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Wieder in Willebasen

Zwei Tage später jährte sich der Pferdemarkt in Willebasen und unser Ausflug.

Diesmal fuhren wir allein: der Baron und ich; er kam zu mir, und wir benutzten den Wagen meines Wirtes.

Das Wetter war etwas säuerlicher als das vorige Mal.

Bisweilen trafen ganz kräftige Stöße anprallenden Windes unsere Köpfe, so daß wir wie auf Verabredung nach unsern Hüten griffen, um sie festzuhalten.

Das machte nichts.

Dieser starke wohllautend volle, gleichmäßig abgesetzte Wind hatte etwas Warmes, etwas jener männlichen Stärke, die Kälte in Wärme verwandelt. Ein Hase lief uns über den Weg.

»Nun müssen wir eigentlich umkehren«, meinte der Baron in vollem Ernst. »Es wird uns entschieden etwas Unangenehmes begegnen dort.«

»Im Gegenteil! Nun erst recht! Bei mir und wer sich in meiner Gesellschaft befindet, selbstverständlich für den auch, bedeutet das Glück. Gerade wieder Freitag. Das ist immer mein Glückstag gewesen.«

Der Baron schwieg, sah vor sich und ließ mit sich machen.

Auf dem Marktplatz die alte Geschichte.

Ja ich glaubte sogar die alten Gesichter wiederzuerkennen. Auch der Bürgermeister mit dem himbeerroten Male im Gesichte, dessen ich mich vom vorigen Male genau erinnerte, war wieder da.

Nur der liebe Vogel fehlte.

Lieber Vogel, komm doch wieder,
doch der Vogel kam nicht mehr.

Ob die alte Harfe ihre letzte Seite verloren?

Ob der dünne Vogel irgendwo in einen Arbeitskäfig gesetzt war?

Aber die Würste waren da, dufteten und zischten und lockten alle Nasen, besonders die roten, in ihren Bereich:

»Die Unterlage nicht vergessen! Eine gute Unterlage, da kann man was draufsetzen!«

Auch Zigeuner waren da. Wohl andere als das vorige Mal. Diesmal viel Weiber, die wahrsagen wollten. Allen dicken behäbigen Schulzen soundsoviel Kinder wünschend – Glück in der Liebe – alle Sachen, an denen gerade Leuten ihres Schlages das denkbar Wenigste gelegen sein mußte.

Ja, wenn es noch harte Taler gewesen wären!

Oder ein paar Morgen Land!

Einige Kunden indes fanden sich bereit zu solchen Zukunftsgeschäften.

Das waren solche, die in Prozessen lagen. Die wollten wissen, wie ihr Prozeß auslaufe.

Und es war drollig zu sehen, wie die schwarzäugigen Hexen sich ein Geldstück geben ließen, wie sie das auf die Handfläche der in der Zukunft forschenden Person legten, wie sie Gras ausrupften und heftig ausspuckten.

Forderten dann die Bauern, die gerade nur ein größeres Geldstück zur Hand gehabt und solches hingegeben hatten, dieses zurück, so entstand darob großer Unwille: das gehe nicht, das hebe den ganzen Zauber auf, das zöge das größte Unglück herbei.

Als der größte Drang der Geschäfte abgewickelt war, begann in einem großen Bierzelte der Tanz.

Bauernsöhne und Töchter, Knechte und Mägde opferten der Musik ihren Groschen und traten zum Tanze an. Auch ehrenfeste Schulzen und gewichtige Bäuerinnen ließen es sich nicht nehmen und schwenkten pustend, sich den Schweiß abwischend, einander einmal herum.

Immer wieder trug der zu diesem Tag gedungene ländliche Kellner in kurzer schwarzer Jacke, ein Handtuch als Serviette überm Arm, den schwitzend darauflos fiedelnden und blasenden Musikanten je ein Seidel Bier hin, immer häufiger erscholl das: »Lustig, Musikanten!«

Der Tanzordner stand in der Mitte, drehte sich bald nach dieser, bald nach jener Seite, wo etwas im Rückstande oder außer Takt war, und klatschte taktierend in die Hände.

Ein auffallend hübsches, ja bei näherem Hinsehen vollendet schönes Mädchen stach vor allen andern hervor.

Es sei eine Magd aus der Umgegend, hieß es.

Aber da es nur eine Magd und der Sinn für Schönheit in diesem Kreis nicht eben ausgebildet ist, so war der Zudrang zu dem Vorzug, mit ihr tanzen zu dürfen, nicht eben außergewöhnlich stark.

Nur daß sie keinen Tanz, wenn anders sie nicht vorzog zu pausieren, auszulassen brauchte oder wie die weniger gesuchten Tänzerinnen oder noch halbwüchsigen Dinger sich der Erde gleich um ihre eigene Achse zu drehen brauchte oder ein Mädchen zum Partner erkiesen mußte.

