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Beatrice: (um Lipsius anscheinend ganz unbekümmert, sich nochmal Hollrieders Bild ansehend, auf das sie wieder zugegangen. Trotzdem merkt man ihr eine große innere Erregung an).
Lipsius: (der sich ihr erst nicht zu nähern gewagt hat; hinter ihr; mit fast erstickter Stimme) Si . . . bylle!
Beatrice: (als ob er gar nicht vorhanden wäre).
Lipsius: (flehentlich) Ich . . . bitte dich! . . . Nur . . . ein . . . Wort!
Beatrice: (sich jäh umwendend; mit blitzenden Augen) Glauben Sie, ich fürchte mich vor einem Skandal?
Lipsius: (nach einigen Sekunden; fast flüsternd) Du hättest mir das . . . nicht antun sollen!
Beatrice: (flammend) Ich?? . . . Dir?? . . .
Lipsius: (in letzter Zerknirschung) Ich habe es so bereut! Die ganzen Jahre! . . . Ein einziger, unbewachter Augenblick . . .
Beatrice: (kaum fähig, ihm zu antworten) Der mir mein . . . Leben zerstört hat! . . .
Lipsius: (nach einer kleinen Pause; bettelnd) Verzeih!
Beatrice: (ihm wieder den Rücken drehend; mit Mühe sich zügelnd) Gehn Sie!
Lipsius: (mit unterdrückter, aufsteigender Leidenschaft) Ich wußte, daß ich dich wiedersehn würde! . . .
Beatrice: (bei diesem Tonfall zusammengeschauert; ohne sich wieder umzudrehn, mit vor Empörung zitternder Stimme) Noch ein Wort . . . (im letzten Raum von links ist spähend Musmann aufgetaucht und verschwindet wieder nach rechts).
Lipsius: (der, auf ihre empörte Drohung etwas zurückgetreten und sich argwöhnisch umsehend ihn bemerkt hat; wieder hinter ihr; noch unterdrückter und dringlicher) Nur das . . . hielt mich aufrecht! . . . Nur diese Hoffnung! Ich wäre ohne sie . . .
Beatrice: (die sich vor Zorn kaum noch halten kann; wieder zu ihm umgedreht) Wollen Sie, daß ich einen Diener rufe?
Lipsius: (mit plötzlich elementar vorbrechender Eifersucht) Ihr habt mich . . . (unwillkürlich etwas zurückgetreten, seine Augen durchdringend sprühend in ihren) betrogen!
Beatrice: (ihn erstaunt, wie erst nicht begreifend, ins Gesicht starrend) . . .
Lipsius: (mit den Augen einen Moment nach dem Bild hin) Er . . . (wieder zu ihr; mit entstellten Zügen) und du! . . . Jahre! . . .
Beatrice: (unwillkürlich einen halben Schritt zurück) Also das . . . ist die »Reue«?! . . . Eifersucht!! . . .
Lipsius: (unterdrückt, fast flüsternd; ganz nah auf sie zugetreten) Gestern . . . als ich vor seinem Hause stand und . . . auf dich wartete . . . ich wußte: ich wagte alles!
Beatrice: (ohnmächtig mit sich ringend; der Wucht seiner Leidenschaft einen Moment fast erliegend) . . .
Lipsius: (in elementarster, beschwörendster Suggestion) Komm zurück! . . . Komm wieder zu mir!! . . .
Beatrice: (nur noch mit dem letzten Teil ihrer Kraft) Du bist . . . von Sinnen!!
Lipsius: (noch drängender) Laß es . . . vergessen sein! (flehend) Du wirst sehn!
Beatrice: (sich wieder aufraffend; die Hände wie zur Abwehr halb erhoben; vor ihm zurückschaudernd) Geh!
Lipsius: (der sich kaum noch selbst kennt; die Lider einen Augenblick geschlossen, die Lippen zusammengekrampft) Du weißt nicht . . . was ich um dich . . . gelitten habe!
Beatrice: (sich hochrichtend) Und ich?! . . . Was ich gelitten?
Lipsius: (seine Augen wieder in ihren) Ohne es zu wissen, hattest du mich auf eine Marterbank gespannt, die auch den Stärksten . . .
Beatrice: (ausbrechend) Ich . . . ertrags nicht mehr!
Lipsius: (starr vor ihr aufgerichtet; sie noch immer nicht lassend) Alles will ich für dich hingeben! Alles! Nur . . . (vor ihrem Ausdruck mit bebender Stimme; den linken Fuß einen halben Schritt zurück) Du . . . stößt mich . . . von dir?
