Hermann Heiberg
Apotheker Heinrich
Hermann Heiberg

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Einunddreißigstes Kapitel.

Glitsch stand in seiner Barbierstube und bediente einen Kunden. Er sprach sehr viel und war sehr wichtig. Während er das Haupt des Kunden behandelte, warf er als eitler Hansnarr nicht nur einen Blick auf diesen, sondern betrachtete auch sich selbst mit wohlgefälliger Miene in dem gegenüber hängenden Spiegel.

Glitsch glich einer altmodischen Bühnenfigur. Die nach vorn frisierten, an den Stirnseiten befindlichen Locken seines schwarzen Haares, das im übrigen so glatt über die kahle Stirn gelegt war, daß man zu der Vermutung gelangen konnte, er trage eine Perücke, paßten zu dem devot lächelnden Intrigantengesicht. Spitze Ecken eines emporstehenden Kragens, die über einem vielfach um den Hals gewundenen, schwarzseidenen Tuche mit kleinem Knoten und winziger Schleife hervorschauten, erhöhten das Gezierte seiner Erscheinung. Glitsch war auch Chirurg, aber als solcher bei den Operationen von einer Unempfindlichkeit, über die sich nicht nur Mile Kuhlmann beklagte. Was ihn neben seiner berechnenden Herzlosigkeit besonders kennzeichnete, war die komödienhafte Verwunderung, welche er in seinen Gesichtsausdruck hineinzulegen vermochte. Er bog dann den langen Kopf zurück, ließ Falten auf der hohen Stirn erscheinen, riß die Augen erstaunt auf und ließ auch um seinen falsch lachenden Mund einen Zug höchster Überraschung erscheinen. Nicht selten handelte es sich dabei um Dinge, die er weit besser kannte, als der Erzähler. Aber er hatte die Menschen studiert und gab sich so, weil er wußte, daß seine betroffene Miene eine angenehme Befriedigung in ihnen hervorrief.

In Glitsch vereinigte sich die Doppelnatur eines wedelnden Hündchens und eines tückischen Raubtieres. Er zeigte die Zähne, wenn ihm Leute in den Weg traten, die unter ihm standen, und die er nicht brauchte, und schmiegte sich schmeichelnd unterwürfig an Einflußreiche, von denen er etwas erwarten zu können glaubte.

Vielleicht hätte niemand im Städtchen Mile Kuhlmann treffender charakterisieren können, als gerade er. Es fand sich keiner, der ihre gemeinen Eigenschaften besser kannte, und doch war Glitsch entschlossen, nun endlich Ernst zu machen. Er wollte um sie anhalten. Zur Förderung solcher Pläne schien der Kunde, den er heute frisierte, sehr geeignet. Es war ein kleiner Geldagent, durch den Mile, wie Glitsch zufällig wußte, ihre Ersparnisse anzulegen pflegte. Um aus diesem herauszulocken, was er wissen wollte, erfand er eine Geschichte.

Zunächst nagelte er durch die demütige Frage: »Doch auch ein wenig waschen, Herr Benthien?« seinen Kunden noch für eine geraume Weile auf den Frisierstuhl fest, und dann warf er, einige Güsse Bayrum auf seinen Scheitel entladend, die Bemerkung hin: »Ich wurde neulich – direkt vom Lande her – nach einer Hypothek gefragt, durchaus sicher, erste Stelle. Der bisherige Geldgeber hat gekündigt. Haben Sie vielleicht Kapital zur Hand, Herr Benthien, – so um Ostern?« Und ohne dessen Antwort abzuwarten, fügte er rasch hinzu: »Mich dünkt, er sprach direkt von einer Mamsell Kuhlmann, die bisher – Sollte das die Schneiderin sein? Na, aber das ist ja gleichgültig. Würden Sie wohl tausend Taler zur ersten Stelle haben?«

Nun kam's darauf an, ob Benthien anbiß. Anfangs schien's nicht. Dergleichen Leute sind verschwiegen; das gehört zu ihrem Geschäft, darauf beruht ihr Ansehen. Der Angeredete ging in der Tat nur auf die Sache, nicht auf die Nebenfragen ein. Wenn's Ernst sei, müsse er die Protokolle einsehen. Glitsch möge den Geldnehmer zu ihm senden, und was dann sonst noch in einem solchen Falle geäußert wird.

