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Wahrhaftig, Unnütz, du bist wie eigens geschaffen zu deinem Amte,« sagte einige Wochen später der junge Arzt zu Julia, als sie es fertig gebracht hatte, ein schreiendes Bübchen so zu beruhigen, daß es sich widerstandslos und höchst mutig einen langen Splitter aus dem Fingerchen nehmen ließ, den es beim Hinfallen auf rauher Diele sich eingeschoben hatte. »Ich höre dein Lob in allen Tonarten, von Alten und Jungen, und wenn ich etwas auszusetzen habe, so ist es nur das, daß du, die andre so herzensfroh machen kann, dies bei dir selbst nicht zu stande bringst.«
»Soll ich mit mir selbst reden?« antwortete sie leise lächelnd.
»Nein, das ist eine üble Angewohnheit, die nur ganz einsame und verbitterte Menschen an sich haben,« erwiderte er.
»Nun, ich ertappe mich gegenwärtig zuweilen dabei,« sagte sie wie zu sich selbst, und das eigenartige Lächeln huschte wieder um ihren Mund.
»Da haben wir's, Unnütz! Du schließt dich zu sehr ab; du müßtest hinaus, unter frische Jugend!«
Sie hob die langen Wimpern und sah ihn an mit einem so wehen Ausdruck, daß ihm ganz weich zu Mute wurde.
»Unnütz,« sagte er eindringlicher als bisher, »weshalb gehst du nicht mehr zu Therese? Ihr waret doch früher oft zusammen.«
»Was soll ich mit ihr reden? Wir haben gar nichts Gemeinsames, und das, was wir hatten – –« Sie verschluckte den Nachsatz.
»Aber dann komm doch abends zuweilen hier herunter, Mutter und ich sind oft allein.«
»Ich weiß nicht, ob ich darf.«
»Ich bitte dich, Kind, sei nicht einfältig!« antwortete er ärgerlich.
»Es ist vielleicht einfältig, Fritz; aber seitdem ich weiß, du bezahlst mich für meine Hilfe, da würgt es mir an der Kehle, da ist es mir, als ob eine Schranke zwischen uns steht, so hoch!« Sie reckte den Arm in die Höhe und stellte sich auf die Zehen.
Er sah sie groß an; sie stand vor ihm, blaß und mit zuckender Lippe. »Julia!« sagte er bewegt und faßte ihre beiden Hände. »Ja, wie soll ich's dir denn klarmachen? Komm, sieh mich einmal an – glaubst du, daß ich dir habe wehthun wollen? Kennst du mich denn noch nicht besser? Das einzige, was ich wollte, war, der Tante eine Hilfe zukommen zu lassen. Du weißt doch, wie sie ist! Sie hat einen unbeugsamen Hochmut, trotz ihrer jämmerlichen Lage, und ich ehre diesen Hochmut; ich glaube, ich wäre selbst nicht anders. Auf dich aber hat das keinen Einfluß, Julia, und – daß ich deine Hilfe gar nicht zu bezahlen vermöchte, selbst wenn ich wollte, das weißt du. Wer in aller Welt könnte mir denn so zur Seite stehen, wie du es jetzt thust? Etwa meine Mutter oder Tante Riekchen? Wahrhaftig, kleiner Unnütz, du machst dir da ganz thörichte Gedanken! Wenn es dich beruhigt, so nimm getrost an, daß dein sogenanntes Honorar eine fromme Lüge ist, daß du mir einfach beistehst, die arme gequälte Frau da oben ein wenig zu betrügen, zu ihrem Besten. Auf irgend eine Weise würde ich sie doch unterstützen, ob du mir hilfst oder nicht.«
»Ist's wahr? Sage mir – ist's wahr?« fragte sie langsam.
»Was denn, Kind?«
»Das, was du eben sprachst, daß ich dir wirklich helfe, daß es kein andrer kann?«
»Ja, Unnütz! Habe ich dich jemals belogen?«
Er schüttelte die Hände, die sich ihm entzogen, um sich einen Augenblick vor ein erglühendes Antlitz zu legen.
»Dann ist's gut, dann –« Das andre verstand er nicht.
