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Trauriger Weg

Ich ließ mir Zeit, ehe ich mich aufmachte, die beiden in ihrem Glück zu besuchen.

Erst mußten sie sich gefunden haben.

Ich traf sie nicht zu Hause.

So ging ich etwas in den Park: die Querallee hindurch zum Goldfischteich.

Und da traf ich sie, wie sie auf dem bläulichen Kieswege standen und auf das goldrote Treiben der wimmelnden Goldfischscharen schauten, die in dem üppig grundbewachsenen Teiche umherstrichen und schwänzelten.

Es war wie ein Spiegelbild des unerschöpflichen Lebens selbst, mehr Symbol als Wirklichkeit.

Wie kleine Tannen, wie Tannen einer Liliputwelt ragten Wasserpflanzen aus dem seichten Grande. Und die Fische: da waren ganz kleine, schier durchsichtige, die wie Schatten der Unterwelt, wie Seelen, die keine Ruhe finden konnten, in kleinen Zügen umherstrichen.

Auch recht ausgewachsene Kerle waren da, in feierlich sanftem Rot wie Kardinäle erscheinend. Einige hatten weiße, andere schwarze Flecken.

Und was für dumm-stutzende Augen sie machten und dabei mit ihren Mäulern schnappten, als ob sie vor lauter Welträtseln ständen und was sie mit den Augen nicht zu erfassen imstande waren, mit dem Munde schlucken wollten.

Ich schüttelte den beiden kräftig die Hände und guckte sie mir an: wahrhaftig, schon ganz die Pyrmonter Patina, eine glückliche Vereinigung von Welt und Kleinbürgerlichen!

Sie waren sehr zufrieden mit dem Beginn der Saison, hatten aber glücklicherweise noch ein Zimmer frei für mich. –

Längst war die Kurmusik verklungen, noch immer aber konnten wir uns nicht trennen von dem weichen, dunklen Abend: wie ein schwarzer Diamant in feierlicher Sehnsucht, alles Licht aus der Dunkelheit in einen Punkt gesammelt das Försterhaus mußte es sein – lag der Königsberg da. Der Königsberg, da Friedrich der Große mit seinem einsamen Königsgeiste mit Vorliebe geweilt und sein adlerscharfes Auge, sein herrscherernstes Höhenauge in den anmutigen Umrissen des schoßartigen Emmertales gelindert hatte.

Am andern Morgen verabschiedete ich mich. Hier hatte ich nichts mehr zu tun. Sie waren glücklich, fertig, und wie das immer so ist, dann wird das alles so ein bißchen langweilig, ist nichts besonderes mehr zu erwarten.

Die Besuche gähnten schon.

Dafür tat sich ein anderes Feld der Tätigkeit auf.

Wie früher der Baron, so schloß sich jetzt sein Exfeind an mich an. Und dem konnte ich mich nicht entziehen. Seine Blicke stöhnten.

Seine Verzweiflung tastete nach mir.

Wie ein Blinder war er; fehlte ihm meine Hand, so fiel er.

Ich war sein Halt.

Sein Leben: ein Todeskampf, der kein Ende finden konnte.

Ein Sterben, das keinen Tod bekam.

Wehen in der Seele, und keine Geburt.

Wo man mit ihm ging: auch die Natur fand Töne des Grauens.

War er an meiner Seite, so sah ich überall unter den kräftigen, gelbgrünen Büschen und Gesträuchen, die aussahen wie besprengte Ruinen, ein forschend drohendes, kränklich gelbliches Haupt, ungeheuer, die Büsche zurückbiegend, überzüngelt von blauschwarzen, von eigenem Gifte geschwollenen Nattern. Manche fielen herab und suchten unter der Wand des Halses auf minder abschüssigem Grunde nach dem Herzen und verbissen sich, weil sie keins vorfanden, in den blauschwarz anlaufenden Busen ihrer Trägerin.

Flammenschatten aber standen empor in der verschleierten, wie veraschten Ferne.

Hat irgendwo jemand einen schweren Todeskampf, dauert es länger als vierundzwanzig Stunden, ehe sich so eine Seele entschieden hat, ob sie bleiben will oder gehen, so tuschelt schon davon das Grauen aller Nachbarschaft.

Dehnt sich dieser zerrende Zwischenzustand länger aus, dann ist es anzusehen wie eine geistige Vierteilung.

Hier aber hielt ein Zustand, bei weitem noch schlimmer, weil er nicht natürlich war, weil er aus dem verletzten Geiste kam, seit mehreren Jahren an.

Ein Ringen, dem man nicht beispringen kann!

Und alles das unter einer Luft, die nährend und rein ist wie eine Frucht: die welksüße Teutoburger Luft der letzten Sonnentage!

»Ein Ende, ein Ende!« ächzte er.

Wimmernd konnte er sich im Walde auf den Boden werfen, sein wie von ätzenden Bächen durchfurchtes Gesicht auf die Arme stützen und vorwurfsvoll zwischen dem Spitzenwerk der Zweige empor zum fast unsichtbaren Himmel schauen.

Puttenlage, aber wie anders der Ausdruck!

Gequält und verschnürt und verwickelt!

Nicht vertrauend nach oben gewölbt wie bei den beiden Putten der Dresdener Madonna.

»Zerreißen, zerreißen, könnt ich mich zerreißen!«

Ob das die Tollkirschen, die Einbeeren auch denken, die mit ihrem violetten Safte vor ihm blankem, die mit giftigem Sträußel überpuderten Scharlachkuchen des Fliegenpilzes, die aus bösem Boden kommen wie dicht dabei Maikräuter und Erdbeeren aus dem guten gesunden Boden, hervor zwischen den ruhig wurzelnden, sehnig glatten Buchen?

Da droben das ewige Gesetz weiß, was einer leidet, der falsch zusammengesetzt, verkehrt gestählt. Entherzt.

Und wenn so einer, von innen heraus so verstört, immer wieder selbst sich in Entsetzen stürzend, hingeht und leben bleibt: das ist stark und groß und mächtige Sühne.

Und die Hölle brannte ruhig, sie warf auf andere keine Kohlen mehr hinüber.

Nicht mehr wie früher, da er geklagt: »Ich bin eine Hölle, wissen Sie: wie soll ich es da verhindern, daß auf die andern ein Funken überfliegt?«

Der Unstete kam nicht zu mir: er suchte nicht auf, er mußte aufgesucht werden.

Kam ich aber nach Grävenburg, so war das eine Weihe für ihn, eine Freude.

Minder gut, störend wirkte ich auf die Kinder ein.

Hatten sie früher in bissigem Einvernehmen gelebt, in streitender Gemeinschaft; so trat nun eine Scheidung ein.

Das Mädchen strich in der Art ihrer fahrigen, von den Puppen auf die sprühende Welt sich umschwenkenden Jahre in meiner Nähe umher, was der Junge knurrend und mit großem Grimm auf den Störenfried, auf mich also vermerkte.

Der arme Kerl: sein Vater wollte ein neues Leben anfangen und konnte sich gar nicht entschließen, ihn als eine störende Erinnerung aus früherem Elend, aus vergangener Häßlichkeit mit hinüberzunehmen in reinlichere Tage, überhaupt über ihn zu befinden.

 


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