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14 Kapitel.
Sammelstätten für Werke eminenter oder eminent scheinender Individuen.

Wo die Werke des Individuums selbst anstatt eines Urteils über sie in einer Sammlung vorgelegt werden, wird sich zunächst nicht die Art, sondern nur der Umfang der Erscheinungsform des Individuums verändern. Derartige Sammelstätten von Werken sind vor allem Museen und Bibliotheken. Aber wenn sich in ihnen eine Transformierung der Erscheinungsform als Folge auch nur mittelbar ergibt, muß sie doch als Ursache vorangegangen sein, um das Individuum überhaupt in Beziehung zu einer jener Einrichtungen zu bringen. Wiederum nämlich ist der Leiter der Sammlung in die Notwendigkeit des Auswählens versetzt. Wir werden alsbald sehen, nach welchem Prinzip sich diese Auswahl vollzieht, d. h. wie die Wertung, die ihr vorangegangen ist, zum sehr großen Teil durch die ruhmbildenden Faktoren beeinflußt ist. Aber das ist zunächst von geringerer Wichtigkeit. Rufen wir uns unseren Fundamentalsatz ins Gedächtnis zurück, daß nur von denjenigen Individuen, die die Möglichkeit haben, einer großen Masse zu »erscheinen«, einige in die Reihe der später als eminent geltenden und deshalb auch wirklich für die historische Entwicklung bedeutsamen gelangen, so ergibt sich die Wirksamkeit der Sammelstätten für unser Problem mit vollkommener Klarheit. Denn die Möglichkeit einer Massenwirkung ist gegeben, sowie die Werke des Individuums in ein Museum oder in eine Bibliothek aufgenommen sind. Vorher ist – wenigstens der künstlerischen und der wissenschaftlichen Eminenz – ein Bekanntwerden schon aus pekuniären Gründen sehr erschwert. Scheut man sich schon, den meist geringen Preis für ein Buch zu zahlen, so sind Bilder, Statuen, kunstgewerbliche Arbeiten für die Masse in vielen Fällen ganz unerschwinglich.

[167] Für die Museen, die zunächst betrachtet seien, ergibt sich als Hauptfrage: warum werden die Werke des einen Individuums in ein Museum aufgenommen, die eines anderen nicht? Zu scheiden ist zwischen Museen, die einen mehr nationalen, und anderen kleineren, die einen mehr lokalen Charakter haben. In die ersteren gelangen Künstler, die aus der Nation selbst hervorgegangen sind, ziemlich leicht, falls sie einer nicht allzu jungen Vergangenheit angehören, fremdländische bereits sehr viel schwerer. Sehen wir von dem wissenschaftlichen Zweck ab, einen Überblick über die historische Entwicklung der nationalen Kunst zu geben, so steht im Vordergrund wieder das Verehrungsbedürfnis. Man will dem Volke zeigen, was seine Söhne an Werten hervorgebracht haben, die nicht bloße Nutzwerte sind. Die Länge der Zeit, die seit dem Schaffen des Individuums verflossen ist, wirkt hier – wie in so vielen Fällen – auf das Urteil des Auswählenden mildernd: ein Maler des 16. Jahrhunderts wird leichter in ein nationales Museum aufgenommen als ein ebenso eminenter des 19. Das mag zunächst den rein äußerlichen Grund haben, daß Bilder aus dem 16. Jahrhundert überhaupt nicht in so großen Massen vorhanden sind wie Bilder aus dem 19., daß bei jenen also die Notwendigkeit einer strengen Sichtung nicht in dem Maße vorliegt. Aber dazu kommt der ruhmverstärkende Einfluß, der in der bloßen Zugehörigkeit zu einer längst vergangenen Epoche liegt. Dem Greise bringt man Verehrung dar, nur weil er ein Greis ist, ohne an den größeren oder geringeren Grad seiner Verehrungswürdigkeit zu denken, und ähnlich verhält man sich alten Häusern, alten Städten, alten Kunstwerken gegenüber. Daß die Erhaltung einem Zufall zu verdanken sein kann und in den meisten Fällen zu verdanken ist, vergißt sich leicht: man sieht in ihr bereits die Gewähr für eine gewisse Eminenz. Die beiden gleichermaßen anerkannten Sätze: »nur was eminent ist, erhält sich« und: »alles was sich hält, ist mehr oder weniger eminent« – sind gleichermaßen unrichtig. Das wird im einzelnen bei den späteren Ausführungen über den Glauben an das Urteil der Nachwelt gezeigt werden, wird aber auch schon an dieser Stelle, d. h. bei der Vergegenwärtigung der in einem großen Museum aufgestapelten Werke, evident. Eine wirk [168]liche Siebung wird also – wenigstens in den großen nationalen Museen – an den älteren Werken nicht oder nur in geringem Maße vorgenommen.

