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Während seiner Erzählung hatte General Weymouth unverwandt ins Feuer gestarrt; bei diesem Punkt angekommen, blickte er in die Höhe und sah Kitty Clive ins Gesicht. Thränen standen in ihren Augen und netzten ihr die Wangen, doch schien sie sich dessen kaum bewußt; die innige Teilnahme, die aus ihren Mienen sprach, rührte ihn tiefer als Worte vermocht hätten.
»Ich habe mich oft gefragt,« fuhr der General fort, »ob es nicht klug, ja verdienstvoll gewesen wäre, dem Menschen auf der Stelle eine Kugel durch den Kopf zu jagen. – Ich war im Begriff, es zu thun. Daß ich mich bezwang und sein Leben schonte, hat mir nie Befriedigung gewährt. – Mein nächster Gedanke war: der Kerl lügt – ich muß ihn überführen. Ich sagte nur: ›Ich begleite Sie nach meinem Hause, dort werden Sie wiederholen, was Sie mir mitgeteilt haben. Bis dahin rate ich Ihnen, sich jeder Aeußerung zu enthalten.‹
»Er zuckte nur die Achseln. Wir verließen das Bureau und fuhren nach meiner Wohnung. Ich hatte einen Revolver zu mir gesteckt, denn ich war entschlossen ihn totzuschießen, sobald er einen Fluchtversuch wagte. Er that jedoch nichts dergleichen. Zu Hause angekommen, öffnete ich die Thür mit einem Drücker; wir traten in den Vorsaal. Das Wohnzimmer war linker Hand; ich hörte meine Frau am Klavier und winkte dem Menschen, zurückzubleiben, während ich eintrat. Meine Frau wandte sich um und eilte mir freudigst überrascht entgegen – sie hatte mich erst in einigen Stunden erwartet. Mit ausgebreiteten Armen eilte sie auf mich zu, um mich zu küssen. Ich sah sie an, empfand mit unumstößlicher Gewißheit, daß alles erlogen sei, schloß sie in meine Arme und küßte sie. – Das war der letzte Kuß!
»Auf ihre Fragen, warum ich so früh komme, erzählte ich ihr, ich sei im Bureau von einem Mann aufgesucht worden, der behauptet habe, mit ihr bekannt zu sein. Da ich ihn aber für einen Schwindler halte, wollte ich mir von ihr selbst Auskunft holen. Ich hatte dabei zärtlich ihre Hand gefaßt, fühlte jedoch, wie sie plötzlich eiskalt wurde in der meinen. Sie wandte das Gesicht einen Augenblick ab, sah mich dann lächelnd an und fragte: ›Wie heißt der Mann?‹
»›Er hat zwei Namen,‹ erwiderte ich und nannte sie ihr. Sie erbleichte, biß sich auf die Lippen und entzog mir ihre Hand. Dann trat sie zurück und sagte, die Finger krampfhaft ineinander pressend mit fester Stimme: ›Es ist unmöglich! Er muß ein Betrüger sein – ich habe nie von ihm gehört.‹
»Ich wandte mich nach der Thür und rief: Kommen Sie hierher! Er trat ein. Bei seinem Anblick wurde sie totenblaß; dann funkelten ihre Augen plötzlich in unheimlichem Schein; sie sprang auf ihn zu, als wollte sie ihn erwürgen. Ehe sie ihn jedoch erreicht hatte, blieb sie stehen, schüttelte sich wie im Fieber, stieß einen wilden Schrei aus, ein heiseres Lachen und einige Worte, die ich nicht verstand – dann schwankte sie und fiel zu Boden. Ich habe in der Schlacht Leute, die von einer Kugel getroffen wurden, gerade so zusammenstürzen sehen.
»›Glauben Sie nun, daß ich die Wahrheit gesprochen?‹ fragte der Mensch.
»›Ja, erzählen Sie das übrige!‹
»Aus seinem weiteren Bericht erfuhr ich, daß er das schöne Mädchen kennen gelernt und für seine schändlichen Pläne brauchbar befunden habe. Er heiratete sie daher und führte später unter Mitwissen ihres Vaters, eines Nichtswürdigen gleich ihm, das Verbrechen aus, welches mit seiner Festnehmung und Verurteilung endete. Die beiden kamen überein, daß, da ihr Mann so gut wie tot sei – auch fünfzehn Jahre aus dem Wege geräumt, so wolle sie ihren Mädchennamen wieder annehmen und einen andern Gatten zu kapern suchen. Drei Jahre darauf gelang es ihnen, mich in ihren Netzen zu fangen.