»O du thörichtes, wunderliches Kind,« sagte er. »Aber spricht da nicht die Mutter? Nun bist du vernünftig, gelt? Leb wohl. Unnütz, grüble nicht mehr!«
»Nein,« antwortete sie, »ich will nicht mehr darüber nachdenken, ich will alles glauben.« Sie ging bis zur Thür, dort wandte sie noch einmal den schönen Kopf zurück und die dunklen Augen blitzten zu ihm hinüber. »Jetzt möcht' ich mich selbst auslachen,« sagte sie, »hätte ich dich nur gleich gefragt, Fritz!«
Er öffnete die Augen weit. Es lag etwas in dem Blicke des seltsamen Geschöpfes, das ihn wie ein Vorwurf berührte, das ihn gemahnte an einen Frühlingsnachmittag droben im Dachstübchen, wo er diesen schön geschwungenen Mund geküßt hatte, heiß und lange. Er starrte noch die Thür an, als sie schon längst gegangen war. »Nein, das ist lächerlich! Wie eine Schwester liebt sie mich – Dummheiten! Ich habe doch heute rein gar nichts gesagt, was …«
Und nach einigen Augenblicken brannte er sich eine Zigarre an, begann an einem wissenschaftlichen Bericht über nervöse Herzgeräusche zu arbeiten und hatte vorläufig alle Mädchenaugen der Welt vergessen. –
Als Julia in den Flur trat, rief ihr die Rätin entgegen: »Mein Gott, was habt ihr denn zu schwatzen? Der letzte Kranke ist ja schon eine Ewigkeit weg, und du solltest mir doch helfen, die Pelze auszupacken, draußen schneit's. Schon längst hätt's geschehen müssen!« Und sie öffnete, ohne das glühende Gesicht Julias zu bemerken, eine nach dem Garten gelegene schmale Kammer, in der Kleiderschränke und Truhen an weiß getünchten Wänden standen. Dort erschloß sie einen alten Eichenkasten, aus dem sich alsbald ein durchdringender Geruch von Kampfer und Naphthalin, vermischt mit dem von Pfeffer, entwickelte.
»Hör mal,« begann sie, indem sie neben Julia vor der Truhe kniete, »merkst du eigentlich gar nichts?«
»Was?« fragte das Mädchen und hielt den ungeheuren Iltismuff der Rätin einen Augenblick unbeweglich empor.
»Na!« Die alte Dame zwinkerte vertraulich mit den Augen. »Ich meine, wer denn nun endlich der Auserwählte von Thereschen sein wird? Erzählt sie dir gar nichts?«
»Gar nichts, Tante,« antwortete Julia. – »Das liegt an dir,« meinte die Rätin verdrießlich und schlug ihren Pelzkragen so heftig gegen die Truhe, daß eine wahre Wolke von Pfeffer herausstäubte …
»Hazi! – Was können dich Liebesgeschichten – hazi! – interessieren?« – »Gott helf dir, Tantchen!« sagte Julia, und ihr ernstes Antlitz überflog ein schelmisches Lächeln.
»Zu meiner Zeit war's anders – hazi! – Großer Gott, es ist ja schrecklich, dieses Niesen! Wenn wir Mädchen allemal zusammenkamen, redeten wir von nichts anderm. Du könntest aber wohl mal das Gespräch drauf bringen, zum Beispiel wenn ich nächstens den großen Kaffee geb' – verstehst du? Denn geben muß ich ihn und zwar bald. Da legt ihr Mädchen Karten und dreht euch die Buben, und wenn sie rot wird bei einem, dann ist er's, – hazi!«
»Gott helf dir, Tante!«
»Den Kaffee geb' ich, ehe die Krautners abreisen. Du weißt wohl gar nicht, daß der alte Dickkopf hustet – vorgestern haben sie ja den Fritz holen lassen. Das Thereschen behauptet, ihr Vater müsse durchaus nach dem Süden, je eher, je lieber – na, das Geld haben sie ja. Sollt mir nur leid thun, wenn das Mädchen so einen Reisebräutigam mitbringen würd'; da unten in Monte Carlo, da läuft Gott weiß was für Mannsvolk umher, das Jagd macht auf reiche Erbinnen – ich weiß das noch von damals, als in Wiesbaden Roulette war – und hernach gibt's ein Elend.«
»Nein, Tante, die bringt sich keinen Bräutigam mit,« sagte Julia im Tone felsenfester Ueberzeugung.
»Gelt?« stimmte die Rätin beruhigt zu. »Sie ist zu klug, weißt du!« Und die alte Dame rutschte ein bißchen näher zu Mamsell Unnütz hin und flüsterte ihr mit nie vorher dagewesener Vertrauensseligkeit in das kleine rosige Ohr: »Weißt du, ich glaub', der Fritz und das Thereschen sehen sich ganz gern, und – Himmel, was ist denn da zu lachen, du dummes Ding?«
Mamsell Unnütz hatte wirklich gelacht, so herzlich, hell und jauchzend, daß der Schall davon noch an der kahlen Decke hinlief. Und nun wurde sie dunkelrot. »O Gott, Tante, verzeih mir,« bat sie.
Die ärgerliche Frau beruhigte sich brummend.
»Tantchen, ich will auch die Buben drehen!« gelobte Mamsell Unnütz jetzt mit ernsthaftem Gesichtsausdruck, obgleich ihr innerlich noch das helle glückselige Lachen durch die Seele scholl. O mein Gott, wenn die alte Dame wüßte, was sie wußte, daß das Thereschen längst gewählt, und daß der Doktor – der Doktor –
»Recht so – und du mußt mir auch sonst helfen bei der Kaffeevisit'!«
»Gern, Tante.«
»Und das Riekchen muß mir ihre Kaffeelöffelchen borgen, sonst, bei der Menge Damen – ich lad' all die Mädchen mit ein – hat man zum Zitronencreme wieder großes Aufwaschen.«
Unnütz ward blaß. »Ach, die Löffel – ja weißt du denn nicht?«
»Was soll ich denn wissen? Die sind doch nicht etwa gar nimmer da?«
»Ich weiß nicht – ich glaube –«
Die Frau Rätin bekam einen zornroten Kopf. »Verkauft oder versetzt?« schrie sie.
