Horaz
Horazens Satiren
Horaz

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Wiewohl von allen Lydiern, die einst
Hetruriens Felder bautenHoraz spricht hier nach einer gemeinen und von dem Geschichtschreiber Herodot beglaubigten Tradition, vermöge welcher die Hetrurier von einer Lydischen Kolonie abstammen sollten, die von Tyrrhenus, einem Sohne des Königs Atys, dahin geführt worden sei. Den Ungrund dieser Sage, welche schon Diodor von Sizilien für eine Fabel hielt, findet man erwiesen in den Recherches sur l'origine des diff. peuples de l'Italie, Article 5. im 10ten Bande der Histoire de l'Acad. des I. et B. L. (nach der Ausgabe in 12°.), keiner, o Mäcen,
sich edlern Blutes rühmen mag als du,
und unter deinen Ahnherrn beider Seiten
du Lucumonen zählestDer Text sagt: olim qui magnis legionibus imperitarint. Es findet sich keine Spur in der Geschichte oder den Fastis der römischen Republik, daß die Cilnische Familie, aus welcher Mäcenas stammte, jemals durch die höchsten Würden in derselben illustriert gewesen seiIch finde, außer dem Günstling Augusts, nur zwei Mäcenen, deren Name zufälligerweise auf uns gekommen. Der eine figuriert in einem Fragmente von Sallust im Charakter eines Sekretärs unten an der Tafel des Sertorius; des anderen gedenkt Cicero (pro Cluent. c. 56.) unter dem Namen Caj. Mäcenas mit großem Lobe, weil er nebst zwei andern römischen Rittern sich den unruhigen Unternehmungen des Tribuns M. Livius Drusus (der im J. 640 Konsul wurde) mit großem Nachdruck entgegensetzte. Dieser könnte allenfalls der Großvater des unsrigen gewesen sein.. Es ist also lächerlich, wenn der Abbé Souchay in seinen sogenannten Recherches sur la vie de Mécène aus dieser Stelle beweisen will, daß die Vorfahren dieses berühmten Günstlings, nachdem sie aus ihrer Vaterstadt Arezzo nach Rom gezogen, zu Rom in großem Ansehen gestanden und Armeen kommandiert hätten. Allerdings braucht Horaz das Wort Legionen hier für Kriegsheere; aber er konnte damit nichts anders sagen wollen, als was er an verschiedenen Stellen seiner Oden sagt: daß Mäcen Hetrurische Könige oder Lucumonen unter seinen Voreltern zählte. Es scheint, er habe sich gern mit diesem uralten Glanze seines Hauses schmeicheln lassen; und das, was Livius in seinem 10ten Buche von der Obermacht der Cilnischen Familie in Aretium, einer der mächtigsten Städte des Hetrurischen Bundes, wähnt, war allein schon hinreichend diese Eitelkeit zu unterstützen, gesetzt auch, daß es um den genealogischen Beweis seiner Verwandtschaft mit dem König Porsenna (die uns ein alter Scholiast garantiert) nicht so ganz richtig gestanden hätte., siehst du doch
auf Leute niedrer Abkunft, mich zum Beispiel,
den Sohn von einem Freigelassenen,
mit aufgeworfner Nase nicht herab,
wie viele andre tun; indem daran
dir wenig liegt, wer jemands Vater sei,
wofern er nur kein Knecht an Stand und Herz
geboren istIm Texte: dum ingenuus. Mir scheint es nicht unwahrscheinlich, daß Horaz dieses Wort hier in seiner zwiefachen Bedeutung genommen habe, und dies habe ich in der Übersetzung ausgedrückt. Zu besserm Verständnis dieser und mancher andern Stellen unsers Autors muß ich hier in Erinnerung bringen, daß die große Staatsveränderung, welche die R. Republik unter August erlitt, nebst einer gewissen Abspannung des alten römischen Geistes und der republikanischen Sitten, auch eine Abwürdigung oder Verfälschung der verschiedenen Stände (Ordinum) der römischen Bürger nach sich zog, und notwendig machte. Die Patrizier waren durch die Bürgerkriege und Proskriptionen auf sehr wenige Familien heruntergebracht. Die Senator-Würde verlor ihren ehmaligen Glanz durch die novos homines, welche in großer Menge, sogar aus den Hefen des Pöbels, bloß nach Gunst oder Reichtum in dieses Kollegium aufgenommen wurden. Das Ansehen des Ritterstandes hingegen stieg in eben der Proportion, wie das Ansehen der Senatoren fiel. Auch der Stand der Freigebornen (Ingenui) hob sich und machte gleichsam einen niedern Adel aus, der unvermerkt mit dem Ritterstande zusammenschmolz; doch mit dem Unterschied, daß zwischen einem, der aus altem ritterlichen Geschlecht stammte, und einem, der bloß, kraft gewisser erhaltener Ehrenstellen, oder vermöge seines Census, zum Ritterstand gerechnet wurde, ungefähr eben der Unterschied, wie bei uns zwischen altem und neuern Adel, statt fand. Die Veränderung, welche dies in dem römischen Nationalgeiste bewirken mußte, wurde um so bedeutender, weil nun selbst bei den Ingenuis ein ehmals gewöhnlicher Grad übersprungen wurde. Denn, anstatt daß sonst die Libertini, oder Söhne der Freigelassenen, eine Mittel-Klasse zwischen Libertis und Ingenuis ausmachten, und erst der Sohn eines Libertini sich der Rechte eines Ingenui zu erfreuen hatte: so wurden diese nunmehr schon den Söhnen der Freigelaßnen zugestanden, und Libertus und Libertinus galt für einerleiAld. Manutius, citante Masson. in Vita Horatii p. 4. s. Daß dieses letztere schon zu Ciceros Zeiten Mode geworden, hätte Torrentius, der daran zweifelt, aus dem 16ten und 19ten Kapitel der Rede pro Cluentio ersehen können, wo von der gerichtlichen Verteidigung des Scamander, eines Liberti der Fabrizier, (der eines attentierten Meuchelmordes beschuldigst wurde) die Rede ist, und Cicero sagt: er habe sich zur Verteidigung dieses Scamanders eines Grundes bedient, der in libertinorum causis immer für gültig angesehen worden. – Die meisten Ausleger haben, aus Unaufmerksamkeit auf diese in den letzten Zeiten der Republik unvermerkt vorgegangene Verwirrung der Stände, aus den Worten Libertinus und Ingenuus, wovon Horaz jenes von seinem Vater und dieses von sich selbst gebraucht, geschlossen: daß Horazens Vater schon der Sohn eines Freigelassenen gewesen sei. Aber die Beweise des Manutius, daß Libertinus in diesen Zeiten seine alte Bedeutung verloren, und eben das was ehmals Libertus gegolten habe, und der ganze Zusammenhang dieser Satire läßt keinen Zweifel übrig, daß jener Schluß auf einem ungegründeten Vordersatz beruhet.

