Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel

Ein friedlicher, fröhlicher, alter Mann war er jetzt, und wenn ihm der Allmächtige eine bessere Gesundheit beschert hätte, hätte er sich sogar restlos glücklich preisen können; denn gegen den Gedanken, daß er auch Feinde hätte, stählten ihn längst die zahlreichen schmerzlichen Erfahrungen, die ihm während seiner Laufbahn widerfahren waren. Auch jetzt waren seine Feinde am Werk. Die Professoren der Universität zu Pisa hatten sich zusammengetan, um ihm sein Gehalt abzujagen. Sie ertrugen den Gedanken nicht, daß, während sie Vorlesungen halten und auf der Universität arbeiten mußten, Galilei geruhsam in Florenz lebte, zu Lasten der Universität und ohne Arbeit zu verrichten, und trotzdem sein hohes Gehalt bezog. Sie hatten einen geschickt vorbereiteten Angriff in die Wege geleitet, in dem von Galilei gar keine Rede war. Nicht einmal sein Name war genannt. Gleichzeitig hatten sie noch eine Denkschrift an den Großherzog gerichtet, wonach Galilei sein Professorengehalt nicht mehr hätte beziehen können, wenn diese Denkschrift Zustimmung finden würde. Die Freunde Galileis am Hofe sahen aber gleich, wo der Pferdefuß hervorlugte. Unverzüglich holten sie ein Gutachten von florentinischen Juristen ein. Dieses Gutachten wies den Großherzog darauf hin, daß die Erfüllung der in der Denkschrift geäußerten Wünsche für den berühmten und verdienten Gelehrten Galileo Galilei einen schweren finanziellen Verlust bedeuten würde. Das aber wäre sehr ungerecht; denn Galilei habe zwar an der Universität nicht gelesen, wohl aber jahrelang den einstigen Großherzog unterrichtet, und außerdem habe er eine ganze Generation von Gelehrten ausgebildet, die jetzt in ganz Italien den Ruhm von Florenz verkünde. Einer seiner alten Schüler, Aggiunti, erhielt vor kurzem den mathematischen Lehrstuhl in Pisa. Von seinen Jüngern waren nunmehr schon drei Universitätsprofessoren.

Die Sache, die bald im Sande verlief, bewegte ihn nicht sonderlich. Vor dreißig Jahren hätte er unzählige schlaflose Mächte darüber verbracht, daß es Menschen gab, die ihn nicht mochten. Das Leben entschädigte ihn heute mit weit größeren Freuden. Nachdem er das dicke Manuskriptbündel, das achthundert gedruckte Seiten versprach, nach Rom geschickt hatte, sandten ihm die »Luchse« jetzt begeisterte Grüße. Der Herzog Cesi teilte sofort seine Bereitwilligkeit mit, diese ungeheure Arbeit durch die Akademie der »Luchse« verlegen zu lassen. Castelli berichtete, er habe mit dem dicken Riccardi wegen der Zensur gesprochen, und Riccardi habe freudig zugesichert, das Manuskript schnellstens zu lesen und keinerlei Schwierigkeiten zu machen. Ciampoli, der Sekretär des Papstes, sein treuer Freund, schrieb ihm in alter Zuneigung, aber wichtiger als alle anderen Nachrichten war eine Äußerung des Papstes selbst.

Diese Äußerung stand in Verbindung mit Campanella, der nach siebenundzwanzigjähriger Haft aus dem spanischen Kerker in Neapel befreit worden war und sich sofort nach Rom begeben hatte. Papst Urban würdigte ihn seiner Gunst und kam öfters mit ihm zusammen. Erst kürzlich hatte er ihm eine längere Audienz gewährt. Campanella erzählte dem Papst, daß er Gelegenheit gehabt habe, sich einigen vornehmen deutschen Herren zu nähern. Er habe sich vorgenommen, jene vom protestantischen Glauben wieder zum römisch-katholischen zu bekehren. Seine Propaganda wäre recht erfolgreich gewesen, die Herren hätten sich nicht abgeneigt gezeigt, den katholischen Glauben anzunehmen, als man zufällig auf die kopernikanische Lehre zu sprechen gekommen wäre.

»Ich sagte ihnen«, berichtete Campanella dem Papst, »daß die Kirche den Standpunkt des Kopernikus höchstens als Hypothese gelten lasse. Darüber bestünde ein päpstliches Dekret. Daraufhin haben sich die deutschen Herren sogleich zurückgezogen. Jetzt wollen sie von einer Bekehrung nichts mehr wissen und sind entrüstet.«

»Schade«, erwiderte der Papst, »Wir sind anderer Meinung. Wenn es von Uns abhängig gewesen wäre, hätte dieses Dekret niemals das Sonnenlicht erblickt.«

Diese Erklärung des Papstes hatten auch andere gehört. Die ganze Unterhaltung berichtete man unverzüglich nach Florenz. Am liebsten hätte Galilei getanzt vor Freude, wenn seine alten Beine das erlaubt hätten. Auf alle Fälle ging er aber mit diesem Briefe zu allen denen, die sein Vertrauen besaßen. Zuerst las er ihn Celeste vor, dann besuchte er den Kanzler, der allerdings stets eine gewisse Zurückhaltung seinen astronomischen Anschauungen gegenüber wahrte, da er ein klerikal eingestellter Politiker war. Dieser Brief aus Rom aber machte auf den Kanzler großen Eindruck, das konnte man ihm ansehen. Nencio suchte er gleichfalls mit dem Brief auf, um auch mit seinem angebeteten Enkelkind ein wenig spielen zu können.

