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Trotz seiner langen Beine oder vielleicht gerade wegen derselben, war John Talbot ein vorzüglicher Schlittschuhläufer. Dies Lieblingsvergnügen aus der Knabenzeit hatte noch jetzt seinen Reiz für ihn nicht verloren, obgleich er bereits in den Dreißigen stand und kein Junggeselle mehr war; wenigstens kein ganzer mehr. Er hatte sich nämlich im Laufe des Winters mit Betty verlobt. Um das Schlittschuhlaufen nicht allein zu genießen, gab er sich alle Mühe, Betty zum Erlernen dieser Kunst zu bewegen. Er malte ihr die Freuden des beliebten Wintervergnügens in den rosigsten Farben, sprach von dem kleidsamen Anzug, dem frischen Aussehen der jungen Damen, die sich demselben widmeten, und pries die geradezu fabelhafte Schnelligkeit, mit der sich die Kunst erlernen ließe, bis Betty es kaum mehr erwarten konnte, mit ihrer Leistung zu beginnen.
John maß sofort die Länge ihres Fußes ab – und kaufte ihr am nächsten Tage auf dem Rückweg vom Geschäft das schönste Paar Schlittschuhe, das in New-York zu haben war. Sie nahmen zusammen ein kräftiges Mittagsmahl ein, Betty verwahrte sich mit zahlreichen Hüllen, Seelenwärmern und Fausthandschuhen gegen die Kälte und das junge Paar ließ sich von der Pferdebahn nach der obern Stadt in die Nähe des Centralparks befördern.
In der 59. Straße stiegen sie aus und gingen zu Fuß weiter. Bald hatten sie den Rand des Teiches erreicht.
»O weh,« rief Betty erschreckt, »sieh dort – das arme Mädchen, es stand kaum einen Augenblick still, rutschte aus und fiel nach hinten über, daß es krachte!«
»Sie hätte eben nicht stillstehen sollen,« versetzte John mit stoischer Ruhe, »das ist eins der schwersten Kunststücke auf dem Eis und verlangt viele Uebung. Das Mädchen wird die gute Lehre beherzigen, auch du kannst sie dir im voraus zu Gemüte führen, Betty!«
Voll unbestimmter Ahnungen, doch entschlossenen Mutes nahm Betty auf einer Bank Platz und ließ sich von ihrem Verlobten die Schlittschuhe anschnallen; auch die seinigen saßen im Nu fest.
»Jetzt faß' mich am Arm,« sagte er »und stehe auf!«
»Du meine Güte, wie viel höher man ist,« murmelte Betty sich erhebend, »aber warum knickt mein Fußgelenk so um? Das kann doch nicht in der Ordnung sein, John!«
»Nur Geduld, du wirst dich bald hineinfinden,« rief dieser, »immer vorwärts!«
Den Arm um ihre Schultern legend, trug er sie mehr, als er sie führte, bis sie das Eis erreichten. Hier gab sich Talbot mit einem Fuß einen kleinen Stoß und glitt auf der Fläche dahin, Betty mit fortziehend.
Soweit ging alles gut; aber als John nun im Bogen herumfuhr, ein Kunstgriff, auf den Betty nicht vorbereitet war, verlor sie das Gleichgewicht. Ihr einer Fuß machte die Schwenkung mit, der andere glitt in gerader Linie weiter, so daß er jenem in die Quere kam; Betty stolperte nach vorn und klammerte sich mit einer Hand an dem Aermel ihres Bräutigams fest, während die andere krampfhaft nach dem Shawl griff, den er um den Hals trug. Durch den plötzlichen Ruck wurde der Knoten so fest gezogen, daß John fast die Augen aus dem Kopfe traten. Unwillkürlich, und ohne an die unausbleiblichen Folgen zu denken, suchte er sich mit seiner freien Hand vor dem Tode durch Erdrosselung zu schützen, aber der Tücke des Schicksals konnte er doch nicht entgehen. Betty vollführte die heftigsten Bewegungen, alle ihre Glieder schienen in einem Augenblick nach den verschiedensten Richtungen umherzufahren, so daß für den unbeteiligten Zuschauer ein seltsames Schauspiel entstand. John, der aber keineswegs unbeteiligt war, fühlte plötzlich die Erde erbeben, ein Wirbelwind sauste ihm um das Haupt, hinter ihm hob sich der ganze erfrorene Teich in die Höhe und schlug ihm mit fürchterlicher Gewalt an den Hinterkopf, während Betty in der Luft schwebte und mit solchem Krach auf ihn herabkam, daß ihm fast Hören und Sehen verging. Dieser wunderbare Vorgang beruhte übrigens auf Sinnentäuschung und erklärte sich einfach damit, daß Betty im Ausgleiten ihn umgeworfen hatte und auf ihn gefallen war. Mochte sich die Sache aber auch zugetragen haben wie sie wollte, sein körperliches Gefühl dabei blieb dasselbe. Daß ihm alle Knochen im Leibe weh thaten, war durchaus keine Täuschung, sondern die reinste Wirklichkeit!
