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Es war im Februar, und die Tage wurden länger und länger. Schon blühten die ersten Primeln und Anemonen auf den Abhängen. Die Kinder pflückten Blumen und stellten sie in Gläsern in der Küche auf. Die Knaben halfen beim Umgraben des Ackers, und manchmal waren die Kinder am Abend zu müde, um Märchen anzuhören, und so kam es, daß nicht jeden Abend am Kamin erzählt wurde.
Eines Nachmittages bat Cecco seine Mutter um eine Unterredung unter vier Augen. Da gingen sie zusammen in den Garten, setzten sich in die Laube, und hier fragte Cecco seine Mutter, ob es ihr wohl recht wäre, wenn er Vezzosa zur Frau nehme.
»Hast du schon mit Vezzosa darüber gesprochen?« fragte die Regina.
»Nur wenige Worte, doch nichts Bestimmtes. Wir wissen nur, daß wir einander liebhaben und uns gerne einsegnen lassen, wenn du einverstanden bist.«
»Was könnte ich einzuwenden haben, wenn ihr einander liebhabt und zusammengehören wollt? Ich habe Vezzosa als ein gutes Mädchen kennengelernt, und so wünsche ich euch beiden nur das Beste.«
Cecco küßte seiner Mutter die Hand und sagte: »Ich danke dir, Mutter, wie ich dir für alles danke. 181 Darf ich gleich zu Vezzosa gehen, um mit ihr zu sprechen? Ich bringe sie dann heut abend mit zu uns.«
Damit war die Regina einverstanden, und am Abend erklärte sie der Familie, daß Cecco nunmehr mit Vezzosa verlobt sei. Darüber hatten alle eine große Freude, und die Kinder jubelten, weil Vezzosa, an der sie sehr hingen, nun bald ganz bei ihnen im Hause sein würde. Es wurde auf die Gesundheit des jungen Brautpaares getrunken, und als man nun ein Stündchen plaudernd am Kamin verbracht hatte, sagte die Regina: »Ich will zu Ehren des heutigen Tages, da mein jüngster Sohn sich verlobt hat, eine Geschichte erzählen, die ich seit meiner frühen Jugend kenne. Sie heißt:
Das Glück vom lieben Gott
nach mündlichem Bericht.
Es gab einmal zwei Brüder, die sehr gerne gewußt hätten, ob das Glück von Gott oder von den Menschen stammt. Um nun dies in Erfahrung zu bringen, zogen sie in die weite Welt und kamen auf ihrer Wanderung an eine baufällige Hütte, in der ein Köhler mit seiner Familie wohnte. Da gaben die Brüder dem Manne drei Goldstücke, und als dieser in übergroßer Freude sogleich »Vergelt's Gott?« sagen wollte, verwehrten ihm die Brüder den Dank und gingen weiter. Der Köhler dachte bei sich: Alle vollkommene Gabe und alles Gute kann nur von Gott kommen, und da er selbst es weiß, genügt es, wenn ich ihm in meinem Herzen danke.
Gleich am nächsten Tage gedachte der Köhler in die Stadt zu gehen, um für Frau und Kinder ein gutes Stück Suppenfleisch einzukaufen. Weil er aber so 182 arm war, daß er nicht einmal eine Geldbörse besaß, weil sich dies nicht gelohnt hätte, versorgte er das Geld in seiner Mütze, die er auf dem Kopfe trug. Als er nun das Fleisch auf dem Markte eingekauft hatte und heimwärts ging, sah er in der Luft einen großen Vogel auf sich zuschweben. Da dachte der Köhler, der Vogel habe es auf das Stück Fleisch abgesehen, und verbarg dieses rasch unter seinem Rock. Der Vogel nahm dem Köhler nur die Mütze vom Kopf und damit freilich auch das viele Geld. Das soll wohl so sein, sagte sich der Köhler, aber die Frau war höchst unzufrieden mit ihrem Manne. »Dich muß man nur schicken, wenn man sein Geld loswerden will. Du verschwendest es sogar an die Vögel, die in der Luft fliegen.«
»Aber sei doch vernünftig, gute Frau, ich habe Fleisch mitgebracht, das wird dir und den Kindern Kraft geben. Ich selbst will gar nichts davon essen.«
Bei Tisch aber betete der Köhler in seinem Herzen und dankte Gott für die Gabe, ohne an das Verlorene zurückzudenken.
