern mochte, vor Marat eine Tasse Kaffee, vor Robespierre lagen Papiere. Ferner befand sich noch auf dem Tisch, außer der großen Karte von Frankreich, die in der Mitte ausgebreitet lag, eines jener runden, gerippten, schwerfälligen Tintenfässer aus Blei, die wohl noch Jeder kennt, welcher zu Anfang unseres Jahrhunderts in die Schule ging; daneben eine hingeworfene Feder, und auf den Papieren ein großes kupfernes Petschaft, das ein genaues kleines Modell der Bastille vorstellte und die Inschrift »Palloy fecit« trug.

Draußen vor der Thür wachte der Haushund Marat's, Laurent Basse, jener Laufbursche des Hauses Nummer 18 in der Cordeliers-Straße, derselbe, welcher ungefähr vierzehn Tage später, den 13. Juli, einen Stuhl einem Weib an den Kopf schlug, das Charlotte Corday hieß und zur Stunde in Caen vor sich hinbrütete. Laurent Basse trug die Korrekturbogen des »Volksfreunds« aus und hatte von seinem Herrn, der ihn in die Rue du Paon mitgenommen, die Weisung erhalten, das Zimmer, in dem sich Marat mit Danton und Robespierre befand, zu hüten und Jedem den Eintritt zu wehren, welcher nicht zum Wohlfahrtsausschuß, zum Stadtrath oder zum Evêché gehörte. Robespierre wollte Saint-Just nicht, Danton nicht Pache und Marat Gusman nicht ausschließen.

Die Unterredung dauerte schon lange; sie hatte die Papiere zum Gegenstand, welche vor Robespierre lagen und von ihm vorgelesen worden waren. Es war zu einem Wortwechsel gekommen; zwischen den drei Männern grollte etwas hin und her wie Zorn, und nach außen tönte zuweilen ein lauterer Ausbruch der Stimmen herüber. Damals pflegte man so häufig allen möglichen Sitzungen beizuwohnen, daß man jedes Zuhören als ein Recht zu betrachten schien. Es war die Zeit, wo der Abschreiber Fabricius Pâris die Debatten des Wohlfahrtsausschusses durch das Schlüsselloch belauschte, was, nebenbei gesagt, insofern nicht unnütz war, als jener Pâris in der Nacht vom 30. auf den 31. März 1794 Danton noch verwarnen konnte. So hatte denn auch Laurent Basse sein Ohr an die Thür gedrückt, hinter welcher Danton, Marat und Robespierre verhandelten. Laurent Basse war in Marat's Diensten, gehörte aber zum Evêché.

II.
Magna testantur voce per umbras

Danton war aufgestanden und hatte lebhaft den Stuhl gerückt.

– Ich aber, rief er, sage, daß gegenwärtig nur dies Eine drängt, die Gefahr der Republik. Für mich giebt's nur dies Eine, Frankreich vom Feind befreien, und dafür sind alle Mittel gut, alle, alle, alle! Wenn ich's mit jeder Gefahr aufnehmen muß, schöpfe ich aus jeder Hilfsquelle, und wenn ich Alles befürchte, schlage ich Allem in's Gesicht. Man muß Löwengedanken haben. Nur keine Halbheiten, kein prüdes um den Brei Gehen. Die Nemesis thut nicht zimperlich. Seien wir entsetzlich und nutzbringend. Schaut der Elephant erst, wo er den Fuß hinsetzt? Zermalmen wir den Feind!

– Von Herzen gern, erwiderte Robespierre mit Gelassenheit, und setzte dann hinzu: Nur handelt sich's darum, zu wissen, wo der Feind ist?

– Draußen ist er, sagte Danton, und ich habe ihn hinausgeworfen.

– Drinnen ist er, entgegnete Robespierre, und ich überwache ihn.

– Und ich werde ihn abermals hinauswerfen, fuhr Danton fort.

– Den innern Feind wirft man nicht hinaus.

– Was dann?

– Man vernichtet ihn.

– Mir schon recht, sagte Danton, und begann dann von Neuem: Aber ich sage Ihnen, Robespierre, draußen ist er.

– Und Ihnen sage ich, Danton, daß er drinnen ist.

– An der Grenze, Robespierre.

– Nein, in der Vendée

– Ruhe! fiel eine dritte Stimme ein, er ist überall, und Ihr seid verloren, sprach Marat. Robespierre schaute ihn an und erwiderte kühl:

– Sehen wir vom Allgemeinen ab. Ich fasse mich also bestimmt. Die Thatsachen sind folgende:

– Pedant! murrte Marat.

Robespierre legte die Hand auf seine Papiere und fuhr fort: Die Depeschen von Prieur Marne habe ich Euch vorgelesen. Ich habe Ihnen die Mittheilungen jenes Gélambre soeben zur Kenntniß gebracht. Danton, glauben Sie mir: der Krieg mit dem Ausland ist nichts; der Bürgerkrieg Alles. Der Krieg mit dem Ausland ritzt uns blos am Ellenbogen; der Bürgerkrieg frißt uns wie ein Geschwür an der Leber. Aus Allem, was ich Euch vorlas, erhellt aber Folgendes: Die Streitkräfte der Vendée, bis jetzt unter verschiedene Führer zersplittert, stehen im Begriff, sich zu verschmelzen; sie werden fortan einem einzigen Befehlshaber gehorchen.

– Einem Zentralmordbrenner, murmelte Danton.

Robespierre fuhr fort: Es ist dies jener Mann, der am 2. Juni bei Pontorson landete. Wer er ist, wissen Sie. Bemerken Sie ferner wohl, daß damit die Verhaftung unserer beiden Kommissäre Prieur Côte-d'Or und Romme zusammenfällt, die an eben demselben 2. Juni seitens jenes verrätherischen Bezirks des Calvados zu Bayeux stattfand.

– Sie sind in's Schloß von Caen abgeführt, sagte Danton.

Robespierre begann wieder: Ich fasse die Depeschen nun weiter zusammen: Der Krieg im Busch wird in großem Maßstab organisirt und gleichzeitig eine englische Expedition vorbereitet; Vendéer und Engländer heißt Bretagne mit Bretagne, denn die Kaffern im Finistère reden die Sprache der Hottentotten von Wales. Ich habe Ihnen einen aufgefangenen Brief von Puisaye vorgelegt, worin geäußert wird, »daß zwanzigtausend rothe Röcke, unter den Aufständischen vertheilt, hunderttausend Bauern auf die Beine bringen werden.« Ist die Bauernempörung einmal so weit gediehen, dann geht die Landung der Engländer vor sich. Ihr Plan – folgen Sie mir nur auf der Karte – ist der:

Und Robespierre begleitete seine Auseinandersetzung mit dem Finger:

– Den Engländern steht die Wahl des Landungsplatzes frei von Cancale bis Paimpol. Craig stimmt für die Bucht von Saint-Brieuc, Cornwallis für die von Saint-Cast. Doch das ist Nebensache. Das linke Loire-Ufer ist durch die Vendéer Rebellen gedeckt, und was die freien achtundzwanzig Meilen zwischen Ancenis und Pontorson betrifft, so haben vierzig Gemeinden der Normandie ihre Hülfe in Aussicht gestellt. Der Einfall wird von drei Punkten ausgehen, von Plérin, Iffinac und Pléneuf; von Plérin gegen Saint-Brieuc und von Pléneuf gegen Lamballe; Tags darauf wird auf Dinan marschirt, wo sich neunhundert gefangene Engländer befinden, und gleichzeitig Saint-Jouan und Saint-Méen besetzt, wo eine Abtheilung Kavallerie zurückgelassen wird; am dritten Tage rückt eine Kolonne von Jouan nach Bédée und eine andere von Dinan nach Becherel, einer natürlichen Festung, wo zwei Batterien aufgestellt werden sollen; am vierten Tag Einzug in Rennes. Rennes ist der Schlüssel der Bretagne. Wer in Rennes ist, ist überall; mit Rennes fallen Châteauneuf und Saint-Malo. In Rennes haben wir eine Million Patronen und fünfzig Feldgeschütze . . . .