Beatrice: (letzte Verachtung; dreht sich wieder nach dem Bild um) . . .
Lipsius: (nach einem kurzen, inneren Kampf; einige Schritte rechts neben sie getreten, um sie von neuem dabei anzublicken; mit veränderter Stimme) Weißt du auch . . . was du damit . . . tust? (da sie ihm nicht antwortet; mit arbeitender Brust) Du stößt mich damit . . . in ein Leben zurück, das ich . . . Ich verachte mich selbst!
Beatrice: (die sich nicht mehr länger zwingen kann; wieder nach ihm umgedreht) Gehn Sie nun, oder nicht? . . .
Lipsius: (zwei Schritte zurückgetreten; noch gedämpfter, als meist ohnehin schon bisher) Nicht an mir allein . . . lag die . . . Schuld!
Beatrice: (ihn verzerrt anblickend) Jetzt . . . nur noch das Geringste, und ich . . . schrei s allen Menschen ins Gesicht!! . . .
Lipsius: (vor ihrem Ausdruck den Blick senkend; die Hände an den herabhängenden Armen geballt; stumm quer nach links, durch den letzten Raum nach rechts ab).
Beatrice: (die ihm nachgesehn; in letzter Erschöpfung und Qual; sie will sich langsam wieder rechts nach dem Bild zu drehn, und ihre Augen bleiben dabei wie gebannt auf dem Ausschnitt hängen; sie tritt unwillkürlich etwas vor ihm zurück).
Musmann: (der während der letzten Szene bei dem Wort »Geh!« hinten im letzten Raum von rechts her nochmals aufgetaucht und dann nach links hin verschwunden war. Vorn von links her. Er hat sich wieder zusammengerafft, aber seine ganze Haltung, jede Bewegung verrät trotzdem deutlich, wie es in ihm aussieht. Wirft, ehe er sich in den zweiten Raum hinauftraut, erst einen Blick nach Beatrice rüber, die ihm in diesem Moment den Rücken zukehrt, vergewissert sich durch einen zweiten Blick, daß Lipsius inzwischen gänzlich verschwunden ist, betritt vorsichtig die Stufen, vergißt nicht, eitel nochmal nach seinem Bild rüberzuschielen, hüstelt und nähert sich schließlich dem Ziel seiner Sehnsucht) Musmann.
Beatrice: (die sich auf sein Hüsteln sofort wieder gefaßt und von neuem das Bild Hollrieders besehn hatte; sich nach ihm umwendend; dabei wieder ihre Lorgnette brauchend) Der Herr, der vor drei Monaten an einer Tür gehorcht hat . . . Das ist allerdings eine Überraschung.
Musmann: (vollständig fassungslos) Sie ver . . . kennen mich.
Beatrice: Ihre Krawatte sitzt schief.
Musmann: (sich das schwarze Möbel zurechtrückend) Ich hege die . . . aufrichtigste Verehrung für Sie!
Beatrice: Sie beabsichtigen doch nicht etwa . . . mit eine Liebeserklärung zu machen?
Musmann: Ich weiß nicht . . . (nach einem halben Blick auf sein Bild) ob Sie meine Werke kennen.
Beatrice: Sie sind drollig!
Musmann: Herr Hollrieder ist ein Mensch . . . von einer so rohen . . . Gemütsart . . . Sie müssen sich doch . . . (in seine fixe Idee verbohrt) unglücklich fühlen!
Beatrice: Sie werden immer amüsanter!
Musmann: Sie hatten gestern . . . eine erregte . . . Auseinandersetzung mit ihm!
Beatrice: Sie haben also wieder . . . gehorcht?!
Musmann: Bei meinem lebhaften . . . Interesse . . .
Beatrice: (einen Schritt zurückgetreten; ihn von oben bis unten musternd) . . .
Musmann: (verzweifelt; mit einer letzten Anstrengung aus einer andern »Ecke« her) Ich habe eben . . . mit Ihrem Herrn Vater gesprochen!
Beatrice: (empört) Sind Sie verrückt?
Musmann: Wenn Sie nur . . . (die Hand täppisch nach dem Herzen) ahnten . . .
Beatrice: Es scheint wirklich die höchste Zeit, daß Sie sich nach irgend einer Heilanstalt umsehn! . . . (hinten um den Sitzblock ab durch den letzten Raum nach rechts).
