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Der Herr Lieutenant dachte gar nicht daran, den Pfingstausflug zu unternehmen, von dem er gesprochen hatte, und Mamsell Unnütz, die eigentlich mit Genehmigung der Tante am ersten Feiertag nur ein ganz einfaches Gericht bereiten wollte, mußte nun ihren Kirchgang aufgeben und am Kochherd stehen, denn nach Tante Riekchens Begriffen war ein auf Pfingsturlaub gekommener königlich preußischer Lieutenant unmöglich mit einem Eierkuchen abzuspeisen.
Julia fügte sich ohne Seufzen, es konnten nicht alle Leute feiern. Der Fritz war ja auch auf Berufswegen fort, er hatte schon mehrere Patienten! Wie eifrig horchte das junge Mädchen auf die neue Klingel im Hausflur, die extra für den jungen Arzt angebracht war und, so recht eine Unheilsbotin, einen grellen schrillen Ton hatte. Auch heute war er schon früh weggegangen, und Julia hatte erfahren, daß der Onkel Doktor ihn zu einer Konsultation in seinem Wagen über Land mitgenommen habe.
Der Bruder zog sich gegen Mittag die Uniform an und ging säbelklappernd die Treppe hinunter durch den Flur, um einen Besuch bei Krautners zu machen. Er kam freilich sehr bald zurück, denn Papa Krautner saß bereits bei Tisch, obgleich die Glocke eben erst zwölf schlug; und daß der Herr beim Essen nicht gestört werden dürfe, hatte das Stubenmädchen bestimmt versichert. Der Herr Lieutenant war nun drauf und dran, Julias Kalbsbraten im Stich zu lassen und das nächste beste Schiff nach Rüdesheim zu besteigen, damit er die hiesige Langweiligkeit besser überstehe. Da kam er von ungefähr auf eine andre Idee. Er trat in die kleine saubere Küche, wo die Schwester herumhantierte, und fragte, was sie nun den ganzen heutigen Tag anfangen wolle.
»Ich sitze im Garten mit meinen Büchern,« war die Antwort.
»Mit deinen Büchern?«
»Ja, ich lese so gern.«
»Aber das ist ja schrecklich langweilig! Gibt es denn kein einziges junges Mädchen, mit dem du verkehren kannst?« fragte er.
»Doch, Thereschen kommt mitunter; es kann sogar sein, daß sie mich heute besucht. Sie liebt den Pfingsttrubel auch nicht, und sonntags ist sie fast immer hier.«
»Da hat sie recht, ich mach' mich auch nicht gern populär,« gab er zu. »Wie wär's denn, Julchen, wenn wir uns ganz in die Einsamkeit flüchteten und ich ruderte euch hinüber auf die Au?«
»Das wäre schön von dir!« sagte die Schwester, »drüben ist sicher niemand!«
»Wir machen uns gegen Abend eine Bowle, und du sorgst für das Essen,« schlug er vor.
Sie nickte. »Vergiß nicht, den Fritz aufzufordern, Frieder,« bat sie und sah nach der andern Seite, denn sie fühlte, sie war rot geworden.
Er schien es nicht zu hören und beeilte sich, aus der dunstigen Küche zu kommen; in seiner Stube warf er sich auf das Sofa und spann goldene Zukunftsfäden.
Am Nachmittag ruderte er die beiden jungen Mädchen nach der Au hinüber. Die ganze Luft war voll Fliederduft, die Schiffe trugen bunte Wimpel und der Strom war belebt von Nachen mit festlich gekleideten Menschen. Auf der Au war es desto einsamer, da stand kein Wirtshaus.
Der junge Offizier kettete das Boot an einen überhängenden Baum, und die drei schlugen einen grasbewachsenen Pfad ein, der an die westliche Spitze der Insel führte, wo, wie der Lieutenant behauptete, der herrlichste Platz für die Hängematte des Fräulein Therese und die schönste Aussicht sei. Julia folgte; ihr ernstes blasses Gesicht trug einen Anflug von Enttäuschung – Fritz war nicht mitgefahren, war überhaupt noch gar nicht heimgekommen. Sie achtete weder auf die ungewohnte Redseligkeit ihres Bruders, der einen wilden Apfelbaum seiner Blüten beraubte zu einem Strauße für Fräulein Therese, noch verstand sie, was er ihr sagte.