»Ich glaube, verkauft,« stotterte das junge Mädchen.
»Na, da hört doch alles auf!« rief die Rätin erbost und erhob sich. »Großer Gott, wenn das die Eltern selig wüßten, im Grabe fänden sie keine Ruh' – und alles für euch beide, die ihr hier hereingeschneit seid ohne einen Funken von Zugehörigkeit, nur weil das verliebte Frauenzimmer da droben einmal euren Herrn Vater hat heiraten wollen! Das ganze schöne Vermögen, das von Gottes und Rechts wegen dem Fritz gehört, es ist zum Kuckuck, verjubelt und verlumpt durch den Herrn Lieutenant Adami! Daß ich doch durchgesetzt hätt', was ich gewollt, und hätt' diese geckige Person da oben in eine Anstalt bringen lassen!«
Das junge Mädchen lehnte bleich an dem Thürpfosten. Sie fand diesem Ausbruch des Hasses gegenüber kein Wort; aber instinktmäßig wandte sie sich zur Flucht, als die erboste Frau den Truhendeckel zuwarf, daß es wie ein Kanonenschlag durch das Haus dröhnte, und aufs neue ihre Stimme erhob: »Und du – du unnützes Ding, du –«
Julia war im Flur, sie wußte selbst nicht wie, sie wußte nicht, wie sie in den dunklen Winkel kam auf das Bänkchen jenseit der Treppe, wo sie schon als Kind in bitterem ohnmächtigem Zorn die kleinen Hände geballt hatte. Auch heute bebte sie am ganzen Körper, und dann wollte ihr das Herz stillstehen, als die Thür des Doktors aufgerissen wurde und seine eiligen Schritte über die Steinfliesen hallten.
»Liebster Himmel, was ist denn geschehen?«
Sonst pflegte Frau Minna zu verstummen, wenn er erschien, aber der Verlust des Familiensilbers hatte sie zur rasenden Löwin gemacht. Sie berichtete in den höchsten, fast kreischenden Tönen die entsetzliche Thatsache, daß die schweren silbernen Kaffeelöffel mit dem Wappen der Mutter, einer geborenen »Von«, der ganze Stolz der Trautmanns, verloren seien, und das nur wegen dieser – dieser hergelaufenen –
»Bitte, beruhige dich, Mutter, das ist noch kein Grund, sich derartig aufzuregen.« Die Stimme des Sohnes hatte einen so eisigen Klang, daß die hohe Temperatur der alten Dame genau so rasch sank, als wäre sie in eins der kühlen Bäder getaucht worden, durch die er die Fieberhitze seiner Kranken herabzumindern verstand.
Die Rätin setzte sich auf die Truhe und begann zu schluchzen. »Du nimmst alles so leicht,« jammerte sie, »denkst nie an die Zukunft; es ist doch wahrlich nicht gleichgültig, wenn man eines Tages eine solche Last ganz und gar aufgepackt bekommt.«
»Welche Last?«
»Nun – Riekchen und die Julia. Mit dem Riekchen ging's ja noch, sie ist auch meine Schwester – aber, die Julia, die –«
»Beunruhige dich nicht, sie wird dir nie zur Last sein.«
»So?« Frau Rat hatte aufgehört zu weinen, und dieses »So?« war schon wieder auf kriegerischen Ton gestimmt. »Wie denkst du dir denn ihre Zukunft?« forschte sie.
»Nun, mein Gott, warum soll sie nicht ebensogut dereinst eine glückliche Frau werden wie tausend andre Mädchen auch?«
Ein spöttisches Lachen der alten Dame begleitete seine Antwort. »Da wär' ich neugierig, den kennen zu lernen, der so dumm ist und die nimmt! Ebensowenig, wie du sie heiratest, heiratet sie ein andrer, meinst nicht? Oder hast du vielleicht Absichten?«
Die Schelle der Hausthür erklang jetzt und schnitt die Antwort des Doktors jäh ab.
Julia saß ungesehen in ihrem Winkel; mit pochendem Herzen lehnte sie ihren schwindelnden Kopf gegen die braune Holzwand der Treppe. Sie hörte, ohne es recht zu fassen, daß der Arzt zu einem Kranken gerufen wurde, eilig, sehr eilig, gleich darauf rasche Schritte, seine Schritte, die das Haus verließen; dann war alles still. Da erhob auch sie sich, stolz lächelnd und doch den Kopf gesenkt, und so ging sie die Treppe hinauf in das Wohnzimmer zu Tante Riekchen.
Die alte Dame stand mitten in der Stube, zitternd und blaß. »Was war denn unten wieder für ein unangenehmer Auftritt? Ich hörte Minnas Stimme bis hier herauf.«
»Unangenehm?« fragte Julia und schüttelte wie verwundert den Kopf.