»›Sie mögen Sie behalten, wenn Sie wollen,‹ schloß der Kerl, ›ich brauche sie nicht. Da Sie aber ein höchst ehrenwerter Herr sind in der besten gesellschaftlichen Stellung, werden Sie nicht wünschen, daß die Sache an die Oeffentlichkeit kommt und Sie in einen Prozeß wegen Bigamie verwickelt werden. Geschäft ist Geschäft! Ich muß für meinen Lebensunterhalt sorgen. Wenn ich reinen Mund halte, müssen Sie mir genügende Mittel zur Verfügung stellen. So lange Sie dies thun, darf sich das Weib Mrs. Weymouth nennen, so viel sie will. Lösen Sie meine Wechsel nicht ein – treten Sie mir in den Weg oder stören mich in der Ausführung meiner Pläne, so mache ich meine Klage bei den Gerichten anhängig und die ganze Geschichte kommt in die Zeitungen. Was gedenken Sie zu thun?‹
»Ich erwiderte: ›Die Dame, welche meinen Namen getragen und mich wahrscheinlich in der Voraussetzung geheiratet hat, Sie seien tot – steht unter meinem Schutz. Ich werde Ihnen jährlich eine bestimmte Summe zahlen, unter der Bedingung, daß Sie sich nicht wieder blicken lassen. Sie werden wohl thun, in Ihren Forderungen Maß zu halten – weiter habe ich Ihnen nichts zu sagen!‹
»›Meine Adresse steht auf der Karte, die Sie in Händen haben,‹ erwiderte er. ›Dorthin schicken Sie mir bis morgen mittag einen Wechsel auf zehntausend Dollars. Trifft er nicht ein, so beginnt tags darauf das Gerichtsverfahren.‹
»Er war fort. Ich blieb allein mit ihr. Ich hob sie vom Boden auf und trug sie zum Sopha, wo sie bald zu sich kam. Ich sprach mit ihr und traf die Bestimmungen über unsere Zukunft. Die Trennung sollte allmählich erfolgen; wir würden uns nach und nach von unsern Bekannten zurückziehen, im Sommer sollte sie auf das Land gehen, während mich meine Geschäfte in New-York hielten. Sie habe alles zu vermeiden, was meinen Namen öffentlich der Schande preisgeben könne, ich dagegen würde sie vor Verdacht und Beleidigung schützen, so weit dies in meiner Macht stehe. – Ich vermochte nicht, sie ins Elend zu stoßen! Hatte ich sie doch einst von Herzen geliebt. Ich hatte Mitleid mit ihr, ich wollte nicht nur die Ehre meines Namens schützen, ich wollte sie vor sich selber bewahren, die Aermste, die Unselige!«
Wiederum starrte der General ins Feuer, als sähe er das junge blühende Weib vor sich, dessen unheilvolle Schönheit der Fluch seines Lebens gewesen war. Nach einer Weile raffte er sich gewaltsam auf. »Verzeihen Sie, Miß Clive,« fuhr er fort, »es lag nicht in meiner Absicht, so eingehend über diese Dinge zu sprechen! Die Erinnerung war stärker als ich; doch kann ich zu meiner Entschuldigung sagen, daß ich diese Periode meines Lebens noch niemals gegen irgend jemand erwähnt habe. Ich sagte bereits, daß es mir ein inneres Bedürfnis ist, mich gegen Sie auszusprechen. Sie werden mein Vertrauen nicht mißdeuten und mein Gefühl verstehen. Doch habe ich dabei noch einen andern Zweck, wie Sie gleich sehen werden.
»Der Schlag war furchtbar! Aber ich ließ mich von dem Unglück nicht zu Boden drücken. Eifriger als je stürzte ich mich in die Politik; es galt jetzt nicht nur meinen Feldzug gegen Unfähigkeit und Verderbtheit mit allen Waffen zu führen, sondern auch, meinen quälenden Gedanken, mir selbst zu entfliehen. Ein eigenes Heim besaß ich nicht mehr, so wollte ich denn mein Leben ganz in den Dienst des Vaterlandes stellen. Aber ein unerwarteter Widerstand lähmte meine Wirksamkeit.
