Arno Holz
Sonnenfinsternis
Arno Holz

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Url: (wieder etwas auf sie zu) So peinlich mir dieser Zwischenfall auch ist, und so äußerst Sie das vielleicht auch überraschen mag, aber ich muß Ihnen gestehn, ich war auf Ähnliches schon die ganzen Tage gefaßt. Da sein Atelier hier von diesem nur durch meine Kammer getrennt liegt, bin ich überzeugt, so oft Sie bisher den Korridor passierten . . .

La bella Cenci: Lauerte dieser edle Dritte in Ihrem Bunde hinter seinem Schlüsselloch. (nach vorn links zu) Ich Schaf! Und in dieser Höhle . . .

Url: (von ihrem scharf-erregten Ton wieder ganz betroffen; sich etwas verlegen zusammenreißend) Es bleibt mir nichts mehr übrig, als Sie um Entschuldigung zu bitten.

La bella Cenci: Wie kann nur Herr Hollrieder, dies Nonplusultrawesen, vor dem Sie ja fast knien . . . (mit einem nervösen Blick nach der Tür rechts; stehngeblieben) Mir ist diese Freundschaft ganz unverständlich!

Url: (beide jetzt im mittleren Vordergrund der Bühne) Sie existiert nicht mehr.

La bella Cenci: Aber sie hat doch mal existiert!

Url: Sogar leider bis zu dem Grade, daß ihr erstes Bild ein gemeinschaftliches war: »Kameraden«.

La bella Cenci: (dieses Bild unwillkürlich an den Wänden suchend).

Url: (der ihrem Blick gefolgt ist) Es ist ihm inzwischen . . . so tief zuwider geworden, daß er es längst . . . (leichte Kopfbewegung nach der Tür rechts, mit dem er schon jetzt, noch bevor er seinen Satz fortsetzt, andeuten will, daß sich das Bild drüben bei Musmann befindet).

La bella Cenci: Mag es jetzt hängen, wo es Lust hat, das erklärt mir noch nichts! (da Url noch zögert) Wenn Sie aber natürlich vorziehn . . .

Url: Nein. Ich sehe jetzt im Interesse meines Freundes keinen Grund mehr. Wenn Herr Hollrieder nicht der traurigen Überzeugung lebt, daß dieser arme Bedauernswerte, wie er ihn nennt und an dem er seit Jahr und Tag in jeder Weise gradezu alles getan, eigentlich nur noch pathologisch zu nehmen sei . . .

La bella Cenci: (die seiner Eröffnung mit gespannter Aufmerksamkeit gefolgt war) Und dann hat er ihn nicht schon längst von sich abgeschüttelt?

Url: Im Gegenteil. Je mehr sich für ihn die Anzeichen gehäuft haben, daß die Psychose seines früheren Schülers, Schützlings, oder wie Sie sonst wollen, sich immer deutlicher gegen ihn richtet . . .

La bella Cenci: Wie ist das nur möglich?

Url: Falle eine solche überhaupt vorhanden sein sollte . . . mit Naturnotwendigkeit. (auf ihr erneut fragendes Erstaunen) Er stand ihm am nächsten.

La bella Cenci: Dann ist nicht dieser »arme Bedauernswerte«, sondern Ihr Herr Hollrieder selbst der Narr.

Url: Bis zu einem gewissen Grade leider ja.

La bella Cenci: (wieder etwas rechts nach dem Tisch zu) Sein Leben mit solchem Ballast behängen! Wie kann man nur! Als ob nicht jeder . . . doch wahrhaftig schon grade immer genug mit sich allein zu tun hätte! . . . (sich umdrehend) Haben Sie denn gar keinen Einfluß auf ihn?

Url: (mit machtloser Geste) Ich habe mir mit all meinen gutgemeinten Warnungen bisher . . .

La bella Cenci: (wieder vor den Bildern links) Sie sagten vorhin »Steinmetz«. Wie ist das zu verstehn?

Url: (langsam zu ihr hin) Wie ich es sagte. Wörtlich. Der erste, der seine Begabung auch als Maler erkannte, und der ihm dann, rein materiell, seine frühsten Anfänge ebnete, war Herr Professor Lipsius. (La bella Cenci: plötzlich maßlos überrascht, starrt ihn groß an; Url: dem diese erneute Veränderung in ihrem Wesen auffällt, stehngeblieben) »Deutschlands größter lebender Bildhauer«. Man mag diese Einschätzung überschwenglich finden. Auch über den Menschen braucht man vielleicht nicht einig zu sein. Wenigstens nicht in jeder Beziehung. Der neidloseste Förderer alles Aufstrebenden, der nobelste, hilfreichste Kamerad und Gentleman speziell in diesem Falle steht außer allem Zweifel.