Tante Riekchen seufzte erleichtert. Des Mädchens bleiches Antlitz sah ja so zufrieden aus, daß in der That nichts von Belang geschehen sein konnte. Julia aber ging ab und zu und besorgte ihre kleinen Obliegenheiten wie im Traume. – –
Der feierliche Tag, an dem die Rätin ihre Kaffeegesellschaft geben wollte, war angebrochen. Ein ganz unglaublicher Aufruhr hatte im Hause geherrscht, bis gegen vier Uhr endlich Ruhe eintrat. Der Doktor hatte gleich nach der Sprechstunde Reißaus genommen; in seinen beiden Stuben befand sich ohnehin kaum noch ein Stuhl. Im Flur vermischte sich der Duft des feinen Kaffees mit dem des Räucherpapiers, das Frau Rat zu festlichen Gelegenheiten wahrhaft verschwendete. Die alte große Laterne unter der Decke, die eine moderne Petroleumlampe beherbergte, war angezündet; Luischen und das kleine Dienstmädchen von Fräulein Riekchen prangten in frisch gebügelten steif gestärkten weißen Schürzen, und in den beiden Stuben der Rätin brannten Lampen und Lichter.
Frau Minna selbst ging noch einmal musternd aus einem in das andre Gemach, strich über die weißen Damasttücher, betrachtete mit Stolz die silberne Zuckerdose und Rahmkanne auf dem Tische vor dem Sofa der guten Stube und freute sich über ihre Gummibäume, Pflanzen, die sie zärtlich liebte und deren Blätter sie heute mit ein wenig Gänsefett abgerieben hatte. Sie glänzten auch wie frisch lackiert; dieser Kunstgriff war ein Geheimnis, das sie sorgsam hütete, so oft sie auch gefragt wurde, wie sie es nur mache, daß die Blätter gar so frisch und üppig aussehen.
Mamsell Unnütz, die von der Tante wieder in Gnaden angenommen war, erschien eben in zierlicher weißer Schürze, um als Haustochter die Honneurs in der Vorderstube zu machen, wo die jungen Mädchen ihren Kaffee trinken sollten.
»Und daß du die Tassen nicht so voll schenkst!« hielt die Rätin für nötig zu erinnern, »und daß Luischen einmal bei der Bürgermeisterin und das andre Mal bei der Frau Direktorin zu präsentieren anfängt. – Riekchen ist natürlich, eigensinnig wie immer, oben sitzen geblieben?«
»Ja; sie meint, sie kenne doch all die Leute nicht, und sie fühlt sich auch nicht wohl; sie ist in so trüber Stimmung.«
»An Gründen hat's ihr noch nie gefehlt,« erklärte die Tante. »Ihr Goldsohn wird ja wohl noch am Leben sein, wenn er auch nicht schreibt,« murmelte sie ärgerlich. »Da klingelt's übrigens – sind die Mädchen auf dem Posten?«
Mamsell Unnütz beeilte sich, den ersten Ankömmling zu empfangen, aber als sie auf den Flur trat, war es nicht ein Gast, der eingetreten war, sondern der Briefbote, der Julia für die Tante droben ein Schreiben übergab. Sie betrachtete es seufzend; es war wieder nicht vom Frieder, und die alte Dame wartete gar so schmerzlich auf Nachricht von ihm, der schon seit Wochen schwieg. Sie barg den Brief in der Tasche, er kam noch früh genug vor die Augen der vergrämten Tante. Es war die schon zum siebentenmal gesandte Rechnung eines großen Wäschegeschäftes in Berlin, bei dem der Herr Lieutenant sich die wunderbarste Ausstattung an Weißzeug bestellt hatte, die jemals ein junger eleganter Offizier besessen.
Ach, war das eine schwüle Atmosphäre da droben, in der das junge Mädchen jetzt atmen mußte! Was nur die Phantasie eines einsamen, verbitterten Menschen ersinnen konnte, das ersann die alte Frau in ihrer Sorge um den einzigen Menschen, an dem in dieser Welt ihr Herz noch hing. Bald sah sie den vergötterten Pflegesohn krank im Lazarett; bald, und das war ihr die schrecklichste Vorstellung, sah sie ihn aus Verzweiflung leichtsinnig werden, ein ausschweifendes Leben führen und dann schlug sie die Hände vor das Gesicht und flehte Gott an, sie das nicht mehr erleben zu lassen. Zweimal hatte sie eingeschriebene Briefe an ihn geschickt, gestern früh mit bezahlter Rückantwort telegraphiert, ob er krank oder gesund sei – aber Frieder schwieg, schwieg wie das Grab.
Und Julia schiffte, so gut es ging, über dieses trübe Wasser ihr Lebensschifflein, das kleine armselige Ding mit bescheidenen Rosen umkränzend und das Steuer einem goldenen herrlichen Landungsplatz zulenkend, und sie verlor den Mut nicht, obgleich das Ziel noch immer nicht näherrücken wollte. Sie redete immer und immer wieder der alten Dame Trost zu und ertrug Vorwürfe und Schelte mit Gelassenheit. Am liebsten hätte sie gesagt: »Um Frieders Zukunft laß dir nicht bangen, er ist ja Therese Krautners heimlicher Bräutigam!« Aber es war ihr streng verboten, zu reden – wer weiß, welches Unheil sie damit angestiftet hätte. Und so konnte sie nichts weiter thun, als auch ihrerseits an ihn schreiben und ihn inständig bitten, er möge doch endlich Nachricht geben.
