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Zehntes Kapitel

Auf seine zwei lebenden Krücken gestützt, verließ er den Saal. Aus seinen Augen liefen noch die Tränen. Schritt für Schritt geleitete man ihn über Gänge und Treppen, denn er konnte sich nur sehr schwer und mühselig Vorwärtsschleppen. Er hatte unsagbare Angst, daß man ihn jetzt in die Marterzelle führen würde. Statt besten öffnete man ihm auf einem vornehmen Gang eine Tür. Er gelangte in eine richtige Wohnung mit schönen, hellen, gut eingerichteten Zimmern. Eine bessere Unterkunft hätte er sich gar nicht wünschen können. Erstaunt und ängstlich zugleich sah er sich um, als ob er eine Falle witterte. Er wollte nicht glauben, daß dies wahr sei. Schon wurde an die Tür geklopft. Der Vorsitzende selbst trat ein.

»Hoffentlich findet Ihr diese Wohnräume bequem genug?«

»Gehören denn alle drei Zimmer mir?«

»Alle drei. Auf den nachdrücklichen Einspruch der florentinischen Gesandtschaft hin haben wir diese Zimmer einem unserer Kollegen weggenommen, der vorübergehend in einem anderen Teil des Gebäudes untergebracht worden ist. Ihre Exzellenz, die Frau des Gesandten, hat Eure Sachen, Kleider, Leibwäsche, Arzneien und alles andere schon hergeschickt. Eurem Diener wird im Vorzimmer eine Lagerstätte bereitet. Als besondere Vergünstigung werden wir die Türen nicht versperren. Auch das ist eine Bevorzugung, die beispiellos in der Geschichte der Inquisition dasteht. Diesen Teil des Ganges dürft Ihr jedoch nicht überschreiten … Was geht denn draußen vor?«

Der Diener erwiderte ehrerbietig:

»Das Mittagessen von der Gesandtschaft, Monsignore.«

»Schön. Dann will ich den Gefangenen nicht weiter stören. Solltet Ihr irgend etwas benötigen, so wird mich Euer Diener stets in diesem Gebäude finden. Unterzeichnet jetzt das Protokoll über das Verhör. So. Ich wünsche guten Appetit.«

Erst dieses für Leib und Seele gleich qualvolle, aufregende Verhör, und jetzt … Galilei glaubte zu träumen. Als der Pater sich entfernt hatte, legte er sich gleich zu Bett. Dort nahm er das Mittagsmahl zu sich. Frau Katharina hatte ausschließlich seine Lieblingsspeisen kochen lassen, dazu schickte sie Obst und seinen Lieblingswein. Gierig schlürfte er den Wein. Er suchte den Rausch. Und das Getränk stieg ihm auch gleich zu Kopf. Nach dem Mittagessen schlief er ein, und nach langen Wochen schlief er das erste Mal wieder ordentlich, sechzehn Stunden. Als er am anderen Tage erwachte, strahlte die Sonne schon hoch oben am Himmel. Er vergegenwärtigte sich nochmals den ganzen Vorgang des Verhörs. Immer und immer wieder schüttelte er sich, wenn er an die Aufregungen und Qualen dieses Verhörs dachte. Aber seine körperlichen Schmerzen peinigten ihn heute nicht mehr so sehr.

Die körperliche Ruhe und die seelische Erleichterung wirkten auch auf seine Krankheit. Schon nach zwei Tagen fühlte er sich wohler. Am dritten Tage wagte er aufzustehen und konnte sich an den Möbeln oder seinem Diener festhalten, auch schon einige Schritte im Zimmer auf und ab gehen. Am fünften Tage kleidete er sich an und ging auf den Gang hinaus. Nur ein kleiner Teil des Ganges stand ihm zur Verfügung, über die Biegung hinaus durfte er nicht gehen. Mit schweren hinkenden Schritten humpelte er auf dem Gang hin und her. Zu Hause hatte er täglich einen kleinen Spaziergang unternommen, wenn er gesund war. Der Arzt hatte es ihm vorgeschrieben, und er selbst hatte auch die Erfahrung gemacht, daß alle Teile seines Körpers sofort ihren Dienst versagten, wenn er diese Spaziergänge vernachlässigte. Jetzt versuchte er diesen vorgeschriebenen Spaziergang hier auf dem Gang zu machen. Aber schon nach zwei oder drei Schritten mußte er sich wieder umdrehen. Ab und zu blieb er stehen und sah durch das Fenster hinunter auf den großen viereckigen Hof des Konvents, wo liebliche Blumen in den schönsten Farben prangten. Es war wirklich schwer, sich vorzustellen, daß dies Blumen der Inquisition seien.

Am selben Tage besuchte ihn Firenzuola. Er teilte ihm amtlich mit, daß sich das Santo Offizio an drei Fachleute gewendet habe, um feststellen zu lassen, inwieweit der Dialog das dem Autor seinerzeit mitgeteilte Verbot überschritten hätte. Die Gutachten lägen jetzt vor. Die Räte der Inquisition, Melchior Inkhofer und Augustino Oregio, verträten die Meinung, daß der Autor an der verbotenen Lehre in seinem Buche zweifellos festhalte und sie verteidige. Der dritte Sachverständige, Zaccaria Pasqualiga, habe zusätzlich noch gefunden, daß der Verfasser diese Lehre in seinem Buche auch predige.

»Ich teile Euch dieses mit«, sagte Firenzuola, »weil Euer Vergehen damit zweifelsfrei bewiesen ist. Die Strafe wird also nicht ausbleiben. Geht in Euch und tut Buße.«

»Was wird meine Strafe sein?« fragte er zögernd.

»Darauf könnte ich Euch selbst dann nichts erwidern, wenn ich es wüßte. Aber Ihr könnt Euch wohl denken, daß Euer Vergehen außerordentlich schwer ist und daher auch die Strafe entsprechend schwer sein muß. Das einzige, was Ihr jetzt tun könnt, ist, daß Ihr in Euch geht und Eure Sünden zutiefst bereut.«

»Verzeiht mir, Monsignore, könnte ich eine Milderung des Urteils erwarten, wenn ich von meiner Buße Zeugnis ablege?«

»Eine Buße, die eine Belohnung erhofft, ist keine wahre Buße. Die Richter werden zweifelsohne abwägen, ob Eure Buße aufrichtig oder nur scheinbar ist, wie gewöhnlich bei den Angeklagten.«

Mit diesen Worten verließ ihn der hohe Kommissar. Er aber blieb mit den lastenden Worten im Herzen zurück: »schwere Strafe«. Gleich dachte er an den Scheiterhaufen. Seine Phantasie hatte sich schon daran gewöhnt, sich bei jedem schlechten Anzeichen die gräßlichsten Dinge auszumalen. Papst Urban glaubte, daß er ihn in der Gestalt des Simplicio dem Spott der ganzen Welt habe preisgeben wollen. Papst Urban würde ihn also hinrichten lassen. Einen Unglücklichen hatte der Papst Paul doch auch nur deswegen köpfen lassen, weil er den Papst Gregor mit dem Kaiser Tiberius verglichen hatte, und zwar nur in einem Manuskript, das nicht einmal veröffentlicht worden war.