La bella Cenci: (die kaum auf ihn gehört hat; wieder auf die Bilder starrend) Seltsam. (kleine Pause; ihre Stimme hat nicht mehr ganz den selben Klang) Kommt Herr Professor . . . Lipsius manchmal her?

Url: Da ich als Gast meines Freundes erst seit dem ersten Weihnachtstag hier hause, kann ich Ihnen wirklich nicht . . . So viel ich weiß, weilt Herr Professor Lipsius jetzt in Italien.

La bella Cenci: Ja. Jetzt!

Url: (durch das Eigentümliche ihrer Replik etwas befremdet) Wenn ich nicht irre, schon seit Anfang Dezember. Er ist in einem besonderen Auftrage der Regierung für längere Zeit, ich glaube, nach Florenz gegangen.

La bella Cenci: Dieses Mitteilung brachte die ganze europäische Presse. Ich habe sie seinerzeit im »Tempo« gelesen. (scheinbar sehr für eins der Bilder interessiert) Trotzdem war der Herr Professor am Vierundzwanzigsten noch in Berlin.

Url: (überrascht) Sie kennen ihn?

La bella Cenci: Nein. Nur seine Werke. Die ich so abgeschmackt als möglich finde.

Url: Der Mann ist kein Rodin. Seiner ganzen Generation fehlte bei uns vielleicht das letzte original Schöpferische. Aber so viele jüngere ihm auch längst nachdrängen: er ist ganz zweifellos immer noch der verdienstvollste.

La bella Cenci: (noch immer ihm den Rücken drehend) Und der verlogenste! (mit scharfer Wendung wieder etwas nach dem Vordergrund links zu).

Url: (in dem ein aufsteigender Verdacht immer stärker wird) In diesem Punkt . . . muß ich Ihnen leider widersprechen. Ich erinnere Sie nur an die eine Gruppe: jene Jungfrau, noch fast Kind, die den Drachen tötet. Etwas im tiefsten Sinne Wahreres kann aus Marmor und Bronze nicht geschaffen werden.

La bella Cenci: (fast wider ihren Willen; stehngeblieben) Ich . . . hasse diese Gruppe.

Url: (unwillkürlich etwas zurückgetreten; nach kurzem Stutzen) Sie ist unter unsern neueren Skulpturen die einzige, für die ich wirkliche Verehrung hege. (diskret weitertastend) Das Stückchen Romantik, das sich an sie knüpft, ist Ihnen bekannt.

La bella Cenci: (ausweichend) »Romantik«?

Url: Das Modell zu jener Figur . . . deren Entstehung jetzt übrigens . . . ja, zehn Jahre zurückliegt . . . (La bella Cenci: fragender Blick) dies Modell . . . soll seine einzige Tochter gewesen sein.

La bella Cenci: (mit einem leicht irritierten Klang in der Stimme) Das ist doch nicht so sonderbar.

Url: Sie entlief ihm.

La bella Cenci: (kurz) Ah! . . . Das allerdings! . . . Kröte.

Url: Ich kann darüber wirklich nicht spotten. (sie voll anblickend) Die glänzend Begabte (La bella Cenci: unruhig) die an ihrem Vater zärtlich hing, soll von diesem abgöttisch geliebt worden sein. Sie war, wie man sich erzählt, in allem das vollkommene Ebenbild ihrer ganz jung verstorbenen Mutter.

La bella Cenci: (mit leis anklingender Erbitterung) Sie scheinen diesen Roman bis in alle Details zu kennen.

Url: Nur soweit mein Freund in ihn verstrickt ist.

La bella Cenci: (schnell) Ihr Freund? . . . (mit einem gleitenden, unwillkürlichen Blick über die Bilder) Herr Hollrieder? . . . Inwiefern?

Url: Er war damals noch nicht zwanzig. Er hatte seine Lehrzeit grade hinter sich und war eben als Hilfsarbeiter . . . Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß Herr Professor Lipsius bei seinen Riesenaufträgen . . .

La bella Cenci: Ich kanns mir denken.