»Alles geht großartig vorwärts, mein Sohn«, sagte er mit strahlendem Gesicht, »das Buch wird seine Wirkung nicht verfehlen. Ich fange schon an zu bedauern, daß ich nicht viel offener zu Kopernikus Stellung genommen habe.«

»Das freut mich aufrichtig, mein Herr Vater! Noch mehr würde ich mich aber freuen, wenn sich auch die spanische Angelegenheit günstig entscheiden wollte.«

»Auch das kommt noch. Die Würfel sind gefallen. Der liebe Gott hat gnädig auf uns herabgesehen, mein Sohn.«

Seine Zuversicht kannte keine Grenzen. Er war felsenfest überzeugt, daß jetzt auch das Geld in Hülle und Fülle zu ihm strömen würde. Er selbst, der nie ein Geschäftsmann gewesen war, hätte die »spanische Angelegenheit« nicht noch einmal aufgerührt, aber sein Sohn dachte immer nur an Geld, und Nencio war es, der aus seiner Erinnerung auskramte, daß sein Vater doch irgend einmal eine nautische Erfindung gemacht und derentwegen bereits mit der spanischen Regierung verhandelt habe. besaß Sestilia eine Schwester, die mit einem Diplomaten in Madrid verheiratet war. Durch diese Beziehung nahm Nencio die Verhandlungen, die seit vielen Jahren ins Stocken geraten waren, von neuem auf. Buonamici, der auf den weltberühmten Verwandten sehr stolz war, zeigte sich sehr entgegenkommend. Er sprach bei der Regierung in Madrid vor und konnte die Angelegenheit binnen kurzem auch schon so weit vorwärts treiben, daß die spanische Regierung Interesse zeigte. Galilei setzte also abermals in einem Memorandum auf, wie man seiner Meinung nach mit Hilfe der Jupiter-Trabanten sich auf dem offenen Meere orientieren könne. Dieses Schriftstück war an Buonamici abgegangen, und jetzt warteten sie auf die Antwort. Der junge Galilei betrachtete die Dinge ziemlich nüchtern, der alte Galilei hingegen mit grenzenloser Zuversicht. Seine Angelegenheiten standen im Augenblick so gut, daß er blind daran glaubte, sein Schicksal habe sich endgültig zum Guten gewendet. Bei jedem Spaziergang betrat er eine Kirche und dankte dem Allmächtigen, daß er ihm nach soviel Leiden und Widerwärtigkeiten ein so schönes Alter geschenkt habe, und auch den größten Traum seines Lebens, den Sieg des kopernikanischen Gedankens, zur Wirklichkeit werden laste. So besuchte er auch einmal die Kirche Santa Maria Novella. Er blieb unter der Kanzel stehen, von der vor sechzehn Jahren Pater Caccini über ihn hergezogen war. Von der Kanzel aus ging er in die spanische Kapelle, wo er das berühmte Fresko Orcagnas besichtigte, das die Verherrlichung der » Ecclesia militans« darstellte mit den Dominikanerpatres als schwarzgefleckten, weißen Hunden. Wo waren seine Hirngespinste von der Wühlarbeit der Dominikaner geblieben? Und wo waren die Jesuiten? Sie kümmerten sich nicht mehr um ihn und seine Lehre. Cavalieri, der geniale Jesuit, dem er zu dem Lehrstuhl in Bologna verholfen, war einer seiner besten Freunde.

Nach allem, was er aus Rom hörte, schien es ratsam, sein Anliegen bei der Zensur persönlich zu erledigen. Riccardi, der liebe, freundliche Pater Ungeheuer, war ein guter Freund, aber wie alle dicken Menschen, ein bißchen faul. Die »Luchse« glaubten ihn nicht genügend antreiben zu können und waren der Meinung, der Verfasser könne das selber viel besser besorgen. Und der Verfasser hegte keinen seligeren Wunsch als vor das Antlitz des Papstes Urban zu gelangen, der jene berühmte Äußerung getan. Und dann freute er sich auch darauf, die liebenswertesten Leute der Welt, das Ehepaar Niccolini, nach so vielen Jahren wiederzusehen. Castelli hatte sich sehr gut mit ihnen befreundet und verehrte sie. Wenn er in seinen Briefen Frau Katharina erwähnte, nannte er sie stets nur: » la regina della gentilezza«, die Königin der Anmut.

Galilei bat um eine Audienz bei dem jungen Großherzog, aber der war so beschäftigt, daß er ihn nicht empfangen konnte. Der Gelehrte mußte sich mit dem Kanzler begnügen, der um so liebenswürdiger zu ihm war. Er übermittelte ihm auch den Bescheid des Großherzogs: die Kosten der römischen Reise trüge der Hof. So hoch wurde die Freundschaft des Papstes zu dem Hofmathematiker eingeschätzt! Die Gesandtschaft stand ihm zur Verfügung, er sollte Sänfte und Diener, auch Geld erhalten, und konnte bleiben, solange es ihm gefiel.

