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Als Fritz das düstere Amtsgebäude erreicht hatte und durch die dunkeln Gänge desselben dahinschritt, zog ihm der Gedanke das Herz zusammen, daß irgendwo in diesen kellerartigen Räumen der kränkliche, furchtsame und schreckhafte Jugendfreund hinter vergitterten Fenstern sitze, und unwillkürlich kam ihm die Sorge, ob der aufgeregte, phantastische Geist des Jünglings diese Eindrücke ohne Schaden überstehen werde, die selbst ihn, den Gesunden, beklemmten. Mit vor Aufregung zitternder Hand klopfte er an der Thüre, an der der Name des Untersuchungsrichters angeschrieben war. »Welch' furchtbare Verantwortung«, dachte er dabei, »liegt doch in den Händen eines solchen Mannes, dem das Leben eines Menschen und das Lebensglück einer ganzen Familie auf Gnade und Ungnade ausgeliefert ist!« Von innen ertönte jetzt ein barsches »Herein!« und Fritz sah sich alsbald einem hochgewachsenen, breitschultrigen jungen Beamten gegenüber, dessen Gesicht von zahlreichen Narben entstellt war, und der in burschikosem Tone nach seinem Begehren fragte. Als Fritz erklärte, er glaube in der Angelegenheit des Freiherrn von Altenbrück einige Angaben machen zu können, musterte der Beamte ihn schärfer, und mit einem gedehnten »So« setzte er sich auf die Kante eines Tisches und sagte: »Da schießen Sie los.«
Fritz sah sich nach einem Stuhle um, als der Untersuchungsrichter aber diesen Blick nicht zu verstehen schien, begann er seine Erzählung. Er bestritt, daß Nik einer solchen That überhaupt fähig sei. Sodann machte er auf den geheimen Verkehr zwischen Nik und Johann Müller aufmerksam und sprach seine Ueberzeugung aus, daß der Letztere irgendwie bei der Sache betheiligt sei.
Der Beamte lachte. »Wenn Sie sonst nichts zu sagen haben«, erwiderte er, »so hätten Sie mir die Zeit sparen können. Das weiß ich auch, daß dieser Müller dahinter steckt. Er hat den jungen Herrn zu dem verzweifelten Diebstahle getrieben, aus dem durch das unglückliche Erwachen des Alten ein Vatermord wurde.«
Fritz erbleichte und sah den Richter mit dem Ausdrucke des tiefsten Entsetzens an, denn er glaubte, was dieser so leichthin mittheile, müsse nach Nik's eigenen Aussagen unwiderleglich feststehen. Der Beamte lächelte. Ihm war es schmeichelhaft, daß seine Mittheilungen solchen Eindruck auf Fritz machten, und so ließ er sich herbei, dem jungen Theologen seine scharfsinnigen Maßregeln des Näheren zu erläutern. »Ich nahm die rothe Kanaille genau in's Gebet«, sagte er in seiner rohen Weise, »und verlangte zu wissen, was er in den letzten Wochen fast täglich mit dem jungen Herrn zusammenzustecken hatte? Anfangs machte der Mensch Ausflüchte, als ich ihm aber sagte, ich würde ihn so lang hinter die Gitter stecken, bis ihm die Sache wieder einfalle, rückte er heraus, der Baron habe seine Schwester unglücklich gemacht und dafür habe er einen Schadenersatz von tausend Thalern für das Mädchen verlangt und habe gedroht, sich an die Eltern zu wenden, falls der junge Herr nicht zahle. Der habe bei verschiedenen Wucherern vergebliche Versuche gemacht, das Geld aufzutreiben, und habe immer neue Fristen erbettelt. Darüber und über nichts Anderes will er mit dem Barönchen gesprochen haben. Nun ist seine Schwester eine Dirne, die gar keine Ansprüche solcher Art zu machen hatte, und man muß schon, wie dieser junge Altenbrück, hinter der chinesischen Mauer eines Schlosses erzogen sein und von der Welt gar nichts wissen, um sich in einer solchen Hasenschlinge fangen zu lassen. Einen Augenblick dachte ich, ich wolle den rothen Hallunken, der durch seine Drohungen den jungen Mann in's Verderben gehetzt, festsetzen und ihm wegen Erpressung den Proceß machen, aber ich hätte dann meinen besten Zeugen verpufft. Ein gutes Bild, nicht wahr? Den Angeklagten als Hasen, den Zeugen als Schrot Nr. 5 gedacht«, und er lachte überlaut über seinen eigenen Witz. Als Fritz nicht einstimmte, fuhr er fort, indem er beide Hände behaglich in die Taschen steckte, und sein breites narbenreiches Gesicht zu einem plumpen Grinsen verzog: »Wissen Sie, aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die Reihe kommt auch an ihn; einstweilen aber handelt es sich darum, wo das Geld steckt, und das wird er leichter verrathen, wenn er sich draußen in scheinbarer Freiheit bewegt, als wenn wir ihn hinter Schloß und Riegel setzen. All' unser Suchen war nämlich bis jetzt umsonst. Bei dem Graben an dem alten Brunnen wurde nichts entdeckt als dieser Ring.«
Mit diesen Worten nahm er aus einer Schublade den Goldreif, den der junge Theologe recht wohl kannte. Fritz nahm ihn in die Hand und sagte: »Es ist der Verlobungsring meiner Schwester, den ich am selben Abende in ihrem Auftrag dem Baron zurückbrachte.«
»Donner!« fuhr der Beamte auf, »Sie wollten der Schwager des Herrn von Altenbrück werden?«
»Nein, das wollte ich eben nicht«, erwiderte Fritz in abweisendem Tone, »Ich sagte, daß ich ihm den Ring zurückgab.«
Nun schien dem jungen Juristen die Mittheilung verständlicher. »Ach so, Sie erkannten den Vogelleim. Ein wahrer Don Juan, dieser Altenbrück«, lachte er; als aber Fritz die Stirne runzelte, fuhr er ernster fort: »Nun also, der junge Herr hat das Alles zugegeben. Er gesteht, daß er alle möglichen Versuche gemacht habe, das Geld für die Müller aufzutreiben; er gesteht, daß er die Großmutter des Mädchens – auch eine schöne alte Vogelscheuche – noch am selben Tage nur dadurch an der Anzeige der Sache verhinderte, daß er ihr sofortige Zahlung von tausend Thalern versprach. An dem Verbrechen selbst aber will er natürlich unschuldig sein.«
Fritz athmete auf und trocknete den Schweiß ab, der auf seiner Stirne perlte. »Gottlob«, sagte er.