Nach einigen wenigen Tagen körperlicher und seelischer Entspannung wurde sein Zustand mit einem Male wieder schlechter. Das Gelenkleiden brach mit erneuter Kraft aus, als ob es im Zusammenhang mit seiner seelischen Verfassung stünde. Die entsetzlichsten Schmerzen überfielen ihn, die ihn sonst zum lauten Schreien zwangen. Jetzt aber konnte er nicht einmal schreien. Wenn er hier nachts lärmte, würde man mit ihm wohl nicht viel Umstände machen, sondern ihn kurzerhand in den berüchtigten, fürchterlichen Keller schleppen … dort mochte er dann brüllen, soviel er wollte. Der Schrei vieler Menschen drang von dort nicht mehr ans Tageslicht. Vor Qual vergrub er sein Gesicht in den Kissen, er knirschte mit den Zähnen, röchelte und stöhnte in die Kissen hinein. Manchmal, wenn er es ohne menschliche Anteilnahme einfach nicht mehr aushielt, ließ er seinen Diener kommen, hielt dessen Hand krampfhaft umklammert und wiederholte fortwährend:

»Was wird mit mir, Gianni … man wird mich quälen … man wird mich verbrennen …«

Der Diener konnte diese wahnsinnigen Qualen selbst nicht mehr mit ansehen. Auf eigene Verantwortung suchte er den Großinquisitor auf. Firenzuola stattete dem leidenden Greis einen Besuch ab. Auch Sincero, der Advokat der Inquisition, war mitgekommen. Man konnte in ihren Mienen lesen, daß sie der Zustand des Kranken erschreckte. Sie befragten ihn über sein Leiden, sie trösteten ihn sogar. Dann verließen sie ihn wieder, versicherten ihm jedoch, daß Firenzuola am anderen Tage wiederkommen und versuchen würde, eine weitere Erleichterung für den Kranken durchzusetzen. Am nächsten Tage erschien er tatsächlich wieder, abermals in Begleitung von Sincero.

»Ich bringe Euch eine gute Nachricht«, meldete er, »das Santo Offizio erklärt sich damit einverstanden, daß Ihr wieder im Gebäude der florentinischen Gesandtschaft wohnt. Sobald es Euch etwas besser geht, könnt Ihr umziehen; denn ich bin der Meinung, daß man Euch in diesem Zustande nicht hinüberschaffen kann.«

»Nein, ich könnte es auch gar nicht aushalten, obwohl ich mich unendlich nach diesem Hause sehne.«

»Gut, gut, nehmt Euch nur zusammen. Wir versprechen Euch beide, Euch sogleich in die Gesandtschaft bringen zu lassen, sobald Ihr wieder auf den Füßen stehen könnt. Aber das hat natürlich seine Bedingung.«

»Mir ist alles ganz gleich«, erwiderte, er hastig, »sagt nur, was ich tun soll. Ich bin zu allem bereit.«

»Ihr müßt ein sichtbares Zeugnis Eurer vollkommenen Reue ablegen.«

»Sehr wohl. Was für ein Zeugnis?«

»Wenn ich es Euch vorschreiben würde, verlöre es an Kraft. Ihr selbst müßt zum Ausdruck bringen, wie tief Ihr bereut.«

Sie ließen ihn in seinem Schmerz zurück, als ob sie ihm ein Rätsel aufgegeben hätten. Er hatte das Gefühl, man verlange irgend etwas von ihm, was er erraten sollte. Er war aber schon völlig zermürbt. Die Krankheit quälte ihn unsagbar, und vor dem Tode auf dem Scheiterhaufen hatte er unbeschreibliche Angst. Mit jeder Faser seines Herzens sehnte er sich nach dem Gesandtschaftsgebäude zurück, nach der tröstenden, wärmenden Liebe Niccolinis. Auch bildete er sich ein, dort unter dem Schutze der Autorität des Großherzogs von Toskana zu stehen.

Eine ganze Woche lang währte dieser Kampf mit sich selbst. Er ließ sich ein Exemplar seines Buches kommen und las mit angestrengter Aufmerksamkeit einige Stellen darin nach. Endlich reifte in ihm ein Entschluß: er würde sich demütigen und inbrünstig um Vergebung bitten, er würde flehen, ihm sein gebrechliches, armseliges Leben zu lassen. Er schickte nach Firenzuola.

»Monsignore, ich bitte, mich vor dem Santo Offizio erscheinen zu lassen. Ich will von meiner Buße Zeugnis ablegen.«

»Gut. Gott ist der Reue immer zugänglich, und auch wir wissen sie stets zu schätzen. Wie ist übrigens Euer Befinden? Morgen, am dreißigsten April, findet eine Sitzung statt. Könnt Ihr erscheinen?«

»Ja. Auch wenn ich am Sterben wäre, würde ich hingehen, denn diesen Zustand ertrage ich nicht länger. Aber nicht wahr, Monsignore, man wird mich nicht verbrennen, wenn ich Reue zeige?«

»Knüpft Ihr Eure Reue an Bedingungen? Wäre das denn noch wirkliche Reue? Dergleichen will das Santo Offizio nicht hören!«

»Nein, nein, ich stelle keine Bedingungen. Aber seht mich doch an, Monsignore, ich lebe ja kaum noch. ein winziger Funken Leben ist noch in mir. Ich bin ein Wrack. Ich weiß nicht einmal mehr, was ich spreche. Habt Erbarmen mit mir …«

»Ich habe Euch bereits eröffnet, daß wir Euch in Eure Gesandtschaft zurückkehren lassen, sofern Ihr aufrichtige Reue zeigt. Erscheint also morgen vor dem Santo Offizio und legt Zeugnis von Eurer Buße ab. Aber ohne Bedingungen!«

Den ganzen Tag und die ganze Nacht dachte er an nichts anderes, als was er seinen Richtern sagen könnte. Kaum war der Tag angebrochen, führte man ihn vor. Im Saal warteten die drei Geistlichen, vor ihnen stand das Kruzifix.

»Uns ist bekannt geworden, daß der Angeklagte eine Erklärung abgeben will.«

»Jawohl, Monsignore«, erwiderte er leise und mit gesenktem Haupte, »geruht mich anzuhören.«

Pause. Die Sätze, die er sich zurechtgelegt hatte, wollten einfach nicht über seine Lippen.

