Arno Holz
Sonnenfinsternis
Arno Holz

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Erster Akt.

(Schon bevor der Vorhang hochgeht, ertönt auf einem Harmonium gespielt das Thema des zweiten Satzes aus dem Schubertschen D-Moll-Quartett:

Bei der Wiederholung des zweiten Teils, an der mit einem Kreuz bezeichneten Stelle, teilt sich langsam der Vorhang. An der mit einem Doppelkreuz bezeichneten Stelle ist er voll auseinander gegangen. Die Bühne stellt ein hohes, geräumiges Atelier dar. Die Hinterwand wird fast ganz von einem einzigen, etwas hoch ansetzenden, dreiteiligen, flachbogigen, großscheibigen Fenster eingenommen. Und zwar haben dessen Seitenteile der Breite nach je drei, der Mittelteil vier Fensterfelder. In der Mitte des Mittelteils führt eine Tür, die mit ihren Scheiben die Breite von zwei Fensterfeldern einnimmt, auf einen langen, aber nur schmalen Balkon, der mit seiner flachen, niederen Eisenbrüstung fast über die ganze Bühne verläuft. Rechts und links dieses Fensters zwei bis auf den Boden reichende, naturleinene Lichtvorhänge, mit denen das Ganze beliebig von der Seite abgedeckt werden kann. Außerdem, den drei Fensterteilen entsprechend, drei weitere solcher Vorhänge, durch die das etwa unterste Drittel noch besonders abdeckbar ist. In den beiden Seitenwänden je eine Tür. Die Tür in der Seitenwand links mehr dem Fenster zu, die in der Seitenwand rechts mehr nach dem Zuschauerraum. Die Tür rechts öffnet sich nach dem Zuschauerraum, vor der Tür links hängt ein tiefweinroter Friesvorhang, der nach dem Zuschauerraum hin zur Seite geschoben werden kann. Hinter diesem Friesvorhang erst ein tieferes Türgerüst. Die Türen, wie das Fenstergerüst, schwarz. Um den ganzen Raum läuft ein dreieinhalb Meter hoher, steingrauer Paneelanstrich. Darüber die Wände und die Decke weißlich. Die Wände mit gerahmten Bildern bedeckt, die ausnahmslos Berliner Milieus darstellen. Der Boden fast ganz von einem echten, vielfarbig prächtigen Tierteppich eingenommen. An der Seitenwand recht vor einer Chaiselongue mit ebenfalls tiefweinroter Decke ein halb eingebauter, schwarzer, brennender Gasofen, mit dem unterhalb des Fensters rechts und links der Tür eine steingrau gestrichene Warmwasserheizung korrespondiert. Am Kopfende dieser Chaiselongue nach dem Fenster zu eine leere Staffelei, hinter der mit den Rückseiten nach dem Zuschauerraum ungerahmte Bilder lehnen, Rollen stehen usw. Etwas nach der Hinterwand links auf geschweiften Beinen ein großer, schöner, runder Tisch mit allerhand Malutensilien und Rauchzeug, um den, die Polster wieder tiefweinrot, zwei entsprechende Sessel. Auf der Mitte des Tisches ein mächtiger, silberner, siebenarmiger Rokokoleuchter mit gelben Wachskerzen in roten Schutzschirmen. An der Seitenwand links, ganz nach vorn, ein kostbar geschnitztes, altgotisches Regal mit einer von rotem Tuch überspannten Hockergondel davor im gleichen Stil. Über der Chaiselongue ein kunstvoll gearbeitetes, japanisches Wandschränkchen. Zwischen dem Regal und der friesverhangenen Tür zwei hohe, altchinesische Vasen. Mehr nach dem Fenster zu, zwischen Tisch und Chaiselongue, auf einem holzskulpturierten, sechseckigen Untersatz ein großer, bunt emaillierter Bronzekranich. Vor dem Regal, in der Tracht und Frisur der heiligen Cäcilie auf dem van Eyckschen Altarflügel, das Haar prachtvollstes venetianisches Rot, La bella Cenci. Auf der vorderen Ecke der Chaiselongue, ganz versunken, Url – schlank; bartlos; edles, harmonisches, feindurchgeistigtes Cherubsgesicht; kurzes, apollinisch gelocktes Kastanienhaar; langer, leicht glockenförmig geschnittener Tuchrock aus allertiefstem Violenblau; Hose aus dem gleichen Stoff, dunkle, künstlerische, ziemlich hochgehende Seidenweste; geschmackvolles, selbstgebundenes, von einer Nadel mit einer einzigen schwarzen Perle zusammengehaltenes Plastron unter einem Umlegestehkragen und dünne, feinstgliedrige, um den Hals getragene Golduhrkette. – Durch das große Fenster im Hintergrund, mit verschneiten Dächern, ein weit ausgebreitetes Panorama Berlins. Noch helles Nachmittagslicht.)

La bella Cenci: (während der Vorhang aufgeht und die Melodie immer lichter wird, in ihrer Pose aus dunkler Schwermut sich bis zu aufgelöster Ekstase steigernd. Nachdem die letzten Töne verklungen, die Hände noch auf den Tasten) Nun? . . . Sitzen jetzt die sechzig Takte? . . . Und meine Pose? . . . Nochmal? . . . (sich halb nach Url wendend) Oder sind Sie schon zu müde? (Url: aus seiner Versunkenheit erwachend; er findet noch keine Worte; irritierte Bewegung, als ob ihm der Halskragen zu eng wäre; rechte Hand nach der Schläfe, La bella Cenci: auf ihrem Hocker jetzt ganz nach ihm umgedreht) Wo . . . waren Sie wieder? Überhaupt: was ist Ihnen heute?