Nach drei Jahren kamen die Brüder abermals zum Köhler, fragten ihn, wie es ihm mit den drei Goldstücken ergangen sei. Der Köhler berichtete wahrheitsgemäß Glück und Unglück. Da gaben ihm die Brüder nochmals drei Goldstücke, und als er »Vergelt's Gott!« sagen wollte, verwehrten die Brüder ihm den Dank. Diesmal sagte der Köhler seiner Frau nichts vom Gelde, das die Brüder ihm geschenkt hatten. Er ging aber wieder auf den Markt und kaufte noch einmal ein Stück Suppenfleisch. Indessen kam diesmal auf dem Heimwege kein Vogel, der dem Manne Mütze 183 und Geld fortnahm. Zu Hause angekommen, legte er das Geld in ein Säcklein, das mit Hirse angefüllt war, und so hielt er seinen Schatz für gut aufgehoben. Am gleichen Tage aber wollte die Frau ein paar Äpfel kaufen, und da sie kein Geld hatte, bot sie dem Obsthändler für die Äpfel das Säcklein mit Hirse an, der mit dem Tausch auch einverstanden war. Als nun die Frau den Köhler am Abend befragte, woher das Suppenfleisch stamme, gab der Köhler zur Antwort: »Alle gute Gabe kommt von oben herab.«
Die Frau erwiderte, daß dies nicht so ganz genau stimmen könne, und es sei nicht anzunehmen, daß das Suppenfleisch vom Himmel gefallen sei.
Da bekannte der Köhler die Wahrheit und sagte, er habe den Rest des Geldes in den Hirsesack gelegt. Da schrie die Frau laut auf: »Dich kann man brauchen, Geld zu versorgen. Ich habe den Hirsesack einem vorüberziehenden Obsthändler gegeben.«
Der Obsthändler war nicht mehr aufzufinden, und die Frau war sehr unzufrieden mit ihrem Mann.
Der Köhler aber sagte: »Das Geld soll dem Obsthändler Glück bringen, und sieh, wir haben doch ein gutes Stück Suppenfleisch. Das wird dir und den Kindern Kraft geben. Ich selbst will nichts davon essen.« Und bei Tisch dankte er Gott in seinem Herzen, ohne an das Verlorene zurückzudenken.
Nach drei Jahren kamen die Brüder abermals zum Köhler und fragten ihn, wie es diesmal mit dem Gelde gegangen sei. Der Köhler gab seinen Bericht und erzählte alles genau, wie es gekommen war. Da gaben die Brüder ihm zwei Bleikugeln und sagten: »Eine ist für dich und die andere für deine Frau.« 184
Als der Köhler sein »Vergelt's Gott!« sagen wollte, verwehrten sie ihm den Dank, und als er seiner Frau die beiden Bleikugeln zeigte, die er von den Brüdern zum Geschenk erhalten hatte, war sie sehr ärgerlich und wollte die Bleikugeln wegwerfen, aber der Mann duldete es nicht, sondern legte sie auf das Wandbrett.
Eines Tages nun kamen Fischer des Weges daher, die im nahen See fischen wollten, aber da ihrem Netze einige Bleikugeln fehlten, fragten sie den Köhler, ob er nicht vielleicht Bleikugeln im Hause habe.
»Hier sind zwei Bleikugeln, die ihr haben könnt«, antwortete der Köhler und gab den Fischern die Kugeln. Die waren froh, daß sie ihr Netz in Ordnung bringen konnten, und versprachen dem Köhler den ersten Fang Fische. Sie warfen ihr Netz aus, doch fingen sie nur einen einzigen Fisch, den sie dem Köhler brachten, der den Fisch mit »Vergelt's Gott!« annahm. Die Frau dagegen fand, es sei kein Grund, für einen Fisch gar so dankbar zu sein, und machte sich verdrießlich daran, den Fisch zu schuppen und auszuweiden. Es befand sich aber im Fisch ein sehr schöner, strahlend heller Stein, der so hell war, daß er als Lampe dienen konnte.
Eines Tages kam ein Mann am Hause vorüber, sah von draußen durchs Fenster den herrlichen Stein leuchten, ging zum Köhler und fragte, ob er ihm den Stein verkaufen wolle.