»Nun? So redet doch!«

»Ja«, begann er schließlich, »ich will sprechen. Ich habe mehrere Tage hindurch angestrengt über die im Verhör an mich gestellten Fragen nachgedacht, insbesondere über jene, ob mir vor sechzehn Jahren vom heiligen Offizium tatsächlich verboten worden sei, die eben damals verdammte Meinung von der Bewegung der Erde und dem Stillstehen der Sonne weder anzuerkennen noch zu verteidigen oder zu lehren. Und darüber kam mir der Gedanke, meinen gedruckten Dialog, den ich seit drei Jahren nicht wieder angesehen hatte, zu überlesen, um aufmerksam zu untersuchen, ob mir gegen meine lauterste Absicht aus Unachtsamkeit etwas aus der Feder geflossen wäre, weswegen … weshalb …«

»Nun? Nun!«

»Ich bitte um Vergebung, ich bin sehr erregt und kann nur sehr schwer atmen … ob etwas aus meiner Feder geflossen wäre, weswegen der Leser oder die kirchlichen Behörden mir nicht bloß Ungehorsam im allgemeinen, sondern auch gewisse Einzelheiten vorwerfen könnten, die geeignet wären, die Meinung aufkommen zu lassen, ich hätte den Befehlen der heiligen Kirche zuwidergehandelt. Da es mir, der gnädigen Erlaubnis der Oberen gemäß, freigestellt war, meinen Diener umherzuschicken, suchte ich mir ein Exemplar meines Werkes zu verschaffen, und als mir dies gelungen, habe ich es mit der größten Aufmerksamkeit gelesen und aufs genaueste geprüft. Es erschien mir fast, weil ich es solange nicht in Händen gehabt, wie eine neue Schrift und wie von einem fremden Autor. Und ich gestehe offen, an mehreren Stellen habe ich den Eindruck gehabt, als seien sie so abgefaßt, daß der mit meiner Denkungsweise nicht vertraute Leser glauben könnte, daß die falschen Behauptungen –«

Er mußte wiederholt schlucken, während er diese Worte über die Lippen brachte. Endlich blieb er ganz stecken. Jetzt hatte er das Ziel, den Glauben und die Überzeugung seines ganzen wissenschaftlichen Lebens verleugnet! Aber das große Gebäude des Minerva-Konvents stürzte nicht zusammen. Nichts dergleichen geschah. Nur in den Augen Firenzuolas begann es zu leuchten. Aber er sagte nichts. Er wartete.

»… obwohl ich die falschen Behauptungen«, fuhr der Angeklagte fort, und seine Augen wurden feucht, »zu widerlegen beabsichtigte, schienen sie durch die vorgebrachten Beweise eher geeignet, den Leser von ihrer Richtigkeit zu überzeugen, als ihm die Widerlegung zu erleichtern.«

Hier hielt er wieder inne. Nach dem Verrat an seinem ganzen Leben mußte er für eine Sekunde in sich gehen, um sich zu sammeln und seine Gedanken neu zu ordnen. Was wollte er denn nun noch sagen? Ja, jenes Argument des Papstes wollte er noch zur Sprache bringen, um seine Demut zu beweisen, damit Seine Heiligkeit ihn nicht den Tod durch den Scheiterhaufen erleiden laste.

»Insbesondere zwei Argumente: erstens das von den Sonnenflecken, und zweitens das von Ebbe und Flut scheinen bei mir so beweiskräftig, daß der Leser, der sie doch nicht für entscheidend, sondern für widerlegbar erachten soll, tatsächlich verwirrt werden muß. Da ich das Abgleiten in einen meinen wahren Absichten doch so fern liegenden Irrtum vor mir selbst dadurch nicht zu entschuldigen vermochte, daß man eben die Beweisgründe des Gegners, wenn man sie, besonders in einem Dialog, widerlegen wolle, auf das genaueste darlegen müsse und nicht zum Nachteile des Gegners abschwächen dürfe: da mir also, wie gesagt, diese Entschuldigung keine völlige Befriedigung gewährte, so nahm ich Zuflucht zu einer anderen: es macht einem jeden Freude, seinen Scharfsinn zu entwickeln und sich im Auffinden geistreicher und wahrscheinlich klingender Argumente selbst für unrichtige Behauptungen geschickter zu zeigen als die Durchschnittsmenschen. Obwohl ich gleich Cicero › avidior sim gloria quam satis sit‹, so würde ich doch, wenn ich heute über dieselben Beweisgründe zu schreiben hätte, sie ohne Zweifel derart entkräften, daß sie auch nicht den Anschein einer Stärke, die sie in Wahrheit entbehren, zu erwecken vermöchten. Ich habe also einen Irrtum begangen, und zwar, wie ich eingestehe, aus eitlem Ehrgeiz … und Unachtsamkeit.«

Galileo Galilei hatte die Wahrheit verleugnet. Er hatte die Heiligkeit der Wissenschaft mit Füßen getreten. Er hatte gelogen. Nun blickte er erwartungsvoll Firenzuola und die beiden Richter an. Er wartete auf die Erwiderung. Sie mußten doch wissen, welch ungeheueren Entschluß er in den vergangenen Wochen unter höllischen Qualen gefaßt hatte. Sie mußten sich doch darüber im klaren sein, was der weltberühmte Galilei jetzt tat: in wenigen Minuten hatte er die wissenschaftliche Arbeit seines ganzen Lebens zertreten und seinen Nacken vor den Peripatetikern gebeugt. Firenzuola hätte doch jetzt frohlocken müssen. Die Peripatetiker hatten gesiegt, Galilei, den Gelehrten, gab es nicht mehr. Die kopernikanische Idee war für immer gestorben … Aber Firenzuola jauchzte nicht vor Siegesfreude. Er entgegnete im gleichgültigen Ton des Verhandlungsführers:

»Wir nehmen diese Erklärung zur Kenntnis und fordern den Angeklagten hiermit auf, dieselbe schriftlich zu wiederholen und mit eigenhändiger Unterschrift zu versehen. Dieses Dokument werden wir dann den Akten beilegen. Ihr könnt jetzt gehen.«

Er wankte aus dem Saale. Keine Erlaubnis zum Umziehen? War das immer noch nicht genug? Was sollte er denn noch tun?

»Ich will zurück«, rief er, vor Erregung bebend, dem Dominikaner zu, der an der Tür stand, »laßt mich zurück, ich will noch etwas sagen.«

Der Dominikaner trat in den Saal, kam jedoch gleich wieder zurück und öffnete die Tür. Galilei schleppte sich hinein. Seine Richter saßen noch auf ihren Plätzen.