Niccolinis empfingen ihn mit derselben überwältigenden Liebe wie damals. Er erhielt die gleichen Wohnräume, Blumen als Willkommen, seine Lieblingsbücher und sein Lieblingswein erwarteten ihn.

»Wie gütig ist doch der Allmächtige«, sagte er ergriffen, »er schenkte mir Celeste zur Tochter, den kleinen Galileo als Enkel und Euch als Freunde. Das Leben ist auch im Alter schön, und schon deswegen war es wert, auf die Welt zu kommen.«

Rechts und links von dem Ehepaar geleitet, betrat er den berühmten Erker der Medici-Villa, um wieder auf die Ewige Stadt herabschauen zu können. Er deutete in die Richtung des Vatikans:

»Dort werde ich siegen! Der Papst gehört mir schon. Für die Wissenschaft bricht jetzt eine neue Zeit an.«

»Ich habe bereits mit Pater Riccardi gesprochen, der ja ein Verwandter von mir ist«, sagte Frau Katharina, »ich habe ihn heute zum Abendessen eingeladen. Am weißgedeckten Tisch lassen sich offizielle Dinge angenehmer besprechen.«

»Und ich«, fügte der Gesandte hinzu, »erwähnte Seiner Heiligkeit gegenüber schon, daß Ihr kommt. Er hat sich sehr gefreut und will Euch außer der Reihe empfangen.«

»Herzlichen Dank«, entgegnete er, »aber das hat man mir auch schon geschrieben. Wißt Ihr, was mir mein Schüler, der Sekretär Ciampoli, mitteilte? ›Man sehnt sich nach mir im Vatikan mehr, als man sich nach einer angebeteten Frau zu sehnen pflegt.‹«

» Das hat er geschrieben? Ihr könnt wirklich stolz sein. Es gibt keinen Zweiten auf der Welt, von dem man solcherlei im Vatikan sagen würde. Mit anderen Menschen spricht man dort nicht so. Ist Euch der Fall Morandi schon bekannt?«

»Den Astrologen Morandi kenne ich. Aber ich weiß nicht, worum es sich jetzt handelt.«

»Die Inquisition hat ihn in ihren Krallen. Der Unglückselige hat die Dummheit begangen, aus den Sternen den baldigen Tod Seiner Heiligkeit zu prophezeien. Und das hat er auch noch in ein Horoskop hineingeschrieben, das er aus der Hand gab. Jetzt ist er übel dran. Wenn er mit dem Kerker davonkommt, kann er froh sein. Man muß heutzutage sehr auf der Hut sein, Euer Gnaden.«

»Der Arme tut mir aufrichtig leid«, sagte Galilei, »aber Horoskope kann ich ebensowenig ausstehen wie der Heilige Vater, ohne Rücksicht darauf, ob sie gut oder schlecht sind. Warum suchen wir nach der Zukunft in den Sternen, wenn die ganze Welt noch nicht einmal über die Gegenwart genau Bescheid weiß? Aber von nun an wird das anders! Heute abend beginnt die letzte Schlacht.«

Der unglaublich dicke Pater Riccardi erschien zum Abendessen. Laut und wortreich begrüßte er seinen alten Freund, den Gelehrten. Am liebsten hätte er ihn umarmt, wenn sein Bauch ihm das gestattet hätte. Bei Tisch bekam er einen besonderen Stuhl, der die Last seiner dreihundert Pfund zu tragen vermochte.

»Ich habe das ganze Werk gelesen«, sagte er sofort, »alles ist mir bereits bekannt. Nicht aus amtlicher Pflicht heraus war ich so schnell, sondern aus persönlichem Interesse und Zuneigung. Meinen herzlichsten Glückwunsch! Eine ungeheuere Arbeit! Ein Meisterwerk! Soweit ich beurteilen kann, ein Ereignis für Jahrhunderte.«

»Es gefällt Euch, nicht wahr?« entgegnete Galilei. »Es ist nicht schlecht, nicht wahr?«

»Ich habe keine Worte dafür. Schade, daß man es ein bißchen kämmen muß.«

»Kämmen? Wieso? Anrühren? Auch nur einen einzigen Buchstaben ändern?«

»Mehrere Buchstaben sogar, Euer Gnaden. Dieses Buch behandelt Kopernikus nicht als Hypothese. Es ist ein offenes Bekenntnis zu Kopernikus …«

»Das schadet nichts«, warf Galilei lässig ein, »Seine Heiligkeit der Papst wird nichts dagegen einzuwenden haben. Campanella gegenüber äußerte er sich ja bereits über das bewußte Dekret.«