»Ja was gottlob«, spottete der junge Richter. »Sie wissen ja, daß die einzige Thüre, durch die man zu dem Schlafzimmer des Ermordeten gelangen konnte, die des Angeklagten war, daß beide sich haßten, daß der alte Baron sich sogar so weit vergaß, den Sohn vor versammelter Gesellschaft zu ohrfeigen, daß seine eigene Mutter ihn für schuldig hält, was wollen Sie da noch zu seinen Gunsten sagen?«
»Daß er es dennoch nicht gethan hat«, erwiderte Fritz ruhig. »Seine Mutter war nur das Echo ihrer albernen Schwestern und Freundinnen, die den jungen Mann für einen Karl Mohr ansehen, weil er sich zuweilen betrank. Uebrigens kann ich Sie mit Bestimmtheit versichern, daß Frau von Altenbrück diese Meinung längst wieder aufgegeben hat, und jetzt felsenfest an die Unschuld ihres Sohnes glaubt.«
Der Richter zuckte die Achseln, und Fritz fuhr fort: »Die Sache mit der leichtsinnigen Käthe Müller mag ihre Richtigkeit haben, der Pfarrer sagte mir davon, das Geld aber wollte ihr Bruder nicht für sie, sondern für sich, um nach Amerika auszuwandern.«
»Nach Amerika?« fragte der Beamte. »Das wäre ein Novum. Woher wissen Sie das?«
Fritz erzählte, wie sein Vater hinter Müller's heimliche Reisepläne gekommen sei, und setzte dann hinzu: »Wer von den drei Müllers das Geld hat, weiß ich nicht, aber der, der es hat, behält es und theilt nicht mit den Andern, dessen können Sie gewiß sein. Für Johann war diese ganze Geschichte sicher nur ein Vorwand.«
Der Beamte ging ein paar Mal die Stube auf und ab. Dann sagte er: »Der Alibibeweis des Müller beruht nur auf dem Zeugniß seiner Familie. Man könnte immerhin die ganze Sippschaft einziehen, aber so bekommen wir das Geld nicht, das Müller allein der Mitschuld überführen könnte. Ich will noch ein paar Tage damit warten. Haus und Garten werden jetzt schon überwacht. Halten auch Sie die Augen offen. Vielleicht begeht der rothe Hallunke doch eine Unvorsichtigkeit, bei der wir ihn fassen können.«
In diesem Augenblicke klopfte es leise an der Thüre. Der Richter rief ein donnerndes Herein, worauf ein schnauzbärtiger alter Diener erschien und sagte: »Ich melde gehorsamst, daß der gefangene Baron schon wieder Wein begehrt. Er ist aber schon ganz betrunken.«
»Immer zu«, rief der junge Beamte. »Er mag sich um den Verstand trinken, aber gestehen soll er. Wenn das Elend über ihn kommt, werden wir die Wahrheit schon erfahren.«
»Aber«, rief Fritz entrüstet, »heißt das die Gefangenen bessern?«
»Bessern kann er sich im Zuchthause«, sagte der Jurist, »dort hat er Zeit genug; hier hat er nur zu gestehen, dann können Sie ihn bessern so viel Sie wollen.« Dabei lachte er, und baumelte, auf seinem Tische sitzend, mit den Beinen.
»Aber Sie ruiniren ihm seine Gesundheit«, zürnte Fritz.