Musmann: (mit vorgestrecktem Hals, ihr in ohnmächtiger Wut nachblickend) Warte! . . . (in sich reinknirschend) Dir . . . werd ich das! . . . (sich mit mehreren Schritten auf der selben Stelle langsam voll dem Zuschauer zudrehend und von unten auf erst nach seinem Bild und dann wieder nach Hollrieders glupend) Ich bin doch nicht . . . verrückt? . . . (kläglich vor sich hin) Das sind doch bloß . . . meine Nerven! . . . (plötzlich gespannt aufhorchend und wie einer fernen Stimme lauschend; vollständig veränderter Tonfall; geschäftig) Was sagste da? . . . Was? . . . Du kannst nicht dafür? . . : Na warum hat se mich denn eben so . . . behandelt? Doch bloß, weil du . . . (nickend) Jaja! Atchee! (die Stimme scheint verklungen, das »innere Telephon« abgestellt; dumpf murrend vor sich hin) Alles . . . für dich allein! . . . Alles . . . (ganz nach dem Bild Hollrieders. Es beglotzend) Du . . . Schuft! Du . . . Alles- . . . Zertrümmrer! Du . . . Anti- . . . Christ! . . . (seine Zähne mahlen. Plötzlich zwei Schläge mit geballter Faust schnell hintereinander nach dem Bild hin) Hutt, hutt!! . . . (nochmal; noch stärker; fast wie das ganze Bild zermalmend) Hutt!!! . . . (in dem selben Augenblick im letzten Raum von rechts her die Stimme Hollrieders).
Hollrieder: (noch nicht sichtbar) Nein. Ich will das Bild jetzt nicht mehr sehn!
Musmann: (hat beim ersten Laut aufgehorcht und verschwindet sofort, die Stufen fast hinabstolpernd, im vorderen Nebenraum rechts).
Beatrice: (mit Hollrieder im letzten Saal jetzt sichtbar) Sie sind eigensinnig.
Hollrieder: (mit Beatrice den Mittelraum betretend, wo er, fast noch am Eingang, mit ihr so stehnbleibt, daß er sein Bild im Rücken hat. Kleidung wie der Präsident der Sezession. Geschmackvolle Hose, tadelloser Schlips. Überm linken Arm dunkler Paletot) Wir hatten uns hier erst für elf verabredet! Wäre ich also nicht eine volle Viertelstunde früher gekommen . . .
Beatrice: (in ihrem Benehmen nicht mehr so sicher, wie bisher) Ich hatte geglaubt . . .
Hollrieder: (ihre Erklärung sofort abschneidend) So hielten Sie Ihr Wort!
Beatrice: (zögernd) Ich hätte es vielleicht . . . trotzdem gehalten . . . wenn nicht Herr Url . . .
Hollrieder: (erregt auf den Sitzblock zu) Url! Url! Immer Url! . . .
Beatrice: (die an ihrem Platz etwas links stehngeblieben war; aufmerksam; erst jetzt seine Eifersucht ahnend) Sie sind so . . . sonderbar verstimmt auf ihn . . .
Hollrieder: (den Überrock ärgerlich auf die »Sitzgelegenheit« abwerfend) Er soll sich gefälligst um seine komplizierten eignen Angelegenheiten kümmern!
Beatrice: Er war zweifellos überzeugt, daß es so für alle Teile . . .
Hollrieder: (neben den Überrock den Zylinder plazierend; mit durchsichtiger Betonung) Namentlich für alle Teile!
Beatrice: Sie sind ganz und gar ungerecht gegen ihn!
Hollrieder: (die Handschuhe energisch in den Zylinder befördernd) Mit Wonne! . . .
Beatrice: Haben Sie sich denn seit gestern . . . noch gar nicht gesehn?
Hollrieder: (ergrimmt bissig; mit einem erbitterten Blick nach ihr) Nachdem Sie ihn für Ihre Heimfahrt wieder zu Ihrem Ritter requiriert hatten! . . . (sie ostentativ dabei nicht anblickend; sich unwillkürlich reckend) Er hat es für angebracht gehalten, seitdem auch nicht ein Wort mit mir zu sprechen! (der zwischendurch schon wiederholt nach dem Bild Musmanns geblickt; plötzlich) Lächerlich!! . . . (wirft jetzt einen schnellen Blick auch auf sein eignes Bild, sieht dann aber sofort wieder vor sich in die Luft, als ob der Raum, in dem sie sich befinden, gar nicht existiere) Herr Professor Lipsius war hier! (in der Türöffnung vorn rechts, ganz Ohr und ganz vorsichtig, taucht Musmann auf; jedes Wort Hollrieders in seinem Gesicht sich widerspiegelnd) Ich traf ihn vorm Eingang! Er schien mich für Luft zu halten! Hatten Sie das Vergnügen, Ihre alte Bekanntschaft mit ihm wieder aufzufrischen? (Beatrice in stummer Qual; wieder Blick vor sich in die Luft) Pardon! Ich bin nicht mehr neugierig. (da Beatrice schweigt; von neuem nach ihr hin) Reisen Sie heute?