Url: (schwer) Ich hätte . . . am vierundzwanzigsten Dezember . . . nicht durch die Leipziger Straße gehen sollen.

La bella Cenci: (im ersten Moment noch ganz perplex) Sie . . . hätten . . .? Ach, so! Jaja! . . . (mit dem Hocker sich ganz nach ihm hindrehend) Bin ich mal wieder n Bähschäfchen! Mit andern Worten: Sie wünschten, Sie hätten mich nie gesehn!

Url: (zögernd-schwankend) Ja und . . .

La bella Cenci: (aus seiner »Seele«) »Nein!« (leicht mokant) Delphisch-mystisch wie immer!

Url: (sich zusammenraffend) Also denn . . .

La bella Cenci: (ihm zuvorkommend) »Ja!«

Url: (energisch nickend) Ja!

La bella Cenci: (leis pikiert) Soso! Hmhm!

Url: (leicht abwehrend) Sie . . . dürfen das nicht . . .

La bella Cenci: (fast wegwerfend-achselzuckend) Kostbar! . . . Sie sind ein seltsamer Heiliger!

Url: (gequält vor sich hin, die Linke aufs Knie, die Hand vor der Stirn) Wenn ich mir jenen . . . sonderbaren . . . Moment . . . unserer damaligen Begegnung . . . so nochmal . . .

La bella Cenci: (überlegen-spitzspöttisch) Gut. Also rekapitulieren wir! (mit einer gewissen liebenswürdigen Unbarmherzigkeit ihn aufziehend, um sich an ihm zu »rächen«) Ein junger . . . offenbar den wohlhabenderen Ständen der Bevölkerung angehörender . . . besser gekleideter Herr . . . der seinen Zwanzigtausendmarkpelz . . .

Url: (von diesem »Zwanzigtausendmarkpelz« etwas unbehaglich berührt) In . . .

La bella Cenci: (noch unterstrichen betonter) Der in seinem Zwanzigtausendmarkpelz . . .

Url: (in seiner sitzenden Stellung sich aufrichtend, ihrer Kandare sich fügend, in ihrem begonnenen Satz gelassen-ruhig weiter) Und . . . mitten im dicksten Weihnachtstrubel . . .

La bella Cenci: Ganz versunken . . . vor dem großen Spielzeugschaufenster von Wertheim stand. Dazu . . . eine nicht . . . minder noch junge Dame . . . die neben ihm plötzlich . . . (fast dämonisch-boshaft triumphierend) »Drehn Sie sich nicht um! Reichen Sie mir Ihren Arm! Führen Sie mich zu einer Droschke!«

Url: (von ihrer detaillierten Erinnerung, fast wie gegen seinen Willen, »gepackt«) Ihre ersten . . .

La bella Cenci: (noch triumphierender) Worte! Nicht wahr? Die ruckten Sie nicht schlecht zusammen? Sie etwas war Ihnen noch nie passiert! (letzter »Hieb«) Is ja auch!

Url: (noch ganz vorwurfsvoll schmerzlich) Sie rissen mich an jenem Abend . . . aus einer Stimmung . . .

La bella Cenci: (in ihrem grausamen Katz-und-Maus-Spiel nicht nachlassend) An unserm Tischchen bei Borchardt habe ich nichts davon bemerkt!

Url: Wenn ich es auch . . . selbstverständlich . . . für meine Pflicht hielt . . .

La bella Cenci: (ihn lebhaft unterbrechend) Oh! Nicht nur das! Von dem Moment ab, wo ich mich Ihnen als der berühmte, international weltgefeierte, sagen wir . . . »Stern von Paramaribo« entpuppt hatte, waren Sie von einer Amüsantheit . . . von einer Liebenswürdigkeit, und . . . (Url: leis abwehrend gequälte Geste) aber ganz unbedingt, ja!

Url: (leicht zustimmend, ironisch) Zweifellos!

La bella Cenci: (noch in ihrem selben Satz schnell weiter) Und . . . versteht sich, bei aller gesitteten Wohlerzogenheit, dir für mich noch immer eine Art Gloriole um Ihr Haupt webt . . . von einer Laune, daß ich die instinktive Sicherheit, mit der ich meine schnelle Wahl getroffen, im stillen selbst bestaunte!

Url: (von ihrem Ton angesteckt) Und als ich dann noch gar auf mein kleines Hottehüh-Steckenpferdchen geklettert war, »die moderne Wiedererweckung des antiken Mimodrams« . . .

La bella Cenci: (ihn unterbrechend; in seinem Satz weiter) Von dem herab Sie mir, und zwar in blühendsten Tintorettofarben, diese Sensationsnummer für meinen nächsten Winter improvisierten, jawohl . . .

Url: Da blendete ich Sie durch einen »Geist« . . .

La bella Cenci: (zustimmend; in seinem Satz, wie vorhin, weiter) Kaptivierten Sie mich durch einen souveränen Übermut, funkelten Sie von einem Temperament . . .

Url: (erst jetzt seinen Satz schließend) Kein Prestidigitateur hätte spielender Chrysanthemen aus seiner Manschette in die Soffitten schleudern und immer wieder zurückfangen können, als ich damals . . . meine spirituellen Einfälle!

La bella Cenci: Gewiß! Mit allen diese Vorzügen, und wenn Sie sie jetzt auch nachträglich noch so sehr selbst verspotten, waren Sie damals behaftet! . . . Seitdem freilich, ich kann Ihnen das ja ruhig sagen, sind Sie zu mir fast nur noch . . . von einer wachsenden Wunderlichkeit!

Url: (ausweichend gequält) Wenn ich Ihnen diese ganze Zeit über wie ein verschrobener Sonderling . . .

