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III.

Das Zusammentreffen war so überraschend erfolgt, daß beiden Salomons zunächst das Wort im Halse stecken blieb. Und zwischen ihnen stand in kühler, überlegener Haltung Agnes Jung.

»Möchtest Du mir nicht wenigstens Guten Abend sagen?« brachte Salomon endlich hervor und sah dabei Artur voll ins Gesicht, während sein Blick von ihm zu dem Mädchen flog, das in seinem hellen Sommerkleid und seinem breiten Strohhut, unter dem sich das aschblonde Haar hervorstahl, kaum merklich lächelte.

Das also war Arturs Auserwählte, diese magere, schlanke Person, von deren hellen Augen eine finstere Kraft ausging, deren verhärmtes Gesicht mit den ein wenig eingefallenen Backen nicht gerade von Leichtfertigkeit zeugte.

Er zweifelte keinen Augenblick, Agnes Jung vor sich zu haben.

Herrgott, dachte er, die muß ja erst aufgepäppelt werden. Mit seinen breiten Händen glaubte er ihre dünne Taille zweimal umspannen zu können. Eine richtige Goite, würde Renette sagen und sich voll Zorn umwenden. Gleichwohl mißfiel sie ihm zu seinem Ärger nicht. Es steckt Rasse in ihr, sie hat etwas, mußte er sich eingestehen.

»Das ist Fräulein Jung,« stellte Artur vor, ohne auf des Vaters Aufforderung einzugehen. Ihm schwante nichts Gutes.

Und Salomon erwiderte prompt: »Ich dachte es mir,« um sich gleich darauf über diese Antwort herzlich zu ärgern.

»Wie konntest Du Dir das denken?«

Salomon schwieg. Er schämte sich. Es kam ihm so entwürdigend vor, hinter Arturs Rücken den Spion gemacht zu haben. Warum war er nicht seinem ersten Instinkt gefolgt?

»Davon werden wir später reden,« erwiderte er. Denn nunmehr war er entschlossen, mit der Wahrheit nicht hinter dem Berge zu halten und gleich vor dem Mädchen reinen Tisch zu machen. Mochten die Würfel fallen, wie sie wollten!

»Ich denke, wir trinken gemeinsam eine Tasse Kaffee,« nahm er das Wort wieder und schritt ihnen voran.

»Das kann lustig werden,« sagte Agnes Jung, ohne innerlich beteiligt zu sein.

Und Artur entgegnete: »Er hat sicher Wind bekommen und will mich stellen. Desto besser!«

Verstohlen drückte er ihre Hand. »Ich bin so glücklich,« setzte er erregt hinzu, »daß die Sache mit Bobsin erledigt ist.«

Sie blickte ihn mit leeren Augen an und dachte sich ihr Teil.

Salomon war in die Spandauer Straße eingebogen. Gumperts alte Konditorei war sein Ziel.

Zum Glück waren nur wenige Menschen da, die meisten Gäste mochten bereits zum Abendbrot gegangen sein.

Man nahm an einem Tische gemeinsam Platz. Der Kaffee wurde serviert, aber Salomon rührte ihn nicht an. Agnes Jung nippte an der Tasse.

Artur hörte seine Pulse schlagen, obwohl es ihm gelang, seine äußere Ruhe zu wahren. Seine schokoladenbraunen, mandelförmigen Augen glitten unruhig hin und her. Der Vater saß so ernst und feierlich da, und statt des gutmütigen Ausdrucks, den er von klein auf an ihm gewöhnt war, lag tiefe Kümmernis auf seinen Zügen. Er hatte die Eltern langsam vorbereiten und langsam gewinnen wollen, und nun hatten sie offenbar Kenntnis von der Geschichte bekommen und wollten ihn überrumpeln.

Als Salomon immer noch schwieg, hielt er es nicht länger aus.

»Also, Vater, möchtest Du nicht beginnen? Es hat doch keinen Sinn, mich auf die Folter zu spannen.«

Agnes Jung erhob sich. »Vielleicht störe ich, wenn es Ihnen angenehmer ist, ziehe ich mich zurück.«

Salomon wehrte ab.

»Sie gehören leider dazu, und es ist besser, Sie bleiben. Ich war nämlich gerade im Begriff, Herrn Bobsin aufzusuchen.«

»Bobsin,« stammelte Artur, und zugleich fühlte er, daß die Farbe aus seinem Gesicht wich.

»Ja, Bobsin!«

»Wenn Sie fünf Minuten früher gekommen wären, hätten Sie mich bei Bobsin getroffen,« stieß Agnes Jung hervor und warf dabei ihren Kopf zurück.

Bei diesen Worten zuckte Artur zusammen. Warum mußte sie das gerade jetzt sagen? fuhr es ihm durch den Kopf, und in seine Miene trat etwas Schmerzhaftes.

Salomon kniff die Augen zusammen und tat, als ob er es nicht bemerkt hätte.

Agnes Jung fuhr unbekümmert fort: »Nämlich, ich habe Bobsin gerade einen Antrag gemacht und einen Korb habe ich mir geholt.«

»Mußten Sie das aussprechen, Fräulein Jung?« rief Artur gequält. »Und was gehen diese Dinge meinen Vater an?«

Und ohne sich länger beherrschen zu können, schrie er: »Weshalb überfällst Du mich eigentlich? Was hat das alles zu bedeuten, was willst Du von mir?«

Salomon gab sein tiefes Lachen von sich. Trotz seines Kummers saß er breit und behäbig da, er schien nicht gewillt zu sein, einen fremden Menschen in sein Herz blicken zu lassen.