Beatrice: (leise, ohne ihn dabei anzublicken) Um eins.
Hollrieder: (sie stehenlassend) Reisen Sie! . . . (geht jetzt auf sein Bild zu und bemerkt fast gleichzeitig den Ausschnitt. Zwei Schritte zurückprallend, beides miteinander vergleichend. In ein höhnisches Lachen ausbrechend und mit der flachen Hand nach dem Ausschnitt weisend) Da!! . . . (»a« kurz; Beatrice zusammengeschrocken, Hollrieder wie magnetisch von ihm angezogen, auf den Ausschnitt zu, den er mit vorgeducktem Kopf studiert, Musmann panisch verduftend).
Der Präsident der Sezession: (aus dem letzten Saal von links; man hat ihn bereits kommen sehn; noch im Türrahmen; zu Beatrice; verwundert, daß Lipsius nicht mehr da ist) Wo is dnn . . . ?
Beatrice: (etwas links nach Musmanns Bild zu; achselzuckend; mit einer hilflosen Geste nach Hollrieder hin) . . .
Der Präsident der Sezession: (erst jetzt näher getreten und Hollrieder bemerkend) Ach so!
Hollrieder: (mehrere Schritte zurückgetreten und mit einem Arm nach seinem Bild, mit dem andern nach dem Ausschnitt hin) Das ist nun die Probe auf mein Exempel! (sich umdrehend und die Hände erbittert-grimmig in den Taschen, nach vorn vor dem Sitzblock) Wir können uns alle begraben lassen!
Der Präsident der Sezession: (noch nicht gleich ganz begreifend, um was es sich handelt; zu Beatrice) Wat dnn?
Hollrieder: (der ohne Aufenthalt bis ganz nach links vorn weitergegangen, ungestüm umschwenkend und mit dem ausgestreckten Zeigefinger der Rechten nach seinem Bild hin) Erde, Himmel, Menschen, Tiere, die ganze Menagerie aufgeboten (inzwischen bis zur Linie des Ausschnitts zurückgelangt, stehngeblieben, mit der erhobenen, flachen Linken nach diesem weisend) und dort . . . ein Strauch, drei Birken und zwei Buchen!
Der Präsident der Sezession: (nach einem Blick zu Beatrice, erregt hinter dem Sitzblock nach dem Ausschnitt zu, Achselzucken, Hände auswärts, total aus dem Konzept gebracht) Da habn wir dn Salat!
Hollrieder: (sich mit höhnischer Verachtung, den Rücken nach dem Zuschauer, im Raum umblickend) Dieser ganze Kitsch ist nicht wert . . .
Beatrice: (ganz wenig nach ihm zu) Beruhigen Sie sich doch!
Hollrieder: (brüsk nach ihr hin, als ob er sie »fressen« wollte) Haben Sie keine Augen?
Der Präsident der Sezession: (durch diesen Ton verdutzt, von einem zum andern blickend, man merkt, wie ihm ein »Licht« aufgeht, zu Beatrice, die, durch die Heftigkeit Hollrieders sichtlich getroffen, an ihrem Platz wie festgewurzelt steht, schnell, doppelte, begütigende Handbewegung) Jut, jut! (zu Hollrieder, auf den er mit ein paar flinken Schritten zugeht) Also denn lassen wir det Ding noch schnell zukleistern . . . Von außen de Thür zu, und inn n paar Lattn mit n bißkn Stoff drüber! . . . So vill Zeit is noch! . . . (wieder halb zu Beatrice, andrer, sich mit ihr in »Verbindung« setzender, sich quasi »kollegialisch« beschwerender Tonfall) Hat n Mensch schon sowas jehört!
Hollrieder: (ohne sich nach ihm umzudrehn, ganz auf sein Bild zu) Glauben Sie, Sie könnten mir mit Ihren paar Latten und n bißchen Stoff drüber auch zugleich mein Gehirn zukleistern?