La bella Cenci: Pardon! . . . Nicht erst »diese ganze Zeit über«. Ihre Absonderlichkeit setzte bereits ein, als ich Sie mir nach unsrer zweiten Veuve extra dry über das rote Seidenschirmchen hinweg aufs Korn nahm und dann plötzlich mit meiner Attacke überrumpelte, mir Ihre so keck sich steigernden Phantasien . . . (bei jedem neuen Wort dessen betreffenden Inhalt durch Haltung und Ausdruck unwillkürlich leicht symbolisierend) Venus Coelestica, Venus Genetrix, Venus Nutrix, Venus Perversa, Venus Dolorosa, Venus Ultrix, Venus Pandemos . . . doch allerhöchst-eigenhändig selbst einzustudieren! In dem Augenblick zogen Sie ein Gesicht, einen »Flunsch« . . . na! . . . So schnell, weltmännisch gefaßt, Sie sich auch werden aufrappelten; Sie merktens ja: auch mir war der ganze Brei verhagelt! Daß ich mich über meinen Vorschlag mit Ihnen schließlich trotzdem einte, war nur noch . . . rein äußerlich! Sie . . . »wurden« nicht mehr, und ich . . . hatte auch meinen Teil! Wir schieden und waren wohl beide überzeugt, daß sich unsere Wege zum zweitenmal . . . nicht mehr kreuzen würden!

Url: (der unter ihren Worten fast physisch gelitten; gequält) Sie . . . ahnten ja nicht . . .

La bella Cenci: (grausam; fast höhnisch) Was Sie . . . in dieser Sekunde . . . gelitten!

Url: (sie vollst anblickend; letzt schmerzlichst) Nein! Das . . . wissen Sie auch noch nicht!

La bella Cenci: (durch seinen Ton unwillkürlich berührt, jetzt etwas einlenkend) Ich bitte Sie! Wenn ich . . . als »Mädchen an sich« auch nicht Psychologie studiert habe – so viel »seelisches Einfühlungsvermögen« dürften Sie mir schon zutrauen: daß Sie mir über das Verzweifelte Ihrer Lage nicht gleich reinen Wein eingeschenkt hatten . . .

Url: (ganz überrascht betroffen) Sie scheinen . . . anzunehmen . . .

La bella Cenci: (ihm schnell ins Wort; immer wärmer begütigend) Aber nichts war verzeihlicher! Ich begriff und verstand Sie sofort und vollkommen, als am übernächsten Vormittag statt Ihrer Ihr Brief kam.

Url: (der ihr ganz starr zugehört) Mein . . .? (wie in plötzlich halbem Begreifen; die Augen noch auf sie geheftet, unwillkürlich) Ja!

La bella Cenci: (noch begütigend wärmer als vorhin; zuletzt mit einem Blick durch den Raum) Wem ein so schwerer Schicksalsschlag nicht einmal mehr die eignen vier Wände gelassen, wenn Ihnen auch noch dies Asyl hier bei Ihrem Freund geblieben war . . .

Url: (der ihrem Blick unwillkürlich gefolgt war) Bei . . .

La bella Cenci: Wirklich! Sie sollten sich über eine solche mehr als Entschuldbarkeit nicht noch nachträglich so . . .

Url: (sich mit der Linken, als ob ihm endlich etwas wie ein Verständnis dämmerte, vor die Stirn fassend) Erst jetzt wird mir klar!

La bella Cenci: Um Gottes willen, was denn?

Url: (ausbrechend) Ich in meiner unglückseligen Verzwicktheit, nie an die gerade allereinfachsten Selbstverständlichkeiten zu denken! Sie mußten ja zu dieser für mich so beschämenden Auffassung gelangen!

La bella Cenci: (jetzt fast ebenso ratlos wie vorhin) Auch jetzt noch, ich . . .

Url: (immer erregter) Ein Mensch, der sich prahlerisch mit einer Existenz brüstet, die er schon längst nicht mehr . . . führt, und der sich dann auf solchem verdrehten Schwindel ertappt sah . . . Ein mich noch peinigenderes Mißverständnis . . .

La bella Cenci: (der seine Erklärungen immer rätselhafter geworden, fast angstvoll) Ja, wie denn? Sie . . . schrieben mir doch! (anderer Tonfall) Ihr so glücklich weltabgekehrt einziges, nur von Ihrem ehrwürdig silberhaarigen Turteltäubchen-Dienerehepaar »Philemon und Baucis« rührend unsichtbar betreutes, sonderbares Grandseigneurtum, in das ich mich schon beinahe halb wie verliebt hatte, existierte nicht mehr, Sie (wieder Blick durch den Raum) seien hier nur noch . . .

Url: (der ihrem Blick wieder gefolgt war) Haben Sie sich von mir . . .

La bella Cenci: (mit dem Wunsch, ihrem offenbar gegenseitigen Mißverstehen endlich ein Ende zu machen; anderer Tonfall; fast scharf) Wollen Sie mir nun, bitte . . . volle Aufklärung geben?

Url: (mit dem Versuch, seine Erregung so sehr als möglich zu dämpfen; die hauptsächlichsten Worte prononciert betont) Der Fallit meines Vetters Brockenhusen, der Verlust unseres ganzen altererbten Familienvermögens, lag an jenem Abend allerdings . . . schon wochenlang hinter mir! (La bella Cenci: noch ratloser) Aber noch nicht eine Stunde . . . bevor Sie dann so plötzlich . . . verschleiert neben mir standen . . . hatte mir . . . (wieder, wie vorhin, Blick durch den Raum) Herr Hollrieder . . .

La bella Cenci: (die seinem Blick wieder gefolgt war) Herr . . .