»Von dieser Unterredung hat man mir auch erzählt. Leider hat man aber vergessen, mir den Wortlaut schriftlich zu übermitteln. Was ich von der ganzen Angelegenheit offiziell weiß, ist, daß dieses Dekret die neue Lehre klar und eindeutig verbietet. Mir ist im Grunde genommen nicht einmal bekannt, daß man diese Frage als Hypothese wohl behandeln dürfe. Hierüber habe ich nur private Informationen. Der selige Kardinal Bellarmin hat Euch dasselbe gesagt und Unser Herr jetzt gleichfalls. Aber auch das wurde mir nicht schriftlich mitgeteilt. Ich gehe also über meine amtlichen Befugnisse schon sehr weit hinaus, wenn ich diese Lehre als Hypothese vor die Öffentlichkeit geraten laste. Dieses Buch aber überschreitet bei weitem den Begriff der Hypothese. Über fünfzig Bogen hindurch wird darin debattiert, und auf jeder dritten Seite hat Kopernikus recht. So wird das also nicht gehen. Das herrliche Buch muß aber erscheinen. Es wäre ewig schade, wenn das nicht der Fall sein könnte. Wir werden uns zusammensetzen und bis ins kleinste untersuchen, wo und wie wir etwas mildern können. Die betreffenden Stellen habe ich beim Lesen schon bezeichnet. Eins kann ich Euch aber gleich jetzt sagen: mit aller meiner Kraft werde ich bestrebt sein, Euch zu helfen. Ihr könnt mir unbedingt vertrauen.«

Galilei lächelte.

»Ich verstehe Eure Vorsicht, mein Vater. Die Verantwortung Eures Amtes ist sehr groß. Aber ich hätte einen Vorschlag: warten wir doch ab, bis ich mit Seiner Heiligkeit gesprochen habe. Ich werde den Papst bitten, er möge Eurer Hochwürden selbst Bescheid sagen. Ist es Euch recht so?«

»Ja, wenn man das einrichten könnte«, seufzte Pater Ungeheuer, »wäre ich der glücklichste Mensch auf der Welt. Ihr habt gar keine Ahnung, wie mich meine schöne Verwandte Katharina wegen Eures Buches schon gequält hat, obwohl Ihr einer Fürsprache gar nicht bedürft. Die wissenschaftliche Frage interessiert mich sowieso nicht, mir ist das alles gleichgültig, Ptolemäus oder Kopernikus. Aber das Buch ist so spannend, so heiter, so farbenreich, und in den ersten Teilen redet Ihr solch fabelhafte Dinge von der wahren Bedeutung der Wissenschaft, daß ich ganz und gar hingerissen bin. Aber ich spiele mit meiner Stellung, Euer Gnaden.«

Der große, dicke Mann jammerte so sehr, daß sie gezwungen waren, ihn zu trösten. So verging der Abend. Sie blieben bei Galileis Vorschlag: die Audienz beim Papst abzuwarten. Am anderen Tage begann die endlose Reihe der Besuche. Zunächst suchte er den Herzog Cesi auf. Der Präsident der Akademie der »Luchse« lobte das Buch fast eine Viertelstunde lang in den höchsten Tönen. Seit den großen Klassikern der römischen Literatur und seit den großen Kirchenvätern sei so etwas noch nicht geschrieben worden. Dies war ungefähr das geringste Lob, das er anführte. Die Bedenken Riccardis teilte er jedoch. Wenn man durch die Abänderung der heiklen Stellen die Erlaubnis der Zensur erhalten könne, so sei das doch der Mühe wert. Das Buch sei auch dann noch herrlich. Die Akademie würde es mit Freude und Stolz verlegen. Galilei aber schnitt alle derartigen Erörterungen damit ab, daß ein einziges Wort des Papstes die ganze Zensurfrage entscheiden würde. Also wartete auch der Herzog auf das Ergebnis der päpstlichen Audienz.

Ciampoli eilte Galilei mit offenen Armen entgegen, als er ihn besuchte. Sogleich bestätigte er, daß ihn Seine Heiligkeit tatsächlich außer der Reihe empfangen wolle, und zwar bereits übermorgen. Drei andere Personen, darunter ein ausländischer Gesandter, hätte er von der Empfangsliste streichen lassen, da er sich länger und ausführlich mit ihm unterhalten wolle. Galilei unterbrach seine begeisterte Rede: er wollte vor allem erfahren, wie eigentlich Wort für Wort jene denkwürdige Unterredung mit Campanella vor sich gegangen wäre? Ob denn Papst Urban tatsächlich gesagt habe, was man sich erzähle?

»Natürlich hat er es gesagt«, erwiderte Ciampoli, »ich habe es doch selbst gehört. Man darf es aber meiner Meinung nach nicht als weltanschauliches Geständnis auffassen. Unser Herr wollte Campanella gegenüber nur höflich sein, mehr nicht.«

»Aber er hat es doch gesagt, nicht wahr?«

»Ja, gesagt hat er es.«

»Dann ist es gut. Dann wird er auch mir gegenüber höflich sein.«

»Wir wollen es hoffen. Aber um Euch etwas Wichtiges zu fragen, in welchem Verhältnis steht Ihr zu dem Astrologen Morandi?«

»Der jetzt vor der Inquisition steht? In keinem. Ich glaube, vor dreißig Jahren haben wir uns einmal geschrieben. Seit dieser Zeit habe ich kaum etwas von ihm gehört. Warum fragt Ihr, Monsignore?«

»Es fiel mir nur so ein. Also die genaue Zeit nicht vergessen! Halb zehn.«

Galilei war schon um ein Viertel nach neun da. Er unterhielt sich mit Ciampoli und erzählte ihm von seinen neuesten wissenschaftlichen Erfolgen. Endlich ertönte das heißersehnte Klingelzeichen. Und der Gelehrte kniete abermals vor dem Pontifex. Diesmal schwerfälliger als je zuvor. Der Papst half ihm liebevoll auf und umarmte ihn.

