Emmy Ball-Hennings
Märchen am Kamin
Emmy Ball-Hennings

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Der Müllerssohn und das Wichtelmännchen

Am Abend sagte Maso zu seinen Schwägern: »Es wird Zeit, daß wir energisch dem Frühling auf die Beine helfen. Korn haben wir schon viel gesät, im Gemüsegarten sind die Erbsen gesetzt; doch glaube ich, es ist kein Nachtfrost mehr zu befürchten, und wir können getrost die Kartoffeln in den Boden tun.«

»Ja, aber der große Acker ist noch nicht umgegraben«, meinte einer der jungen Männer, »doch kann ich morgen zeitig mich mit den andern an die Arbeit begeben.«

»Ihr könnt den großen Acker schon umgraben, aber wir wollen nicht alle Kartoffeln auf einmal setzen. Es könnte wider Erwarten doch noch Nachtfrost kommen und die Kartoffeln würden erfrieren. Wir wollen zweimal Kartoffeln ernten, damit wir auch im Spätherbst welche haben.« So äußerte sich Maso und wünschte auch, daß Annina und Julia die Ziegen aufs Brachland führen sollten. »Wir haben aber das Haus zu putzen«, entgegnete Carola, »und die größeren Kinder müssen auf die kleinen achten. Ach ja, wir haben sehr viel im Frühjahr zu tun, und wir könnten gut noch ein paar Heinzelmännchen anstellen. Was meinst du, Mutter, kannst du uns nicht 216 ein paar hilfreiche Geisterchen aus dem Märchenland kommen lassen?«

»Es würde wenig helfen. Mit den Heinzel- oder Wichtelmännchen muß es eine eigene Bewandtnis haben. Man hört noch manchmal, daß sie sich im Hause gefällig zeigen und fleißig in der Wirtschaft mithelfen, doch ist kein rechter Verlaß auf die Wichtelmännchen. Plötzlich aus irgendeiner Laune heraus hören sie auf zu schaffen und fallen dann durch unnützes Rumoren und Poltern den Leuten nur lästig. Dabei fühlen sie sich durchaus als berechtigte Mitbewohner des Hauses und lassen sich nur schwer vertreiben.

Von einer Familie habe ich vernommen, daß sie jahrelang einen kleinen Kobold im Hause hatte, der sich zwar anfangs gefällig und arbeitsam zeigte, sich jedoch allmählich auf die faule Seite legte und sich die Zeit nur noch mit Neckereien und Krachmachen vertrieb. Um nun das Wichtelmännchen sicher loszuwerden, beschloß der Hausvater, das Haus zu verkaufen, doch mußte er es weit unter dem Wert abgeben. Nun war der Mann sein schönes Haus los, aber das Wichtelmännchen noch lange nicht. Als man nämlich im Begriff stand, mit dem hochbepackten Möbelwagen ins neue Heim zu übersiedeln, wobei Mann und Frau vorne auf dem Kutschbock saßen, hörten sie plötzlich hinter sich ein kleines vergnügtes Lachen. Das kam vom Wichtelmännchen, das sich zwischen mehr als Siebensachen in einem Waschzuber installiert hatte und von dort aus den Leuten ein lustiges »Mir züglet« zurief. Nein, solchen kleinen Frechling könnten wir kaum brauchen. Dagegen 217 kenne ich noch ein anderes, das sich recht manierlich benahm und den Leuten vorübergehend sogar aus großer Not geholfen hat. Wo es sich freilich zur Zeit aufhält, weiß ich nicht.«

Vezzosa fragte: »Kann man nicht etwas von ihm lernen, Regina? Wie hat es sich aufgeführt?«

»Ja, das will ausführlich berichtet werden, und ob man etwas vom Wichtelmännchen lernen kann, mag jeder für sich beurteilen. Ich kann die Geschichte nur wiedergeben, wie ich sie gehört habe.«

Der Müllerssohn und das Wichtelmännchen

eigenes Märchen.

Es war einmal ein Müller, der in mancherlei Hinsicht ein Windbeutel, das will heißen, ein Aufschneider und Lügner war, aber das bedarf näherer Erklärung, die sogleich gegeben werden soll. Der Müller wohnte in einer windigen Gegend, was seiner Windmühle wegen nötig war, die sich den ganzen Tag und die ganze Nacht drehte, natürlich nur, wenn der Wind einverstanden war und Lust hatte, die großen Windmühlenflügel zu bewegen und zu drehen. Ja, Wind genug gab es, und der Müller hätte viel Korn zu feinstem Mehl malen können; aber jetzt gab es wenig, bitterwenig Korn. Es war Kriegszeit. Viele Männer waren Soldaten und überhaupt nicht im Lande, sondern weit weg, wo sie mit anderm Volk kämpften. Die Frauen mußten zum großen Teil den Acker allein bestellen, was sie auch treu machten, so gut sie es nur konnten. Doch schien gleichwohl wenig Segen dabeizusein, denn es folgte eine Mißernte auf die andere, und mit dem lieben täglichen Brot sah es recht dürftig und traurig aus. Der Müller aber – 218 ob er nun das Knarren der Windmühlenflügel gern hörte, oder ob er den Schein aufrecht halten wollte – stellte niemals die Mühle ab, auch wenn sie kein Korn zu mahlen hatte. Das aber konnte das Volk nicht genau wissen, und so kam's, daß man den Verdacht hegte, der Müller habe heimlich Korn für sich aufgespeichert, daß er zu eigenem Verbrauche mahlte oder es um viel Geld in der nahen Stadt verkaufte. Dies war nun aber nicht der Fall. Der Müller war, von seiner Windbeutelei abgesehen, ein ehrlicher Mann, der leider, wie alle andern, auch nicht viel zu beißen und zu brechen hatte.