Url: (noch nachdrücklicher) Herr Hollrieder . . . der einzige Mensch, der sich meiner angenommen, obgleich er mich damals noch kaum kannte . . . die niederschmetternde Nachricht bringen müssen . . . alle seine Bemühungen, mir wenigstens zu einem leidlichen Arrangement zu verhelfen, seien endgültig gescheitert! (in gerechter Selbstverteidigung) Durch mein Haus mit seinen Sammlungen, durch erhebliche Liegenschaften noch von meinem Großvater her, durch allerhand beträchtliche Außenstände, die sich dann . . . als illusorisch erwiesen, glaubte ich ganz bestimmt und mit gutem Fug und Recht hoffen zu dürfen . . . (sich plötzlich selbst unterbrechend und das letzte zusammenfassende Fazit ziehend) Ich hatte die lächerliche Höhe der Verpflichtungen, die ich in meiner . . . totalen Hilflosigkeit allem Geschäftlichen gegenüber zum Teil auch noch für ganz Wildfremde übernommen hatte, gar nicht übersehn!

La bella Cenci: (die ihm mit steigender Überraschung zugehört und sich nun vor einem neuen, ihr um so tieferen Rätsel sehend) Und nach einem . . . derartigen Debakel . . . sofort hinterher . . .

Url: (immer verinnerlicht-suggestiver, zuletzt ihr sein volles Geständnis ablegend) Daß ich Ihren . . . drängenden Worten . . . gleich so willenlos gefolgt war . . . steht in meiner Erinnerung . . . immer noch wie ein Rätsel! Nach einer Verzweiflung, deren Abgründigkeit Sie jetzt . . . vielleicht ermessen werden . . . nach einem innern Niederbruch sondergleichen . . . in einem Zustand und einer Verfassung ohne jedes Hoffen mehr . . . war unser Beisammensein . . . so kurz und flüchtig es dauerte . . . mir als der letzte Rausch erschienen, den mir das Leben . . . noch hatte schenken wollen! . . .

La bella Cenci: (nach einer kleinen, unwillkürlichen Pause; den Kopf etwas zurück, die Augen halb geschlossen; gepackt, das letzte Wort fast flüsternd) Also auf diesem . . . Untergrunde!

Url: (ausholend; von neuem) Ich hatte meinem (wieder Blick durch den Raum) Freunde . . .

La bella Cenci: (die seinem Blick wieder gefolgt war; ganz verständnislos). . .?

Url: Er mußte wohl gemerkt haben . . . wie es mit mir stand. Seine rauhe Außenseite . . .

La bella Cenci: (aus ihrer halben Erstarrung wie erwacht; wieder unwillkürlicher Blick nach den Bildern; sich innerlich empörend) Seine . . . Selbst da noch? In einem   solchen Moment?

Url: (in dem Gefühl, falsch oder wenigstens nicht ganz richtig begonnen zu haben) Nein. Ich hatte mir von ihm . . . eine ganz falsche Vorstellung gebildet! (allmählich immer wärmer und eifriger) Hinter dem erbitterten Kunsteifer, vor dem ich bis dahin eigentlich immer etwas . . . wie Scheu empfunden, ja dessen, wie mir damals noch schien, denn doch vielleicht zu übertriebener Wirklichkeitsfanatismus mich oft . . . geradezu von ihm abgestoßen hatte, spürte ich jetzt . . . zum erstenmal . . . den lebendigen Menschen: jene verstehendste Psyche jedes wahrhaft Schaffenden, die ich an ihm deutlich schon längst hätte bemerken müssen, wenn ich nicht durch die wiederholt schiefen Charakteristiken . . .

La bella Cenci: (reserviert abwartend) Hm?

Url: (leichte, verdeutlichende Geste nach der Tür rechts; in seinem Satz weiter) Eines interessierten Dritten . . .

La bella Cenci: (die seinen Blick und seine Bewegung verstanden; zweite Silbe kurz) Aha! (leicht ironisch-anklagend; jetzt ebenfalls Blick nach der Tür rechts) Der Herr Nachbar! Ich verstehe.

Url: (der ihr durch melancholisch-schmerzliches Nicken bedauernd beigepflichtet; von neuem in seinem Aufklärungsbericht weiter) Um mich zu trösten . . . wie ich wohl fühlte . . . offenbarte er mir: seine mürrische Verschlossenheit, seine schroffe Härte, die ihn . . . seit Monaten schon . . . von jedem Verkehr mit anderen so gut wie isoliert hatte . . . sie nur noch . . . mühsame Maske! Es sähe in ihm . . . wahrscheinlich noch schlimmer aus . . . als in mir! Nach länger als zehnjährigem Ringen . . . sei er mit seinem Glauben nicht bloß an sich, sondern auch an seine Kunst selbst . . . zusammengebrochen! Aber das Leben . . .

La bella Cenci: (ihn hart unterbrechend) Sehr vernünftig! . . . (anderer Tonfall) Wie grauenhaft muß man mit allem fertig sein, um . . . (abbrechend, wie in einer unwillkürlichen Rückerinnerung).

Url: (der auf ihre sonderbare Erregung, in diesem Augenblick zu sehr mit sich selbst beschäftigt, gar nicht geachtet) Und er überzeugte mich so, er suggerierte mir seine zähe Widerstandskraft derartig, daß ich ihm aus freiem Antrieb . . . das feierliche Versprechen gab, das heilige Ehrenwort . . .

La bella Cenci: (die ihm, immer erregter, zugehört; fessellos grausam, in extremster Verdammung) Und dieses »feierliche Versprechen«, dieses »heilige Ehrenwort«, würden Sie dann also noch an dem selben Abend gebrochen haben . . .

Url: (fanatisch; in ihrem Satz wie parenthetisch) Ohne jedes Gewissen!

