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Der alte Puljohann sprach viel zu sich selber um diese Zeit, mehr denn je. Fast jeden Abend, wenn er um das Haus die Runde gemacht, um zu sehen, ob alles in Ordnung sei, war etwas nicht richtig. Alles war dunkel; dann flog auf einmal ein bleicher Schein über den Himmel, als hätt' es geblitzt, ganz leise geblitzt.
Das bedeutet immer, daß einer umgebracht ist oder wird. Und das wiederholte sich jeden Abend.
Doch noch immer wollte nichts derart eintreffen. Und doch: es kam.
Kam ganz unerwartet, von einer anderen Seite, als Puljohann erwartet hatte, und war auch gar nicht furchtbar. Aber sehr, sehr unangenehm.
Für beide unangenehm: für ihn und für die alte Karoline. Beide alte Hausmöbel, die so lange an ihrer Stelle gestanden und ihren Platz wohl ausgefüllt hatten, sollten nun in die Ecke gestellt werden.
Der junge Herr war zurückgekommen; er hatte seine Kurse hinter sich, sein Diplom Nr. 2 in der Tasche.
Er hatte ein forsches Auftreten, wie es seine neunzehn Jahre weit überragte. Kurz angebunden gab er seine Befehle, Widerspruch duldete er nicht, laut und lärmend war sein Lachen, wo irgend etwas seinen Spott erregte. Und den erregte vieles. Die altfränkische, umständliche, eintönige Wirtschaftsführung seines Urknechtes, die irrationale Viehfütterung der alten Karoline, die vom Hergebrachten nicht abgehen wollte und deren Kündigung er doch auch nicht annehmen durfte. Es ist eine fatale Sache mit so alten Dienern. Gerade wie mit alten Zigarren. Sie sind nicht mehr zu brauchen. Die Zigarren kann man wegwerfen, wenn sie einem nicht mehr schmecken. Alte Diener aber verlangen große Rücksicht, denn wenn ihnen mal etwas nicht paßt und sie mucksen, so räsoniert die ganze Gegend mit. Am meisten amüsierte er sich, am vernichtendsten klang seine Lache, wo er des armen Weihnacht ansichtig war: »So ein verdrehter Geselle! Wo andere den Bücherkram beiseite werfen, da fängt er damit an! Rechnungen schreibt er! Als wenn er was zu fordern hätte! Ah, nun merk ich's erst: er will sich wohl üben, den Dienst bei mir anzutreten. Das kann ich dem jungen Herrn aber im voraus sagen, einen ungeprüften, einen nicht gut empfohlenen Rentmeister nehm ich nicht in meine Dienste. Dazu kann mich mein Vater nicht zwingen. Und scharf auf die Finger sehen werd ich dem Patron auch. Spitzbuben kann ich nicht brauchen, ebensowenig wie Pfuscher.«
Weihnacht sandte ihm nur einen Blick zu, der, falls er eine Kugel gewesen wäre, sicher gesessen hätte, und las, schrieb oder rechnete weiter.
Jung Walter aber im Bewußtsein seines funkelnagelneuen Herrentums pfiff seinem Karo, diesem grinsenden Ungetüm, das noch jetzt doch die Grävenburg bewacht und trotz seiner weißen Haare einen aus den falschen, blutdurchschossenen Winkeln seiner Augen so verdächtig ansehen kann.
Beide schlenderten nun dahin, der junge Mann pfeifend und seinen schweren Landwirtstock schwingend, der Hund trottend und die Schnauze mürrisch suchend am Boden. Beide stiegen nebeneinander die vier Stufen zum Kruge hinauf. Der Wirt erhob sich von der grünen Bank unter der halbwüchsigen Linde, nahm die lange Pfeife aus dem Munde, den grauen Petzel vom Kopf und dienerte: »Guten Tag auch, Herr Baron! Wollen Sie mir mal wieder die Ehre geben?« Dann folgte er seinen Gästen in die Haustür. Denn auch Karo bekam hier zu fressen. Zwanzig Pfennige wurden für die Abfälle und Knochen bezahlt, an denen er sich in der Küche gütlich tat.
Dann kam er wieder hinein, schritt durch das erste Gastzimmer, die offenstehende Tür in die Honoratiorenstube. Dort legte er schwer und schnaubend sich zu den Füßen seines Herrn nieder, der stolz wie ein Pascha auf dem schwarzledernen Honoratiorensofa thronte und mit mächtigen Zügen ein Glas auf das andere leerte. War Gesellschaft da, so hörte er sich gerne sprechen, erzählte von dem vielen Champagner, den sie auf der landwirtschaftlichen Schule getrunken, daß da einem erst das Leben aufgehe.
Und was die Klage über die schlechte Lage der Landwirtschaft betreffe: das sei pure Dummheit. Machen ließe sich auch daraus etwas, nur müsse man es verstehen. Dabei strich er dem erst ein paarmal aufseufzenden, dann kräftig durchschnarchenden Karo gern mit der Sohle über sein struppiges Fell. Karo war sein Liebling.
Am besten vertrug sich Walter nun mit seiner Schwester. Daß sie sich nett trug und hielt, das Damenhafte an ihr gefiel ihm, und er machte gern Staat mit ihr nun, ging mit ihr aus, machte Besuche mit ihr bei den Honoratioren, den wenigen Honoratioren, die seine Standeshoheit anerkannten.
Die Standesgenossen schnitten ihn.
Wenn sie so mitsammen gingen oder fuhren, sah er seine Schwester des öfteren mit unverhohlenem Wohlgefallen an. Sie wurde von Tag zu Tag hübscher; wie leicht konnte da nicht eines Tages ein wohlsituierter Bürgerlicher: ein Apotheker, ein Gutsbesitzer kommen und um sie anhalten. Das wird auch ihm mit zu höherem Ansehen verhelfen.
Weihnacht hatte indes mit rastloser Zähigkeit seine Schulkenntnisse aufgefrischt und erweitert, hatte in wohlgesetzten Worten den Lehrer um Verzeihung gebeten über sein rüpelhaftes Benehmen, sein Bedauern ausgedrückt über die gute Gelegenheit seiner Ausbildung, die er versäumt, und den Lehrer gebeten, ihm weiterzuhelfen. Auch ihm zu raten, wie er es anzustellen habe, auf einer Gutsrentei beschäftigt zu werden.
So wie er könne, würde er ihm erkenntlich sein. Der Lehrer, der den Ernst des jungen Mannes sah, ward dadurch gewonnen und bildete ihn vorläuflig unentgeltlich fort. Die Sache machte ihm selbst Freude, da er wahrnahm, wie der Eifer und das Auffassungsvermögen des jungen Mannes sich die Waage hielten.
So schliff der eine seine Werkzeuge still und unscheinbar, während der andere sie bramarbasierend schwang, dann in die Ecke stellte und verrosten ließ.