Url: Er soll auch noch heute immer eine große Anzahl Leute beschäftigen. Die Ateliers lagen in einem alten Garten, der hinten ans Wasser stieß. Mein Freund hatte unter den vielen, zum Teil erst angefangenen Werken seine erste Nachtwache, und da alles um ihn still, und es nach einem außerordentlich heißen Julitag war, plötzlich die Absicht . . .

La bella Cenci: (mit einem scharfen, halb erschreckten, »vorbeugenden« Seitenblick zu ihm rüber) Sie werden sehr ausführlich.

Url: (der ihr Erschrecken bemerkt hat; um so bestimmt-ruhiger weiter) Es war lichter, heller Vollmond. Er stand . . . seiner Kleider grade entledigt, noch im Dunklen . . .

La bella Cenci: (von ihm abgewandt; ihn nervös unterbrechend) Lassen Sie. Ich weiß.

Url: (nach einer ganz kleinen Pause mit gemachtem Erstaunen) Sie . . . wissen?

La bella Cenci: (halb mit dem Versuch, das eben von ihr eigentlich ganz gegen ihren eigenen Willen Gesagte nachträglich zu vertuschen, halb als ob das, was sie jetzt vorbringt, das im Grunde genommen Allernatürlichste der Welt wäre) Gott, wie man von so etwas . . . hat läuten hören und es dann wieder . . . Ich entsinne mich. Jener mißglückte dumme, kindliche Ertränkungs- und Selbstmordversuch des Mädels, und wie sie dann am nächsten Morgen schon verschwunden war. (plötzlich andrer Tonfall; unterdrückte Heftigkeit; rechts vor ihm vorbeigehend) Nur daß allerdings nach der Version, die ich kenne, die wider ihren Willen Gerettete ihren Retter himmelhoch gebeten haben soll, über die Affäre reinen Mund zu halten! . . . (zu ihm zurückgedreht stehngeblieben) Was starren Sie mich so an? . . . Als ob Sie mich noch nie gesehn hätten! . . .

Url: (alles wieder »zudeckend«) Pardon.

La bella Cenci: Der Verschwiegenste scheint Ihr Herr Freund demnach nicht zu sein.

Url: Mein Freund, für den dieser Vorfall vielleicht der tiefste Eindruck seines Lebens geblieben ist . . .

La bella Cenci: (schnell; zwei Schritte auf ihn zu) Woher wissen Sie das? . . . Das wird er Ihnen doch kaum . . .

Url: (mit besonderer Betonung des Doppelsinns) Gewisse Dinge . . . errät man. (La bella Cenci: sich abwendend; Achselzucken) In keinem Falle würde er sein Wort gebrochen haben, wenn ihm nicht die grenzenlose Verzweiflung des unglücklichen Vaters bereits an jenem nächsten Morgen die Mitteilung des Erlebten einfach zur Pflicht gemacht hätte.

La bella Cenci: (nachdenklich) Also auf diese Weise! . . .

Url: Erst viel später ergab sich, daß die Verschwundne nicht, wie man zuerst angenommen, doch noch Hand an sich gelegt hatte, sondern entflohen war. (nach einem kurzen Stocken) Wie schwer der Vereinsamte unter diesem Geschick auch als Künstler gelitten . . .

La bella Cenci: (wieder vollständig gefaßt; nach dem Tisch zu in Bewegung) Lassen wir ihn. Das Mädel wird ihren Grund gehabt haben. Der Herr Papa interessiert mich nicht. (ihren Zigarettenrest in den Aschbecher werfend; wieder in ihrem Mantel vor dem Regal; die Finger auf den Tasten; den alten Claudiusschen Text rezitierend) »Gib deine Hand, du schön und zart Gebild! bin Freund und komme nicht zu strafen.« (wie abwesend auf die Tasten starrend; aufstehend und den Mantel wieder zurücklassend) Nein! Ich bin nicht mehr aufgelegt. Dieses lächerliche Intermezzo mit Ihrem Herrn Musmann hat mich ganz aus dem Konzept gebracht! . . . (sich abermals eine Zigarette nehmend) Beatrice, (sich die Zigarette anbrennend) die schöne Zigarettenfresserin!

Url: (ihr zugewendet; einen Schritt zurücktretend) »Bea . . . trice«?

La bella Cenci: Beatrice Cenci. Jawohl! . . . Sie sehn, ich paffe Ihren Herrn Freund noch ärmer, als Sies ohnehin schon alle beide sind.