– Die flöten gehen würden, murmelte Danton dazwischen.

– Ich schließe, sagte Robespierre. Von Rennes aus werfen sich drei Kolonnen auf Fougères, auf Vitré und auf Redon. Da die Brücken zerstört sind, wird sich der Feind, wie wir bereits in Erfahrung gebracht, mit Pontons und Bohlen versehen und außerdem noch die Furten für die Kavallerie durch Führer ausmitteln. Von Fougères aus wird dann Avranche, von Redon Ancenis, von Vitré Laval bedroht. Nantes wird sich, Brest wird sich ergeben. Redon beherrscht den Lauf der Vilaine, Fougères die Straße nach der Normandie, Vitré die Straße nach Paris. In vierzehn Tagen wird eine Armee von dreimalhunderttausend Briganten dastehen, und die ganze Bretagne wird dem König von Frankreich gehören.

– Dem König von England, meinte Danton.

– Nein, von Frankreich, erwiderte Robespierre. Der König von Frankreich ist schlimmer. Um die Fremden zu verjagen, genügen vierzehn Tage, aber kaum achtzehnhundert Jahre, um die Monarchie auszustoßen.

Danton, der sich wieder gesetzt hatte, stützte die Ellenbogen auf den Tisch und den Kopf nachdenklich auf beide Hände.

– Die Gefahr springt in die Augen, sagte Robespierre. Vitré öffnet den Engländern den Weg nach Paris.

Danton erhob die Stirn und ließ seine zwei großen geballten Fäuste auf die Landkarte fallen wie auf einen Amboß: Robespierre, öffnete Verdun den Preußen nicht auch den Weg nach Paris?

– Je nun?

– Je nun, man wird die Engländer hinauswerfen, wie man die Preußen hinausgeworfen hat.

Und Danton stand wieder auf.

Robespierre legte seine kalte Hand auf Danton's fiebernde Faust: Danton, die Champagne hielt nicht zu den Preußen, aber die Bretagne hält zu den Engländern. Verdun zurücknehmen, ist nur Krieg mit dem Ausland; Vitré zurücknehmen, ist Bürgerkrieg. Und nachdem er mit kalter, tiefer Stimme noch dazu gemurmelt hatte: Ein gründlicher Unterschied, sagte er: Setzen Sie sich wieder hin, Danton, und schauen Sie die Karte an, statt mit Fäusten daraufzuschlagen.

Danton aber war ganz in seine Auffassung vertieft.

– Das ist denn doch stark, rief er, die Katastrophe im Westen zu sehen, wenn sie von Osten herkommt! Ich will Ihnen zugeben, Robespierre, daß im Westen England zum Hieb ausholt, aber Italien holt aus hinter den Alpen, aber Deutschland holt aus hinter dem Rhein, und hinterdrein kommt der große russische Bär. Die Gefahr, Robespierre, ist ein Kreis, und wir stehen mitten drin. Außen die Koalition, innen der Verrath. Im Süden läßt Servant den König von Spanien zur halbgeöffneten Thür herein. Im Norden geht Dumouriez zum Feind über; er hatte übrigens von jeher weniger Holland bedroht als Paris; vor Meerwinden verblaßt Valmy und Jemappes. Der Philosoph Rabaut Saint-Etienne, falsch wie alles Protestantische, korrespondirt mit Montesquieu, dem Hofschranzen. Die Armee ist zusammengeschmolzen; wir haben kein Bataillon von über vierhundert Mann mehr, das tapfere Regiment Zweibrücken ist nur noch hundertundfünfzig Mann stark; in Givet bleiben uns kaum fünfhundert Säcke Mehl; wir ziehen uns auf Landau zurück; Wurmser ist Kleber auf den Fersen; Mainz fällt mit Ruhm, Condé mit Schmach und Valenciennes desgleichen, was übrigens nicht hindert, daß in Valenciennes Chancel und der alte Féraud in Condé zwei Helden sind so gut wie Meunier, der Mainz vertheidigt hat; aber die anderen sammt und sonders verrathen uns; uns verräth Dharville in Aachen, verräth Mouton in Brüssel, verräth Valence in Breda, verräth Neuilly in Limburg, verräth Miranda in Mastricht; Stengel ein Verräther, Lanone Verräther, Ligonnier Verräther, Menou Verräther, Dillon Verräther, sie Alle der eine Dumouriez in abscheulicher Scheidemünze. Es muß durch Beispiele gewirkt werden. Die Rückmärsche von Custine sind mir verdächtig; ich habe den Argwohn, daß Custine die einträgliche Wegnahme von Frankfurt der zweckdienlichen Einnahme von Coblenz vorzieht. Frankfurt kann vier Millionen Kriegskontribution zahlen – zugegeben; aber was wiegt das im Vergleich zur Zerstörung der Emigrantenhöhle? Verrath, auf dem Wort bestehe ich. Meunier ist am 13. Juni gestorben. Kleber bleibt nunmehr allein. Unterdessen wächst der Braunschweiger an und dringt vor. Er pflanzt in allen französischen Plätzen, die er einnimmt, deutsche Fahnen auf. Der Markgraf von Brandenburg ist zur Stunde der Schiedsrichter in Europa; er steckt unsere Provinzen in die Tasche; er wird sich Belgien zuschlagen, denken Sie nur an mich; man könnte wirklich glauben, daß wir Berlin in die Hände arbeiten; wenn das so fortgeht und wir nicht rechtzeitig Ordnung schaffen, wird die französische Revolution für Potsdam gemacht worden sein; sie wird keinen anderen Nutzen gehabt haben, als den kleinen Staat Friedrich's II. zu vergrößern, und wir haben dann den König von Frankreich umgebracht, ganz wie wir Franzosen sagen, »pour le roi de Prusse«.

Bei diesen Worten brach Danton in ein erschreckendes Lachen aus. Danton's Lachen entlockte Marat ein Lächeln:

– Jeder von Euch reitet sein Steckenpferdchen; das Ihrige, Danton, heißt Preußen und das Ihre, Robespierre, heißt Vendée. Auch ich will mich bestimmt fassen. Die wirkliche Gefahr seht ihr nicht; nun denn, sie liegt in den Cafés und Kneipen. Das Café Choiseul steckt voller Jakobiner, das Café Patin voller Royalisten; das Café du Rendez-Vous greift die Nationalgarde an; das Café Porte-Saint-Martin nimmt sie in Schutz; das Café de la Régence ist gegen Brissot, das Café Corazza für; das Café Procope schwört nicht höher als Diderot, das Café du Theátre-François nicht höher als Voltaire; in der Rotunde werden die Assignate zerrissen; die Cafés Saint-Marceau kennen sich nicht vor Zorn; im Café Manouré streitet man sich um die Mehlfrage; im Café von Foy wird randalirt, am Perron surren die Schacherwespen. Darin liegt eine ernste Gefahr.

Danton lächelte nicht mehr, aber Marat lächelte noch immer. Der Zwerg überlächelte das Lachen des Riesen.

– Haben Sie uns zum Besten, Marat? grollte Danton.