Im hellen pelzverbrämten Abendmantel, das rosige Antlitz von einer weißen Kapuze umschlossen, trat mit dem Schlag vier Uhr – der für die Kaffeegesellschaft festgesetzten Stunde – Thereschen bei der Rätin ein.
Julia begrüßte sie und führte sie in das Schlafzimmer der Rätin, wo die Damen ablegen sollten, und dort entpuppte sich der reizende Gast so elegant wie stets; heute in einem dunkelgrünen, mit schmalen Goldlitzen verzierten Tuchkleid.
Auf einmal kam es Julia in den Sinn, sie wolle Therese nach dem Bruder fragen, und sie flüsterte zaghaft: »Ach, sag, Therese, wie geht es Frieder? Hast du Nachricht von ihm?«
»Warum?« war die kurze Gegenfrage. Und nach einer Weile setzte Therese hinzu, indem sie die Löckchen zurechtzupfte: »Ich weiß es übrigens thatsächlich nicht.« Dann nahm sie den kleinen goldgestickten »Pompadour« und schickte sich an, den Raum zu verlassen.
Julia konnte ihr nicht folgen, es kamen andre Damen, immer mehr Damen, und als sie endlich die Zimmer betrat, in denen das Gesumme eines Bienenschwarms herrschte, sah sie Therese im Kreise der jungen Mädchen wohlverschanzt auf dem Sofa und fand keine Möglichkeit, ohne Zeugen mit ihr zu reden.
Die jungen Andersheimerinnen waren ungeheuer guter Dinge, während sie eifrig, als gelte es, das tägliche Brot zu verdienen, an ihren Weihnachtsarbeiten stichelten. Nur Therese hielt ihre Häkelnadel wie zum Spiele in der Hand, während sie aufmerksam den Neuigkeiten lauschte, die von Mund zu Mund flogen. Den Augen, den bittenden fragenden Augen der Mamsell Unnütz, wichen ihre Blicke aus; nur wenn Julia durch das Zimmer schritt, musterte sie nachdenklich die tannenschlanke biegsame Gestalt in dem schmucklosen Kaschmirkleid, das noch von der Konfirmation her das kostbarste Stück in Julias Garderobe ausmachte.
»Hübsch ist sie aber doch,« sagte Theresens Nachbarin, eine frische Brünette mit hellbraunen Augen, »ich hab' irgendwo so ein Gesicht gemalt gesehen, wenn ich nur wüßt', ob in Frankfurt oder Berlin. Ein Mädchen, einen Henkelkrug auf dem Kopfe tragend, und genau so stolze und doch weiche Züge wie die ihrigen. Die Augen sind doch herrlich!«
»Ich weiß nicht,« erwiderte Therese, »mich läßt diese Art Schönheit kalt, wenn das überhaupt Schönheit ist. Sie ist nicht mein Genre.«
Die andre lächelte gutmütig. »Möcht' wissen,« neckte sie, »ob der Doktor Roettger auch so über sie denkt wie du, Thereschen; wenn ich er wäre, ich hätt' mich bis über die Ohren in sie verliebt.«
Therese Krautner zuckte die Achseln. »Leicht möglich,« gab sie zu.
Die junge Dame machte ein schelmisches Gesicht. Sie war die einzige Braut in diesem Kreise und erfuhr von ihrem Verlobten allerhand Neuigkeiten, konnte sich auch erlauben, so recht mit vollen Backen die Lobposaune zu blasen für den Doktor Roettger. »Uebrigens habt ihr samt und sonders dem armen Menschen auf dem Kasinoball schrecklich die Cour gemacht,« schloß sie eine längere Rede; »und wer von euch da mal die Auserwählte wird, die ist nicht zu beneiden, insofern meine ich, als sie aus der Eifersucht nicht viel herauskommen wird.«
Thereschen sah die Sprecherin höchst geringschätzig an. »Ich wüßte nicht –« begann sie.
»O, du warst auch so, du hast ihm auch mit der größten Lust einen Orden zugeschleppt! Umsonst singen nicht alle Spatzen auf den Dächern: ›Den Roettger, den Roettger, den lieben alle Mädcher‹.« Julia, die just ein Fußbänkchen für eine der älteren Damen holte und dieses Citat nicht hörte, mußte lächeln, als die ganze Schar bei ihrem Anblick die Köpfe zusammensteckte, und kicherte. Nur Therese allein saß da wie ein Steinbild. Draußen war inzwischen die Glocke erklungen und nun tönte die Stimme des Doktors bis hier herein: »Ich bitte um die Lampe.« Er war doch früher heimgekehrt. – Und dann wieder hörte man ganz deutlich die Worte: »Bitten Sie Fräulein Julia einen Augenblick zu mir herüber.«
Mamsell Unnütz, die gerade bescheiden ihren Stuhl in den Kreis der jungen Mädchen geschoben hatte, erhob sich sofort und schritt zur Thür; da war es ihr, als zwinge sie etwas, nach Therese hinüberzuschauen, und als sie, schon die Klinke in der Hand, den Kopf wandte, sah sie ein blasses Gesicht mit fest zusammengepreßten Lippen und mit Augen, aus denen ein geradezu feindseliges Leuchten zu ihr herüberflammte. Sie erwiderte mit einem verwunderten Blick und ging dann. Was, ums Himmels willen, hatte diese Therese in letzter Zeit so verwandelt?
