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Vezzosa, du erzählst beinahe ebensoschön wie die Nonna. Sag, weißt du noch mehr Geschichten?«
»Oh, einige werde ich wohl noch wissen. Als Kind habe ich viele Märchen gelesen und auch von meiner lieben Mutter erzählen hören. Seid ihr nicht zu müde? Soll ich euch noch eines zum besten geben?«
»O ja, bitte, tu es«, drängten die Kinder. Doch hätten die Kleinen kaum so schmeichelnd zu bitten brauchen, weil das Erzählen Vezzosa Freude machte.
Das Glück der Lerche
aus dem Italienischen bearbeitet.
Es war einmal ein Witwer, der seines Zeichens Kupferschmied war und der in seiner Werkstatt von morgens bis abends fleißig mit dem Hammer Kochtöpfe, Kessel und Pfannen in die rechte schöne Form brachte. Da die Werkstatt zu ebener Erde an der Straße lag und die Tür meistens weit geöffnet stand, plauderte der Schmied gern mit den Vorübergehenden, soweit diese zu seiner Bekanntschaft oder Nachbarschaft gehörten, wobei er allerdings nicht seine Arbeit unterbrach, denn er hatte genug zu tun, weil er nicht nur für sich, sondern auch für zwei erwachsene Töchter zu sorgen hatte, die ihm den Haushalt 137 führten. Da nun die beiden Mädchen schon im heiratsfähigen Alter standen, fragte man den Vater oftmals im Scherz:
»Sagt, Meister Schmied, mit wem gedenkt ihr Eure Töchter zu verheiraten?«
»Die ältere gebe ich nur einem Königssohn, die Jüngere mag nehmen, wer Lust hat.«
»Und wenn einer keine Lust hat?«
»Soll's mir auch recht sein, wenn nur meine ältere ihren Prinzen bekommt.«
Ja, jetzt muß leider gesagt werden, wie die Sache stand. Die ältere Tochter, die auf den vornehmen Namen Regina hörte, war ein sehr schönes Mädchen, blond und blauäugig, hoch und schlank gewachsen, aber hochmütig und eitel. Sie putzte so ziemlich den ganzen Tag über an sich herum und stand für den Rest am Fenster, um sich von Vorübergehenden bewundern zu lassen, soweit diesen die Laune danach stand. Wer aber die schöne, faule Regina näher kannte, fand wenig Gefallen an dem eingebildeten Mädel. Anders stand es um die zweite Tochter, die Julia hieß, aber ihrer schönen Singstimme wegen allgemein »Kupferschmieds kleine Lerche« genannt wurde. Lerche sah nun freilich etwas unansehnlich aus und war mit ihrer noblen Schwester nicht zu vergleichen. Sie war zwar sauber und ordentlich, doch sehr bescheiden gekleidet, aber sie hatte ein nettes, liebes Gesichtchen, aus dem zwei braune Augen herausguckten, denen man auf den ersten Blick die Herzensgüte ansah, zu der jedermann sich hingezogen fühlte. Je länger man Lerche kannte, um so mehr gefiel sie einem, während die blendende 138 Schönheit Reginas verblaßte, sobald man den schlechten Charakter des Mädchens erkannt hatte.