Das Plätzchen, welches er ausgesucht hatte, war aber in der That wunderschön, und als Thereschen in der niedrigen Hängematte schaukelte und ihr weißes Kleid wie eine Wolke um sie schwebte, als sich der Lieutenant auf ein Tuch zu ihrer Seite gelagert hatte, nahm Julia ihr Buch und vertiefte sich mit so viel Eifer darein, daß sie bald von der Außenwelt nichts mehr sah. Das Plaudern und Lachen der beiden, das leise Rauschen des Wassers, das in ihr Ohr drang, stimmte gar so gut mit der Erzählung von der schönen blonden Frau auf ihrer Burg Schwarz Wasserstelz inmitten des Rheins und mit der heimlichen Liebe zu dem Sänger Hadlaub in Gottfried Kellers reizender Novelle, daß sie gar nicht bemerkte, wie die Zeit verflog und das Gespräch der beiden jungen Leute leiser, immer leiser wurde, wie endlich Pausen entstanden, lange Pausen, nur unterbrochen durch fernen Gesang oder einen nahen Seufzer und das Plätschern des Wassers gegen den Uferrand.
Und die Sonnenstrahlen streuten Funken durch das Geäst der alten Rüstern, tiefgoldene Funken, denn es wollte Abend werden. Dann flammte das Abendrot da drüben empor, der herrliche stolze Strom färbte sich purpurn, und plötzlich glühte dieser Purpurschein auch auf den Wangen des blonden Mädchens, das sich in der Hängematte aufgerichtet hatte und, den Kopf halb abgewendet von dem Manne zu ihren Füßen, doch die Hand in der seinen ließ, die er wieder und wieder küßte.
»Aber so rasch – – ich weiß nicht, was ich Ihnen antworten soll –« sagte sie stockend; und dennoch zuckte um den hübschen Mund ein Lächeln beglückten Stolzes.
»Wenn man so mächtig empfindet wie ich, gibt es kein Zögern. Ich liebe rasche Entschlüsse und weiß auch sofort ganz, was ich will, was ich muß. Ich weiß, daß ich Sie liebe, Therese, wußte es in der ersten Sekunde, als unsre Blicke sich trafen.«
Sie riß erschreckt die Hand aus der seinen, Julia war aufgestanden und an ihnen vorüber dem Ufer zugegangen. »Dort kommt er!« sagte sie wie für sich und schaute dem Nachen entgegen, der über das leuchtende Wasser daherschoß.
Die beiden jungen Leute hinter ihrem Rücken sahen sich an; Therese legte den schlanken Finger auf die Lippen, und noch einmal haschte er nach ihrer Hand und fühlte einen leisen Druck derselben, dann war auch er aufgesprungen.
»Guten Abend!« tönte es gleichmütig dem jungen Arzt entgegen, »kommst grad recht, um die Bowle zu mischen. Julia, packe doch den Eßkorb aus!«
»Endlich!« rief der Doktor fröhlich. »Just als ich vor einer Stunde fort wollte – die Mutter sagte mir, daß die Herrschaften hier seien – kam noch so ein Unglücksrabe mit blutig verhauenem Kopf, und ich mußte flicken. Grüß Gott, Fräulein Therese!« Und er lagerte sich neben dem Mädchen und warf den Hut auf den nächsten blühenden Strauch. »Ist es nicht ein wahrer Prachtsabend?« setzte er hinzu.
Und dann sah er zu Therese empor, die in der rosigen Beleuchtung so frisch erschien wie die Apfelblüte, die sie im Gürtel trug.
»Haare haben Sie wie die Lurley selbst,« sagte er in aufrichtiger Bewunderung, »fehlt nur noch der goldene Kamm. – Julia, du braust doch die Bowle? So ist's recht; ich bin auch zu müde und hatte nicht Feiertag wie ihr.«
Sie waren alle sehr fröhlich bei dem kleinen Picknick, fröhlich, wie es zumal am Rheine junge Menschen sein können, die goldenen Wein in den Gläsern haben und heimliche Liebe im Herzen. Theresens silbernes Lachen flog alle Augenblicke mit dem warmen Westwind über den Strom hinweg, und der Doktor sekundierte ihr. Der Lieutenant lachte nur hie und da, dann that er wieder einen Seufzer und ließ die blonde Lurley leben und citierte Verse: »An den Rhein, an den Rhein, zieh nicht an den Rhein, mein Sohn, ich rate dir gut!« und seufzte abermals. Nur Julia war still. Sie kauerte auf einem Baumstamm und schaute in das verglimmende Rot des Himmels; sie hatte die Hände um ein Knie geschlungen, ihr schönes Profil hob sich scharf ab von dem hellen Hintergrund. Aber obgleich sie nicht teilnahm an der lauten Fröhlichkeit der andern, war sie doch vielleicht die Glücklichste von allen, denn ihr Vertrauen war so unerschütterlich wie ihre Liebe.
