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Mit wahrer innerlicher Angst kämpfte ich mit einem unwiderstehlichen Triebe, an dem meine Seele feststak wie an einem Messer. Es war der Trieb der Brandstiftung.
Ich hatte eine Schachtel deutsche Schweden in der Hand.
»August Kolbe aus Zanow, Pommern« stand darauf. Das wußte ich, wie man im Traum das immer so weiß, ohne darauf hinzusehen. In meiner Seele glühte phosphorisch der Gedanke: Es muß aufgeräumt werden mit dem Gerumpel, weg mit dem verrotteten Mittelalter! Ein neues Haus, eine Villa nach meinem eigenen Sinne muß hier stehen als Sinnbild meiner Weltanschauung.
Weg mit dem Menschengerümpel!
Ich bin nicht für Konzession zu haben.
Und so stark empfand ich die scharfe schneidende Gewalt eines Triebes, wie er den Menschen in sein Schicksal reißt, daß gerade aus dieser Stärke heraus der Umschlag erfolgte, der Zweifel, und ich mir sagte: »Das kann ich ja nicht sein, das ist unmöglich!« und mit aller Gewalt zum Erwachen rang. Nur das Erwachen gibt eine Grenze ab für das schreckliche Meer, das wir Traum nennen. Mit dieser Bezeichnung »Traum« heben wir das furchtbare Befinden unseres Ungeheuers auf und atmen befreit und erleichtert. Wir sind gesittete Menschen. Hätten wir diese Grenze nicht, gäbe es kein Erwachen, wären wir mit uns allein: diese Verdammnis! Noch können wir uns nicht ertragen, nicht vertragen. Mir fiel das Wort ein, immer noch im Traume, das meinem Empfinden nach ein unendlich weiser und unendlich rätselhafter Mensch vor Jahrtausenden gesagt haben mußte. Und war doch nur der von der Hassenburg gewesen: »Glauben Sie mir, nur zum Vergnügen verkommt niemand: es muß schon etwas Schweres darin sein Spiel haben.«
So kam denn ein Klopfen, ein mehrfaches Klopfen meinen Anstrengungen, ins Erwachen zurückzufinden, entgegen. Es war der Junge und draußen fröhlich spielender Morgen: Man fühlte förmlich seine lichten trommelnden Finger draußen an den Scheiben: »Schläfer heraus!«
In zehn Minuten waren wir draußen. Es ging der Grävenburg zu. Gleich hinter der langgestreckten, mit graublauem Sandstein gedeckten Scheune stieg ein tiefer Hohlweg in das Gelände hinab. Nirgends eine Abnahme der Böschungen, in denen sogar Ansätze zu Steinbrüchen steckten, nirgends ein Ausblick ins Freie, alles verschlossen, bis wir vor dem Schling, der den Eingang zum Gute versperrte, anlangten.
Das war Grävenburg!
Ein finsteres, gleichsam in die Erde gesunkenes Gebäude, nur Erdgeschoß. Fast ganz nur Dach, Satteldach, abgestumpftes Satteldach. Tief eingebettet in düstere Kraft finsteren Gesträuches. Feindseliges Gebüsch: Eiben und Lebensbaum. Lebensbaum, der eigentlich nur Baum des Todes ist.
Kaum näherten wir uns dem Schling, als ein großer Hund mit bösartiger Langsamkeit sich mir näherte. Doch der Jung schreckte mit jener Macht der Gewohnheit, die ja auch beim Menschen die Bösartigkeit der Anlage niederhält, die feindseligen Instinkte des Hundes zu gezwungener Duldung des Fremden. Um das kräftig hervorgestoßene »kusch dich« schlich er wie ein Feind, der die Blößen einer Festung erspähen will.
Vor der niedern Tür des so unansehnlichen Herrenhauses hielt ein Jagdwagen. Die beiden saßen schon darin. Der Schwarze auf dem Vorderbrett, die Peitsche in der Hand, sah mich auf meinen Gruß nur finster und drohend an. Um so mehr freute sich der Kleine. Er winkte mit der Hand und lehnte sich über die Leiter, um mir beim Übersteigen behilflich zu sein. Sorgsam stopfte er die zerschlissene Pferdedecke, die er über seinen Knien liegen hatte, mir um die Beine: »Es ist noch höllisch frisch des Morgens.« Ich sah mich um: »Aber schön!«
Schüchtern unbeholfen hoben sich Blöcke und Lehnen. Der Düstere sagte »hot«, und fort ging's.