»Der Mensch, der mein böser Genius war – ich will ihn Fowler nennen – hatte von mir große Summen erpreßt, die er zu seinen schändlichen Zwecken verwandte; er war schlau, gerieben und vollkommen gewissenslos. Mit wunderbarer Schnelligkeit verschaffte er sich Anhänger, die ihm ganz zu Willen waren, und mit deren Hilfe er bald politische Macht und Ansehen erwarb. Auch der Mitwirkung der großen Finanzmänner unseres Landes wollte er sich versichern, um den Einfluß ihres Reichtums zu seinem eigenen Vorteil auszunutzen. Bei seinem Anhang und seiner Begabung war er des Erfolges so gut wie gewiß.
»Kurz zuvor war ich mit Maxwell Golding bekannt geworden. Er besitzt merkwürdige Charaktereigenschaften und hat sich aus eigener Kraft emporgearbeitet. Das System, welches er vertritt, die Mittel, die er anwendet, sind mir zuwider – der Mann selbst flößt mir Zuneigung ein. Er verfolgt großartige Ziele, plant ungeheure Unternehmungen mit nie ermüdender Ausdauer und Geduld. Treten unvorhergesehene Umstände ein, so weiß er seine Pläne zu ändern, sie der neuen Lage der Dinge anzupassen. Er besitzt den Geist eines großen Feldherrn und Staatsmanns, aber an Ruhm und Ehre liegt ihm wenig; den Besitz wirklicher Macht schätzt er höher als jede Anerkennung, die ihm zu teil werden könnte. Die einzige wirkliche Macht in unserm modernen Kulturleben ist in seinen Augen das Geld. Sein Glaube an menschliche Tugend und Ehre ist nicht groß, doch haftet kein Makel an seinem Privatleben und nie wird er den Grundsätzen untreu, die er als Richtschnur für seine Geschäftspraxis aufgestellt hat. Dem einen erscheint er als raubgieriger Unmensch, dem andern als ein kluger Praktikus, der Menschen und Dinge nimmt, wie er sie findet, und sie zu seinen Zwecken zu benutzen weiß. Man mag übrigens von ihm halten, was man will, gewiß ist, daß etwas ungemein Fesselndes in seinem Wesen liegt. Auch mich hat er für sich eingenommen, ja ich glaube, der Hauptgrund seiner Erfolge ist in dem Zauber zu suchen, den er ganz unbewußt ausübt – er zieht die Menschen an und treibt sie, ihm zu dienen, sie mögen wollen oder nicht.
»Ich sprach meine Ueberzeugungen offen gegen Golding aus, ich sagte ihm, daß er und Leute seiner Gattung meiner Meinung nach höchst verderblich für das Land seien, sowohl in wirtschaftlicher, als politischer Hinsicht. Auch verbarg ich ihm nicht, daß mein ganzes Streben darauf gerichtet sei, diese schädliche Macht zu zerstören.
»Er hörte meine Auseinandersetzungen an, pflichtete mir auch in vielem bei; die einzige Antwort, die ich von ihm erhielt, war jedoch: »Sie können nichts gegen mich ausrichten. Es liegt in den Verhältnissen unseres Landes wie in der Natur der Sache, daß Geld Macht verleiht. Ich habe Geld und ich werde es gebrauchen.‹
»Von einem unmoralischen Einfluß und dauerndem Schaden, der durch die Art, wie er seine Kapitalien verwandte, für die ganze Nation entstehen müsse, wollte er nichts hören, sich auf keine Erörterungen einlassen. – ›Das sind Gefühlssachen,‹ meinte er, ›sie gehen mich nichts an. Viele Menschen führen große Worte im Munde, aber schließlich läuft alles darauf hinaus, daß jeder so gut für sich selber sorgt wie in seinen Kräften steht.‹ Daß ich meinen Widerstand gegen ihn und sein System fortsetzen wollte, machte ihm wenig Sorge. ›Vom abstrakten Standpunkt aus haben Sie gar nicht so unrecht,‹ sagte er, ›wenn Sie glauben, Ihre Theorien verwirklichen zu können – nur immer zu!‹
