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Ungeachtet des Geschmacks, den das lesende Publikum zu Rom noch immer an den Satiren des alten Lucilius fand, fiel doch das Unternehmen unsers Dichters, seine Kräfte in eben diesem Fache zu versuchen, so stark auf, als ob er sich ohne Beispiel und Vorgänger auf die schlüpfrige Bahn gewagt hätte. Natürlicherweise ärgerte sich damals niemand mehr an den Freiheiten, wie groß sie auch sein mochten, die sich ein Lucilius vor siebenzig Jahren gegen die vornehmsten Leute seiner Zeit herausgenommen hatte; man brach die Rosen seines Witzes, ohne von ihren Dornen verwundet zu werden, und lachte gar herzlich bei manchem Scherz, wozu derjenige, dem es ehmals gegolten, sauer genug gesehen haben mochte.
Wir befinden uns dermalen mit den Horazischen Satiren in dem nämlichen Falle: aber in der Zeit und an dem Orte, wo sie geschrieben wurden, mußte freilich vieles eine ganz andere Wirkung tun; und wiewohl Horaz (außerdem daß er in der Tat das gute Herz hatte, welches er sich in der 4ten und 6ten Satire beilegt) in einer zu angenehmen Lage und in zu guter Gesellschaft lebte, als daß seine Satire jemals in das unartige Gebell eines bissigen Cynikers, oder in den gallichten Eifer eines mißmutigen und gegen seine Zeit empörten Juvenals hätte ausarten können: so fehlte es doch nicht an Leuten, denen für sich selbst bang wurde, wenn sie sahen, wie wenig Umstände er mit einem Gorgonius und Rufillus, mit einem Pantolabus und Nomentanus, Fannius und Tigellius machte; und es wäre viel, wenn ihm nicht sogar die eingesetzten Zähne der Canidia und die falschen Haare ihrer Freundin Sagana bei mancher schönen Römerin, deren Reize er dadurch ihren – Neidern verdächtig machte, einigen Schaden getan haben sollten.
Horaz hatte sich dieses unvermeidliche Schicksal eines Satirendichters schon damals ziemlich lebhaft vorgestellt, als seine ersten Stücke noch einzeln unter seinen Freunden und Bekannten in Abschriften herumgingen. Aber, da er sie endlich gesammelt hatte und ein ganzes Buch voll bei den Gebrüdern Sosius öffentlich zu Kauf stand, scheint das Geschrei, das die Getroffnen erhuben, seine Erwartung übertroffen, und sowohl dieser Umstand, als überhaupt die Art, wie man hie und da, vielleicht selbst in angesehenen Häusern, über seine Sokratische Muse urteilte, ihn ganz natürlich auf den Einfall gebracht zu haben, dem zweiten Buch seiner Satiren eine komische Apologie voranzuschicken, die ihm fürs künftige Ruhe verschaffen, und wobei er sowohl die verständigen Leute als die Lacher auf seiner Seite haben möchte.
Der Witz, die Laune, die Feinheit, die Urbanität, womit er diesen Gedanken in gegenwärtigem Stück ausgeführt hat, bleibt noch überraschend, auch nachdem er uns schon daran gewöhnt hat, ihn in diesem allem sich selbst immer gleich, und nur mit sich selbst vergleichbar zu finden. Die Ironie, eine Tonart in welcher niemand (den großen attischen Meister selbst nicht ausgenommen) mit größrer Leichtigkeit und Anmut zu spielen wußte als er, kommt ihm auch hier aufs glücklichste zu statten. Sie geht durch das ganze Stück; sie verwebt sich auf die angenehmste Art mit dem naiven Ton von Bonhommie und Arglosigkeit, der ihm gleich eigen ist; und beide vereinigen sich, eine Grazie über das Ganze auszugießen, die sich besser empfinden als beschreiben läßt, aber gewiß keinem Leser von Geschmack unbemerkt bleiben kann.
Nichts konnte wohl glücklicher sein als der Einfall, – in der ironischen Verlegenheit, worein er durch die widersprechenden Urteile des Publikums über seine Satiren gesetzt zu sein sich anstellt – einen Rechtsgelehrten, und (worauf hier alles ankam) unter allen möglichen gerade den Trebatius zu Rate zu ziehen: eine Wendung, wodurch das Gedicht zugleich das Interessante einer schalkhaften dramatischen Szene und das Kunstlose eines zufälligen Gesprächs erhält, er selbst aber in dem Laufe der Unterredung Gelegenheit findet, wie von ungefähr und gleichsam unter vier Augen, dem Trebaz von ein und anderem, was er auf dem Herzen hatte, eine Konfidenz zu machen, die zum Teil auf ganz andere Personen abgesehen war.