Der Vater aber liebte seine ältere Tochter viel mehr als die kleine, bescheidene Lerche, die eigentlich diejenige war, die das Haus in Ordnung hielt und nicht nur den Vater, sondern auch die Schwester bedienen mußte. Regina bekam von ihrem Vater beinahe alles, was sie sich wünschte, während er die treue, kleine Lerche kaum beachtete. Diese aber sang gleichwohl, am liebsten im Garten, ihre fröhlichen Volkslieder. Saß sie nun, mit einer Handarbeit beschäftigt, auf einer Bank singend im Garten, kam seit einiger Zeit ein Rotkehlchen dahergeflogen, setzte sich zahm auf die Schulter des Mädchens, zwitscherte, trillerte, pfiff und schien sich zu bemühen, die Töne der Lerche nachzuahmen, was freilich nicht gelingen konnte, doch war es recht drollig, daß das Rotkehlchen es trotzdem unermüdlich immer wieder versuchte. Hörte die Lerche auf zu singen, flog das Rotkehlchen auf einen Ast des Pfirsichbaumes, begann sich lebhaft hin und her zu schaukeln, als wolle es das Mädchen auf sich aufmerksam machen. Dann fragte dieses scherzend: »Ja, was willst du denn, Rotkehlchen? Soll ich dir etwas vorsingen?« Dann zwitscherte das Rotkehlchen: »Si-sisi«, was soviel wie »Ja, jaja« bedeuten sollte.
Sang das Rotkehlchen aber seinerseits, wie ihm das Schnäbelchen gewachsen war, machte die Lerche sich manchmal den Spaß, das Rotkehlchen nachzuahmen, was nicht gelang, und dann schien das Vögelchen leicht gekränkt zu sein, flog weg, kam aber bald wieder zurück. 139
Man hätte meinen mögen, das Rotkehlchen wisse, wie spät oder wie früh es sei, weil es pünktlich zu bestimmten Stunden sich einstellte. Morgens früh saß es eine Stunde vor Sonnenaufgang am Fensterbrett des Mädchens, pickte mit dem Schnabel an die Scheiben, um es zu wecken, begann zu singen, und die Lerche stimmte mit ein. Regina aber konnte beim Gesang nicht schlafen, und verbot nicht nur ihrer Schwester, sondern auch dem Rotkehlchen das Singen, doch kümmerten sich beide nicht darum und sangen, wann und soviel sie Lust hatten. Besonders das Rotkehlchen schien sich ein Vergnügen daraus zu machen, recht laut zu singen, wenn Regina ihren Mittagsschlaf halten wollte. Sie beschwerte sich bei ihrem Vater, der seine Lerche zur Rede stellte, sie und das Rotkehlchen müßten das viele Singen unterlassen. Julia antwortete: »Ich habe den ganzen Tag über soviel zu schaffen und höre nur Scheltworte von dir und meiner Schwester. Regina soll einen Königssohn heiraten, und wer mich zur Frau nimmt, ist dir gleichgültig. Aber singen muß ich, und dem Rotkehlchen könnt ihr es auf keinen Fall verbieten.«
Da sagte Regina: »Nein, aber wir können ihm den Hals umdrehen.«
»Untersteh dich, du schlechte Person«, rief ihr die Lerche zu.
Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, als ihr der Vater eine Ohrfeige versetzte: »Spricht man so mit seiner älteren Schwester?«
»Wenn sie böse ist, ja«, gab die sonst so stille Lerche zurück. Da aber bekam sie auch noch einen Schlag von der Schwester. Das Rotkehlchen kam 140 zum Fenster hereingeflogen, und als ob es den Streit verstünde, nahm es Partei für die Lerche und pickte Regina mit dem Schnabel im Gesicht herum, so daß diese laut aufschrie.
»Rotkehlchen, was tust du?« rief die Lerche ihm vorwurfsvoll zu, worauf das Vögelchen wieder fortflog.
Julia ging traurig in den Garten, setzte sich auf die Bank, und sogleich kam das Rotkehlchen vom Pfirsichbaum herabgeflogen, setzte sich dem Mädchen auf die Schulter.
»Hast du mich lieb, Rotkehlchen?«
»Si-si-si-si.«
Regina, die am Fenster stand, lachte und sagte: »Aha, das Liebespaar ist wieder beisammen.«
Und als einige Tage später der Schmied an der Arbeit war und ihn die Vorübergehenden abermals fragten: »Kupferschmied, wem gebt Ihr Eure Töchter?«
»Das geht Euch nichts an«, erwiderte er verdrossen, fügte aber doch hinzu, indem er mit dem Hammer seine Kessel bearbeitete: »Die ältere bekommt einen Königssohn, und wer die andere nimmt, weiß ich nicht.«
»Ich, ich, ich!« hörte er plötzlich das Rotkehlchen rufen.
