Arno Holz
Sonnenfinsternis
Arno Holz

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Hollrieder: (der ihm erregt nachgesehn, bis er die Tür erreicht hat; unwillkürlich zwei Schritte auf ihn zu) Bleib!

Url: (die Hand bereits auf dem Drücker; beherrscht; fast den Eindruck vollkommener Ruhe machend) Ich kann und werde jetzt nicht mehr bleiben. Aber wie das Abenteuer, in das du dich in deiner Verblendung stürzen willst, auch auslaufen wird: ein Mensch von deinen Qualitäten scheint mir zu wertvoll . . .

Hollrieder: (sich wieder zu seiner Arbeit wendend; gekrauste Stirn, leicht abwehrende Geste mit der Rechten) Ach, bitte.

Url: Trotz deiner erhabnen Abwehr: ich würde nicht tatlos zusehn, wenn du dieser einen Leidenschaft wegen, von der ich nicht mal überzeugt bin, daß sie auch nur das Glück der . . . sagen wir andern Partei sein würde, deine ganze Zukunft aufs Spiel setzt!

Hollrieder: (zu ihm rüberblickend; grimm-verwundert) Du? . . .

Url: (Hand vom Drücker; einen halben Schritt wieder in den Raum zurück) So wenig ich allerdings auch . . . bisher verstanden habe, mein bißchen eignes Schicksal in der Hand zu behalten . . .

Hollrieder: (sich wieder an seine Arbeit machend) Um so mehr laß also dann jetzt deine Hand von andrer Leben! . . . Dabei würde was Schönes rauskommen!

Url: Und wenn ich mich damit . . . um das Letzte bei dir brächte! Der zarte Herr mit dem Stich ins Ultraviolette, für den du mich noch immer zu halten scheinst, (auf einen entsprechend musternden Blick Hollrieders) und zwar trotz meines von dir kaum eben erst so dankenswert anerkennend hochgefeierten »Kostüms«, bin ich nicht mehr. Ich sehe hier klarer und weiter, als du.

Hollrieder: (bei seiner Arbeit) Also möchtest du mir über deine beabsichtigte, weise Vor- und Fürsorge nun mal endlich reinen Wein einschenken? . . . Darf ich drum bitten?

Url: (hat einen Augenblick noch geschwankt, als ober von neuem anheben wolle, dann entschlossen-ruhig wieder auf die Tür zu, die er mit der Rechten öffnet; zu Hollrieder gedreht, mit der Rechten auf der äußeren Klinke; bereits im Abgehn, mit der Linken die Tür schließend) Du wirst mich nicht wankend machen.

Hollrieder: (die Palette sinken lassend; ihm nachblickend. Man hört von draußen eine zweite Tür ins Schloß fallen) So ein . . . Narr! (Palette und Pinsel auf den Maltisch werfend; auf die Tür zu; die Tür bleibt auf, man hört klopfen und an einem Drücker rütteln) Du! . . . Machst du nicht auf? . . . (wieder zurück und vor seinem Bild) Kindisch! (sein Malzeug wieder wegwerfend; erbittert auf und ab) Sich einzuriegeln! . . . (man hört von draußen eiligste Schritte, die Tür wird aufgestoßen, und mit allen Zeichen höchster Erregung, noch ganz erschöpft, erscheint Beatrice. Ihr Haar ist nicht mehr rot, sondern goldblond)

Beatrice: (schicker, ihre Kleidung ganz deckender Gummimantel, entsprechende Kopfbedeckung; nachdem sie die Tür gleich hinter sich zugeschlagen hat, fast noch atemlos ihren Schleier hebend; dann hastig nach der Mitte des Vordergrunds; angstvoll halb zu Hollrieder hin, halb nach der Tür zurück; Hollrieder, ganz perplex, in der Nähe des Tisches) Es will jemand zu Ihnen! . . . Schließen Sie ab! (da Hollrieder, von ihrer Aufregung halb angesteckt, dies mechanisch tun will, Beatrice, längst an ihm vorbei, schon auf dem Weg nach der Tür links wieder stehngeblieben) Nein! Lassen Sie . . . Verdecken Sie bloß mein Bild!