Wichtiger ist für uns daher eine Erkenntnis des Prinzips, nach dem sich die Auswahl der jüngeren Werke vollzieht. Der ideale Fall ist der, daß der Museumsleiter aus der Zahl der Bilder, deren Erwerb ihm mit seinen Mitteln überhaupt möglich ist, diejenigen auswählt, die ihm als die eminentesten erscheinen. Aber selbst in diesem Falle verfährt er bereits weniger selbständig und weniger unbefangen, als er selber glaubt. Er ist – wie jedes andere Wesen – sozial bedingt, d. h. er hat die Ansichten und Strebungen, die seine Umwelt hat. Die ruhmbildenden Faktoren wirken auch auf ihn. Je nachdem er ein mehr konservativer oder ein mehr fortschrittlicher Geist ist, wird die Meinung der Vor- oder die der Mitwelt ihn beeinflussen. Einigermaßen selbständig verfahren wird er nur dann, wenn er selber ruhmzeugender Faktor, also Entdecker ist. Aber auch das ist er seltner als z. B. der unabhängigere Kunstschriftsteller. Auf die Erscheinungsform des Individuums freilich, das er erst einmal »entdeckt« hat, wirkt er alsbald im günstigsten Sinne ein. Er fungiert jetzt als Ruhmverbreiter ersten Ranges.

Aber nicht immer wird er bei Neuanschaffungen seinen Geschmack allein sprechen lassen dürfen. Je nach der Eigenart des Museums ist er anderen Faktoren untertan. Er wird sich bei staatlichen Museen z. T. nach den Wünschen des Herrschers, bei lokalen nach denen der Stadtverwaltung richten müssen. Immer aber ist dem Individuum, dessen Werke aus irgend welchen, mit der Eminenz nur mittelbar oder gar nicht zusammenhängenden Gründen aufgenommen sind, die Möglichkeit der Massenwirkung und damit der Ruhmgewinnung gegeben.

Man sollte meinen, daß wo – wie in einem Museum – die Werke selbst ohne irgend welche Wertung der Masse vorgeführt werden, die eigentliche Transformierung nur ganz mittelbar, nie aber sofort eintreten kann. Aber nicht einmal das ist der Fall. Haben wir eben gesehen, daß schon in der Aufnahme eines Künstlers eine erste Wertung liegt, so zeigt sich eine weitere darin, daß von dem einen nur wenige, von [169] dem anderen zahlreiche Werke zugelassen werden. Auf das Urteil der Masse wirkt bereits diese zahlenmäßige Tatsache ein. Eine noch deutlichere, die Massenmeinung noch mehr beeinflussende Wertung liegt in der Einrichtung der sog. » Ehrensäle«. In diejenigen Räume, die das Publikum besonders leicht findet oder die ausdrücklich als »Ehrensäle« bezeichnet sind, werden Werke gestellt, vor denen die Bewunderung obligat ist. Auch der unbefangenste Betrachter wird befangen, wenn er einen solchen Raum betritt. Das Prinzip nun, nach dem der Museumsleiter die Auswahl der Werke vornimmt, denen Ehrenplätze eingeräumt werden, ist dasselbe wie früher. Hauptbedingung ist, daß der Künstler bereits über eine verstärkte Ruhmform verfügt: on ne préte qu'aux riches. Der beeinflußte Faktor wird also wiederum zum beeinflussenden.