»Schön, Herr Benthien! Ich sehe ihn nächste Woche und werde es nicht vergessen, ihn direkt zu Ihnen zu schicken. Ob es dann noch ganz sicher ist, ob er nicht inzwischen anderweitig, – kann ich natürlich nicht sagen, aber ich spreche ihn jedenfalls.« – Er brach ab; den Rückzug hatte er sich gedeckt.

Während er nun Benthiens Kopf mit einem Trockentuche bearbeitete, als ob er einen glatt zu ölenden Marmor vor sich habe, warf er hin: »Geld ist wohl sonst flüssig? Erste, wohl auch zweite Hypotheken begehrt? Na ja, der eine so, der andere anders! Manche denken, sie kriegen bei einer zweiten Stelle ein halb Prozent mehr, und dann kündigen sie. Frauen wissen ja nie, was sie wollen. Sollte man es glauben, daß Mile Kuhlmann so viel Kapital besitzt?«

Nun mußte doch Benthien etwas antworten. Er sagte wirklich kurz und bestimmt: »Die Kuhlmann hat keine Hypotheken auf dem Lande. Das weiß ich. Ich besorge alle ihre Geschäfte –«

»Ah, so? Sie? – Na, ja, denn –« fiel Glitsch im Ton höchster Überraschung ein. »Natürlich, ich kann mich auch verhört haben, – aber einen ähnlichen Namen nannte er; dessen erinnere ich mich. – Also die hat wirklich ein paar Schillinge? Ist eine sparsame Person – hält ihre Taler zusammen –?«

Glitsch war äußerst gespannt. Scheinbar aber war er nur mit Benthiens Kopf beschäftigt, glitt mit der weiten Kammseite durch dessen Haar, kräuselte es wellenartig und holte, sanft ebnend, mit der Hand nach. Vielleicht wegen dieser zärtlichen Sorgfalt tat der Gefragte dem Barbier Bescheid und sagte: »Gewiß, die Kuhlmann hat ein hübsches kleines Vermögen. Für ihre alten Tage ist gesorgt.«

»Bitte ergebenst,« rief Glitsch, als ob das eben Gesagte kaum von ihm gehört war, jedenfalls von keinem weiteren Interesse für ihn sei, schlug den Mantel zurück, betrachtete sein Machwerk im Spiegel und auch die eigene, in devote Falten gelegte Komödianten-Physiognomie.

Nun wußte Glitsch, woran er war. Heute hätte er auch ohne Frisierlohn den Kunden aufs höflichste zur Tür geleitet.

Bereits am folgenden Tage, der ein Sonntag war, beschloß der Barbier, Ernst zu machen. Das Junggesellenleben hatte er satt. Er sehnte sich nach einer abendlichen Plauderstunde im eigenen Hause, und wenn er überdachte, ob ihn Miles Umgang befriedigen werde, so antwortete ihm eine innere Stimme mit ja. Er machte es sich nicht klar, daß besonders ihre Fehler für ihn anziehend waren. Es war aber begreiflich, weil er sich in denselben gemeinen Schwächen gefiel. Seit Jahren hatten sie miteinander räsonniert und gelacht, geklatscht und stibitzt; sie paßten zueinander wie Pauke und Triangel. –

Es war nachmittags gegen vier Uhr. Glitsch musterte sich noch einmal von oben bis unten in dem Ladenspiegel, fuhr mit der Bürste über Rock und Stiefel und nachdem, da es eine Kleiderbürste war, fürsorglich mit der Hand über die Borsten, zog den Überzieher an, von dem er mit feuchtgemachtem Daumen und Zeigefinger nachträglich einige Fäserchen ablas, und richtete alsdann seine Schritte durch die kleine Fischergasse nach Miles Wohnung.

Unterwegs kamen ihm allerdings noch einmal Bedenken. Was wurde aus Emma, der buckligen Emma? Die mußte er doch mit ins Haus nehmen, die mußte er mit durchfüttern! Freilich, wenn Mile und er ihren Beschäftigungen nachgingen, war jemand für Haus und Küche nötig. Ganz recht! Da blieb dann alles unter Aufsicht. Und wenn die kränkliche Schwester einmal das Zeitliche segnete, war ein essender Mund weniger und Mile würde sich ohne Emma einzurichten wissen.