Url: (sich zusammenruckend) Aber ich bitte.

La bella Cenci: (nervös auf ein andres Thema; wieder nach dem Regal zu) Wissen Sie auch, daß ich zu unserer ersten Kostümprobe heut meine arme Friseuse fast zwei Stunden lang gequält habe?

Url: (mit dem Versuch, darauf einzugehen) Dafür sieht man Ihrem Haar auch nicht mehr an . . .

La bella Cenci: Daß es gestern noch von sozusagen »strahlendstem Goldblond« war. (mit der Rechten über ihr Haar) Finger, die solche Probleme in fünfzehn Minuten erledigen, gibts doch eigentlich nur in Paris! . . . Überhaupt . . . Paris! . . . (plötzlich, unvermittelt) Ich hätte nie wieder hierher zurückkommen sollen!

Url: (unsicher einen Schritt zurück) Sie hätten . . .?

La bella Cenci: (ihn voll anblickend) Sagen Sie nichts! Fragen Sie nichts! Denken Sie bei sich, was Sie wollen, nur halten jetzt wenigstens Sie reinen Mund! . . . (auf ihn zu und ihm die Hand entgegenstreckend) Versprechen Sie mir das?

Url: (der ihr die Hand gegeben, seiner Bewegung Herr werdend) Ich verspreche es Ihnen.

La bella Cenci: (von Url, der ihr nachgeblickt, an die Fenstertür getreten; von ihm abgewandt hinausblickend; langsam) Gibts im Leben . . . überhaupt einen Zufall? (Url: nicht fähig, ihr zu antworten) . . . Seit Jahr und Tag bereits. Ich habs gewußt. Irgendwie . . . würde es wieder . . . auftauchen.

Url: (unwillkürlich etwas auf sie zu) Noch . . . steht es vielleicht in Ihrer Macht . . .

La bella Cenci: (sich wieder ins Zimmer drehend) Ich will nicht! Ich habe einmal A gesagt, ich werde jetzt auch B sagen! Ich muß mit dem . . . was hinter mir liegt . . . mal endlich und für alle Zeit fertig werden! . . . (wieder vor den Bildern links; andrer Tonfall) Wie sind Sie eigentlich miteinander bekannt geworden?

Url: (der ihrem inneren Kampf so lange teilnehmend gefolgt war; am Tisch) Wunderlicherweise durch das Medium Musmann.

La bella Cenci: der sich an Sie herangedrängt hatte. Verstehe.

Url: Der immer eifrigst auf seinen Ruhm Bedachte hatte sich mir gegenüber zwar stets als das Originalgenie aufgespielt, als ich dann aber zufällig . . .

La bella Cenci: (ihn unterbrechend; kopfschüttelnd vor einem der Bilder) Wie kann man als Mann nur solche Weiber malen! . . . Diese betrunkne Alte. Pfui!

Url: In diese betrunkne Alte . . . war er verliebt. (La bella Cenci: verständnislos) Wie Franz Hals in Hille Bobbe.

La bella Cenci: Scheußlich! Und diese entsetzlichen jungen Dinger hier! Das ist ja der Abschaum! Und die . . . »Jöhrenschaft«! Trostlos! . . . Und womöglich noch abschreckender als die Menschen, die Dinge!

Url: (ihr höflich nicht ganz zustimmend; kurzes »a«) Ja . . .

La bella Cenci: (den Blick nochmals über die Bilder schweifen lassend) Ich begreife nicht! Wie können Sie dieser peinigenden Häufung alles Abscheulichsten auch nur den geringsten Geschmack abgewinnen? . . . Sie, grade Sie, der Sie bisher in einer Welt gelebt hatten . . .

Url: (ruhig) In der man sich selbst betrügt. (mit den Augen nach den Bildern) So gewiß dies hier auch noch nicht das Aller letzte sein mag: es genügte, um mir die ganze Leere meiner bisherigen, steril nichtigen Scheinexistenz grausam unbarmherzig ins Bewußtsein zu rücken.

La bella Cenci: (die ihn kaum gehört hat; den Blick wieder auf den Bildern) Ich . . . fasse es gar nicht! . . . (wieder zu ihm hin) So mir unbegreifbar respektvoll Sie sich auch über alles dies vorhin äußerten – ich frage wirklich: Gibts denn das? (den Blick nochmals auf den Bildern) Soviel Häßlichkeit auf einem Fleck und diese Häßlichkeit immer variiert? Das ist doch gar nicht möglich!