»Ich habe noch etwas mitzuteilen«, preßte er heiser mit bebender Stimme hervor.

»Bitte.«

»Ich will noch deutlicher beweisen, daß ich diese verdammte Lehre von der Bewegung der Erde und dem Stillstehen der Sonne nicht für wahr gehalten habe und sie auch nicht für wahr halte. Die drei Sprecher in meinem Buche beschließen, nach einiger Zeit wieder zusammenzukommen, um sich über andere naturwissenschaftliche Fragen zu unterhalten. Ich habe also die Möglichkeit, mein Buch fortzusetzen. So verspreche ich, die zugunsten der gedachten falschen und verdammten Meinung angeführten Gründe nochmals aufzunehmen und sie auf die wirksamste Weise, die mir der barmherzige Gott schon eingeben wird, zu widerlegen … zu widerlegen … daß die Erde still steht und die Sonne sich … bewegt … die Sonne.«

Er taumelte, klammerte sich am Rande des Tisches fest, aber seine Knie versagten ihm den Dienst, er fiel hin und verlor die Besinnung. Cincero erhob sich, ging um den Tisch herum, griff ihm unter die Arme und half ihm auf. Als er sich wieder gesammelt hatte, sprach Firenzuola:

»Faßt auch diese zusätzliche Erklärung schriftlich ab. Und jetzt teile ich Euch mit, daß ich Unseren Herrn sogleich bitten werde, Euch zu gewähren, was ich Euch versprach. Macht Euch bereit, noch heute in die Gesandtschaft überzusiedeln.«

Dem Greis traten die Freudentränen in die Augen. Firenzuola erklärte die Sitzung für geschlossen, und sowohl er als auch der dritte Richter traten zu Galilei.

»Sammelt Euch«, sagte Firenzuola, »und hört gut zu, was ich Euch sage; denn ich habe Euch etwas Wichtiges mitzuteilen. Ich verletze zwar damit unsere heiligen Gesetze, aber ich möchte, daß Ihr unser besonderes Wohlwollen erkennen sollt. Wir werden in Kürze abermals eine Sitzung abhalten. Darin werde ich Euch auffordern, innerhalb acht Tagen eine Verteidigungsschrift an das Santo Offizio einzureichen, sofern Ihr etwas zu sagen habt. Überlegt Euch also bis dahin den Inhalt dieses Schriftstückes, das sehr aufrichtig, sehr reumütig, hauptsächlich aber sehr kurz sein muß. Jetzt kehrt zurück in Eure Zimmer und ruht Euch aus.«

Am selben Tage in den Nachmittagsstunden trug man ihn in das Gesandtschaftsgebäude. Alles das ging mit überraschender Schnelligkeit vor sich: Firenzuola hatte nach dem Verhör sofort mit dem Papst sprechen können. Als ob man nur auf die Buße des Gelehrten gewartet hätte. Niccolini war von alledem nichts bekannt, denn aus dem Gebäude der heiligen Inquisition drang keinerlei Nachricht in die Öffentlichkeit. Freudig überrascht empfing er den Heimkehrenden, umarmte ihn zärtlich und beeilte sich, das große Ereignis durch einen besonderen Kurier dem Hofe in Florenz zu melden. Frau Katharina weinte vor Freude. Beide wußten nicht, was sie ihm Liebes antun könnten. Sie versuchten, ihm jeden Wunsch an den Augen abzulesen, sie trösteten und pflegten ihn.

Als er das Gebäude der Inquisition verließ, teilte Firenzuola ihm mit, daß er auch dem Gesandten keinerlei Einzelheiten über seinen Prozeß mitteilen dürfe; Gäste zu empfangen, sei ihm gleichfalls untersagt; ebenso dürfe er die Villa Medici nicht verlassen. Das Verbot, Gäste zu empfangen, hätte ihn nicht besonders geschmerzt und auch in die Stadt zog es ihn nicht. Wenn er Lust hatte, konnte er sich ja in dem herrlichen Park der Villa in die Sonne setzen. Aber gerne hätte er alles mit dem Gesandten besprochen, ihn um Rat gebeten und seine Meinung über die Strafe gehört. Er wagte es jedoch nicht, das Gebot zu übertreten.

Über den Inhalt der Verteidigungsschrift sann er lange nach. Das war eine heikle Sache. Wie eine Eidechse mußte er sich zwischen Lüge und Wahrheit hindurchschlängeln, und zwar so, daß die Empfindlichkeit des Santo Offizio nicht verletzt würde. Nach dem erzwungenen Geständnis konnte er jenes vollständige Verbot nicht mehr in Abrede stellen. Er mußte also zusehen, wie er sich rechtfertigte. Einige Konzepte verwarf er wieder, ehe er sich zur endgültigen Fassung entschließen konnte.

Seine Verteidigungsschrift lautete endlich folgendermaßen:

 

»Auf die Frage, ob ich den ehrwürdigen Pater Palastmeister von dem mir vor ungefähr sechzehn Jahren persönlich erteilten Befehle unterrichtet hätte, laut Verordnung des heiligen Offizio die Meinung von der Bewegung der Erde und dem Stillstehen der Sonne nicht festzuhalten und nicht zu verteidigen, noch in irgendeiner Weise zu lehren, erwidere ich: nein. Da ich nicht weiter nach der Ursache meines damaligen Schweigens befragt worden bin, habe ich mich auch nicht dazu äußern können. Es erscheint mir aber notwendig, meine Gründe anzuführen, um die Lauterkeit meiner Gesinnung zu erweisen, da es mir immer ferne gelegen hat, bei meinem Tun zu Lug und Verstellung Zuflucht zu nehmen. Ich kehre nun also zu jener Zeit, dem Jahre sechzehnhundertsechzehn, zurück. Einige mir übelwollende Personen hatten das Gerücht verbreitet, ich sei von Seiner Eminenz, dem Kardinal Bellarmin, vorgeladen worden, um gewisse von mir vertretene Meinungen und Lehren abzuschwören; ich hätte dies auch wirklich tun müssen, und es sei mir dann noch eine Buße auferlegt worden. Ich sah mich darum genötigt, Seine Eminenz um eine schriftliche Erklärung zu bitten, weswegen ich vor ihn berufen worden sei. Ich erhielt ein eigenhändig von Seiner Eminenz unterschriebenes Attest, das ich dieser Schrift beilege. Aus diesem ist klar zu ersehen, daß mir nur angekündigt wurde: man dürfe die dem Kopernikus zugeschriebene Lehre von der Bewegung der Erde und dem Stillstehen der Sonne weder festhalten noch verteidigen; daß mir aber außer dieser allgemeinen, für alle gültigen Vorschrift noch etwas im besonderen anbefohlen worden wäre, davon findet sich in jenem Schriftstück nicht die geringste Spur. Da ich nun dieses authentische Zeugnis von der Hand desselben Mannes besaß, der mir die Vorschrift bekanntgegeben hatte, habe ich nicht weiter über den Wortlaut des mündlichen Befehles nachgedacht, noch mich bemüht, ihn im Gedächtnis zu behalten, so daß die beiden anderen Bestimmungen außer dem ›festhalten‹ und ›verteidigen‹ nämlich ›zu lehren‹ und ›in irgendeiner Weise‹ mir vollständig neu vorkommen, als hätte ich sie nie gehört. Ich denke, man wird mir nicht den Glauben versagen, wenn ich versichere, daß mir im Laufe von vierzehn bis sechzehn Jahren jede Erinnerung an jene Worte vollständig entschwunden ist, und dies um so mehr, als ich nicht nötig hatte, viel darüber nachzudenken, da ich ja ein authentisches Schriftstück besaß. Wenn man nun die genannten zwei Bestimmungen wegläßt und nur die beiden in dem vorliegenden Zeugnis angeführten beibehält, so ergibt sich unzweifelhaft, daß sie auf dasselbe hinauslaufen wie die durch das Dekret der heiligen Index-Kongregation erlassene Vorschrift. Damit aber scheint es mir hinreichend entschuldigt zu sein, daß ich den Pater Palastmeister über den mir persönlich mitgeteilten Befehl nicht unterrichtet habe, da ja derselbe mit dem von der Index-Kongregation verlautbarten völlig übereinstimmt.