Am Pfingstmontagmorgen vor Tau und Tag kam Friedrich Adami schon aus dem Garten. Julia traute ihren Augen nicht. Und gleich darauf pfiff er so lustig in seiner Stube, daß über ihr ernstes Gesicht ein Zug der Verwunderung glitt. Und abermals verzichtete er auf die Rheinfahrt, abermals steckte er sich in die Uniform und schritt mit demselben Säbelrasseln über den Hof wie gestern. Frau Rat, die just aus der Kirche kam, blieb in der Gasse stehen und sah ihm nach, bis er hinter der schmiedeisernen Thür des Krautnerschen Grundstücks verschwand.
Der resoluten Frau wurde auf einmal bänglich zu Mute. Herr Gott, wenn der etwa gar – – Aber nein, so mit Sturm konnte er doch die Burg da drüben nicht nehmen! Zuzutrauen war's ihm zwar, eine gewisse edle Dreistigkeit hatte er stets besessen – allein das Thereschen wird doch nicht? Freilich, die Mädchen heutzutage! Ein hübscher Mensch war er doch, obwohl nach ihrer Meinung gar nicht zu vergleichen mit Fritz. »Herr des Himmels, nun da wär' ich doch neugierig!« Mit diesen Worten setzte sich die Rätin an ihr Fenster und wartete auf die Rückkehr des Offiziers. Sie mußte lange warten, und als er endlich kam, da wurde sie nicht recht klug aus seinem Gehaben. Er klirrte womöglich noch toller als vorher mit dem Säbel, und sein sonst bleiches Gesicht war gerötet – aber ob vor Glück oder Enttäuschung, das konnte sie nicht ergründen.
Es dauerte nicht lange, da erscholl droben seine Kommandostimme: »Julia! Julia!«
Das junge Mädchen, das bei der verdrießlichen Tante gewesen war, um mit ihr die betrübende Thatsache festzustellen, daß für die jetzige opulente Wirtschaft das Monatgeld nicht reichen werde, und dabei manchen kleinen Hieb geduldig aufgefangen hatte, stürzte erschreckt in die Stube des Bruders. »Hier bin ich, Frieder – um Gottes willen, was gibt's.«
Er hatte die Uniform aufgerissen und lief im Zimmer umher. »Kannst du reinen Mund halten?« fragte er endlich.
»Ich verstehe dich nicht. Wenn du mir etwas anvertrauen willst, so rede ich selbstverständlich nicht davon.«
»Du mußt mir helfen!« forderte er, »hörst du?«
»Immer, wenn's in meiner Macht steht, Frieder.«
»Es hat eine ganz verdammte Geschichte gegeben,« fuhr er leiser sprechend fort. »Therese und ich – –«
»Thereschen und – du?«
»Ja, Therese und ich haben uns heute früh verlobt. Reiß doch die Augen nicht so auf – du glaubst nicht, wie thöricht du dann aussiehst. Ist's denn etwas Niedagewesenes, daß sich ein junger Lieutenant und ein hübsches Mädchen verloben?«
»O Gott!« stammelte das Mädchen, »wie mich das freut!«
»Ja, hat sich was! Als ich vorhin zu dem alten Philister komme und ihn um seine Einwilligung bitte, da bedankt er sich für die Ehre, und – und – nun, kurz und gut – einen Korb, aber keinen feinen! So einen!« Und er fuhr mit der Hand in der Luft umher, damit den Umfang dieses Korbes andeutend.
»Und Thereschen?« fragte sie.