Hollrieder: (der jetzt doch »erwacht«; unwillkürlich auf das Bild zu und sich vor dessen Vorderkante wieder nach der Tür rechts zurückdrehend; mit halb erhobenen Unterarmen, maßlos erstaunt, fast drohend) Ja, bitte, wer . . .

Beatrice: (hinterm Tisch links; in fliegender Hast) Ich erinnre Sie an unsre Verabredung! . . . Sie können dem Betreffenden unmöglich . . .

Hollrieder: (der sich bei dem Wort »unmöglich« mit einem Ruck nach ihr zugedreht hat; noch gesteigerter) Das . . . wäre . . .?!

Beatrice: (noch bestimmter) Die Tür weisen . . . Aber sagen Sie nichts! Hören Sie? Nichts! Kein Wort! . . . (man vernimmt bereits Tritte die Treppe hoch; flüsternd; schon halb hinterm Vorhang vor der Tür links; nach dem Bild hin) Vergessen Sie nicht!

Hollrieder: (der sich noch immer sträubt; aber doch bereits auch mit gedämpfter Stimme) Ich werde doch nicht in meinem eignen . . . (es klopft)

Beatrice: Mein Gott, mir zuliebe! . . . (mit besonderer Betonung, da Hollrieder noch zaudert) Mir zuliebe! . . . (schnell) Ziehn Sie den Schlüssel ab!

Hollrieder: (nachdem es jetzt zum zweitenmal geklopft hat, schnell auf die Tür links zu; abschließend, den Schlüssel aber nicht zu sich steckend. Es klopft nochmals und stärker. Er findet kaum Zeit, über die rechte Ecke seines Bildes den Leinenvorhang zu ziehn).

Lipsius: (hohe, vornehme Erscheinung. Haar stark silberfädig. Buschige, schwarze Brauen. Teint frisch-gebräunt. Stolze, noch kraftvolle, durch die Spuren überstandener und wohl auch noch immer in ihm wühlender Leidenschaften doppelt interessante Züge. Langer, krauser, spitz zulaufender Künstlervollbart. Sehr elegant. Weicher, mondäner Reisemantel, entsprechender Hut. Stock, Gamaschen. Trotz seiner bereits nahen Sechzig noch fast jugendlich elastisch. Seinem Benehmen merkt man an, daß er innerlich womöglich noch nervös erregter als Hollrieder ist. Aber er hat sich in der Gewalt und verbirgt seinen wahren Zustand fast durchgehends mit größter Geschicklichkeit. Bereits mit seinem ersten Blick den Raum musternd) Störe ich?

Hollrieder: (sein Malzeug in der Hand; vor Überraschung wie gelähmt) Sie . . . Herr Professor?

Lipsius: (erst jetzt die Tür hinter sich schließend) Sie vergaßen . . . (etwas näher tretend) »Herein« zu rufen.

Hollrieder: (seiner Überraschung noch immer nicht ganz Herr geworden) Ich war allerdings . . . so in mein Bild vertieft . . .

Lipsius: (noch näher auf ihn zu; mit leiser Ironie) Daß Sie mein dreimaliges Klopfen . . . ganz überhört haben! . . . (nach dem Bild hin, das er noch nicht ganz überblicken kann) Gestattet? (jetzt ebenfalls vor dem Bild hinter Hollrieder, der ihn nicht daran hatte hindern können) Donnerwetterja! . . . (etwas zurückgetreten, um das Bild in möglichst günstiger Beleuchtung zu sehn; es ist wieder einen Moment heller geworden; die Situation einen Augenblick vergessend; in ehrlicher Bewunderung) Wo bleibt da alles, was Sie bis jetzt gemacht haben? (vom Bild aufblickend; zu Hollrieder hin, der etwas nach dem Fenster zu steht) Nun sind Sie doch hoffentlich geheilt von Ihrer Krankheit? . . . Eine Kunst, die noch solche Dinge kann . . . (nach dem Leinenvorhang rechts hin) Darf ich mir jetzt mal das Ganze . . .