Der Präsident der Sezession: (wie ungewiß, ob er recht gehört; energisch) Watt?
Hollrieder: (wieder ungestüm umgeschwenkt auf ihn zu) Vor der mir jetzt endgültig klar gewordenen Erkenntnis, daß sich an ein Rechteck aus Sackleinwand kein Pinselstrich mehr lohnt? (im Türrahmen rechts wieder, wie vorhin, Musmann)
Der Präsident der Sezession: (scharf) Erloobn Sie mal!
Hollrieder: (fast unmittelbar vor ihm) Weil sich von uns aus heute mit diesen überlebten, längst ausgequetschten, primitiv einseitig einfältig unzulänglichen Mitteln . . .
Der Präsident der Sezession: (»aufmuckend«) Nanu?!
Hollrieder: (unbeirrt weiter) Das Letzte und Eigentlichste, das, worauf es überhaupt und immer wieder von neuem ankommt, das, was Kunst zu Kunst erst macht . . .
Der Präsident der Sezession: (als Kampfhahn ihm gegenüber; rapid) Jewiß-jawoll-jawoll-und-und?
Hollrieder: (unwillkürlich nach dem Ausschnitt hin, dessen Bäume jetzt wieder leise zu wehen begonnen, mit erhobener, erläuternder Rechten, in seinem Satz weiter und ihn, sich noch steigernd, schließend) Das . . . Un sagbare, das . . . Un nennbare, das Unbe greifbare . . . das aus jedem Windhauch weht, das . . . zarte, entzückend . . . rätselhafte . . . immer wieder schillernd wechselnd . . . lebendige . . . Zittern der Seele, das . . . zu tiefst in uns allen Schwingende, das . . . vom höchsten Genie . . . noch kaum erst Geahnte, das (Geste: herausgeschleuderte Rechte, die letzten zwei Finger eingebogen, die drei andern wie Krallen, die ein funkelndstes Juwel halten) Hinter-allen-Dingen . . . so bitter wir auch darum ringen, so schmerzvoll blutend wir uns auch mühen, so grausam elend wir uns auch . . . Tag um Tag, Stunde um Stunde, Sekunde um Sekunde . . (grade diese drei Worte, alte Heimatsworte, fast wie mit religiöser Inbrunst von sich schleudernd) abplacken, abrackern und abmarachen . . . (von neuem ausholend und mit elementarster Wucht endend) weil sich das Aller-Allerletzte . . . und Aller-Aller-Allereigentlichste . . . von uns aus . . . nicht mehr erreichen läßt?
Der Präsident der Sezession: (der nicht vor ihm wankt und weicht) Sie könn doch nich verlangn . . .
Hollrieder: (noch an der gleichen Stelle) Ich verlange, daß dieser Ausschnitt hier in Ihrer Sezession nicht das beste Bild ist!
Der Präsident der Sezession: (fast auf ihn eindringend) Det verlangn Se man! . . . (sich von ihm wegdrehend; erbittert) Det Kunst keene Natur is . . . (halb zu ihm zurück) wenn Se damit kommn, (bis hinter den Sitzblock) uff die Art könn wir natürlich alle inpackn! . . . (mitten hinterm Sitzblock; den Rücken gegen die Hinterwand; die zornig klugen Augen aufgebracht gegen den Plafond, den letzten Ingrimm aus sich rauspolternd) Da sind Sie der erste nich! . . . Dets n Thema, das s schon paa dausnd Jahre älter, als wir! (jetzt unwillkürlich wieder zu Beatrice, die von ihrem Platz aus die beiden sich fledernden Phönixhähne mit stärkster Anteilnahme und wechselndem Mienenspiel fast atemlos beobachtet hat) Man sollte wirklich jlooben, mancher Mensch (nochmal nach dem Ausschnitt) hätte in seinem Leben noch keenen Fliederboom jesehn!
Hollrieder: (der seinem Gegner zuerst noch »feindlich« nachgeblickt, dann bei dessen Worten »wenn Se da mit kommn« sich brüsk von ihm abgewandt und nach einem »vernichtenden« Blick auf sein Bild bis ganz in den Vordergrund rechts getreten war, von wo er mit dem Rücken gegen die beiden andern wütend vor sich in den ersten Raum starrte; mit einem Ruck nach ihm zurückgedreht) Würden Sie . . . ? . . . (Musmann wieder verschwunden).