Sie tanzte schön.

Das heißt: ihre Bewegungen waren sicher, ihre Wendungen rund. Sie tanzte nicht leidenschaftlich und auch nicht lässig. Ernst sah sie vor sich aus, alles war warme, anmutige Gelassenheit.

Olympische Ruhe auf der Erde: hier tanzte Venus.

Nicht das Thronerschrockene, das Verwahrloste mancher Prinzessin – nun, dafür war sie auch Göttin – nicht bloß simple Prinzessin.

Was ging mit meinem Baron vor? Schon zwei-, dreimal hintereinander hatte er mit ihr getanzt, ohne indessen mit seiner Beharrlichkeit Unwillen zu erregen. Denn sofort hatten sich ihre früheren Tänzer, sobald ihre Dienste nicht mehr in Anspruch genommen wurden, anderen Mädchen zugewandt. Mädchen, die jedenfalls Bauerntöchter, keine Mägde waren. Das sah man an den hochmütig steifen Bewegungen, hochroten Gesichtern und den schreienden blauen und roten Kleidern.

Der Baron sprach auf das Mädchen ein – sogar während des Tanzes.

Und nun – ist es möglich? – lief, huschte da nicht ein Lächeln über ihre göttlichen Züge? Bedächtig, halb überlegen, halb zustimmend wiegte sie ihren Kopf mit dem Takte der Musik.

Wahrscheinlich hatte sie die erste rechte Schmeichelei in ihrem Leben gehört, war der erste Weckruf an sie ergangen.

Noch einmal sprach der Baron auf sie ein, da überzog sich ihr Gesicht blutrot, und sie ward still in sich.

Bei genauerem Hinsehen kam es mir vor, als wenn sie von nun an sich fester gegen ihren Tänzer schmiege.

Eine längere Pause ward angesagt, wohl damit sich die Musikanten etwas verpusten konnten. Da kam der Baron mit seiner Dame auf mich zu: »Ist sie nicht herrlich? Eine wahre Göttin unter all diesen Trampeln! So was hier – an den Hof gehörte das! Übrigens, Sie hatten recht vorhin. Das mit dem Hasen. Er hat doch Glück gebracht!«

»Wollen wir uns nicht etwas zusammen setzen?«

»Und dann schenkt Ihnen das wunderbare Geschöpf sicher auch ein Tänzchen.«

»Nicht wahr?«

Das schöne Mädchen sah auf die weißbestrumpfte Spanne ihres ebenmäßigen Fußes, der in einem mattschwarzen Halbschuh stak. Dabei nickte sie, während ein weißer Zahn sich in ihre siegesrote Unterlippe grub.

»Ja, Sie verdienen es, Sie Bester Sie!«

»Außer Ihnen aber keiner. Keinem gönn ich sie.«

»Nun aber wollen wir uns setzen.«

»Bitte, meine Gnädigste!« Dabei wies er einladend auf einen Stuhl.

»Ja, aber was, was kann es denn hier Vernünftiges geben? Auf Damenwein werden sie wohl hier nicht eingerichtet sein.«

»Champagner vielleicht. Das wäre das einzig Menschenmögliche«, überlegte ich.

»Ich will mal hingehen und fragen.« Der Baron entfernte sich in der Richtung des Büffets.

Leuchtenden Auges kam er zurück:

»Ja, es gibt wirklich Champagner! Und zwar Clicquot, die glorreiche Witwe von Reims.«

»Und dann – raten Sie mal – Sie Glücklicher!

Kaviar! Kaviar fürs Volk! Ausgerechnet Kaviar! Wie hier unsere Tischdame!«

Würdig schüchtern, freudig aufleuchtend, bald zu dem einen, bald zu dem andern, sah die Schöne uns an. Neu die Speise, neu das Getränk, neu die Gesellschaft: man sah, sie war im Himmel.

Im »Olymp«, wollt ich sagen.

Gewiß, das Mädchen gefiel auch mir. Auch ich wäre jeder Dummheit fähig gewesen, wie es denn manchmal eine Weisheit ist, eine Dummheit an rechter Stelle zu begehen.

Und fürwahr: der verliert sehr viel von diesem schönen Leben, der nicht bisweilen eine glückliche Dummheit wagt. Das Leben ist sehr traurig, wenn es nur vernünftig ist.

Doch ich sagte mir: Der Baron hat sie nötiger. Viel nötiger als du.

Voraussichtlich wird sie seine einzige Lebensbedingung sein.

Ist die verpaßt, kommt keine wieder.

Da muß ich denn zurücktreten.

Sie mag dann vollenden, was ich angefangen habe bei ihm. Das fordert die Freundschaft, das die Menschenliebe.

 


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