»Hier,« sagte er und zog den Wisch aus der Rocktasche, um ihn Artur zu reichen.

Und während Artur ihn überflog und dabei beständig an seiner Lippe nagte, ließ Salomon ihn nicht aus den Augen.

Er hatte Agnes Jung völlig vergessen. Die aber betrachtete mit kühler Ruhe Vater und Sohn und konnte nicht die mindeste Ähnlichkeit zwischen ihnen entdecken. Der alte Salomon gefiel ihr, trotzdem er als ihr ausgesprochener Feind gekommen war.

Artur lachte schrill auf: »Und deshalb bist Du zu Bobsin gegangen?«

»Ja, deshalb. Ich wollte mir von Bobsin bezeugen lassen, daß das alles erstunken und erlogen ist, um dann mit der Geschichte fertig zu sein und Deiner Mutter erklären zu können: Nun, siehst Du, wer recht hat!«

»Darf ich den Brief lesen?« fragte Agnes Jung.

Artur wehrte heftig ab, aber Salomon erwiderte: »Ich für mein Teil habe nichts dagegen.«

»Lesen Sie ihn nicht,« beschwor Artur, »es hat keinen Sinn, ihn zu lesen.«

Fräulein Jung schüttelte den Kopf.

»Es steht doch offenbar von mir etwas darin, und da Ihr Vater Wert darauf legt, die Wahrheit zu erfahren, kann ihm wohl niemand besser Rede und Antwort stehen als ich.«

Was hat sie nur im Sinn? fragte sich Artur und wurde immer unruhiger. Will sie mich lächerlich machen und meine Leute gegen mich aufbringen?

Er konnte ihren Blick nicht ertragen.

»Wie Sie wollen,« sagte er leidend. »Aber kein Mensch kann Sie zwingen, sich einem Verhör auszusetzen.« Und gepeinigt fügte er hinzu: »Sie sitzen doch nicht auf der Anklagebank. Niemanden gehen diese Dinge etwas an.«

Fräulein Jung las bereits. Ganz langsam las sie das anonyme Schreiben, ehe sie es gleichmütig auf den Tisch legte.

»Darf ich Ihrem Vater darauf antworten?«

Artur nickte wie erschlagen.

»Sie dürfen Frau Salomon versichern, ich stelle Ihrem Sohn nicht nach, er ist durch nichts an mich gebunden. Und zweitens, ich war niemals Bobsins Geliebte.«

Bei diesen Worten hatte Artur den Kopf tief gesenkt.

Fräulein Jung fuhr unbeirrt fort: »Darin liegt nicht das mindeste Verdienst. Ich liebe Bobsin, ich habe es bereits gesagt, und hätte zu allem Ja gesagt; ohne zu zucken, hätte ich es getan. Bobsin hat abgelehnt. Heute habe ich einen letzten Versuch gemacht. Umsonst! Bobsin hat endgültig abgelehnt. Das ist alles!«

Herr Salomon atmete erleichtert auf.

»Dann ist meine Mission beendet,« erwiderte er. Und zu Artur gewendet: »Ich kann unmöglich annehmen, daß Du Dich an eine Frau drängst, die ...«

»Pardon,« unterbrach ihn Artur, und seine Züge strahlten, »in einem muß ich Fräulein Jung korrigieren. Ich bin an sie gebunden. Seit einer Viertelstunde. Nicht wahr, Fräulein Jung, Sie haben mir keinen Korb gegeben. Im Gegenteil, Sie haben mir erklärt, Sie würden meine Frau, falls Ihre heutige Unterredung mit Bobsin resultatlos verliefe. Ist es nicht so?«

Fräulein Jung kniff die Augen ein wenig zu.

»Ich habe das wohl gesagt,« entgegnete sie, »und jetzt sage ich: Sie sind nicht gebunden, Herr Artur!«

Herr Salomon erhob sich.

»Ich fühle mich hier ganz überflüssig. Im übrigen danke ich Ihnen für Ihre Aufrichtigkeit. Sehr verbunden, Fräulein Jung.«

Er winkte einem jungen Mädchen: »Ich möchte die drei Kaffees bezahlen.«

Dann grüßte er sie, ohne Artur zu beachten, und verließ mit schweren Schritten die Konditorei.

Fräulein Jung lachte leise. Sie hatte eine seltsame Art, lautlos und nach innen zu lachen.

»Ich lache, und mir ist gar nicht wohl dabei zumute. Ihr habt Euch beide tadellos benommen. Übrigens hat er vollkommen recht. Ich finde ihn ausgezeichnet. Und wenn Bobsin nicht wäre, ich könnte mich in ihn verlieben.«

Artur sah sie demütig und verängstigt an.

»Bitte, bitte, scherzen Sie jetzt nicht! Eines möchte ich Sie fragen: Warum haben Sie gesagt, Sie wären seine Geliebte, oder haben Sie jetzt meinen Vater ...« Er sprach nicht zu Ende. »Ich verstehe das alles nicht, ich finde mich nicht mehr zurecht. Weshalb martern Sie mich?«

»Weil ich Sie vor einem Verbrechen, vielleicht vor einer Katastrophe bewahren wollte. Ihr Vater ist zehnmal klüger als Sie, mit jedem Wort hat er recht. Eine Frau heiraten, die einen nicht mag, ist das nicht Irrsinn?«

»Das ist meine Angelegenheit!«

Er beugte sich zu ihr herab und küßte ihre Hand.

»Und eines Tages werden Sie mich lieben, Fräulein Jung, verlassen Sie sich darauf!«


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