Es ist übrigens leicht zu erachten, (und Horaz sagt es uns auch deutlich genug) daß Leute von besserer Herkunft mit einer Neuerung, wodurch sie um eine Stufe degradiert wurden, übel zufrieden waren: und eben darum, weil es solcher Beispiele, wie Mäcenas gab, bedurfte, macht ihm Horaz ein so großes Verdienst daraus, daß er in der Wahl seiner Gesellschafter nicht auf den Stand des Vaters sehe, wofern einer nur frei geboren sei. Diesem allem ungeachtet läßt sich doch aus der Art, wie unser Dichter den Beweis führt, daß Mäcen wohl daran tue, schließen, daß er bei dem Worte dum ingenuus auch die zweite Bedeutung desselben, nämlich den Adel des Gemütes, im Sinne gehabt habe: und dies um so mehr, da am Ende (wie er in der Folge deutlich genug zu verstehen gibt) nicht die freie Geburt für sich allein, sondern die Ausbildung des Geistes und die feinern Sitten, welche freigeborne Personen durch eine bessere Erziehung erhielten, den wahren Grund abgaben, warum Männer von Mäcens Stande und Charakter auf einen vertrautem Fuß mit ihnen leben konnten.

. Sehr richtig denkest du,
daß lange schon vor jenem Tullius,
der, einer Sklavin Sohn, den Thron erstiegServius Tullius, der, von einer Sklavin in dem Hause des römischen Königs Tarquinius Priscus geboren, sich durch persönliche Eigenschaften so hervortat, daß er der Schwiegersohn und Thronfolger dieses Fürsten wurde. Daß das Beiwort ignobile im Text nicht der Regierung des Servius gelte, sondern bloß auf seine niedrige Abkunft deute, braucht kaum erinnert zu werden.,
es manchen wackern Biedermann gegeben,
der ohne Ahnen Ruhm und hohe Würden
durch Tugend sich errungen: da hingegen
LävinDer alte Scholiast sagt, die Rede sei von einem gewissen (unbekannten) P. Valerius Lävinus, der, wegen des schlimmen Rufes, den er sich durch seine schlechten Sitten zugezogen, es niemals höher als bis zur Quästur (dem Staatsschatzmeister-Amt) habe bringen können. Die Familie Valeria war eine der ältesten und edelsten in Rom. Valerius Poplicola, der statt des Collatinus im J. 244 dem berühmten Junius Brutus zum Kollegen im Konsulat gegeben wurde, weil er nebst ihm das meiste zu Vertreibung des Tyrannen Tarquinius Superbus beigetragen, hatte den ersten Grund zu der Illustration dieses Geschlechtes gelegt, von welchem die Lävini, Corvini, Messallä, Catuli, Flacci, u. a. Zweige waren., wiewohl aus einem Hause, das
Tarquin den Stolzen einst vom Thron gestürzt,
    Non quia, Maecenas, Lydorum quicquid Hetruscos
incoluit fines nemo generosior est te,
nec quod avus tibi maternus fuit atque paternus
olim qui magnis legionibus imperitarint,
<5> ut plerique solent, naso suspendis adunco
ignotos, ut me, libertino patre natum,
cum referre negas quali sit quisque parente
natus, dum ingenuus. Persuades hoc tibi vere:
ante potestatem Tulli atque ignobile regnum
<10> multos saepe viros nullis maioribus ortos
et vixisse probos, amplis et honoribus auctos;
contra Laevinum, Valeri genus, unde Superbus
um einen Groschen kaum verkäuflich war,
selbst nach des Volkes Schätzung, das doch oft
Unwürd'gen, wie du weißt, aus Unverstand
die ersten Stellen zuwirft, dumme Ehrfurcht
vor großen Namen hat, und Ahnenbilder
und Titel anstaunt. Was geziemt denn euchIch lese hier, statt des gewöhnlichen nos, mit Bentley vos, weil ich die von ihm beigebrachten Gründe überzeugend, und was Baxter und Geßner dagegen eingewandt haben, schwach und unerheblich finde. Horaz erniedrigte sich selbst nicht, wenn er quid oportet vos facere schrieb: aber er würde sich, mit einer bei dieser Gelegenheit lächerlichen Fatuität, einem Mäcenas als seinesgleichen an die Seite gestellt, und (was eben so albern wäre) sich in seiner eigenen Sache zum Richter gemacht haben, wenn er nos geschrieben hätte. Hier tritt also wieder der Fall ein, wo der gesunde Verstand des Autors gegen seine Abschreiber Recht behalten muß.,
die ihr in jeder Rücksicht über Pöbelssinn
so hoch erhaben seid? – Denn gäbe auch
das Volk dem edelbürtigen Lävin
die Würde lieber als dem neuen DeciusVermutlich ist der erste unter den Deciern, der (im J. 415) zum Konsulat gelangte, Publ. Decius Mus gemeint, dessen Name durch seine freiwillige Aufopferung für die Republik in dem Kriege gegen die LateinerLivius L. VIII. c. 8–12. so berühmt worden ist. In Rücksicht auf den Valerius Lävinus (der, wie es scheint, sein Zeitgenosse und vielleicht sein Mitbewerber um eine zum Konsulat führende Würde gewesen) war er also ein homo novus.,
was wär es denn? – Ja, stieße mich
ein zweiter AppiusHoraz kehrt hier sein Süjet mit einer leichten Wendung auf eine andere Seite. Wir haben alte und einheimische Beispiele, hatte er gesagt, daß Tugend und Verdienste nicht an eine edle Geburt gebunden sind; und der Pöbel selbst, der sich so leicht durch Namen und Ahnenbilder blenden läßt, urteilt doch (zuweilen wenigstens) gesund genug, um einen neuen Decius einem seiner Ahnen unwürdigen Lävinus vorzuziehen. Gesetzt aber auch (fährt er fort) das Volk wäre, in einem solchen Falle, ungerecht gegen einen Kandidaten von dunkler Herkunft; oder ein Zensor, wie Appius PulcherDer im Jahr 702 mit Luc. Piso Zensor war, und, kraft dieses Amtes, verschiedene Personen, weil sie Söhne von Freigelassenen waren, aus dem Senate stieß., stieße jemanden, weil sein Vater nicht freigeboren sei, aus dem Senat: was für großes Unrecht geschähe ihm am Ende? Warum konnte er nicht in seinem eignen Felle ruhig schlafen? Warum erwog er alle die Nachteile nicht, denen ihn seine Eitelkeit und Rangsucht aussetzten u.s.w. Dies, deucht mich, ist der natürliche Sinn und Zusammenhang der Gedankenfolge in dieser Stelle, und ich begreife nicht, wie Torrentius hier was Dunkles und sich selbst Widersprechendes finden konnte. – Daß Horaz nicht von sich selbst, sondern von Personen seines Standes, die sich in einem solchen Falle befänden, rede, braucht kaum erinnert zu werden, da diese Wendung ihm so gewöhnlich ist., weil mein Vater nicht
ein Freigeborner war, aus dem Senat:
so hätt' er mich mit Recht dafür bestraft,
daß ich in eigner Haut nicht schlafen konnte.