Der leichte Wagen ward auf den ungleichen Feldwegen hin- und hergeschleudert, wie der Mensch ein Spielball des Schicksals ist, sobald er's nicht zu zähmen weiß. Aber die Höhe, die Erde, wie tauig, wie rein! Das ist der Heimathimmel, wie er die Heimaterde so eigen anzulächeln weiß und emporzuziehen. So will auch ich meine Heimat erziehen, so erzieh ich auch die Menschheit. Nicht lange, und wir tauchten ein in den mächtigen Wald, dessen Schatten einen niedergebrochenen Eroberungskrieg und eine wiedergewonnene wilde Freiheit umfingen.
Der Fußpfad zur Linken, früher taumelnd wie ein Kirmespfad, lief sittsam wie ein kleiner Hund uns zur Seite. Die ragenden Eichen streckten ihre knorrigen Wurzeln aus, ergriffen sich gleichsam bei den Händen, einer Versammlung gleich, die unter den einigend begeisterten Worten ihres Redners steht. Aus diesem Walde sieht man, was ein Volk ist, wie ein Volk sein kann.
Der kleine Baron neben mir sprach vom Waldbestand hier, wie dies aufgepflanzt, das durchforstet werden müßte, wieviel die Jagdpacht kostete: alles Sachen, die seinem Stand am nächsten lagen. Von dem Mann vor mir aber, von seinem tiefgegrabenen unbewegten Nacken ging es aus wie dunkle Feindschaft. Sein Rücken strahlte Feindschaft aus wie der Höhenzug vor uns. Hier gesucht, da gemieden, kam ich mir vor wie ein Nordpolreisender: auf der einen Seite vereist, auf der andren Seite angeglüht durch ein ofenrötendes Feuer.
Bald erreichten wir das Städtchen, in dessen Nähe die geisterhafte Ortschaft, der Name ohne Häuser lag. Hier im Gasthof stellten wir die Pferde ein, frühstückten und gingen dann hinaus gen Willebasen.
Eine richtige Jahrmarktswiese. Wurstbuden, Bierzelte, Musikanten. Auch die Harfe fehlte nicht; eine ältere Frau, deren Zügen und Kleidung die gleiche Verschlissenheit zuteil geworden war wie den Saiten ihres Harfenungeheuers und ihrer Seele, spielte sie. Ein dünnes halbwüchsiges Ding mit einer Stimme, scharf wie eine Schusterpfrieme, sang dazu:
»Lieber Vogel, komm doch wieder,
doch der Vogel kam nicht mehr.«
Pferde wurden vor Bauern und Händlern vorbeigezogen, die sachverständig auf die kurze Pfeife bissen und mächtig pafften. Einen Hals unterschied man an ihnen kaum, da sie mit ländlicher Vorsicht dieses empfindliche Organ durch große, wollene, braune Schals schirmten.
Bisweilen kam ein Kauf zustande. Das heißt, wenn nach langem Hin- und Herzerren des Preises dieser endlich stehenblieb wie der lange schwankende Zeiger eines Gewichtsautomaten. Dann spuckten beide Parteien in die Hände, und der Käufer schlug mit kraftfreudiger Wucht mit seiner Rechten in die des Kaufgenossen. Nun gingen beide ins Bierzelt, um nach Gebühr den Kauf zu begießen.
Auch Zigeuner waren da. Der eine, ein recht zornwütiger Geselle, bedrohte seine zerzauste Gesponsin mit einem mächtigen Scheit: er wolle sie »bimsen«, daß ihr Hören und Sehen verginge.
Eifersucht schien dabei im Spiele zu sein, denn kurz darauf griff er mit demselben Scheit einen jungen Burschen an, während das Weib mit kräftigen Gebärden und lauten Worten die beiden auseinanderzubringen suchte. Dieser Vermittlungsversuch aber brachte den Herrn Gemahl nur um so mehr auf, und er schlug dem andern mit dem Scheit über den schwarzen Kopf, daß das Blut einen sprühenden Streifen zog und dann die Wange entlang niederfloß.
Hiermit war der Streit zu Ende. Die Aufregung des Angreifers hatte sich gelegt, die Frau durfte unangefochten die Wunde mit Wasser kühlen. Dann begaben sich beide ebenfalls ins Bierzelt, um hier ihren Frieden zu begießen. Das Weib, der Zankapfel, folgte.