Daß ich dann, da mein Buch keiner strengeren Zensur unterlag als jener, zu welcher das Dekret des Index verpflichtete, in der zweckmäßigsten und geziemendsten Weise vorging, um es sicherzustellen und von jedem Schatten eines Makels zu säubern, scheint mir klar daraus hervorzugehen, daß ich es ja dem obersten Inquisitor vorlegte, und das gerade in einer Zeit, wo viele denselben Gegenstand behandelnde Bücher bloß kraft des genannten Dekrets verboten wurden. Aus dem Gesagten glaube ich die feste Hoffnung schöpfen zu dürfen, die hochwürdigen und weisen Richter werden den Gedanken aufgeben, ich hätte wissentlich und vorsätzlich die mir erteilten Befehle überschritten, sondern vielmehr erkennen, daß die in meinem Buche enthaltenen anstößigen Stellen keineswegs unter irgendeinem Deckmantel und in unaufrichtiger Absicht hinterlistig hineingeschmuggelt wurden, sondern mir lediglich aus eitlem Ehrgeiz und der Sucht, scharfsinniger erscheinen zu wollen als die gewöhnlichen Schriftsteller, unversehens aus der Feder flossen, wie ich dies auch in meiner früheren Aussage bekannt habe, und welchen Fehler ich bereit bin, wieder gutzumachen, sofern mir dies von den hochwürdigen Herren anbefohlen oder gestattet wird.

Es erübrigt mir noch zum Schlusse, auf meinen bemitleidenswerten körperlichen Zustand hinzuweisen, in den zehn Monate seelischer Erschütterung nebst den Beschwerden einer langen, mühsamen Reise in der ärgsten Jahreszeit mich, einen Siebziger, versetzt haben, und der die Hoffnung auf ein längeres Leben, zu der die frühere Beschaffenheit meiner Gesundheit mich berechtigte, vernichten dürfte. Das Vertrauen, das ich in die Huld und Gnade der hochwürdigen Herren, meiner Richter setze, gibt mir den Mut, dieses auszusprechen. Ich bitte untertänigst, angesichts so vieler Leiden die entsprechende Bestrafung seiner Vergehen dem hinfälligen Greis nachzusehen, der sich ihrem Schutz untertänigst empfiehlt. Desgleichen bitte ich sie um Schutz für meine Ehre und meinen guten Ruf gegen die Verleumdungen der mir Übelgesinnten, die so eifrig bemüht sind, denselben zu untergraben.«

 

Zehn Tage lang ereignete sich nichts, was seinen Prozeß betraf. Aber das Schicksal hatte noch andere Aufregungen für ihn. Celeste schrieb, daß die Pest mit neuer Kraft wüte. Selbst vom Lande träfen Nachrichten über Todesfälle ein und in der Stadt stürben die Menschen abermals massenweise. Über solche Dinge durfte er sich mit dem Gesandten und seiner Frau unterhalten.

»Eure Exzellenzen«, sagte er, den Brief entsetzt vorweisend, »das Schicksal zwingt mich doch in eine grauenhafte Lage! Hier lebe ich in ständiger Furcht vor dem Scheiterhaufen, und mit jedem meiner Gedanken sehne ich mich nach Hause, zu Hause aber tobt die Pest. Und nun habe ich auch noch um das Schicksal meiner Angehörigen Angst auszustehen. Wenn die Seuche mir meine Töchter nimmt, sterbe ich vor Verzweiflung. Bisher war ich wenigstens wegen der Familie meines Sohnes beruhigt. Er hatte sich nach Monte Varchi versetzen lassen. Wie ich jetzt höre, beginnt die Pest auch in den Dörfern zu wüten. Meine beiden Enkelkinder … mein Gott … hier dieses fortwährende grauenhafte Bangen vor der Inquisition … die Qualen meiner Krankheit … Habe ich denn so sehr gesündigt, daß mich Gott so hart strafen muß?«

»Wartet einmal«, erwiderte die Frau des Gesandten, »auch ich habe einen Brief von Celeste. Wenn ich ihn Euch vorlese, werdet Ihr Euch beruhigen.«

Sie lasen den Brief Celestes gemeinsam. Daraus sprach zärtliche Liebe und ein unbändiges Vertrauen in das Schicksal ihres Vaters. Niemand auf der Welt konnte so trösten, von niemandem strömte ein solcher Friede aus. Ihr Brief war wie die segnenden Hände, die die Heiligen über seine schmerzende Seele hielten.

Am zehnten Mai bestellte man ihn zu einem neuerlichen Verhör. Mit strenger Amtsmiene teilte Firenzuola ihm mit, daß ihm Gelegenheit gegeben sei, eine Verteidigungsschrift aufzusetzen, wenn er noch irgend etwas zu seiner Rechtfertigung vorzubringen habe und daß ihm dafür acht Tage zur Verfügung stünden. Galilei holte seine bereits fertige Verteidigungsschrift aus der Tasche und legte sie auf den Tisch. Auch das Dokument des Kardinals Bellarmin fügte er bei, nunmehr im Original. Damit war dieses Verhör und die Verhandlung beendet. Firenzuola billigte die Verteidigungsschrift und lobte den Angeklagten. Dann ließ man ihn wieder in das Gesandtschaftsgebäude zurückkehren.

