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4

Noch schaute Gertrud sinnend in den Abend und dachte an den wunderlichen Gesellen.

Da schritt ein Wandersmann von dem im Frühlingsfrieden ruhenden Dorf die Bergstraße heran. Nachdem er kaum an den niederwärts ziehenden Handwerksleuten vorübergegangen war, begann er zu jauchzen und zu jodeln. An den eigenartigen Modulationen erkannte sie die Stimme. Ihr Herz sprang hoch: »Das ist Röbi!« Sie schnellte empor, lief ins Freie, stieß auch einen Jauchzer aus, ließ ihr Tüchlein wehen und eilte rasch entschlossen bergab, dem Geliebten entgegen.

Ja, dort kam Röbi, das Urbild elastischer, stolzer Jugend. Jetzt verdoppelte er den leichten Schritt, warf den Hut in die Luft, und wieder lief ein Jauchzer aus tiefster Brust über die Bergmatten und ein heller Ruf: »Grüß dich Gott, Trudi!«

»Röbi, willkommen!«

Da lag sich das Paar in den Armen, küßte sich innig, wieder und wieder, und schritt nun, die Arme eng verschlungen, bergan.

Obgleich Gertrud selber eine stattliche Gestalt war, überragte sie der junge Mann mit schlanker, spannkräftiger Erscheinung um den halben Kopf. Er weidete sich an ihrem frischen Wesen.

Ihr Blick hing forschend an seinem freien Gesicht, über das sich die frischrote Schmarre des Säbelhiebes wie ein blutgetränktes Bündchen bis gegen das Ohr hinzog.

»Du –schön ist der Schmiß nicht,« sagte sie mit einem Lachen, das einem Seufzer glich.

»Magst du mich nicht mehr?« Er ließ siegesbewußt die Augen blitzen.

»O du,« erwiderte sie zärtlich und drückte ihm einen sanften Kuß auf die Narbe. »Was müßte alles geschehen, bis ich dich nicht mehr möchte, du Böser –du Lieber!«

»Gelt!« erwiderte er freudig. »Aber dein Vater ist wohl recht zornig auf mich?« setzte er ernst hinzu. »Wie man in Haldenegg über den Schmiß denkt, davon habe ich bereits durch die Großmutter, bei der ich den Mantel abwarf, eine Vorprobe bekommen. Nun, auf den Universitäten und in den Städten überhaupt beurteilt man dergleichen eben anders als hier auf dem Dorf. Ihr werdet euch drein finden müssen!«

Plaudernd und kosend erreichte das Paar den Freihof.

Röbi hielt den Schritt an. Er setzte sich auf die Bank. Ihre Augen schweiften hinaus in die abendlichen Lande und auf die von Goldrauch überschwebte Silberplatte des Sees. Er zog Gertrud zu sich heran. –»Heimat. –Heimat! Wer hat eine schönere Heimat als wir!« Er sprang begeistert auf, lachte Gertrud mit flammenden Augen glückselig zu und umarmte sie. »Und du, du bist das edelste Kleinod der Heimat! Was ich in der Stadt für ein Heimweh nach dir gehabt habe, süße Trudi! Und bei Gott, nicht umsonst! Wenn ich dich ansehe, ist mir, ich atme in einer reineren und besseren Welt, ich müsse wieder fromm werden, wie ein Knabe, der sein Abendgebetchen spricht. Weißt, du bist mein Sonnenstrahl, ich kann mich nicht satt an deinen blauen Augen schauen. Nein, an dir ist nichts vom Geklügelten der Stadt –und blickst doch so klug in die Welt –warmblütig und klar und frisch wie der Frühlingsmorgen –Trudi –Trudi -«

»O Röbi -« hauchte sie selig und fuhr ihm mit zager Hand durch die kurzgeschnittenen, dunkeln Locken. Wie die Flur den warmen Lenzregen, ließ sie seine stürmische Wiedersehensfreude über sich ergehen.