Das machte den Schmied stutzig. Er glaubte sich verhört zu haben, fragte nochmals: »Wer bist denn du, daß du heiraten kannst?«
»Ich, ich, ich«, trillerte der Vogel beinahe mit menschlicher Stimme. Da kam der Kupferschmied auf den Gedanken, das Vögelchen könne ein 141 verzauberter Königssohn sein. Man konnte es nicht wissen, doch mochte es für alle Fälle nicht schaden, wenn man dem Rotkehlchen einen Käfig auf dem Fensterbrett aufstellte. Das Vögelchen war denn auch höflich genug, von solcher Gastfreundschaft Gebrauch zu machen. Die Tür zum Käfig blieb stets geöffnet, so daß das Rotkehlchen nach Belieben ein und aus fliegen konnte.
Eines Morgens kam ein junger Bauernbursche zum Schmied und fragte ihn: »Habt Ihr nicht eine Frau und einen Kochtopf für mich?«
Der Schmied, der nicht ganz richtig im Kopf war, meinte, der Bauer könne ein verkleideter Königssohn sein, antwortete: »Ich habe eine Tochter, die sehr schön singen kann, wäre Euch die recht?«
»Warum nicht? Eine gute Singstimme weiß ich zu schätzen.«
Da rief der Schmied Regina herbei und sagte: »Wollt Ihr diese zur Frau, könnt Ihr sie haben. Sie singt wie eine Nachtigall.«
»Wenn sie aber wie eine Krähe singt, werde ich betrogen sein«, gab der Bauernbursche vorsichtig zu bedenken.
Regina konnte nicht singen, hoffte aber sich eine List zu ersinnen und sagte zum Bauern: »Nehmt vorerst den Kochtopf und kommt in acht Tagen wieder, ich bin nur heute nicht gut bei Stimme.«
»Nein, nein, ich nehme Frau und Kochtopf gleichzeitig. Lebt wohl.«
Die Lerche war auf den Markt einkaufen gegangen, und als sie zurückkam, sagten Vater und Schwester zu ihr: »Du hast dein Glück versäumt. 142 Hier war ein Bauer, der um deine Hand angehalten hat.«
»Ist recht so«, erwiderte die Lerche munter, »mein Glück wird in acht Tagen kommen.«
Da ärgerte sich Regina sehr, weil der Bauer sie verschmähte. Sie fühlte sich in ihrem Stolze so sehr gekränkt, daß sie zu ihrem Vater sagte: »Daß Julia nur heiraten, wen sie will. Es kann kein verzauberter Königssohn sein, der sie zur Frau begehrt. Die Lerche ist häßlich, und die Stimme allein tut's auch nicht.«
»Du hast recht, Regina. Du bist schön und wirst deinen Königssohn schon finden.«
Als nun der Bauer nach acht Tagen wiederkam, sagte der Kupferschmied, indem er ihm die Lerche hinschob: »Hier ist meine Tochter Julia, genannt die Lerche, wollt Ihr sie zur Frau, nehmt sie, aber ohne Ausstattung.«
»Oh, eine Ausstattung braucht es nicht. Gebt uns nur einen Kochtopf und, wenn es nicht zuviel verlangt ist, jenen Vogelkäfig, der auf dem Fensterbrett steht.«
»Gut, meinetwegen. Da, nehmt den Vogelkäfig, aber ohne Vogel.«
»Jawohl, ohne Vogel. Die Lerche habe ich ja, und das genügt mir.«
Die Lerche lächelte dem Bauernburschen zu, und dann zogen beide nach kurzem Abschied miteinander von dannen.