»Warum nicht«, sagte der Köhler, »was willst du mir für den Stein geben?«Der Mann legte zehn Goldstücke auf den Tisch. Der Köhler jedoch, der den wahren Wert des Steines nicht kannte, sagte zum 185 Händler: »Treibe keinen Scherz mit mir. Gib mir, was der Stein wert ist.«
Der Händler aber, der die Worte des Köhlers falsch auffaßte, legte noch zehn Goldstücke auf den Tisch, und der Köhler, der sich nicht vorstellen konnte, daß es solch kostbaren Stein überhaupt auf der Welt geben konnte, sagte nochmals ungehalten: »Zahle, was recht ist.« Da legte der Händler noch dreimal soviel Geld auf den Tisch und sagte: »Mehr zahle ich nicht für den Stein.«
»Behalte dein Geld und ich behalte meinen Stein«, erwiderte der Köhler. Da mußte der Händler gehen.
Am nächsten Tage nahm der Köhler den Stein und ging zum König.
»Ich habe in einem Fische einen Stein gefunden, von dem man mir sagt, er sei sehr wertvoll. Darf ich dir den Stein einmal zeigen?«
»Zeige ihn mir«, sprach der König, der ein großer Liebhaber von edlen Steinen war.
Als nun der Köhler den Stein zeigte, war der König so sehr von der Schönheit des Steines entzückt, daß der Köhler ihm den Stein zum Geschenk anbot. Es war ein Diamant.
Da betrachtete sich der König den Köhler, sah ihm gut in die Augen und sprach: »Ich wage dieses Geschenk nicht abzulehnen, weil es unbezahlbar schön ist. Einem Geber, wie du einer bist, dem ist nicht leicht zu danken. Laß mich darüber nachdenken, wie ich mich erkenntlich zeigen könnte.«
Der Köhler aber freute sich, da sich der König so sehr freute, und fühlte sich dadurch belohnt genug. Doch der König wollte es dabei nicht bewenden 186 lassen und sagte dem Köhler: »Du wirst fortan ein König in deiner Heimat sein, und wo deine Hütte steht, will ich dir einen Palast erbauen. Du wirst nie mehr Sorgen haben, und weil du sehr reich sein mußt, bitte ich dich um ein weiteres Geschenk, das mir noch wertvoller sein wird als dieser kostbare Diamant.«
»Was könnte das wohl sein?« fragte der Köhler, »ich besitze nur diesen einen Stein, sonst habe ich nichts.«
»Du hast etwas, und du besitzest das, was ich will, und wenn du es mir gibst, will ich dir das gleiche zurückgeben. Deine Freundschaft ist es, um die ich dich bitte.«
Da sagte der Köhler glücklichen Herzens »Vergelt's Gott!« und ging reichbeschenkt heim in seine Hütte.
Nach drei Jahren kamen die Brüder abermals zum Köhler, doch waren sie sehr erstaunt, daß sie die Hütte nicht mehr vorfanden, sondern ein schönes, großes Haus. Da erkundigten sie sich in der Nachbarschaft, wer denn in jenem herrlichen Hause wohne.
»Es ist der Freund des Königs«, antwortete man den Brüdern. Der Freund aber blickte zum Fenster hinaus, grüßte die Brüder und winkte ihnen, sie möchten doch ins Haus kommen. Sie aber erkannten den ehemaligen Köhler nicht wieder, und er sprach zu ihnen: »Ihr kennt mich nicht mehr? Ich bin der Mann, dem ihr vor drei Jahren zwei Bleikugeln geschenkt habt, mit denen ich mein Glück gemacht habe. Dieses aber kam vom lieben Gott, von dem alles Gute stammt.« 187
Da bedankten sich die Brüder und sagten: »Jetzt wissen wir es ein für allemal, daß das Glück vom lieben Gott kommt. Wir werden es fortan nur von ihm erwarten, da es ohne seinen Willen zu niemandem kommt.«
»So ist es, Kinder«, schloß die Regina ihre Erzählung, »und so wünsche ich euch, daß auch ihr euer Glück nur dem lieben Gott zuschreibet.« Das Brautpaar und alle dankten ihr mit leuchtenden Blicken. 188