Zwar freilich schleppt an ihrem glänzenden Wagen
gefesselt
(mit dem Dichter so zu reden)Diesmal scheint mir Baxter richtig ausgespürt zu haben, daß Horaz diesen hochtönenden Vers, der von der gewöhnlichen Diktion seiner Sermonen so stark absticht, irgend einem verloren gegangenen, aber damals bekannten, heroischen Gedichte abgenommen habe. Er mag es damit im Schimpf oder Ernst gemeint haben, so sind ihm dergleichen Anspielungen und humoristische Anwendungen fremder Gedanken und Bilder nicht ungewöhnlich, und tragen nicht wenig zu der Urbanität bei, die seine Schriften so besonders auszeichnet.
die Ruhmbegier nicht minder Unbekannte
als Edle nach; doch, desto schlimmer! Denn,
was half dirs, TilliusMan weiß nicht, wer dieser Tillius oder Tullius (wie er in den meisten Handschriften heißt) war; vielleicht ist es ein bloß erdichteter Name. Daß Horaz einen Menschen damit habe bezeichnen wollen, der weder durch persönliche Verdienste noch durch Geburt und Reichtum zu der Prätension, etwas im Staate bedeuten zu wollen, berechtigt gewesen, fällt aus dem ganzen Kontext in die Augen. Um so ungereimter ist es, daß Baxter mit den Schulmeistern Lubinus und Minellius sich träumen lassen konnte, er habe den Mann, der an Talenten alle Römer vor ihm hinter sich gelassen und eine der größten Rollen in der Republik gespielt hatte, kurz, keinen geringern als den M. Tullius Cicero, in dieser auf ihn so ganz und gar nicht passenden Stelle lächerlich machen wollen. Solcher Unsinn verdient keiner Widerlegung, und dient bloß zu einem neuen Beispiele, wie ein Schriftsteller von Horazens Klasse sich mitspielen lassen muß, wenn es erst mit ihm dahin gekommen ist (was er sich in der Epistel an sein Buch selbst geweissagt hat)
ut pueros elementa docentem
occupet extremis in vicis –
, den abgelegten ClavusDie Gewohnheit, die Kleider mit aufgenähten schmälern oder breitern Streifen von Purpur zu garnieren, scheint aus Asien nach Griechenland, und von da nach Italien gekommen zu sein. Zu Rom war der König Tullus Hostilius der erste, der diese Mode mitmachte; und in den folgenden Zeiten wurden die Purpurstreifen auf der Tunica ein Unterscheidungszeichen der römischen Ritter vom gemeinen Volke, und der Senatoren von den Rittern. Die Tunica der Ritter hatte zwei auf beiden Seiten heruntergehende schmale Purpurstreifen, und hieß deswegen angusticlavia; die Senatoren hingegen unterschieden sich durch einen einzigen breiten Streif (latus clavus), der über die Brust zum Gürtel herabging. Die Patrizier scheinen den latum clavum, als ein Vorrecht der Geburt, auch vor Annehmung der togae virilis getragen zu haben. Augustus dehnte dieses Vorrecht auf alle Söhne der Senatoren aus, und in spätern Zeiten kam es zuletzt bloß auf indulgentiam Principis an, und der latus Clavus wurde eine Gnade, die man durch Gunst und Glück, auch ohne Geburt und Würden erhalten konnte. Zu Augusts Zeiten, wo man den Abfall von den alten Gewohnheiten noch durch allerlei Modifikationen weniger auffallend zu machen suchte, konnte der Sohn eines Plebejers durch die Würde eines Tribunus Militum in den Ritterstand, so wie der Sohn eines Ritters durch eben diese militärische Würde zur Senatorischen, oder zum Rechte des latus Clavus emporsteigen. Unter den spätern Kaisern wurde es auch damit so genau nicht genommen, und es gab eine Menge Titular-TribunenDiese Titularen waren jedoch, wie es scheint, wenigstens zu einem halbjährigen Dienste verbunden, und dies war der Tribunatus semestris, dessen in einigen römischen Schriftstellern dieser Zeiten Erwähnung geschieht., die sich mit dieser Würde bloß darum dekorieren ließen, um dadurch ein Recht zum latus Clavus zu erhalten. Dieser wurde daher auch zuletzt so gemein, daß er aufhörte, ein ehrenvolles Unterscheidungs-Zeichen zu sein. Von allem diesem, und einer Menge andrer hieher gehöriger Sachen, kann, wer an diesen Dingen soviel Belieben findet als Herr Walther Shandy, in Rubenii gelehrtem Buche de Re Vestiaria, praecipue de lato clavo, alles beisammen antreffen, was der mühsamste Fleiß aus allen alten Autoren und Monumenten zusammentragen konnte. Übrigens hat Geßner zur Erklärung der Worte sumere depositum clavum sehr wohl angemerkt, daß auch bloße Kandidaten um Senatorische Würden, in Hoffnung eines guten Erfolges, den latum Clavum zum voraus affektierten, und also, wenn es ihnen fehlschlug, wieder ablegen mußten. Dies war, wie es scheint, der Fall des Tillius gewesen, den der Dichter hier apostrophiert; er hatte aber doch zuletzt noch Mittel gefunden, ein Tribunat, als eine Würde, die zum latus Clavus berechtigte, zu erhaschen.
als Volks-Tribunus wieder aufzunehmen?
Tarquinius regno pulsus fuit, unius assis
non umquam pretio pluris licuisse, notante
<15> iudice, quem nosti, populo; qui stultus honores
saepe dat indignis et famae servit ineptus;
qui stupet in titulis et imaginibus. Quid oportet
vos facere, a vulgo longe lateque remotos?
Namque esto populus Laevino mallet honorem
<20> quam Decio mandare novo? Censorque moveret
Appius, ingenuo si non essem patre natus?
Vel merito, quoniam in propria non pelle quiessem.
Sed fulgente trahit constrictos gloria curru
non minus ignotos generosis. Quo tibi, Tilli,
<25> sumere depositum clavum fierique tribuno?