Im Drang, im Gären und Brausen der Jugend fuhr er fort: »Es ist um deinet- und meinetwillen mein fester Vorsatz, meine Studien von jetzt an ohne Ablenkung durchzuführen. Ich bin mir über meine Zukunft klar geworden. Sie ist hier in Haldenegg, hier auf dem Freihof! Anderthalb Jahre noch, schlimmstenfalls zwei Jahre, dann habe ich die Universität hinter mir. Und ich werde gewiß kein Advokat, der alle möglichen sauberen und unsauberen Prozesse führt, sondern ein Anwalt des natürlichen und wirklichen Rechts, ein Fürsprecher namentlich für jene, die aus mannigfaltigen Gründen des Lebens zu schwach sind, ihr gutes Recht selber zu verteidigen.«

In einem Strom jugendlichen Feuers floß ihm die Rede vom Mund.

Gertrud hing mit bewundernden Blicken an ihm.

Als er Atem holte, lachte sie: »Du, Röbi, mir ist, du verschwendest hier vor dem Haus das Schönste und Beste, was du in der Seele hast. Sprich drinnen vor Vater so! Wenn er hört, daß du deine Studien beschleunigen willst, was für gute Vorsätze du für deinen künftigen Beruf in dir trägst, so ist es gewiß der sicherste Weg, daß er seinen Groll gegen deine Mensurgeschichte aufgibt und wieder in einen herzlichen Frieden mit dir kommt. Ein wenig ducken mußt du dich vor ihm, das geht nicht anders!«

Röbi lächelte verständnisvoll und schmerzlich zu ihrer Weisheit. »Ja, wir wollen ins Haus –vors Gericht!«

Als sie in die Türe traten, rief Vree: »Der Friedensrichter ist oben, er hat noch für eine außerordentliche Gemeinderatssitzung, die diesen Abend stattfinden soll, zu tun.«

»Nein, ich komme gleich hinunter,« hörten sie die Stimme des Freihöflers.

Da war er schon!

Röbi ging mit jugendlicher Mannhaftigkeit auf ihn zu: »Vater, grüß Gott!«

Gertrud aber erkundigte sich: »Was, du hast eine Sitzung am Vorabend des Palmsonntags?«

»Wir haben irgendwo Wasserbruch in der Leitung, welche die Dorfbrunnen speist. Da ist die Beratung dringend,« warf der Alte hin und benutzte das kurze Gespräch, um die dargestreckte Hand Röbis zu übersehen.

Nun erst wandte er sich zu dem jungen Manne, schleuderte einen vorwurfsvollen Blick auf sein durch die Narbe entstelltes Gesicht und begann schwer: »Grüß dich Gott, Student! Wenn du nur nicht glaubst, ich hätte eine Freude an dir, wie du vor mich hintrittst. Dein Vater würde sich im Grabe drehen, wenn er sähe, wie sich sein Einziger das ihm von Gott gegebene Gesicht übermütig hat schänden lassen. Ich habe stets gemeint, daß Leute von Bildung dem gewöhnlichen Volk mit dem guten Beispiel der Gesittung und der Achtung vor den Gesetzen vorangehen sollen. Du aber tust das Gegenteil: du pflegst einen vom Ausland in unsere akademische Jugend herübergeschleppten, gesetzwidrigen Unfug. Studenten, die sich mit dem Säbel zerschlagen, stehen in meiner Achtung nicht höher als Alpknechte, die sich mit Holzscheitern verprügeln. Sperrt man jetzt einen Raufbold wegen Friedensbruch ein, kann er seinen Richter mit Recht fragen: Wo bleibt die gleiche Elle? Röbi Heidegger läuft doch frei herum!«

Der Freihöfler gebot über eine Beredsamkeit, die im Klang der Stimme noch mehr als in den Worten zum Ausdruck kam, und das Spiel der Züge im ehernen Bauerngesicht unterstützte sie mächtig.

»Das geht zu weit!« knirschte Röbi.