Doch war der Müller bei seiner großen Armut etwas eitel, und dazu hatte er wenig Grund. Er hatte einen Sohn, der Joachim hieß, kurzweg Achim genannt. Das war ein braver Bursche, der etwas hinkte, und vielleicht war er deswegen zu schüchtern, auf den Tanzboden zu gehen, was leicht einzusehen ist, denn zum Tanzen braucht es zwei gesunde Beine, und eines genügt nicht. Achim war in die Tochter des Schuhmachers, in Gretchen, verliebt, aber das wagt man kaum zu sagen, weil Achim selbst seine Liebe für vollkommen aussichtslos hielt und weit davon entfernt war, das nette Gretchen vom Zustand seines Herzens zu unterrichten. Ja, wenn Gretchen auch gehinkt hätte, nur leicht auf dem linken Bein! Sie hätte auch auf beiden Beinen hinken dürfen, und Achim würde sie trotzdem liebhaben, weil sie ein gutes Mädchen war, aber Gretchen hatte nun einmal keinen Schönheitsfehler aufzuweisen, und darum wagte Achim ihr nicht zuzumuten, einem armen 219 Krüppel wie ihn auch nur zu beachten. Achim war entschieden zu bescheiden, und das kann auch ein Fehler sein.

Nun hätte der Müller gern seinem verschupften Sohn etwas mehr Geltung verschafft. Und so renommierte er eines Abends in der Wirtschaft, nachdem er vielleicht ein Glas zuviel getrunken hatte, sein Sohn könne aus Sand Brot backen. Das sprach sich rasch herum, und solche Aufschneiderei fand in bedrängter, wundersüchtiger Zeit bald allgemeinen Glauben. Wenn es törichten, einfältigen Leuten sehr schlecht geht, beginnen sie das Unmögliche für möglich zu halten. Das Wunder gehört zur Tagesordnung, und man wundert sich nur, wenn das Wunder nicht eintrifft. So stand es, als man die Kunde von der Sandverwandlung vernahm. Achim selbst hatte keine Ahnung davon, was ihm angedichtet wurde. Man scheute sich vorerst noch, ihn um Mehl oder Brot anzugehen, weil man ihn für einen Zauberer hielt, mit dem man nicht vorsichtig genug umgehen konnte, solange man nicht den klaren Beweis hatte, daß er seine geheime Kunst nur zum Guten anwandte. Freilich wurde Achim viel höflicher gegrüßt als vorher, da man ihn früher kaum beachtet hatte. Achim indessen war der Meinung, daß Armut und schwere Zeiten die Menschen einander näherbringen, und so erklärte er sich die große Freundlichkeit der Nachbarn, die ihm allerdings etwas übertrieben vorkam. Sogar der Bürgermeister des Ortes zog merkwürdig tief den Hut vor dem bescheidenen Achim. Der wurde bei jedem Gruße rot vor Verlegenheit und grüßte noch tiefer als die andern. 220

Als nun aber die Not größer wurde und die armen Leute kaum mehr etwas zu essen hatten, wußten sie sich nicht mehr zu helfen. Da gingen sie in die Mühle und baten zunächst bescheiden den Achim um ein Quäntlein Mehl für Brot.

»Aber ich habe doch kein Mehl, ihr guten Leute. Ich würde euch gerne welches geben, wenn ich es hätte.«

»Ja, du kannst doch solches machen.«

»Wie denn? Wir haben doch kein Korn zum Mahlen.«

»Aber es gibt doch Sand genug, und wenn du keinen Sand mehr hast, wollen wir dir gern welchen bringen, damit du den Sand verwandeln kannst. Gib uns entweder Brot oder Mehl. Du kannst doch Brot aus Sand backen.«

Achim war tief erschrocken und dachte, die Leute hätten schon das Hungerfieber, weil sie so törichtes Zeug vorbrachten.

»Oh, ihr armen Menschen. Es tut mir unendlich leid. Aber was kann ich machen? Ich kann ja nicht einmal Brot aus Weizenmehl backen, von Sand gar nicht zu reden. Wer hat euch den Sand in die Augen gestreut?«

»Dein Vater hat es gesagt.«

Der Müller hatte sich nach oben in den Mühlenraum zurückgezogen, saß, den Kopf in die Hände gestützt, auf einem Holzbock und sah durch eine Luke dem langsamen Drehen der knarrenden Windmühlenflügel zu. Sein Sohn rief ihm zu, er möge doch rasch einmal herunterkommen, es würde Brot oder Mehl verlangt. 221

»Wir haben ja nichts«, rief der Müller und blieb neben der Mühle sitzen.

»Nein, nein, du mußt gleichwohl kommen, Vater. Du mußt den Leuten Rede und Antwort stehn. Ich bin hier in Bedrängnis.«

Da bequemte sich der Müller und kam sehr langsam die Stiege hinab. Jetzt fielen die Leute über den Müller her, der sofort sah, was er mit seiner dummen Lüge angerichtet hatte. Da sagte er die Wahrheit:

»Ihr müßt mir verzeihen, gute Leute, aber ich habe vor einiger Zeit einmal etwas über den Durst getrunken, was ich nur zu tun pflege, wenn ich nicht genug zu essen habe. Ich habe nur an meinen eigenen Hunger gedacht, da ich meinen Freunden ein Märchen aufband, indem ich sagte, mein Sohn könne aus Sand Brot backen. Aber Ihr dürft mir glauben, er kann es nicht. Er kann es wirklich nicht.«

»Er lügt! Er lügt!«, riefen die Leute empört. »Ihr wollt uns kein Brot geben, aber Ihr werdet müssen. Man wird Euch zu zwingen wissen.«

Damit verließen die Leute drohend die Mühle, gingen zum König und verklagten den Müller und seinen Sohn und zeigten an, der Sohn könne aus Sand Brot backen.