»Wir sind auch keine Klinik, mein Bester«, höhnte der Andere. »Uebrigens hat er als reicher Mann das Recht der Selbstverpflegung. Ich heiße ihn nicht, sich betrinken, er thut es aus eigenem Antriebe.«
»Wieder eines der gefährlichen Vorrechte der Reichen«, dachte der junge Theologe, aber die Rohheit dieses Menschen empörte ihn. »Erlauben Sie, daß ich den Gefangenen besuche?« fragte er unmuthig. »Mir wird er Alles sagen, verlassen Sie sich darauf. Er hatte keine anderen Freunde als mich und meine Schwester.«
Der Beamte sah Fritz mit prüfendem Blicke an, dann nahm er Elfriedens Ring vom Tische und sagte: »Gut, bringen Sie dem Gefangenen diesen Ring. Erzählen Sie ihm, wo man ihn gefunden. Fragen Sie ihn, ob er ihn beim Graben im Garten verlor, und suchen Sie herauszubringen, wo das Geld steckt. Sie können sich ja erbieten, es ihm aufzubewahren. Bringen Sie ihn zum Reden, verstehen Sie. Es ist nicht schwer, denn er ist meist betrunken. Entweder er singt oder er schwimmt in Thränen. Lange wird er nicht mehr Stand halten, aber vor der Hand leugnet er noch immer.« Damit entließ er Fritz und gab dem Diener Befehl, den Herrn zu dem Gefangenen von Altenbrück zu führen, Fritz nahm den Ring an sich, ohne etwas zu erwidern, und schritt zur Thüre. »Gleich nachher kommen Sie wieder hierher«, rief der Mann des Gesetzes ihm nach. »Ich muß Alles zu Protokoll nehmen, was Sie erfahren.«
So schritt denn der junge Theologe durch die langen finsteren Gänge, viele Treppen hinauf und wieder hinab, bis sie nach einem hohen Seitenflügel kamen, wo der Diener Halt machte. Es war schon ziemlich spät geworden, und fast dunkel in dem Gange. »Hören Sie nur, wie er schreit«, sagte der Amtsdiener. Aus einer Zelle erschallte ein heiseres Brüllen. »Es ist nicht schön und auch nicht angenehm, den eignen Vater zu ermorden«, sang eine abgeschrieene, weintrunkene Stimme. Ein eisiger Schauer überlief den jungen Mann. »Er ist wahnsinnig geworden«, sagte er. Der Gefängnißwärter öffnete, und Fritz trat mit ihm ein. Aber Nik saß im Dunkeln. Er sah nicht, wer da war. »Nun, bekomme ich noch Wein?« sagte er unwirsch, den Kopf wendend.
»Nein, aber Gesellschaft«, erwiderte der Schnauzbart.
»Einen Mitgefangenen«, lachte Nik höhnisch. »Hat er auch seinen Vater ermordet?« Bei diesen Worten erhob er sich taumelnd vom Tische, als er aber Fritz ganz aus der Nähe in das Antlitz gesehen, fuhr er entsetzt zurück, so daß er mit dem Rücken an die Wand stieß, und mit beiden Händen sich an sie ankrampfend, dort wie ohnmächtig kleben blieb.
Der Wärter zündete gelassen das Licht an, das er mitgebracht, und verließ die Stube. Fritz erblickte eine geweißte Kammer, ein einfaches Bett, einen Tisch, auf dem eine Bibel lag, und zwei Stühle bei dem vergitterten Fenster. Auf dem Fenstersimse stand ein Glas und drei leere Flaschen. Nik schien sich indessen gesammelt zu haben. Der Freund trat auf ihn zu, und schaute ihm ernst in die Augen. Der Gefangene verzog sein bleiches Gesicht, er wollte lächeln, aber plötzlich fing sein Unterkiefer an zu zucken, und seine Lippen verzogen sich, als ob er mit dem Weinen kämpfe, dann stieß er heiser und mit sichtbarer Anstrengung die Worte hervor: »Glaubt Elfriede, daß ich der Mörder sei?« Seine Füße taumelten noch, aber in seinem Kopfe schien es plötzlich hell geworden zu sein.