Nun hatte der Kupferschmied absichtlich vergessen, den jungen Verlobten einen Kochtopf mitzugeben, und kaum waren sie zur Tür hinaus, als er sich vergnügt die Hände rieb und zu Regina sagte: 143 »Siehst du, den Kochtopf habe ich gespart, und die Lerche sind wir losgeworden. Du wirst sehn, jetzt wird der Königssohn nicht mehr lange auf sich warten lassen.«
»Hoffen wir es«, sagte Regina. Sie gab sich Mühe, die Kessel und Kochtöpfe wegzuräumen, denn jetzt mußte sie alle Arbeit allein machen. Da entdeckte sie zufällig ein Loch in einem der Kochtöpfe und zeigte es ihrem Vater: »Sieh mal, Vater, hier scheinst du nicht gut gelötet, nicht ordentlich zusammengeschweißt zu haben. Der Kochtopf hat ein Loch.«
»Nun, das ist doch noch nie vorgekommen. Meine Kochtöpfe, Pfannen und Kessel haben noch nie Fehler gehabt.«
Gut, das mochte früher gestimmt haben, aber jetzt nicht mehr. Es war nicht nur ein Kochtopf, der ein Loch aufwies, sondern sämtliche Ware stellte sich, genau gesagt, als unbrauchbar heraus. Bei einem Sieb sind die Löcher beinahe das Wichtigste, aber bei Pfannen und Kochtöpfen kann man nicht das kleinste Loch brauchen, im Boden, wohlverstanden, denn oben muß es ja gehörig offen sein, sonst könnte man den Braten ja nicht hineinlegen. Der Fehler war nicht immer rasch zu entdecken, und so kam's auch, daß Leute beim Schmied Kochtöpfe kauften, eine Suppe vertrauensvoll zu Feuer setzten, und eine Stunde später war kein Tropfen Suppe mehr im Kochtopf, nur das halbangebrannte Fleisch. Verärgert gingen die Leute mit dem Kochtopf zum Schmied, der aber wollte den angerußten Kochtopf nicht zurücknehmen.
»Der hat kein Loch gehabt«, behauptete er und 144 wußte genau, daß er nicht die Wahrheit sagte. Was aber sollte der Mann mit seinen verhexten Pfannen, Töpfen und Kesseln anfangen? Das mußte ein Kobold gemacht haben. Man hegte Verdacht gegen das verwunschene Rotkehlchen, aber das ließ sich nie wieder blicken, mußte also doch wohl unschuldig an dem Ärgernis sein.
Regina vernachlässigte den Haushalt, so gut sie nur konnte. Das Faulenzen war nach wie vor ihre Hauptbeschäftigung. Die Werkstatt des Kupferschmiedes, vor allem seine eigene Arbeit, kam in den denkbar schlechtesten Ruf. Der Mann hatte keinen Verdienst mehr, er zehrte vom wenigen Ersparten, kurzum, es stand nicht mehr gut, seitdem die kleine Lerche das Haus verlassen hatte. Der Schmied bedauerte, sein liebes Töchterchen so schlecht behandelt zu haben, doch die Reue kam zu spät. Die Lerche mit ihrem Rotkehlchen sah man nicht mehr in der Schmiede. Als aber eines Tages kaum ein Stück Brot im Hause mehr zu finden war, kam ein vornehmer Herr in die Werkstatt und wünschte einiges an Kochgeschirr einzukaufen.
»Sucht Euch nur aus, werter Herr«, sagte der Schmied kleinlaut. Er wollte zu gern einen netten Kupferkessel verkaufen, doch wußte er ja, wie es mit seiner Ware stand. Er wagte nichts anzupreisen. Die Löcher waren freilich nicht groß, doch war's nicht redlich, den Kunden unbrauchbare Pfannen anzuhängen.