Nun konnte zwar der König nicht recht an ein solches Wunder glauben und suchte das Volk zu beschwichtigen, aber das half ihm wenig. Der Hunger machte die armen Menschen so rabiat, daß der König selbst sich nicht mehr sicher fühlte und allmählich auch an das Wunder glaubte. Vielleicht war es möglich, was man behauptete. Die Königstochter riet ihrem Vater, den Sohn des Müllers einsperren zu 222 lassen und ihn unter Drohungen zu zwingen, Brot zu liefern. Man werde dann schon sehen, ob es ihm gelinge oder nicht.

Der König befolgte den Rat seiner Tochter und ließ Achim durch drei Beamte gefesselt aus der Mühle holen und ins Schloß führen. Als der arme Bursche durch die Straßen geführt wurde, standen viele Leute vor den Türen und blickten aus den Fenstern, aber kaum einer hatte Mitleid mit Achim. Nur Gretchen stand ein wenig verborgen hinter der Gardine am Fenster und winkte ihm weinend einen Gruß zu, während der Müller in seiner Mühle verzweifelt dasaß und sich zuschwor, niemals mehr eine Unwahrheit zu sagen, die so schlimme Folgen nach sich ziehen könnte. Wenn einer schon von der Lust an der Lüge nicht lassen kann, muß er sich jedenfalls sehr ausgiebig vorher überlegen, was er lügt, und das ist so anstrengend, daß es viel einfacher ist, bei der Wahrheit zu bleiben. Das sagte sich der Müller, und es ist zum Teil auch meine Meinung. Doch wird es besser sein, wir sehen uns nach Achim, dem beklagenswerten Opfer der Lüge, um.

Kaum war Achim mit seinen Aufsehern im Schlosse angelangt, als er auch schon vom König persönlich in die geräumige Backstube geführt wurde. Der hohe Herr zeigte auf einen Riesensandhaufen, der in der Mitte des Raumes lag:

»So, also das wäre der Sand, der zu verwandeln ist. Hier ist genügend Holz. Da ist der Backtrog. Hier findest du einen Krug mit Salz, weil ich nicht weiß, ob du auch Salz zaubern kannst. Und hier ist noch ein Rest Hefe, die du wohl kaum 223 brauchen wirst. Ich nehme an, daß der Sand bei der Verwandlung genügend Hefe enthalten wird. Jetzt tu also deine Schuldigkeit, oder du hast dein Leben verwirkt. Brot oder das Leben. Du kannst wählen. Morgen früh wünsche ich frisches Brot zu sehen. Wird der Backtisch dir groß genug sein?«

»O ja, ich denke schon, Majestät«, stotterte Achim. Er war ganz vergelstert, und als er noch ein vernünftiges Wort mit dem König zu sprechen versuchte, hatte dieser ihm schon die Tür vor der Nase zugemacht und abgeschlossen.

Kinder, Kinder, wir können froh sein, daß wir nicht an Achims Stelle sind. Wir sind nicht darauf angewiesen, aus Sand Brot zu backen, und haben wir keinen Hunger, wollen wir dem lieben Gott immer für das tägliche Brot danken, und nicht nur um das bitten, was er uns aus großer Güte gibt, sondern auch danken dafür. Seht, da stand der arme Achim vor dem Sandhaufen und dachte ohne jegliche Hoffnung, wie daraus Brot zu backen sei, oder, wenn es ihm nicht gelang, sein junges Leben zu verlieren. Da begann er bitterlich zu weinen, weil er sterben mußte, und weil es kein Brot gab und weil es Krieg in der Welt gab und keinen Frieden. Er hatte genug Grund zum Weinen, und er brauchte sich keine Ursache mehr zu suchen, weil die sich schon von selbst einstellte. Nachdem er zwei Stunden auf dem Backtisch hockend, weinend verbracht und kaum mehr Tränen hatte, fiel ihm noch Gretchen ein, die er wohl nie wiedersehen würde. Da weinte er noch eine Stunde extra, nur um Gretchen, damit er nicht um alles gleichzeitig weinen mußte. Von Zeit zu Zeit blickte er auf 224 den Sandhaufen, als müsse der so barmherzig sein, sich von selbst zu verwandeln, aber daran dachte der Sandhaufen nicht. Ob ich wohl geköpft oder gehenkt werde? fragte sich Achim trübe. Vielleicht darf ich mir wenigstens die Todesart selbst wählen, und dann sage ich, ich möchte gern von selbst sterben. Das wird das einfachste sein. So dachte sich Achim, weinte noch ein bißchen vor sich her und wurde dann so müde, daß er im Schlaf seinen Kummer zu vergessen suchte. Er legte sich auf den Backtisch nieder, empfahl sich dem lieben Gott, und schlief ein.

