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Worte, wie die Ihrigen, General Weymouth, erwartete ich in meinem ganzen Leben nicht aus dem Munde eines Mannes,« sagte Kitty. »Ein Mädchen, wie ich bin, achtet man wohl, aber man liebt es nicht. Sie sind der erste, welcher je mit mir von Liebe gesprochen hat, und ich bin stolz darauf Ihre Zuneigung erworben zu haben. Ich sehe darin einen Beweis, daß ich doch nicht so ganz ausgesondert von meinem Geschlecht dastehe, wie ich geglaubt! – Aber, Sie heiraten, lieber General, das kann ich nicht, heiraten werde ich überhaupt nie.«
»Wie können Sie das bei Ihrer Jugend so bestimmt behaupten!« versetzte der General mit trübem Lächeln.
»Ich bin nicht so jung, wie meine Jahre,« war Kitty's Antwort; »das Leben hat mich früh ernst gemacht, es war mir eine harte Schule! Meine eigene Mutter starb früh, die Frau aber, welche mein Vater mir zur Stiefmutter gab, behandelte mich feindlich. Ihm gegenüber habe ich nie geklagt, er hielt sie für einen Engel, und ich wollte ihm seinen Wahn nicht rauben. Ich verschloß meine Gedanken und Gefühle tief in meiner Brust, aber sie nagten an meinem Innern. Es waren keine kindlich frommen Empfindungen, die ich hegte – ich bin keine alles duldende, alles vergebende Christin!«
»Sie sind gut, großmütig und hochherzig,« rief der General, »das ist mehr wert als heuchlerische Demut!«
»Gut und großmütig will ich wohl gegen meine Freunde sein; aber wehe denen, die mir Uebles thun! Da Sie mir gegenüber so offen gewesen, will ich's auch Ihnen gegenüber sein, und so gestehe ich Ihnen, daß ich an Ihrer Stelle ganz anders gehandelt hätte. Es ist mir ein Bedürfnis, Wiedervergeltung zu üben, und ich würde meine Rechte selbst durch Gewaltmaßregeln verteidigen, wenn mir die sanfteren Mittel versagten.«
»Sie würden Großmut geübt haben, so gut wie ich!«
»Nein,« sagte sie mit einer Bestimmtheit, die den General überraschte, »nein, dies Gefühl ist meiner Seele fremd, – es paßt nur für Leute, die in sicherm Glück dahinleben. Ich hätte dem Manne getrotzt, hätte es zum Aeußersten kommen lassen. Aber ich selbst wäre ihm weit furchtbarer geworden als er mir. Rastlos hätte ich ihn durch die Welt gejagt, ihm das Leben zur Qual gemacht und ihm jede Freude vergiftet. Namen und gesellschaftliche Stellung achte ich gering gegen die Befriedigung, die es gewährt, wenn unsere Feinde den Tag verwünschen, an dem sie zuerst unsere Wege kreuzten. – Jenes Weib aber, die Abscheuliche, die Sie betrogen hat, Sie hätten sie von sich stoßen sollen, ohne Gnade und Erbarmen! – Sehen Sie doch, was für Früchte Ihre Schwäche, diese sogenannte Großmut und Nachsicht, getragen hat! Ihr schurkischer Feind hat Sie mit dem Gelde, das er von Ihnen erpreßte, aus Ihrer Laufbahn gedrängt und alles Gute zu nichte gemacht, das Sie mit Ihren Grundsätzen unter Ihren Zeitgenossen hätten stiften können. War der Elende, dessen einzige Triebfeder gemeine Selbstsucht ist, eines solchen Opfers wert? – Auch jenen Golding, von dessen unwiderstehlicher Macht Sie sprechen, möchte ich nicht zum Freunde haben! Er mag stark verpanzert und unüberwindlich erscheinen – aber sicherlich hat auch er eine schwache Stelle, an der er verwundbar ist. Die hätten Sie aufsuchen und ihn verfolgen sollen mit allen Mitteln, die der erfinderische Scharfsinn nur erdenken kann. Halbe Maßregeln taugen nicht für diese Welt! Wer Sieger bleiben will, muß den Kampf aufnehmen mit allen Kräften des Leibes und der Seele und unerschütterlich fest auf dem Posten stehen. Sanftmut und Versöhnlichkeit sind schöne Worte; etwas Wirkliches, Dauerndes läßt sich nicht damit erreichen! Wie können Sie einen Mann wie Golding über sich triumphieren lassen! Wie darf er es wagen, Sie mitleidig von oben herab zu behandeln! Sie ließen es zu – und das war ein großes Unrecht!«