Url: Er malt, was er sieht. Er ist der Entdecker unsrer Berliner Bannmeile. Und wie er seine Entdeckung büßen muß . . . zeigt sein Erfolg. Von seiner gesamten Produktion fehlt hier auch noch nicht ein einziges Stück.

La bella Cenci: (den Blick noch immer auf den Bildern) Kann ihm das denn aber . . . Freude machen?

Url: (hinter den Sessel rechts getreten) Ich habe einen Freudlosern noch nicht gesehn.

La bella Cenci: (hinterm Sessel links) Nein! So etwas ist keine Kunst mehr. Das ist kein Arbeitsraum, das ist eine Folterkammer! . . . Besitzen Sie eine neuere Photographie von ihm?

Url: (auf diese direkte Frage einen Moment nicht imstande, seine Betroffenheit zu verbergen; dann) Eine Photographie . . . dürfte von Herrn Hollrieder wohl überhaupt kaum . . . existieren.

La bella Cenci: (sich setzend) Schade! . . . Was stellt jenes erste Bild, von dem Sie vorhin andeuteten, daß es jetzt drüben hängt, dar?

Url: (das Bild sich in seinem Gedächtnis rekonstruierend) Zwei zerlumpte . . . jugendliche Arbeitslose, die mit geschnürtem Bündel auf Berlin zu wandern, im Schnee. Der eine . . . (sich ebenfalls setzend).

La bella Cenci: (stutzend und wie sich plötzlich an etwas erinnernd) »Der . . . ?« . . .

Url: Der eine, zu dem der (Kopfbewegung nach der Tür rechts rüber) damals noch verehrend zu ihm aufblickende »Gesunde« drüben ihm Modell gestanden hatte, bereits am Wegrand liegengeblieben und der andere, der die Züge . . .

La bella Cenci: (mit jetzt zuversichtlichster Bestimmtheit) Der die Züge von Herrn Hollrieder trägt!

Url: (bestätigend nickend und seinen Satz schließend) Um ihn bemüht und dabei wie nach Hilfe in die weite Ferne spähend, wo aus violetter, sinkender Dämmerung die erste, vorgeschobne Silhouette der Großstadt taucht.

La bella Cenci: (die jedem seiner Worte gespannt aufmerksamst gelauscht hat; mit fast aufgeregter Lebhaftigkeit) Das kenne ich! Er hatte mich seinerzeit . . . auf einer Reise . . .

Url: Es lag mal . . . schon vor Jahren . . .

La bella Cenci: (noch aus ihrem, eben von Url unterbrochenen Gedankengang) Ich weiß: es war in Brüssel!

Url: (seinen Satz endend) Als farbige Reproduktion einer Zeitschrift bei.

La bella Cenci: (nickend) »Kunst und Künstler«. Ja!

Url: Es hatte in Fachkreisen damals besonderes Aufsehen erregt, weil Schnee noch nie vordem so gemalt worden war.

La bella Cenci: (von neuem nach den Bildern) Allerdings. Einzelnes . . . (abermals vor ihnen; Url ebenfalls aufgestanden) wenn man sich Mühe gibt . . .

Url: (leicht achselzuckend-mißbilligend) »Mühe«?

La bella Cenci: Jedenfalls . . . alles Landschaftliche . . . und die Luft . . . alles mehr Milieuartige . . . immerhin! . . . Trotz alles Abstoßenden von einer Wahrheit . . .

Url: (ihr Urteil noch steigernd) Von einer Kraft und einem Können . . .

La bella Cenci: (über ihre letzten inneren Widerstände hinweg) In der Tat! Ich . . . muß Ihnen da . . .

Url: (mit letzter, ihr zuredender Bestimmtheit) Aber ganz und gar zweifellos und unleugbar!

La bella Cenci: (eins der Bilder ganz besonders musternd) Merkwürdig. (noch schärfer hinblickend) Je länger man . . . Erst jetzt sehe ich diesen . . . fabelhaften . . . direkt stupend gemalten . . .

Url: (durch ihren Beifall noch ermutigter) Regengrünnassen Baumstamm, der (dies Wort in dieser Situation gradezu mit Wonne rausbringend) hundsgewöhnlich und simpel glatt, durch den Bildrahmen brutal abgeschnitten . . .