Der Präsident der Sezession: (scharf nach ihm rüber) Wat ick würde, kommt hier nich in Frage! . . . Ick würde (zugleich nach dem Ausschnitt und dem Bilde hin) mir so ne Mottn erst jahnich in Kopp setzn! . . . (wieder, wie zu seiner »Hilfsfreundin«, zu Beatrice) Det n jemalter Baum keen jewachsner is . . . mein Jott!
Hollrieder: (nach dem Vorderraum halb wieder zurückgedreht, dabei Blicke nach Beatrice) Alles oder nichts! Nicht die Hand mehr rühr ich!
Der Präsident der Sezession: (mit der entsprechenden Geste nach dem Bild hin) Nachdem man Ihn jestern erst . . . ? . . .
Hollrieder: (ihn nicht anblickend) Bitte, sagen Sie jenem Herrn, ich nehme sein Gebot an!
Der Präsident der Sezession: (brüsk; dabei zornig ein paar Schritte nach rechts und wieder zurück) Det sagn Se ihm man alleene! . . .
Hollrieder: (sich nach links zu in Bewegung setzend; andrer, entsprechender Tonfall) Hat man sich zermürbt und gequält, hat man alles . . . alles hingegeben und geopfert, hat man nicht mal die geringsten Freuden gehabt . . . (ganz vorne links, beiden abgewandt, stehngeblieben).
Der Präsident der Sezession: (hinter seinem Sitzblock) Und det Verjnüjn, det Ihn Ihre Arbeit immer selbst jemacht hat? . . . Det zähln Se wohl nich?
Hollrieder. (wieder zurückgedreht und nach rechts; erbittertste Ironie) »Vergnügen«! . . . »Vergnügen«!! . . . Dieses beneidenswerte Gefühl, daß sich für einen Augenblick der Strick lockert, von dem man weiß, daß er einem schon im nächsten wieder . . . (vorn rechts stehngeblieben) die Kehle zudrücken wird!
Der Präsident der Sezession: (achselzuckend; Hände im gestreiften Beinkleid) Cha! . . . For umsonst wischt sich nich nachher jeder Hans . . . (schneller Blick nach Beatrice rüber; sich mit Rücksicht auf sie noch flink verbessernd) jeder Hans Dämlack de Neese an Ihn ab!
Hollrieder: (wieder nach links) Die sogenannte . . . »Entwicklung« weiterschieben! Sich das Gehirn . . . aus dem Schädel schinden! »Kunst«werke fabrizieren! (in der Mitte vorn stehngeblieben; einmaliges kurzes, grimmiges Auflachen) Hä! (dann sofort wieder weiter).
Der Präsident der Sezession: (wieder etwas nach rechts und zurück) Dazu sind wir doch noch jrade jut jenuch! . . . (von neuem halb zu Beatrice) Ich möchte wissn, wat der sonst wollte!
Hollrieder. (ganz links, scharf zu ihm umgedreht) Leben!! . . .
Der Präsident der Sezession: (um den Sitzblock herum auf ihn zu; einige Schritte vor ihm stehngeblieben) »Leben«?? . . . Sie?? Nachdem Se nu (nach dem Bild hin) uff diese Weise schon länger als zehn Jahre nischt jetan habn, als det Se in een wech mit m Kopp jejn de Wand jerannt sind? . . . (nach rechts) Lassen Se man? . . . (sich einen Moment nach ihm zurückdrehend und dann sofort weiter) Det könn Sie nich mehr, und det kann ick nich mehr! . . . Det habn wir überhaupt alle beede nie jekonnt!
Hollrieder: (noch an seinem Platz vorn links; ihm nachblickend; immer verbißner) Dann werde ich für meinen Teil es jetzt eben noch lernen!
Der Präsident der Sezession: (zorniger Lachlaut; von ganz rechts wieder nach links) Det versuchn Se man! . .. Witt n scheenet Jemiese wern! . . . Nee! . . . N kleen Piepvogl ham wir alle! Ick schon überhaupt! Aber so een . . . (erneut zu Beatrice, von der nicht unweit er stehnbleibt; sich dabei zerstreut nach der Tasche fühlend) Und meine Rede hab ich nu ooch bald zu haltn! . . . Wo isse dnn? . . . (das Manuskript wieder zurückgleiten lassend) Alles wat recht is, aber damit kann k mir nu nich länger mehr uffhaltn! . . . (nach einem letzten »väterlichen« Zornblick auf Hollrieder, zu Beatrice) Dem setzn Se man dn Kopp zurecht! . . . (ärgerlich durch den letzten Raum nach rechts ab).