Starr vor Staunen wußte der General auf den leidenschaftlichen, vernichtenden Tadel keine Erwiderung zu finden. Wohl hatte er geahnt, daß Kitty Clive's Charakter dunkle Rätsel barg, aber auf so Ungewöhnliches war er nicht vorbereitet. Er empfand die Kraft und Schärfe ihrer Aussprüche, zugleich aber auch, daß ihre Natur und Gemütsart von der seinigen so verschieden sei, daß er ihre Auffassung nie teilen könne. Jedenfalls aber hatte er, während sie sprach, eine ganz andere Vorstellung von ihrer geistigen Bedeutung gewonnen, was seine Liebe zu ihr keineswegs verminderte. War sie ihm auch vorher schon als ein innerlich reich begabtes Mädchen erschienen, so that er jetzt einen Blick in ihre eigentümliche Gedanken- und Gefühlswelt, der ihn wahrhaft überraschte. Er erkannte, daß sie sich in Bezug auf Welt und Leben zu einer selbständigen Ueberzeugung durchgearbeitet habe, der sie unbeirrt zu folgen entschlossen sei. Mit einem solchen Wesen aufs innigste verbunden zu sein, war mehr als gewöhnliches Menschenglück, es mußte begeisternd, erhebend wirken! Er sah sie mit strahlenden Blicken an:
»Warum sagten Sie, daß Sie nie heiraten würden?« fragte er.
»Sie sollen es wissen, aber nur Sie allein, sonst niemand auf der Welt: Ich will nicht heiraten, weil ich dem Mann, den ich liebe, nicht angehören kann.«
»Ihr Herz ist also nicht frei,« rief der General, das Haupt senkend, um die Gemütsbewegung zu verbergen, die in seinen Zügen zu lesen war. Bald jedoch schaute er wieder empor: »Warum können Sie ihm nicht angehören?« fragte er.
»Weil er nicht weiß, daß ich ihn liebe – und wüßte er's, er würde meine Gefühle nicht erwidern!«
»Unmöglich! – Sie lieben ihn und er bleibt kalt und gefühllos – es ist ganz undenkbar!«
»Sie sehen, Herr General, Sie sind gerächt!« sagte Kitty mit eigentümlichem Lächeln.
»Solche Rache begehre ich nicht,« rief er erregt. »Wenn ich dazu beitragen könnte, Ihre Heirat mit diesem Herrn zu stande zu bringen – der ohne Zweifel Ihrer wert ist, sonst würden Sie ihn nicht lieben – ich thäte es mit Freuden. Er muß ja mit Blindheit geschlagen sein! Vielleicht bedarf es nur eines Winkes, damit er zur Besinnung kommt und Ihnen zu Füßen sinkt!«
»Blindheit? – ja, wenn sie nur körperlich wäre,« lachte Kitty, »dann könnte ich noch hoffen! Aber es ist nicht jedermanns Sache, General Weymouth, um innerer Vorzüge willen die Außenseite gänzlich zu vergessen! Zudem ist der betreffende Herr weitläufig mit mir verwandt und der alltägliche Umgang mit mir, seiner Base, hat ihn gleichgiltig gemacht. – Wer weiß, wozu es gut ist! Die Wirklichkeit könnte meine ideale Anschauung von der Ehe zerstören. Wenn er mich liebte und heiratete und darnach meiner überdrüssig würde – dann freilich – –«
Die letzten Worte sprach sie mit verhaltenem Atem; ihre Bedeutung war leicht verständlich.
»Unnütze Furcht! Möglich, daß ihm niemals die Augen aufgehen über Ihren wahren Wert – aber hat er ihn einmal erkannt, so ist es mit der Gleichgiltigkeit für immer vorbei,« sagte der General mit dem Ausdruck innerster Ueberzeugung.
»Sie glauben das,« versetzte Kitty, »weil Sie keinen Blick dafür haben, wie häßlich ich bin, und nicht wissen, wie eifersüchtig und tyrannisch ich als Frau sein würde. Nein, es ist besser so: ich besitze keine Rechte, kann daher auch keine fordern. Meine Liebe ist ganz selbstlos und der Gedanke, daß sie ihm stets verborgen bleiben wird, beglückt mich. Er soll die Wirkung spüren, ohne je die Ursache zu ahnen. Ich kann ihm auf mancherlei Weise Freude bereiten, und ihn froh zu sehen, ist besser als aller Dank, den er mir sagen könnte. Auch bin ich nicht unzufrieden mit meinem Geschick: Die Schönheit hat ihre Macht, ihre Triumphe, aber sie sind oberflächlicher Art – ein Haus, das auf Sand gebaut ist. Zeit und Zufall drohen ihm Zerstörung. Mich kann kein solches Unglück treffen; was ich Gutes an mir habe, ist auf einen Felsen gegründet, den nichts zu erschüttern vermag.«
»So kann ich nichts für Sie thun!« sagte der General in betrübtem Ton.