Gertrud bat ihn mit den Augen, daß er jetzt den Vater nicht reize.

Der Freihöfler aber nahm das Wort auf. »Zu weit!« höhnte er mit gesträubter Stirnlocke. »Nein, Röbi! Wer sich heute auf eine so fragwürdige Sache wie einen Zweikampf einläßt, wohin führt den morgen die Unbesonnenheit und das wilde Blut? –Ehe er daran denkt, kommt durch einen unüberlegten Streich ein Flecken auf Gewissen und Ehr'. Nur das nicht, Röbi! Du hast an diesem einen Schmiß genug. Du wirst ihn in deinem Leben noch oft bereuen müssen, namentlich, wenn du einmal nach Ehren und Ämtern trachtest. Unser Volk ist in derlei Dingen empfindlich, und deine Gegner werden die Narbe stets gegen dich ausnützen: Trüge er sie, wenn er in seiner Jugend nicht ein Rohling gewesen wäre, wenn er seine Studienzeit nicht verbeutelt hätte? –Und es wird dir schwer fallen, das Gegenteil zu beweisen. Hierzulande ist unter den Männern von Ansehen, von Amt und Würden, von denen einige doch auch die Universität besucht haben, keiner, der sichtbar die Spuren einer wilden Jugendzeit mit sich herumträgt. Sie alle haben ganze Gesichter. Nur hinten im Dorf Irschen sitzt einer, der hat allerlei Mensurnarben aus Leipzig heimgebracht.«

»Nein, mit dem geringen Doktor Löhl in Irschen lass' ich mich nicht vergleichen!« brauste Röbi gekränkt auf.

»Wenn ich es nicht tue, so werden es doch andere tun,« erwiderte der Freihöfler fest. »Du kannst dir nicht helfen, du stehst vor der Volksmeinung mit deinem Schmiß im Schatten jenes verbummelten Arztes, der wegen Pflichtvernachlässigung und verbotener Handlungen schon im Gefängnis gesessen hat.«

Röbi, der sich bis dahin tapfer gehalten hatte, machte eine Bewegung, wie wenn er zur Türe hinausstürmen wollte.

Auch Gertrud weinte laut auf.

Da brach der Freihöfler sein Donnerwetter ab. »Du kennst jetzt meine Meinung über die Mensur,« wandte er sich milder an Röbi, »jetzt können wir uns Grüßgott sagen. Wenn ich es dir auch ein bißchen scharf gemacht habe, so kommt es doch aus einem redlichen Herzen. Ich bin dir die Vorwürfe nicht nur wegen deines verstorbenen Vaters schuldig, sondern auch Gertruds wegen, da ihr nun doch im stillen versprochen seid. Sie ist mein Letztes und Einziges auf der Welt, und es kann mir nicht gleichgültig sein, auf was für Wegen mein künftiger Schwiegersohn wandelt.«

Seinen Zorn noch um eine Stufe senkend, wandte er sich an die Tochter: »Hole mir und Röbi eine Flasche Apfelsaft. Wir wollen immerhin auf das Wiedersehen anstoßen, ehe ich in die Sitzung gehe. –Also, Röbi, willkommen in Haldenegg und auf dem Freihof!« Er ließ die Gläser aneinanderklingen. »Ich spreche nie wieder von dem Schmiß –ich vertraue dir, daß du die Scharte auswetzest. –Kopf hoch, Röbi!«

Seine starken Augen strahlten den jungen Mann mit väterlich überredender Güte an.

Röbi mußte dem Alten den Sieg lassen, aber der Vergleich mit dem pflichtvergessenen Kurpfuscher blieb ein Stachel in seiner Seele.