Als sie drüben eingetreten war, kam der Doktor hastig auf sie zu. »Sag, Julia, habt ihr Nachrichten vom Frieder?«
»Nein!« antwortete sie.
»Dann ist er selbst gekommen; ich kann mich täuschen, aber ich möchte wetten, daß er in der Bahnhofstraße an mir vorüberging.«
»O bewahre, Fritz, er kommt ja erst zu Weihnacht, und bis da sind es noch drei Wochen.«
»Ich kann mich ja auch irren, Kind, wollte es dir aber doch auf alle Fälle mitteilen. Und wenn es nun doch so wäre, Unnütz – hast du eine Ahnung, was ihn hertreibt?«
Sie wurde purpurrot und schwieg.
»Besitzt du sein Vertrauen?« fragte er weiter.
»Ja, Fritz.«
»Nun, Kind, wenn du einigen Einfluß auf ihn hast, dann sorge, daß die arme Frau dort oben nicht neuen Aufregungen ausgesetzt wird; es wäre nicht nur vergeblich, da sie nicht mehr helfen kann – ihr schwacher körperlicher Zustand erträgt auch nicht mehr viel.«
Sie hatte den Kopf gesenkt. »Steht es so schlimm?« fragte sie gepreßt.
Aber noch ehe er antworten konnte, erscholl vom Vorzimmer her die Stimme der Frau Rätin in jammernden Tönen, Rufe der Teilnahme flogen dazwischen, die Thür wurde aufgerissen, und auf der Schwelle stand die Rätin, den einen Arm um die Gestalt Therese Krautners geschlungen. Das junge Mädchen sah blaß und schmerzverzerrt aus; sie hatte sich aus unbegreiflicher Ungeschicklichkeit den Häkelhaken in die Hand gestoßen.
Der Doktor war erschreckt hinzugetreten und führte die Verletzte zu einem Sessel. Die Rätin wimmerte, als ob sie die Schmerzen ausstehen müsse, eine andre alte Dame rief etwas von Starrkrampf, und eine dritte schlug vor, den Vater zu holen, bis der Arzt sie alle ersuchte, miteinander das Zimmer zu verlassen; Julia war schon hinausgeeilt, um ein Becken laues Wasser zu besorgen.
Als sie damit zurückkehrte, blieb sie einen Augenblick an der Thür stehen, und vor ihren Augen wirbelte es, wie wenn Nebel ineinanderquirlen. Der Haken war entfernt, aber Theresens Kopf lehnte wie bewußtlos an der Schulter ihres Helfers und zwei große Thränen rannen über die erblaßten Wangen.
Er legte das blonde Haupt beim Eintritt Julias behutsam gegen die Polster zurück; er trocknete auch nicht die Thränen, wie er es einst gutmütig bei Mamsell Unnütz gethan; er ging im Zimmer umher mit einem unsäglich peinlichen Gesichtsausdruck, wie ihn Menschen haben, die den Schmerz, den sie andern verursachen müssen, selbst doppelt fühlen. Julia kannte ihn gar nicht so, so empfindsam und wehleidig, so außer sich wegen einer »Bagatelle«, wie er andern gegenüber derartiges genannt hätte.
»Es that wohl sehr weh?« fragte sie teilnehmend.
»Nun natürlich!« erwiderte er, ihr das Becken abnehmend und das Wasser darin auf einem Tischchen mit Karbol mischend. »Bitte, besorge etwas weiche Leinwand – du weißt, draußen in dem Schranke rechts!«
Sie ging gehorsam, und als sie wiederkam, war die rosige Farbe in die Wangen Theresens zurückgekehrt, und die kleine Hand, die Fritz selbst in das Wasser hielt, so zart, als sei sie aus Sevresporzellan, zitterte nicht mehr. Nachher beim Verbinden hielt Julia diese Hand; zum erstenmal bekam sie einen Verweis: »Aber Unnütz, ich bitte dich – nicht so grob!«
»Was that ich denn?« fragte sie und sah zu ihm auf.
»Du hältst den Arm so fest, sieh doch die beiden hochroten Flecken!«
»Ach, sei nicht böse!« stammelte sie erschreckt.
»Julchen,« bat Therese, »hole mir meine Sachen, ich möchte nach Hause!«
»Ich werde Sie hinübergeleiten,« sagte der Doktor eifrig. Und er nahm nicht einmal den Ueberzieher, nur die Pelzmütze setzte er auf. Trotzdem standen die beiden noch eine Weile plaudernd vor der Thür von Theresens Vaterhaus. Einmal lachte dabei das junge Mädchen hell auf; so recht herzlich und silbern scholl es in den finstern Garten hinein. Sie mußte sich wieder völlig wohl fühlen.