Fritz schaute ihn ernst an. Er überlegte einen Augenblick, ob es nicht gerathen wäre, den Trunkenen darüber im Zweifel zu lassen, damit er sich um so vollständiger ausspreche, aber Nik's Angesicht nahm immer mehr den Ausdruck qualvollster Seelenpein an, und mit einem Tone der Verzweiflung, der Fritz durch das Herz schnitt, rief er: »Sie glaubt es, sie glaubt es – sage die Wahrheit, glaubt sie es?«
Da erfaßte Fritz ein tiefes Erbarmen, und mit ernster Herzlichkeit, die fast etwas Feierliches hatte, sagte er: »Nicht einen einzigen Augenblick hielt Elfriede Dich einer solchen That für fähig.«
Wie ein Sonnenstrahl lief es über Nik's bleiches Antlitz, und Freude blitzte aus seinen Augen. »Dank Dir«, sprach er, »danke. Nun ist das Schlimmste vorüber. Wärest Du nicht gekommen, siehe, ich hätte mich in dieser Nacht getödtet.«
»Warum verzweifelst Du am Leben, Nik, wenn Du frei bist von Schuld?« antwortete Fritz, indem er ihm wieder prüfend in die Augen sah. »Stehst Du wirklich ganz rein da vor Gott und vor Deinem Gewissen?«
Nik erbleichte wieder und schlug die Augen nieder, dann versuchte er, Fritz fest anzusehen, aber es gelang ihm nicht. »Sei offen, Nik«, sagte Fritz, »Du hast in den letzten Tagen viel mit dem Rothen verkehrt, und Du weißt, daß Dir nie etwas Gutes aus diesem Verkehre erwachsen ist.«
Wieder würgte sich Nik mit seinem Schmerze; wieder zuckte es um seinen Mund, als ob er im nächsten Augenblicke in Thränen ausbrechen werde. In dem ersten Verhöre, nachdem man ihn hier eingebracht, hatte er trotz seiner Geistesverwirrung mit der Schlauheit eines Irrsinnigen die Auslieferung der Schlüssel an Müller verschwiegen. Auch jetzt konnte er sich nicht entschließen, eine Uebereilung einzugestehen, die ihn zum Diebsgenossen stempelte, ja ihn als mitverantwortlich an dem Morde des Vaters erscheinen ließ. Sich hart an Fritz vorüberdrängend, warf er sich auf einen der beiden Stühle bei dem Tische und sagte dumpf vor sich hin: »Ich weiß von nichts.«
Fritz setzte sich an das andere Ende des Tisches und sprach: »Du hattest dem Rothen das Geld versprochen. Du mußt wissen, wo es geblieben ist.«
Nik trommelte mit den Fingern auf dem Tische, und sagte zornig: »Nein, ich weiß es nicht.«
»So«, erwiderte Fritz in vorwurfsvollem Tone, »dann will ich Dir etwas zeigen, was Du beim Graben im Garten verloren hast.«
Nik blickte befremdet auf. »Unter den Tannen«, fuhr Fritz ruhig fort, indem er in der Tasche nach dem Ringe suchte, »im Reiche der Brunnenfrau, wie Du sagen würdest, fanden sie dieses«, und er schob Nik Elfriedens Ring hin.
Nik betrachtete den kleinen goldenen Reif und fuhr alsbald in convulsivischem Schrecken zusammen. In unsinnigem Entsetzen sprang er auf, und sich gegen die Wand stemmend, rief er: »Wieder schickt sie ihn mir, zum dritten Male! Sie läßt nicht von mir.«
Der junge Theologe dachte, er ist verrückt geworden. Theilnehmend faßte er ihn an der Hand und zog ihn nach seinem Sitze. »So erzähle doch«, sagte er, »was ist denn geschehen, seit ich Dir bei dem Altar diesen Ring zurückbrachte?«
Aber Nik fuhr fort zu zittern. Dann sagte er leise: »Ich gab als Knabe den Ring der Psyche am breiten Gange; er verschwand und kam bei der Brunnenfrau wieder zum Vorschein. Ich gab ihn Deiner Schwester, aber er haftete nicht an ihrer reinen Hand. – Am Altar brachtest Du ihn mir wieder. Da sah ich ein, daß die Brunnenfrau ältere Anrechte an mich habe, und um Mitternacht warf ich ihn in die Cisterne und verlobte mich feierlich der weißen Frau. Sie stieg greifbar vor mir auf; sie war mir so nah wie Du hier« ...
»Unsinn«, erwiderte Fritz. »Es war nebelig an jenem Abende. Auch ich sah die Wolke, als ich Dich verließ.«
»Warte nur«, schrie Nik ungeduldig. »So habe ich sie noch nie gesehen, wie damals. Als ich nach ihr greifen wollte, entwischte sie mir, aber sie jagte vor mir her, schließlich war sie verschwunden, aber als ich auf den breiten Gang kam, was glaubst Du, daß ich da sah?«
Fritz zuckte ungeduldig die Schultern.
»Die Gestalt der Psyche war herabgestiegen von ihrem Postamente. Sie stand ruhig an der Erde und blickte vor sich hin, als suche sie etwas. Diesen Ring suchte sie.«
»Er ist irrsinnig geworden«, dachte Fritz auf's neue. »Die Figur konnte doch nicht von selbst herabsteigen«, rief er aus. »Warum tratest Du nicht näher, um Dich zu überzeugen, ob das Mondlicht Dich nicht täuschte?«
»Der Mond war schon hinunter«, erwiderte Nik. »Auch graute es mir. Ich weiß kaum, wie ich auf mein Zimmer gekommen bin. Dort schlief ich in dem großen Lehnstuhle vor Ermüdung ein. Ich weiß nicht, wie lange ich da gesessen habe, aber plötzlich tappte mir eine kalte Hand in das Gesicht. Ich fuhr auf und sah am Fenster etwas Weißes hin- und herwallen. Da sagte ich wie Du, es ist der Nebel, stand auf und machte Licht. Aber ich fühlte wohl, wie die kalte Hand mir wieder gegen meinen Nacken griff. Wieder sage ich, es ist ja nur der Nebel, und rasch entschlossen wende ich mich um, um das Fenster zu schließen, da steht sie riesengroß mit ausgebreiteten Armen vor mir und bewegt sich mir entgegen, um mich zu ergreifen. Ich fühle noch, wie mein Haar sich sträubt, wie mein Blut zu Eis gerinnt, dann stürze ich zusammen. Aber mitten in dem Starrkrampf sah ich, wie sie sich über mich beugte. Sie grinste mich höhnisch an. Bald war sie verschwunden, bald kam sie wieder näher und näher. Ich wollte um Hülfe rufen, aber es war kein Laut in meiner Kehle. Immer war sie über mir, bald warf sie mir entsetzliche Blicke zu und sagte mit funkelnden Augen: ›Dieb, Dieb!‹« Fritz horchte befremdet auf und sah Nik prüfend an. Dieser aber beachtete den Blick nicht und fuhr unbefangen fort: »Dann streichelte sie mich wieder mit ihrer kalten Hand und wollte mich küssen. Aber sobald sie mir ganz nahe gekommen, zog sich ihr weißes Gesicht in die Länge und es zerfloß wie Nebel, Endlich hörte ich Geräusch, es klopfte, man rief mich. Ich wollte mich ermannen, aber der Starrkrampf lähmte jede Bewegung. Dann fühlte ich einen scharfen Geruch, der mir prickelnd in das Gehirn aufstieg, ich empfand einen Schmerz am Herzen und erwachte. Da waren sie, mich zu holen. Das Weitere weißt Du.« Er schwieg und sah traurig vor sich hin, aber die Weindünste schienen nun gänzlich verflogen.