Als er der Schneiderin Wohnung fast erreicht hatte, bedrückte es ihn, daß sie vielleicht nicht allem sein werde. Emma war ihm schon unbequem; aber am Ende war auch die alte Nissen zugegen! Die mochte er nicht; sie war eine superkluge, bissige Person! Gleichviel, es mußte versucht werden, und so stieg er die schmalen Treppen hinauf. Alles war so ruhig. sonntäglich langweilig im Hause. Es durchwehte etwas den Flur, das Glitsch ernüchterte; Sonnabendseife und Winterluft schlugen ihm entgegen. Er horchte an Miles Tür. Drinnen wurde gesprochen, nicht laut, nicht erregt; es klang wie gemütliches Plaudern. Wohlan denn! Glitsch klopfte und trat, ohne das Herein abzuwarten, ins Zimmer.

Emma, im Mieder, ohne Kleid, die Hände mit zimperlich kreischendem Aufschrei an die Brust drückend, verschwand ins Nebenzimmer. Mile saß unbeschäftigt auf einem Thron am Fenster. Zwischen den Blumentöpfen stand eine große Sonntagstasse, aus der sie, den Kandiszucker hinter der Backe, behaglich schlürfte. Es duftete im Zimmer anheimelnd nach Kaffee. Zudem war's warm und gemütlich; überall war sauber aufgeräumt.

»Ah, Herr Glitsch!« stieß die Schneiderin angeregt heraus und glitt von ihrem Fensterthrone herab. »Bitte, nehmen Sie Platz. Na, was Neues? Gesellschaft in Sicht?«

Mile fragte nicht ohne Grund. Glitsch hatte sie schon sehr häufig persönlich verständigt, wenn es sich um dergleichen handelte. Er schüttelte jedoch den Kopf und knöpfte mit einem zugleich fragenden Blick nach der Tür, den Paletot auf. Aber Mile verstand ihn nicht.

»Ich meine,« hub der Barbier geheimnisvoll an, »bleibt Ihre Schwester direkt drin oder kommt sie gleich wieder?«

»Soll sie?« erwiderte die Schneiderin, ein Geheimnis witternd und deshalb übereifrig beipflichtend. »Warten Sie, ich sag's ihr.«

Glitsch war allein. Nebenan hörte er reden; er schaute sich um. Miles Möbel waren nicht übel. Ein ganz neues Teebrett stand auf der Kommode, dessen schwarze, mit einem goldenen Butterblumenbukett verzierte Lackfarbe glänzte. Vor diesem waren alte, dickbäuchige Tassen aufgebaut, die in lebhaftem Weiß, Rot und Blau schimmerten. Eine Photographie, offenbar Miles Vater darstellend, war weniger anziehend. Derselbe sah auf dem Bilde aus, als ob er in den letzten Augenblicken vorm Köpfen abgenommen sei; bleich, starr, mit weit aufgerissenen Augen dasitzend, schien er sein furchtbares Schicksal zu erwarten. Auch von Emma hing ein Porträt an der Wand. Der Künstler hatte ihre goldene Uhrkette mit impertinent glitzernder Farbe nachtuschiert. Infolgedessen machte das Bild den Eindruck, als ob die Kette, nicht die Person gezeigt werden sollte. Emma war nur an den schiefen Schultern, an diesen aber allerdings sehr deutlich zu erkennen.

Im ganzen war Glitsch mit seiner Umschau zufrieden. Überall gute, saubere Sachen, ein bequemes Sofa, wenn auch mit einem eingenähten, etwas scharf abstechenden Flicken neben der Sitzlehne, anständige Stühle, einige hübsch eingerahmte Bilder.

Aber wie fing er die Sache an? Im Scherz hatte er schon oft mit Mile von Heiraten gesprochen. Nun das wirklich an ihn herantreten sollte, fühlte er doch eine starke Beklemmung. Während er noch nachdachte, trat Mile ins Wohngemach zurück.

»Emma macht einen Nachbarbesuch,« blinzelte die Schneiderin, »sie geht hinten heraus.«

Während Mile also berichtete, warf sie einen vertraulichen Blick auf den Friseur, und indem sie ihn sitzenzubleiben bat, nahm sie selbst ihm gegenüber mit der Miene einer die zudringlichen Karessen des Galans erwartenden koketten alten Jungfer Platz.

»Direkt ohne Umschweife,« hub Glitsch an, »ich –«

»Vielleicht eine Tasse Kaffee gefällig?« unterbrach ihn, sich besinnend, die Schneiderin übereifrig.

»Nein, nein, – ich danke –«

»Ach warum nicht? Ist fertig. Das Wasser kocht.«

Mile erhob sich und wollte forteilen. Glitsch ergriff ein heftiges Unbehagen. Nun war er eben über alle Bedenken weg, wollte gerade aufs Ziel losgehen, und da kam sie mit ihrem Kaffee.