Marat bekam sein allbekanntes konvulsivisches Zucken der Hüfte. Sein Lächeln war geschwunden:

– So, da wären Sie glücklich wieder der Alte, Bürger Danton. Sie waren es ja doch, der mich vor dem ganzen Konvent »das Individuum Marat« genannt hat. Wissen Sie was? Ich will es Ihnen verzeihen. Wir beißen uns durch eine alberne Uebergangszeit. Also hätte ich Sie zum Besten? Ach ja, was bin ich denn auch? Ich habe Chazot entlarvt, habe Pétion entlarvt, Kersaint entlarvt, Dufriche-Valazé entlarvt, Ligonnier entlarvt, Menou entlarvt, Bonneville entlarvt, Gensonné entlarvt, Biron entlarvt, Lidon und Chambon entlarvt; that ich etwa nicht recht? Ich wittere den Verrath aus dem Verräther heraus und halte es für zweckmäßig, den Verbrecher vor der Ausführung anzuklagen. Ich pflege Tags zuvor das zu sagen, was Tags darauf Ihr sagt. Ich bin's, welcher der Nationalversammlung den vollständigen Plan zu einer Kriminalgesetzgebung vorschlug. Und was that ich bis jetzt? Ich habe Lehrmittel verlangt für die Wahlbezirke, damit sie für die Revolution geschult werden mögen. Ich habe die Siegel abnehmen lassen von den zweiunddreißig Schachteln; ich habe die bei Roland deponirten Diamanten zurückbegehrt; ich habe nachgewiesen, daß die Brissotins dem Sicherheitsausschuß unausgefüllte Haftbefehle gegeben hatten; ich habe die Lücken bezeichnet im Bericht von Linden über Capet's Unthaten; ich habe dafür gestimmt, daß der Tyrann binnen vierundzwanzig Stunden hingerichtet werde; ich habe die Bataillone le Manconseil und le Républicain vertheidigt; ich habe die Verlesung des Briefes von Narbonne und von Malouet verhindert; ich habe einen Antrag zu Gunsten der verwundeten Soldaten gestellt; ich habe die Kommission der Sechs abschaffen lassen; ich habe in der Affaire von Mons Dumouriez' Verrath kommen sehen; ich habe verlangt, man solle hunderttausend Emigrantenangehörige als Geiseln festnehmen für unsere an den Feind ausgelieferten Kommissare; ich habe vorgeschlagen, jeden Abgeordneten, der die Stadt verlassen würde, für vogelfrei zu erklären; ich habe bei Anlaß der Marseiller Wirren der Coterie Roland die Maske vom Gericht gerissen; ich habe darauf bestanden, daß man einen Preis setze auf den Kopf des jüngern Egalité; ich habe Bouchotte das Wort geredet; ich habe die Abstimmung mit Namensaufruf gefordert, um Isnard vom Präsidentenstuhl zu vertreiben; ich habe die Erklärung veranlaßt, daß sich die Priester um's Vaterland verdient gemacht haben; und deshalb schimpft mich Louvet einen Hanswurst, deshalb verlangt das Finistère meine Ausschließung, wünscht die Stadt Loudun, daß man mich verbanne, und die Stadt Amiens, daß mir ein Maulkorb angelegt werde, deshalb will der Prinz von Koburg mich verhaftet wissen und schlägt Lecointe-Puiraveau dem Konvent vor, mich für verrückt zu erklären. Ja, sagt mir doch einmal, Bürger Danton, warum ihr mich zu Eurer Besprechung geladen habt, wenn nicht um meine Meinung zu haben? Habe ich etwa darum gebeten? Keineswegs; ich finde nicht den geringsten Geschmack an tête-à-tête's mit Gegenrevolutionären wie Robespierre und Sie. Uebrigens habt Ihr mich, wie es zu erwarten war, nicht einmal verstanden, Sie gerade so wenig wie Robespierre und Robespierre so wenig wie Sie. Ist denn hier kein Staatsmann bei der Hand? Man muß Euch also politisch buchstabiren helfen und ja nicht vergessen, auch den Punkt über jedes i zu setzen. Was ich vorhin sagte, hieß in dürren Worten: Ihr irrt Euch alle Beide. Die Gefahr liegt weder in London, wie Robespierre, noch in Berlin, wie Danton glaubt; sie liegt hier in Paris, liegt in dieser Zerfahrenheit, in dem Recht, das jeder hat, an seinem eigenen Strang zu ziehen, – und ich habe dabei zu allernächst Euch Zwei im Auge – liegt in dem staubartigen Auseinanderstieben der Geister, in der Anarchie der Willenskräfte . . . . .

– Anarchie, fuhr Danton dazwischen, durch wen ist sie eingerissen, wenn nicht durch Sie?

Marat ließ sich nicht stören:

– Ja, Robespierre, ja, Danton, die Gefahr liegt in dieser Unmasse von Kaffeeschenken, in dieser Unmasse von Spielhäusern, in dieser Unmasse von Klubs, im Klub der »Schwarzen«, im Klub der »Föderirten«, im Klub der »Damen«, im Klub der »Unparteiischen«, der noch aus der Zeit von Clermont-Tonnerre stammt und der erste monarchische Klub vom Jahre neunzig gewesen ist, im »Sozialen Verein«, der durch den Claude Fauchet, den Priester, ausgeheckt worden, im Klub der »Wollmützen«, den Prudhomme, der Zeitungsschreiber, gegründet hat, und so fort, ganz abgesehen von Robespierre's Jakobinerklub und Ihrem Klub der Cordeliers, Bürger Danton. Die Gefahr liegt in der Hungersnoth, die den Sackträger Blin veranlaßt hat, François Denis, den Bäcker vom Marché-Palu, an der Laterne des Rathhauses aufzuknüpfen, und in der Justiz, die den Sackträger Blin hängen ließ, wie er dem Bäcker Denis gethan. Die Gefahr liegt im Papiergeld, das entwerthet wird. In der Temple-Straße fiel ein Assignat von hundert Franks auf die Erde, und ein Vorübergehender, ein Mann aus dem Volke, meinte, »es verlohne sich der Mühe nicht, sich danach zu bücken«. In den Wuchermäklern und Spekulanten, da liegt die Gefahr. Die schwarze Fahne am Rathhaus, soll die etwa noch ziehen? Ihr habt den Baron Trenck eingesteckt, aber das langt nicht; den Hals müßt Ihr ihm umdrehen, dem alten Gefängniß-Intriguanten. Oder meint Ihr, Alles sei jetzt in Ordnung, weil der Präsident des Konvents Labertêche für die einundvierzig Säbelhiebe, die er bei Jemmappes erhalten, eine Bürgerkrone aufsetzt, und weil Chénier den Elephantenführer dabei abgiebt? Komödien das und Faxen! Ihr schaut nicht um Euch in Paris? Schön! Ihr sucht die Gefahr in der Ferne, während Ihr sie in nächster Nähe habt? Schön! Aber was nützt Ihnen dann Ihre Polizei, Robespierre? Denn Spione halten Sie sich ja doch, im Stadtrath Payan, beim revolutionären Schwurgericht Coffinhal, im Sicherheitsausschuß David, im Wohlfahrtsausschuß Couthon. Ich bin, wie Sie sehen, wohl unterrichtet. So wißt denn dies Eine: die Gefahr schwebt über Euren Köpfen; die Gefahr steckt unter Euren Füßen. Konspirirt wird, konspirirt, konspirirt. Auf den Straßen lesen die Leute sich aus Zeitungen vor und nicken einander zu. Sechstausend Menschen ohne patriotische Legitimationskarten, zurückgekehrte Emigranten, »Muscadins« und »Mathevons« sind in Kellern und auf Dachböden und in den hölzernen Galerieen des Palais-Royal verborgen, vor den Bäckerläden wird Queue gemacht; die alten Weiber unter den Thüren schlagen die Hände über'm Kopf zusammen und sagen: »Wann wird denn wieder Friede?« Ihr mögt Euch, um ganz unter Euch zu bleiben, noch zehn Mal sorgfältiger in den Sitzungssaal des Exekutivraths einschließen, was drin gesprochen wird, erfährt man doch. Sie werden mir's schon glauben, wenn ich Ihnen wortwörtlich wiederhole, was Sie gestern Abend zu Saint-Just gesagt haben: »Bei Barbaroux setzt sich ein Bauch an; das wird ihm auf der Flucht unbequem werden.« Jawohl ist die Gefahr überall und im Mittelpunkt zumeist. Hier in Paris zetteln die Aristokraten Verschwörungen an, indessen die Patrioten barfuß gehen; die Gefangenen vom 9. März sind schon wieder in Freiheit gesetzt; die Luxuspferde, die an der Grenze vor unseren Kanonen eingespannt sein sollten, spritzen uns den Pflasterkoth an die Beine; ein vierpfündiger Laib Brod kostet drei Francs zwölf Sous; in den Theatern spielt man Schandstücke, und Robespierre wird Danton noch auf die Guillotine bringen.