»Warum glaubst Du«, fragte Fritz in tiefem Ernste, »daß das Gespenst Dich Dieb nannte?«
Nik fuhr zusammen. Er wollte etwas sagen, dann aber zuckte er unmuthig die Schulten: und erwiderte: »Ich weiß es nicht.«
»Bitte, Nik«, sagte Fritz, »erleichtere Dein Gewissen. Sage mir Alles. Ich will schweigen, wenn Du es verlangst, aber ich kann Dir nur helfen, wenn Du ganz offen bist.«
Nik schüttelte trübe den Kopf. »Mir kann Niemand helfen«, sagte er. »Beobachtet den rothen Müller«, fügte er dann nach einer Weile leise hinzu. »Das ist das Einzige, was Ihr für mich thun könnt.«
»Hast Du denn keine bestimmten Verdachtsgründe gegen ihn?« fragte der Freund, Nik schwieg wieder eine Weile, dann sagte er leise: »Nein.« Der junge Theologe erhob sich betrübt. Er sah, daß er heute nichts aus dem Gefangenen herausbringen werde. »Aber«, so dachte er bei sich, »Eines ist tröstlich, die Brunnenfrau sagte ›Dieb‹, sie sagte nicht ›Mörder‹.« Er schwankte sogar einen Augenblick, ob er nicht Nik auf dieses indirecte Geständniß hin geradezu des Diebstahls bezichtigen solle. Schließlich sagte er jedoch zu sich selbst: »Nein, noch ist er verstockt; wenn die öffentlichen Verhandlungen näher rücken, wird er schon einsehen, daß gerade sein Schweigen ihn in's Verderben stürzt.« Dennoch stand er zögernd, ob er bleiben, oder gehen solle, nach kurzer Erwägung aber griff er nach seinem Hute, und reichte Nik die Hand. Dieser nahm sie lässig und müde, aber plötzlich sprang er auf, warf sich Fritz an die Brust, bedeckte sein Gesicht mit Küssen, und brach in Thränen aus. »Bitte, sage die Wahrheit«, flehte Fritz.
»Jetzt nicht, heute nicht. Komme wieder, dann wollen wir berathen. Aber glaube mir, ich war es nicht, ich wußte es auch nicht, ich habe auch das Geld nicht. Ich bin nicht so schuldig, wie Ihr denkt.«
Fritz zögerte, aber Nik drängte ihn jetzt selbst gegen die Thüre und klopfte dem Wärter. Dieser trat auch sofort ein; es schien fast, als ob er gehorcht hätte. Noch einmal reichten sich die Freunde die Hand, und in tiefen Gedanken kehrte Fritz den Weg zu der Stube des Untersuchungsrichters zurück. Dieser empfing ihn in derselben burschikosen Weise wie zuvor.
»Nun, Herr Pfarrer, hat er gebeichtet?« redete er den jungen Theologen spöttisch an.
Fritz setzte sich erschöpft auf einen Stuhl und sagte: »Er lag in jener Nacht im Starrkrampfe. Es ist wohl möglich, daß der Mörder seine Ohnmacht benutzte, um durch seine Stube einzudringen.«
»Dann sagen Sie mir, Verehrter«, erwiderte der Richter höhnisch, »wodurch er in Starrkrampf fiel? Er ist kein Epileptiker, ich habe seinen Hausarzt befragt, auch litt er nie an Ohnmachten.«
»Aber er war stets ein Phantast und abergläubisch wie ein Köhler«, sagte Fritz. »An jenem Abende hatte er das Brockengespenst gesehen. Er kam aufgeregt aus dem Garten zurück, wo er sich schon mit allerlei Hirngespinnsten herumgeschlagen hatte. Er sah dort den Nebel für die weiße Frau an; er behauptet, die Figur der Psyche auf dem breiten Gartenwege sei von ihrem Postamente herabgestiegen, und ähnliches ungereimtes Zeug. Als er sich dann in seiner Stube Licht machte und das Fenster schließen wollte, sah er seinen eigenen Schatten auf dem quirlenden Nebel draußen für das Schloßgespenst an. Da er sich mit ausgebreiteten Armen, um die Fensterläden zu schließen, hinausbeugte und das Licht hinter ihm stand, beugte natürlich die Schattengestalt sich ihm entgegen, er aber glaubte, sie wolle ihn umarmen, und fiel, überreizt wie er war, in Ohnmacht. Diese Zeit benutzte der Verbrecher, um durch seine Stube einzudringen.«
»Nein, Verehrter«, erwiderte der Richter. »Das Verbrechen fand bald nach elf Uhr statt, denn um diese Zeit heulte der Hund des Barons und kratzte wie verzweifelt an der Thüre. Der junge Baron aber behauptet, er sei erst nach Mitternacht heimgekehrt.«
»Nun, dann ist er es ja um so weniger gewesen«, erwiderte Fritz.