»Vergebung, Heiliger Vater, daß ich mich heute schwerfälliger bewege, aber meine Gesundheit ist nicht die beste. Ich habe schon das sechsundsechzigste Jahr hinter mir. Ich muß mich freuen, daß ich überhaupt bis hierher gekommen bin, um vor Eurem Antlitz zu stehen und glücklich sein zu dürfen, Eure Heiligkeit wiederzusehen.«

»Die Zeit vergeht, mein Lieber. Auch Wir haben das sechzigste Lebensjahr überschritten. Durch die Gnade Gottes können wir aber nicht klagen. Was ist denn Neues in Florenz? Wir haben erfahren, daß Ihr Italien und die Wissenschaft der Menschheit mit einem großen Werk bereichert habt.«

»Ja, Heiliger Vater. Ich habe über die zwei Weltsysteme geschrieben, über das ptolemäische und das kopernikanische. Mit unendlicher Genugtuung habe ich gehört, daß Eure Heiligkeit sich mit dem einschlägigen Dekret nicht identifizieren.«

»Was«, erwiderte der Papst sofort zwei Töne höher, »Wir identifizieren Uns nicht mit einem päpstlichen Dekret? Wer behauptet solch ein Unsinn? Wir sollen eine Verfügung Unserer Heiligen Vorfahren verleugnen? Kennt Ihr uns von dieser Seite? Haben wir die päpstliche Autorität so schlecht gewahrt? Was ist das für wirres Zeug?«

»Ich bitte untertänigst um Vergebung«, stammelte Galilei, »aber ich hörte, der Heilige Vater hätte geruht, Pater Campanella gegenüber zu äußern, daß dieses Dekret nicht zustande gekommen wäre, wenn es in Eurer Macht gestanden hätte.«

»Es ist möglich, daß Wir dies gesagt haben. Heute aber erinnern Wir Uns nicht mehr daran. Ohne Zweifel steht jedoch fest, daß jenes Dekret erlassen worden ist. Der Papst hat es erlösten. Wie es ›hätte‹ sein können oder wie es geworden ›wäre‹, dies zu untersuchen ist müßig. Habt Ihr denn diesen Unsinn noch immer nicht aufgegeben? Warum laßt Ihr nicht ab von diesen Fragen? Handelt etwa Euer neues Buch auch wieder davon?«

»Ja, mein Heiliger Vater. Nachdem es mir nicht verboten ist, diese Frage als Vermutung zu behandeln, habe ich mir erlaubt, die Ergebnisse meiner vierzigjährigen wissenschaftlichen Forschungen … Mein bescheidenes Werk liegt also im Augenblick der Zensur vor, und nachdem ich es nur als Hypothese …«

Ungehalten winkte der Papst mit seiner mit dem Fischerring geschmückten Hand ab. Galilei schwieg. Er mußte einige Male hintereinander schlucken, weil seine Kehle trocken geworden war.

»Die Zensur wird es schon prüfen. Riccardi kennt seine Pflicht. Wenn es keine ausgesprochene Stellungnahme ist, mag es Uns gleichgültig sein. Aber sprechen wir von etwas anderem. Verderben wir uns nicht die Wiedersehensfreude. Wie geht es Euch?«

Eingeschüchtert und mit verschleierter Stimme begann Galilei zu erzählen. Von seiner Familie, seinen Töchtern, der Geburt seines Enkelkindes. Selbst der Umstand, daß ihm der Papst mit liebenswürdiger Aufmerksamkeit zuhörte, vermochte ihm die freudige Erregung nicht mehr wiederzugeben, von der er beseelt gewesen war, als er eintrat.

»Ich habe noch zu melden«, erklärte er, »daß das Stipendium, welches die Güte Eurer Heiligkeit meiner Familie zukommen ließ, abgelaufen ist.«

»Das hat nichts zu sagen. Das Stipendium sollt Ihr auch weiterhin beziehen. Wie hoch war dieser Betrag?«

»Sechzig Goldgulden.«

»Von jetzt an werdet Ihr hundert bekommen. Ihr sollt sehen, wie lieb Wir Euch haben. Jetzt erzählt Uns aber etwas von der Wissenschaft. Aber nicht von der Astronomie, denn das langweilt Uns. Berichtet Uns lieber von interessanten physikalischen Versuchen!«

Die Audienz zog sich beträchtlich in die Länge, aber über Kopernikus fiel kein einziges Wort mehr. Galilei getraute sich nicht, dessen Namen nochmals auf die Lippen zu bringen. Er hatte Angst, dadurch seiner Sache noch mehr zu schaden. Er begann von der Wärme, von der Bahn der Kanonenkugel zu sprechen, aber mit keiner allzu großen Lust. Allmählich ging ihm auch der Stoff aus, aber der Papst machte noch keinerlei Anstalten, die Audienz zu beendigen. Im Gegenteil, er hörte mit reger Anteilnahme zu und wollte immer mehr misten. Galilei kramte in seinem Gehirn nach, womit er den Herrscher aller Herrscher noch unterhalten könnte.