Wenn ihn bisher die wilde Verzweiflung bis zur Bewußtlosigkeit verfolgt hatte, so verfiel er jetzt in das Gegenteil. Daß er den Leitgedanken seines kurzen Lebens so schändlich verraten hatte, empfand er als das größte Opfer, das er bringen konnte. Er hatte sein Wertvollstes für das nackte Leben hingegeben. Für den teuersten Preis hatte er sich ein durch Lug und Trug gebrandmarktes Leben erschachert, aber es war eben doch das Leben. Die letzten Jahre seines armen Daseins, in denen er sich an seiner geliebten, engelgleichen Tochter Celeste und seinen heranwachsenden Enkelkindern freuen konnte. Einen wahnwitzigen Preis bezahlte er dafür, und seine Richter mußten sich darüber im klaren sein, was ihm dieser Preis bedeutete. Auch der Papst mußte es wissen! Um den Zorn des Heiligen Vaters zu stillen, opferte er sich auf, ging er bis zur äußersten Grenze der Demütigung. Und wenn er wirklich geheime Feinde hatte, so wurde diesen jetzt ein überwältigender Sieg zuteil. Was könnten sie noch wollen … Er fühlte sich wie einer, der außer seinem Leben alles, aber auch alles hingegeben hat und in seiner Blöße nunmehr dem Vollstrecker des Urteils gegenübersteht. Jetzt hatte er vor der Tortur und dem Scheiterhaufen keine Angst mehr. Er wußte, daß ein hartes Urteil gefällt werden würde, daß man seinem Buche höchstwahrscheinlich einige gegen Kopernikus gerichtete Kapitel anheften und ihn zu irgendeiner Buße verpflichten würde. Seine wissenschaftliche Laufbahn war beendet, aber die stillen Freuden des Greisenalters würden ihm bleiben …

Er schrieb zuversichtliche Briefe an seine Bekannten, sprach nur von seinen Hoffnungen und mied sorgfältig jede Anspielung auf seinen Prozeß. Verschiedene Anzeichen deuteten darauf hin, daß der glimpfliche Verlauf des Prozesses auch anderen bereits bekannt war. Seine Post wurde mit einem Male sehr umfangreich; er erhielt eine ganze Reihe Glückwunschbriefe, die Freude und Genugtuung über die günstige Wendung zum Ausdruck brachten. Unter den Briefen war auch einer von Ascanio Piccolomini, dem jungen Bischof von Siena. Glückselig begrüßte er den einer großen Gefahr entronnenen Gelehrten und lud ihn warmherzig ein, nach Siena zu kommen, um dort von den Aufregungen auszuruhen. Er versprach ihm eine Sänfte, liebevolle Bewirtung, alle Annehmlichkeiten, die überhaupt in seiner Macht stünden. Der freudige Ton dieser Briefe flößte Galilei immer mehr und mehr Zuversicht ein. Auch sein körperlicher Zustand besserte sich, die Gelenkschmerzen ließen nach, er konnte viel im Garten der Medici-Villa spazieren gehen und das wirkte günstig auf sein Allgemeinbefinden. Jetzt wartete er nur darauf, so schnell wie möglich das Urteil zu vernehmen.

Aber die heilige Inquisition schwieg. Wochenlang. Niccolini versuchte zwar einige Male, die Angelegenheit zu beschleunigen, aber er hatte kaum Gelegenheit dazu. Die Inquisitoren konnten mit ihm darüber nicht reden, da dies die Gesetze des heiligen Offizio verboten. Der Papst hatte ihm schon einmal eine Audienz gewährt und ihm eine nichtssagende Antwort zuteil werden lassen. Höchstens nach Florenz hätte er sich wenden können, um den Großherzog zu veranlassen, von dort aus zu intervenieren. Aber auch das war nicht so einfach. Eines Abends wollte der Diener, der den Greis zu Bett brachte, durchaus etwas sagen, zögerte aber. Galilei bemerkte endlich, daß er ein Anliegen hatte und begann ihn auszufragen. Er hatte Erfolg.

»Bitte, versprecht mir, Euer Gnaden, daß Ihr mich nicht verratet!«

»Ich verspreche es. Du kannst mir vertrauen.«

»Der Diener Seiner Exzellenz hat mir etwas erzählt. Er hat gehört, wie Seine Exzellenz sich mit seiner Gemahlin über Eure Angelegenheit unterhielt. Sie waren beide ganz bestürzt und sprachen sehr unfreundlich über Seine Exzellenz Cioli. Denn Cioli, vergebt mir bitte vielmals, daß ich als Diener so etwas zu behaupten wage, ist ein schlechter Mensch und Euch nicht zugetan. Es sei ihm gar nicht recht, schreibt er, daß Ihr hier wohnt; das koste nur Geld und in der Gefangenschaft des Santo Offizio könntet Ihr auf Kosten der Inquisition leben. Sowohl der Herr Gesandte als auch seine Frau Gemahlin waren darüber sehr empört. Dann hat der Diener noch erfahren, was der Gesandte nach Florenz berichtet hat; die gnädige Frau fragte nämlich ihren Gemahl danach, und der Diener hörte die Antwort. Seine Exzellenz, der Gesandte, hat Seiner Exzellenz Cioli geschrieben, daß Eure Beköstigung alles in allem monatlich nicht mehr koste als fünfzehn Scudi. Für hundert Scudi könntet Ihr also ein halbes Jahr lang hier in der Gesandtschaft verbleiben. Sollte die Regierung diesen Betrag zu hoch befinden, so sei der Herr Gesandte gerne bereit, ihn aus eigener Tasche zu bezahlen … Aber ich bitte Euch um Himmels willen, verratet mich nicht! Auch nicht dem anderen Diener, sonst kann es uns schlimm gehen …«

Galilei war von der Menschlichkeit des Gesandten tief erschüttert. Er wollte den Diener nicht verraten, aber bei der nächsten Gelegenheit brachte er das Gespräch auf die Kosten seines Aufenthalts. Niccolini unterbrach ihn:

»Unser Herrscher ist ein Kavalier und kümmert sich nicht um ein oder zwei Goldstücke. Ihr solltet Euch aber darüber keine Sorgen machen. Ihr habt Sorgen genug. Ihr könnt hier bleiben, solange Ihr wollt, alles andere laßt meine Sorge sein.«

»Ich habe die Frage nur deswegen angeschnitten …«

»Kein Wort mehr davon, mein Lieber! Ich habe viel wichtigere Nachrichten für Euch. Eben jetzt wird mir mitgeteilt, daß mich der Papst morgen empfangen wolle. Ich hatte um eine Audienz gebeten, um Eure Angelegenheit zu beschleunigen.«

»Nicht nur beschleunigen, Exzellenz«, bat Galilei, die Gelegenheit wahrnehmend, »vielleicht könnt Ihr auch von Seiner Heiligkeit erfahren, wie mein Urteil ausfallen wird. Ob ich irgendwohin wallfahren muß, oder ob ich mich für einige Zeit in ein Kloster zu begeben habe. Solche Strafen pflegt das Santo Offizio sehr oft aufzuerlegen, wenn es guten Willens ist. Und vielleicht könnt Ihr auch erfahren, was mit meinem Buche geschehen soll …«

»Ich will's versuchen. Sobald die Audienz beendet ist, werde ich Euch Nachricht geben.«

Am anderen Mittag suchte der Gesandte den Greis im Garten auf.