Zu nichts, als daß die Mißgunst, die zuvor
dir als Privatmann minder lästig war,
mit deinem Clavus wuchs. Sobald ein Tor
das halbe Bein in schwarzes Leder stecktDie Patrizier und Senatoren unterschieden sich von den untern Klassen auch durch eine besondere Art von Halbstiefeln aus schwarzem sämischem Leder, die man mulleos hieß.
und einen breiten Purpurlappen über
die Brust herabhängt, hört er stracks: wer ist
denn der? Wer war sein Vater? – Eben so
wie einer, den des Barrus Krankheit plagt,
für ein Modell von Schönheit zu passieren,
den Mädchen, wo er steht und geht, die Mühe macht,
ihn kritisch Stück vor Stück zu untersuchen,
wie Nase, Fuß und Wade, Haar' und Zähne
bei ihm beschaffen sind: so auch, wenn einer
die Bürger und die Stadt, der Götter Tempel,
Italien und das Reich in seine Pflege
zu nehmen sich erbietetHier ist vermutlich eine Anspielung auf die Formel des Eides, den die obersten Magistratspersonen in Rom bei Antretung ihres Amtes schwören mußten., nötigt er
stracks alle Sterblichen, mit großem Eifer
zu forschen, wer sein Vater sei, und ob
sein Stammbaum auf der mütterlichen Seite
nicht etwan eine Lücke habe? Wie?
»Du, eines Syrus, Dama, Dionysus Sohn,
Invidia accrevit, privato quae minor esset.
Nam, ut quisque insanus nigris medium impediit crus
pellibus et latum demisit pectore clavum,
audit continuo: quis homo hic? et quo patre natus?
<30> Ut si qui aegrotet quo morbo Barrus, haberi
ut cupiat formosus, eat quacumque, puellis
iniciet curam quaerendi singula, quali
sit facie, sura quali, pede, dente, capillo:
sic qui promittit cives, urbem, sibi curae
<35> imperium fore, et Italiam et delubra deorum,
quo patre sit natus, num ignora matre inhonestus,
omnes mortales curare et quaerere cogit.
du solltest Bürger von Tarpejens Felsen
herabzustürzen dich erfrechen, oder
dem Cadmus sie an Hand und Band zu geben?«Der Tarpejische Fels machte die südliche Spitze des Capitolinischen Berges aus, wo vermutlich schon vor Romulus Zeiten eine alte Burg stand. Tarpeja, eine Tochter des Sp. Tarpejus, dem die Behauptung dieses Postens übergeben war, ließ sich, zufolge einer alten fabelhaften Tradition, von Tatius, dem Heerführer der Lateiner, bestechen, ihm ein geheimes Tor in diese Burg zu eröffnen; und von ihr soll diese Felsenspitze den Namen bekommen haben. Man hat in der römischen Geschichte Beispiele, daß Tribuni Plebis sogar Personen vom ersten Range mit dem Herabstürzen vom Tarpejischen Felsen bedrohten, welches vermutlich in den ältesten Zeiten eine Strafe der Verräter oder andrer ungeheurer Verbrechen war. Daß sie zu Horazens Zeiten nicht abgeschafft war, erhellet aus dieser Stelle, und daß der Cäsar Tiberius sie an Sextus Marius, dem (zu seinem Unglück) reichsten Manne in ganz Spanien, wieder in Ausübung bringen lassen, meldet Tacitus im 19ten Kapitel des VIten Buches seiner Annalen. – Cadmus scheint der Name eines damaligen wohl bekannten Scharfrichters gewesen zu sein. Übrigens kömmt mir diese Stelle besonders deswegen merkwürdig vor, weil man daraus schließen muß, daß die gemeinen Römer damals noch in einer seltsamen Betörung gestanden sein, und, mitten unter den Anstalten, welche Octavius Cäsar zu einer gänzlichen Staats-Revolution machte, sich eingebildet haben mußten, es stünde in ihrem gemeinen Wesen noch alles auf dem alten Fuße. Wenigstens läßt Horaz sie hier aus einem solchen Tone sprechen; und dies in einem an Mäcenas gerichteten Diskurse!
»Und doch sitzt mein Kollege NoviusNovius. Vermutlich ein bloß erdichteter Name, für einen jeden novum hominem, der noch um eine Stufe niedriger geboren war als Tillius, oder wer der Sohn eines Dama oder Syrus war, dem Horaz die vorhergehenden Vorwürfe vom Volke machen ließ. Deutlich genug ist es übrigens, daß in dieser ganzen Stelle von Volks-Tribunen die Rede ist.
um einen ganzen Grad noch unter mir:
mein Vater war ein Freigelassener,
er ist es selbst.« »Und dünkst du dich darum
ein Paulus, ein Messala? Jener hat
doch das voraus, daß, wenn er auf dem Markte
zum Volke spricht, und mit zweihundert Karren
drei Leichenzüge gleich zusammen träfen,
er alle ihre Hörner und Posaunen
mit seiner Stimme übertäuben würde.
Das ist doch ein Talent!« – Ich komme nun
auf meine Wenigkeit zurück, den Sohn
von einem Freigelaßnen, den man auch
den Sohn des Freigelaßnen tüchtig fühlen läßt,
jetzt, weil ich deiner Tischgenossen einer bin,
Mäcenas, ehmals, weil mir eine Legion
»Tune Syri, Damae aut Dionysi filius, audes
deicere e saxoTarpeio. cives aut tradere Cadmo?«
<40> »At Novius collega gradu post me sedet uno;
namque est ille pater quod erat meus.«Libertinus scilicet. »Hoc tibi Paulus,
et Messala videris? At hicNovius., si plostra ducenta
concurrantque foro tria funera, magna sonabit
cornua quod vincatque tubas; saltem tenet hoc nos!«
<45> Nunc ad me redeo, libertino patre natum,
quem rodunt omnes libertino patre natum,
nunc quia, Maecenas, tibi sum convictor; at olim
quod mihi pareret legio Romana tribuno.
gehorchte. Gleichwohl ist das ein' und andere
nicht einerlei. Die Ehrenstelle könnte
vielleicht von jedem mir beneidet werden:
allein mit deiner Freundschaft, welche du
behutsam nur an Würdige verschenkest,
und welche nicht durch Ränk' und lose Künste
erschlichen werden kann, ists wohl ein anders.