»Eine ganz merkwürdige Frage legte mir einmal eine lustige Gesellschaft zur Begutachtung vor. Diese Frage wird Eure Heiligkeit sicherlich interessieren. Setzen wir einmal den Fall, ein schönes Pferd sei hundert Gulden wert. Die Frage ist nun, wer einen größeren Irrtum begeht: jener, der dieses Pferd auf tausend Gulden oder jener, der es nur auf zehn schätzt.«

Die Augen des Papstes begannen zu leuchten. Er wiederholte die Frage. Sie gefiel ihm außerordentlich.

»Natürlich, Wir müssen Uns nur mit einem Gelehrten unterhalten, um interessante Sachen zu hören! Nicht umsonst schätzen Wir Eure Gesellschaft so. Also dann wollen wir einmal sehen. Das Pferd ist in der Tat hundert Gulden wert …«

Er dachte laut. Galilei unterbrach ihn. Trotz seiner Niedergeschlagenheit bewahrte er so viel Geistesgegenwart, daß er geschickt und unmerklich den Gedankengang des Papstes der Lösung zuführen konnte. Eine gute Viertelstunde unterhielten sie sich über diese Scherzfrage, der Papst war von dem Rätsel ganz entzückt. Und mit stolzer Freude formulierte er am Schluß ihrer Unterhaltung die Lösung wie ein Schüler, der in der Klasse ein Lob des Lehrers einheimst: zehn, hundert und tausend bilden eine geometrische Progression. Jener, der das Zehnfache des wirklichen Wertes nannte, irrte sich in dem gleichen Verhältnis wie jener, der den zehnten Teil des Wertes nannte. Sehr klar faßte dies der Papst zusammen, man hatte ihm gar nicht nennenswert nachhelfen müssen. Daß er mit einem äußerst scharfen Verstände begabt war, sah man jedoch nicht nur bei solch einer kindlichen Frage, sondern konnte es ihm auch bei größeren Dingen nicht ableugnen.

»Man kann es nur von ganzem Herzen bedauern«, wagte Galilei jetzt doch zu bemerken, »daß Eure Heiligkeit den Weltsystemen gegenüber nicht mehr Interesse aufbringen. Mit einem solchen Verstand könnten Eure Heiligkeit wirklich überblicken, was die verschiedenen Gelehrten verkünden.«

»Wir haben es bereits überblickt! Ihr wolltet Uns doch hier in dem gleichen Saal überzeugen, aber es war Euch nicht gelungen. Ja, ja, mein Lieber, Wir sind ein harter Bissen. Ganz gleich, ob von Außenpolitik oder Astronomie die Rede ist. Ad vocem: Sterne. In welchem Verhältnis steht Ihr zu diesem Weltbetrüger und nichtsnutzigen Morandi?«

»In gar keinem, mein Heiliger Vater«, erwiderte Galilei überrascht, »dasselbe hat mich schon Monsignore Ciampoli gefragt. Warum beliebt Eure Heiligkeit dies zu ergründen?«

»Es hat keinen Grund. Es fiel mir nur so bei den Sternen ein. Wie lange bleibt Ihr in Unserer Residenz?«

Damit war der Abschied angedeutet. Galilei mußte also die Hoffnung aufgeben, von hier mit einem Erfolg für Kopernikus zu scheiden. Er verabschiedete sich bedrückt, der Papst war sehr liebenswürdig und außerordentlich heiter. Wieder umarmte er ihn und klopfte ihm auf die Schulter.

»Wenn Wir Euch nicht mehr wiedersehen sollten, so nehmt die Überzeugung mit nach Hause, daß Ihr Unsere Liebe und Zuneigung und Unseren apostolischen Segen für Euer ganzes Leben mit Euch nehmt.«

Damit hatte der Papst wohl kaum jemals einen Menschen verabschiedet. Galilei war es zu wenig. Draußen erzählte er alles sofort Ciampoli. Der war der Meinung, das Werk solle ruhig durch die Zensur laufen, dann würde schon alles in Ordnung kommen. Die gleiche Meinung vertrat Castelli. Und genau so dachten Niccolinis. Galilei suchte also unverzüglich Riccardi auf. Und zwar mit dem festen Entschluß, äußerst anständig zu sein und jede Bemerkung des Papstes bis in die kleinsten Nuancen genau wiederzugeben. Betrügen wäre auch sinnlos. Er hätte vielleicht die Worte des Papstes ausschmücken und den dicken Riccardi zu seinen Gunsten beeinflussen können, aber selbst das ließ seine Ehrlichkeit nicht zu. Genau, fast zu genau, berichtete er Riccardi jedes Wort. Geduldig und sanft nickte Pater Ungeheuer.

»Seht Ihr, das habe ich im voraus gewußt. Also fahren wir dort fort, wo wir aufgehört hatten. Ich habe die Verantwortung zu tragen. Wenn wir einige heikle Stellen ändern, nehme ich die Verantwortung auf mich. Was wir jedoch unbedingt nötig haben, ist, uns jedwede Sicherheit zu verschaffen. Ihr müßt zu diesem Buche sowohl ein Vor- als auch ein Nachwort schreiben. Ich denke in dieser Hinsicht an etwas Ähnliches, wie es seinerzeit ein Schüler des Kopernikus zu dessen Buche schrieb.«

»Und in diesem Vorwort muß ich dann das ganze Buch verleugnen? Ich habe es doch schriftlich von Bellarmin, daß man mich dazu nicht verpflichtet hat.«