Plötzlich stand ein winzig kleines Männlein vor ihm. Das war gar possierlich anzusehen. Es hatte ein rotes Zipfelmützchen auf dem silbergrauen Haar, trug ein nettes braunes Anzüglein, und hatte Stiefel an den Füßen, die sehr groß waren. Das Gesicht, von silberweißem, langem Bart umrahmt, war voller Runzeln und schien recht alt zu sein, aber die graublauen Augen blickten jung und fröhlich auf Achim. Mit leiser, lustiger Stimme sagte es:

»Ja, Achimli, warum weinst du denn so gar sehr?«

»Weil ich sterben muß«, antwortete Achim.

»Nun, das ist doch nichts Neues. Sterben müssen wir alle. Weinst du schon lange deswegen?«

»Nein, ich habe erst heute nachmittag damit angefangen.«

»Nun, dann geht's ja noch. Du siehst ja so traurig aus, als weintest du seit wenigstens acht Jahren in einer Tour. Aber hör, Achimli, deswegen weint man nicht. Nein, nein. Weinen kann man, wenn man gestorben ist, aber nicht früher.« 225

Da mußte Achim ein bißchen lachen: »Du hast gut reden. Du kannst vergnügt sein, oder mußt du auch morgen sterben, so wie ich?«

»Das weiß ich nicht, mein Achimli, und ich kann dir nichts sagen, was ich nicht genau weiß. Aber warum willst du denn grad morgen sterben und mitten im Mai?«

»Will ich denn? Ich muß, ich muß! Ich muß sterben, weil ich aus Sand kein Brot backen kann. Ach sterben, sterben! Sterben ist der schwerste Tod!«

»Ach, sterben, sterben!« äffte das Männchen ihn lachend nach.

»Und wenn du aus Sand Brot machen kannst, muß du nicht sterben? Überhaupt nicht, oder wie ist es damit?«

»Ach geh, ich glaub', du machst dich noch lustig über mich. Mach du mal aus Sand Brot, und dann will ich hören, was du noch zu bestellen hast, wenn du an meiner Stelle bist?«

»Aber beruhige dich doch, mein Achimli, ich will ja gern an deiner Stelle sein, wenn dir das Leben so gar viel Spaß macht. Der eine oder der andere muß wohl das Brot backen, wenn es verlangt wird, und ich bin jetzt der andere.«

»Wer bist du denn sonst?« fragte Achim neugierig.

»Der andere bin ich, dein Freund und Gehilfe, dein Wichtelmännchen. Aber laß uns nicht schwätzen. Sag mir lieber, ist das der Sand fürs Brot? Nur daß ich nicht den falschen Sand nehme, der vielleicht für ein neues Haus gebraucht wird. Hm, ein guter Sand, eignet sich vortrefflich.«

»Fürs Brotbacken oder fürs Hausbauen?« 226

»Für beides, aber vorerst wird Brot gebacken. Sei so gut und rück mal ein bißchen vom Backtisch weg, damit ich dich nicht aus Versehen mit in den Backofen schiebe. Das wäre dir sicher nicht recht. Den Backtisch brauche ich, um die Brote zu bereiten. Warte nur, mein Junge, sobald ich Feuer angemacht habe, wird es auch gemütlicher hier. Dann kannst du dich ein bißchen in die Nähe des Ofens setzen, und das erste frische Brötchen, das aus dem Ofen kommt, wirst du bekommen. Weil du es bist.«

»Weil ich es bin?«

»Freilich. Bist du es etwa nicht?«

»Oh, was bist du nur für ein gutes Männchen! Welch ein Glück, daß du gekommen bist! Sag, was kann ich dir dafür geben, daß du mir das Brot bäckst?«

»Wir wollen jetzt nicht von Bezahlung sprechen. Erst muß etwas geleistet werden. Später können wir darüber verhandeln. Jetzt gibt es zu schaffen. Wenn du mir nur etwas beim Holzbrechen helfen wolltest, wenn es nicht zuviel für dich ist. Inzwischen kann ich den Sand verwandeln. Es ist nämlich immer gut, wenn der Backofen zeitig geheizt wird.«

Während nun Achim das Reisigholz, das zum Anfeuern dienen sollte, zerbrach, ging das Wichtelmännchen eifrig hin und her, besah sich die Backbretter, strich mit der Hand darüber, um nachzusehen, ob sie auch sauber genug seien. Achim knickte zwar eifrig Holz, ließ aber das Männlein nicht aus den Augen; denn er war sehr neugierig auf die Verwandlung des Sandes in Mehl und fand es recht unnötig, vorher die Backbretter abzustauben, die 227 Asche aus dem Ofen zu entfernen, in der Hefe herumzurühren, denn das war ja alles nicht die Hauptsache. Was halfen die Vorbereitungen, wenn das Allernotwendigste fehlte?

»Achim, sei so gut und hilf mir den Backtrog auf den Schragen stellen.«

Das wollte Achim gerne. Dann ergriff das Männchen eine Schaufel, die im Winkel stand, und begann Sand in den Backtrog zu schaufeln.

»Kann ich dir die Arbeit abnehmen?« fragte Achim.

»Nein, nein, vielen Dank sollst du haben, aber du darfst mich bei dieser Arbeit nicht stören. Am liebsten wäre es mir, du kümmertest dich jetzt überhaupt nicht um mich. Wir können uns später nach der Arbeit gründlich aussprechen. Weißt, man darf bei der Zauberei keine Fehler machen, ebensowenig Fehler, als wenn man nicht zaubern kann.«

»Aber nicht wahr, du kannst doch zaubern?«

»Ich kann, aber du mußt mich auch in Ruhe zaubern lassen, sonst wirst du kein Brot abliefern, und was dann mit dir los sein wird, das weißt du selbst.«

Da gab Achim keinen Mucks mehr von sich.

