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Er pflegte jeden Brief aufzuheben, und wenn er auch noch so unbedeutend schien. Er liebte es, die alten Briefe immer wieder einmal zu sichten, einzelne Stellen nochmals zu lesen und sie dann in die für sie bestimmte Mappe zurückzulegen. Jetzt suchte er sich die Briefe hervor, die der neue Papst Urban VIII. an ihn gerichtet hatte, als er noch Kardinal Barberini war. Alle zeugten sie von wärmster Anerkennung. Auch jener Brief war darunter, mit dem ihm der Kardinal seinerzeit das ihn verherrlichende Gedicht gesandt hatte.
»Die Achtung, welche ich stets für Eure Person und Eure vielen Verdienste gehegt, hat den Anlaß zu der beigeschlossenen Dichtung gegeben. Wenn auch dieselbe, Eurer nicht würdig ist, so mag sie Euch mindestens ein Beweis meiner Zuneigung sein, indem ich meiner Poesie durch Euren berühmten Namen Glanz zu verleihen beabsichtige. Ohne mich also in fernere Entschuldigungen zu verlieren, die ich dem Vertrauen, das ich in Euch setze, anheimstelle, bitte ich Euch, diesen geringen Beweis meiner großen Geneigtheit entgegennehmen zu wollen. Von Herzen grüßend, erbitte ich von Gott allen seinen Segen für Euch.«
Auch jetzt errötete er noch vor Freude, als er diese Zeilen las. Gab es denn noch einen Gelehrten, an den der erste Herrscher der Welt solch einen Brief richten würde? Dieser Brief und die Ode waren kein Geheimnis, ganz Florenz wußte davon. Sein Ansehen wuchs um das Zehnfache. Unbekannte Menschen grüßten ihn, sich tief verbeugend, ihn, den Freund des Papstes. Geistliche, die bisher mit starrer Miene an ihm vorübergegangen waren, blieben jetzt stehen und erkundigten sich freundlich nach seinem Wohlbefinden. Und bei Hofe begann man ihn plötzlich wieder sehr ernst zu nehmen. Seit Cioli die Führung der Staatsgeschäfte übernommen, hatte man sich herzlich wenig um ihn bekümmert. Mit einem Male aber wurde er wieder eine gern gesehene Persönlichkeit, wie einst unter dem seligen Großherzog Cosimo. Die beiden Großherzoginnen luden ihn des öfteren ein, wobei er auch häufig Gelegenheit hatte, sich mit dem jugendlichen Herrscher Ferdinand II. zu unterhalten. Dann lenkte man das Gespräch fast jedesmal auf den Papst, und er versäumte nie, mit nachlässigem Stolz zu sagen:
»Ja, es ist eine unendliche Freude für mich, daß ein guter Freund von mir den Thron Petri bestiegen hat. Ich kann es kaum abwarten, ihn in Rom zu besuchen und mit ihm zu plaudern.«
»Die Gesandtschaft steht zu Eurer Verfügung«, beeilte sich die Großherzogin-Mutter zu antworten, »zur Zeit ist der junge Marchese Francesco Niccolini unser Gesandter in Rom, ein außerordentlich liebenswürdiger Herr.«
»Und seine Frau erst!« pflichtete Cioli bei.
»Wann würdet Ihr denn reisen?« erkundigte sich die Großherzogin.
»Ich würde sofort reisen, Eure Hoheit, aber mein Gesundheitszustand läßt noch zu wünschen übrig. Solange ich mich nicht ganz wohl fühle, habe ich Bedenken, mich auf diese lange Reise zu machen. Und dann soll der Weg auch nicht ganz sicher sein; wie ich höre, hat es überall Überschwemmungen gegeben.«
»Also seht nur zu, daß Ihr recht bald vollständig wiederhergestellt seid. Bevor Ihr geht, geben wir Euch soviel Empfehlungsschreiben mit, wie Ihr wollt.«
Er wartete geduldig, daß er endlich den weiten Weg antreten könnte. Aber seine Krankheit wollte ihn diesmal anscheinend überhaupt nicht wieder verlassen. Manche Tage ging es ihm leidlich, er konnte das Bett verlassen, aber dann mußte er sich plötzlich wieder legen. Und eines Tages brach noch ein besonderes Unglück über ihn herein. Er war im Park und betreute seine Blumen. Ein größeres Felsstück lag ihm im Wege, er wollte es wegrollen. Er stemmte sich dagegen, strengte sich mächtig an, und plötzlich erfaßte ihn ein Taumel, so daß er neben dem Stein zu Boden sank. Er kam bald wieder zu sich, als er sich aber erheben wollte, fühlte er einen brennenden und stechenden Schmerz an einer bestimmten Stelle seines Leibes. Unwillkürlich griff er dahin und erschauerte: seine Hand berührte seinen Körper viel eher, als er erwartet hatte. Eine große Geschwulst quoll aus seinem Leibe heraus. Verzweifelt tastete er sich im Liegen ab. Er knöpfte seine Kleider auf und sah nach. Da stellte er fest, daß sein Bauchfell von der Anstrengung an einer Stelle geplatzt war. Er hatte sich einen Bruch zugezogen.