Hollrieder: (sich der Situation wieder bewußt werdend) Verzeihung! Dieses . . . letzte Drittel rechts . . .

Lipsius: (zurücktretend; kühl) Ja so! . . . Pardon. (mit einem Rundblick wieder den Raum musternd; dabei, leise, die Tür links streifend. Starke Verdunklung)

Hollrieder: (der Palette und Pinsel jetzt wieder auf den Maltisch deponiert hat; nach dem Zigarrenbecher auf dem Tisch hin) Sie rauchen?

Lipsius: (ablehnend) Ich danke.

Hollrieder: Ich erwartete Sie erst . . . in drei Wochen.

Lipsius: Umstände.

Hollrieder: (durch seinen Ton etwas reserviert-höflich; nach dem Tisch und den Sesseln) Aber wollen Sie nicht . . . ?

Lipsius: (leicht abwehrende Handbewegung) Danke. (vor dem Schränkchen über der Chaiselongue; nachdem er es mit scheinbarem Interesse gemustert) Ein schönes Stück. (da Hollrieder, unmittelbar neben der Bildkante stehngeblieben ihm mit zusammengezogenen Brauen fragend nachblickend, nichts antwortet) Hm. (sich zurückdrehend und nach dem Vordergrund links zu, dabei den Teppich sowie den Leuchter musternd) Herrlich! (jetzt einige Schritte vor dem Regal, das ihm selbstverständlich ebenfalls noch unbekannt ist) Seltsam! (mit einem abermaligen Blick nach der Tür links etwas mehr nach dem Tisch hin, zu Hollrieder) Es hat sich hier . . . Verschiedenstes . . . (abbrechend und dabei scheinbar die alten Bilder inspizierend; gemacht leichthin) Verkehren Sie noch mit diesem . . . e . . . (als ob er nicht gleich auf den Namen käme; noch näher auf eins der Bilder zu, als interessiere ihn das ganz besonders) Richtig! Musmann! (dabei leger zu Hollrieder zurückgewandt) So . . . tituliert sich ja wohl Ihr . . . ehemaliger Intimus?

Hollrieder: (finster) Er existiert für mich nicht mehr.

Lipsius: (jetzt auch die Bilder der andern Wand musternd, soweit sie ihm sichtbar sind; das auf der Staffelei vermeidend) Sie haben sich beide . . . gekabbelt?

Hollrieder: Wenn Sie es »kabbeln« nennen, daß ich ihm eben habe . . . die Tür weisen müssen . . . ? . . .

Lipsius: (etwas näher tretend) Ja Ja. Freundschaft! (da Hollrieder, der ihn mißtrauisch beobachtet, wieder nicht antwortet) Aber sonst . . . e . . . (einen Blick Hollrieders auffangend, der ihn veranlaßt, in der Nähe des Tisches stehnzubleiben und seinen Augen nicht länger auszuweichen. Veränderter Tonfall) Es ging vor mir eine Dame rauf. Ich glaubte . . . sie wäre hier verschwunden.

Hollrieder: (sich aufrichtend) Ja. Und Sie haben auf diese Dame schon unten gewartet!

Lipsius: (starkes Stutzen; fast wie Schreck; dann, wie durch einen inneren Zwang weitergetrieben) Entweder . . . diese Dame befindet sich dort hinter jener Tür . ..

Hollrieder: Oder sie hat das Haus bereits wieder verlassen.

Lipsius: (nach einem kurzen Augenblick des Zauderns, ob er den Kampf eröffnen soll) Die Dame ist einer Begegnung mit mir ausgewichen!

Hollrieder: Es war von vornherein ihr Wunsch, hier niemand zu begegnen.

Lipsius: Ich hatte auf der Treppe den bestimmten Eindruck, daß diese Flucht mir persönlich galt. (Hollrieder: Achselzucken. Lipsius: hartnäckig; ihn scharf dabei fixierend) Sie galt mir persönlich!

Hollrieder: (nachdem er erst kurz den Atem an sich gezogen und die Lippen zusammengekniffen hat; dann, wie über sich, Beatrice und Lipsius zugleich ergrimmt) Dafür könnte ich nicht!