– Ja Schnecken! unterbrach Danton.

Robespierre suchte emsig auf der Landkarte nach etwas.

– Was noththut, schrie Marat heraus, ist ein Diktator. Sie wissen, Robespierre, daß ich einen Diktator verlange.

Robespierre erhob den Kopf: Ja, Marat, ich weiß: Sie oder ich.

– Ich oder Sie, sagte Marat.

– Ein Diktator? Versuchs einmal Einer! brummte Danton zwischen den Zähnen.

Marat hatte Danton's Stirnrunzeln bemerkt: Wohlan! begann er wieder, ich will einen letzten Versuch machen, einen Vorschlag zur Güte. Die Situation ist es werth. Haben wir doch früher schon einmal ein Einverständniß erzielt für den 31. Mai. An der Einigkeit ist mehr gelegen als an den Girondins, die nur nebenbei in Frage kommen. Euren Behauptungen liegt ein Stück Wahrheit zu Grunde; aber die ganze Wahrheit, die wahre Wahrheit sitzt in dem, was ich behaupte. Der Föderalismus des Südens, der Royalismus des Westens, der Zweikampf des Konvents und des Stadtraths in Paris und an der Grenze das Zurückweichen Custine's und Dumouriez' Verrath – was bedeutet das Alles? Das Auseinandergehen; und was thut noth? Die Eintracht. Die rettet uns; aber es hat Eile. Paris muß sich eine revolutionäre Regierung geben. Wenn wir noch eine Stunde verlieren, können allerdings die Vendéer in Orléans einrücken und die Preußen in Paris; das Eine, Robespierre, gebe ich Ihnen zu, das Andere Ihnen, Danton; sei's drum. Doch worauf läuft auch das hinaus? Auf die Nothwendigkeit einer Diktatur. Theilen wir uns drein! Wir drei sind die Träger der Revolution; wir sind die drei Köpfe des Cerberus; der Eine spricht, Sie, Robespierre; der Andere brüllt, Sie, Danton . . . .

– Und der Dritte beißt, vollendete Danton, Sie Marat.

– Sie beißen alle drei, entgegnete Robespierre.

Es entstand eine Pause. Dann bewegte sich die Auseinandersetzung unter unheimlichen Erschütterungen weiter.

– Hören Sie, Marat, bevor man sich heirathet, muß man sich kennen. Woher wissen Sie, was ich gestern zu Saint-Just gesagt habe?

– Lassen Sie das meine Sorge sein, Robespierre.

– Marat!

– Es ist meine Pflicht, mich aufzuklären, und mein Geschäft, Erkundigungen einzuziehen.

– Marat!

– Ich liebe einmal die Klarheit.

– Marat!

– Robespierre, ich weiß, was Sie zu Saint-Just sagen, gerade so, wie ich weiß, was Danton mit Lacroix spricht, wie ich weiß, was am Theatinerquai im Hotel von Labriffe vorgeht, in jener Höhle, wo die Nymphen der Emigration einkehren, wie ich weiß, was bei Gonesse in jenem Haus von Les Thilles vorgeht, das dem früheren Postadministrator Valmerange gehört und das seiner Zeit von Maury und Cazales, nachher von Sieyès und Vergniaud besucht wurde, und wohin man sich jetzt einmal in der Woche verfügt.

Dieses »man« begleitete Marat mit einem Blick auf Danton.

– Hätte ich für einen Heller Macht in Händen, rief dieser, es wäre furchtbar.

Marat fuhr fort: Ich weiß was Sie sagen, Robespierre, wie ich wußte, was im Temple vorging, als Ludwig XVI. noch drin gemästet wurde, so wohl gemästet, daß im Monat September allein der Wolf, die Wölfin und die Jungen sechsundachtzig Körbe Pfirsiche verzehrt haben. Unterdessen hungerte das Volk. Ich weiß das, wie ich auch weiß, daß Roland in einer Hofwohnung der Straße La Harpe versteckt worden ist, wie ich weiß, daß sechshundert Piken vom 14. Juli bei Faure, dem Schlosser des Herzogs von Orléans, angefertigt wurden, wie ich weiß, was bei der Maitresse von Sillery, der Saint Hilaire, getrieben wird; wenn getanzt werden soll in der Rue Neuve-des-Mathurins, bestreicht der alte Sillery höchsteigenhändig den Fußboden des gelben Salons mit Kreide; Buzot und Kersaint haben dort dinirt; am 27. war auch Saladin geladen, und mit wem, Robespierre? Mit Ihrem Freund Lasource. – Geschwätz, murmelte Robespierre. Lasource ist mein Freund nicht; dann setzte er nachdenklich hinzu: Mittlerweile überschwemmen uns zu London achtzehn Fabriken mit falschen Assignaten.

Marat fuhr mit ruhiger Stimme, aber mit einem schauerlichen leisen Zittern fort: Ihr seid die Partei der Wichtigthuer. Ja, Alles weiß ich, trotz Eurer »Staatsverschwiegenheit,« wie Saint Just das Ding nennt. – Und Marat, der das Wort betont hatte, schaute Robespierre an und sprach dann weiter: Ich weiß, was an Eurem Tisch geredet wird, wenn Lebas David als Gast mitbringt zu den Schüsseln der ihm versprochenen Elisabeth Duplay, Ihrer zukünftigen Schwägerin, Robespierre. Ich bin das ungeheuere Auge des Volkes und schaue heraus aus meinem Keller. Ja, ich sehe, ja, ich höre, ja, ich weiß. Euch genügt Kleines. Ihr staunt Euch an. Robespierre läßt sich durch seine Frau von Chalabre bewundern, die Tochter jenes Marquis von Chalabre, der mit Ludwig XV. nach der Hinrichtung von Damiens Abends die Whistpartie spielte. Ja, man trägt den Kopf hoch aufrecht. Saint-Just hat sich an eine Halsbinde gewöhnt. Legendre kleidet sich tadellos: neuer Rock, weiße Weste und Jabot, damit man seinen Metzgerschurz vergesse. Robespierre denkt sich, die Nachwelt werde einst froh sein, zu wissen, daß er in der konstituirenden Versammlung einen olivenbraunen und im Konvent einen himmelblauen Rock trug. Sein Portrait ziert alle Wände seine Zimmers . . . .

Robespierre warf in noch ruhigerem Ton als Marat die Erwiderung dazwischen: Und das Ihre, Marat, ziert alle Kloaken.

In demselben Gesprächston fuhren sie auch fort; das langsame Tempo hob die Bitterkeit der Stöße und Gegenstöße nur um so mehr hervor und fügte der Drohung noch eine gewisse Ironie bei.