»Ja, nur immer zu! Ich zauderte nicht, obgleich die großen Summen, welche Fowler beanspruchte, meine Mittel beschränkten; auch hatte ich meiner Frau (so muß ich sie nennen) ein Kapital von hunderttausend Dollars ausgesetzt, wovon sie jedoch nur die Zinsen beziehen durfte. Ich kaufte eine Zeitung, um meine Ansichten so weit wie möglich zu verbreiten, und that was ich konnte, um sie in Aufnahme zu bringen. Dies gelang mir auch zuerst über Erwarten, bald aber mußte ich inne werden, daß ein mächtiger Feind mir im Wege stand. Er wirkte im Geheimen, so daß ich ihm nichts anhaben konnte, aber überall war sein Einfluß zu spüren. Bald griff er mich von der, bald von jener Seite an und stets auf dieselbe hinterlistige Weise. Er verdächtigte meinen Charakter und suchte mich in gesellschaftlicher wie politischer Beziehung in Mißkredit zu bringen. Das Gift drang überall ein; selbst Leute, die ich bisher für meine besten Freunde gehalten hatte, fielen von mir ab. Vergebens forschte ich nach dem Urheber der Verleumdungen und Anschuldigungen, die über mich verbreitet wurden; ich tappte im Dunkeln und kämpfte gegen unsichtbare Angreifer. Zuletzt begann eine der größten Zeitungen, deren Leser nach vielen tausenden zählen, eine Reihe Artikel über dieselben Themen zu veröffentlichen, die ich in meinem Blatte besprach. Scheinbar von den nämlichen Voraussetzungen ausgehend, kamen sie unvermerkt zu ganz entgegengesetzten Schlüssen und Resultaten. Dabei waren allerlei Anspielungen auf meine Zeitung und meine Person geschickt eingeflochten, welche Zweifel an der Reinheit und Uneigennützigkeit meiner Zwecke durchblicken ließen. Auf solche Weise wurden alle meine Worte und Beweisführungen verdreht und mißdeutet und allmählich das Vertrauen in meine Redlichkeit als Mensch und Journalist erschüttert. Das Ganze geschah unter der Maske des Eifers für das öffentliche Wohl mit scheinbarer Offenheit und großer Schlauheit. Was ich auch that, wie viel ich mir's auch kosten ließ, ich konnte nicht verhindern, daß der Absatz meines Blattes täglich geringer wurde. Dennoch wollte ich das Feld nicht räumen – das Recht war auf meiner Seite – es mußte zuletzt den Sieg behalten. Ich nahm Geld auf und setzte meine Zeitung zum Pfande; die Summe verwandte ich meist in verzweifelter Anstrengung, um ihr bessern Umlauf zu verschaffen – aber ich kämpfte gegen den Strom! Das Pfand verfiel, ich wollte die Frist verlängern lassen, da erfuhr ich, es sei von einem Dritten angekauft worden; der Käufer beanspruchte sein Recht – ich war bankerott! – An jenem Tage erhielt ich einen Brief von Fowler, der mir mitteilte, daß er es sei, der im geheimen gegen mich gewühlt und mich zum zweitenmal in den Abgrund gestürzt habe. Der Brief klärte mich auch noch über andere dunkle Punkte auf. Ich begab mich zu Golding.
»Er empfing mich allein in seinem Privatbureau. Als ich ihm mitteilen wollte, daß ich den Kampf bis aufs äußerste getrieben habe, jedoch unterlegen sei, unterbrach er mich. ›Ich weiß alles,‹ sagte er. ›Sie haben nun die praktische Lehre erhalten, daß Geld mehr vermag als abstrakte Moral. Ich war Ihr Gegner, ich habe Sie geschlagen, und zwar mit den Waffen, die in solchen Fällen gebräuchlich sind und die sich auch diesmal wirksam erwiesen haben wie immer. Kein Mensch kann dagegen aufkommen, weder Sie noch sonst jemand.‹
»›Und Sie haben diesen Fowler, meinen Todfeind, einen elenden Schurken gedungen?‹ – –
»›Ich weiß nichts über Ihre Beziehungen zu Fowler,‹ fiel er mir ins Wort; ›nach seinem Charakter habe ich nicht gefragt. Er war mir brauchbar für das Geschäft, hat seine Sache gut gemacht und ist reichlich dafür bezahlt worden. Wenn Sie ihm eine Kugel in den Leib jagen wollen, oder ihn gerichtlich verfolgen wegen seiner Schmähschriften, so steht das Ihnen frei. Mich geht er weiter nichts an. Ihnen aber habe ich einen Vorschlag zu machen, der Ihnen vielleicht nicht unwillkommen ist.‹
›Und der wäre?‹