Die Kinder allein blieben am Feuer zurück, das von wenigen dürftigen Knobben genährt wurde. Darüber stand auf einem Dreifuß ein rußiger Kessel, worin etwas brodelte. Die Kinder bliesen mit aller Macht in das Feuer hinein, das dem halbfaulen Holze recht wenig Geschmack abzugewinnen schien. Ungeheuer wichtig sah sich diese nichtige Angelegenheit an: so ruchlos lohten die pechschwarzen Augen, so laut und heftig waren Wort und Gebärde.
Weder die Leute noch die Polizei, die in Gestalt eines grünrockigen Gendarmen die grüne Wiese zierte, hatten sich um den Streit der Zigeuner bekümmert. Die mochten sich totschlagen, wenn sie anders Lust dazu hatten. Das waren ja keine Menschen, das waren Tatern.
Der unheimliche Wagenlenker hatte sich gleich von uns getrennt. Im Bierzelt fanden wir ihn wieder, wie er mit den Zigeunern zusammensaß und mit Inbrunst sozusagen mit ihnen sich unterhielt. Nie hatte ich eine solche Begeisterung an ihm wahrgenommen. So laut sprach er, so laut sprach aus ihm die Freude, seine wilde Zunge und die wandersüchtigen Genosssen seines leidenschaftfahrigen Stammes wiedergefunden zu haben, daß die fremdartigen Laute unsern fernen Tisch erreichten.
Vor mir, auf mit schon recht bierfleckigem Laken bedeckten Tische, stand in einer blauen Vase ein Strauß von Bauernblumen: blau und rot herrschte vor, gelb war eingesprenkelt.
Mit sachkundiger Beflissenheit tauchten einige Wespen ihre umschnürten Köpfe auf kürzere oder längere Zeit in die derben, mehr oder weniger süßen Kelche.
Da mußte ich an einen Damenkaffee denken, oder auch an den Tisch nebenan, wo Bauernfrauen dem starkgezuckerten braunen Getränke und den Begebnissen ihrer Heimat lebhaft zusprachen, dabei mit feindseliger Befremdung zu dem Separattischlein hinübersahen, an dem die Frau des Oberförsters mit ihren jungen Damen, die bei ihr Landluft genießen und sich im Haushalt ausbilden sollten, Platz genommen hatte.
Diese Wespen, sind sie nicht die Damenwelt der Natur: mit ihrer Freude am Schnüren - wie schön ist ein in zwei Teile geschnittenes Menschenkind! - am Süßen, am Stechen.
An den Zigeunertisch waren jetzt noch zwei weitere Zigeuner getreten. Es waren Mann und Frau; die Frau hatte ein Kind auf dem linken Arme und eine Haselgerte in der Rechten. Mit dieser schlug sie scherzhaft ihren Rom, ihren Mann, über die feinen flügelartigen Schulterblätter. Dabei lächelte sie ihn so sinnlich gütig, so voll schelmischen Einverständnisses, voll Heimlichkeit unerschöpflicher Liebe an, daß man diesem Menschenpaare, diesem Adam und Eva, wirklich von Herzen gut sein mußte und ihnen den Preis der Menschlichkeit zuerkannte.
So wie sie da waren, diese gemiedenen, überall ausgestoßenen, kindlich schlichten, träumerisch unbefangenen Naturen: sicher war auf dieser ganzen großen, menschenbesäeten Wiese keine Gruppe da, die die Süßigkeit und den Adel des Menschhaften und der Liebe so ungebrochen ausstrahlte.
Der Rom hinwieder mit seiner Jünglingsschlankheit, die was träumerisch Zartes hatte, mit seinen weißen lachenden Zähnen hinter den vollen leisroten Lippen, seinen goldbraunen Augen, seinen bräunlichen, ins Blonde spielenden Locken, auch er war ein vorbildlicher Ehemann – eher Ehe-Jüngling, wie er in angenehmer Lässigkeit seiner jungen Säfte fast aufgelöst neben ihr stand, ihr Liebe suchend ins Auge blickte und Liebe wie ein süßes Joch mit umfassender Hand auf ihre Schulter legte, dann seinem kleinen Kinde die Händchen küßte.
Dieser unscheinbare Mensch hat, ohne es zu wissen, das ganze Königtum der Liebe, das Königtum, über das kein Reich der Erde geht.
Der johanneshafte Rom und seine blumigmüde Gattin setzten sich zu den übrigen an den von allen andern gemiedenen und mit ärgerlichen Blicken beworfenen, mit dem Unrat der Abneigung beworfenen Tisch.