»Bleiben Sie doch nun mal einen Augenblick ruhig sitzen, Mile,« stieß er mit schlecht verhehltem Unmut heraus.

»Na, denn bitte,« pflichtete die Schneiderin bei und lehnte sich bequem zurück.

»Also direkt – ohne Umschweife, Mile. Ich hab' mir das schon lange durch den Kopf gehen lassen, und Sie wissen ja auch so ziemlich, daß ich das Junggesellenleben –«

Ah! also richtig! Es handelte sich um einen Antrag. Das Herz stand Mile vor Aufregung still. Nun kam endlich, was sie seit Jahren sehnsüchtig erwartet hatte.

»Also, daß ich das Junggesellenleben,« hub Glitsch zum zweitenmal an, »satt habe und mich verheiraten möchte, und da wollte ich denn gerne – Sie gerne um Rat fragen – –«

Was war das? Das klang ja ganz anders! Mile wurde blaß, kniff die Lippen zusammen und sagte unfügsam, tonlos: »Gewiß, ja, nun? Und weiter?«

»Ja, Sie um Rat fragen, ob Sie nicht eine passende Partie für mich wüßten?«

Eine Pause trat ein. Mile brauchte sie, um sich zu sammeln. Sie drehte an einer Klunker der Tischdecke und fand keine Worte. Endlich polterte sie kurz und heftig heraus:

»Ne, mit so was kann ich mir nicht abgeben.«

Nun schwieg Glitsch und blickte auf das eingenähte Viereck im Sofasitz. Ihre Antwort erschreckte ihn. Er hatte die Sache sehr schlau anfangen wollen und fürchtete nun, sie verdorben zu haben. Das waren die Folgen seiner schleichenden Art. Immer mußte er Umwege machen. Er konnte nicht den graden Weg einschlagen, selbst bei solcher Gelegenheit nicht. Er sah auch Mile nicht an, hörte nur, daß die harten Finger der Näherin ungeduldig an einer auf dem Tische stehenden Porzellanvase trommelten. Endlich raffte er sich auf und sagte, den Kopf erhebend und die Worte schwermütig betonend:

»O, Emilie, erraten Sie denn nicht? –«

Es war unglaublich komisch, diesen Menschen elegische Liebesworte lispeln zu hören, aber die Wirkung blieb nicht aus.

»Ist's wahr, Glitsch, ist's wahr?« zitterte es aus dem zahnlosen Munde der Schneiderin.

Er nickte. »Gewiß, Mile! Wenn Sie wollen? In einigen Wochen kann die Hochzeit sein.«

Es schwamm vor der Schneiderin Augen. Ein seidener Rock, der zum Ändern an der Wand hing, schien sich aufzubauschen; die Gegenstände tanzten vor ihr hin und her und mit einem: »O, Glitsch, o Julius, wie spät! Wie lange hatte ich mir das vermutet, aber Sie ließen mir zappeln –« sank sie an seine Brust.

»Es lag noch nicht drin!« erwiderte der Friseur, seine ganze Würde zurückgewinnend und rasch die Sentimentalität wieder abstreifend. Zu gleicher Zeit beugte er sich herab und ließ den Duft der Ochsenmarkpomade mit Rosenöl, der zudringlich aus Miles Haar drang, um seine Nase wehen. –

»Ich bin Braut, ich bin Braut!« triumphierte eine Stunde später Mile, als die Nissen zum Besuch ins Zimmer trat. »Was sagen Sie, was sagen Sie?«

»Na, denn mit Gott und die Propheten, wenn's denn durchaus mal sein soll,« erwiderte die Angeredete und reichte dem Brautpaar die Hand. Emma aber sagte, als es ihr verkündet wurde:

»Wenn Ihr's heute noch einschickt, steht's übermorgen ins ›Dreimalige‹«.

Und richtig, es stand übermorgen ins »Dreimalige«!

Vierzehn Tage nach der eben geschilderten Werbung saß der glückliche Bräutigam in seiner Kammer und nahm ein hartgesteiftes Vorhemd mit langen, an den Enden schon etwas ausgefaserten Bindebändern aus seiner Kommode. Den Frack und die schwarzen Beinkleider hielt er nacheinander hoch in der Hand, musterte die auf dem Vielgetragenen zurückgebliebene Wolle und putzte sie mit den Fingern. Endlich setzte er sich auf einen Stuhl und nähte den Bauchknopf der gleich farbigen Weste an. Dieser löste sich häufig.