Hierauf legte er mir den Plan zu einem großartigen Unternehmen vor, dessen geheime Leitung von ihm selbst ausgehen, das aber dem Publikum gegenüber unter einem Direktorium stehen solle, zu dessen Präsidenten er mich auserwählt hatte. ›Ich mache Ihnen das Anerbieten,‹ sagte er, ›zum Teil, um Ihnen zu zeigen, daß ich keine persönliche Feindschaft gegen Sie hege und nicht gegen Sie gefochten habe, sondern nur gegen den Standpunkt, den Sie vertreten. Nur weil Sie zu halsstarrig waren, haben Sie Schaden gelitten! Hauptsächlich aber ist meine Wahl auf Sie gefallen, weil Sie mir am besten für die Stellung zu passen scheinen. Trotz aller Anschwärzungen, denen Sie ausgesetzt waren, hat Ihr Name noch immer einen guten Klang; sein Einfluß ist groß und wird mir das Vertrauen derjenigen Klassen erwerben, auf die ich bei dem Unternehmen zähle. Meiner Berechnung nach hat Ihre Anstellung für mich einen Wert von fünfzigtausend Dollars jährlich und diese Summe biete ich Ihnen als Gehalt. Ich werde nur die allgemeinen Grundregeln für die Verwaltung aufstellen, im einzelnen lasse ich Ihnen ganz freie Hand. Sie werden weit mehr Gelegenheit haben, nach Ihrem Sinne Gutes zu thun als sich Ihnen je bieten würde. – Nun, was sagen Sie? Schlagen Sie ein?‹
»›Nein,‹ versetzte ich, ›das kann ich nicht!‹
»›Verstehen Sie mich recht?‹ fuhr er fort; ›es handelt sich dabei nicht um einen Freundschaftsdienst; ich bin nicht der Meinung, daß ich mich bei Ihnen entschuldigen müßte oder Ihnen Ersatz leisten, weil ich Sie zu Grunde gerichtet habe. Wir waren zwei Kriegsmänner aus feindlichen Lagern, und im Kriege ist alles erlaubt. Ich spreche zu Ihnen als praktischer Geschäftsmann – Ihr Name, Ihr Ruf soll mir Vorteil bringen. Wären Sie unbekannt oder vergessen, ich würde Sie nicht mit einem Schreibergehalt bei mir anstellen, und wenn ich Ihnen das Leben verdankte. Nehmen Sie mein Anerbieten an oder schlagen Sie es aus, nach Belieben. Nur bedenken Sie, daß sich solche Gelegenheit nicht zum zweitenmal bietet! Wie steht's, Herr General – sind wir einig?‹
»Ich empfand seine unwiderstehliche Gewalt. Für meinen ehrlichen Ruf wollte er mich bezahlen, den ich von dem Augenblick an, daß ich sein Geld nahm, nicht länger verdiente. Dennoch zürnte ich ihm nicht und bedurfte aller meiner Charakterstärke, um ihm nicht nachzugeben. Und ich blieb standhaft. Sobald er sah, daß mein Entschluß unerschütterlich war, drang er nicht weiter in mich. ›Ihre Weigerung,‹ sagte er lächelnd, ›wird Ihnen nichts weiter eintragen, als Armut und Vergessenheit. Ein anderer Mann wird die Stelle erhalten – es thut mir leid, Sie stehen sich selbst im Licht! Jetzt habe ich Geschäfte. Leben Sie wohl, Weymouth.‹
»Ich empfahl mich und ging. Seit jener Zeit habe ich Golding heute zum erstenmal wiedergesehen. Nun komme ich nach der langen Einleitung endlich zum eigentlichen Zweck meiner ganzen Mitteilung. Hören Sie mich noch einen Augenblick geduldig an, Miß Clive!
»Heute morgen suchte ich den Kapitalisten auf und er begrüßte mich, als sei zwischen uns nie etwas vorgefallen. Ich teilte ihm mit, daß ich während der letzten Jahre bei sehr beschränkten Mitteln ganz zurückgezogen gelebt habe, gewisse Umstände es mir aber jetzt wünschenswert machten, über ein größeres Einkommen zu verfügen. Eine innige Zuneigung, die ich zu einer jungen Dame gefaßt – hier verriet die Stimme des Generals seine tiefe Empfindung – veranlasste mich, obgleich ich nicht mehr jung sei und ein armer gebrochener Mann, mir ein Herz zu fassen und um ihre Hand anzuhalten. Da er der größte Arbeitgeber Amerikas sei, habe ich mich an ihn gewandt, in der Voraussetzung, daß er über Stellen der verschiedensten Art zu verfügen habe. Ich bäte ihn, mir einen Platz zu verschaffen.