»Behauptet, sage ich«, widerholte der Beamte. »Er hat allerdings nach der That sich wieder in den Garten begeben, um die Spuren seines Verbrechens zu vertilgen und das Geld zu verbergen. Denn das soll er einem Andern weismachen, daß er bei dieser Jahreszeit zu seinem Vergnügen bis Mitternacht im Garten gesessen habe.«
Fritz erbleichte. Ihm war schon damals aufgefallen, wozu Nik denn um so späte Stunde sich noch im Garten herumtreibe?
»Entweder«, fuhr der junge Jurist fort, »rückt er mit dem Geständniß heraus, wo er bis zwölf Uhr gewesen, oder gibt einen vernünftigen Grund an, warum er im Garten geblieben; wenn nicht, so nehme ich an, er war auf seiner Stube und ging erst nach dem Morde in den Garten, um das Geld bei Seite zu schaffen. Dann ist Alles klipp und klar, und ich brauche keine weiße Damen, Brunnenfrauen und Brockengespenster.«
»Wohl«, sagte Fritz traurig, »aber der Arzt hatte doch auch den Eindruck, daß er sogar bei seinem Erwachen noch Geister sah.«
»Kann sein«, erwiderte der Richter, indem er die Achseln zuckte. »Der junge Mann ist kein verhärteter Sünder, im Gegentheil ein Gemüth wie Butter, nur ruinirt durch den Wein und die Frauenzimmer. Er mag das Ganze im Delirium gethan haben, wie der Doktor meint, und als ihm dann klar ward, er habe einen Vatermord verübt, möglich daß da die Furien ihn ergriffen, daß er sich mit Banko's Geist herumschlug, und die Statuen von den Postamenten stiegen, um ihn zu verfolgen. Nur mit Starrkrampf und solchen Geschichten bleiben Sie mir vom Leibe. Meine Leute sahen deutlich, daß er sich noch regte, als sie eindrangen.«
Fritz war tief niedergeschlagen und wagte nicht zu widersprechen. »Wo war Müller um elf Uhr?« fragte er nach einer Pause.
»Bei seiner Großmutter und Schwester, um ihnen Bericht zu bringen, daß der junge Herr zahle. Die beiden Weibspersonen sind bereit, es zu beschwören.«
Fritz schüttelte nachdenklich den Kopf.
»Also sonst haben Sie nichts ermittelt?« fragte der Richter.
»Er versichert seine Unschuld«, erwiderte Fritz, »aber in seinen Beziehungen zu Müller ist auch für mich noch ein dunkler Punkt.«
»Hic haeret aqua«, erwiderte der Andere. »Wenn Sie sich getrauen, das aufzuhellen, so können Sie morgen noch einmal zu ihm gehen. Ich werde Befehl geben, Sie einzulassen. Wir müssen durchaus herausbringen, wo das Geld verblieb. Hätte der Rothe dasselbe wirklich erhalten, so würde ich ihn natürlich als Anstifter einziehen.«
Fritz dankte für die Erlaubniß, Nik nochmals sehen zu dürfen, und kehrte in tiefem Sinnen nach Hause zurück. Dort erzählte er Elfrieden jedes Wort, das er mit Nik gesprochen. Sie weinte leise vor sich hin. »Wie glücklich bin ich«, sagte sie, »daß ich mich nicht getäuscht. Du wirst sehen, daß er unschuldig ist.«
Als Fritz am folgenden Morgen wieder bei Nik eintrat, saß derselbe lesend am Tische. Er hatte Elfriedens Ring am Finger, und die Bibel lag aufgeschlagen vor ihm.