John fühlte mit der Hand nach seinem Schädel und machte die freudige Entdeckung, daß die Beule an seinem Kopf nicht ganz so groß war, wie der Riesenkürbis, für welchen sein Vater vor achtzehn Jahren auf der landwirtschaftlichen Ausstellung die Preismedaille erhalten hatte.
»Das nenne ich ein Kunststück, Betty,« stammelte er, – »ganz wunderbar, wenn man bedenkt, wie kurze Zeit wir erst zusammen geübt haben! – Hast du dir wehgethan?«
»Nein, John, ich glaube nicht,« stöhnte sie, »aber ach, es war schrecklich. – Es hob mich auf einmal von dem Eise auf mit den Füßen in die Luft! Du mußt dich wirklich irren – ich habe kein Talent zum Schlittschuhlaufen.«
»Das ganze Unglück,« entgegnete John mit schwacher Stimme, wobei er versuchte, Miß Claverhouse aus seiner allzufesten Umarmung zu befreien und sich aufzurichten, »ist dadurch entstanden, daß ich dir ins Gehege kam, allein hättest du deine Sache weit besser gemacht!«
»Oh, ich habe alle Lust verloren,« rief Betty mit einem Tone, der keinen Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit aufkommen ließ. »Auch hörte ich das Eis krachen, als wir hinfielen, wir werden gewiß einbrechen!«
»Sei ohne Furcht, nur mein Kopf hat gekracht, nicht das Eis,« meinte John, »mein Verstand hat dabei zum Glück nicht gelitten, der Schaden ist bloß äußerlich. Aber willst du nicht noch einen Versuch wagen?«
»Nein, John, lieber nicht! Komm', laß uns gehen.«
Die Schlittschuhe wurden abgeschnallt, John reichte Betty den Arm und sie begaben sich auf den Heimweg.
»Jedenfalls,« bemerkte John, »rate ich dir vorläufig, deinen Beruf als Maschinenschreiberin nicht gegen den einer Schlittschuhläuferin von Fach einzutauschen. Die Konkurrenz ist fast ebenso groß und ich glaube, du nimmst dich an der Schreibmaschine vorteilhafter aus, als auf dem Eise.«
»Danach würde ich wenig fragen,« erwiderte Betty, »so lange ich nur dir gefalle! Aber ich bin ganz deiner Meinung, daß das Maschinenschreiben besser für mich paßt; auch braucht mir dabei niemand zu helfen. – Sage einmal, du weißt doch, daß ich nur im Bureau schreiben kann, warum hast du denn eigentlich den Mann zu mir geschickt?«
»Ich – einen Mann? Wie soll mir so etwas einfallen!«
»Ich meine Mr. Hamill! – Zu Hause habe ich doch keine Maschine und im Bureau bin ich die ganze Zeit über beschäftigt.«
»Sprich deutlicher, mein Herz, was wollte Mr. Hamill von dir? Und wer, zum Henker, ist denn dieser Mr. Hamill?«
»Aber John, du hast ihn ja zu mir geschickt, besinne dich doch; wie sollte er sonst darauf kommen, mich aufzusuchen?«
John schwieg einen Augenblick, dann sagte er: »Beschreibe mir doch einmal, wie Mr. Hamill aussieht!«
»Ein hübscher Mann mit einem Backenbart. Er spricht wie ein Engländer. Gewiß kann er seine Abschrift leicht von jemand bekommen, der mehr Zeit hat als ich.«
»Eine Abschrift wollte er anfertigen lassen?«
»John, sei doch nicht so komisch! Du hast ihm ja gesagt, ich könnte die Arbeit übernehmen. Du mußt sehr zerstreut gewesen sein, als er mit dir sprach.«
»Ja, das glaube ich selbst! Hat er auch nach mir gefragt oder nach Mr. Cowran, oder sich nach deinen Verhältnissen erkundigt?«
»Nein, er sprach nur von Mr. Cunliffe.«
»So? und was sagte er über ihn?«
»Warte einmal! Er fragte, ob du Nachricht von ihm hättest, seit er abgereist sei.«
»Was hast du ihm denn geantwortet?«
»Ich sagte, soviel ich wüßte, hättest du nur einen Brief erhalten, bald nach seiner Ankunft in Boston, nachdem er mit jenem Menschen zusammengekommen war.«
»Richtig, und was weiter?«
»Er fragte mich noch, ob er in Boston zu bleiben gedächte und dergleichen – nichts Wichtiges! Aber wie kamst du nur darauf zu sagen, ich könne die Arbeit übernehmen?«
»Es ist eine Eigenheit von mir, daß ich manchmal etwas sage und ganz das Gegenteil meine; es soll auch bei andern großen Männern vorkommen – man nennt es Heterophämie. – Wollte Mr. Hamill seinen Besuch wiederholen?«
»Nein, er hat nichts davon gesagt! Er bedauerte nur, mich unnütz aufgehalten zu haben. Ach so, das habe ich ganz vergessen!« –
»Was hast du vergessen?«
»Er sagte, ich solle mit dir nicht davon sprechen, du würdest es vielleicht nicht gern sehen!«
»Eine sonderbare Idee von ihm,« meinte John. Er erwähnte die Sache nicht weiter und verhielt sich auch sonst auf dem ganzen Heimweg ungewöhnlich schweigsam.