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Niedergang

Sonderbar: wenn früher allenthalben das Geld gefehlt hatte, nun war es auf den ersten Wink vorhanden.

Nur ein kleiner beschriebener Zettel brauchte mit einem Namen versehen zu werden. Die reine Zauberformel!

So ein Rentmeister war wohl nie dagewesen. Der Vater hatte es doch recht gut gemeint, als er bestimmte, daß sein Sohn Walter nur dann erben sollte, wenn Weihnacht Rentmeister bei ihm würde. Es war doch wohl nicht so, wie Walter in der ersten Zeit angenommen hatte, daß diese Klausel nur im Interesse Weihnachts, ihm selbst aber zum Schaden in das Testament aufgenommen sei.

Das ging so drei Jahre.

Dann trat, während Walter gerade beim Frühstück saß und einen Korn hinuntergießen wollte, um der fetten Leberwurst nachzuhelfen, Weihnacht mit einer Handvoll Zettel herein.

»Die Ernte steht ausgezeichnet! Einen Hafer, wie dieses Jahr, so voll in den Ähren, so groß in den Körnern, haben wir lange nicht gehabt.«

Weihnacht entgegnete nichts, nur bewegte er die Blätter, die er in der Hand hielt, daß sie leise raschelten.

Das war seine Ernte, diese Papierchen, die er seit Jahr und Tag angesammelt hatte. Und diese Papierchen sollten reichere Frucht tragen, als alle Haferfelder des Gutes zusammen.

»Du bist wohl so gut und begleichst diese Kleinigkeiten«, meinte Weihnacht sanftmütig.

»Ich wollte mich selbst einrichten nun und brauche deshalb das Geld, das ich dir verschafft und vorgestreckt habe.«

»Mensch, bist du toll? Woher soll ich die zehntausend Mark nehmen?« schrie der Überfallene Gutsherr.

»Das ist deine Sache. Nur daß ich das Geld haben muß! Und das binnen drei Tagen.«

Walter stürmte fort. Bald sah man ihn mit großer Eile auf dem Jagdwagen davonfahren. Er kutschierte selbst.

Als er wiederkam, sah er sehr flügellahm aus.

Er ging umher, als sei etwas in ihm gebrochen.

»Mach die Geschichte nur kurz. Da ist weiter nichts zu machen. Du hast mir den Strick um den Hals gelegt, nun zieh zu! Zieh zu, du Halunke, sag ich dir!« Dabei war er seinem Peiniger an die Gurgel gesprungen.

Der aber nahm mit seinen sehnigen Armen, ohne sich weiter aufzuregen, den Angreifer von sich fort, wie man behutsam eine Raupe sich vom Ärmel liest.

Nun ward kein Wort mehr zwischen ihnen gewechselt. Weihnacht setzte die Staatsmaschine zu seinen Gunsten in Bewegung, und bald, ehe er sich's versehen, aß Hassenburg das Gnadenbrot bei seinem Rentmeister, der nun sein Wohltäter geworden war.

»Ich glaube nicht, daß mein Vater das beabsichtigt hat«, sagte der Zugrundegerichtete, als ihm der Gerichtsdiener den Bescheid einhändigte, daß sein Gut auf Antrag des Gläubigers versteigert werden solle.

 

»Und so bin ich das geworden«, meinte der Baron, als er mir dies erzählt hatte. »Glauben Sie nur, was das für ein gemeines Gefühl ist! Sich nicht regen zu können, alles so über sich ergehen lassen zu müssen und dabei zu fühlen: das geschieht dir nun recht! Warum bist du auch so dumm, so eselhaft dumm gewesen! Und den einzigen Trost, den man dennoch hat, den gab er mir ja auch. Das Trinken hat er mir nicht verwehrt, die Schulden, die ich da machte, die hat er bezahlt. Bezahlt, ohne je auf Wiedererstattung zu rechnen. Herr, du meine Güte: war das ein Leben! Kein Umgang, keine Achtung, im Gegenteil: man fühlte immer die Verachtung, mit der alle auf einem lasteten. Einer nur saß mit mir zusammen, die sechs Jahre hindurch, bis er im vorigen Jahre starb. Das war ein Standesgenosse – nicht von Hof und Haus gejagt wie ich, nein, ganz im Gegenteil: er war recht vermögend - aber er hatte keine Ehre mehr. Ihm ging es wie mir. Wo wir uns anmelden ließen, da hieß es: ›Der Herr Baron läßt sagen, er sei für den Herrn Baron nicht zu sprechen.‹ Na, er hat es verdient. Wenn man die Sache auch mit Geld beglichen hat, wenn er auch nicht ins Zuchthaus brauchte, aus dem Offiziersstande ausgestoßen wurde er doch – und sogar ich kam mir vor, als stehe ich über ihm. Auch ich mußte mich manchmal zusammennehmen, um ihn meine Verachtung nicht fühlen zu lassen, um ihn zu dulden. Das war ein Sumpf, darin wir beide steckten, alle Tage steckten bis über die Ohren; um uns die Leute mit ihrem: ›Herr Baron!‹ vorn, ›Herr Baron!‹ hinten. Die freuten sich über unsere Leutseligkeit, daß sie uns unter sich hatten. Ja, in der Tat, wir standen beide unter ihnen. Ich zum mindesten, wenn ich diese Leute gewesen wäre, zu dem andern – doch von den Toten soll man nichts Übles sagen – ich meine, zu dem andern hätte ich nicht gesprochen, wenn ich die Leute gewesen wäre.