»Habe ich gar nicht erblickt. Ich versicherte dem alten« – er gebrauchte eine ziemlich respektwidrige Bezeichnung, die einem Tiere mit langen Ohren zukommt – »daß Therese nicht von mir lassen würde; da erklärte er gemütlich lächelnd und immer die Hände mit dem Siegelring am rechten Zeigefinger auf dem Magen, daß ich mich nicht ängstigen solle, die habe ›Ordre parieren‹ gelernt und werde ›Raison‹ annehmen. Ein furchtbarer Mensch, und sein Deutsch! Da muß sich unsereins – es ist zum Radschlagen!«
»Arme Therese! Und sie hat dich lieb?«
»Solche Frage! Und ob! Jetzt aber will ich ihr Nachricht schicken, einen Trost, verstehst du? Du mußt hinüber; der Alte schläft nach Tisch. Sag, ich müsse sie noch einmal sprechen und ich bliebe ihr treu bis in alle Ewigkeit, und ihr Vater müsse sich erweichen lassen, sie sei ja doch sein Liebling, sein einziges Kind.«
Der junge Offizier setzte sich wie erschöpft in eine Sofaecke, alle Qualen der Enttäuschung zuckten in seinem bleichen Gesicht. Er schlug plötzlich hart mit der Faust auf den Tisch. »Und alles wäre gut gewesen, alles!« murmelte er.
»Ich will es Therese bestellen; ihr thut mir leid,« sprach Julia mitleidig. »Ich denke auch, wenn ihr so recht zusammenhaltet, muß der Vater endlich nachgeben, er hat doch das Reschen sehr lieb – –«
Das war ein recht böser Tag. Bei Tische begann Tante Riekchen plötzlich, ohne sich vor Julia zu scheuen, die sie sonst allen Unterredungen mit dem Bruder fernhielt, mit fast heiserer Stimme dem Pflegesohn mitzuteilen, daß sie leider nicht mehr in der Lage sei, ihm ganz so viel Zulage zu geben wie bisher. Sie brachte es mit gesenkten Augen hervor, als schäme sie sich, ihre gedrückte Lage einzugestehen.
Er lachte laut und hart auf und trank sein Weinglas mit einem Zuge leer. »Gesegnete Mahlzeit!« rief er dann, warf die geballte Serviette auf den Tisch und die Thür hinter sich zu.
Riekchen Trautmann wischte sich eine Thräne aus den Augen.
»Tante!« sagte Mamsell Unnütz, die Hand leise und scheu auf die durchsichtige zitternde Rechte des alten Fräuleins legend, »Tante, sei nicht traurig, wir werden es schon machen, daß alles in die Reihe kommt – wir verkaufen das Haus, gelt? Und dann bist du ganz reich, und wir mieten ein kleines nettes Quartier mit der Aussicht auf den Rhein, und da mache ich es dir so traut, so traut, daß du dies alte große Haus, das dir nur eine Last ist, gar nimmer vermißt.«
Aber ihre Hand wurde jäh fortgeschleudert. »Wie kannst du auch wissen, was eigene Scholle bedeutet? Keine Spur von Pietät ist in dir, sonst würdest du nicht reden, als sei ein Hausverkauf dasselbe wie ein Butterbrot streichen!«
Julia sah sie traurig an. »Ach, wenn du eine Ahnung hättest, wie ich dies alte Haus liebe« – wollte sie sagen. Aber sie schwieg, sie schwiegen beide.
Als das junge Mädchen mit den Tellern hinausgegangen war, schlug die Zurückbleibende die Hände vor die Augen, und die Thränen quollen ihr durch die Finger. Sie hätte hinter dem Kinde her laufen und ihrer Härte wegen um Verzeihung bitten mögen und brachte es doch nicht über sich. Julia aber schlüpfte bald danach durch die Gartenpforte vom Rhein aus in das Krautnersche Grundstück. Ungesehen kam sie in das Haus und durch den Gartensaal, der mit fast allzugroßem Reichtum an ostindischen Matten, Bambusmöbeln und japanischen Fächern ausgestattet war, in das Boudoir der Freundin. Die Jalousien der breiten Fenster waren heruntergelassen; es herrschte ein gedämpftes Licht in dem Raume und ein ganz betäubender Duft von Eau de Cologne und irgend einem süßen exotischen Parfüm, welches das junge Mädchen für ihren Toilettetisch liebte.
Die hellblauen rosageblümten Möbel mit den verschnörkelten Goldgestellchen waren unordentlich durcheinander geschoben; vor dem Kamin lagen die Scherben einer Porzellanstatuette und auf einem Ruhebett kauerte, einen zerbrochenen Fächer bewegend, im reizenden aber ganz zerknitterten weißen Anzug, mit trockenen trotzigen Augen, das Opfer ihres grausamen Vaters, Therese Krautner. Als sie der Freundin ansichtig wurde, die fast feierlich ernst an ihr Lager trat, warf sie den Kopf nach der andern Seite und begann zu weinen.