»Sie haben viel für mich gethan! – Wenn bei unserm Geschlecht – und es giebt solche Frauen – der Verstand Herr wäre und nicht das Gefühl, uns bliebe manches Leid erspart! Mein Verstand sagt mir, daß Sie meiner Liebe würdiger sind, als jener Mann, der mich nicht liebt. Er würde seine Empfindung vielleicht leidenschaftlicher aussprechen als Sie, aber ein solcher Adel der Gesinnung, eine so völlige Hingabe liegt nicht in seiner Natur. Mir ist ganz klar, daß er eine Liebe, wie ich Sie für ihn hege, nicht verdient. Aber läßt sich Liebe denn verdienen? Sie strahlt als göttliches, ewiges Licht zu uns schwachen, vergänglichen Geschöpfen hernieder, sie ist nicht irdischen Ursprungs! Ich bin Ihrer Liebe ebenso wenig wert, als er der meinigen, aber ich fühle mich durch das Bewußtsein, sie zu besitzen, erhoben, es stärkt meine Kraft – verzeihen Sie mir! – ihn zu lieben.«
»Das thut grausam weh, aber ich fühle, daß es wahr ist – und heilsam,« sagte der General, sich mit leisem Seufzer erhebend. Er nahm Hut und Stock, und noch einmal im Zimmer umherblickend, fuhr er in ruhigerem Tone fort: »Was im übrigen Ihre schroffen Ansichten betrifft, liebes Kind, so sind dieselben nicht lebensfähig und werden vorübergehen. Ihrer Natur ist Zwang angethan worden, das hat Ihnen eine Zeit lang den inneren Einklang gestört. Aber Güte und Wahrheit sind stärker als der Einfluß des Bösen und werden den Sieg behalten. Wir dürfen das Recht oder Unrecht, das uns selbst geschieht, nicht zum Maßstab nehmen für die Gerechtigkeit des Weltenrichters. Wir erkennen nur stückweise – unser Gesichtskreis ist beschränkt; je weiter er sich ausdehnt, um so mehr wird er von der Sonne beleuchtet.«
»Werden Sie um jener Sache willen – Ihre Besuche bei mir einstellen?« fragte Kitty.
»Nur wenn Sie es wünschen! Die Entfernung kann mich nicht heilen und ich verspreche Ihnen, Sie weder durch Bitten noch Klagen zu quälen – ich sehe Ihren Beschluß in Betreff meiner für endgiltig an.«
»Dann kommen Sie recht oft,« sagte sie ihm die Hand reichend. »Vielleicht werde ich noch der Freundschaft würdiger, die Sie mir schenken.«
Als der General fort war, setzte sich Kitty an's Klavier, ließ die Finger über die Tasten gleiten und sang – aber ohne Worte, wie der Wind durch die Aeolsharfe streicht. Der wechselnde Ausdruck der Stimme, das Schwellen und Sinken der Töne gab ihre Seelenstimmung wieder, wie dies nur die Musik vermag. Hätte ein großer Tonkünstler ihrem Gesange gelauscht, er würde wohl tiefer in ihr Herz geblickt und darin gelesen haben, was keine menschliche Rede – und wäre es ihre eigene – ihm von den Geheimnissen ihrer Brust hätte offenbaren können.
Etwa eine Stunde später trat Frank Cunliffe bei ihr ein. Sie stand nicht vom Klavier auf, sondern wandte nur den Kopf, ihm einen Gruß zulächelnd, während ihre Finger den Saiten Harmonien entlockten. Frank ließ sich neben ihr auf einen Stuhl sinken.