Ich kann mich deiner Freundschaft wegen just
nicht glücklich nennen, gleich als hätt' ich sie
aus einem Glückstopf ausgezogen: denn
kein Ungefähr hat mich in deinen WegIch folge in der Leseart tibi me, statt mihi te, abermals dem Bentley und der gesunden Vernunft. Nichts kann frostiger sein als Baxters hier so übel angebrachter Spott, und Geßners angehängte notula.
geworfen; lange hatte schon zuvor
dir mein Virgil, hernach auch Varius
von mir gesprochen. Als ich endlich selbst
zum erstenmale vorkam, ließ Verlegenheit
und unberedte Scham mich kaum zu Atem kommen;
ich sprach nicht viel, und abgebrochen, log
mir keinen edeln Vater, trabte nicht
auf einem selbsterzognen TarentinerDer Text sagt: Satureiano caballo. Servius, ein alter Ausleger Virgils, spricht von einem Städtchen Saturejum, in der Gegend von Tarent, das dem Cellarius entgangen ist. Diese Gegend, überhaupt eine der schönsten in Italien, war auch der Pferdezucht wegen berühmt; und dies gibt dieser Stelle ein genugsames Licht. Die Wendung ist artig, um den kleinstädtischen Provinzialen, die, wenn sie in der Hauptstadt einem Großen zum erstenmale aufwarten, sich gern einige Bedeutung geben möchten, und von ihren Gütern, Pferden, Jagdkoppeln u.s.w. sprechen, im Vorbeigehen einen kleinen Hieb zu geben.
um meine Güter, sondern sagte kurz
und ehrlich was ich wäre. Du, nach deinem Brauch,
erwiderst wenig; ich entferne mich,
Dissimile hoc illi est: quia non, ut forsit honorem
<50> iure mihi invideat quivis, ita te quoque amicum,
praesertim cautum dignos assumere, prava
ambitione procul. Felicem dicere non hoc
me possum, casu quod te sortitus amicum:
nulla etenim tibi me fors obtulit: optimus olim
<55> Virgilius, post hunc Varius dixere quis essem.
Ut veni coram singultim pauca locutus,
(infans namque pudor prohibebat plura profari)
non ego me claro natum patre, non ego circum
me Satureiano vectari rura caballo,
<60> sed quod eram narro. Respondes, ut tuus est mos,
und nach dem neunten Monat lässest du
mich wieder rufen, und bedeutest mich,
forthin als deiner guten Freunde einen
mich anzusehnDiese Stelle ist deswegen besonders zu bemerken, weil sie Data an die Hand gibt, woraus die Zeitpunkte einiger Hauptumstände im Leben unsers Dichters näher berichtiget werden können. Horaz führte in der Schlacht bei Philippi, die im Jahre 712 vorfiel, eine Legion unter dem Oberbefehl des Brutus an, mit welchem er zwei Jahre zuvor zu Athen bekannt worden war. Da er i. J. 689 das Licht erblickte, so befand er sich damals in seinem drei und zwanzigsten Jahre. Nach dem fatalen Ausgang dieses berühmten Treffens, wovon der Tod des Brutus und Cassius die erste und unglücklichste Folge war, profitierte Horaz von der allgemeinen Amnestie, die der Sieger allen Anhängern des Brutus und Cassius zugestand, welche die Waffen niederlegen und ruhig nach Hause kehren würden. Er kam (wie er sich in der Epistel an Jul. Florus ausdrückt) decisis humilis pennis, mit gestutzten Schwingen am Boden hin flatternd, in seiner Heimat wieder an. Sein kleines väterliches Erbgut zu Venusium hatte er durch die Acht verloren, welche über alle Anhänger der Mörder Cäsars von den Triumvirn verhängt worden war. Er befand sich also in einer Lage, die ihm keinen andern Ausweg übrig ließ, als seine gute Erziehung und sein Talent für die Poesie geltend zu machen, worin er sich (wie aus einer Stelle der 10ten Satire zu schließen istSat. Lib. I. X. v. 31.) schon während seines Aufenthalts zu Athen geübt hatte. Ohnezweifel kam er bald darauf in die Bekanntschaft der beiden Dichter Virgil und Varius, welche durch die Liebe, so sie zu ihm faßten, den Grund zu seinem nachmaligen Glücke legten, indem sie ihn dem Mäcenas empfahlen. Virgil selbst war erst im Jahr 713 von Mantua nach Rom und in die Bekanntschaft des Mäcenas gekommen; und, vorausgesetzt, daß er sich selbst zuvor durch nähern Umgang mit seinem neuen Freunde von den übrigen liebenswürdigen Eigenschaften desselben überzeugen mußte, ehe er es wagen konnte, dem Freund und Günstling des Octavius Cäsar zu sagen quis esset; und da überdies zwischen der Zeit, wo dieses zum erstenmale geschah, und dem Tage, wo Horaz dem Mäcen vorgestellt wurde, eine ziemliche Weile (wie das Wort olim zu erkennen gibt) verstrichen sein mußte: so kann man mit gutem Grunde annehmen, daß er seine erste Aufwartung bei Mäcen schwerlich eher als im Jahre 715 gemacht haben könne. Zwischen dieser, und dem Tage, wo ihn Mäcen wieder zu sich rufen ließ und ihm erklärte, daß er sich künftig als einen seiner Freunde anzusehen habe, verflossen neun Monate: die Epoke der nähern und vertraulichen Verbindung zwischen ihnen fällt also aufs früheste in das Ende des Jahres 715 oder den Anfang von 716  U. C., und so kann auch die gegenwärtige sogenannte Satire nicht vor dem Jahre 717, aber auch nicht wohl später aufgesetzt worden sein. Sehr wahrscheinlich folgte sie unmittelbar auf das Brundusische Reise-Journal, und also in einer Zeit, wo Horazens Gunst bei Mäcenas schon etwas Bekanntes und Entschiedenes, aber auch zugleich noch neu genug war, um eine Art von Aufsehen zu machen, und den Neid der kleinen Seelen zu erregen, die (wie aus einer Menge von Stellen in beiden Büchern seiner Satiren in die Augen fällt) alles Mögliche aufsuchten, wodurch sie ihm zu schaden und das vorteilhafte Licht zu schwächen hofften, worein ihn die Protektion des jungen Cäsars, die Freundschaft Mäcens, und der Ruf seiner Talente und Vorzüge zu stellen anfingen.. Ich acht' es für nichts Kleines,
dir, einem echten Menschenkenner, wohlgefallen
zu haben, wie ich bin; zwar unberühmt
von Herkunft, aber rein an Herz und Sitten.