Vorsichtig versuchte er aufzustehen, seine Hand fest auf die hervorquellende Stelle drückend. Zuerst kniete er nieder, dann erhob er sich langsam und bebend. Schritt für Schritt wankte er taumelnd ins Haus. Er wagte nicht einmal, laut nach seiner Wirtschafterin zu rufen, weil er Angst hatte, daß schon davon der Riß größer werden könnte. Totenblaß flüsterte er der Haushälterin ins Ohr, sie möge schnell einen Arzt holen. Bis dieser kam, betete er stammelnd vor Schrecken. Er konnte dieses Unglück nicht abschätzen, hatte keine Ahnung, was eigentlich in seinem Inneren vorging. Mit Schaudern dachte er, daß er jetzt vielleicht sterben müsse. Tränen rollten ihm aus den Augen, und er flehte den Allmächtigen laut an, ihn noch diesmal am Leben zu lassen.
Der Arzt kam, untersuchte ihn und stellte einen regelrechten Bruch fest. Er müsse eine gute Weile das Bett hüten und den Leib auf alle Fälle fest abbinden. Ohne einen festen Verband dürfe er von nun an überhaupt nicht mehr gehen. Das sei eine unangenehme und unbequeme Sache, zu heilen sei sie nicht, besonders gefährlich sei sie aber auch nicht; man könne hundert Jahre damit leben.
Außer seinem anderen Leiden hielt ihn also auch noch dieses ans Bett gefesselt. Nun er wußte, daß sein Leben nicht bedroht sei, litt er noch geduldiger als zuvor. Celeste tröstete ihn mit herzerweichenden Briefen. Am meisten gab ihm aber jetzt der Gedanke an den Papst Kraft und Hoffnung und Mut zum Leben.
Lange überlegte er, ob er Seiner Heiligkeit anläßlich seiner Thronbesteigung nicht einen Brief schreiben solle. Schließlich kam er jedoch zur Einsicht, daß dies eine Unbescheidenheit gewesen wäre. Der Statthalter Gottes auf Erden stand viel zu hoch, als daß man so einfach mit ihm Briefe wechseln konnte. Auch wollte er nicht den Anschein erwecken, daß er ihre alte Freundschaft mißbrauchen wolle und sich beeile, den Heiligen Vater an das einstige gute Einvernehmen zu erinnern. Er begnügte sich damit, an die Umgebung des Papstes zu schreiben. Von dort bekam er auch sogleich Antwort. Monsignore Ciampoli, der Sekretär des Papstes, mit dem er gut Freund war, forderte ihn nachdrücklich auf, so schnell als möglich nach Rom zu kommen; bei Seiner Heiligkeit könne er auf den denkbar wärmsten Empfang hoffen. Der Herzog Cesi meldete mit großer Freude, daß von der » Goldwaage« immer mehr und mehr Bogen fertig würden, und es wünschenswert wäre, wenn der Autor den zu erwartenden Erfolg dieses Buches durch seine persönliche Anwesenheit noch förderte. Kurze Zeit darauf kam die Nachricht, daß das Buch erschienen sei, und endlich auch das erste Exemplar selbst, in dem der Kranke mit verliebter Zärtlichkeit blätterte. Dann kam ein Brief von Monsignore Cesarini: »Das Werk erfreut sich schon jetzt einer derartigen Anerkennung, daß Unser Herr sich während des Essens daraus vorlesen läßt.« Galilei war tief ergriffen. Das wollte doch etwas heißen! Das war endlich ein richtiger Papst! Sogar während seiner Mahlzeiten kümmerte er sich um die Wissenschaft! Welch großartige Vorstellung, wie der Heilige Vater in einem der Prunksäle des Vatikans mit seinem Hofe speist und jeder mit anhört, wie der Jesuitenpater Grassi unter den schmetternden Hammerschlägen der wissenschaftlichen Argumente des Florentiner Weisen immer mehr vernichtet wird. Über Grassi selbst erhielt er auch Nachricht. Einer der »Luchse«, Francesco Stelluti, schrieb ihm einige Tage später:
»Hiermit sende ich Euer Gnaden sechzig Exemplare. Ich muß sagen, daß sich das Buch in der Öffentlichkeit einer regen Nachfrage erfreut. Ein Exemplar gehörte dem Palastmeister im Vatikan, der es an den Buchhändler Sole weitergab. Schon eilte Grassi hin und verlangte das Buch. Noch im Laden begann er zu lesen, und seine Gesichtsfarbe veränderte sich. Er machte die Bemerkung, Euer Gnaden hätten die Antwort drei Jahre hinausgezögert, trotzdem aber erscheine sie noch übereilt, wie man schon beim flüchtigen Lesen feststellen könne. Damit nahm er das Buch unter den Arm und ging fort. Mehr habe ich nicht gehört. Nur mit einem Mönch des Jesuitenkollegiums habe ich noch gesprochen, der das ganze Werk schon gelesen hatte. Er erklärte, das Buch sei sehr bedeutend und Grassi habe viel zu tun, wenn er darauf erwidern wolle. Im übrigen sollen die Jesuitenpatres die Meinung vertreten, daß die Gesinnung des Werkes sehr anständig sei, Euer Gnaden sprächen über den Orden der Jesuiten höchst ehrerbietig.«
Solche Freuden heilten aber nur seine Seele und nicht seinen Körper. Er lag schon wieder seit Monaten, und an einen baldigen Antritt der Reise war nicht zu denken. Aus Rom schrieb man auch, die Wege seien überschwemmt, der Tiber sei aus den Ufern getreten, und das Stadtviertel Orso, das stets zuerst von der Überschwemmung betroffen würde, stünde ganz unter Wasser.
Ein halbes Jahr währte es, ehe er wieder gehen konnte. Schwach, gebrechlich und taumelnd machte er sich auf die Reise. Ohne eine Unterbrechung hätte er sie nicht ausgehalten, deshalb beschloß er, den Herzog Cesi auf seinem Gute aufzusuchen. Der Herzog, dem es inzwischen gelungen war, die Gräfin Salviati zu heiraten, hatte sich auf sein Gut zurückgezogen, hielt sich nur noch sehr selten in Rom auf und leitete die Angelegenheiten der Akademie brieflich: Galilei kam in den Ostertagen bei ihm an und blieb zwei ganze Wochen, um sich auszuruhen und Kräfte für die Weiterreise zu sammeln.
Die idyllische Ruhe des Kastells, die Liebenswürdigkeit des herzoglichen Paares taten ihm unendlich wohl. Die herrliche Frühlingsluft streichelte ihn wie Balsam. Zwei Wochen lang sprachen sie von nichts anderem als von den Aussichten, die sich für die »Luchse« auftaten. Daß sich der Papst ständig aus der » Goldwaage« vorlesen ließ, war unzweifelhaft ein gewaltiges Ereignis. Seinerzeit hatte der Angriff Grassis so viel bedeutet, daß man ernsthaft damit rechnete, die neuen Herren der Kirche, die die Heiligsprechung des Ignatius von Loyola in die Wege leiteten, würden, wenn sie plötzlich an die Spitze der europäischen Kirchenpolitik gelangten, unter anderen Ketzereien auch mit dem kopernikanischen Galilei abrechnen, ihn vernichten und unmöglich machen. Und nun war das Werk dessen, den sie so verdammten, die tägliche Lektüre des Papstes! Die zwei Waffengefährten, der alte Gelehrte und der junge Herzog, vermochten in ihren Gesprächen ihrer weitschweifenden Phantasie schon keinerlei Grenzen mehr zu setzen: sie sahen vor ihrem geistigen Auge die Akademie der »Luchse« als die entscheidende und führende Macht des geistigen Europa, sie wähnten bereits zu sehen, wie Kopernikus wieder hervorgeholt würde und unter dem Druck des allmächtigen Papstes die Inquisition ganz andere Töne anschlagen müßte. »Der Morgen dämmert«, sagten sie glücklich zueinander.