Der feine Kunde aber stellte eine ganze Menge Geschirr beiseite, forderte den Schmied auf, die Rechnung zu machen, die gleich bezahlt wurde, 145 während die Ware am nächsten Tag von einem Boten abgeholt werden sollte.
Der Schmied begann zu rechnen, hatte aber doch ein recht flaues Gewissen bei dem Handel und sagte: »Entschuldigt, werter Herr, habt Ihr Euch auch alles gründlich angesehen? Ich muß leider bekennen, daß die Sachen etwas schadhaft sind. Wie es kommt, weiß ich selbst nicht, aber . . .«
»Oh, bitte sehr, entschuldigt Euch nicht, Herr Meister, ich bin sehr zufrieden mit den Pfannen.«
»Um so besser, werter Herr«, doch wagte der Kupferschmied gleichwohl nur eine bescheidene Rechnung aufzustellen.
Er bekam aber das Doppelte von dem, was er gefordert hatte.
Der Schmied wollte das Geld kaum annehmen, aber der Herr duldete keine Widerrede. Nachdem das Geschäft abgeschlossen war, fragte der vornehme Kunde: »Wie geht's denn Eurer Frau Tochter Julia, der Lerche? Ich habe gehört, sie habe einen Vetter des Königs geheiratet.«
»Einen Vetter des Königs? Ihr müßt Euch irren. Soviel ich weiß, hat sie einen Bauernsohn geheiratet, sonst weiß ich leider gar nichts von ihr. Ich denke genug an meine kleine Lerche.«
»Schon recht mit dem Denken, doch seid Ihr falsch unterrichtet, Meister Schmied. Eure Tochter wohnt mit ihrem Manne in einem Schlosse, das einen Tag und eine Nacht von hier entfernt liegt, doch sind die Herrschaften auch viel auf Reisen. Jetzt will ich Euch aber nicht länger aufhalten. Mein Diener holt morgen das Kupfergeschirr, und 146 sollte ich mehr brauchen, werde ich wieder zu Euch kommen.«
»Es wäre mir eine große Ehre, und verbindlichsten Dank, werter Herr.« So. Das war das.
Es läßt sich denken, daß der Schmied recht froh war, wieder einmal ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Er eilte zu seiner Tochter, um ihr die angenehme Botschaft mitzuteilen. Als er aber erzählte, wie es mit der Lerche stand, fing Regina an zu weinen vor Eifersucht. Der Vater suchte sie zu trösten und sagte: »Höre, mein Kind, gönne deiner Schwester ihr Glück. Es wird auch einmal zu dir kommen.«
»Ach, ich glaube nicht mehr daran, Vater«, antwortete Regina.
Am nächsten Morgen kam ein armselig gekleideter Bursche an die Tür und bat Regina demütig um eine Gabe.
»Wer bist du? Wie heißt du?« fragte sie.
»Reuccio«, antwortete er, und sonst nichts. Das war aber mehr als genug, denn »Reuccio« heißt in deutscher Sprache soviel wie Königssohn.
Kaum hatte Regina das Wort gehört, als sie sich tief vor dem Betteljungen verneigte und ihn ins Haus bat. Es war ihr sofort klar, daß der Prinz nur diese Verkleidung gewählt hatte, um sie zu prüfen. Sie war außer sich vor Freude, rief ihrem Vater, er möge sofort kommen, der Königssohn sei da.
»Na, endlich«, dachte der Schmied, war aber doch etwas stutzig, als er den verkleideten Prinzen erblickte. Er sah gar zu zerlumpt aus. Er ging barfuß, und was nicht zu übersehen war: die Füße waren auffällig unsauber, und Regina hätte gern den Jungen mit 147 Kölnischem Wasser angespritzt, denn er duftete nicht grad gut. Aber das machte ja alles nichts, ein Königssohn durfte sich solche Scherze schon erlauben.
