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Gertrud machte sich schwere Gedanken über das Schweigen Röbis und über die Hoffnungslosigkeit ihrer Liebe. Etwas Unstetes, Gezwungenes und Sprunghaftes kam in ihr Wesen. Oft arbeitete sie wie eine Magd streng und anhaltend, oft ließ sie die Hände müßig in den Schoß sinken. Dabei zerfiel sie, ihr blühendes Gesicht wurde blaß und schmal, die blauen Augen standen ihr zu groß darin, sie ging, der Welt abgestorben, wie ein Schatten an der Wand.
Auch Balz ließ den Kopf hängen. »Ich habe es mit dir und Röbi so gut gemeint, –nun muß ich dich noch so leiden sehen!«
Da wurde ihr Gesicht hell, die alte, liebe Schelmerei huschte darüber.
Für ihn hatte sie stets ein Lächeln, oft sogar ein Lachen, als vergesse sie für ein Paar Augenblicke den Gram, in den sie sich seit der Unterredung mit dem Vater eingesponnen hatte.
»Balz, spiele doch wieder einmal das Lied: Stirb, Lieb' und Freud'!« bat sie.
Er erfüllte ihren Wunsch.
Das Lied von der Nonne war ihr Leiblied geworden. Oft sprach sie mit ihm den Abend dahin über das Mädchen im Dom, das den Liebsten ließ. »Gewiß ist sie im Kloster bald darauf gestorben. Was ist ein Leben ohne Liebe? Denen, die sie nie gekannt haben, mag es ja leichter gehen, –aber wenn man einmal glücklich gewesen ist? –Balz, ich wollte, ich wäre ein Mann. Dann ginge ich hinaus in die Welt. Mein Los aber ist, daß ich hier bei meinem Vater auf dem Freihof bleiben muß und sein Alter pflege. –Wie fällt mir der Gehorsam so schwer!«
Sie versank in ein schmerzliches Brüten.
Sorgenvoll beobachtete der Freihöfler sein seltsam gewordenes Kind. Was sann Gertrud Tag und Nacht? –Auch gegen den harmlosen Balz war er mit Mißtrauen erfüllt und wünschte ihn heimlich vom Hof. Aber daran, daß er ihm einen Wink gegeben hätte, hinderte ihn sein Gerechtigkeitsgefühl. Nein, nicht Balz, sondern nur Gertrud war an dem stillen Zerwürfnis schuld, das wie Stickluft in dem früher sonnig friedlichen Freihof lag.
Die Heuernte kam. Das Futter stand so schön wie noch nie, aber es freute ihn nicht, und mitten in der Ernte wurde Wälti, der alte, treue Knecht, der schlechten Laune seines Herrn überdrüssig, nahm das Herz in beide Hände und kündigte ihm auf das Ende der Ernte den Dienst.
»Seid ihr alle des Teufels!« rief der Freihöfler. »Ihr wollt gehen –die Vree spricht von Altersbeschwerden –Gertrud spinnt –nur Balz, den ich am billigsten gäbe, ist es wohl auf dem Hof.«
Es gelang ihm, Wälti zu beschwichtigen, wobei er sagte: »Ihr müßt mich entschuldigen –ich leide an verstocktem Blut und sollte eine Badekur haben. Das ist, wenn man altert, jeden Sommer nötig.«
Er besorgte mit seinen Leuten in den hochgelegenen Bergwiesen das letzte Heu. Ein Gewitter zog am Himmel auf, er selber leitete die Zugtiere; auf der eiligen Fahrt aber stürzte der Wagen an einem Straßenbogen, den er zu knapp genommen hatte, den Abhang hinunter, und nun verdarb die wertvolle Ladung im losbrechenden Regen. Auf sich selber zornig trat er in die Stube, um den Ärger mit einem Trunk Apfelsaft zu sänftigen. Da wurde er noch wilder, denn eben legte Gertrud, die ihm voran ins Haus getreten war, die Wange schmeichelnd an die Balthasars, der in ein Buch versunken am Fenster saß.
Wie ein Flämmchen richtete sich seine Stirnlocke empor, aber er schwieg.
War Gertrud in Balz verliebt? –Um Gottes willen nur das nicht!
Er wagte es nicht, ins Bad zu fahren, bevor er darüber eine Beruhigung erhalten hatte.
Wieder saß er mit ihr in einer heißen Auseinandersetzung am Tisch.
»Merkst du das erst jetzt, Vater? Ich will ihn heiraten!« In ihren Zügen lag eine verhaltene Kampfbereitschaft.
»Das ist ja verrückt!«
Der Freihöfler verwunderte sich, daß nicht ein Erdbeben das Haus erschütterte.