Indessen, wenn ich bei nicht vielen und
verzeihlichen Gebrechen (wie sich etwan auch
an wohlgestalten Körpern hie und da
ein kleiner Fehler zeigt) im übrigen
gutartig bin und niemand weder Geldsucht,
noch Schmutz, Schmarotzerei, und wilde Nächte
in Winkeln durchgeschwelgt, mir vorzurücken
im Stand' ist; kurz, wofern ich (um einmal
mein eigen Lob zu singen) bieder bin
und meinen Freunden wert: so war daran
mein Vater ganz allein die Ursach; der,
wiewohl von einem magern Gütchen spärlich lebend,
mich nicht an unserm Ort zu Flavius,
dem Rechenmeister, in die Schule schickte,
wohin doch große Hauptmanns-Jungen nicht
pauca: abeo; et revocas nono post mense iubesque
esse in amicorum numero. Magnum hoc ego duco
quod placui tibi, qui turpi secernis honestum,
non patre praeclaro, sed vita et pectore puro.
<65> Atqui, si vitiis mediocribus ac mea paucis
mendosa est natura, alioqui recta (velut si
egregio inspersos reprendas corpore naevos)
si neque avaritiam, nec sordes aut mala lustra
obiciet vere quisquam mihi; purus et insons
<70> (ut me collaudem) si et vivo carus amicis:
causa fuit pater his, qui macro pauper agello
noluit in Flavi ludum me mittere, magni
zu vornehm waren mit der Rechentafel und
dem Markensack am linken Arm zu traben,
die edle Wissenschaft, wieviel Prozent
von soviel Kapital des Monats fällt,
zu lernen: sondern mich, so jung ich war,
nach Rom zu führen herzhaft sich entschloßHoraz schreibt, mit größtem Rechte (wie der Erfolg bewies) sein ganzes Glück dem Mute zu, den sein Vater gehabt hatte, ihn bei Zeiten nach Rom zu führen, und ihm dort eine so gute und liberale Erziehung zu geben, als ein römischer Ritter oder Senator seinem Sohne nur immer geben konnte. Allerdings gehörte bei einem Manne von so geringem Stand und Vermögen, wie sein Vater war, ein ungewöhnlicher Mut und der ganze vortreffliche Charakter, den unser Dichter hier und anderswo an demselben rühmt, dazu, sich so weit über die Einwürfe einer alltäglichen Klugheit und Ökonomie und über die Urteile der kleinen Welt, worin er zu Venusia lebte, hinwegzusetzen. Tausend andere an seinem Platze hätten geglaubt ihre väterliche Pflicht hinlänglich erfüllt zu haben, wenn sie ihren Knaben zu dem Rechenmeister Flavius in die Schule geschickt hätten, wie die vornehmsten Leute zu Venusia taten. Denn in einem solchen kleinen Provinzialstädtchen spielte ein Centurio schon eine stattliche Person. Es versteht sich, daß das Beiwort magnis hier ironisch zu nehmen ist, und auf die Wichtigkeit, welche diese Leute in ihren eigenen und ihrer geringern Mitbürger Augen hatten, reflektiert. Man kann sich vorstellen, wie übel diese vornehmen Centurionen, der wohlrenommierte Stadt-Schul- und Rechenmeister Flavius und die ganze löbliche Bürgerschaft zu Venusia es finden mußte, daß eine Erziehung, wie die angesehensten Häuser des Ortes ihren Kindern gaben, eine Schule, nach welcher man so manchen großen aufgeschoßnen Bengel, der zu Venusia für einen jungen Herrn passierte, mit der Rechentafel und einem Beutel voll Zahlpfenningen unterm Arme daherschlendern sah, für den Zollbedienten Horazius, der doch ein bloßer Libertus und ein Mann von geringem Vermögen war, und für seinen kleinen Jungen, nicht gut genug sein sollte!

Die Worte octonis referentes idibus aera sind von den meisten ältern Auslegern so gedeutet worden, als ob das Schulgeld damit gemeint wäre, das die Hauptmanns-Jungen dem Flavius alle Monate auf diese Zeit gebracht hätten. Die Ungereimtheit dieser Deutung hat schon Lambinus und Cruquius dargetan. Um diesen Vers sich recht deutlich zu machen, muß man folgendes wissen. Jeder römische Monat wurde durch die Idus ungefähr in zwei gleiche Teile geteilt, und wiewohl eigentlich nur der 13te oder 15te eines Monats diesen Namen führte, so wurden doch 8 Tage auf die Idus gerechnet; daher nennt sie Horaz octonas. Gewöhnlich wurden bei den Römern die Zinsen von entlehnten Geldern monatlich, und zwar an den Calendis (der erste Tag des Monats) oder an den Idibus bezahlt. Durch aera kann Horaz nichts anders als Zinsen gemeint haben. Der Vers hieße also wörtlich: die Knaben hätten ihrem Rechenmeister die monatlichen Zinsen gebracht. Da dies aber keinen Sinn hat, so ist es bloß eine unserm Dichter sehr gewöhnliche Wendung, um zu sagen: sie hätten ihm die Ausrechnung über gewisse Rechen-Aufgaben, z. B. wieviel Interessen zu 6 pr. % betragen 25654 Sesterzien monatlich? gebracht, welche der Rechenmeister ihnen zu ihrer Übung mit nach Hause gegeben. Es ist, wie man sieht, ein satirischer Seitenblick auf eben den Charakterzug des römischen Volkes, den er in der Epistel an die Pisonen berührt, wo er die Haupt-Ursache angibt, warum die Römer in den Musenkünsten soweit zurückblieben:

Graiis ingenium, Graiis dedit ore rotundo
Musa loqui, praeter laudem nullius avaris:
Romani pueri longis rationibus assem
discunt in partes centum diducere –
,
um dort so gut mich zu erziehen als
ein Ritter oder Ratsherr seine Söhne
erziehen lassen kann; so daß, wer mich
in dieser großen Stadt, so wohl gekleidet,
mit Sklaven hinter mir, daherziehn sah,
nichts anders dachte, als das alles werde
aus altem Ahnengut auf mich verwendet.
Er selbst war neben allen meinen Lehrern
mein zuverlässigster getreuster Führer;
kurz, seiner Aufsicht hab' ich es zu danken,
daß mich die Scham, der Tugend erste Blüte,
von allen Jugendlastern, ja so gar
von bösem Schein und Vorwurf rein erhielt.
Er ließ sich den Gedanken nicht erschrecken,
wie übel man's ihm nehmen werde, wenn
quo pueri, magnis e centurionibus orti,
laevo suspensi loculos tabulamque lacerto,
<75> ibant, octonis referentes idibus aera:
sed puerum est ausus Romam portare, docendum
artes quas doceat quivis eques atque senator
semet prognatos. Vestem, servosque sequentes
in magno ut populo si quis vidisset, avita
<80> ex re praeberi sumptus mihi crederet illos.