»Sag, was willst du essen, Reuccio? Was willst du trinken, süßer Reuccio?«
»Oh, ich wäre zufrieden, wenn ich ein dickes Stück Brot bekäme und eine Schale Milch, oder ein Kartoffelsüppchen, was Ihr grad da habt. Ich bin mit allem zufrieden.«
Ein Königssohn, und mit allem zufrieden! Regina lächelte ihm liebreich zu, ließ sofort die feinsten Wurstwaren und gekochten Schinken holen, frische Grasbutter, Streichkäse und ein Fläschchen Burgunderwein. Das wurde dem Reuccio vorgesetzt, und er bewies einen sehr gesunden Appetit. Achthundert Gramm feingeschnittener Schinken verschwanden, als wenn's nichts wäre, während Regina seine Verstellungskunst nicht genug bewundern konnte.
»Schmeckt es dir?« fragte sie zärtlich.
Er schmunzelte: »Müßt Ihr da noch fragen?«
Als er sämtliche Wurstwaren und Käsesorten sich einverleibt hatte, dazu ein halbes Pfund Brot, lehnte er eine große Schüssel mit Kirschenkompott gleichwohl nicht ab. Am Abend gab es Fasanenbraten, und auch diesem üppigen Mahle zeigte sich der Prinz gewachsen. Regina hatte ihm zwar eine Serviette hingelegt, doch rührte er diese nicht an, sondern benutzte ein Taschentuch von zweifelhafter Sauberkeit oder gar den Handrücken, um sich leicht damit über den Mund zu fahren.
»Oh, Vater, dieser Prinz ist ein hervorragender Schauspieler, ein wahrer Künstler. Nein, er ist 148 entzückend!« So sprach sich Regina über den Königssohn aus und konnte sich nicht satt sehen an ihm.
»Reuccio, willst du immer bei uns bleiben?« fragte sie.
»Warum nicht, wenn ich dir nicht lästig falle«, antwortete der Prinz und lächelte behaglich vor sich her. Er bekam das kleine Zimmer der Lerche angewiesen, schlief bis in den hellen Morgen und ließ sich ein paar Tage hegen und pflegen. Er fragte nicht viel danach, ein warmes Bad zu nehmen, was er sehr nötig hatte, und es war wirklich erstaunlich, daß ein verwöhnter Königssohn es aushielt, über vierzehn Tage die Wäsche nicht zu wechseln. Er wollte Regina und ihren Vater eben gründlich täuschen, und die beiden taten ihm dann auch einige Wochen lang den Gefallen, als hielten sie den Prinzen für einen Betteljungen.
Allmählich aber war es doch an der Zeit, dem Spiel ein Ende zu bereiten. Der Kupferschmied tippte vorsichtig an und fragte den Prinzen, ob er noch nicht daran gedacht hätte, sich eine Frau zu erwählen.
»Oh, eigentlich nicht. Ich fühle mich nicht schlecht als lediger Mann.« Nein, diese Verstellung ging denn doch beinahe zu weit! Regina aber verlor die Geduld und fragte ihn eines Tages:
»Reuccio, du weißt, ich heiße Regina, und du magst selbst beurteilen, ob wir zwei zueinander passen, oder nicht. Ich weiß schon, warum du zu uns gekommen bist. Seit heute weiß ich es.«
»Warum denn?« fragte der Prinz mit einem vollkommen ahnungslosen Gesicht. Oh, er spielt seine 149 Rolle vortrefflich, das muß man ihm lassen. So dachte Regina. Dann aber sagte sie:
»Jetzt ist genug gescherzt. Heiraten wir, oder nicht?«
»Gut, heiraten wir, wenn du es gerne willst.«
»Und du? Ist es wirklich dein Wunsch?«
»Ich kann mir doch nichts Angenehmeres denken.« Nun, dann war alles gut. Es war Regina freilich nicht recht, daß die Hochzeit in aller Stille und ohne Sang und Klang gefeiert wurde; doch wollte sie auch diese letzte Prüfung noch auf sich nehmen und erfolgreich bestehen. Der Kupferschmied mußte dem Schwiegersohn sogar den Anzug kaufen, doch hoffte er, der König würde ihm die Auslagen ersetzen.