»Armes Reschen!« Und das blasse Mädchenantlitz bog sich über die Verzweifelte, »ach, muß das herb sein! Aber fasse Mut, Frieder läßt dich grüßen und er bleibt dir treu. Er schickt mich eben zu dir, du solltest nicht verzagen. Treue Liebe kann alles bezwingen, und der hartherzigen Väter hat es mehr gegeben, Reschen.«
»Ei – ei – ei!« scholl es hinter ihr, » hartherzig sagen Sie, kleines Fräuleinchen?« Und Herr Stadtrat Krautner, der unbemerkt eingetreten war, stand, die Hände auf dem rundlichen Bäuchlein gekreuzt, das rote Vollmondgesicht zu behaglichem Lachen verzogen, hinter dem erschreckten Mädchen. »Bin durchaus kein hartherziger Rabenvater,« sprach er weiter und strich Julia mit dem Rücken der Hand über die Wangen, »bin man bloß ein erfahrener Mann, der sein verblendetes Kind nicht mit gleichen Füßen ins Unglück springen läßt. Ja, ja, ins Unglück, lieb Herzchen! Aber das versteht ihr nicht, weil ihr allesamt grad im allerthörichtsten Lebensalter steht.«
»Lieber Herr Krautner,« – Julia hatte beide Hände erhoben – »wenn sie sich aber doch so lieben, so sehr lieben –«
»I – glauben die beiden ja selbst nicht,« lachte er, »und der stirbt nicht dran, und die stirbt nicht dran, ich kenn' sie besser. Und nun, Reschen, bitt' ich mir aus, daß das Geflenn' aufhört – hast's verstanden?«
Das junge Mädchen hatte sich emporgerichtet. »Daß du es nur weißt, Papa,« rief sie mit zornigen Augen, »ich lasse nicht von ihm – nie, nie!«
»Nun, darüber reden wir schon noch,« war die Erwiderung.
»Und wenn du denkst, ich werd' ihn mit der Zeit vergessen, so – –«
»Ja, das denk' ich, Töchterchen!«
»So irrst du dich, und hier, in Gegenwart von Julia, sag' ich's dir, hast du nicht von heut ab in einem Jahre diese Verlobung zugegeben, so – –«
»Nehme ich einen andern!« vollendete er.
»Wollen sehen,« sagte sie.
»Ja, wollen sehen, hast recht. Und nun kannst du dir alles wünschen, was dein Herz begehrt, bloß nicht zweierlei Tuch; ich spaße nicht, hab's mal geschworen – warum? kann dir gleich sein. Also, kein zweierlei Tuch im allgemeinen und dieses da im besonderen nicht! Nichts für ungut, kleines Fräuleinchen,« wandte er sich an Julia, »aber sagen Sie selber – kommt mir da ein wildfremder Mensch hereingeschneit und will nicht mehr als alles, und das heißt viel, verstehen Sie? Es könnt manchem passen, o ja, aber wenn die da eine so Dumme ist, die sich in einer Viertelstund' verblenden läßt – ich bin's nicht. Klaren Kopf! heißt's bei mir. Alois Krautner hat immer 'nen klaren Kopf, sonst hätt' er's nie so weit gebracht. Gehorsamster Diener!«
»Du hast ja eben nie geliebt,« sagte sein Töchterlein mit verächtlich zuckender Lippe.
»Ich? Alle Wetter! Und ob! Aber mit Verstand, du Naseweis! Und sauer hab' ich mir's werden lassen, ehe ich vor ihren Vater getreten bin und gesagt habe: ›Gib mir deine Hanne und deinen Segen, ich kann einen Hausstand gründen, ich kann ein Weib ernähren und noch mehr dazu.‹ Da liegt der Hase im Pfeffer, merkst was? Und nun ist's das letzte Wort gewesen, damit basta und nix für ungut!«
Er ging, machte die Thür zu, und von draußen herein erklang sein Pfeifen. Es war der alte Dessauer, den er immer nur pfiff, wenn ihn etwas schwer erregte. Sogar als sein vergöttertes liebes Hannchen starb, war er mit herabrollenden dicken Thränen im Zimmer auf und ab gegangen und hatte sein: »So leben wir« gepfiffen.