Um die ganze Schönheit dieses Stücks, so weit es jetzt noch möglich ist, zu fühlen, muß man sich zuvor mit dem Charakter des Trebatius, durch die noch vorhandenen Briefe des Cicero an ihn, bekannt gemacht habenSie folgen im 7ten Buche der Briefe ad Familiares vom 6ten bis 22sten in einer Reihe. Der 19te und 20ste ist im J. 709, die übrigen alle sind in den Jahren 699 und 700 geschrieben.. Der Dialog selbst wird uns um soviel anschaulicher, je bestimmter und lebendiger die Kenntnis ist, die wir von dem Interlocutor haben. Wir sehen dann gleichsam die Miene, den Blick, den Ton, womit er jedes Wort sagt; und wer weiß nicht, wie so ganz zweierlei oft die nämlichen Worte bedeuten, wenn sie mit dieser oder einer andern Modifikation der Stimme, mit dieser oder einer entgegengesetzten Bewegung der Augen oder Lippen u.s.w. vorgebracht werden?
Cajus Trebatius Testa, aus einer guten aber immer in der Dunkelheit gebliebenen Familie vom Ritterstand entsprossen, scheint der erste seines Namens gewesen zu sein, welcher Trieb und Fähigkeit fühlte, sich in der Welt hervor zu tun. Für einen jungen Menschen ohne Namen und Vermögen waren in Rom nur zwei Wege offen, Rechtsgelahrtheit oder Kriegsdienste. Trebatius wählte den ersten, wurde dadurch dem Cicero bekannt, bewarb sich, von seiner ersten Jugend an, um den Schutz dieses großen Mannes, und wußte sich ihm sowohl durch seine Geschicklichkeit als durch den Reiz seines Umgangs so angenehm und wert zu machen, daß man unter allen seinen kleinen Freunden schwerlich einen finden wird, für den er sich aus bloßer Zuneigung so lebhaft verwendet, und an dessen Glück er so herzlich Teil genommen hätte. Trebatius befand sich in seinen besten Jahren, als ihn Cicero i. J. 699 dem Julius Cäsar empfahl, der (wie bekannt) um diese Zeit als Prokonsul von Gallien den großen Entwurf seines ganzen Lebens der Vollendung immer näher brachte. Gallien und ein Platz unter Cäsars Comitibus war damals eine Goldgrube in den Augen aller jungen Leute, die ihr Glück machen wollten, ohne über die Mittel allzubedenklich zu sein. Dem Trebatius fehlte es nicht an großer Begierde, recht bald reich zu werden; aber er scheint zu leichtsinnig, zu ungeduldig, und was viele vielleicht zu ehrlich nennen würden, gewesen zu sein, um durch eine eifrige und gänzliche Ergebenheit an seinen neuen Patron sein Glück so hoch zu treiben, als es wohl in seiner Gewalt gewesen wäre. Die Wahrheit ist, Trebatius hatte in seiner Gemütsart viel Ähnliches mit Cicero; er hatte nicht Stärke genug, durchaus und ohne Kapitulation und Bedingungen, immer nach seiner Überzeugung zu handeln; aber er hatte doch Grundsätze von Rechtschaffenheit. Wie oft er auch auf die andre Seite gezogen wurde, so schwankte er doch immer wieder zu jenen zurück; und es gab Dinge, wozu er sich um keines Vorteils willen entschließen konnte. Daher kam es, daß er, ungeachtet aller Verbindlichkeiten, die er dem großen Cäsar hatte, beim Ausbruch des bürgerlichen Krieges sich mit seinem alten und ersten Patron Cicero, ohne selbst recht zu wissen wie und ohne der unheilbaren Republik etwas dadurch zu helfen, auf der Pompejanischen Partei, und also in kurzem in dem Falle befand, sein Schicksal auf die berühmte Clementiam Caesaris ankommen zu lassen. Er betrog sich indessen nicht in seiner Rechnung. Cäsar vergab ihm, und Trebaz, den diese Lektion (wie es scheint) auf sein ganzes übriges Leben klug gemacht hatte, widmete sich von nun an gänzlich seiner ersten Profession, ohne sich weiter in die Staatsangelegenheiten zu mischen, ausgenommen daß er im J. 706 einen sehr unschuldigen Volkstribunus vorstellte. Er war, nach dem immer scherzhaften Ton der Briefe des Cicero an ihn, und einer Menge darin vorkommender deutlicher WinkeZ. B. sed haec iocati sumus tuo more, ep. 14. und im 10ten Briefe, rideamus licet, sum enim a te invitatas – und im folgenden, da er ihm sehr ernstlich versichert, ohne den Gedanken, daß es zu des Trebatius Glücke sei, würde ihm die Trennung von einem so angenehmen Gesellschafter unerträglich sein; »wäre unsre Trennung dir nicht vorteilhaft, setzt er hinzu, so wäre nichts närrischer als wir beide; ich, daß ich dich nicht stracks nach Rom zurückzöge, du, daß du nicht hieher geflogen kämest. Denn, beim Herkules, eine einzige ernst- oder scherzhafte Konversation (una nostra vel severa vel iocosa congressio) zwischen uns wäre interessanter als alle eure Feinde und Freunde in Gallien.