»elomen – elomen – lefi talomine
zack – zi – di – zop.«

Nun ja, das ist ja ganz nettes Mehl. Der Kleine befühlte es, füllte wieder seine Schaufel mit Sand, schüttete sie in den Trog und begann abermals zu murmeln:

»elomen – elomen – lefi talomine
zack – zi – di – zop.«

Achim sah von der Ofengegend aus auf das Männlein und in den Trog hinein, in dem es nicht mehr 228 grau, sondern schneeweiß aussah. Nochmals wurde geflüstert:

»elomen – elomen – lefi talomine
zack – zi – di – zop.«

Ganz leise für sich, unhörbar sprach Achim die Silben mit, denn er hatte ein bißchen Sorge, das Wichtelmännchen könne bei seinem Zauberspruch eine Silbe vergessen, und wer weiß, wie es dann herausgekommen wäre? Indessen ging alles nach Achims Wunsch. Das Starkholz war ein bißchen zu breit, und Achim warf dem Männlein einen fragenden Blick zu, ob er es spalten sollte. Das Männlein sagte: »Du kannst gern wieder mit mir plaudern, weil ich jetzt mit der Zauberei aus dem Gröbsten heraus bin.«

»Soll ich das dicke Holz spalten?«

»Es wird nicht nötig sein, denk' ich. Sieh zu, ob es sich in den Ofen schieben läßt. Tu drei Stücke hinein, mehr nicht.«

Unterdessen formte das Männchen mit unglaublich geschickten Händen die Brote und murmelte wieder:

»ele – mele – ming – mang
bing – bang.«

Dann schob er ein Brett in den Ofen, flüsterte hinein:

»rasta kreuz – und rasta quer –
jetzt backe braun und nicht zu schwer.«

Achim wurde sehr glücklich, als die ersten Bretter mit den duftenden Broten aus dem Ofen kamen. Er tanzte wie ein Kind in der Backstube umher und vergaß beinahe zu hinken. »Oh, König, König, ich muß nicht sterben. Es gibt Brot, Brot, Brot, und ich werde leben, leben, leben.« 229

»Leben, leben, leben«, äffte das Männchen ihm drollig lachend nach und freute sich mächtig mit Achim. Hunderte von Broten lagen warm und goldgelb auf den Backbrettern. Ein Brett war voll von Kipfeln und Semmeln, die speziell für den Frühstückstisch des Königs gebacken wurden. Aber das Männchen reichte Achim eine Semmel, er biß in das knusprige Brot, aß und meinte, seiner Zunge nicht trauen zu dürfen, so herrlich schmeckte das Brot. Hatte er je so etwas Gutes schon verkostet? Ob wohl mein Vater auch ein Brot bekommen wird und Gretchen, ja, Gretchen? So dachte Achim und begann trotz seines großen Glückes ein wenig zu seufzen. Wie herrlich wäre es, wenn wir immer solches Brot hätten! Es müßte ja nicht so fein und weiß sein als dieses. Es würde gar nichts machen, auch wenn's ein wenig hart wäre. Aber dasein müßte es, das liebe, tägliche Brot. So träumte Achim vor sich her, und ein paar Tränen fielen ihm aus den Augen auf das gute Brot. Da kam das Wichtelmännchen zutraulich an ihn heran:

»Sag, Achimli, willst du noch eine Semmel? Du siehst, es gibt genug. Wenn du Appetit hast, nimm dir nur. Ich muß gehen, mein Junge. Die Arbeit ist gemacht, und wenn's nötig ist, werde ich wieder kommen.«

Unter Tränen lächelte Achim das Wichtelmännchen an, wollte ihm einige Worte des Dankes sagen. Das Männlein stand wie in einem Lichtstreifen, aber als Achim näher trat, um seinem guten Freunde die Hand zu reichen, war das kleine Wesen wie im Licht verschwunden. 230

Achim glaubte geträumt zu haben, aber das Brot war da und blieb da, und als am Morgen der König in die Backstube kam, war von Sterbenmüssen natürlich nicht mehr die Rede. Vielmehr zeigte sich der König überaus zufrieden mit dem Ergebnis der Nacht. Das Brot wurde abgeholt, und Achim bekam ein gutes Essen, doch ließ man ihn nicht aus der Backstube heraus, wie er gehofft hatte. Es wurde eine Fuhre Sand in die Backstube geschafft, der Holzvorrat erneuert, und dann sagte der König, er müsse nochmals Brot backen, weil das Volk Hunger nach Brot hatte. Und was gebacken war, reichte nicht für alle.

»Ja, wenn es so steht, will ich's gern noch einmal versuchen«, versprach Achim.

»Versuchen?« fragte der König verwundert. »Wenn du einmal aus Sand Brot gebacken hast, wirst du es wohl mehrmals können.«

Darauf sagte Achim nichts. Er dachte sich nur sein Teil. Es war doch nicht sicher, daß das Wichtelmännchen immer wieder Brot backen würde. Das ließ sich doch nicht zum voraus sagen.