Lipsius: (nach einem erneuten Schreck wieder weitergetrieben; ihn fest dabei anblickend) Die Dame steht Ihnen . . . (als ob dies Wort nicht recht über seine Lippen will) Modell.

Hollrieder: (seinen Ton abweisend) Zu einer Figur auf diesem Bild. Allerdings!

Lipsius: Wollen Sie mir dann also nicht wenigstens ihr . . . (nach dem Leinenvorhang hin; unwillkürliche Handbewegung) ihr Porträt aufdecken?

Hollrieder: Bedaure.

Lipsius: (noch einen Schritt näher; in seinem Ton bereits aufsteigende Heftigkeit) Was . . . berechtigt Sie . . .

Hollrieder: Die gleiche Frage . . . wollte ich eben an Sie stellen, Herr Professor.

Lipsius: Nachdem Sie mich eben . . . belogen haben. Sie waren »so in Ihr Bild vertieft« . . .

Hollrieder: (nach einem Augenblick stummen Aufbrausens; ruhig; lächelnd; mit einem Zuge leiser Verachtung) Sie sind ja jetzt hinter die Wahrheit gekommen. (Hagel).

Lipsius: (heftig) Ganze Jahre . . .

Hollrieder: Haben Sie mich für einen anständigen Menschen gehalten.

Lipsius: Jedenfalls für einen Menschen, von dem ich nicht erwartet hätte, daß er hinter meinem Rücken . . .

Hollrieder: (kalt) So fahren Sie fort!

Lipsius: (drohend) Wenn Sie glauben, daß Sie mir zu alledem auch noch mit . . . faden Anödereien kommen dürfen . . .

Hollrieder: (zwei Schritte auf ihn zu; ihm gegenüber; auch er hält sich jetzt nur noch mit Mühe zurück) Herr Professor . . .!!

Lipsius: (ihn mit seinen Blicken messend) . . . So irren Sie!

Hollrieder: Wenn ich Ihnen auch zu Dank verpflichtet bin, und welche Gründe Sie auch veranlaßt haben mögen, dieser Dame lästig zu fallen . . .

Lipsius: (der sich nicht mehr länger halten kann) Herr!

Hollrieder: (nach einer kurzen Pause; wieder auf seinen alten Platz; kalt; ihn dabei nicht anblickend) Ich darf Sie nach allem, was Sie an mir getan haben, leider nicht ersuchen . . . diesen Raum zu verlassen. (Pause)

Lipsius: (veränderter Tonfall; Blick nach dem Bild hin; bitter) Sie werden mich jetzt . . . allerdings nicht mehr brauchen.

Hollrieder: Nach dem Eimer kalt Wasser, den Sie mir eben über den Kopf gegossen haben, hoffentlich nein, Herr Professor.

Lipsius: Sie verweigern mir also über die Dame jede Auskunft?

Hollrieder: Jede.

Lipsius: Auch wenn ich Sie . . . bitte?

Hollrieder: Auch dann.

Lipsius: (zögernd) Es könnte . . . sein, daß ich mich übereilt habe und daß hier ein Irrtum vorliegt.

Hollrieder: Das läßt sich jetzt nicht feststellen.

Lipsius: Sie brauchten nur . . . (nach dem Bild).

Hollrieder: (ablehnende Geste) Bitte. (Pause. Lipsius: nervös. Hollrieder: veränderter Tonfall; erst jetzt ihn wieder voll anblickend) Warum sprechen Sie nicht frei und offen zu mir, Herr Professor? Das war doch früher Ihre Art. Oder sollte mein ehemaliger . . . »Intimus«, wie Sie ihn vorhin nannten . . .?

Lipsius: (ausweichend; ihn dabei nicht anblickend) Ich verstehe Sie nicht.

Hollrieder: Sollte dies . . . Lamm Gottes wirklich an Ihrer beschleunigten Rückkehr so ganz unschuldig sein?

Lipsius: (zögernd) Daß mir von unbeteiligter dritter Seite . . .

Hollrieder: »Unbeteiligter« ist gut.