La bella Cenci: (jetzt, trotz ihrer ihm eben noch erst so elementar-schonungslos ins Gesicht geschleuderten Verurteilung, fast triumphierend) Wenn jener noch nicht sechzigste Teil einer Minute Sie nicht jäh daran erinnert hätte, daß es für Sie inzwischen . . .

Url: (in ihren Satz einfallend und ihn schließend; sich rückhaltlos offenbarend) Dazu schon zu spät geworden war! . . . (La bella Cenci: aufgestanden und in den Raum links vom Tisch hin. Url: ihr nachblickend) Ja!

La bella Cenci: (nach kurzer Pause zu ihm zurückgekehrt; scharf; fast zornig) Warum erzählen Sie mir das jetzt? Weshalb haben Sie mir das damals nicht sofort a tempo gesagt?

Url: (zurückgestutzt, aufgestanden, sie groß anblickend) Ich habe nicht . . . gewußt . . .

La bella Cenci: (heftig; seinen Blick sprühend erwidernd) Was Sie sich und mir dadurch verbutterten! (zu den Bildern tretend und ihm den Rücken drehend).

Url: (ganz perplex konsterniert) Hätte ich . . . auch nur im geringsten . . .

La bella Cenci: (abwehrend eisig; nervös nach den Bildern) Bitte! Für künstliche Wiederbelebungsversuche bin ich nicht!

Url: (der sich immer noch nicht gefaßt hat; noch gesteigerter) Hätte ich geahnt . . . (sich, ganz ermattet, wieder setzend).

La bella Cenci: (wie vorhin; ohne ihn anzublicken) Trösten Sie sich! Es ist auch möglich, daß mir das alles nur so in der Erinnerung scheint! Sie waren damals anders, und ich war anders!

Url: (aus schwerstem Ringen) Um so schmerzlicher für mich . . . die Gewißheit . . . daß ich zu jenem befreienden Entschluß . . . (unwillkürlich nach dem auf dem Hocker liegengebliebnen Mantel von ihr und dem Regal rüber) nun nie wieder den Mut finden werde!

La bella Cenci: (von ihrer Betrachtung der Bilder wieder einen kurzen Moment halb nach ihm zurück) Sie sind . . . ein Mann! (Url unter ihrem Wort leicht zusammengezuckt) . . . Da scheint mir Ihr Freund . . . (nach ihm voll zurückgedreht) Sie sollten dem Leben mehr die Zähne zeigen!

Url: (bitterst; gegen ihre maßlose Grausamkeit, im tiefsten Herzen verwundet, in ohnmächtiger Wehr) Wo ich doch eben noch erst . . . bedauerte . . . daß ich damals nicht schon sofort . . .

La bella Cenci: (scharf; fast verächtlich; wieder von ihm weggedreht) Sie reden vom Tod, wie n kleines Mädchen von einem verpaßten Tanzvergnügen!

Url: (noch gesteigerter als vorhin; fast in letzter Verzweiflung) Wozu ich . . . nach allem . . .

La bella Cenci: Mein Gott (sich vom Tisch eine Zigarette ansteckend) nun blasen Sie doch nicht wieder auf ihrer alten Verzweiflungsflöte! Über irgend etwas in seinem Leben muß jeder weg! Sie können doch nicht ewig Ihren futschikato gegangenen Kupons nachweinen!

Url: Es ist nicht das Geld, dem ich nachtraure.

La bella Cenci: (sich in den Sessel links plazierend und eifrig mit ihrer Zigarette beschäftigt) Sondern der hohe, edle, stolze, drolligerweise nie von dem geringsten Gasflämmchen oder gar elektrischen Fadenglühlämpchen profan erleuchtete, immer nur stil- und stimmungsvoll von Ihren (leichte, ironische Bewegung nach dem jetzt letzten dieser »Mohikaner«) vierundzwanzig silbernen, siebenarmigen, echten Rokokoleuchtern feenhaft durchstrahlte, anachoretisch einsame . . . sagen wir »Elfenbeinturm« (entsprechende Geste nach dem Fußbelag) mit uralt ehrwürdigen Perser-Tierteppichen, den Sie sich dafür gebaut hatten! Als letztes Geheimsymbol der ganzen Herrlichkeit (Kopfbewegung nach dem kleinen Japanschränkchen über der Chaiselongue) Ihre Giftsammlung und hinter einem Florentiner Brokatvorhang als Allerheiligstes Ihre verflossne Geliebte, die Mona Lisa! . . . Als ob ich das nicht alles längst auswendig wüßte! (Url: leicht hilflos-abwehrende Geste) Andere Leute müssen sich doch auch ihr Brot verdienen! Glauben Sie, ich produziere mich Abend für Abend zum Vergnügen vor einem Parkett in Zylindern als Trikotschönheit? Päh? . . .

Url: Wer von früh auf, wie ich, immer bloß in seinem vergoldeten Käfig gesessen, mit instinktivem Grauen vor jeder Wirklichkeit . . .

La bella Cenci: Erlauben Sie, wer hat Ihnen denn anvertraut, daß ich nicht auch mal in einem solchen gesessen? . . . Sie können das doch gar nicht wissen!

Url: (langsam wieder aufstehend) Sie . . . sagen es mir jetzt.