»Das Urteil ist gefällt, Messer Galileo, aber es ist mir nicht bekannt. Sehr hart wird es nicht sein, antun wird man Euch nichts. Ich befürchte allerdings, daß es nicht zu milde ausgefallen ist. Ich habe den Papst einfach danach gefragt. Er erwiderte, daß das Kardinalkollegium auf Grund des Protokolls der heiligen Inquisition ein einstimmiges Urteil gefällt habe, daß dieses Urteil aber auch ihm noch nicht bekannt sei. Das ist natürlich unmöglich; denn das Urteil hat zweifellos er gesprochen. Er wollte es mir also offenbar nicht verraten. Sie bestehen ja immer darauf, die Verhandlungen der Inquisition bis zur Veröffentlichung des Urteils streng geheim zu halten. Als ich trotzdem auf Seine Heiligkeit weiter eindrang, sagte er: ›Wir wissen noch nicht, was mit ihm wird. Er hat zu büßen, das können Wir ihm nicht erlassen. Das mildeste Urteil kann lauten, daß er für eine gewisse Zeit in ein Kloster übersiedeln muß, um Buße zu tun. Sucht Uns nach Verkündigung des Urteils unter allen Umständen auf, damit wir dann besprechen, was sich machen läßt, daß ihm möglichst wenig Leid geschieht.‹ Daraus geht klar hervor, daß der Scheiterhaufen und was Ihr sonst noch fürchtet, gar nicht in Frage kommt. Hoffen wir also das Beste. Wenn das Urteil schon gefällt ist, kann sich die Angelegenheit auch nicht mehr lange hinziehen.«

Und wirklich, drei Tage später, am zwanzigsten Juni abends, brachte man ihm eine Vorladung: der Angeklagte habe am anderen Morgen, Dienstag um neun Uhr, vor der Heiligen Inquisition zu erscheinen. Er war aufgeregt, aber nicht verzweifelt; denn daß man ihn nicht töten würde, wußte er. Er war viel eher neugierig, was er sich mit diesem kläglichen Verrat an seinem Gewissen und der Arbeit seines ganzen Lebens erkauft hatte.

Am anderen Morgen um neun Uhr stand er pünktlich vor seinen Richtern. Er konnte wieder stehen. Die ärgsten Gelenkschmerzen waren vorüber, der Anfall im Abflauen. In dem großen Ratssaale waren abermals drei Personen anwesend, und er konnte sich nicht genug wundern, daß man in einem so großen Prozeß, dem Inquisitionsprozeß eines weltberühmten Gelehrten, mit so wenig Feierlichkeit einen Urteilsspruch fällte. Man hätte doch wirklich voraussetzen können, daß die Peripatetiker der Kirche, die einen solchen Sieg davontrugen, aus dieser Urteilsverkündung ein wahres Siegesfest machen würden.

»Der Angeklagte wird nochmals verhört«, erklärte Firenzuola, »er hat zunächst den üblichen Eid abzulegen.«

Er wiederholte die Eidesformel und war erstaunt. Wieder ein Verhör? War denn der Papst nicht richtig unterrichtet? Das Urteil war doch schon gefällt! Ganz erschüttert nahm er Platz, als man ihm erlaubte, sich zu setzen.

»Hat der Angeklagte noch etwas vorzubringen?«

»Jetzt nicht mehr.«

»Der Angeklagte hat nun zu beantworten, seit wann er daran glaubt, daß sich die Erde um die Sonne bewegt und ob er auch jetzt noch daran glaubt.«

»Vor langer Zeit, besser gesagt, vor der Entscheidung der Heiligen Index-Kongregation und ehe mir der bewußte Befehl erteilt worden war, blieb ich unentschieden und hielt beide Meinungen, sowohl die des Ptolemäus als auch die des Kopernikus, für strittig. Nach der Entscheidung der Kongregation aber, überzeugt von der Weisheit der Oberen, hörte in mir jede Ungewißheit darüber auf, daß die Erde stillsteht und die Sonne sich bewegt, wie es Ptolemäus lehrt.«

»Wie ist es dann möglich, daß Ihr viel später über eben diese Frage ein Buch geschrieben habt? Dieses Buch erweckt den Eindruck, daß der Angeklagte in seinem tiefsten Herzen auch weiterhin an Kopernikus festhält, das müßt Ihr doch einsehen.«

Galilei wollte etwas erwidern, aber Firenzuola wurde plötzlich wieder hart und schrie ihn an:

»Ihr habt einen Eid abgelegt, nur die reine Wahrheit zu sagen! Antwortet auf Ehre und Gewissen: habt Ihr an der Lehre des Kopernikus festgehalten und haltet Ihr heute noch daran fest? Ihr sollt nicht erwidern, was Ihr zu erklären bereit seid, sondern was Ihr in Eurem tiefsten Herzen glaubt! Saget die Wahrheit!«

Der Greis erschrak. Daß man ihn, anstatt ihm das Urteil zu verkünden, abermals einem Verhör unterzog, hatte ihn verstört und seines Gleichgewichtes beraubt. Und jetzt konnte er von dem Wege, den er schon beschritten hatte, nicht mehr abgehen. Er mußte wissentlich etwas Falsches unter Eid aussagen … Er mußte trotz des »so wahr mir Gott helfe« lügen …

»Was den bereits veröffentlichten Dialog anlangt, so habe ich ihn nicht darum geschrieben, weil ich an die kopernikanische Lehre geglaubt hätte. Ich habe nur im Glauben, dadurch dem allgemeinen Wohl zu dienen, die astronomischen Argumente für beide Weltanschauungen dargelegt. Dabei war ich bemüht, zu zeigen, daß weder die einen noch die anderen, weder die für Ptolemäus noch die für Kopernikus, entscheidende Beweiskraft besitzen und man demzufolge, um Sicherheit zu erlangen, seine Zuflucht zu der aus höheren Lehren entnommenen Entscheidung nehmen müsse, wie dies aus unzähligen Stellen meines Dialoges deutlich zu ersehen ist. Vor dem Richterstuhl meines Gewissens erkläre ich also, daß ich nach der Entscheidung der kirchlichen Behörden an dieser verdammten Lehre weder festgehalten habe noch jetzt festhalte!«