Lipsius: Beteiligter oder nicht, jedenfalls, daß gewisse Winke und Mitteilungen mir zugegangen sind, leugne ich nicht. Leugne ich keinen Augenblick! (achselzuckend) Aber der . . . Name . . .

Hollrieder: (zu sich; durch die Zähne) Diese . . . (unwillkürlicher Blick nach der Tür rechts) Canaille!

Lipsius: (erstaunt) Sie zeigen sich orientiert in einer Weise, daß ich an der Richtigkeit der Angaben, die man mir gemacht hat, eigentlich kaum noch zweifeln kann.

Hollrieder: (sich zusammenraffend) Ich darf Ihnen darauf . . . nichts erwidern.

Lipsius: (noch immer schwankend) Sämtliche Einzelheiten, soweit ich sie bisher habe kontrollieren können, stimmen!

Hollrieder: Halten Sie von mir, was Sie wollen, schieben Sie mir in die Schuhe, was Sie Lust haben, ich bin im Moment . . . gegen Sie wehrlos!

Lipsius: (ihn nervös fixierend) Merkwürdig! . . . Wird das Bild morgen in der Sezession sein?

Hollrieder: Es wird noch heute in seinen Rahmen gehoben und dann abends von meinem Spediteur . ..

Lipsius: (sich zum Gehen anschickend) Nun . . . (langsam quer über die Bühne an Hollrieder vorbei in den Vordergrund rechts) Dann wüßte ich ja dann jedenfalls . . .

Hollrieder: (zum Schluß drängend) Wann, wo und wie Sie sich die gewünschte, letzte Klarheit selbst werden beschaffen können . . .

Lipsius: (sich zurückdrehend; es fällt ihm offenbar schwer, den Raum schon wieder zu verlassen) Die Beschuldigung . . . ist eine so ungeheuerliche, die . . . ganze Sache so . . . ich . . . kanns noch nicht glauben!

Hollrieder: Sie peinigen sich . . . und mich, Herr Professor! (der Hagel hat aufgehört, jagende Wolken).

Lipsius: . . . (nach einer steifen, kaum merklichen Verbeugung auf die Tür zu; sich zusammenruckend) Also auf morgen! . . . (die Hand schon auf dem Außendrücker, nochmals zu Hollrieder, der ihm gefolgt ist, zurückgedreht) Und ich will hoffen . . .

Hollrieder: Gleichfalls, Herr Professor! (die Tür hinter ihm schließend. Nach einem kurzen Blick auf die Tür links, die Augen geschlossen, die Hände gekrampft, die Zähne zusammengebissen) Na! (auf die Tür links zu, die er aufschließt und öffnet; zwei Schritte zurück) Herr Professor Lipsius war so liebenswürdig, Ihnen den Eintritt wieder zu gestatten.

Beatrice: (wundervollstes, in violetten Tönen gehaltenes, modern-zeitlos fließend künstlerisches Phantasiekostüm; das selbe, in dem Hollrieder sie seit Wochen malt; hastig; von dem Gehörten noch ganz aufgewühlt; von ihm abgewandt nach dem Vordergrund links) Sie hätten ihm das . . . nicht sagen sollen!

Hollrieder: (finster; zwischen den Augenbrauen eine tiefe Falte) Daß mein Bild morgen in der Sezession sein wird?

Beatrice: Ich hatte Sie doch . . . gebeten!

Hollrieder: (bis neben den Tisch getreten und ihr nachblickend) Sie haben alles . . . gehört?

Beatrice: Alles!

Hollrieder: Auch das . . . mit meinem verfloßnen Freund Musmann!

Beatrice: Auch das.

Hollrieder: Und Sie . . . sagen dazu?

Beatrice: (noch immer von ihm abgewandt nach dem Vordergrund rechts) Nichts. Als daß ich, Gott sei Dank . . . nie etwas mit ihm zu schaffen gehabt habe!

Hollrieder: (jetzt mitten vor den Tisch getreten, auf den er sich mit der Linken stützt, die Rechte in der Hüfte) Herr Professor Lipsius konnte nur in Andeutungen sprechen. Da er Sie hinter der Tür vermutete. Und weil er seiner Sache nicht sicher war! Haben Sie diese . . . Andeutungen verstanden?