La bella Cenci: Ich sage gar nichts. Ich sage nur . . . daß Sie nicht so ein (ebenfalls aufstehend) Troddelmops sein sollen. (Url, der unter ihrem Wort fast wie unter einem körperlichen Schmerz gelitten, nach dem Fenster zu gegangen) Na ja, wenn Sie einen . . . nervös machen. Ein bißchen mehr Hoppsassa hinter der linken Brusttasche, und einem Intellekt wie Ihrem . . . (abbrechend und sich nach rechts in den Vordergrund der Bühne in Bewegung setzend) Vielleicht hat Ihnen Ihr verewigter Herr Vetter mit seinem glorreichen Bankkrach sogar noch den allergrößten Dienst erwiesen! Allein dies eine Programm, das Sie mir geschenkt haben! (Url: leicht abwehrende Bewegung; La bella Cenci, vorn in der Mitte der Bühne, stehngeblieben) Jawohl. Geschenkt. Bar geschenkt. Ein neuer Trick ein neuer Hunderttausendmarkschein. Mindestens! Es kann auch das Vier- oder Fünffache werden! Erst jetzt sollte das eigentliche Leben für Sie beginnen!

Url: Und statt dessen . . . (La bella Cenci: nervös ungeduldig; Url: sich schmerzlich zurück im Raum umsehend) drücke ich mich hier bei meinem Freunde rum. Bei einem Menschen, der selbst nichts hat!

La bella Cenci: (wieder nach links) Ich habs Ihnen doch angeboten! Ich brauche eine Kraft! Um Ihre eigne Idee zu lanzieren! Wenn Sie Ihr nicht helfen, und zwar permanent weiterhelfen wollen, wie Sie mir schon bei diesem ersten Anfang geholfen: aus sich selbst wird sich die »moderne Wiedererweckung« Ihres »antiken Mimodrams« nicht in die Welt setzen! Oder geniert Sie das? »Impresario einer Brettl-Diva«? Einigen wir uns auf »Sekretär«, und die Sache verliert vielleicht ihren Beigeschmack.

Url: (noch ganz entschlußlos; mit der Rechten zaudernd am Kranich rumstreichend) Gönnen Sie mir . . . noch einige Bedenkzeit.

La bella Cenci: Wenn Sie glauben, daß Ihre Situation sich dadurch ändern wird . . . (nach den Vasen hin) Die paar Trümmer, die Sie noch gerettet haben, halten Sie bis an Ihr Lebens ende nicht über Wasser. Besonders, wenn Sie Ihr generöses Wirtschaftssystem jetzt noch fortsetzen und alles zum Fenster hinauswerfen. Entweder ich übernehme (in der Nähe des Regals) Ihr selten prächtiges, vollendet kunstvoll umgebautes Lieblingsinstrument zu seinem vollen Wert, oder Sie behalten den alten Kasten (auf die Tür links zu) Sie sollten dem Zufall unsrer Begegnung dankbarer sein. (den Friesvorhang links etwas zur Seite hebend) Margot? (die Tür wird geöffnet: » Madame?«) Vergessen Sie doch nicht nachher im Hotel. Der Portier soll streng darauf achten, daß sich niemand mehr mit einem photographischen Apparat einschleicht. Oui, Madame!« Die Tür wird geschlossen) Ich habe heute einem Unverschämten seine Kamera aus der Hand schlagen müssen.

Url: (an den Sessel rechts getreten) . . . Darf ich . . . Sie mal etwas fragen?

La bella Cenci: Wenn es nicht zu neugierig ist?

Url: Kannten Sie den Herrn, vor dessen Zudringlichkeit Sie mich damals . . . um Schutz baten?

La bella Cenci: (durch diese Frage einen Moment fast wie verwandelt; hinterm Sessel links; ihm gegenüber; aus ihrer Stimme klingt plötzlich beinahe etwas wie Angst) Warum . . . inquirieren Sie mich?

Url: Weil Sie mir aus diesem einen Punkt her . . .

La bella Cenci: (noch ganz verwirrt) M?

Url: Sie sind doch sonst eine so energische Natur.

La bella Cenci: (sich mit Mühe fassend) Gott sei Dank!

Url: Ich bin den Eindruck, den Sie damals auf mich machten, gar nicht mehr losgeworden! Sie waren ganz aufgeregt. Sie zitterten ordentlich. Sie müssen des doch . . . gewohnt sein, daß Ihnen die Männer auf der Straße nachgehn.

La bella Cenci: (sich von ihm abwendend; in den Vordergrund nach dem Regal zu) . . . Bestien! . . .

Url: (nach einer kleinen Pause; zögernd) Sind Sie mir . . . böse?

La bella Cenci: (ihrer Erregung mehr und mehr Herrin werdend; aber ihre Sicherheit, die ursprünglich eine naive gewesen, ist im Grund nur noch eine nervös markierte) Nein. Denn von einer einzigen Episode abgesehn, die hier nichts zur Sache tut, sind Sie der erste anständige Mensch in meinem Leben. Wenigstens bei dem ich wieder das Gefühl habe, daß er in mir nicht bloß das Weib sieht. Nur . . . wie oft soll ich Ihnen denn das sagen? Ich kenne Berlin nicht. Ich bin zum erstenmal hier. Noch den Abend vorher war ich in den Folies-Bergères aufgetreten, kontraktlich am ersten Feiertag früh begann mein Engagement im Wintergarten, ich war also erst vor wenigen Stunden auf dem Potsdamer Bahnhof angekommen. (wieder nach dem Tisch zurück) Oder meinen Sie, daß jener geheimnisvolle Unbekannte, der Sie so überflüssig zu interessieren scheint, mir schon von Madrid oder Petersburg her gefolgt war? . . . Lächerlich. Ein alter Beau, wie sie einem überall zu Dutzenden nachscharwenzeln. (mit dem Versuch zu lächeln) Wenns wenigstens . . . noch n junger gewesen wäre! . . . (ihren Zigarettenrest in den Aschenbecher stoßend) Ich begreife Sie gar nicht!

Url: (auf sie zu) Verzeihn Sie. Ich hätte mir diese Frage . . . nicht erlauben sollen.

La bella Cenci: Also? (ihm die Hand reichend) Wenn wir gute Freunde bleiben wollen.