»Ich hätte nun gern noch manches mit dir geplaudert,« versetzte der Freihöfler, »doch die Sitzung ist dringend. Wir haben seit ein paar Tagen einen zunehmenden Wasserverlust an unseren Brunnen; wo aber der Bruch steckt, wissen wir nicht recht. Wahrscheinlich weit hinten im Runstal, dort, wo der Abhang jeden Frühling ins Rutschen kommt. Nun hat der Brunnenmeister die Leitung untersucht und gibt uns heute noch seinen Befund ab.«

Damit ging er, und die Jugend zürnte ihm nicht.

Als aber Vree das Abendbrot brachte, sagte Röbi: »Nein, ich kann nicht essen –den Schimpf überwinde ich nicht!«

Auch Gertrud rührte das Essen kaum an.

»Komm, Röbi!« flüsterte sie lind und zog ihn auf die mit schwarzem Leder überzogene Ruhebank im Hintergrund der Stube. »Der Vater hat es dir allerdings zu scharf gemacht, wir wollen uns aber freuen, daß wir wieder einmal beisammen sind!«

Sie fuhr ihm mit den Fingern weich über die verfinsterte Stirn. »Du bist ja doch mein alles, Röbi! Und ich habe die Gewißheit, daß unsere Zukunft gut wird. Wo wäre ich geborgen wie bei dir! Das weiß auch der Vater!« -

Die Hände über den Knien gefaltet, saß Röbi mit gesenktem Kopf und ließ die tröstenden Worte Gertruds über sich ergehen.

»Röbi –mein Röbi!« schmeichelte sie ihm liebevoll. »Mir ist keine Spur angst um dich. Was du diesen Abend vor dem Haus von deiner Zukunft gesagt hast, das hat mich ja bis ins Herz gefreut. Und wie tief! –Schau mich an!« Mit sanfter Kraft nahm sie sein Gesicht in beide Hände: »Röbi –Röbi!« und sie drückte einen Kuß auf seinen Mund, lind wie ein bloßer Hauch.

Da sprang er auf und umarmte sie stürmisch.

»Wer kann dir widerstehen, du Süße, du Liebe! Du hast Recht, wir wollen uns freuen, daß wir wieder beisammen sind!«

Er lachte herzlich, ein wundersames Glück strahlte ihm aus den Augen. »Nein, bei Gott, wer dich sein eigen nennt, der darf den Kopf nicht hängen lassen!«

Er zog sie an die Brust und küßte sie feurig auf das blonde Haar, so feurig, daß sie sich ihm unter Erröten und Lachen zu entwinden suchte.

Dabei entglitten ihrem Scheitel die Schildpattnadeln und Kämme, und die Zöpfe rollten in ihren vollen, starken Strähnen über Brust und Rücken, über die Knie hinab.

Nun ließ er die noch tiefer Errötende los und betrachtete sie strahlend. Als sie die Zöpfe mit flinken Händen wieder auf das Haupt stecken wollte, bat er: »Nein, laß! Nur ein paar Augenblicke laß! Du bist in dem offenen Haar schön wie die Eva –du weißt nicht, wie schön, Trudi!«

Seine Blicke bettelten.

»Du bist aber ein Wilder!« zürnte sie und blitzte ihn mit den Augen halb schämig, halb lustig an. »Im übrigen, wenn ich wüßte, Röbi, daß du deine guten Vorsätze hieltest, so würde ich mich schon ein wenig zu dir hinsetzen, wie ich da bin, –ich gehöre ja doch einmal dir.«

»So komm!« rief er, war wieder der fröhliche Röbi mit dem fast kindlichen Mutwillen, und mitten im Liebesgekose erging sich das Paar in hohen Hoffnungen und Wünschen der Zukunft.