Morgen war der Tag, an dem er mit Mile Kuhlmann in der Kirche getraut werden sollte. Er überdachte alles: wie Mile aussehen werde, wie die Menschen sich herbeidrängen würden; er hörte die Orgel, den Gesang und vernahm die Worte des Predigers. Pastor Engel mit dem ernsthaften Gesicht tauchte deutlich vor ihm auf.

Und dann musterte er in Gedanken seine Wohnung. Er ging durch seinen Laden; er sah die Bürsten und die Kämme und streifte mit dem Blick die neben den Handtüchern etwas abgerissene Tapete, die Flecken an der Wand neben der Waschschüssel.

Selbstverständlich! Das mußte alles erneuert werden. Nun trat er (in diesem Augenblick hatte er Mühe, mit der Nadel durch den Stoff zu dringen) im Geiste in die beiden Wohngemächer und in die Küche. Es sah alles so nett und so wohnlich darin aus. Das bequeme Sofa stand an der Wand, dazu die hübschen Stühle und ringsum hingen die Bilder aus Miles Wohnung.

Er sah sich im Lehnstuhl sitzen, und seine Frau saß ihm, mit Schneiderei beschäftigt, gegenüber. Sie war doch recht alt, und die Zeit machte nicht jünger. – Sie hatte eine häßliche gelbliche Gesichtsfarbe, und das spärliche Haar gab ihr etwas Matronenhaftes. Und dann sah er die bucklige Schwester und das Kleid, das diese neuerdings zu tragen pflegte. Es war ein brauner Stoff, der schon recht blank glänzte. – Nun, das war mal so! – – – Endlich war die Arbeit fertig. Er begab sich des Nachsinnens, schnitt ein zufriedenes Gesicht und stieg von der Bodenkammer in den Laden hinab.

Als er die Tür öffnete, bemerkte er Tibertius im Gespräch mit seinem Lehrling, und ersteren im Begriff, die Frisierstube zu verlassen.

»Ah, was verschafft mir die Ehre?« hub der Barbier an und eilte auf den Provisor zu, während er mit einem kurzen, herrischen Blick den jungen Mann an seinen Platz verwies. Dieser arbeitete an einer Perücke für den Inspektor Blume.

Tibertius trat in den Laden zurück und richtete die Frage an Glitsch, ob er bei seiner bevorstehenden Hochzeit als Lohndiener fungieren könne. In acht Tagen werde er getraut.

»Gewiß! Mit Vergnügen, mit Vergnügen!« erklärte Glitsch. »Ich hörte bereits, daß Sie vor dem frohen Ereignis ständen, aber ich hatte nicht vermutet, daß so bald –«

»Allerdings, es hat sich früher gemacht, als ich erwartet, ist mir deshalb aber um so erwünschter!« bestätigte Tibertius in seiner gutmütigen Art.

»Natürlich, natürlich! Ich bin ja nun auch soweit,« pflichtete der Barbier in einem devoten und zugleich gehobenen Tone bei. »Morgen werde ich in der Domkirche getraut. Hm – – Und schon alle Einkäufe gemacht, Herr Tibertius? Nichts gefällig? Feine Seifen, vielleicht Eau de Cologne, echte Eau de Cologne, Jühlichsplatz!? Bürsten, Kämme, Parfümerien? Nicht ein kleines Geschenk für das Fräulein Braut? Brillante Haarnadeln, echt vergoldet!«

Aber Tibertius dankte und ging. –

Der nächste Tag schien sich besonders für Glitschs Hochzeit geschmückt zu haben. Die Sonne sandte wahre Goldströme herab, und wunderbar klang es, als nachmittags die Kirchenglocken ihre feierlichen Töne in die stille Luft ergossen. Neugieriges Volk stand vor dem Kirchenportal, als der Hochzeitswagen erschien, und einige hundert Menschen fanden sich in der Kirche ein, um Mile Kuhlmann und Glitsch vor dem Altar zu sehen.

Freilich, wenn man die Braut betrachtete, schien es, als ob der Herbst dem Winter einen Besuch abgestattet habe. Der Schleier, der frische Kranz und das seidene Kleid gaben der Gestalt noch etwas Erfreuliches, aber Miles Gesicht stand zu alledem nicht im Einklang. Glitsch dagegen schritt an der Seite seiner Braut mit einer Miene einher, als ob er gewohnt sei, jede Woche einen so feierlichen Akt zu begehen.