»Nichts müßt Ihr verleugnen, wohl aber taktvoll zum Ausdruck bringen, daß Ihr in Eurem Buche nur Vermutungen erörtert. Hierüber zu reden haben wir aber noch Zeit. Vor allem müssen wir die Korrektur in Angriff nehmen. Das Ganze ist im übrigen gar nicht so wesentlich, es handelt sich nur um einige Worte. Wir werden überall, wo –zweifelsfrei steht, einfach hinschreiben: ›es ist anzunehmen‹. Ich weiß auch schon, wer das machen kann. Raffaello! Raffaello! Kommt gleich einmal her!«

Ein breitschultriger, hagerer Geistlicher mit klugem Gesicht trat aus dem Nebenzimmer ein. Riccardi stellte vor: Pater Raffaello Visconti, Mathematiker, ihm zugeteilter Rat und ein Verwandter von, ihm. Es zeigte sich, daß er das Manuskript schon gelesen hatte. Die Korrekturen würde er gern vornehmen, und wenn Messer Galilei es wünsche, unverzüglich. Sie vereinbarten alles Nähere. Sie würden also die fraglichen Stellen verbessern, ein Vor- und Nachwort entwerfen, und dann stünde der Drucklegung nichts mehr im Wege.

Galilei atmete auf. Es wäre zwar viel schöner gewesen, wenn er das Zauberwort der Druckerlaubnis bedingungslos auf Geheiß des Papstes erhalten hätte, aber so war es auch gut. Auch das ist noch ein Sieg! Die paar Worte bedeuten nichts. Das Vor- und Nachwort schreibt er sowieso persönlich, damit Riccardi beruhigt ist, aber auch er im Recht bleibt. Dann kann das Buch ohne Schwierigkeiten erscheinen. Und da die päpstliche Zensur die Druckerlaubnis erteilt hat, würde man ihn auch ganz vergeblich bei der Inquisition anzeigen …

Inzwischen war es Mai geworden, und über der Ewigen Stadt lagerte brütende Hitze. Je älter er wurde, um so weniger konnte er die Hitze ertragen. Er bekam unerträgliche Kopfschmerzen und sein Herz überanstrengte sich. Schon nahte auch der ungebetene Gast, seine Krankheit, aber er zwang sich, die Entscheidung abzuwarten. Bereits nach einer Woche traf von Visconti die sehnsüchtig erwartete Nachricht ein: sämtliche Korrekturen seien vorgenommen. Sofort ließ er sich in einer Sänfte zu Riccardi tragen.

»Nun wollen wir gleich einmal das Vorwort besprechen. Bis morgen habe ich es geschrieben, Hochwürden können dann das Imprimatur erteilen, wie wir es vereinbart haben, und übermorgen reise ich ab. Es herrscht eine so tückische Hitze, daß ein Mann meines Alters sich vorsehen muß. Manchmal habe ich das Gefühl, mich trifft gleich der Schlag. Jetzt möchte ich um das Manuskript bitten, um mir die Korrekturen ansehen zu können.«

Riccardi aber schüttelte den Kopf.

»Ich befürchte, das wird nicht so schnell gehen. Die Änderungen muß ich erst selbst überprüfen.«

»Wieso? Ihr habt es doch schon ausführlich mit Pater Visconti besprochen. Und er ist ein gewissenhafter Mensch.«

»Sicher ist er das. Aber die Verantwortung muß ich tragen. Glaubt mir, mein Herz blutet, wenn ich Euch so ungeduldig sehe und obendrein für Eure Gesundheit bangen muß. Aber Ihr müßt andererseits auch einsehen, daß in einem Manuskript von über fünfzig Bogen sehr viele Buchstaben enthalten sind, und jeder Buchstabe bedeutet eine große Verantwortung für mich. Es ist meine Pflicht, ganz genau zu untersuchen, ob die Änderungen in Ordnung sind. Außerdem muß ich aber auch das ganze Werk nochmals durchlesen, was für ein Gesicht der gesamte Text durch die vorgenommenen Korrekturen erhalten hat, und ob der Zusammenhang gewahrt geblieben ist. Aber das brauche ich Euch sicherlich gar nicht erst zu begründen, so selbstverständlich ist das doch. Oder seht Ihr es noch immer nicht ein?«

»Was soll ich machen? Ich sehe es ein. Aber auch meine Ungeduld ist verständlich. Ich bitte Euch flehentlich, Monsignore, beeilt Euch wenigstens, damit ich so schnell wie möglich wieder nach Hause komme.«

Riccardi versprach, auch die Nacht zum Tage zu machen. Er war die Liebe und das Wohlwollen selbst, und daß er eine große Verantwortung auf seinen Schultern trug und in gewissem Maße sogar ein Risiko einging, konnte nicht einmal Galilei leugnen. Und dann hatte der dicke Pater Ungeheuer sicherlich auch unter der gräßlichen Hitze zu leiden.