»Wirklich, ich bin mit ganzer Seele Jurist,« sagte Röbi mit freudigem Ernst, »nur kein Freund des Formalismus, des abstrakten Rechtes, sondern ein Freund des lebendigen Rechtes, das aus den Erfahrungen, aus der Seele des Volkes selber hervorgegangen ist. Und auf diesem Gebiet sind wir hierzulande doch etwas rückständig, in unseren Gesetzen ist viel Formelkram und wenig warmes Blut. Einmal neueren, lebensreicheren Anschauungen zum Sieg zu verhelfen, das wird mir eine schöne Lebensaufgabe sein. Doch werde ich mich nicht zu früh an eine Richterstelle und in die Räte drängen; das nächste Ziel meines Ehrgeizes ist, ein tüchtiger Anwalt zu werden. Seit ich ein paar äußerst fesselnden Verhandlungen in der Stadt beigewohnt habe, träumt mir fast jede Nacht, daß ich schon als Verteidiger vor dem Schwurgericht plädiere –doch horch! -«

Er fuhr empor. »Da spielt ja einer auf der Straße Ziehharmonika! Und wie schön! Sogar sehr schön! Kennst du das Lied?«

»Nein!«

»Es ist der Chor aus der Oper ›Das Nachtlager von Granada‹: ›Schon die Abendglocken klangen‹.« Er öffnete das Fenster, Gertrud steckte die Zöpfe empor, und sie schauten beide in die mondklare Nacht. Die Straße lag aber hinab gegen das Dorf und hinauf gegen die Berge menschenleer. Die Töne schienen aus dem durchs Fenster nicht sichtbaren Baumgarten oder von dem ferner gelegenen Waldesrand zu kommen.

»Ach, das ist wohl der lange Balz,« sagte Gertrud etwas gezwungen. Im Grunde lag ihr das Spiel und die Störung nicht recht. »Ich habe hier nämlich einen wunderlichen Verehrer, den Gesellen, der tagsüber an unserem Hause arbeitet. Er ist in seinem Handwert ein gewissenhafter, tüchtiger Mensch, den der Vater schätzt, und in manchen Dingen seltsam geschickt –schau, heute morgen hat er mir diese zierliche Schatulle geschenkt -, doch von Grund aus häßlich, eine Gestalt wie ein Weberknecht, der auf dem Wasser herumläuft, dabei ein armer Querkopf, der nichts hat als ein gütiges Herz.«

»Und von dem lassest du dir ein Ständchen bringen?« fragte Röbi in einem Ton, der Überraschung, Scherz und Ärger zugleich verriet.

»Nun, sei bloß nicht eifersüchtig. Er ist ein äußerst unschuldiger Nebenbuhler, ein Kind, doch habe ich mit seiner Bewunderung für mich die liebe Not, und du solltest sie durch deine Empfindlichkeit nicht größer machen!«

»Nein,« lachte er, »ich glaube, ich sah das Langbein schon heute abend vor dem Dorf, einen Kerl, dem man nur ein Leintuch überzuwerfen brauchte, und man hätte das schönste Gespenst! –Ich will ihm doch etwas Geld als Spiellohn bringen!«

In den Augen und um die Mundwinkel zuckte Röbi, der die Vorwürfe des Freihöflers schon wieder vergessen hatte, der Übermut.

»Nein, das nicht!« bat Gertrud. »Wozu den Menschen in seiner Einfalt beleidigen!« Sie hatte die unbestimmte Befürchtung, wenn er Balz überrasche, so spiele er ihm irgend einen Schabernack.

Unterdessen drang ein getragenes Lied nach dem anderen aus der Frühlingsnacht in die Stube herein.

»Das Gespenst hat in der Auswahl Geschmack, und was es seinem Instrument an musikalischen Schönheiten ablockt, verdient wirklich Achtung. Horch, das ist das Lied ›Zu Augsburg steht ein hohes Haus‹, ein altes, wunderschönes Volkslied!«

Röbi lauschte ernsthaft und sang das Lied halblaut mit.

»Zu Augsburg steht ein hohes Haus
Nah bei dem alten Dom,
Da tritt am hellen Morgen aus
Ein Mägdelein gar fromm;
Gesang erschallt,
Zum Dome wallt
Die liebe Gestalt.