Ipse mihi custos incorruptissimus omnes
circum doctores aderat. Quid multa? pudicum
(qui primus virtutis honos) servavit ab omni
non solum facto, verum opprobrio quoque turpi:
<85> nec timuit, sibi ne vitio quis verteret, olim
am End' aus dieser stattlichen Erziehung doch
nichts als ein Zollbedienter, wie er selbst,
herausgekommen wäreDas Wort praeco (Ausrufer) ist in der Übersetzung weggefallen, quia versu dicere non erat, wenigstens nicht ohne eine verdrießliche Weitschweifigkeit. Ich habe coactor durch Zollbedienter übersetzt, und verstehe darunter, mit Masson, einen Unterzollbedienten, den ein Zollpachter dazu gebrauchte, die Gebühren für die Waren, die in Italien eingeführt wurden, einzutreiben. Wer es lieber mit dem Scholiasten hält, welchem coactores Leute sind, die sich, um einen kleinen Lohn, von Wechslern, Kaufleuten und Kunstmäklern zu Eintreibung ihrer ausstehenden Schulden gebrauchen ließen, mag sich um ein deutsches Wort umsehen, das diese Bedeutung habe. Aber auch ohne die Bequemlichkeit des von mir gebrauchten Wortes in Anschlag zu bringen, scheint mir Massons Erklärung auf die Qualifikation, exactionum coactor, welche Suetonius in der bekannten kleinen Biographie des Horaz dem Vater desselben beilegt, besser zu passen, und also genugsamen Grund vor sich zu haben. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte aber der alte Horaz diese Lebensart, nachdem er sich ein kleines Gütchen damit erworben, aufgegeben, als er sich entschloß, mit seinem Sohn nach Rom zu gehen, und dort über seine Erziehung selbst die Aufsicht zu führen.. Auch in diesem Falle
hätt' ich mich nicht beklagt; nun bin ich desto mehr
Erkenntlichkeit und Lob ihm schuldig. Nein,
so lang ich meine Sinnen habe, soll
ein solcher Vater niemals mich gereuen;
noch werd' ich, wie die meisten die sich nicht
mit hochgebornen Ahnherrn brüsten können,
versichern, daß es meine Schuld nicht sei.
Ganz anders sprech' und denk' ich über diesen Punkt:
und wollte die Natur, daß jeder mit
gewissen Jahren sein vergangnes Leben
von vorn beginnen und sich Eltern nach Gefallen
zum Prunke wählen dürfte: möchten andre
sich wählen wen sie wollten, ich, zufrieden mit
den meinen, würde keine nehmen wollen
die Glanz von hohen Würden borgten; töricht
im Wahn des Volkes, doch vielleicht, Mäcen,
si praeco parvas, aut (ut fuit ipse) coactor
mercedes sequerer: neque ego essem questus. At hochoc, nämlich, weil die Sache so glücklich ausschlug. nunc
laus illi debetur et a me gratia maior.
Nil me paeniteat sanum patris huius: eoque
<90> non, ut magna dolo factum negat esse suo pars,
quod non ingenuos habeat clarosque parentes,
sic me defendam. Longe mea discrepat istis
et vox et ratio: nam si natura iuberet
a certis annis aevum remeare peractum
<95> atque alios legere ad fastum quoscumque parentes:
optaret sibi quisque, meis contentus, honestos
fascibus et sellis nolim mihi sumere, demens
nach deinem Urteil weise, daß ich meine Schultern
mit keiner größern Last, als ich gewohnt
zu tragen bin, beladen möchte. Denn
da müßt' ich auch für größre Renten sorgen,
mehr Leute sehen, wenn ich reis'te oder
aufs Land nur ginge (um bei Leibe! nie
allein zu sein) stets einen und den andern
Begleiter mit mir schleppen, mehr Bediente
und Pferd' und Wagen halten. Izt ist mir
erlaubt auf einem kurzgeschwänzten Maultier,
das mich und meinen Mantelsack zugleich
zu tragen sich gefallen lassen muß,
wenn's mir beliebt bis nach Tarent zu gehen,
und niemand wird darum der Knauserei
mich schelten, wie den Prätor Tullius,
wenn ihm, von Tibur kehrend, nur fünf Hausbediente
mit seinem Flaschenkorb und Nachtstuhl folgenBatteux übersetzt durch marmite, was ich durch ein ganz anderes Hausratstück übersetze, und es ist sonderbar genug, daß das Wort lasanus beides heißt. Der Grund, der jeden von uns zu der gewählten Bedeutung bestimmt hat, ist so leicht zu erraten, daß es keiner nähern Erklärung bedarf. – Der Prätor Tullius, der hier genannt wird, ist unbekannt, vermutlich aus keinem andern Grunde, als weil Tullius hier ein erdichteter Name ist. Vermutlich war jemand gemeint, der damals leicht zu erraten war, wiewohl ihn Horaz nicht mit seinem rechten Namen nennen wollte. Baxter sagt keck, nach seiner Art, iterum Cieeronem percutit. Warum nicht gar den Servius Tullius?.
Soviel gemächlicher, mein edler Ratsherr,
leb' ich als du und tausend deines gleichen.
Ich brauche kein Gefolge, geh' allein
wohin michs lüstet; frage was der Kohl
iudicio vulgi, sanus fortasse tuo, quod
nollem onus, haud umquam solitus, portare molestum
<100> Nam mihi continuo maior quaerenda foret res,
atque salutandi plures; ducendus et unus
et comes alter, uti ne solus rusve peregre-
ve exirem; plures calones atque caballi
pascendi, ducenda petorrita. Nunc mihi curto
<105> ire licet mulo vel, si libet, usque Tarentum,
mantica cui lumbos onere ulceret atque eques armos;
obiciet nemo sordes mihi, quas tibi, Tulli,
cum Tiburte via praetorem quinque sequuntur
te pueri, lasanum portantes oenophorumque.