Beatrice: Nein.

Hollrieder: Nach keiner Richtung?

Beatrice: (zögernd) N . . . nein.

Hollrieder: Nicht im geringsten?

Beatrice: (fest) Nein.

Hollrieder: Sie beklagten sich wiederholt, daß Ihnen der . . . Gentleman da nebenan auf der Treppe nachgeschlichen wäre. Und mehr als einmal haben Sie ihn nach der Vorstellung noch stundenlang gegenüber von Ihrem Hotel bemerkt. Hat er Sie sonst noch . . . zu behelligen versucht?

Beatrice: Nicht, daß ich im Augenblick wüßte.

Hollrieder: Oder haben Sie . . . anonyme Briefe erhalten?

Beatrice: (vorn rechts nach ihm zurückgedreht; ganz verwundert) Wieso?

Hollrieder: Er hält Sie für das vor zehn Jahren verschwundne Fräulein Tochter (mit einem unwillkürlichen, kurzen, ergrimmten Rücknicker nach der Tür) von dem Herrn!

Beatrice: (erschreckt) Mich?

Hollrieder: Ja. Und so abenteuerlich das ist, als ich Sie zum erstenmal sah . . .

Beatrice: Sind Sie wirklich auch schon . . . ?

Hollrieder: (der seine Stellung bis dahin nicht geändert; kühl; die Arme übereinander kreuzend) Ich glaube, ich habe nur wenig Anlage dazu.

Beatrice: (wieder nach links) Wenn Sie jene junge Dame so genau kannten . . .

Hollrieder: Ich habe sie nur einmal und ganz flüchtig gesehn!

Beatrice: Sehr interessant.

Hollrieder: Im ungewissen Licht einer Mondnacht und nachdem ich sie mit eigner Lebensgefahr . . .

Beatrice: Der Roman Ihrer Jugend ist mir durch Herrn Url . . . (ganz vorn in der Mitte der Bühne; erst jetzt wird ihr bewußt, daß sie mit Hollrieder ja ganz allein ist; lebhaft beunruhigt; unwillkürlich nach der Tür rechts blickend) Übrigens . . . wo ist Herr Url?

Hollrieder: (leise Kopfbewegung nach der selben Tür) Ich habe ihn . . . gebeten . . .

Beatrice: (die Situation sofort fassend; unwillkürlich einen Schritt zurückgetreten) Ah! . . .

Hollrieder: Wollen Sie mir nun . . . erklären . ..

Beatrice: (wieder nach rechts zurück) Ich haben Ihnen nichts zu erklären!

Hollrieder: (letzte, forschendste Eindringlichkeit; äußerste Bestimmtheit) Wir haben uns also in jener Mondnacht . . . nicht gesehn?

Beatrice: (wie von dem, was sie spricht, aufs tiefste überzeugt; nach ihm zurückgedreht) Sind Sie ein Phantast! . . .

Hollrieder: Dann bleibt mir nur eine Deutung!

Beatrice: (die Augen blitzend) Und die wäre?

Hollrieder: (langsam) Daß dann hier ein seltsamster Zufall vorliegt.

Beatrice: Bitte deutlicher!

Hollrieder: Das Leben, das Herr Professor Lipsius nach einer gewissen Richtung führt, ist bekannt! (einsetzender Hagel).

Beatrice: (bleich; mit groß-offenen Augen) Sie wollen . . . damit sagen?

Hollrieder: (etwas veränderte Stellung, Hände in beiden Hüften, den rechten Fuß leicht vor; zum erstenmal ihren Blick meidend) Genau das, was Sie aus meinen Worten raushören! Daß Sie unter der Zahl seiner mehr oder minder freiwilligen Opfer . . . (abbrechend; den Blick wieder nach ihr hin) Es braucht ja nicht erst . . . seit heute und gestern zu datieren.