»Du hast Dich an die rechte Quelle des Trostes gewendet«, sagte Fritz, als er Nik's Beschäftigung sah, und mit Vergnügen gewahrte, daß dieses Mal keine Weinflasche zur Hand war. Der bleiche Gefangene schlug die überwachten, roth geränderten Augen zu dem Besucher auf und lächelte: »Ich wundere mich, daß Du es für erlaubt hältst, aus der Bibel sich Orakel zu holen. Von Dir habe ich diesen Aberglauben gelernt.«
»Ich habe die Ueberzeugung«, sagte Fritz ruhig, »daß jedes dieser Worte zu unserer Belehrung und Heiligung geschrieben ist. Was sollte also Böses dabei sein, sich für jeden Tag hier eine Losung zu holen? Schon oft ist eine solche Tageslosung mir ein Stern gewesen in dunkler Stunde.«
»Nun gut«, erwiderte Nik, »ich suche diesen ganzen Morgen Antwort auf die Frage, welches mein Schicksal sein wird, aber die Losungen widersprechen sich, und eine straft die andere Lügen.«
»Das heißt das Wort mißbrauchen«, zürnte Fritz. »Nicht heidnische Orakel sollst Du hier suchen, sondern Losungen für Dein Leben. Was Dein Schicksal sein wird, muß Dir Dein eigenes Gewissen verkünden.«
Nik schlug das Buch zu. »Gut, so wollen wir es lassen. Leider sagt mir mein Gewissen weniger als Du meinst«, setzte er dann trotzig hinzu.
»Du wolltest mir gestern noch etwas mittheilen, Nik«, sagte Fritz ernst. »Hast Du heute Dein Herz wieder zugeschlossen, das Du gestern mir zu öffnen im Begriffe warst?«
»Das, was ich zu sagen habe«, sprach Nik, trüb vor sich hin sehend, »würde die Sache nur verwirren, mich sogar ungerecht belasten, und beweisen könnte ich es doch nicht. Es würde als ein halbes Geständniß ausgelegt werden, und der einzige Zeuge, den ich habe, würde mich Lügen strafen, da er selbst der Thäter ist. Kann man mich verurtheilen auf das hin, was gegen mich vorliegt, so würde man es nach meiner Mittheilung erst recht können. Muß man mich freisprechen, so habe ich jene Mittheilung besser nicht gemacht, da sie mich ganz ungerechtem Verdachte preisgibt. Ist Alles zu Ende, dann will ich Dir sagen, was ich noch zu sagen habe, wenn Du mir schwörst, es treu zu bewahren wie eine Beichte.«
Fritz schüttelte ernst das Haupt. »Aus dem Allem«, sagte er, »geht hervor, daß Du bis zu einem gewissen Punkte Dich schuldig fühlst, wenn Du auch die tragische Wendung nicht voraussahst.«
Nik neigte leise das Haupt, als ob er diese Frage bejahe.
»So wirf doch das Geheimniß von Deiner Seele«, rief Fritz dringend. »Es liegt wie ein Stein auf Dir, und erdrückt Dich. Du wirst erst wieder athmen können, wenn Wahrheit ist zwischen Dir und Deinen Brüdern!«
»Nein«, sagte Nik traurig. »Ich sagte Dir, daß die Sache dadurch nicht heller wird, sondern dunkler.«
»Mir ist schon jetzt nichts mehr dunkel«, erwiderte Fritz streng. »Warum nannte die weiße Frau, die Ausgeburt Deines bösen Gewissens, Dich einen Dieb? Mörder nannte sie Dich nicht, aber einen Dieb!«
Nik erbleichte. Er fühlte, daß er sich unbewußt bereits verrathen habe, und stützte beschämt sein Gesicht in beide Hände. Und wieder mahnte Fritz in herzlichem Tone: »So erleichtere doch Deine Seele, mein armer, armer Freund! Gestehe, nimm Deine Strafe auf Dich! Oh, wenn Du wüßtest, welche Wohlthat dem kranken Herzen die Sühne ist, welcher Balsam, welcher Trost! Du würdest es bald empfinden, daß die Strafe nur ein Gegenreiz ist, der den viel schlimmeren Seelenschmerz ablenkt, das Aetzmittel, das die Wunde reinigt. Gewiß, Nik, es ist ein Geheimniß dabei. Der Sünder soll leiden, der Christ will leiden, er freut sich, daß er leiden darf. Dein wundes Gewissen wird nie ausheilen, wenn Du Dich einer Strafe entziehst, die Du verdient hast. Was daraus wird, wenn Du bekennst, das überlasse Gott, er ist barmherzig, und wird Dich schon wieder auf die Füße stellen, wie tief Du auch gefallen sein magst.«
»Fritz, lieber Fritz!« rief Nik, und Thränen standen ihm in den Augen, »oh, wenn Du wüßtest, wie Du mein Herz zerreißest, wie ich Dich liebe, Dich und Elfrieden. Aber ihr versteht mich nicht. Ich will ja Strafe erdulden, ich will ja leiden, obwohl ich nicht schuldig in Deinem Sinne, und auch in Deinem Sinne kein Christ bin. Was über mich kommen soll, wird kommen. Ich weiß, es waltet ein böser Stern über mir. Diesen Ring, den ich am Finger trage, habe ich einst mit Gold ausgelöst, das ich meiner Mutter entwendete. Darum läßt mich die, die ihn mir wieder schickte, als Dieb enden.«
Er schaute mit einem ängstlichen Ausdruck hinter sich, als ob ihm wieder ein Schauder über den Rücken kröche. »Sie wollte keine gestohlenen Gaben«, flüsterte er. »Auch Psyche, mit der ich mich zuerst verlobt, stieg von ihrem Postamente, um mich zu verfolgen. Der Rothe ist nur ihr Werkzeug. Ich soll zu Grunde gehen, sie läßt mich nicht los. Auch diese Nacht war sie da. Oh, sie sind fürchterlich, diese Nächte!«
Nik sagte das Alles leise und schnell vor sich hin. Er war bleich, und seine Lippen bebten. Fritz schaute ihm in die Augen und erschrak. Es waren die Augen eines Irrsinnigen. Der Wein des Untersuchungsrichters, die Aufregungen, die Einsamkeit, hatten ihr Werk vollbracht. Aber so sehr den jungen Mann schauderte, er bezwang sich und gab auf all' die wirren Reden keine Antwort, sondern, indem er zu seinem Hute griff, sagte er ruhig: »Also der rothe Müller ist der Mörder?«
Der Gefangene fuhr erschrocken auf, dann nickte er lebhaft mit dem Kopfe, während seine Augen gegen die Thüre abirrten, ob nicht irgend Jemand das verhängnißvolle Wort gehört habe?