Die Empörung, das Murren stieg und stieg. Besonders entsetzte und ereiferte sich der Tisch, um den die wohlhabenden Bauern unter Vorsitz des zuständigen Vorstehers saßen. Bald machte sich der Vorsteher auf und kehrte nach einer kleinen Weile mit dem Wachtmeister zurück. Der, ganz Wucht, Streu und Würde, klafterte mit seinen mächtigen tranriechenden Stulpstiefeln sich Bahn durch die ehrerbietig zurückweichende Menge. Vor dem Zigeunertisch blieb er stehen, strich sich mit seinen großen roten Fingern durch den mächtigen braunschwarzen Schnauzbart, gab noch einen Schuß Zornesglut in seine braunroten Wangen und ließ seine graublauen Augen rollen wie ein paar Feuerräder.
Endlich brach er das Schweigen: »Sie fallen lästig hier, verlassen Sie sofort das Lokal. Und Sie, Herr Rentmeister, wenn Sie mit den Leuten etwas zu sprechen haben, so können Sie das draußen tun.« Der Rentmeister, dieser Zigeuner a.D., ging mit seinen ehemaligen Wandergenossen, gehorsam dem Befehle, dem Ausgang des Zeltes zu. Hinter ihm der Gewalttätige, sein Weib und Freund. Nur der Johannes blieb sitzen und suchte mit einem weichen Lächeln und mit milde bittender Stimme den bärbeißigen Herrn Wachtmeister zu erweichen: sie täten ja keinem Menschen etwas, Geld genug hätten sie auch – hierbei langte er mit seine Hand in die Hosentasche und holte eine Anzahl Talerstücke daraus hervor – warum man sie nicht ruhig ihren Wein trinken ließe?
Der Törichte: als ob's nicht gerade der Wein gewesen, den sie, die Geächteten, Ausgestoßenen, Landfahrenden hier tranken, während dort die Schulzen sich mit Bier begnügten in ihrer Sparsamkeit! Nur auf Schützenfesten ist es erlaubt, sich mit teuerem Krätzer ein Loch in den Magen zu brennen.
Also das alles half nichts.
Es half auch nichts, als der Baron aufstand und erklärte:
»Die Leute bleiben hier, es sind meine Gäste.«
Mir gefiel das schöne Feuer der Gerechtigkeit in den bestimmten Worten des Barons, auch wenn ich die Kosten dieser Gastlichkeit zu tragen hätte.
Menschlichkeit ist guter Baugrund. Auf diesem Boden läßt sich alles wieder anpflanzen.
Mittlerweile war es Mittag geworden, der Markt verlief sich, und auch wir brachen auf. Daß wir den Rentmeister bei den Zigeunern stehen fanden, als wir an denen vorbeigingen und sahen, wie er Zehnpfennigstücke hinwarf, um die sich die Kinder balgten, im Staube wälzten, kratzten und bissen, war uns durchaus nicht unangenehm. Seine Gesellschaft vermißten wir nicht im mindesten. Als wir in den Gasthof zurückkamen, war in einem der engen Straßen und der gegenüber aufragenden Kirche wegen recht dunkeln Saale die Table d'hôte schön angerichtet.
Drollig erschien mir die patriarchalische Würde, mit der unser Hotelier präsidierte, aufstand und feierlich »Gesegnete Mahlzeit« wünschte.
Noch immer kam der Rentmeister nicht zurück.
»Fällt uns nicht ein, auf ihn zu warten. Wir sind doch keine Kinder! Wenn er in einer Viertelstunde nicht da ist, dann kutschiere ich, dann fahren wir ohne ihn.«
Die Viertelstunde verstrich, der Rentmeister kam nicht, wir fuhren ab.
Ich sah an der Munterkeit, an der Lebhaftigkeit, mit der der Baron schnalzte, die Zügel ruckte und bisweilen leise mit der Peitsche schmitzte, daß er in seinem Elemente, daß er glücklich war und sich von einer Last befreit fühlte.
Die Wutausbrüche seines Wärters, die er wohl noch heute über sich würde ergehen lassen müssen, schienen ihn wenig zu kümmern.
Die Sonne neigte sich schon dem Walde zu, ihr feiner Schein strich leise über den welken Himmel; wie ein Schleier der klösterlichen Einsamkeit schimmerten die Herbstfäden, Fäden zum Sterbekleid der Natur.