Url: (der ihr die Hand geküßt hat; sich wieder aufrichtend) Ich habe den Herrn . . . gar nicht gesehn.

La bella Cenci: (nach einem schnellen, mißtrauischen, sich vergewissernden Blick auf ihn) Um so besser. (wieder in den Vordergrund getreten, wo sie den Mantel aufnimmt) »Die sieben Verwandlungen der Venus!« Nummer eins: Die heilige . . . Käkilie! (nachdem sie sich den Mantel um die Schultern gehängt hat; sich in ihn einwickelnd; kurzer, gemacht schwärmerischer Augenaufschlag) Virgo Immaculata! Die Jungfrau an sich, oder das verklärte Gänseblümchen! (an sich hinuntersehend) Bekleideter kann n Mädchen fürs erste nicht recht sein. (mit einer halben Bewegung nach dem Harmonium hin) Wollen wir fortfahren? . . . Oder nein. Ich sehs: Sie sind noch immer in den Mantel zu verliebt. Dieser bunte Lappen hat Sie heute ganz . . .

Url: (in dem der Eindruck, den vorhin ihr verändertes Wesen auf ihn gemacht hat, noch nachklingt; etwa in der vorderen Mitte der Bühne) Er ist herrlich.

La bella Cenci: (an ihrem Mantel leicht herabblickend) Ich finde auch. Der auf dem van Eyckschen Altarflügel gleißt trotz seiner fünfhundertjährigen Patina kaum seraphischer. (wieder auf den Tisch zu) Na, ich kann ihn ja denn noch n Weilchen Parade tragen.

Url: (ihr langsam folgend) Ich bin schon ein Lehrmeister.

La bella Cenci: (sich eine neue Zigarette ansteckend) Wie ich mir einen besseren überhaupt . . . (auf eine bescheiden abwehrende Bewegung von ihm; sich in ihren Sessel links setzend) Nun ja! Ein andrer als Sie hätte einen so altehrwürdigen Kunstgroßpapa doch gar nicht zu variieren gewagt. Und dazu noch, um das Sakrileg voll zu machen, als musikalisches Motto (unwillkürlich nach dem Regal blickend) dies Schubertsche G-Moll-Motiv: (sich in den Sessel zurücklehnend; aus tiefer, rührender, klagend-bitterer Schwermut) »Vorüber! ach, vorüber! geh, wilder Knochenmann! Ich bin noch jung, geh! Lieber! und rühre mich nicht an.« (sofort anderer Tonfall) Versprechender Anfang!

Url: (nach seinem Regal blickend) Ja, ich . . . weiß wirklich nicht. Mein . . . (sich setzend, mit entsprechender Geste) real massiges, schweres, gotisches Regal . . . auf Wolken . . .

La bella Cenci: (auf seine plötzlich nachträgliche Bedenklichkeit nicht eingehend; wie als das allerselbstverständlichste von der Welt) Rechts oben, dahinter mit Harfe, Flöte, Kinngeige und Pandore, die vier musizierenden, quinquilierenden, psalmodierenden Weibsengel . . .

Url: (in seiner begonnenen Linie, noch gesteigert, weiter) Dieser blutend rosendurchrankte, einfassende Lilienwald in seinem zierlich maßwerkgekrönten Spitzbogenrahmen nur durch einen spielenden Scheinwerfer flach phantasmagorisch hingezaubert . . .

La bella Cenci: (in unterstrichenem Erstaunen) Nun ja, und?

Url: (die in ihm aufgestiegenen Zweifel gegen die praktische Durchführbarkeit der von ihm selbst gefaßten Ideen noch immer nicht preisgebend) Gewiß! Allerdings! Als . . . visuell bildhaft mitten in einen dunklen Raum vor eine davon überrascht und überrumpelte Menge suggestiv hingehängtes (erste Silbe betont) Symbolon . . . Aber . . . rein technisch . . . als Ganzes . . .?!

La bella Cenci: (seine Bedenken zu zerstreuen suchend; ein Zigarettenwölkchen energisch in die Luft paffend) Aus Licht und Leinwand läßt sich heute alles machen! (Url eine das abermals in Zweifel ziehende Geste. Noch bestimmter) Alles! Verlassen Sie sich: Ihr byzantinisches Goldmosaik, das zu irisieren beginnt, Ihr verblassender Renaissancegobelin, der sich in Nebel löst, Ihr pompejanisches Wandgemälde, aus dem ich vor allem Volke so angenehm dekolletiert ins Meer steige. Nach der Richtung sind wir Ihrem geliebten, altrömischen Pantomimenidol längst überlegen! Und die Hauptsache, die fortschreitende Verinnerlichung, markiert lediglich, wie Ihre treffsichern Berliner sagen würden, durch »Pelle«, ja, da helpt nix: das muß jetzt im Schweiße Ihres Angesichts eben von mir erarbeitet werden. Ich will mir die Welt erobern, und ich werde sie mir erobern.

Url: Die . . . haben Sie sich schon erobert.

La bella Cenci: (überrascht) Seit wann . . . verlegen Sie sich aufs Schmeicheln?

Url: Ich glaube . . . ich referiere doch wohl nur . . . eine Tatsache.

La bella Cenci: Diese ewige »Lebende Statue«! Gräßlich! In prallweißer Seide bis an den Hals, das Gesicht und das Haar voll Kreide, und auf dem hohlen Postament . . .

Url: Sie sind die erste gewesen, die dieses Genre als Künstlerin bewältigt hat!