– Robespierre, Sie haben die Männer, die den Umsturz aller Throne anstreben, »die Don Quichotte's aller Welt« genannt.

– Und Sie, Marat, haben nach dem 4. August in Ihrem »Volksfreund«, 559. Nummer – ja, die Zahl habe ich mir gemerkt, dergleichen schadet nie – Sie haben verlangt, man möge dem Adel seine Standesbenennungen wiedergeben, und erklärt, »ein Herzog bleibe einmal ein Herzog.«

– Robespierre, in der Sitzung des 7. Dezember haben Sie die Roland gegen Viard in Schutz genommen.

– Wie auch mein Bruder Sie, Marat, in Schutz nahm, als Sie bei den Jakobinern angefeindet wurden. Was will das heißen? Nichts.

– Robespierre, man kennt noch das Kabinet in den Tuilerien, wo Sie zu Garat gesagt haben: »Ich bin der Revolution satt.«

– Hier, Marat, in diesem Zimmer, am 29. Oktober, haben Sie Barbaroux umarmt.

– Robespierre, Sie haben sich gegen Buzot geäußert: »Die Republik, was steckt da auch weiter dahinter?«

– Marat, hier in diesem Zimmer haben Sie die Marseiller bewirthet, von jeder Kompagnie drei Mann.

– Robespierre, Sie lassen sich durch einen Lastträger aus der Fruchthalle mit einem Knüppel eskortiren.

– Und Sie, Marat, haben sich am Vorabend des 10. August, als Reitknecht verkleidet, nach Marseille flüchten wollen und Buzot um seinen Beistand ersucht.

– Als die Volksgerechtigkeit zu den Septemberexekutionen schritt, haben Sie sich versteckt, Robespierre.

– Und Sie, Marat, haben sich gezeigt.

– Robespierre, Sie haben die rothe Mütze von sich geworfen.

– Als ein Verräther sie entweihte, gewiß. Einen Robespierre befleckt, was einen Dumouriez ziert.

– Robespierre, beim Durchmarsch der Soldaten von Chateauvieux haben Sie sich geweigert, über Ludwigs XVI. Kopf einen Trauerflor zu werfen.

– Ich habe sein Haupt nicht verhüllt, aber ich that mehr: ich hieb es ihm herunter.

Nun mischte sich Danton ein, doch wie das Oel ins Feuer: Robespierre, Marat, sagte er, Mäßigung!

Marat hörte sich nicht gern in zweiter Linie nennen; er wendete sich um: Was nimmt Danton sich da heraus? fragte er.

Danton fuhr in die Höhe: Was ich mir herausnehme? Ich nehme mir heraus, Euch zu sagen, daß der Brudermord ein Verbrechen ist, daß ich kein Zerwürfniß dulde zwischen zwei Männern, die dem Volk dienen, daß wir neben dem Krieg mit dem Ausland und dem Bürgerkrieg nicht noch den häuslichen Krieg brauchen können, daß ich, der ich die Revolution gemacht habe, nicht gestatten werde, daß Ihr sie zunichte macht. Das nehme ich mir heraus.

– Nehmen Sie sich erst heraus, Rechenschaft abzulegen, versetzte Marat, ohne die Stimme lauter zu erheben.

– Rechenschaft? schrie Danton. Zieht sie nur zur Rechenschaft, die Pässe der Argonne und die befreite Champagne und das eroberte Belgien und die Armeen, die mich bereits zum vierten Mal dem Kartätschenfeuer die Brust entgegenwerfen sahen! Zur Rechenschaft zieht den Revolutionsplatz, das Schaffot des 21. Januar, den niedergeschmetterten Thron, die Guillotine, jene Wittwe . . .

– Eine Jungfrau ist die Guillotine, unterbrach Marat; man legt sich darauf, aber man befruchtet sie nicht,

– Sie wollen das wissen? entgegnete Danton; ich würde sie befruchten, ich!

– Das wird sich zeigen, erwiderte Marat. Und er lächelte.

Danton sah dieses Lächeln: Marat, schrie er. Sie sind der Mann der Heimlichkeit; ich bin der Mann des freien Himmels und des hellen Tages. Ein Leben wie's Reptilien führen, hasse ich; ich mag mich nicht verkriechen wie eine Kellerassel. Sie leben unter der Erde und ich oben drauf. Sie verkehren mit Niemand; mich kann Jeder, der vorbeigeht, sehen und sprechen.

– Schöner Junge, kommt doch mit hinauf, brummte Marat und sein Lächeln verschwand: Danton, begann er in gebieterischem Ton, legen Sie Rechenschaft über die dreiunddreißig Tausend Thaler in klingender Münze, die Montmorin im Auftrag des Königs an Sie ausgezahlt hat, unter dem Vorwand, Sie für Ihre eingegangene Anwaltschaft beim Châtelet zu entschädigen.

– Ich habe den 14. Juli mitgemacht, fuhr Danton hochfahrend drein.

– Aber das Garde-meuble? aber die Krondiamanten?

– Ich habe den 6. Oktober mitgemacht.

– Aber die Diebstähle Ihres alter ego Lacroix in Belgien?

– Ich habe den 20. Juni mitgemacht.

– Aber die Summen, die der Montansier geliehen wurden?

– Ich führte das Volk bei der Rückkehr von Varennes.

– Und der Opernsaal, den man mit Ihren Geldern baut?

– Ich rief die Pariser Bezirke zu den Waffen.

– Und die hunderttausend Livres Geheimfonds für das Justizministerium?

– Ich habe den 10. August gemacht.

– Und die zwei Millionen für unverbuchte Ausgaben der Assemblée, wovon Sie ein Viertel übernommen?

– Ich brachte den anmarschirenden Feind zum Stehen und sperrte den verbündeten Königen den Weg.

– Prostituirter Sie! sagte Marat.

– Ja, schrie Danton hoch aufgerichtet, furchtbar, ja ich bin eine Metze; meinen Bauch habe ich verkauft, aber ich habe die Welt gerettet.

Robespierre kaute an den Nägeln weiter. Er für sein Theil konnte weder lachen noch lächeln; ihm mangelte sowohl das, was aus Danton blitzte, das Lachen, als das, was aus Marat stach, das Lächeln.

– Ich bin wie der Ozean, fuhr Danton fort; ich habe meine Ebbe und meine Fluth, bei niederer See sieht man meine Untiefen, bei hoher See meine Wogen.

– Ihren Gischt, verbesserte Marat.

– Meinen Sturm, sagte Danton.

Marat, der gleichzeitig mit ihm aufgesprungen war, platzte nun heraus; die Schlange war plötzlich zum Lindwurm angewachsen: So, schrie er, Robespierre, so, Danton, hören wollt Ihr mich also nicht? Nun denn, ich sage es Euch: Ihr seid verloren. Eure Politik verläuft sich in Sackgassen; Ihr wißt nicht mehr, wo hinaus, und greift zu Mitteln, die Euch jede Thür verschließen, nur die zum Grabe nicht.

– Unsere Größe, sagte Danton und zuckte mit den Achseln.

– Nimm Dich in Acht, Danton, fuhr Marat fort; auch Vergniaud hat ein breites Maul und geschwollene Lippen und zornige Brauen; auch Vergniaud hat ein Gesicht voller Blatternarben wie Mirabeau und wie Du, und dennoch hat ihn der 31. Mai weggefegt. Ah, Du zuckst mit den Achseln? Mit so einem Achselzucken schüttelt man sich zuweilen den Kopf vom Hals. Danton, ich sage Dir, daß Du mit Deiner polternden Stimme, Deiner lockern Halsbinde, Deinen weichen Stiefeln, Deinen kleinen Soupers und Deinen großen Taschen zu guterletzt doch an Louisette gerathen wirst.