»Das ist alles nur Rederei! Der Angeklagte verdreht die Worte zwar sehr geschickt, vermag jedoch nicht zu überzeugen. Die kopernikanischen Argumente sind viel stärker. Ich warne Euch, gesteht demütig die Wahrheit ein, sonst kann ich mich auch anderer Rechtsmittel bedienen!«

»Nein«, erwiderte er halsstarrig, »als man mir diese Lehre verbot, wandte ich mich von ihr ab. Etwas anderes kann ich nicht sagen. Im übrigen bin ich hier in Euren Händen, tut mit mir nach Eurem Belieben.«

Firenzuola erhob sich und gleichzeitig mit ihm die beiden anderen Richter. Auch der Angeklagte stand auf. Der Hohe Kommissar der Inquisition erklärte mit feierlicher Stimme und mit ausgestreckter Hand:

»Im Namen des Santo Offizio warne ich Euch noch einmal, zum letzten Male, gesteht die reine Wahrheit, da wir Euch sonst der Tortur unterwerfen müssen!«

Galilei erblaßte. Er mußte sich festhalten. Blitzschnell arbeiteten seine Gedanken. Was mußte jetzt gesagt werden? Wenn er jetzt etwas anderes behauptete, gab er zu, eidbrüchig gewesen zu sein und das Buch in böser Absicht verfaßt zu haben … Er sah Firenzuola in die Augen und erwiderte bebend, aber entschlossen:

»Ich bin hier, um Gehorsam zu leisten, und habe, wie gesagt, an dieser Lehre nach der erfolgten Entscheidung nicht festgehalten.«

Firenzuola überlegte eine Sekunde, dann sah er die beiden anderen Richter an. Diese verstanden den fragenden Blick, den der Angeklagte nicht zu deuten vermochte. Beide nickten. Der Vorsitzende hob die Schultern.

»Der Angeklagte hat sich jetzt in das Nebenzimmer zu begeben und zu warten, bis er gerufen wird.«

Er taumelte hinaus. Er setzte sich. Er verspürte ein heftiges Verlangen, zu schlafen. Er bemerkte, daß sein ganzer Körper in Schweiß gebadet war. Seine Knie zitterten. Entsetzlich, entsetzlich, murmelte er vor sich hin. Vom Gang klangen Schritte herein und dieser Ton zerrte so sehr an seinen Nerven, daß er gequält aufschrie. Von drinnen war nichts zu hören. Ein furchtbares, ein grauenhaftes Warten war das! Es erschien ihm endlos, wie die Ewigkeit. Wie würde man ihn martern? Und wo? Hier im Keller oder in der Engelsburg? Sicherlich würde er es nicht überstehen und sterben. Celeste! Celeste! Warum bist du jetzt nicht hier …

Die Tür öffnete sich, man hieß ihn eintreten.

»Das Protokoll des soeben stattgefundenen Verhörs wird verlesen.«

Das Protokoll war wahrheitsgemäß und einwandfrei.

»Unterschreibt.«

Wortlos gehorchte er.

»So. Nun habe ich dem Angeklagten mitzuteilen, daß wir in dieser Angelegenheit morgen vormittag das Urteil verkünden. Das Verfahren ist beendet.«

»Kann ich jetzt heimgehen?« brachte er glückselig hervor.

»Nein, das verbieten die Statuten. Die heutige Nacht habt Ihr hier zu verbringen. Ihr erhaltet dieselben Wohnräume zugewiesen wie neulich. Warum zögert Ihr? Habt Ihr noch einen Wunsch?«

»Der Gesandte ist mir aufrichtig zugetan, er wird sich um mich sorgen. Könnte man ihn nicht benachrichtigen, daß ich hier bleibe und mir kein Leid zugefügt worden ist?«

»Ob Euch ein Leid zugefügt ist oder nicht, das ist ein Teil dieses Verfahrens, mithin also Amtsgeheimnis. Daß Ihr aber hier bleibt, werden wir seiner Exzellenz, dem Gesandten melden. Ihr könnt jetzt gehen.«

Man geleitete ihn in seine alte Wohnung. Nur der eine einzige Satz klang immer wieder in seinen Ohren wie das Glockengeläute der Erlösung: »Das Verfahren ist beendet.« Jetzt stand zweifelsfrei fest, daß man ihn nicht peinigen würde. Aus irgendeinem Grunde hatte man ihn unter Androhung der Tortur die kopernikanische Lehre nochmals abschwören lassen. Und damit auch alles, was er seit sechzehn Jahren gelehrt, geschrieben und worüber er disputiert hatte. Mit einem Male waren alle seine Gegner im Recht: Pater Grassi, Pater Scheiner, Chiaramonte, alle, alle. Dieses Protokoll verwarf nicht nur unter Eid den »Dialog«, sondern gab unter Eid auch allen seinen Gegnern recht. Aber das ist jetzt gleichgültig. Er wird sich in seine Villa zurückziehen, um seine Rebstöcke zu pflegen … er wird täglich Celeste besuchen, und seine Enkelkinder werden um ihn sein … Wahrlich, ein stilles, bescheidenes Ende eines tragischen, verwirkten Lebens. Ach: da bleibt noch die Buße, zu der man ihn verurteilen wird. Aber auch das ist jetzt ganz gleichgültig. Nur so viel Zeit soll ihm dann noch übrig bleiben, daß er noch einige Jahre, nur wenige Jahre, in seiner Einsamkeit in Arcetri verbringen kann!

Nachmittags traf die Sendung der aufmerksamen Frau Katharina ein: der Diener brachte gutes Essen, das Nachtgewand, Medikamente, Briefpapier und allerlei Kleinigkeiten. Und einen Strauß Blumen aus dem Garten. Früh am Abend legte er sich zur Ruhe, konnte aber lange nicht einschlafen, obwohl er keine Schmerzen hatte. Ein seltsamer Gedanke quälte ihn: jeder Mensch stirbt nur einmal, er aber starb zweimal. Als Gelehrter war er jetzt schon tot, als elender Verräter vom Schlachtfeld geflüchtet. Einstmals hatte ihm Fra Paolo Sarpi gesagt: »Ihr seid nicht zum Märtyrer geboren. Ihr liebt das Leben viel zu sehr.« Sarpi hat recht. Zum Märtyrer muß man geboren sein. Celeste könnte jederzeit für ihren Glauben sterben, ruhig, still und selbstverständlich. Aber es gibt nur eine Celeste auf der Welt …


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