« zu urteilen, ein Mann von lebhaftem munterm Geiste und jovialischer Sinnesart, und scheint (wie Melmoth bemerkt) in seiner Jugend beinahe mehr von dem Charakter eines Weltmanns und angenehmen Gesellschafters gehabt zu haben, als sich für die Ernsthaftigkeit seiner Profession schickte. Cicero scherze daher auch öfters über seine Juristerei in einem Tone, der seinen Freund um allen Kredit bei seinen Klienten hätte bringen können, wenn er es nicht an andern ernsthaften Stellen wieder gut machte, und ihn besonders dem Cäsar in Ausdrücken empfohlen hätte, die nur ein Mann von außerordentlichem Werte verdienen konntetibi spondeo probiorem hominem, meliorem virum, pudentiorem esse neminem. Accedit etiam quod familiam ducit in iure civili: singularis memoria, summa scientia, u.s.w. Aus dem Umstande, daß er schon damals an der Spitze einer eigenen juristischen Sekte stand (die durch den vornehmsten seiner Schüler Antistius Labeo in der Folge ansehnlich genug wurde, um der Sekte des Ofilius und Atejus Capito die Waage zu halten), ist zu schließen, daß er im J. 699, da ihn Cicero in den cohortem amicorum Caesaris brachte, nicht so jung mehr gewesen, als ihn Melmoth in seiner Übersetzung des 7ten Briefes macht.. Diese Verbindung gründlicher und nützlicher Eigenschaften mit angenehmen, diese Brauchbarkeit in Geschäften verbunden mit Witz und Lebhaftigkeit im Umgang, war es, was ihn in der Folge auch bei dem jungen Cäsar in so große Gunst und Achtung setzte, daß er in allen wichtigen Geschäften, wobei es auf den Rechtspunkt ankam, zu Rate gezogen wurde. Es ist daher auch kein Zweifel, daß er, aus gleichem Grunde, mit Mäcenas in freundschaftlicher Verbindung gelebt, daß eben dieser Umstand unsern Dichter mit ihm bekannt gemacht, und daß, der Verschiedenheit des Alters ungeachtetTrebaz war i. J. 718 (worin dieses Stück, aufs späteste, geschrieben wurde) zwar nicht über 80 Jahre alt, wie Dacier aus einem Mißverstande des scherzhaften Ausdrucks Ciceros, mi vetule, schließt; denn damals, da ihn Cicero so nannte, war er aetate opportunissima sein Glück bei Cäsarn zu machen: (Cic. ad Famil. VII. 7.) Aber man kann doch sicher annehmen, daß er über 50 Jahre hatte, und wenigstens um 20 älter war als Horaz., das Ähnliche und Übereinstimmende in ihrer beider Sinnesart und Humor sie auf den vertraulichen Fuß mit einander gesetzt habe, den dieser ganze Dialog zu erkennen gibt. Denn auf einem solchen Fuße mußten sie zusammenstehen, wenn es auch nur denkbar sein sollte, daß Horaz einen Mann von Trebatius öffentlichem Charakter und Ansehen zum Interlocutor in einer solchen Unterredung machen könnte. Aber so bald man diesen Umstand und die jovialische Laune des alten Rechtsgelehrten voraussetzt, so hat man den wahren Gesichtspunkt, woraus dieses Stück betrachtet werden muß. Alles erscheint alsdenn in dem natürlichsten Lichte; man versteht den Trebaz und den Dichter; man stößt sich nicht mehr da oder dort an Ausdrücken, die nur demjenigen, der den Geist des Ganzen nicht gefaßt hat, rätselhaft vorkommen können; und man wundert sich, wie so viele Ausleger mit aller ihrer Buchstaben-Gelehrsamkeit diesen Geist so übel verfehlen, und wie selbst der gelehrte Cruquius auf die Vermutung kommen konnte, Horaz habe sich wegen eines ungünstigen Urteils, das Trebaz von seinen Satiren gefällt, heimlich an ihm reiben wollen. Man sieht vielmehr, gerade im Gegenteil, daß sie, bei aller verstellten Verschiedenheit ihrer Meinung, im Grunde sehr gut einverstanden sind; und wiewohl der Dichter (nach Art aller, die über Dinge, worin sich jeder selbst raten muß, bei andern sich Rates erholen) seine Partie schon zum voraus genommen hat, ehe er seinen Konsulenten fragt, was er tun soll: so hätte er doch wenigstens kein anderes Oraculum Iuris fragen können, von welchem er sichrer gewesen wäre, am Ende mit dem gefälligen Bescheid entlassen zu werden:
solventur risu tabulae, tu missus abibis. |