Hollrieder: (nach einer kurzen Pause zu Beatrice, die sich noch nicht von der Stelle gerührt hat; mit gemachter Kälte, so sehr auch noch alles in ihm »kocht«) Falls Sie für Ihre Reise noch . . . Vorbereitungen zu treffen haben? Sie werden sich verspäten! . . .
Beatrice: (zwei kleine Schritte auf ihn zu; in der Stimme eine bei ihr seltsame Weichheit) So . . . wollen Sie, daß ich . . . von Ihnen gehe!
Hollrieder: (der sie nicht angeblickt hat; achselzuckend).
Beatrice: (im gleichen Tonfall) Warum sollten wir nicht wenigstens . . . als gute Freunde scheiden?
Hollrieder: (der vor sich in die Luft blickt) Gewiß! Warum nicht? . . . (Kopfbewegung nach ihr hin) Können wir ja!
Beatrice: (mit offnen, leicht erhobnen fast bettelnden Händen) Also nicht einmal das!
Hollrieder: (nach einem kurzen Blick auf sie; »kühl«) Nein.
Beatrice: (nach einer kleinen Pause; eindringlich) Ihr Werk hält alles . . . was Sie sich von ihm versprochen haben.
Hollrieder: (nach rechts an ihr vorbei; scheinbar zerstreut die übrigen Stücke musternd, sein eignes Bild immer vermeidend) So! . . . Hm! . . . Na ja! . . . Da schein ich mir ja dann also nicht allzuviel von ihm versprochen zu haben.
Beatrice: (nach einer erneuten kleinen Pause; Hollrieder rechts vorn stehngeblieben; Beatrice bis vor den Sitzblock; mit letztem Zureden) Sie haben sich . . . diese letzten drei Monate . . . zu sehr überarbeitet! Sie werden vielleicht schon morgen . . . oder doch wenigstens . . . hoffentlich in einigen Tagen . . .
Hollrieder: (halb nach ihr hingedreht) Interessiert Sie das noch?
Beatrice: (zögernd; halb schon wie ein Geständnis) Vielleicht . . . bin ich . . . mit schuld daran, daß Sie jetzt in dieser Verzweiflung sind.
Hollrieder: (wieder wie vorhin) »Verzweiflung«? . . . (sich auf den Ausschnitt zu, den er dabei anblickt, in Bewegung setzend) Ich habe mich nie wohler befunden!
Beatrice: (die ihm nachblickt, stumm).
Hollrieder: (scharf umbiegend und hinten um den Sitzblock herum) Es kann für jeden nur gesund sein, wenn er von seinen Illusionen geheilt wird! . . . (da Beatrice auch jetzt noch schweigt) Von seinen Illusionen über sich und . . . (links in der vorderen Linie des Sitzblocks stehngeblieben; mit einem Blick nach ihr; unwillkürlich die Stimme sinken lassend) über andre.
Beatrice: (nach einem letzten Zaudern; mit plötzlicher Entschlossenheit; trotzdem noch stockend; zu ihm hingewandt) Und wenn ich nun . . . bliebe?
Hollrieder: (steht starr und sieht sie an; schwer) Jetzt?? . . . Nach dieser . . . (zorniger Blick nach Ausschnitt und Bild hin) Niederlage?
Beatrice: (bestimmt) Ich bleibe.
Hollrieder: (wie vorhin) Sie . . . wollten . . . ? . . .
Beatrice: (fest) Ich bleibe!
Hollrieder: (nach einer kurzen Pause; wieder hinten um den Sitzblock rum nach rechts; bitter) Um den Gebrochnen zu trösten! Um den Geschundnen in Watte zu wickeln! Danke! . : . (nach Beatrice dabei nicht hinblickend) Ich kann . . . dieses Opfer nicht annehmen! . . . (ganz rechts wieder in der vorderen Linie des Sitzblocks stehngeblieben und nach ihr hin) Ich wills nicht!
Beatrice: (ihn voll anblickend) Es ist kein Opfer!
Hollrieder. (steht da und starrt sie, wie noch immer im Zweifel, groß an).
Beatrice: (von neuem) Und selbst . . . wenns eins wäre! . . . (den Blick zu Boden; etwas leiser) Da ich es Ihnen doch . . . bringen will?