Beatrice: (noch immer vorn rechts; fast zitternd) Ich verbiete Ihnen, in diesem Tone zu mir weiter zu sprechen! Das Leben, das Herr Professor Lipsius nach Ihrer »gewissen Richtung« führt, oder führen mag, geht mich nichts an! Wie es Sie auch nichts angeht! (mit einem schnellen Blick über die Bilder; mit sehr verständlicher Betonung) Wenigstens wenn ich recht informiert bin! (von neuem bis in die Mitte des Vordergrunds und dann wieder zurück).

Hollrieder: (nach einer kleinen Pause; finster; auf der Stirn wieder die Falte; die linke Hand mit gespreizten Fingerspitzen auf dem Tisch, auf den er die ersten drei Worte über die Augen gesenkt hält) Ich hatte mir . . . diese Aussprache zwischen uns . . . anders gedacht.

Beatrice: (mit scheinbarem Verwundern; nach ihm zurück) »Aussprache«?

Hollrieder: Sie wissen sehr wohl . . .

Beatrice: (schnell; mit größter Entschiedenheit; wieder von ihm abgewandt und nach links weiter) Nichts weiß ich!

Hollrieder: (in der selben Stellung) Mir »zuliebe!« (gequältes Auflachen).

Beatrice: (ohne sich nach ihm umzudrehen) Wenn Sie eine solche . . . Redensart allerdings gleich wörtlich nehmen . . .

Hollrieder: (noch immer in der selben Stellung) Glauben Sie, ich hätte mich sonst dazu hergegeben, einen Menschen, der mir nur Gutes getan, einen Mann, den ich trotz seiner Fehler verehre . . .

Beatrice: (ganz vorne links stehngeblieben und sich nicht nach ihm umdrehend) »Verehren« Sie ihn! . . . Sie haben dazu Ursache! (höhnisch-bitter) Grade Sie haben dazu Ursache! . . . Grade Sie!

Hollrieder: (nach einer kurzen Pause; in seinem Verdacht dadurch nur bestärkt; noch immer vorm Tisch; mit flach zusammengelegten, halb erhobenen Händen sie fast bittend; allereindringlichst) Sie kennen ihn! Sie kennen ihn vielleicht sogar noch genauer als ich! . . . Warum wollen Sie mir nicht die Wahrheit sagen?

Beatrice: (nach ihm zurückgedreht) Sie haben . . . kein Recht an mich!

Hollrieder: (die Rechte über die geballte Linke und beide Hände dann heftig von sich schleudernd) Das ist nicht wahr! . . . (mit offnen Handflächen, den Kopf leicht vor, die Hauptbetonungen stärkst unterstreichend, zum Schluß beide Fäuste energischst geballt) Wenn Sie sich diese ganzen Worten auch durch kein Wort verraten haben . . . Ihre Augen, Ihre Stimme . . : es ist nicht wahr!

Beatrice: (seinen Blick voll erwidernd) Nein. Es ist auch nicht wahr!

Hollrieder: (der tiefst aufatmend, mit lässige herabhängenden Händen, sein ganzes Schwergewicht auf den rechten Fuß verlegt) Wollen Sie mir . . . vielleicht jetzt . . .?

Beatrice: (einige Schritte nach der Richtung der Chaiselongue zu) Weder jetzt . . . noch jemals! Ich werde Ihnen dieses Rätsel . . . nie lösen.

Hollrieder: (erbittert) Aber Herrn . . . Url scheinen Sie s . . . »gelöst« zu haben!

Beatrice: (von ihm wegblickend; wieder ganz in den Vordergrund rechts) Wenn Herr Url sich Ihnen gegenüber Vermutungen erlaubt haben sollte . . . (stehngeblieben; ihn wieder anblickend) Übrigens . . . ich glaubs auch nicht.

Hollrieder: (der ihr nicht geantwortet hat, sondern nur überlegend drei Schritte nach links gemacht und sich nun wieder umdreht; veränderter Tonfall) Reisen Sie morgen?

Beatrice: Wie ich dies bestimmt habe. Jetzt mehr denn je.

Hollrieder: Und wenn ich Sie nun . . . zu bleiben bäte?

Beatrice: Sie? . . . Der Sie vor vier Wochen noch zu stolz waren, auf meine Einladung damals, als ich Sie so gern zu unsrer letzten Probe gehabt hätte . . .