»Gute Nacht,« sagte Therese beim Abschied, »ich hoffe, Sie sehen morgen als pflichtgetreuer Arzt nach Ihrer schwersten Patientin.«
»Ganz gewiß – gute Nacht, Fräulein Therese!«
Sie hielt ihm die Rechte hin. »Gute Nacht, Herr Doktor!«
In dem schwachen Schimmer der Laterne, die auf elegantem gußeisernem Kandelaber an der Freitreppe stand, sah ihr süßes Kindergesicht so freundlich zu ihm empor, und ein so gewinnendes unschuldiges Lächeln umspielte ihren Mund, daß er, dem jede übertriebene Galanterie fernlag, sich hinunter bog und ihre Hand ehrerbietig und andächtig küßte. Dann wandte er sich rasch um und stieg die Treppe hinunter.
Therese öffnete hastig die Hausthür und huschte mit leisen Schritten über den Flur in ihr Zimmer. Dort riß sie mit der unverletzten Rechten Kapuze und Mantel ab, schraubte die Gasflamme höher und trat vor den Spiegel, der sich in krystallener Klarheit über dem Kamin erhob – so stand sie und lächelte noch immer, als Schritte über den Gang kamen und zugleich mit dem hastigen Pochen die Thür aufgerissen ward.
Das junge Mädchen glaubte, ihr Vater sei es, und wandte sich freundlich um – im gleichen Augenblick zitterte ein leiser Schrei des Erschreckens durch den wohligen kleinen Raum.
»Friedrich!«
Der Mann, der da eingetreten war, sah auch zum Erschrecken aus – bleich, das blonde Haar feucht an der Stirn klebend, und in den Augen, die tief in dem abgemagerten Gesicht lagen, ein unheimliches Feuer.
»Ich sah dich eben heimkehren,« begann er, auf sie zutretend, »und beeile mich, dich zu begrüßen. Es geht dir gut, wie ich sehe, und ich hätte mir die Angst, die ich mir deines gänzlichen Verstummens wegen machte, füglich ersparen können. Da ich aber einmal hergekommen bin, so möchte ich jetzt wenigstens nur als dein erklärter Bräutigam wieder abreisen; du wirst mir das nicht verdenken können, und es muß auch dir angenehmer sein als diese Heimlichthuerei. Ich bitte dich also, gehe jetzt mit mir zu deinem Vater oder lasse ihn meinetwegen holen, damit die Sache einen Abschluß findet!«
Sie war erblaßt zurückgetreten, bis in die tiefe Fensternische, die ihr Nähtischchen barg. Der Schreck, sein unvermitteltes bestimmtes Verlangen, das unangenehme Bewußtsein, mit ihm gespielt zu haben, machten sie fast besinnungslos vor Angst. »Papa ist nicht zu Hause,« stammelte sie.
»So werde ich warten.«
Er zog einen Stuhl zum Kamin. »Wollen wir nicht plaudern?« fragte er mit der nämlichen unheimlichen Ruhe.
»O, ich bitte, gehen Sie!« flehte sie jetzt. »Kommen Sie morgen wieder, ich bin jetzt nicht in der Stimmung, zu sprechen.« Sie deutete auf ihre verwundete Hand.
»Man merkte vor ein paar Minuten davon allerdings nichts,« erwiderte er, ihre förmliche Anrede nicht beachtend, »ich hörte dein Lachen über den ganzen Garten schallen; und zum Plaudern schien dir selbst der zugige Platz vor der Hausthür recht. Hier innen ist's aber doch behaglicher – also bitte! Was du einem Fremden zugestehst, wirst du wohl deinem Bräutigam nicht versagen?«
Sie war während seines Sprechens nähergetreten. »Ich bin allein zu Haus und muß Sie nochmals dringend ersuchen, dieses Zimmer zu verlassen!« sprach sie mit vor Aufregung bebender Stimme.
»Warum denn?« fragte er. »Wir waren ja in dem Gartenhäuschen auch allein, als wir uns verlobten!«
»Sie wollen mich ängstigen und beleidigen!« rief sie heftig, und die bisher mühsam zurückgehaltenen Thränen stürzten ihr aus den Augen.
Da war er auch schon herübergekommen und hatte ihre Hand ergriffen. »Du glaubst ja selbst nicht, was du sagst, Kind,« sprach er. »Du hast mich noch ebenso lieb wie vor ein paar Monaten, als du mir zugeschworen, falls dein Vater die Verlobung nicht zugeben würde, mit mir heimlich davonzugehen.«
»Nein! Nein!« rief Therese und entriß ihm die Hand, »das habe ich nie gesagt, das bilden Sie sich ein!«
»Ich habe es zum Glück schriftlich! Gleich im ersten Briefe stand es, und diese Stelle hat mich immer wieder getröstet in den letzten Wochen des Zweifels. Also, sprich, Therese, ist dein Vater noch immer gegen unsre Verbindung?«
»Er ist's noch ebenso. Und – ich –«
»Du?«
»Ich habe eingesehen, daß er recht hat!« Sie setzte sich nach diesen Worten auf die Chaiselongue und blickte an ihm vorüber mit dem ungeduldigen Gesichtsausdruck einer Frau, die um jeden Preis eine peinliche Unterredung abgekürzt sehen möchte.