Hollrieder: (nach einem letzten, kurzen Kampf mit sich; sie immer noch dabei ansehend; langsam) Ich stellte gestern . . . eine Frage an Sie . . . (im Türrahmen rechts wieder Musmann) Darf ich sie jetzt . . . wiederholen?
Beatrice: (seinem Blick ausweichend, wie in die Ferne zur Seite sehend) Ich habe Ihnen bereits . . . geantwortet.
Hollrieder: (stirnrunzelnd) Sie wollen mir das Geheimnis . . . das sich hinter Ihrer leidenschaftlichen Anklage gestern barg . . . nicht aufdecken?
Beatrice: (nach einer kurzen Pause; ihn offen anblickend; mit einem leichten, fast frohen Klang in der Stimme) Wozu? . . . Wir sind frei! Uns bindet beide nichts! . . . Und ich will nicht . . . daß wir diese Freiheit . . . jemals aufgeben!
Hollrieder: (einen kleinen Schritt zurückgetreten; wie mit sich im unklaren, ob er den Sinn ihrer Worte wirklich voll erfaßt und verstanden hat) Soll das . . . heißen . ..
Beatrice: (warm) Das soll heißen, Sie sollen sich an mich nicht gefesselt fühlen! Sie gehören nur sich und der Kunst!
Hollrieder: (kurzer, verzweifelter, höhnischer Lachlaut; mit einem erneuten Blick nach dem Ausschnitt).
Beatrice: (fest-überzeugt) So erbittert Sie sich jetzt auch von ihr abwenden . . . irgendwie . . . werden Sie wieder zu ihr zurückfinden! Ich will in Ihrem Leben . . . (die Stimme sinken lassend) nur eine Episode gewesen sein!
Hollrieder: (sie qualvoll anblickend; schwer; dunkel) Jener . . . Dinge wegen!
Beatrice: (einen Schritt auf ihn zu; flehend) Lassen Sie . . sie ruhn!
Hollrieder: (finster; wie bitter vor sich nickend).
Beatrice: (wieder von dem, was sie sagt, ganz durchdrungen) Klagte ich mich einer Schuld an . . . einer wahrhaften, wirklichen . . . vor mir . .. und meinem Gewissen . .. ich würde es Ihnen bekennen!
Hollrieder: (sie forschend anblickend).
Beatrice: (noch einen weiteren Schritt auf ihn zu; letzte Eindringlichkeit) Glauben Sie mir!
Hollrieder. (sich unwillkürlich etwas höher reckend; langsam; jedes Wort betont) Das ist . . . wahr?
Beatrice: (seinen Blick erwidernd) Ich währe Ihnen sonst überhaupt nie. . . unter die Augen getreten! Und ich hätte jetzt sicher nicht den Mut . ..
Hollrieder: (vor sich hinstarrend, die linke Hand vor der Stirn) Mir ist das alles . . .
Beatrice: (flehendst) Machen Sie es mir nicht so schwer! . . . Ich stehe ja hier und . . . bettle! . . . (wärmst; eindringlichst; seinen Blick suchend) Vielleicht ist nichts in der Welt . . . wert, daß man sich seinetwegen . . . um den Augenblick betrügt!
Hollrieder: (sich innerlich noch immer zornig dagegen zur Wehr setzend) Um den . . . Augenblick! . . .
Beatrice: (noch gesteigerter) Sie haben ihm noch nie . . . gelebt! . . . Sondern immer nur . . . jener fernen Zukunft . . . die dieses bißchen Gegenwart . . . mal so sehn soll . . . wie Sie gesehn haben!
Hollrieder: (sie wieder anblickend; schmerzlichst zerquält) Ich habe . . . überhaupt noch nicht . . . gelebt!
Beatrice: (fest) Sie werden Ihr Höchstes . . . nur erreichen . . . wenn Sie sich mal ganz . . . dem Augenblick geben!
Hollrieder: (nach einigen Sekunden, in seiner Stimme noch Schmerz und Qual) Dem . . . Augenblick! (von ihr nach dem Ausschnitt blickend; dann plötzlich hart; mit letztem Entschluß; sie wieder anblickend) Ja!! . . . (mit ausgestreckten Händen auf sie zu) Ja!! . . .
Beatrice: (seinen Hände ergreifend; mit heimlich zitterndem Jubel in der Stimme) Leben! Leben!! Alles übrige . . .
Hollrieder: (beide blicken sich in die Augen; zum erstenmal letzte, hellste Freude auch in seiner Stimme) Du hast . . . recht!
(Vorhang)