Während die Versammelten andächtig zuhörten, wie Pastor Engel dem Paare ins Gedächtnis rief, daß ohne Gottes Segen und ohne Befolgung seiner Gebote kein Glück in eines Menschen Brust wohnen könne, war Mutter Nissen in der neu eingerichteten Wohnung beschäftigt, alles für den Empfang der Hochzeitsgäste herzurichten und die eingetroffenen Geschenke aufzubauen. Heinrich hatte dem Barbier eine Summe Geldes übersandt (»zugleich als Dank für die sorgfältige Pflege während meiner Krankheit!« stand auf der Karte), und von Dora war für Mile ein ganzer Korb voll schöner Dinge abgegeben worden. Daß Tibertius und Christine nicht fehlten, versteht sich. Auch deren Karte trug eine Bemerkung, die nur Eingeweihte verstanden.

Mile begriff nicht, daß die alte Nissen sich die Gelegenheit entgehen ließ, an einer Feier teilzunehmen, der sie selbst aus bloßer Neugierde unzählige Male in ihrem Leben beigewohnt hatte.

Es sei, äußerte die Alte, meist ein zu unüberlegtes Spiel, das die Menschen mit ihrer Vernunft treiben. So habe einmal die Pfennigmeisterin Otzen gesagt, bei der sie früher in Dienst gestanden, und auch sie müsse dem beistimmen. Heiraten möge gut sein, aber sich nicht versuchen lassen, sei besser! Man war so sehr gewohnt, daß die alte Frau ihre eigenen Wege ging und von den üblichen Auffassungen abweichende Ansichten äußerte, daß man denn auch nicht weiter in sie drang. Es war zudem sehr angenehm, den Braten bei der Rückkehr fertig zu finden, überhaupt jemanden im Hause zu wissen, der noch einmal all dem nachhalf, was Mile und Emma in den letzten Tagen für die Hochzeit vorbereitet hatten.

Außer Mutter Nissen war die Waschfrau geladen, ferner eine alte Tante von Glitsch, ein Drechslermeister mit seiner Frau, ein unverheirateter Stuhlmacher, der seit Jahren ein Auge auf Emma geworfen hatte, ein Tischlermeister mit seiner einzigen Tochter, eine ältere Freundin und Klatschschwester Miles, die Putzmacherin war, und endlich zwei unverheiratete Magistratsbeamte, Bekannte von Glitsch. Die Leute sahen aus, als sie, von der Kirche kommend, dem Wagen entstiegen, als ob sie sich in einem Maskengarderobengeschäft Anzüge geliehen hätten. Alles saß so ungewohnt und paßte so wenig zu den Physiognomien und Bewegungen des Kleinbürgervolkes!

So hingen dem vorlauten, ein überaus schlechtes Hochdeutsch redenden Tischlermeister die Bandfäden eines Vorhemdes über den Rockkragen heraus. Das Kleidungsstück selbst war vorn zu eng und hinten zu hoch geschnitten, so daß es höchst merkwürdig saß. Seine Tochter trug fettglänzende Locken, war mit vielem unechtem Schmuck behangen und begleitete jeden Satz, der gesprochen wurde, mit einem fragenden »Dja? Dja?« Diese Jas konnten eine Kiste füllen, wenn man sie sammelte.

Die überdicke Tante, in einem Kleide mit ungewöhnlich kurzer Taille, faltete die Hände in solcher Entfernung über dem Körper zusammen, daß man unwillkürlich gerade auf diesen ungewöhnlich stark hügeligen Ort den Blick richten mußte.

Der Stuhlmacher trug einen überlangen, altmodischen Gehrock und sah erstaunenswert einfältig aus. Wenn er lachte, bemerkte man eine runde, fette Zunge, die sich wie ein Pendel im Munde hin und herbewegte. In der Tat lispelte er auch.

Um die Putzmacherin roch es wie ein Manufakturladen, in dem Kalikostoffe verkauft werden. Sie besaß einen schiefen Hals, zweifelsohne, weil sie unzählige Jahre bei der Arbeit die mit Schleifen und Blumen zu schmückenden Hauben und Hüte zur besseren Musterung seitwärts von sich abgehalten und so mit prüfendem Auge betrachtet hatte.

Die Waschfrau, Frau Bergmann, hatte sich zurechtgemacht, als wolle sie sich bei einem Gutsbesitzer zur Verscheuchung der Spatzen auf dem Felde vermieten. –

Der Tisch war hübsch und sauber gedeckt. Emma kam, der Küche zunächst, ans Ende zu sitzen und übernahm neben einem kleinen, blassen Mädchen, einer Nichte der Waschfrau, die Aufwartung.