»Ihr wolltet den Vater bestehlen, und Müller tödtete ihn, weil er euch überraschte«, sagte Fritz.
»Ich nicht«, flüsterte Nik. »Ich nicht. Ich war nicht dabei, Müller war es allein.«
»Aber warum redest Du denn nicht, Unglücksmensch!« rief Fritz außer sich.
»Ich will leiden, ich muß leiden«, sagte Nik. »Sie will es«, er sah stier mit allen Zeichen des Entsetzens nach der Wand. »Bleibe da, siehe hier kommt sie wieder.« Fritz ergriff bei diesem offenbaren Ausbruche des Wahnsinns ein Schauder. Er beschloß, alsbald die Verbringung des Kranken in ein Spital zu verlangen, und klopfte dem Beschließer. Auch heute war derselbe sofort zur Stelle. Der junge Theologe sagte ihm, er möge bei dem Kranken bleiben, und obwohl Nik ihm hastige Zeichen machte, er wolle den Wärter nicht, ließ er beide allein, um den Untersuchungsrichter aufzusuchen.
Dieser saß heute auf einem hohen Schreiberbock an seiner Arbeit, und ohne denselben zu verlassen, drehte er sich gegen den Eintretenden und fragte: »Nun?«
»Ihre Methode hat gewirkt«, erwiderte Fritz bitter, »Baron von Altenbrück ist wahnsinnig geworden.«
»Pah«, rief der junge Mann, seinen Bart drehend. »Ein wenig Delirium. Das geht vorüber. Hat er Ihnen nichts anvertraut?«
»Er beschuldigt Johann Müller«, erwiderte Fritz.
»Der in der Stunde der That gar nicht im Hause war«, sagte der Beamte kalt.
»Das alte Weib und die schlechte Dirne können lügen«, rief Fritz zornig.
»Möglich, aber wie kam Müller dann durch das Zimmer des jungen Herrn in die Wohnung des Barons?« fragte der Andere.
»Er kann des jungen Freiherrn Schlüssel gestohlen oder gefunden haben«, meinte Fritz.
»Er kann, und kann und kann; das Alles sind Möglichkeiten, aber keine Beweise«, sagte der Richter grob. Der junge Beamte war zu weit gegangen gegen den Angeklagten, nun wollte er nicht Unrecht haben. Nik sollte schuldig sein.
»Ich muß darauf bestehen, daß der Gefangene in das Spital verbracht wird«, erwiderte Fritz heftig. Der Jurist schaute ihn hochmüthig von der Seite an. Dann erwiderte er kalt: »Zu einem solchen Antrag sind Sie nicht legitimirt. Seine Mutter kann bei dem Oberlandesgericht derlei Wünsche vortragen. Ihnen steht das nicht zu.«
»So lassen Sie mich ihn wenigstens so lang pflegen«, rief Fritz glühend vor Entrüstung, »bis die Sache entschieden ist.«
»Im Gegentheil«, erwiderte der Beamte, »bei Ihrer Parteinahme für den Gefangenen, muß ich Ihnen den weiteren Zutritt zu ihm verbieten.«
»Sie wollen ihn also an Leib und Seele zu Grunde richten?« rief Fritz entrüstet. Dem jungen Richter schoß bei diesem Vorwurfe das Blut in den Kopf, und sein von Schlägerhieben zerfetztes Gesicht verzerrte sich. Er sprang von seinem Sitze herab, riß die Thüre auf und brüllte: »Hinaus! Sie haben hier überhaupt nichts weiter zu suchen, bis ich Sie als Zeugen vorführen lasse! Verstanden!«
Fritz selbst war es nun leid, daß er sich von seiner Hitze hatte hinreißen lassen. Aber er war noch allzu erregt, um sich zu entschuldigen. Vielmehr verließ er hoch aufgerichtet die Stube des rohen Burschen und begab sich hinüber in das Schloß, um mit der Baronin wegen einer Eingabe an das Gericht Rücksprache zu nehmen. Freilich konnte eine solche im besten Falle erst nach Tagen Nik in bessere Umgebung bringen, und wer konnte wissen, ob es dann nicht zu spät war.