Der König fragte: »Nun, was sinnst du?«

»Oh, nichts, nichts Besonderes, Majestät. Ich hätte nur einen Wunsch und wäre zufrieden, wenn mir dieser Wunsch erfüllt werden könnte.«

»Nun, und was ist das?«

»Ich möchte so gerne, daß man meinem Vater mit einem Gruß von mir ein Brot überbringe. Ja, das wäre es. Und dann, weil es doch in einem geht, seid so gut, der Schuhmacherstochter, die gleich neben der Mühle wohnt, Gretchen heißt sie, der könnte man vielleicht auch ein Brot bringen.« 231

»Mit oder ohne Gruß?«

»Ach, vielleicht lieber ohne Gruß. Oder lieber mit Gruß? Das Brot ist die Hauptsache.«

Achim seufzte, und der König hatte etwas Mitleid mit ihm, aber einschließen mußte er ihn trotzdem.

Achim sah sich den Sandhaufen beklommenen Herzens an. Das war ja gerade noch einmal soviel Sand als in der vergangenen Nacht. Gott mochte wissen, wie lange die Brotbäckerei noch dauern konnte, denn für ein ganzes Land Brot zu backen, sei es auch nur aus Sand und durch Zauberei, dazu gehört schon viel Energie, und es konnte weder für Achim noch für das Wichtelmännchen ein Vergnügen sein, vielleicht jahrelang in der Backstube hausen zu müssen, und niemals ins Freie zu können, niemals nach Hause, nie wieder Gretchen zu begegnen. Ja Gretchen, die Gute, die Tränen geweint hatte, als er hierhergeführt wurde!

Ein Segen nur, daß das Wichtelmännchen sich mit rührender Pünktlichkeit einstellte und sich bereit erklärte, abermals Brot zu backen. Es wurde genau gemacht wie das erstemal.

»elomen – elomen – lefi talomine
zack – zi – di – zop.«

Das war der eigentliche Spruch für die Sandverwandlung in Mehl. Und beim Brotkneten hieß es:

»ele – mele – ming – mang
bing – bang –
ose – bose – backe dich –
eie – weie – weg.«

Wurde es in den Backofen geschoben, wurde gemurmelt: 232

»rasta kreuz – und rasta quer –
jetzt backe braun und nicht zu schwer.«

Achim lernte für alle Fälle die Zaubersprüche auswendig, wie es jeder machen kann, der dieses hier liest; aber Achim, der das Wichtelmännchen aus Bescheidenheit nicht so viel in Anspruch nehmen mochte und deswegen sich in der Zauberei erproben wollte, hatte zufällig keinen Erfolg damit. Ich weiß nicht, ob es irgendeinem andern besser gehen und er vielleicht mehr Glück mit der Zauberei haben könnte, oder ob nur Wichtelmännchen sich auf dergleichen Künste verstehen. Genug, das Wichtelmännchen mußte noch die ganze Woche über Brot backen. Weil es aber am zehnten Tage anderweitig beschäftigt war und nicht kommen konnte, hatte Achim mehr Sand bestellt, damit in der neunten Nacht mehr gebacken werden konnte. Er hoffte für den zehnten Tag vom König Dispens zu erhalten und fragte ihn, ob er sich einen Tag ausruhen dürfe. Es war dem König nicht recht. Achim wäre ja gerne weiter gefällig gewesen, doch lag ja alles in der Macht des Wichtelmännchens. Der König, der schon befürchtete, Achim wolle sich vom Brotbacken drücken, versprach ihm seine Tochter zur Gemahlin, wenn er nur noch einmal Brot schaffen wolle und nach der Verheiratung gelegentlich, nur wenn es dringend nötig sein sollte.

Inzwischen war wieder Friede im Lande, und das Korn auf den Feldern schien auch gut zu gedeihen. Achim schöpfte Hoffnung, bald seine goldene Freiheit wiederzuerhalten, und er wurde auch nicht enttäuscht. 233

Am zwölften Tage kam der König frühmorgens in die Backstube, aber dieses Mal nicht allein, sondern in Begleitung seiner Tochter.

»So, Achim«, sprach der König, »ich will dir meine Tochter, die Prinzessin Jolanda, zur Gemahlin geben, wenn du dich verpflichten willst, im Notfalle dafür zu sorgen, daß mein Volk immer Brot genug hat. Du mußt auf jeden Fall diesen Vertrag unterschreiben. Hier.«

Achim sah sich den Vertrag an, unterschrieb, da ihm nichts anderes übrigblieb. Das wußte er genau.

Der König war zufrieden, steckte den Vertrag in die Tasche und sprach zu seiner Tochter: »Willst du Achim zum Manne nehmen, Jolanda, dann sei so gut, ihm gleich dein Jawort zu geben.«

»Ja, ich will«, sagte die Prinzessin.

Achim sagte gar nichts. Er geriet sichtbar in die größte Verlegenheit.

»Nun, wie steht es, Achim?«

»Ich weiß nicht, wie es steht, Majestät, ob es sich hier um einen Befehl oder um eine Vergünstigung handelt. Ich will der Prinzessin gewiß nicht zu nahe treten, aber wenn Majestät nichts dagegen hat, möchte ich lieber ledig bleiben.«

»So, so. Und wenn ich etwas dagegen habe?«

»Dann bleibe ich gleichwohl ledig, weil ich nicht heiraten will.«

»Das verstehe ich gut, Vater«, sagte Prinzessin Jolanda und sah freundlich auf Achim. Lächelnd fügte sie hinzu: »Du hast sicher eine andere, die du mir vorziehst? Du brauchst es mir nicht anzuvertrauen, aber du gefällst mir sehr gut, gerade weil 234 du mich nicht zur Frau willst. Vielleicht aber habe ich einmal Gelegenheit, dir zu beweisen, daß ich gern deine Freundin sein möchte.«

»Das wäre freilich viel wert«, antwortete Achim und blickte die Prinzessin mit einem kleinen schüchternen Lächeln an. Dann aber durfte er keineswegs nach Hause gehen, sondern wurde im Wagen gefahren, und obendrein mit Geschenken bedacht.