La bella Cenci: (aufstehend; verächtlich den Rauch ihrer Zigarette von sich stoßend) »Künstlerin«! (nach dem Vordergrund rechts zu; Url unwillkürlich ebenfalls aufgestanden) Wenn ich mich auch, gottseidank, nie an das übliche Abgedroschne hielt, wenn ich auch in meinem kleinen Weibshirn zum Glück noch immer so viel Grips besessen, im mir meine mehr oder minder »verführerischen«, sogenannten »Plastiken«, so im Grunde sie mich auch gleichgültig ließen, wenigstens aus Eigenem zu leisten: ich werde aufatmen, wenn ich das ganze Konditorzeug in der nächsten Saison nicht mehr zu tragieren brauche!

Url: (der ihr noch immer nachblickt) Sie sollten nur unsre Maler und Bildhauer hören.

La bella Cenci: (scharf; nach ihm zurückgedreht) Bitte! Mit den Herrschaften . . . Mir genügt es, was ich von diesen »Edelsten« der Menschheit kennengelernt habe (wieder von ihm weggedreht).

Url: (durch den gereizt-aggressiven Ton ihrer Worte etwas seltsam berührt) Wo Höhen sind, da sind auch Tiefen.

La bella Cenci: Bezweifle ich nicht. Nur grade: weil ich Ihnen Ihre Höhen zugebe, ohne weiteres, um so . . . (besonderer Tonfall) grauenhafter die Tiefen!

Url: (unwillkürlicher Blick nach den Wänden) Ich weiß einen . . . für den ich meine Hand ins Feuer legen würde.

La bella Cenci: (auf die Chaiselongue zu, nach den Bildern rechts hin) Der diese widerwärtigen Bilder gemalt hat.

Url: (jetzt langsam ebenfalls nach recht rüber) Sie sind nicht widerwärtig. (etwas hinter ihr vor diesen Bildern) Sie sind die leidenschaftlichsten Versuche, sich mit einer als Qual empfundenen Umwelt auseinanderzusetzen, denen ich begegnet bin. Dinge, die wir nie sahen, oder doch wenigstens an denen wir täglich vorübersahen, sind hier mit einer Wucht gepackt und wiedergegeben, daß man fühlt: so schmerzvoll empfänglich schwingt nur die Seele eines Autopersönlichsten.

La bella Cenci: Und doch hatten Sie von diesem »Qualvollen«, als Sie noch der verwunschene Glücksprinz waren, Ihrem »Autopersönlichsten« auch nicht ein einziges abgekauft? Während Sie seine pinselnden, meißelnden, kritzelnden . . .

Url: (nicht mehr ganz bei der Sache; leicht irritierter Blick nach der Tür rechts) Machwerke . . .

La bella Cenci: (in ihrem Satz ahnungslos weiter) Herren Konkurrenten und Kollegen . . .

Url: (peinlich abwehrende Handbewegung, Blicke die Wand hoch) Die ich mir nie . . .

La bella Cenci: (wie vorhin) Darunter sogar den erbärmlichsten seiner Nachbeter, diesen durchwachsnen, armselig traurigen Tropf Musmann . . .

Url: (unwillkürlich wieder einen schnellen, unruhigen Blick nach der Tür rechts werfend).

La bella Cenci: (lächelnd) Das hören Sie wohl nicht mehr gern?

Url: (mit einen Augen wieder auf den Bildern) Damals . . . verstand ich dies alles noch nicht. Wie ich auch . . . den Menschen noch nicht verstand.

La bella Cenci: Und jetzt »verstehn« Sie ihn?

Url: Wie ein . . . Unfruchtbarer einen Fruchtbaren, wie ein Überflüssiger einen Notwendigen überhaupt verstehen kann.

La bella Cenci: (unwillig-verwundert; fast fragend) Sie setzen sich in einer Art und Weise vor sich selbst herab . . .

Url: Er ist für mich einer jener ganz Wenigen, wie sie vielleicht nur alle paar Generationen mal . . .

La bella Cenci: (parodistisch-respektvoll; gemacht-beifällig) Plötzlich aus der berühmten, mirakulös schöpferischen Tiefe Ihres . . . (Plötzlich wieder anderer Tonfall) sonst aber und im übrigen von Gott und seinen sämtlichen Heiligen blamabelst verlassenen, sogenannten »Volkes« auftauchen! (summieren) Freuen Sie sich, daß ich kein Talent zur Eifersucht habe!

Url: (der während ihrer letzten Replik wieder nach der Tür gesehen hat; warm) Sie kennen ihn nicht!

La bella Cenci: Und damit es Sie beruhigt, es ist auch nicht meine Absicht, ihn kennenzu lernen!

Url: (erneute leise Unruhe nach der Tür hin).

La bella Cenci: (jetzt etwas aufmerksam) Warum Sie nur . . .? . . .

Url: (über ihre Frage hinweggehend) Erbitterter mit seiner Kunst hat noch keiner gerungen. Er hat, jetzt schon und heute, und zwar rein aus eigener Kraft, ohne auch nur ein einziges Mal je seinen Fuß in irgend eine Zeichen- oder Malklasse irgend einer öffentlichen oder Privatakademie gesetzt zu haben, ein Niveau erklommen, daß längst alles neben ihm Zeitgenössische . . .

La bella Cenci: Sie haben eine Hochachtung für diesen Mann . . .

Url: Für diesen einmaligen Steinmetz. Ja. (neuer Blick nach der Tür hin).

La bella Cenci: (die bei dem Wort »Steinmetz« befremdet aufgehorcht hat) Sie sagten . . .

Url: Verzeihung. (auf die Tür zu) Ich habe die Empfindung . . . (hat die Tür schnell aufgemacht) Aah, Herr Musmann. (da der Ertappte bereits die Flucht ergriffen hat; ihm nachrufend) Wünschten Sie was? . . . (die Tür schließend; achselzuckend) Schon um die Ecke.

La bella Cenci: Empörend!


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