»Da siehst du es, wie traurig mein Leben ist,« sagte das hübsche Mädchen bitter und strich die wirren Blondhaare aus dem heißen Gesicht. »Verständnis, ein feineres Empfinden ist gar nicht vorhanden. Und weißt du, Julia, als ich versuchte, ihn zu rühren, ihm erzählte, wir hätten uns unser künftiges Leben schon so schön ausgemalt, wir wollten uns in die Nähe versetzen lassen; seine herrliche Heimat, sein Rom, hätte er mir zeigen wollen auf der Hochzeitsreise, da lachte er, als hätt' ich den köstlichsten Witz gemacht, und meinte, das sei für zwei Tage der Bekanntschaft alles mögliche! Und ob wir uns auch schon einen Bädeker gekauft hätten? Und er und Mama hätten vor Zeiten in einem Ding von Hotel gewohnt in Rom, wo sie sich äußerst wohl befunden haben würden, wenn sie einen Ofen und recht viel Insektenpulver gehabt hätten. O Gott, wie kann man das Heiligste so herabziehen! Aber du, Julchen, du mußt uns helfen!« rief sie aufspringend. »Bleibt Vater so halsstarrig, dann laufen wir davon – ja, bei Gott! Sag's dem – dem Lieutenant Adami – ich –« Sie stockte plötzlich, es kam ihr wohl etwas stark vor, dem Lieutenant den Vorschlag machen zu wollen. »Wenigstens,« fuhr sie kleinlaut fort und zupfte an ihrem Taschentuch, »wenigstens mußt du unsre Briefe vermitteln, uns helfen, daß wir uns sehen können, lieb Julchen!«
Julia antwortete nicht; sie sah starr vor sich hin, eine kleine düstere Falte zwischen den schöngeschwungenen Brauen.
»Hörst du?« rief Therese ungeduldig, »du sollst uns helfen! Heut abend noch will ich ihn sprechen! Du hast dein Bodenstübchen, dein Atelier, niemand wird uns dort suchen, und du mußt zu deiner Tante sagen, es sei – –«
»Nein!« kam es kurz und hart von Julias Lippen.
»Deinen eigenen Bruder willst du nicht unterstützen? Mich nicht, deine eigene Freundin?« rief Therese, die sich vor dem Spiegel die Stirnhärchen ordnete und ein Tuch, in kaltes Wasser getaucht, gegen die Augen drückte.
»Nein, Therese, eben weil er mein Bruder ist. Ich will nicht dazu helfen, daß es aussieht, als wolle er dich aus reinem Eigennutz, und – ich denke, ihr helft euch allein. Echte Liebe kommt schon zum Ziele.«
»Bist du ein albernes Ding!« fuhr das blonde Mädchen zornig heraus. »Wie soll ich mir allein helfen? Kennst du meinen Vater noch nicht? Kein Brief kommt anders in das Haus als in verschlossener Postmappe, und bewachen wird er mich von Stund' an auf Schritt und Tritt, und –«
»Mit dem Heimlichthun und dem Schreiben hinter seinem Rücken werdet ihr euch allerdings nicht helfen. So meinte ich es nicht,« antwortete Julia. »Zeig's dem Vater, daß deine Liebe stark und treu ist, er wird sich dann doch erweichen lassen; und am Ende, wenn dich der Frieder gerade so stark und ehrlich liebt, wird er dir zulieb auch etwas anders werden als Offizier, er ist doch noch jung – wenn's eben nur das ist, daß dich dein Vater keinem Offizier geben will. Darin würde ich meinem Bruder zureden.«
»Sehr gütig!« klang es gereizt und enttäuscht zurück. »Aber ich meine, er ist just zum Offizier geschaffen, und meinetwegen soll er nicht umsatteln.«
»Auf den Stand kommt's doch nicht an, wenn ihr euch so gern haben wollt!« rief Julia entrüstet. »Liebst du den Rock oder den Menschen?«
Therese antwortete nicht.
»Wenn er nun, zum Beispiel, Landwirt werden könnte?« drängte Julia.