Der Müller war natürlich überglücklich, seinen Sohn wiederzuhaben. Er bat ihn um Verzeihung, weil er eine solch gefährliche Lüge über seinen Sohn ausgestreut hatte, doch Achim war seinem Vater deswegen niemals böse gewesen. Der Müller fragte:»Jetzt sage mir nur eines, mein Junge, wie hast du es nur fertiggebracht, das Brot zu schaffen?«

Achim gab zur Antwort: »Vater, ich bitte dich dringend, mich nicht danach zu fragen. Ich werde dies als mein Geheimnis bewahren.«

Nun stand Achim seit seiner Rückkehr ins Vaterhaus wieder in gutem Ansehen bei den Leuten. Er war ja derjenige gewesen, der sie mit Brot versorgt hatte und der jetzt in der hohen Gunst des Königs stand. Man suchte seine Gesellschaft. Er aber blieb zurückgezogen für sich und ließ sich kaum im Ort blicken.

Eines Tages kam Gretchen in die Mühle, um sich bei Achim für das Brot zu bedanken. Sie hatte jeden Tag eines geschickt bekommen, und jetzt kam sie fragen, ob sie sich nicht für diese Freundlichkeit ein wenig erkenntlich zeigen könne, und ob sie nicht für Achim und für seinen Vater ein Paar Strümpfe stricken dürfe oder ihnen die Wäsche 235 ausbessern, denn der Müller konnte sich nicht viel weibliche Hilfe in seinem Hause leisten.

»Ja, wir könnten schon ein Paar Strümpfe brauchen«, sagte Achim ehrlich heraus, »aber dann möchte ich doch wenigstens die Wolle zahlen, damit du keine Ausgaben hast.«

»Oh, das tu' ich doch so gern für dich«, erwiderte Gretchen.

»Wirklich?«

»Zweifelst du daran? Du hast mir doch auch Brot geschenkt.«

»Das machte mir keine Mühe. Ich habe nur viel an dich gedacht, Gretchen.«

»Ich habe auch an dich gedacht. Und jetzt . . .« Sie schwieg, und er sah sie leicht erröten und die Augen senken.

»Willst du nicht weitersprechen, Gretchen?«, fragte er sie mit leiser Stimme.

»Ja, Achim, du sagtest doch vorhin, du habest an mich gedacht. Du fühltest dich doch gewiß recht verlassen dort, so ganz allein.«

»Oh, ich werde auf eine Weise immer allein sein, wenn du nicht bei mir bleiben willst als meine Frau. Aber du mußt nicht ja sagen, wenn du es nicht willst.«

»Aber ich will es gerne, und darum sage ich ja.«

»Für immer, Gretchen?«

»Für immer, Achim.«

Dann waren sie verlobt und heirateten schon wenige Wochen später.
 

Jetzt lebten die beiden sehr glücklich miteinander, und auch der Müller freute sich, daß sein Sohn eine 236 gute Frau bekommen hatte. Es gab Korn genug auf den Äckern, und daher war nicht anzunehmen, daß Achim abermals vom König gerufen würde, um Mehl und Brot zu schaffen. Jetzt mahlte ja Achim echtes Korn und Mehl.

Eines Tages aber, als er im Begriff war, Korn in den großen Behälter zu füllen, stand plötzlich das Männlein vor ihm, grüßte höflich, doch fragte es zugleich:

»Höre, Achim, du hast mir damals, als ich dir geholfen habe, eine Bezahlung angeboten. Wie ist es jetzt damit?«

»Gewiß, was kann ich dir geben? Willst du Geld, und wieviel?«

»Nein, Geld will ich nicht.«

»Was willst du denn? Ich habe ein hübsches seidenes Halstuch. Willst du das?«

»Nein, ich brauche kein Halstuch.«

»So sag, was du willst.«

»Ich will etwas Lebendiges«, sagte das Wichtelmännchen.

»Dann will ich dir ein Huhn, eine Taube oder eine Katze geben.«

»Wenn du mir nicht gibst, was ich will, werde ich dir nie wieder helfen«, sagte das Männchen.

Da wurde es Achim ein wenig ungemütlich. »Es wird nicht nötig sein, daß du mir abermals hilfst. So hoffe ich.«

»Wenn du mich aber doch brauchen solltest. Erinnere dich, wie die Menschen zu dir waren, als du kein Brot schaffen konntest. Erinnere dich, wie selbst der König dir gedroht hat. Du hättest dein Leben 237 verloren, wenn du mich nicht gehabt hättest. Zweifelst du etwa daran?«

»Nein, ich muß dir recht geben. Aber sag, was du willst.«

»Gib mir dein erstes Kind, das dir geboren wird.«

»Mein Kind? Aber ich kann doch nicht wissen, ob ich je ein Kind haben werde.«

»Ganz recht, und dann wird dein Versprechen nicht gelten. Vielleicht bekommt ihr gar kein Kind. Das kann schon sein. Aber versprich es mir.«

Da wurde Achim sehr unruhig, und es war ihm unheimlich zumute, da er bedachte, das Wichtelmännchen könne sich rächen.

»Gib mir Bedenkzeit«, bat Achim, »komm morgen wieder um dieselbe Stunde.«

»Gut, ich werde kommen«, antwortete das Männchen und verschwand.