»Er erwiderte: ›Als wir uns das letztemal sahen, bot ich Ihnen einen Jahresgehalt von fünfzigtausend Dollars an.‹
»›Jawohl,‹ antwortete ich, ›aber was Sie als Gegendienst für das Geld verlangten, konnte ich nicht leisten.‹
»›Mag sein, ich habe stets meinen Vorteil im Auge,‹ sagte er. ›Sie schlugen die Stelle aus und damit hatte die Sache ein Ende.‹
»›Ich weiß, daß von einer so glänzenden Stellung jetzt nicht die Rede sein kann,‹ entgegnete ich, ›meine Ansprüche sind sehr bescheiden.‹
»Er sah mir voll ins Gesicht: ›Ich kann nichts für Sie thun, Weymouth. Sie kommen in Geschäften zu mir und ich antworte Ihnen als Geschäftsmann: Sie leben seit Jahren in der Zurückgezogenheit, Ihr Name ist verschollen! Als der Ruf Ihrer Rechtschaffenheit und redlichen Gesinnung mir noch von Nutzen sein konnte, bot ich Ihnen ein hohes Gehalt. Jetzt sind Sie mitsamt Ihrem Ruf in Vergessenheit geraten und haben keinen Wert mehr für mich. Für praktische Zwecke wären Sie so wie so nie zu brauchen gewesen. Das soll keine Beleidigung sein – es ist eine einfache Thatsache. Wenn ich Ihnen Rat erteilen wollte, würde ich sagen: Geben Sie die Heirat auf und ergreifen Sie in Ihrem Alter nicht einen neuen Beruf!‹
»Ich erwiderte kein Wort, sondern stand auf, um mich zu entfernen. ›Noch einen Augenblick,‹ sagte er, ›unser Geschäft ist erledigt, jetzt wollen wir als Menschen mit einander reden. Ich war Ihnen immer zugethan, Weymouth, obgleich ich alle Ihre Weltverbesserungspläne für Thorheit halte. Wenn Sie hunderttausend Dollars von mir zum Geschenk annehmen wollen, so wird mich's freuen. Ein Wort von Ihnen,‹ fuhr er fort, einen Blankowechsel hervorziehend, ›und ich verschreibe Ihnen den Betrag.‹
»›Eine derartige Verbindung würde mir zu drückend sein.‹
»›Gut, dann will ich die Summe auf den Namen der Dame eintragen, die Sie zu heiraten wünschen.‹
»›Auch das geht nicht an. Ich weiß noch nicht, ob ich ihr Jawort erhalte, auch könnte ich ihr nicht zumuten, ein solches Geldgeschenk anzunehmen.‹
»›Wie Sie wollen‹, sagte er, ›mehr kann ich nicht für Sie thun!‹
»So verließ ich ihn denn, Miß Clive,« schloß der General, »und kam hierher. Ich sehe nun wohl, daß ich von Anfang bis zu Ende thöricht gehandelt habe. Aber ich liebte Sie und hoffte, Ihr Leben leichter zu machen. Wäre ich im stande gewesen, Ihnen ein anständiges Auskommen zu bieten, Sie hätten vielleicht eingewilligt, die Meine zu werden, mir den Lebensabend zu versüßen und aufzuhellen. Es hätte mich beglückt, für Sie schaffen und arbeiten zu können, – die Liebe hat mich zum Thoren gemacht! Am Ende ist es ein wahres Glück, daß mein Besuch bei Golding zu nichts geführt hat, es spart Ihnen vielleicht den Schmerz mir zu sagen, daß Sie mir nicht angehören können. Verzeihen Sie nur, wenn ich mich nicht enthalten konnte, Ihnen zu gestehen, daß ich Sie liebe und immer lieben werde. – Jenes erste Gefühl war etwas ganz anderes; nur das Auge war beteiligt, nicht Seele und Gemüt!« Er hielt einen Augenblick inne, dann sagte er: »Vor einem Jahr ist sie gestorben!«