Unter dem Schmeichelnamen Louisette verstand Marat die Guillotine.

– Du aber, wendete er sich nun zu Robespierre, Du gehörst zwar zu den Gemäßigten, wird Dir jedoch Alles nichts helfen. Gehe nur hin und kräusle Dein Haar und frisir Dich und zier Dich und pudere Dich ein, und bürste an Dir herum, und putze Dich heraus, und sei geschniegelt, und halte was auf reine Wäsche; Du wirst nichtsdestoweniger auf dem Grèveplatz daran glauben müssen; lies nur die Erklärung des Braunschweigers; Du wirst um kein Haar breit glimpflicher behandelt werden als der Königsmörder Damiens und Du wirst Dich nicht länger herrichten und anziehen, als bis an des Henkers vier Pferde die Reihe kommt, anzuziehen, um Dich hinzurichten.

– Koblenzer Echo, knirschte Robespierre.

– Robespierre, ich bin das Echo von nichts; ich bin der Aufschrei von Allem. O Ihr seid noch jung, Ihr Andern. Wie alt bist Du, Danton? Vierundreißig Jahre, und wie alt bist Du, Robespierre? Dreiunddreißig. Aber ich, ich habe von jeher gelebt; ich bin das fortvererbte menschliche Leiden; sechstausend Jahre bin ich alt.

– Wohl wahr, versetzte Danton; sechstausend Jahre hindurch lebte Kain in Haß eingeschlossen wie die Kröte im Stein; der Stein zerbricht, Kain springt unter die Menschen und heißt Marat.

– Danton! schrie Marat, und sein Auge leuchtete auf in fahlem Glanz.

– Soll ich etwa heucheln? sagte Danton. So redeten die drei Gewaltigen zu einander, streitende Donnerwolken.

III.
Aufzucken des innersten Nervenlebens

Das Gespräch stockte; diese Titanen waren momentan in sich selbst zurückgetreten.

Dem Löwen sind die Schlangen unheimlich; Robespierre war sehr bleich und Danton sehr roth geworden. Beide bebten vor Aufregung. Marat's wildes Auge war erloschen; Ruhe, gebieterische Ruhe herrschte wieder in den Zügen dieses Mannes, der die Schreckenden abschreckte.

Danton fühlte sich besiegt, aber wollte sich nicht ergeben: Marat, hob er an, redet sehr laut von Diktatur und Einigkeit, und dennoch kann er nur Eins, zersetzen.

Robespierre that seinen zugekniffenen Mund auf und fügte hinzu: Wie Anacharsis Cloots, so sage auch ich: Weder Roland noch Marat.

– Und ich, entgegnete Marat, ich sage: Weder Danton noch Robespierre.

Er blickte den Beiden starr in's Gesicht: Danton, sprach er, ich will Ihnen einen guten Rath geben: Sie sind verliebt und gehen mit dem Gedanken um, wieder zu heirathen; lassen Sie die Hand aus der Politik; seien Sie weise. Und um einen Schritt zurücktretend, im Begriff sich nach der Thür zu wenden, verabschiedete er sich mit den ominösen Worten: Adieu, meine Herren.

Danton und Robespierre überlief ein Schauer. In diesem Augenblick erhob sich im Hintergrund eine Stimme:

– Marat, Du hast Unrecht.

Alle drehten sich um. Während Marat seine Standrede hielt, war Jemand unbemerkt zur Thür hereingetreten.

– Du bist's, Bürger Cimourdain! sagte Marat. Guten Tag.

Es war in der That Cimourdain: Ich behaupte, daß Du Unrecht hast, Marat, wiederholte er.

Marat wurde grün im Gesicht; es war das sein Erbleichen, und Cimourdain setzte hinzu: Du bist nützlich, aber Robespierre und Danton sind nothwendig. Was drohst Du ihnen? Eintracht, Bürger, Eintracht! Das verlangt das Volk von Allen.

Dieses Auftreten wirkte gleich kaltem Wasser und brachte, wie in einem häuslichen Zwist die Dazwischenkunft eines Fremden, wenn auch keine innerliche, so doch eine äußere Besänftigung hervor. Cimourdain ging auf den Tisch zu. Danton und Robespierre kannten ihn, sie hatten schon oft auf den öffentlichen Tribünen des Konventsaales diesen mächtigen anspruchslosen Mann bemerkt, den das Volk grüßte.

Robespierre, der von der Form nicht lassen konnte, fragte dennoch: Bürger, wie sind Sie hereingekommen?

– Er gehört zum Evêché, antwortete Marat, und beinahe klang im Ton seiner Stimme etwas wie Unterordnung durch. Marat forderte den Konvent heraus, lenkte den Stadtrath und fürchtete das Evêché. Das liegt in der Natur der Sache: Mirabeau fühlt, wie in unbekannten Tiefen Robespierre, Robespierre, wie Marat, Marat, wie Hébert, Hébert, wie Babeuf sich schon regt. So lange die unterirdischen Schichten ruhig bleiben, kann der Politiker vorangehen; aber selbst unter dem radikalsten liegt noch Roherde, und auch die kühnsten stutzen und bangen, wenn sie die Bewegung, die sie auf der Oberwelt hervorgerufen, nun unter ihren Füßen wahrnehmen.

Die Wirksamkeit der lüsternen Eigenliebe von derjenigen der selbstlosen Ueberzeugung unterscheiden, die erste eindämmen und die andere unterstützen, – das allein kennzeichnet den genialen, redlichen, großen Revolutionsmann.

Danton bemerkte dieses Nachlassen Marat's: O, der Bürger Cimourdain ist hier ganz an seinem Platz, sagte er, und streckte die Hand aus: Setzen wir nur gleich die Sachlage dem Bürger Cimourdain auseinander; er kommt ja wie gerufen: ich vertrete die Bergpartei, Robespierre vertritt den Wohlfahrtsausschuß, Marat den Stadtrat, Cimourdain das Evêché. Er mag einen Ausgleich anbahnen.

– Gut, sagte Cimourdain mit bescheidenem Ernst. Wovon war die Rede?

– Von der Vendée, antwortete Robespierre.

– Von der Vendée! wiederholte Cimourdain, und setzte dann hinzu: Haß ist die große Gefahr; wenn die Revolution sterben muß, so wird sie an der Vendée sterben. Die eine Vendée ist bedrohlicher als ein verzehnfachtes Deutschland, und wenn Frankreich am Leben bleiben soll, muß die Vendée ertödtet werden. Diese wenigen Worte hatten Robespierre gewonnen, aber er fragte doch noch: Sind Sie früher nicht Geistlicher gewesen?

Der priesterliche Habitus konnte Robespierre nicht entgehen; was er selber in sich trug, merkte er auch bei Andern gleich heraus. Cimourdain erwiderte: Ja, Bürger.

– Liegt denn daran etwas? rief Danton. Wenn die Geistlichen gut sind, sind sie die Besten. Eine Revolution schmelzt Geistliche in Bürger um, wie Glocken in Sousstücke und Kanonen. Danjou ist Priester; Daunou ist Priester; Thomas Lindet ist Bischof von Evreux. Im Konvent, Robespierre, sitzen Sie ja hart neben Massieu, dem Bischof von Beauvais. Der Großvikar Baugeois war mit im Insurrektionsausschuß vom 10. August. Chabot ist Kapuziner und Dom Gerle hat zum Eid im Ballhaus den ersten Anstoß gegeben. Die Erklärung, daß die Nationalversammlung über dem König stehe, hat der Abbé Audran veranlaßt; der Abbé Goutte hat in der Legislative den Antrag gestellt auf Entfernung des Thronhimmels über dem Fauteuil Ludwig's XVI. und der Antrag auf Abschaffung der Königswürde ging vom Abbé Grégoire aus.