Hollrieder: (gequält; auf sein Bild zu; sie dabei nicht anblickend) Es war mir . . . nicht möglich! Ich . . . konnte nicht anders! Schon der bloße Gedanke an diese . . . Schaustellungen hat mich gemartert! . . . (fast nur zu sich) Widerwärtig! (Beatrice zusammenzuckend) . . . (voll nach ihr zurückgedreht) Ich kann arbeiten! Ich werde von morgen an unabhängig sein! Ich darf jetzt daran denken . . . ein andres Leben an meins zu ketten! . . . Geben Sie Ihren ganzen . . . Jahrmarktströdel auf und . . .

Beatrice: (ihn groß anstarrend) Sie sollen sich . . . nicht an mich wegwerfen!

Hollrieder: (mit zusammengepreßten Zähnen) Ich bin Ihnen . . . nicht gut genug! (sich schnell steigernd) Aber wenn statt meiner jetzt . . . er hier vor Ihnen stünde . . . er . . . der große Künstler . . . mit seinen Millionen und seinen bald sechzig Jahren auf dem Rücken . . .

Beatrice: (mit gefalteten Händen; näher auf ihn zu; entsetzt) Um Gottes willen! Sie hören doch!

Hollrieder: (ausbrechend) Was haben Sie mit ihm gehabt?

Beatrice: (mit ihren Blicken die Tür suchend) Wenn Sie nicht wollen, daß ich auf der Stelle . . .

Hollrieder: Glauben Sie, ich habe mich auch nur einen Augenblick in die Illusion gewiegt, daß ein Wesen wie Sie, das seit Jahren jeder Anfechtung ausgesetzt war, das von Hunderten begehrt . . . (zerquält abbrechend)

Beatrice: (vor seinem Ausbruch ganz entsetzt, sich schnell steigernd; an ihre Stelle, einige Schritte vor dem Bild, wie gebannt) Von diesen Hunderten hat mir keiner auch nur die Fingerspitzen berühren dürfen! Ich habe sie ihr Begehren entgelten lassen! Ich habe mich an jedem, der sich mir zu nähern wagte, für das, was er mir angetan, gerächt! Wenn Sie ahnten . . . (leiser, von ihrer Leidenschaft fast erschöpft) wie es bis vor kurzem noch . . . in mir ausgesehn!

Hollrieder: (nachdem er zuerst kurz gestutzt hatte; über ihre Worte hinweg; in seinen Ideengang verrannt; fanatisch weiter) Alles verstehe ich! Alles begreife ich! Leichtsinn! Leidenschaft! Jugendrausch! Aber dieser Mann, der Ihr . . . Vater sein könnte . . .

Beatrice: (noch näher auf ihn zu) Ich bitte Sie! Schweigen Sie! . . . Was Sie sich da vorphantasieren, ist Wahnsinn! . . . Ich kenne ihn! Gewiß! Und er kennt mich auch! . . . Aber wenn ich einen hasse, wenn ich einen verachte, wenn ich heute einem . . . das Schlimmste wünschte . . . dann ist es er! . . . Er!! . . .

Hollrieder: (der instinktiv nach seinem Malzeug gegriffen; vor ihrem Ausdruck zurückgewichen) Zum . . . erstenmal . . . seh ich Sie!

Beatrice: Was er mir angetan, ist mehr als Mord! Er hat mir mein ganzes Empfinden vergiftet! Er hat mir mein Leben zum Abscheu gemacht! Er hat mich um Alles gebracht! . . . Und ihm . . . nur ihm haben Sie es zu danken, daß Sie mich morgen . . . zum letztenmal sehn! (während gegen die Scheiben noch die letzten Hagelkörner prasseln, draußen schon wieder blendende Sonne).

Hollrieder: (der, immer den Blick auf ihr, den mittelsten Fenstervorhang wieder zugezogen, sowie die Bildgardine wieder zurückgeschlagen hat, sich bereits an die Arbeit machend; sie mit den Augen wie ganz in sich einsaugend; verbissen) Erst . . . das Bild! Erst . . . das Bild! . . . (wie zu Anfang des Akts) Bitte.

(Vorhang)


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