Es verlief auch alles vortrefflich. Ungeheure Portionen Fisch wurden verzehrt, und diesem Gericht folgte eine Kalbskeule. Als die letztere bereits einen bedenklich kahlen Knochen zeigte, und die Zeit beim Kompottschlürfen soweit vorgeschritten war, daß der rote Kalbsbratensaft bereits in der Schüssel gerann, nahm die Stimmung, durch reichliches Trinken befördert, einen ungemein lebhaften Charakter an. Der Tischler hielt – immer mit den beiden Bandenden hinten – eine überaus törichte Rede, und die Tante war nach ganz außerordentlichen Ausfällen auf das Gebotene schon gezwungen, sich beim Händefalten über der bedenklichen Partie auf die Berührung der Daumen zu beschränken. Bei der Makronentorte begann die Tochter des Tischlermeisters mit dem Stuhlmacher zu liebäugeln, und Emma blickte, das Kranzstück des Kuchens unberührt auf dem Teller vor sich liegen lassend, eifersüchtig und blaß vor Ärger hinüber.

Mile war laut und unfein, benutzte den Daumen der linken Hand als Zahnstocher und drückte mit der andern Glitschs knöcherne Finger unter dem Tisch. Die alte Nissen, in einem schwarzen Kleide und mit einer einfachen Haube auf dem Kopf, ging in ihrer ruhigen Art und mit ihrem stillen Wesen geräuschlos ab und zu und hörte und sah ihr Teil, ohne sich hineinzumischen. Die Magistratsbeamten hatten sich in eifrigem Gespräch zusammengefunden und behandelten übereinstimmend das Kapitel von der Halbfähigkeit und der Bequemlichkeit ihrer Vorgesehen.

Der Drechslermeister, der Nieteschwanz hieß, saß stumm und fleißig beim Essen, und weder er noch seine kleine, magere Frau mit dem Seitwärtsblick eines Kanarienvogels traten irgendwie hervor.

Als der Punsch kam, wurde die Unterhaltung allgemein, denn nun begannen alle zu singen, und der Tischler schlug so heftig auf den Tisch, daß eins von Miles neuen Gläsern umfiel und zerbrach. Die Schneiderin aber lohnte ihm dafür mit keinem sehr gnädigen Blick. Es war bezeichnend, daß Frau Nissen, ohne Worte zu machen, rasch die Scherben forttrug. Wurde die Ursache des Ärgers beseitigt, so schwand auch der.

Alle sangen: »Lasset die feurigen Bomben erschallen, piff paff, puff und Fallerallera! Unser Nieteschwanz, der soll leben, und seine liebe Frau daneben! Es lebe die ganze – Nieteschwänzerei!« – »Schwänzerei!« wiederholte der Tischler laut unter dem Lachen der anderen. Als man an den Stuhlmacher kam, war jeder begierig, wen aus der Gesellschaft man ihm als Braut beigeben werde. In stillem Einverständnis ertönte Emmas Name aus allen Kehlen. Nun konnte es jedoch fraglich sein, welche Emma gemeint war; auch die Tischlertochter hieß so. In der Tat schrie Glitsch schon während des Singens: »Welche Emma!?« Hierauf unmäßiges Gelächter und tiefstes Erröten beider Jungfrauen.

Alsdann schlug der boshafte Glitsch, in der Hoffnung, daß seine Schwägerin durchfallen werde, vor, daß man noch einmal singen möge. Die Schwester seiner Frau solle zur Unterscheidung Emma Kuhlmann genannt werden. Letztere machte lebhafte Einwendungen. Aber Lust am Unsinn und Übermut hatten schon so sehr die Oberhand gewonnen, daß darauf keine Rücksicht genommen wurde. Der Gesang begann von neuem. Die Folge war, daß Emma in die Küche ging und ihren Zorn ausweinte. Erst nach vielem Zureden ließ sie sich bewegen, wieder zurückzukehren. Die lebhafte Stimmung erlitt durch diesen Zwischenfall für kurze Zeit eine Beeinträchtigung, aber der Alkohol übte nun nach anderer Richtung seine Wirkungen aus. Die Tischgäste wurden zärtlich untereinander, auch Miles Kopf sank an Glitschs Schulter, und mit ihrem zahnlosen Munde flüsterte sie ihm allerhand Heimlichkeiten zu, denen er mit einem gemeinen Lächeln zuhörte.