Dort vor Maria heilig Bild
Sie betend niederkniet,
Der Himmel hat ihr Herz erfüllt,
Und alle Weltlust flicht:
›O Jungfrau rein,
Laß mich allein
Dein eigen sein!‹

Alsbald der Glocke dumpfer Klang
Die Betenden erweckt.
Das Mägdlein wallt die Hall' entlang,
Es weiß nicht, was es trägt:
Auf dem Haupte, ganz
Von Himmelsglanz,
Einen Lilienkranz.

Mit Staunen sehen all die Leut'
Dies Kränzlein licht im Haar,
Das Mägdlein aber wallt nicht weit,
Tritt vor den Hochaltar:
›Zur Nonne weiht
Mich arme Maid!
Stirb, Lieb' und Freud!‹

Gott, gib, daß dieses Mägdelein
Ihr Kränzlein friedlich trag'!
Es ist die Allerliebste mein,
Bleibt's bis zum Jüngsten Tag.
Sie weiß es nicht. -
Mein Herz zerbricht -
Stirb, Lieb' und Licht!«

Als Röbi geendet hatte, schwieg Gertrud ergriffen und sann tief in sich hinein.

»Das Lied ist wunderbar schön, aber furchtbar traurig,« sagte sie wie aus einem Traume erwachend. »Ich könnte meine Liebe nie lassen, ich glaube, ich stürbe daran!«

Dafür gab er ihr einen heißen Kuß.

Als aber Balz nach einer Pause zu einer neuen Melodie anhob, gewann in dem Studenten die Neugier wieder die Oberhand.

»Ich möchte nur wissen, wo der Bursche sitzt!« Das Gesicht verriet seine innere Unruhe.

Gertrud war froh, als sich das Spiel des Gesellen mit den Klängen des Liedes »Der du von dem Himmel bist« vom Freihof entfernte und über den Abhang hinab gegen das Dorf verlor. Sie erzählte Röbi die Lebensgeschichte des Musikanten und hoffte auf sein Verstehen für die Art des fremden Gesellen, des Findelkindes, das eine so armselige Jugend hatte durchleiden müssen.

»Und nun geh auch du,« fügte sie bei. »Der Vater sieht es nicht gern, wenn wir es spät werden lassen. Er kann jeden Augenblick kommen. Seinetwegen gräme dich nicht. Er meint es ja doch herzensgut mit uns beiden! –Gehst du noch in den Sternen?«

»Ja, Hanstöni und die anderen Kameraden erwarten mich. Sie möchten gern wissen, ob es am Ostermontag ein Eierspiel gibt oder nicht. Doch weiß ich es auch selber nicht. –Ich bin heute abend um allen Humor gekommen.«

Das Paar plauderte schon unter der Haustüre.

Händedruck, Flüsterworte, Kuß –nun schritt auch Röbi gegen das Dorf hinab.

Gertrud blieb noch eine Weile stehen, spähte dem Liebsten, solange es gehen mochte, nach und träumte in die linde Nacht.

Der törichte Balz mit seiner Musik!

Nein, sie wollte jetzt nur an Röbi denken. Gewiß hatte er es verdient, daß ihn der Vater wegen des Schmisses abgekanzelt hatte. Doch traute und baute sie auf seine und ihre Zukunft. Wie schön lag das Leben vor ihnen! Röbi hatte wohl ein rasches Blut, aber bei allem Feuer lag im Untergrund seines Wesens ein männlicher Ernst, der sich stets wieder auf das Lebenstüchtige und die hohen Ziele besann. Jedermann, der Röbi kannte, war überzeugt, daß er, wenn erst die Jugend in ihm ausgebraust hatte, ein hervorragender Mann seiner Heimat, durch Bildung und Charakter einer ihrer Führer werden würde, so, wie er nach den Gesprächen dieses Abends selber den Beruf in sich spülte.

Und sie seine verstehende Lebensgefährtin!

Ihre Träume verloren sich im Mondschein und Sternenglanz der Frühlingsnacht, die licht und geheimnisvoll, wie stumme Erwartung, Tal und Höhen umspann.


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