La bella Cenci: (von seinem Enthusiasmus mit angesteckt, seinen begonnenen Satz aus tiefstem Verständnis beendend) Geradezu wie eine Art . . . symbolisch schreckhaft gespenstisches Wunderwesen wirkt!

Url: (triumphierend; mit einem gewissen, gerechten, leuchtenden Apostelstolz) Wo Sie auch . . . hinblicken!

La bella Cenci: (plötzlich wieder ganz unvermittelt; man fühlt, wie sie nun auch dem Künstler Hollrieder gegenüber ganz und gar umgeschlagen ist; erregt; fast hastig) Warum blieb er immer von unsern Stunden weg? Geniere ich ihn? Ist er denn gar nicht n bißchen neugierig? Hat er mich mal auf der Bühne gesehn?

Url: (durch dies wachsende Interesse von ihr, das sich immer deutlicher verrät, wieder beunruhigter) . . . Nein. Erstens . . . wissen Sie ja, gibt er, oder . .. muß er vielmehr selbst Unterricht geben und . . . dann . . .

La bella Cenci: Dann?

Url: Ja, wenn Sie . . . wie soll ich sagen, auf diesen . . . kleinen Verrat dringen . . .

La bella Cenci: Ich dringe darauf.

Url: (mit dem deutlichen Versuch, sie von ihrem Vorhaben, das er jetzt ahnt, zurückzuhalten) All zu besondern Respekt vor allem, was Weib heißt, hat er nun grade nicht.

La bella Cenci: Worin er im Gegensatz zu einem gewissen Jemand sehr recht hat. (mit plötzlichem Entschluß) Also riskieren wirs. (Url: zurückgezuckt. La bella Cenci: auf sein Mienenspiel, in dem das Gegenteil von Zustimmung zu lesen steht) Warum denn nicht? (bereits nach der Tür links gewandt) Ich kleide mich jetzt um und werde dann hier auf ihn warten.

Url: (der ihre Absicht noch immer nicht ganz fassen kann) Sie wollten . . . wirklich . . . ? . . .

La bella Cenci: (leicht zurückgewandt; scheinbar wie nebensächlich, aber dabei doch ganz bestimmt akzentuiert) Sie brauchen nach keiner Richtung hin irgendwie besorgt zu sein. Ich werde mich durchaus . . . (abbrechend; lächelnd) Ich muß mir doch mal endlich Ihren Herrn und Meister ansehn.

Url: (sich ihr fügend; machtlos) Er ist weder mein Herr . . . Gott sei Dank . . . noch leider . . . mein Meister.

La bella Cenci: (mit der Hand bereits den Vorhang hebend) Aber weh Ihnen, wenn ich nachher enttäuscht bin! . . .

Url: (steht da und starrt auf die Tür, hinter der sie verschwunden ist. Nach einer Weile; veränderte Stellung; ungefähr in der Mitte der Bühne; sich mit der Rechten über die Stirn fahrend; leise) »Beatrice«! . . . »Beatrice Cenci«! . . . (in innerem Grauen sich wie fremd im Raum umblickend) Der eigne . . . leibliche . . . Vater? . . .

La bella Cenci: (die die Tür hinterm Vorhang wieder geöffnet hat) Ach, bitte, den Mantel. (Url ihn ihr reichend; sie hat das Kleid bereits abgelegt, man sieht nur ihren nackten Arm) Nur drei ganz kleine Minuten!

Url: (Tür wieder zu; Url am Tisch von neuem in sich versunken. Schließlich vor dem Regal, gegen das er sich mit der Rechten stützt; sich dann langsam setzend; vor sich hinbrütend; den Ellbogen auf dem Regal, den Kopf in die Hand gestützt) Vorbei! . . . Für mich . . . vorbei! (die Hand sinken lassend; Kopf nach der Tür rechts; aufgestanden, immer noch mit dem Blick nach der Tür, unterdrückt-energisch) Nein! . . . er darf sie überhaupt . . . erst gar nicht sehn! . . . (sich langsam wieder setzend, mit gefalteten Händen zwischen den Knieen stumpf vor sich hin; nochmals aus noch ganz verständnislosem, aber tiefinnerstem Entsetzen) Der . . . eigne . . . Vater! . . . (plötzlich)  . . . (von draußen rechts her schwere, müde Schritte, die er nicht hört).


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