Zwei Tage nach der Hochzeit wünschte Regina, von ihrem Gatten zum Königspalast geführt zu werden. Der Prinz stellte sich zuerst, als wisse er nicht einmal, wo sich das Schloß befinde; aber es war nur gut, daß Regina es wußte, sonst wären sie wohl niemals hingekommen. Als sie nun beide vor dem Schlosse standen, fragte Regina: »Nun, was ist denn? Warum treten wir nicht ein?«
»Ja, kann man denn dort eintreten? Das wußte ich gar nicht. Muß man nicht die Wachen um Erlaubnis fragen?«
»Jetzt hör endlich mit deinem Theater auf, ich hab' jetzt genug davon. Du bist doch der Königssohn und ich bin deine Frau, die künftige Regina. Das Schloß gehört doch dir. Du bist doch der Prinz.«
»Seit wann denn? Ich glaube, du bist verrückt geworden. Ich heiße Reuccio, aber ich bin kein Königssohn. Wäre ich ein Prinz . . ., nun, ich will lieber nicht sagen, was ich denke.« 150
Er kam auch nicht so weit, noch mehr zu sagen, denn Regina versetzte ihm eine kräftige Ohrfeige, doch der Prinz blieb ihr nichts schuldig und walkte Regina seinerseits durch, so daß die Leute herbeigeeilt kamen und fragten, was es hier für Streitereien gäbe.»Ach, es ist nur die Tochter des Kupferschmiedes, die sich mit ihrem Manne schlägt«, hieß es. Das fängt ja zeitig an, sagten die Leute und schüttelten die Köpfe. Regina aber ließ den ganzen Reuccio stehen und eilte weinend nach Hause, wo sie ihrem Vater berichtete, wie sie mit ihrem Königssohn hereingefallen. »Die Schande, die Schande! Das überlebe ich nicht!«, so jammerte Regina tagelang.
»Beruhige dich, mein Kind, wir werden zu deiner Schwester reisen, und das wird eine Ablenkung für dich sein. Wir haben doch durch Julia immer noch eine vornehme Verwandtschaft, und selbst wenn wir diese nicht hätten, wollen wir die kleine Lerche einmal besuchen.«
So reisten denn beide fort und kamen nach einem Tag und einer Nacht zu einem Schloß, vor dem freilich auch Wachen standen. Julia aber blickte gerade zum Fenster hinaus, erkannte Vater und Schwester von weitem, und die Wache verneigte sich vor der schönen Regina besonders tief und öffnete die Flügeltüren weit. Schon auf der Treppe kam Julia, die junge Kronprinzessin, mit ausgebreiteten Armen den Besuchern entgegen, umarmte Vater und Schwester, und vor soviel Güte fühlte auch Regina ihr Herz weich werden. Sie hatte Julia viel abzubitten, doch diese wollte gar nichts davon hören und war nur glücklich, mit den Ihrigen ausgesöhnt zu sein. Der 151 Gatte von Julia vertrug nicht, als Prinz angesprochen zu werden. Er sagte nur: »Wir sind unter uns Lerche und Rotkehlchen, und das heißt auf italienisch Allodola und Pettirosso.
»Recht hübsch war das Märchen«, lobten die Kinder, »wie aber kam es, daß der Prinz als Rotkehlchen erschien und nachher wieder zum Prinzen wurde?«
»Ihr habt recht, so zu fragen, Kinder, aber ich kann heute abend die Frage nicht mehr beantworten. Es geschah nicht von ungefähr, daß der Prinz in ein Rotkehlchen verwandelt wurde, und wenn es euch recht ist, werde ich euch diese Geschichte ein andermal erzählen.« 152