– Und wurde durch den Schauspieler Collot d'Herbois unterstützt, grinste Marat; sie Beide haben die Sache in's Reine gebracht: der Priester hat den Thron umgeworfen und der Komödiant den König gestürzt.

– Kommen wir auf die Vendée zurück, sagte Robespierre.

– Nun, wie steht's? Was beginnt sie, die Vendée?

– Dies Eine, antwortete Robespierre; sie hat einen Führer; sie wird uns furchtbar werden.

– Wer ist der Führer, Bürger Robespierre?

– Es ist ein vormaliger Marquis von Lantenac, der sich überdies für einen bretonischen Fürsten ausgiebt.

Cimourdain fuhr auf: Den kenne ich, sprach er. Ich bin Priester bei ihm gewesen.

Er sann einen Augenblick nach, und setzte hinzu: Er war ein Lebemann, bevor er ein Kriegsmann wurde.

– Wie Biron zuerst Lauzun gewesen ist, bemerkte Danton.

– Ja, er war früher ein Weiberheld, meinte Cimourdain, noch immer nachdenklich. Er muß schrecklich sein.

– Abscheulich, sagte Robespierre, er steckt die Dörfer in Brand, macht die Verwundeten nieder, würgt die Gefangenen hin, füsilirt die Weiber.

– Die Weiber?

– Ja, unter Andern hat er eine Mutter dreier Kinder erschießen lassen. Was aus den Kindern geworden, ist unbekannt. Nebenbei ist er Soldat; er weiß, wie man Krieg führt.

– Allerdings, versetzte Cimourdain, er hat den Feldzug von Hannover mitgemacht, und die Truppe sagte von ihm: »hinter Richelieu steckt Lantenac.« Eigentlich ist Lantenac der Führer gewesen. Fragen Sie nur Ihren Kollegen Dussaulx.

Robespierre schwieg einen Moment in Gedanken; dann begann er wieder:

– Nun denn, Bürger Cimourdain, dieser Mann kommandirt in der Vendée. – Seit wann? – Seit drei Wochen. – Er muß in Bann und Acht erklärt werden. – Schon geschehen. – Man muß einen Preis auf seinen Kopf setzen. – Auch geschehen. – Einen sehr hohen Preis. – Geschehen. – Nicht in Assignaten. – Geschehen. – In Gold. – Geschehen. – Und guillotinirt muß er werden. – Soll geschehen. – Durch wen denn? – Durch Sie. – Durch mich? – Ja, Sie soll der Wohlfahrtsausschuß zu diesem Zweck abordnen, mit unumschränkter Vollmacht. – Einverstanden, sagte Cimourdain.

Robespierre war als gewiegter Staatsmann rasch in der Wahl; er zog unter den Akten, die vor ihm lagen, ein weißes Blatt hervor mit der gedruckten Aufschrift: Französische eine und untheilbare Republik. Wohlfahrtsausschuß.

Cimourdain wiederholte: Einverstanden, ja. Schrecken für Schrecken. Lantenac ist unmenschlich; ich werde es nicht minder sein. Krieg bis aufs Messer mit dem Mann! Ich werde, so Gott will, die Republik von ihm befreien.

Nach kurzer Pause fügte er hinzu: Ich bin Priester; gleichviel, ich glaube an Gott.

– Gott ist alt geworden, meinte Danton.

– Ich glaube an einen Gott, sagte Cimourdain unbeirrt, und Robespierre stimmte mit einem düstern Kopfnicken bei.

– Wohin soll ich abgeordnet werden? fragte Cimourdain.

– Zum Kommandirenden der Streifkolonne, die gegen Lantenac ausgerückt ist, erwiderte Robespierre. Nur will ich Sie gleich jetzt darauf aufmerksam machen, daß er ein Adeliger ist.

– Das sind auch Dinge, um die ich mich einen Kuckuck scheere, warf Danton dazwischen. Ein Adeliger, was weiter? Mit dem Adeligen geht's just wie mit dem Geistlichen: wenn er gut ist, ist er vortrefflich. Der Adel ist ein Vorurtheil, das man ebensowenig theilen wie umkehren soll. Ist Saint-Just nicht auch von Adel, Robespierre? Florelle von Saint-Just, versteht sich! Anacharsis Cloots ist Baron; unser Freund Karl Hessen, der keine Sitzung bei den Cordeliers versäumt, ist Prinz und leiblicher Bruder des regierenden Landgrafen von Hessen-Rothenburg; Montaut, Marat's Intimus, ist Marquis von Montaut. Unter den Geschworenen des Revolutionstribunals sitzen der Priester Bilate und der Adelige Leroy, ein Marquis von Montflabert, und doch sind Beide kapitelfest.

– Sie vergessen übrigens, berichtete Robespierre, den Präsidenten der Jury.

– Antonelle?

– Den Marquis von Antonelle, sagte Robespierre.

– Von Adel, beschloß Danton, sind auch Dampierre, der sich vor Condé für die Republik todtschießen ließ, und Beaurepaire, der sich eine Kugel durch den Kopf jagte, nur um die Preußen nicht in Verdun einziehen zu sehen.

– Was nicht hindert, hörte man Marat dreinbrummen, daß am Tage, wo Condorcet die Aeußerung that, »die Gracchen seien Adelige gewesen«, Danton demselben Condorcet zurief: »Verräther sind die Adeligen alle, von Mirabeau an bis herunter zu Dir.«

Cimourdain's ernste Stimme hob jetzt an: Bürger Danton, Bürger Robespierre, Euer Vertrauen in mich mag wohl gerechtfertigt sein, aber das Volk ist mißtrauisch, und daran thut es wohl. Wenn zur Ueberwachung eines Adeligen ein Priester bestellt wird, ist die Verantwortung eine zwiefache und der Priester muß unbeugsam sein.

– Gewiß, sagte Robespierre.

– Und unerbittlich.

– Wohlgesprochen, Bürger Cimourdain, bemerkte Robespierre. Es handelt sich hier um einen jungen Mann, dem Sie schon durch die doppelte Zahl der Jahre imponiren werden. Er soll gelenkt werden, aber mit Schonung. Es scheint, daß er wirklich militärisch begabt ist, sonst würden nicht alle Berichte in diesem Punkt übereinstimmen. Er gehört einem Korps an, das von der Rheinarmee nach der Vendée detachirt wurde. Er kommt von der Grenze, wo er von seinem Scharfblick und Muth glänzend Zeugniß abgelegt hat, und führt die Streifkolonne ausgezeichnet; seit vierzehn Tagen hält er bereits den erfahrenen Lantenac in Schach, fügt ihm Schlappen zu und treibt ihn vor sich her; schließlich wird er ihn noch bis an's Meer drängen und hineinwerfen. Lantenac hat die Schlauheit des alten, er die Kühnheit des jungen Soldaten für sich. Der junge Mann hat auch seine Widersacher und Neider schon. Der Generaladjudant Léchelle ist ihm mißgünstig . . . .