Die ruhmbildende Macht der Bibliotheken ist aus verschiedenen Gründen geringer als die der Museen. Denn während für ein Bild die Aufnahme genügt, damit eine gewisse Massenwirkung eintrete, ist sie für ein Buch bei weitem nicht ausreichend: es muß erst noch besonders verlangt werden. Auch ist der Dichter oder der Gelehrte, um durchzudringen, auf die Bibliothek nicht in dem Maße angewiesen wie der bildende Künstler auf das Museum und die Ausstellung, weil das Buch billiger ist als das Kunstwerk und deshalb von dem, der es lesen will, leichter gekauft werden kann. Trotzdem hat auch die Bibliothek Einfluß auf die Bildung der Erscheinungsform.

Was zunächst die Auswahl anlangt, so ist sie – wenigstens bei den ganz großen Bibliotheken – von wirklicher Bedeutung nur für die ausländische Literatur; denn die inländische – mag sie nun wissenschaftlicher oder belletristischer Art sein – kann, da das einzelne Werk nicht allzu viel kostet, zum sehr großen Teil angeschafft werden. Schon eine flüchtige Überlegung zeigt, daß der Bibliothekar, wo er überhaupt auswählen muß, sich genau so verhält wie der Museumsleiter: er ist abhängig von der Erscheinungsform, über die der Schriftsteller bereits verfügt. Die Werke – wiederum nicht des eminenten, sondern – des gekannten werden leichter angeschafft als die des nicht gekannten. Je kleiner der Etat [170] der Bibliothek ist, desto stärker muß gesiebt werden, desto mehr zeigt sich also die Abhängigkeit des Wählenden von den ruhmbildenden Faktoren. Ist aber ein Unberühmter durch einen Entdecker erst in die Bibliothek gelangt, so genügt wiederum dieser Umstand, um ihm zur Gekanntheit zu verhelfen. Noch größer als auf den Bibliothekar ist der Einfluß der ruhmbildenden Faktoren auf den Bibliotheksbenutzer. Die Werke des berühmten Autors werden nämlich nicht nur leichter angeschafft als die des unberühmten, sondern auch mehr verlangt. In einer populären Leihbibliothek z. B. kann die Erscheinungsform eines Modeautors fast zahlenmäßig danach abgeschätzt werden, wie häufig seine Werke ausgeliehen werden. In diesem Falle zeigt es sich besonders deutlich, wie der ruhmbildende Faktor nicht nur auf die Masse wirkt, sondern auch bereits selber von der Masse abhängig ist. Die Bibliothek, in der der Autor zunächst einen ungünstigen, weil ihn finanziell schädigenden Faktor sieht, ist also in einem tieferen Sinne für ihn von der größten Wichtigkeit. Nur durch sie wird er zur Gekanntheit und schließlich zum Ruhme gelangen.

Neben diesen Sammelstätten sind hier verschiedene Arten von Sammel büchern zu beachten, die stets eine Auswahl aus den Werken verschiedener Autoren enthalten, z. B. Anthologien für Poesie oder Prosa, musikalische Sammelwerke, Bildermappen usw. Die Ähnlichkeit mit den vorher erwähnten Institutionen ist evident: auch hier handelt es sich darum, daß an einer einzigen Stelle die Werke mehrerer Individuen zusammengestellt werden, damit die Masse sie leichter, d. h. unter geringeren finanziellen Opfern, aufnehmen könne. Auch die Fragen, die sich ergeben, sind dieselben wie früher: warum wird der eine Dichter in die Anthologie zugelassen, der andere nicht? und: welche Wirkung hat die Zulassung auf den Leser?

Die Antworten lauten wiederum: der Herausgeber findet entweder bereits eine Ruhmform vor, oder er hat – sehr viel seltner einmal den Willen zum »Entdecken«; im ersten Falle wird aus dem geringen Ruhm ein großer, im zweiten aus dem noch nicht vorhandenen ein geringer. Immer aber wirkt das Sammelbuch ruhmverstärkend.

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