»Bitte,« stieß Therese ärgerlich hervor, »spar deine Ratschläge, die von sehr großem Mangel an Lebensklugheit zeugen. Geh lieber zu ihm und sage, daß ich ihn noch einmal sprechen will, das kann kein Mensch mir verwehren. Oder nein, laß es – du machst ja ein Gesicht, als ob ich dich zum Stehlen verführen wollte. Nicht einmal dazu bist du zu gebrauchen! – – Gott im Himmel, ich verlange jetzt nur noch eins von dir, bekümmere dich nicht um die ganze Geschichte, gib mir die Hand darauf, ich werde mir allein helfen – so. Sag dreimal ›Wahrhaftig!‹ darauf, daß du keiner Seele gegenüber mich verraten willst.«
Julia hatte die Hand gegeben, aber sie blieb stumm. Und Therese achtete nicht mehr auf das ernste Gesicht der Freundin. Sie saß am Tische und schrieb mit fliegender Eile ein paar Worte auf einen blaßlila Bogen mit goldenem Monogramm. »Leb wohl!« murmelte Julia und ging betrübt durch den Garten zurück nach dem heimatlichen Grundstück.
Unter den Nußbäumen stand der Bruder; er sah noch blasser und nervöser aus als sonst. »Nun?« fragte er ungeduldig, »du bist eine Ewigkeit geblieben, wie auf der Folter ist mir's vorgekommen. Was sagte sie?«
»Sie will dir treu bleiben, Frieder – aber –«
»Aber?«
»Aber der Vater will's nie zugeben.«
Er atmete auf. »Wenn sie nur will –« sagte er leise.
Er dankte der Schwester nicht einmal; eilig schritt er nach seiner Stube hinauf und schrieb an Moses Aronsohn in Berlin, daß besagter Herr sich noch ein Weilchen gedulden möge; er habe eine reiche Partie so gut wie sicher, es sei nur noch der Widerstand des Vaters zu überwinden. Wenn aber Herr Aronsohn die Klage beim Regiment einreiche, so sei diese Heirat in Frage gestellt und er bekomme dann nichts, da seine Tante ihr Vermögen verloren habe. Ergebenst u. s. w. Er trug den Brief selbst zur Post und kehrte mit leichterem Herzen zurück, als er es seit Monaten gehabt. Und in der Nähe des Hauses ging langsam ein hübsches Dienstmädchen an ihm vorüber und schob ihm ein kleines blaßlila Couvert in die Hand. Seine Augen leuchteten auf, und kaum war er in seinem Zimmer angelangt, als er hastig den Umschlag erbrach. Therese bat ihn, in das alte Gartenhäuschen ihres Grundstücks zu kommen, »in der neunten Stunde, wenn Papa in der ›Traube‹ sitzt«.
Als Julia schon am Einschlafen war, so gegen elf Uhr, wurde sie durch ein Klirren an ihrem Fenster emporgeschreckt. Sie kannte des Bruders Gewohnheit von früher her, Kies an die Scheiben zu werfen, wenn er das Haus verschlossen fand. Sie kleidete sich rasch an und huschte die Treppe hinunter, um die Hausthür zu öffnen, in der stets der Schlüssel von innen stecken blieb – die Rätin wollte es so, weil dann die Dietriche der Diebe machtlos seien. Ueber die Schwelle trat Frieder.
»Ihr geht wahrhaftig mit den Hühnern zu Bett,« scherzte er und schritt, ganz leise eine lustige Melodie summend, die Treppe hinan. »Gute Nacht!« flüsterte er vergnügt droben im finsteren Flur und hielt die Schwester am Aermel fest. »Die Therese ist ein süßer Schatz, sag' ich dir; und Mädel, wenn die Hochzeit ist, schenke ich dir ein Staatskleid, verstehst du? Und nun sei gut und lieb zu meiner kleinen Braut und spiele dich nicht als moralischen Richter über uns auf. Wenn du erst einmal selbst einen liebst, wird dir's einleuchten, daß man vor solch altem Philister nicht gleich ›kusch‹! macht und daß so was Heimliches auch sein Schönes hat. Aber ich glaube, du Eiszapfen kannst dir gar keine Vorstellung machen vom ›Gernhaben‹. Gute Nacht und – Verschwiegenheit! Verstanden? Sonst geht die Sache in die Brüche.«
»Gute Nacht!« sagte sie, und in ihrem Abendgebet hatte sie noch etwas mehr vom lieben Gott zu verlangen als sonst; daß er helfen möge, die beiden zusammenzuführen, daß er ihnen Kraft gebe, alle die Schwierigkeiten zu überwinden, und den Sinn des Vaters zur Nachgiebigkeit lenke.
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