– Dieser Léchelle, unterbrach Danton, das will ein Korpsführer sein! Für ihn spricht gar nichts als ein Kalauer und dazu noch ein schlechter: »Nur wenn General Charrette eine unzählige Schaar hätte, könnte er General Léchelle alle Schellen zurückgeben.« In Wahrheit aber ist es leider Léchelle, der die Schellen bekommt. Er hat sich's einmal in den Kopf gesetzt, er und kein Anderer müsse mit Lantenac fertig werden. Allem Unglück im Krieg mit der Vendée liegen diese Eifersüchteleien zu Grund. Unsere Soldaten sind Helden, aber Helden ohne Führung. Ein einfacher Husarenrittmeister Namens Chérin mit einem Trompeter, der »Ça ira« bläst, zieht zum Beispiel in Saumur ein und ergreift Besitz von der Stadt; er konnte so fortmachen und von Cholet Besitz ergreifen; aber er muß es aufgeben, weil er ohne Instruktionen ist. In der Vendée sollten alle Kommandos neu besetzt werden. Die Wachtposten werden verzettelt, die Kräfte zersplittert; eine zerfahrene Armee ist eine gelähmte Armee, ein Block der zu Staub zerrieben wird. Im Lager von Paramé fehlt es an Zelten. Zwischen Tréguier und Dinan liegen hundert unnütze kleine Abtheilungen, die, zu einer Division verschmolzen, den ganzen Küstenstrich decken könnten. Von Parrein unterstützt, entblößt Léchelle das nördliche Meeresufer unter dem Vorwand, das südliche sicherzustellen, und öffnet dadurch den Engländern die Thür von Frankreich. Eine halbe Million Bauern in Aufruhr und eine Landung von der britischen Insel aus, das ist Lantenac's Plan. Nun aber heftet sich diesem Lantenac der junge Kommandant der Streifkolonne an die Fersen und bedrängt und schlägt ihn, ohne Léchelle's Geheiß; dieser jedoch ist sein Vorgesetzter und verklagt ihn deshalb. Ueber den jungen Mann gehen die Meinungen sehr auseinander: Léchelle will ihn erschießen, Prieur Marne zum Generaladjutanten ernennen lassen.

– Mir scheint der junge Mann hervorragende Eigenschaften zu besitzen, sagte Cimourdain.

– Nur hat er einen Fehler.

Die Worte waren durch Marat dazwischengeworfen worden.

– Welchen? fragte Cimourdain.

– Die Milde. Und Marat fuhr fort: Das ist Euch während des Kampfes bombenfest und hinterher schlaff; das macht in Nachsicht und Barmherzigkeit, giebt Pardon, nimmt Euch die Nonnen und Klosterfrauen in Schutz, rettet die Weiber und Töchter der Aristokraten und giebt die Gefangenen frei und läßt die Priester laufen.

– Ein großer Fehler, murmelte Cimourdain.

– Ein Verbrechen, sagte Marat.

– Zuweilen, meinte Danton.

– Oft, sagte Robespierre.

– Fast immer, entgegnete Marat.

– Den Feinden des Vaterlandes gegenüber stets, sagte Cimourdain.

Marat wendete sich nach ihm um: Was würdest Du wohl mit einem republikanischen Befehlshaber anfangen, der einen royalistischen Befehlshaber freilassen würde?

– Ich würde Léchelle beistimmen und ihn füsiliren lassen.

– Oder guillotiniren, sagte Marat.

– Gleichviel, erwiderte Cimourdain.

Danton mußte lachen: Mir wäre das Eine gerade so lieb wie das Andere.

– Eins von Beiden ist Dir gewiß, brummte Marat. Und sein Blick fiel von Danton wieder auf Cimourdain: Wenn also ein republikanischer Befehlshaber strauchelte, so würdest Du, Bürger Cimourdain, ihn um einen Kopf kürzer machen lassen?

– Binnen vierundzwanzig Stunden.

– Nun denn, sprach Marat, so bin ich mit Robespierre der Ansicht, daß Bürger Cimourdain dem Kommandirenden der Streifkolonne unserer Küstenarmee als Kommissär des Wohlfahrtsausschusses beigegeben werden soll. Wie heißt er doch nur, jener Kommandant?

– Es ist ein vormaliger Adeliger, antwortete Robespierre, indem er seine Akten durchblätterte.

– Den mag uns der Priester also in's Gebet nehmen, sagte Danton. Einem einzelnen Priester traue ich nicht, so wenig wie ich einem einzelnen Edelmann traue; doch wenn Beide beisammen sind, fürchte ich keinen; der Eine überwacht den Andern und Jeder thut gut.

Der entrüstete Ausdruck über Cimourdain's Brauen steigerte sich; da er jedoch der Bemerkung eine gewisse Berechtigung nicht absprechen konnte, sah er von einem persönlichen Protest ab und erklärte bloß in strengem Ton: Wenn sich der mir anvertraute republikanische General eines Fehltritts schuldig macht, stirbt er.

– Hier steht der Name, sagte Robespierre, über die Akten gelehnt: Bürger Cimourdain, der Kommandant, über den Sie unumschränkte Gewalt haben werden, ist ein vormaliger Vikomte und heißt Gauvain.

– Gauvain! rief Cimourdain und erbleichte, Vikomte Gauvain!

– Ja, sagte Robespierre.

Marat hatte dieses Erblassen Cimourdain's bemerkt. Was ist? fragte er, ihm scharf in's Auge schauend.

Es entstand eine Pause; dann begann Marat: Bürger Cimourdain, nehmen Sie unter den von Ihnen selbst angegebenen Bedingungen die Sendung als abgeordneter Kommissär beim Kommandanten Gauvain an? Abgemacht?

– Abgemacht, antwortete Cimourdain, der bleich und bleicher wurde.

Robespierre nahm die Feder vom Tisch, schrieb langsam in den gewohnten saubern Zügen ein paar Zeilen auf das weiße Blatt, das die Aufschrift »Wohlfahrtsausschuß« trug, unterzeichnete und reichte dann Danton Blatt und Feder; Danton unterzeichnete gleichfalls, und nach ihm Marat, der von Cimourdain's fahlem Antlitz kein Auge wendete. Robespierre griff nochmals nach dem Blatt, setzte das Datum darauf und übergab es Cimourdain, welcher Folgendes las:

»Jahr Zwei der Republik.

Hiermit wird dem Bürger Cimourdain als abgeordnetem Kommissär des Wohlfahrtsausschusses bei dem Bürger Gauvain, Kommandanten der Streifkolonne der Küstenarmee, unumschränkte Vollmacht ertheilt.

Robespierre. Danton. Marat.« Und unter den Unterschriften: »Den 28. Juni 1793.«

Der republikanische oder Civilkalender war damals noch nicht gesetzlich eingeführt und wurde erst am 5. Oktober 1793 auf Romme's Antrag vom Konvent genehmigt. Während Cimourdain las, betrachtete ihn Marat noch immer, und sagte halblaut wie zu sich selber:

Das Alles muß durch Verordnung des Konvents oder durch Spezialbeschluß des Wohlfahrtsausschusses genau bestimmt werden. Es fehlt noch etwas.

– Bürger Cimourdain, fragte Robespierre, wo wohnen Sie?

– Cour de Commerce.

– Sieh da, ich auch! sagte Danton; wir sind ja Nachbarn.

– Jeder Augenblick ist kostbar, hob Robespierre wieder an. Morgen erhalten Sie Ihre regelrechte Vollmacht mit der Unterschrift sämmtlicher Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses. Dies mag Ihnen blos zur Beglaubigung der Vollmacht dienen, namentlich in Ihren speziellen Beziehungen zu den kommissarisch abgeordneten Konventsmitgliedern Philippeaux, Prieur Marne, Lecointre, Alquier und den Uebrigen. Wir wissen, wer Sie sind; Sie haben vollkommen freie Hand und können Gauvain zum General avanciren oder enthaupten lassen. Morgen um drei wird Ihnen Ihre Vollmacht zugestellt. Wann reisen Sie?

– Um vier, antwortete Cimourdain.

Und sie gingen auseinander. Als Marat heimkam, sagte er zu Simonne Evrard, daß er sich morgen zur Konventsitzung begeben wolle.


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