Da vertraute Achim sich seiner Frau an und erzählte ihr die ganze Geschichte. Gretchen suchte den Mann zu beruhigen und sagte:

»Du kannst ihm das Kind versprechen. Wenn wir eines bekommen sollten, werden wir schon dafür sorgen, daß wir es behalten. Kommt Zeit, kommt Rat. Du hättest dich nicht mit dem Wichtelmännchen einlassen sollen. Freilich, du konntest nicht anders. Versprich ihm nur das Kind.«

Da versprach Achim am nächsten Tage dem seltsamen Männchen sein Kind.

Aber erst nach einem Jahr wurde den Eheleuten ein Söhnlein geschenkt. Die ganze Zeit über hatten sie überhaupt nicht an das Wichtelmännchen gedacht. Nun aber, da das Knäblein vier Wochen alt 238 war, stellte sich das Männchen plötzlich eines Abends ein, und zwar in der Wohnstube, als Achim mit seiner Frau beisammen am Tische saß. Es wendete sich an Achim:

»Gib mir jetzt das Kind.«

Da verlegten sich beide aufs Bitten und weinten so sehr, daß das Männchen Mitleid mit den Leuten hatte.

»Wohlan denn«, sprach es, »ihr dürft euer Kind behalten, wenn ihr in drei Tagen erraten könnt, woher ich stamme. Ich werde täglich um diese Stunde wiederkommen und euch befragen.«

Mit diesen Worten verschwand das Männlein vor ihren Augen.

Woher mag es nur kommen? fragten sich die Eheleute. Es gab ja so viele Länder, und am nächsten Abend rieten sie aufs Geratewohl.

»Kommst du vielleicht von den Feuerinseln?«

»Nein, daher komme ich nicht.«

»Bist du vielleicht in Ägypten daheim?«

»Nein, auch nicht.«

»Bist du vielleicht am Nordpol geboren?«

»Nein, am Nordpol auch nicht.«

»Vielleicht ein bißchen am Südpol?«

»Nicht die Spur.«

So verging der erste Abend, und die Leute konnten nicht erraten, woher das Wichtelmännchen stamme. Am nächsten Tag studierten sie in einem alten Geographiebuch, schrieben sich Länder aus allen Erdteilen auf und waren schon am Nachmittag vom vielen Studieren so müde, als hätten sie eine Weltreise gemacht. War das eine Anstrengung! Jetzt 239 hatten sie eine Ahnung bekommen, wie groß die Erde ist, und wußten Länder zu nennen, aus denen sie selbst nicht stammten, aber das Wichtelmännchen ebensowenig.

Am dritten Tage streifte Achim bekümmert im Walde umher. Er war sehr müde vom vielen Nachdenken und wußte, daß es nutzlos war, nach dem Herkunftsland des Wichtelmännchens zu suchen. Er kam an eine Lichtung, wo Ginster und Heidekraut wuchsen. Da pflückte er einen schönen Strauß, den er Gretchen schenken wollte. Er hatte sie doch so sehr lieb, und das Kind war so reizend. Ach, wenn er es doch nur nicht fortgeben mußte! Er setzte sich ins Gras, um ein wenig auszuruhen, und da er still vor sich her sah, kam plötzlich das Männlein angetanzt, als wäre es aus einer Flamme entstanden. Es sprang um einen Ginsterbusch herum, klatschte in die Hände, wobei sein rotes Zipfelmützchen lustig hin und herflog. Es sang:

Backe, backe, Brot,
Wir leiden große Not.
Backe, backe, Kuchen,
Der Achim hat gerufen.
Da backt' ich Brot die ganze Nacht,
Niemand hat an Dank gedacht.
Backe, backe, Brot.

Backe, backe, Brot,
Jetzt hat es keine Not.
Backe, backe, Kuchen,
So mag's im Traume rufen.
Sagt, woher, und sagt's nur gleich.
Stamm' ich aus dem Zauberreich?
Backe, backe, Brot. 240

Zauberreich! O ja, das wird es sein, dachte Achim, blieb aber still liegen, damit das Wichtelmännchen ihn ja nicht bemerken sollte. Als es ein paarmal um den Ginsterbusch singend herumgehüpft war, kam es händeklatschend auf Achim zu, als habe es ihn hier vermutet. Es zeigte sich gar nicht erstaunt, ihn hier anzutreffen, machte vielmehr eine höfliche kleine Verneigung und fragte nur schelmisch: »Nun?«

Da sagte Achim zu ihm: »Höre, Wichtelmännchen, du hast alles nur geträumt, und darum meinst du, daß es mich, Gretchen und ein Kind gibt. Gehe heim und schlafe dich aus.«

»Und wohin soll ich gehen?« fragte das Wichtelmännlein kindlich und mit einem drolligen Lächeln.

»Du bist ein kleiner Schelm. Ich verstehe schon, du willst mich ausfragen. Geh nur ins Zauberreich zurück, aus dem du stammst.«

Da blickte das Wichtelmännchen zuerst etwas bestürzt drein. Dann aber zog ein kleines, freundliches Lächeln über sein Gesicht, und es sah Achim sehr tief in die Augen.

»Mein Traum? Solltest du wirklich nur mein Traum sein? Wer hat dir das gesagt?«

»Der andere. Du selbst.«

»Ich selbst?« So hauchte das Männlein fragend. Und dann löste es sich auf, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Es kam niemals wieder, aber es war auch nicht nötig. 241

 


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