Mit mir war das ja eigentlich nicht so ehrenrührig. So innerlich ehrenrührig mein ich. Ich war reingelegt, und das – ich habe Ihnen wohl gar noch nicht gesagt, daß ich auch verheiratet gewesen bin. Keine Edeldame, nein, nur die Köchin, die ich nahm, als die alte Karoline den Weg allen Fleisches gegangen war. Es war eine gute Frau, wir vertrugen uns ganz gut. Gut, daß sie das nicht mehr erlebte. Nur mein Junge – den hat er verdorben. Den hat er nach sich gezogen und auf mich gehetzt. Und dieser Junge hält mich fest in diesem Höllenkasten.

Deshalb wollte ich auch Ihr Anerbieten, mir eine andere Wohnung zu geben, nicht annehmen. Ich kann mich mit dem Jungen nirgends sehen lassen, ich muß mich schämen für ihn, ich muß ihn da versteckt halten. In eine Zwangserziehungsanstalt haben sie ihn bringen wollen: aber das habe ich noch abgewendet. In die Schule konnte ich ihn nicht gehen lassen, dazu war er zu wild.

Da hat denn er für den Lehrer gesorgt. Daß der jeden Tag hinkommt. Aber das tut er nur, damit er mich quälen und den Jungen, den er durch Trinken und Zuckersachen verwöhnt und anhänglich macht an sich, noch mehr zurichten kann, wie er will. Doch das geht nicht so weiter.

Der Junge muß weg von da, mögen die Leute sagen, was sie wollen. Man muß sich über die Mäuler stellen.

Und dann mein Herr, da ich einmal beim Bekennen bin, muß ich Ihnen auch noch sagen, daß ich Sie angelogen habe, recht gemein angelogen, als ich Sie zum ersten Mal kennenlernte.

Ich stelle mich vor als Leutnant. Ich und Leutnant! Wie hätte ich Leutnant werden können? Bei unsern beschränkten Verhältnissen! Das liegt so in uns. Wir wollen immer noch was vorstellen.

Und dann: Sie gefielen mir. So wollte ich einen mächtigen Eindruck auf Sie machen. Nicht vor Ihnen stehen wie ein ganz gemeiner Klutenhamper. Dem man den Grund unter den Füßen fortgezogen. Bin doch ein schrecklicher Kerl, nicht wahr?«

Ich reichte ihm die Hand hin: »Kein schrecklicher, vielleicht ein schwacher, jedenfalls aber ein böse, böse zugerichteter Mann! Und darum müssen Sie Ihr Recht haben. Lieben Sie Ihre Venus? Wollen Sie sie heiraten?«

Der Baron bitter: »Ich und heiraten!«

»Nun, warum nicht? In Pyrmont ist, wie ich neulich sah, an der Schulstraße ein Haus zu vermieten oder zu verkaufen. Ich schieße Ihnen das Geld vor, das Sie zur Einrichtung nötig haben; Sie vermieten an Kurgäste und haben dadurch ein kleines Einkommen, wie's ja da mehrere Ihrer Standesgenossen gibt, die früher bessere Verhältnisse gesehen haben. Ganz gescheiterweise haben sie so viel aus dem Schiffbruch gerettet, daß sie dort sich einrichten konnten, und nun leben sie ganz glücklich, mindestens sorglos. Und Sie sollen sehen: das werden Sie auch tun. Sie heiraten Ihre Anna, schaffen sich etwas Landwirtschaft, einen Garten an, wenn's paßt, und es wird nicht lange dauern, und man wird Sie wieder als ebenbürtig betrachten. Um Ihre Frau könnte ich Sie beneiden.«

Standhaft hielt ich den pressenden Händedruck aus, den der Aufwallende und diesmal vor Liebe Aufwallende mir versetzte. Wußte ich doch, daß es ein starkes Gefühl, daß es ein hervorbrechender Lebensstrom war, der sich in diesem Händedruck Bahn schaffen mußte. Dann stellte sich der Baron ans Fenster und sah angelegentlich hinaus. So wollte er verbergen, wie es ihm heiß und feucht in die Augen geschossen war. Ich ließ ihn eine Weile gewähren und kramte zwischen meinen Büchern.

Dann, als ich annahm, nun könne er sich gesammelt haben, machte ich ihm den Vorschlag:

»Es ist so schönes Wetter heute! Wie war's, wenn wir einen Wagen nähmen und nach Willebasen hinausführen und mit dem Mädchen und ihren Leuten, wenn diese in der Nähe sind, sprächen.«

»Ja, können wir machen«, stimmte der Baron lebhaft in meinen Vorschlag ein.

»Darf ich mir eine Zigarre nehmen?«

Nun ging er mit Schritten, die zielbewußt waren wie die eines Wanderers, so lange auf und ab im Zimmer, bis ich meine Papiere zusammengelegt hatte.

Tiefblaue Wölkchen umgaben seine erneute Gestalt, als seien sie die heitern Zukunftsträume, die voll und tief gefärbt aus seiner Seele, aus ihm emporwirbelten, als seien sie ein Herdfeuer, das aus einem glücklichen Hause aufsteigt, geradewegs in den Himmel.

Wir fuhren.

Wie so eine Venus innerlich leuchten kann, wie auch andere leuchten können, die so einer Venus nahe stehen, leuchten können von ein paar Worten, die man ihnen sagt, das zu erfahren sollten wir diesen Tag noch reichlich Gelegenheit haben.

 


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