<110> Hoc ego commodius quam tu, praeclare senator,
und was das Mehl gilt; schlendre Abends um
den großen Schauplatz aller Beutelschneider,
den Circus, oder auf dem Markt, und stehe
bei einem Schreier still, der Amulette
verkauft und wahrsagtAssisto divinis. Der Circus Maximus und das Forum Romanum waren immer, besonders des Abends, mit einer Menge müßiger Leute angefüllt, unter welchen alle Arten von Meistern loser Künste, Gaukler, Marktschreier, Traumdeuter, Nativitätsteller, Hermetische Wundermänner und dergleichen Gesindel, ihr Handwerk zu treiben Gelegenheit hatten. Horaz rechnet es unter die Vorteile seines dunkeln Privatstandes, daß er sich amusieren dürfe wie es ihm beliebe. Einem Manne von Stande und Ansehen würde es übel geziemt haben, sich unter das gemeine Volk zu mischen, und einem Marktschreier oder Wahrsager zuzuhören: ihm hingegen nahm es niemand übel.; kehre dann nach Hause
zu einer Schüssel Erbsen, Lauch und Plinsen;
drei Sklaven richten meine ganze Mahlzeit ausNämlich, ein Koch, ein Structor, der den Tisch deckte und das Essen auftrug, und ein Mundschenk (pocillator). Für einen modernen Poeten wäre das eine sehr stattliche Tafelbedienung; aber in Vergleichung mit der unendlichen Menge von Bedienten, wovon die Tafelzimmer der vornehmen Römer wimmelten, war es das wenigste, was ein Ehrenmann haben konnte.;
ein Cyathus, zwei BecherZwei Becher, einen zum Wasser, den andern zum Weine, und einen Cyathus, ein kleines Maß, das beim Vermischen des Weines mit Wasser gebraucht wurde; denn der Wein wurde selten pur getrunken. Der Cyathus war der zwölfte Teil eines Sextarius, und mochte ungefähr soviel als einen Schluck ausmachen. Bei Gastmählern, besonders bei den Toasts, die unter jungen Leuten üblich waren, wurde jedem mit dem Cyathus zugemessen, wie viel er trinken mußte. Einer abwesenden Liebschaft zu Ehren leerte man z. B. soviel Cyathos auf einmal aus, als Buchstaben in ihrem Namen waren.
Naevia sex gathis, septem Iustina bibatur,        
quinque Lycas, Lyde quattuor, Ida tribus.
Martial. Epigr. I. 71.
, und beim Spülnapf
ein schlecht Lavor mit seinem Becken, lauter
Campanisch Töpferzeug, auf einem Tische
von weißem Steine, macht die ganze Tafel-
Gerätschaft aus. Dann geh ich schlafen, ohne
die Sorge, daß ich mit dem frühsten wieder
aufstehen müsse, um dem Marsyas
Besuch zu geben, dessen Grinsen uns
bezeugt, daß ihm die Physiognomie
des jüngern Novius unausstehlich seiDie Fabel von dem Satyr Marsyas, der mit seiner Flöte den Apollo mit seiner Zither herausgefodert, und, da ihn die Musen, als Richterinnen des Kampfes, für überwunden erklärt, von seinem unbarmherzigen Sieger noch obendrein geschunden worden, ist aus der Mythologie bekannt. Eine Bildsäule des unglücklichen Satyrs stand auf dem großen römischen Markte in der Gegend, wo die Wechsler ihre Tische hatten. Der jüngere Novius war einer von diesen Bankiers, dessen Physiognomie vermutlich den jungen Taugenichtsen, die ihm schuldig waren, nicht die angenehmste sein mochte. Die scherzhafte Ursache, welche Horaz der abscheulichen Grimasse des geschundenen Marsyas gibt, erklärt sich nun von selbst..
Ich bleibe ruhig bis um neune liegen;
drauf mach' ich fliegende Besuche, oder
ich lese oder schreibe was im Stillen mich
belustigt oder bessert, salbe mich sodann
milibus atque aliis, vivo. Quacumque libido est
incedo solus; percontor quanti olus ac far;
fallacem circum, vespertinumque pererro
saepe forum; assisto divinis; inde domum me
<115> ad porri et ciceris refero laganique catinum;
cena ministratur pueris tribus, et lapis albus
pocula cum cyatho duo sustinet; astat echino
vilis cum patera guttus, Campana supellex.
Deinde eo dormitum, non sollicitus mihi quod cras
<120> surgendum sit mane, obeundus Marsya, qui se
vultum ferre negat Noviorum posse minoris.
Ad quartam iaceo; post hanc vagor; aut ego, lecto
aut scripto quod me tacitum iuvat, ungor olivo,
(doch nicht mit solchem Öl als seinen Lampen
der schmutz'ge Natta stiehlt)Vermutlich ein berüchtigter karger Filz, nicht ein Bleicher oder Walker, wie Baxter lächerlicher Weise will, weil Natta, Nacta, oder Nacca (ein bekannter römischer Zuname) eigentlich einen Walker bedeute., dann nach dem Campus, bis
die schwüle Sonne mich, vom Ballspiel müde,
ins Bad zu gehn erinnertIch habe mich in der Übersetzung der ganzen Stelle, vom 122.–126. Verse des Originals, an die Leseart des Bentley gehalten, weil sie auf überzeugenden Gründen beruhet, und das einzige Mittel ist, unsern Dichter von drei Vorwürfen, die er unmöglich verdient haben konnte, zu entbinden. Der gemeinen Leseart zufolge (da man lecto und scripto, gegen allen Sprachgebrauch, für zusammengezogene frequentativa von lego und scribo hielt, und anstatt campum lusumque trigonem: rabiosi tempora signi las) müßte Horaz in fünf Versen drei grobe Fehler, einen gegen seine Sprache, einen gegen den Menschenverstand, und einen gegen die guten Sitten begangen haben. Denn nur ein Barbarus hätte lecto und scripto für lectito und scriptito gesagt; nur ein Schmierer, dem es gleichviel gilt, ob er Sinn oder Unsinn von sich gibt, hätte sagen können: »Wenn mich die schwülere Sonne und die Müdigkeit erinnert ins Bad zu gehen, fliehe ich die Zeiten des rasenden Zeichens«; und nur ein Mensch ohne alle Scham hätte sich in einem Gedicht an Mäcen als ein Faultier abschildern können, das bis um 10 Uhr im Bette liege und schnarche. Gleichwohl kamen nicht nur alle Scholiasten, Ausleger und Herausgeber vor Bentley ganz leicht über so kleine Bedenklichkeiten hinweg; sondern auch spätere Herausgeber und Übersetzer (z. B. Batteux) haben sich lieber an Horaz und der gesunden Vernunft, als an dem Respekt gegen die Abschreiber versündigen wollen.. Diesem folgt
ein leichtes Mittagsmahl, soviel ich brauche
den Rest des Tages, der geschäftlos mir
zu Haus entschlüpft, bis Abends auszudauern.
So lebt, wer frei vom Joch der armen Ehrsucht ist;
so hoff' auch ich vergnüglicher zu leben,
als wenn mein Ahn, mein Vater, und mein Oheim
das Staatsschatzmeister-Amt verwaltet hätten.
non quo fraudatis immundus Natta lucernis:
<125> ast ubi me fessum sol acrior ire lavatum
admonuit, fugio Campum lusumque trigonem.
Pransus non avide, quantum interpellet inani
ventre diem durare, domesticus otior. Haec est
vita solutorum misera ambitione gravique;
<130> his me consolor victurum suavius, ac si
quaestor avus, pater atque meus, patruusque fuissent.

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