Und nun verging ein ganzer Monat, in dessen Verlauf Galilei immer von neuem drängte. In den ersten Tagen besuchte er Riccardi persönlich, dann bat er Frau Katharina, für ihn zu intervenieren. Und endlich schickte er Riccardi sogar den Gesandten auf den Hals. Die Wochen vergingen, aber die Arbeit wurde nicht fertig. Jetzt fühlte er sich schon so krank in dieser höllischen Hitze, daß er das Bett hüten mußte. Er ließ sich Eisumschläge um die Stirn legen und trotzdem keuchte er und rang nach Luft. Der Gesandte besuchte ihn oft. Frau Katharina verbrachte manche Stunden an seinem Krankenlager. Galilei schloß ihr sein ganzes Innere auf wie noch keinem Menschen in seinem Leben. Er erzählte ihr alles, von seiner Jugend, von seinen Qualen, von Marina, von seiner Mutter, von seinem Verhältnis zu Michelagnolo, vor allem sprach er aber von Celeste. Katharina hörte hingebungsvoll den Geständnissen des alten Mannes zu, und seine Berichte von Celeste bewegten sie so sehr, daß sie beschloß, mit ihr in Briefwechsel zu treten. Diese Gespräche verkürzten die aufreibende Zeit des Wartens. Und die Arbeit wurde nicht fertig. Ende Juni erklärte Riccardi dem Gesandten unter großem Bedauern, daß noch sehr viel zu tun sei.

Galilei hielt es nicht länger aus. Er stand auf und ging zu Riccardi. Gereizt teilte er ihm mit, daß er das Warten nunmehr satt habe. Warten könne er auch zu Hause in seinem schattigen Park. Er möchte endlich das Vorwort und Nachwort besprechen, damit er abfahren könne. Das Imprimatur würde er in Florenz abwarten, im Herbst käme er dann abermals nach Rom. Fast flehentlich bat Riccardi um Geduld und Nachsicht. Es sei keine einfache Aufgabe, eine so große Arbeit, die Aufmerksamkeit und Sammlung erfordere, bei dieser unerträglichen Hitze zu bewältigen. Aber er versprach hoch und heilig, sich nach Möglichkeit zu beeilen. Bezüglich des Vorwortes äußerte er den Wunsch, der Autor möge das päpstliche Dekret erwähnen und hervorheben, daß sein Werk nur eine Hypothese sei. Ein Nachwort wäre nicht unbedingt erforderlich. Als sie sich verabschiedeten, betonte Riccardi wiederholt, daß das Imprimatur sicher sei, im Prinzip sei es sogar schon erteilt, es seien lediglich noch einige Formalitäten zu erledigen. Galilei möge ruhig nach Hause fahren, sich gedulden und auf seine für die Wissenschaft so wertvolle Gesundheit achten.

»Hochwürden, ich habe noch eine letzte Bitte. Versagt mir nicht die ehrliche Antwort. Wir sind jetzt unter vier Augen. Hochwürden haben mich gefragt, aber auch andere, ja sogar Seine Heiligkeit der Papst selbst, in welcher Beziehung ich zu Morandi stünde. Sagt mir bitte aufrichtig, warum fragt man mich das immer wieder? Es ist mir unmöglich, von irgend jemandem eine gerade Antwort zu erhalten.«

Riccardis Miene verdüsterte sich.

»Auch von mir erhaltet Ihr keine, Euer Gnaden. Was ich sagen kann, ist lediglich, daß ich an Eurer Stelle aus diesen Fragen schließen würde, Eure Feinde versuchten, Eure Person in den Prozeß der Inquisition gegen Morandi hereinzuziehen.«

»Ich habe es geahnt! Aber um Himmels willen, wer mögen denn diese unsichtbaren Feinde sein?«

»Davon habe ich keine Ahnung.«

Mehr konnte er von ihm nicht erfahren. Galilei nahm von Niccolinis, von Castelli und seinen anderen Freunden herzlich Abschied, mit dem Herzog Cesi besprach er noch die Einzelheiten der Korrektur und des Satzes und seine Rückkehr im Herbst, dann machte er sich bei unmenschlicher Hitze auf den Heimweg. Er war gereizt und schlechter Laune. Abermals quälten ihn Hirngespinste. Er fühlte ganz deutlich, daß er wieder in jenen grauenhaften, unzurechnungsfähigen Seelenzustand geriet, den er aus Furcht vor der Inquisition schon einmal durchlitten hatte. In seinen Grübeleien klammerte er sich krampfhaft an zwei Namen. Der eine war der Herzog Cesi, der reiche und angesehene Aristokrat, der Präsident der Akademie der »Luchse«, der ihn nie verlassen und stets mit dem Gewicht einer ganzen Reihe berühmter Gelehrter hinter ihm stehen würde. Der andere war der Papst selbst, der von Kopernikus denken mochte, was er wollte, ihm, Galilei, aber aufrichtig zugetan war. Daran war nicht zu zweifeln.

Mehr tot als lebendig kam er in Florenz an. Die vielen Grübeleien, die Aufregungen, die abergläubische Furcht vor den unbekannten Gefahren, die Beschwernisse der Reise und die Hitze hatten seine ganze Kraft erschöpft. Viele Wochen vergingen, ehe er sich wieder einigermaßen zu sammeln vermochte. Das Imprimatur aber war immer noch nicht da.

Statt dessen traf ein Brief des Gelehrten Stelluti ein: Herzog Cesi war von einem unbekannten Fieber befallen und nach wenigen Tagen zu seinen Ahnen abberufen worden. Zu gleicher Zeit fast kam die verspätete Nachricht aus Deutschland, daß Kepler gestorben sei.


 << zurück weiter >>