Dann aber erhob sich der Barbier und brachte das Wohl seiner Gäste aus. Er sprach wie ein Unterstaatssekretär, und als er seiner lieben Frau Emilie gedachte, bohrte diese verlegene Blicke auf den Kuchenteller. »Das walte der Himmel!« schloß Glitsch salbungsvoll und stieß, nicht ohne Grund, zuerst mit seiner Tante an, da sie neben anderen Erbgegenständen fünfhundert Taler in der Sparkasse ruhen hatte und zufolge ihres Alters und ihrer Fettsucht nicht lange mehr leben konnte!

Unliebsamerweise fing der eine Magistratsbeamte einen heftigen Streit mit dem Drechslermeister an. Es handelte sich um eine gestohlene Scheunentür. Nieteschwanz nahm für einen Verdächtigen Partei, während der Beamte ihm aus den Akten nachzuweisen suchte, dieser und kein anderer müsse der Täter sein.

Als die Sache bedenklich, deshalb bedenklich wurde, weil der Verteidiger dem Ankläger leichtsinnige und ehrenrührige Behauptungen vorwarf, mischte sich Frau Nissen hinein und sagte: »Nu lassen Sie doch die alten Bretter laufen. Die Ostsee tritt ja nicht über, wenn's nicht entdeckt wird. Halten Sie nu man Frieden. Sie können ja morgen weiterstreiten!«

Beide schwiegen auch in der Tat, und es gelang dem Tischler, der sich stets als Vermittler aufzuwerfen pflegte, den Rest der Verstimmung zu beseitigen. Die Erzürnten stießen schließlich miteinander an, ja die Versöhnung wurde durch einen Kuß besiegelt.

»Bravo, bravo!« riefen die übrigen, rückten mit den Stühlen und steckten sich nunmehr Pfeifen und Zigarren an.

Inzwischen überhäufte Mile ihren Gatten auch ferner mit Zärtlichkeiten. Sie küßte ihn wiederholt, wobei er ein Gesicht machte, als ob man ihm Salmiakspiritus in den Mund geschüttet hätte.

Der Stuhlmacher, seinen Bräuten ganz abgewandt, sang, selig berauscht, ohne von irgend jemand die geringste Notiz zu nehmen, ein Lied vor sich hin. »Im Wald und auf der Heide, da such' ich meine Freude. Ich bin ein Jägersmann, ich bin ein Jägersmann!« Er war bereits beim fünften Vers. Der Punsch war ihm besonders in den Kopf gestiegen, und da aus dem Trunkenen die Wahrheit spricht, so befanden sich die beiden Emmas in einer sehr hoffnungslosen Stimmung.

»Ihre Gesundheit, Herr Hennigsen!« nahm die Tischlerstochter das Wort und trank ihm über den Tisch zu.

Der Stuhlmacher erhob den Kopf, öffnete den Mund, zeigte die runde Zunge, nickte und fuhr dann mit gleicher Beharrlichkeit und ohne zu Zärtlichkeitsbeweisen aufgerüttelt zu werden, mit Singen fort. Dabei schwirrte es im Kreise laut. Lachen, Schwatzen, Jodeln und Gläserklingen tönten durcheinander. Der Dunst des Punsches und der Dampf der Zigarren erfüllten benebelnd den Raum. Der Tischler wurde zärtlich mit der Putzmacherin, die überlaut auf seine Scherze einging.

Der allgemeine Wirrwarr stieg; die Laune artete aus. Auch bei der Waschfrau kamen die geheimsten Gedanken zum Vorschein; sie begann ganz grundlos einen Streit mit der alten Nissen, die bereits beim Tischabräumen beschäftigt war und still aus und ein ging. Mile lallte, Glitsch hielt Reden, der Tischler polterte. Die Gesellschaft befand sich in einem wahren Taumel und auf dem Höhepunkt schrankenloser Ausgelassenheit, als plötzlich – entsetzlich ernüchternd für alle – von der Straße her Feuerlärm, lautes Blasen und der Ruf: »Langes Speicher brennt!« erschallten. Und da nun auch die Sturmglocken schon ertönten, schoß die erschrockene Gesellschaft, alles im Stich lassend, wie elektrisiert empor und rannte auf die Gasse. Nur zwei blieben sitzen: die beiden Nieteschwanz. Sie zog rasch ein Schnupftuch aus der Tasche und packte Kuchen und Apfelsinen hinein. Nieteschwanz aber, Vater von Vieren, machte sich allerschleunigst über den Rest der Äpfel her. Sodann verließen auch sie den Schauplatz der Ereignisse, und so endete dieses denkwürdige Gelage.


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