»Du scheinst immer bei heiterer Laune,« sagte er düster. »Nichts quält und beunruhigt dich je; ich glaube, etwas Trübsal könnte dir nichts schaden.«
»Ein gesunder Blutumlauf und gute Verdauung verscheuchen die Trübsal,« erwiderte sie. »Essen, schlafen und Bewegung fördern das Glück.«
»Das verstehst du eben nicht. – Habe nur erst einmal eine unglückliche Liebe – verliere deine Stimme oder dergleichen.«
»Aber Frank, was giebt es denn wieder?« fragte sie, noch mit der Hand auf den Tasten. »Hat man dir endlich dein Herz gestohlen, oder klagst du noch um dein verlorenes Geld?«
»Laß doch das Klavier in Ruhe und sei vernünftig. Du kommst mir ganz leichtsinnig vor.«
»Weil ich das Leben nehme wie es ist? – Das verdrießt dich!«
»Mein Schicksal ist doch niemals so glänzend gewesen, daß es den Neid der Götter herausgefordert hätte,« murrte er, »aber jetzt hat sich's ganz gewandt, es scheint mit mir bergab gehen zu sollen. Nicht schlechte Verdauung ist schuld an meinem Mißgeschick, umgekehrt, das Mißgeschick stört mir alles Wohlbefinden.«
Sie stand auf und lehnte sich ihm gegenüber an den Kamin, den Arm auf das Gesims stützend: »Was ist dir denn wieder zugestoßen?« fragte sie.
»Ich weiß nicht, aber mir scheint, es ist etwas gegen mich im Werke; was es ist, kann ich nicht entdecken und vielleicht bilde ich es mir nur ein, in meiner krankhaft reizbaren Stimmung. Es ist aber darum nicht weniger lästig.«
»Etwas gegen dich im Werke? Was meinst du damit?«
»Mich quält der Gedanke, daß ich verfolgt und beobachtet werde. Ich weiß, man macht sich solche Vorstellungen, wenn man nicht weit davon ist, den Verstand zu verlieren, es ist der erste Schritt zum Wahnsinn! Habe ich ein Verbrechen begangen, ohne daß ich es weiß – oder überwacht man mich, um zu sehen, ob ich etwas Gefährliches beabsichtige? Bin ich mondsüchtig bei hellem Tage, oder leide ich an Sinnentäuschungen? Ich kann nicht klug daraus werden.«
»Was für Thorheit, Frank! Mache einen tüchtigen Gang durch die Stadt, das wird dir die Grillen vertreiben. Wer soll dir folgen und dich beobachten? Du brauchst doch nicht gar so eingebildet zu sein!«
»Oh, die Polizei folgt uns nicht wegen unserer Reize und Schönheit!« –
»Die Polizei! – Was soll das heißen?«
»Sieh einmal aus dem Fenster!«
Kitty stellte sich lachend hinter den Vorhang und blickte die Straße hinauf und hinunter. Es war Tauwetter eingetreten, der Fußweg war naß und schlüpfrig, der Fahrweg ein unergründlicher Morast. An den Häusern entlang schritt ein Mann, den Rockkragen in die Höhe gezogen, die Hände in den Taschen. Er rauchte eine kurze Pfeife und sah aus wie ein amerikanischer Arbeiter, der Beschäftigung sucht. An der Ecke der nächsten Avenue blieb er vor dem Schaufenster eines Tabakladens stehen, anscheinend in Betrachtung der dort ausgestellten Bilder und der Anpreisungen des duftenden Krautes versunken. Statt aber seinen Weg fortzusetzen, kehrte er um, kam die Straße wieder herunter, schritt an Kitty's Fenster vorbei, blieb in einiger Entfernung abermals stehen, klopfte die Pfeife an einem Laternenpfosten aus und suchte in seinen Taschen nach Tabak, um sie wieder zu füllen. Da er keinen fand, ging er wieder die Straße hinauf bis zu dem Laden, in welchen er diesmal eintrat. Kitty kam zum Kamin zurück.
»Nun, hast du etwas gesehen?« fragte Frank, aus tiefem Nachsinnen erwachend.
»Nur was man immer sieht, wenn man einen Blick aus dem Fenster wirft: die Straße und die Vorübergehenden.«
»Einer von denen folgt meiner Spur; ich weiß nicht welcher, auch ist's nicht immer derselbe; aber ich mag mich umdrehen, wann ich will, immer treffe ich auf ein paar Augen, die nach mir ausschauen. Der Mensch sieht sofort nach einer andern Richtung und geht weiter; aber nicht lange, so begegne ich wieder beobachtenden Blicken. – Du denkst wohl, das sind alles Einbildungen – ich sage es mir ja auch, aber warum habe ich früher nie dergleichen Grillen gehabt? Es ist wirklich höchst verdrießlich.«
»Hast du denn etwas Böses begangen?« fragte Kitty ihn groß ansehend.
»Nein, nicht mehr als sonst auch. Aber ich stehe nicht dafür, daß ich nicht irgend einen verzweifelnden Schritt thue, um hinter dieses Geheimnis zu kommen.«
»Mache dir keine Sorgen, alter Junge,« sagte Kitty, sich über ihn beugend und ihm die Hand auf die Schulter legend. Ich habe ein Vorgefühl, als ob dein Glücksstern wieder aufginge.«