»Therese, das ist nicht wahr! Das kann, das darf nicht dein Ernst sein! Du mußt deine Liebe mir bewahrt haben, deine Briefe können nicht lügen! Du bist doch kein gewöhnliches Mädchen, du stehst über diesen spießbürgerlichen Vorurteilen, du bist im stande, der Welt Trotz zu bieten und auch ohne deines Vaters Einwilligung mein zu werden. Versuche es noch einmal mit Güte bei ihm, und schlägt es fehl, dann – dann laß uns die Schiffe hinter uns verbrennen; gibt noch irgend einen Fleck auf der Welt, wo wir – –«
»Sie meinen,« fragte Therese Krautner mit eisiger Ruhe, »ich soll heimlich den Vater verlassen, mich in eine ungewisse abenteuerliche Zukunft zu stürzen?«
»Dein Vater wird sich, muß sich später versöhnen lassen –«
»Ich habe gar keinen Sinn für romantische Unternehmungen,« schnitt sie ihm das Wort ab, »ich finde es hier schöner als irgendwo in der ganzen Welt! In meinen Augen ist Andersheim die reizendste Stadt, die ich kenne. Und nun, bitte, gehen Sie; es wäre mir nach dem Gesagten doppelt peinlich, wenn das Mädchen käme und Sie hier fände.«
»Nein!« sagte er leidenschaftlich, »ich gehe nicht! Du bist mir Rechenschaft schuldig; du hast mich alle Qualen der getäuschten Erwartung, der Verzweiflung durchkosten lassen – nun sprich: woher auf einmal diese Wandlung?«
Er war nähergetreten und hatte drohend die Hand auf ihre Schulter gelegt.
Da sprang sie, außer sich, empor. »Papa! Papa!« rief sie, zur Thür hinausstürzend. Und schwere Schritte schallten im Flur, sie kamen herüber, und ehe noch der betroffene Mann sich besinnen konnte, stand Herr Alois Krautner vor ihm, dessen lächelndes Gesicht sich, als er den Offizier erblickte, mit einem Schlag so veränderte, wie wenn über eine im Sonnenglanz liegende Landschaft plötzlich schwarze Wolken fliegen.
»Was wünschen Sie, mein Herr,« fragte der Vater, an den die Tochter angstvoll sich schmiegte. »Was verschafft uns die Ehre?«
»Ich habe Ihrem Fräulein Tochter bereits mitgeteilt, daß ich Sie zu sprechen wünsche,« erwiderte Adami, rasch gefaßt.
»Er wollte, ich sollte heimlich mit ihm fortgehen, und das kann ich doch nicht!« unterbrach ihn weinend das Mädchen.
»Nein, nein, allerdings, das kannst du nicht,« sagte Herr Krautner kalt. »Aber nun laß mich los; Schwerenot, das kommt von solchem Getreibe hinter meinem Rücken! Trink ein Glas Wasser und flenne allein weiter! Sie, mein Herr Lieutenant, gehen vielleicht, in Ermangelung der Tochter, mit dem Vater davon, vorläufig zwar nur bis in mein Zimmer, wenn's gefällig ist! Hier ist die Thür – bitte, bitte, nach Ihnen.«
Und die kugelrunde kleine Gestalt ließ den blassen jungen Mann vorangehen, mit einer regelrechten Verbeugung, die zu jeder andern Zeit unendlich heiter gewirkt haben würde; heute hatte keiner von den beiden Zuschauern Sinn für die grimmige Komik des Herrn Alois Krautner. Im Flure schritt der beleibte Hausherr so rasch und gewandt voran, als habe er unsichtbare Sprungfedern unter den Sohlen; er öffnete die Thür seines Zimmers. »Ich bitte, gedulden Sie sich einen Augenblick, ich habe nur mit meiner Tochter ein paar Worte unter vier Augen zu reden.« Damit schraubte er eine altmodische Oellampe etwas höher und verließ dann den Raum, um sofort wieder in Theresens Boudoir zurückzukehren. Das Mädchen wollte sich ihm an die Brust werfen, aber er löste ihre Arme so wenig freundlich wie noch nie.
»Bitte, bitte, jetzt ist keine Zeit zu Zärtlichkeiten; ich will nur ein paar klare Antworten auf die Fragen, die ich stellen werde – setze dich dorthin! So! Also, Nummer eins – hast du dich, trotz meines Verbots, im Frühjahr mit Lieutenant Adami verlobt?«
Eine lange Pause, dann Schluchzen.
»Ja oder nein?«
»Ja, aber ich – –«
»Bitte, keine Entschuldigung! Hast du Briefe mit ihm gewechselt?«
»Ja – ja – aber ich – – schon –«
»Hast du gelobt, ihm treu bleiben zu wollen?«
»Ja – aber –«
»Ruhig! Und nun bist du andern Sinnes geworden?«
Ja!«
»Weshalb?«
»Ach, lieber Papa,« schluchzte Therese, die jetzt eine Gelegenheit sah, des erzürnten Vaters Herz zu rühren, »lieber Papa, weil ich es nicht mehr ertragen konnte, dich zu hintergehen, weil ich verstehen lernte, daß du nur mein Bestes willst.«
»Schon gut, schon gut, darüber sprechen wir später.« Er schob sich zur Thür hinaus und kehrte zum Lieutenant Adami zurück.
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