»In meinem Kopf bin ich völlig klar,« sagte sie fest. »Hör mir zu, Vater! –Wunden Herzens anerkenne ich die Gründe, die du gegen eine Ehe zwischen Röbi und mir ins Feld gefühlt hast. Ich glaube selber, daß sich die Erinnerung an Balz und den unglücklichen Ostermontag bedrückend an uns heften könnte, –wenn Balz stirbt! Ich fürchte auch, daß Gritli Geißmann mit blassem Gesicht darein blicken würde. So habe ich den Kampf um Röbi in mir ausgerungen. Daß ich darüber nicht schon weiße Haare habe, verwundert mich selbst. Ich will aber auch meinen Teil an Liebe –ich will keine alte Jungfer werden!«
»Niemand zwingt dich!«
»Ich will einen Mann nach meinem Herzen! –Gut, kann es nicht Röbi sein, so Balz! Ich mag ihn mehr als irgend einen jungen Bauernburschen und weiß, was ich an ihm habe und auf wie viel ich mit ihm verzichten muß. Von einer jauchzenden Liebe wie zu Röbi ist keine Rede, aber sie ist groß genug, daß ich mit ihm ein glückliches Weib werde –und wenn es nur ein halbes Jahr ist!«
Sie sah ihm mit einem Strahl der blauen Augen frei ins Gesicht.
Er aber fand kein Wort, –er keuchte, stand auf und lief durch die Stube.
»Vater, ich habe Balz nach dem Ostermontag das Leben durch meine Pflege gerettet, –er ist mein! –Wo ist sein überspanntes Wesen geblieben, seine tollen Redensarten? –Sein Heißhunger? –Keine Spur mehr davon! –Wenn das Geschick uns nur ein paar gemeinsame Jahre schenkte, er würde neben mir ein Mann, der sich sehen lassen darf. Gewiß, Vater!«
In ihren Augen stand der große Glaube.
Er stellte sich vor sie hin. »Ich fasse den Plan aber doch nicht, mir wendet und bricht es das Herz. Du weißt gar nicht, wie ich dich lieb habe, Gertrud. Wie kannst du dein Herz an den armseligen Gesellen hängen, der mit einem Fuß schon im Grabe steht?«
Bitter erwiderte sie: »Ich bin seit Ostern in Leid und Schmerz um zehn Jahre gereift und gealtert. Nur ein Gutes hat mir unterdessen das Leben gegeben. Als ich Balz pflegte, merkte ich, daß der Mensch die eigenen Qualen vergißt, wenn er sich um andere bangt, und daß ich das mir früher unbekannte Sorgen verstehe. –So sehe ich meinen Weg und will keinen anderen gehen!« –-
Gegen Morgen schlich sich der Freihöfler in die Stube und schrieb einen Brief an Röbi; als er ihn aber durchgelesen hatte, zerriß er ihn und verbrannte die Stücke, damit Gertrud nichts davon entdecke. –Nein, mit Röbi hatte er gebrochen, und dabei blieb's!
Nirgends fand er Rast noch Ruhe, und er verzichtete aus lauter Sorge auf die Fahrt ins Bad.
Weder er noch Gertrud verrieten Balz ein Wort von ihrem Handel, aber der ziemlich Genesene glaubte aus den Augen und dem Benehmen des Friedensrichters eine verhaltene Ablehnung zu spüren. Ihm wurde auf dem Freihof stets weniger geheuer.
Es war sein Los, daß er wieder hinaus in die Welt und unter die harten Menschen wanderte. Wie aber das Brot verdienen mit seinem schwachen Leib, wie leben ohne die Nähe Gertruds? -
So kam der Herbst. Auf dem Hof litten alle, ohne daß etwas geschah. Gertrud wollte den Zorn des Vaters nicht noch mehr reizen, sie war eher zurückhaltender als zutunlicher gegen Balz, eine blasse Schweigerin, ein in der Liebe verirrter Vogel, der nicht wußte, wohin sich mit seinen Flügeln wenden. »Stirb, Lieb' und Freud'!«
In diese stille Zeit fiel ein Ereignis, das die gesamte Gemeinde wieder an Röbi erinnerte.
Frau Heidegger, seine Großmutter, die stets eine etwas schwermütige Frau gewesen war, hatte in einer Mondnacht in einem tiefen Gumpen des Runsbaches den Tod gesucht, und am Morgen war die Leiche gefunden worden.
Gertrud freute sich und litt zugleich bei der Nachricht von dem Hinschied der Alten, die sie nie geliebt hatte. O, nun sah sie bei der Beerdigung doch Röbi wieder einmal! Zugleich aber beklemmte sie die Frage: wie ihm gegenübertreten?