Galilei hatte seine Weiterreise nach Rom noch gar nicht angetreten, als er schon die Nachricht erhielt, daß sich der Heilige Vater über sein Kommen außerordentlich freue und ihn sogleich empfangen werde. Die Nachricht aus dem Vatikan lautete:
»Ich schwöre Euch, daß ich Seine Heiligkeit über nichts so sehr erfreut sah, als wie ich Euren Namen nannte. Nachdem ich einige Zeit von Euch gesprochen hatte, erzählte ich, daß Ihr, hochgeschätzter Herr, den sehnlichsten Wunsch hegtet, Seiner Heiligkeit, wenn sie es erlauben wollte, den Fuß küssen zu kommen, worauf mir Unser Vater entgegnete, es werde ihn dies sehr freuen, wofern es Euch keine Unbequemlichkeiten bereite, und diese Reise Eurer Gesundheit nicht schade; denn große Männer wie Ihr müßten sich schonen, um solange wie nur möglich zu leben.«
So sprach der Papst, der seine » Goldwaage« bereits kannte. Urban VIII. nannte also ihn, der in seinem Buche den Jesuitenpater Grassi in Stücke zerriß, einen großen Mann! Was war nun weiter zu tun? Das Eisen mußte geschmiedet werden, solange es heiß war: mit Hilfe des Papstes Urban mußte das bewußte Dekret der Inquisition wieder rückgängig gemacht werden, das erklärte, die Sonne bewege sich um die Erde und alle dem widersprechenden Lehren seien zu verdammen.
Nach einer zweiwöchigen Ruhepause fuhr er mit der Zuversicht nach Rom, daß ihm dies ohne Zweifel gelingen würde. Die Sänfte schüttelte ihn auf dem langen Wege ganz erbärmlich durcheinander, aber ihm war, als fliege seine Seele.
Nun sah er die herrliche Medici-Villa wieder, aber ein Wunder schien sie verzaubert zu haben. Bei seinem letzten Aufenthalt war sie noch ein düsteres, vornehmes Palais gewesen, wo sogar der Günstling des Großherzogs Cosimo unwillkürlich seine Stimme dämpfte und nur zwischen den vier Wänden seines Zimmers wagte laut zu reden. Heute bestimmte aber nicht Guicciardini mit den hochgezogenen Augenbrauen den Ton, sondern das Ehepaar Niccolini, von dem er schon sehr viel gehört hatte, besten persönliche Bekanntschaft ihm aber noch viel mehr gab.
Schon am ersten Tage stellte Galilei fest, daß er noch nie im Leben einem solch liebenswürdigen Paar begegnet war. Vom ersten Augenblick an sprachen sie mit ihm wie mit einem vertrauten Freund. Aus ihren Augen leuchtete Liebe, und in sorgender Aufmerksamkeit überboten sie einander. Diesmal erhielt er ganz andere Wohnräume: eine Zimmerflucht, wie sie vornehmen Persönlichkeiten gebührt, an der Frontseite der Villa nach der Straße zu. Als er in sein Zimmer trat, standen überall Blumen. Auf einem kleinen Tischchen neben seinem Bett lag ein Band Ariosto und ein Band Berni. Auf dem großen Tisch stand eine Karaffe mit seinem Lieblingswein. Wieviel Aufmerksamkeit, wieviel Mühe mußten diese unübertrefflichen Gastgeber angewandt haben, um seine Lieblingsgewohnheiten auszukundschaften! Beim ersten Abendessen, das er am Tische des Ehepaares einnahm, bekam er seine Lieblingsgerichte vorgesetzt. Die Frau des Gesandten legte ihm zu Ehren ihr kostbarstes Kleid an, und im Glanze der Kerzen war sie schön wie ein Traum. Und jung war sie und zu Späßen aufgelegt; beide hatten glänzende Laune. Ein Scherz löste den anderen ab, und wie gute Bekannte, die schon lange Jahre in vertrauter Freundschaft miteinander verbracht, erhoben sie sich vom Tisch.
»Wir wollen jetzt die Stadt betrachten«, sagte Frau Katharina, »ich versäume dies keinen Abend. Wir setzen uns in den Erker. Man kann ruhig behaupten, daß man von dieser Villa die schönste Aussicht über Rom hat.«
Ob es wohl ratsam ist, ohne Mantel, vom Wein ein wenig erhitzt, den offenen Erker zu betreten? dachte Galilei, und schon stand der goldbetreßte Diener, mit dem Medici-Wappen auf der Brust, neben ihm und bot ihm einen warmen Umhang an. Seine Gastgeber waren sogar seinen Gedanken zuvorgekommen.
Sie traten in den Erker. Es war eine mondhelle Nacht. Das Wunder wiederholte sich: noch nie hatte er die Stadt so unerhört schön gesehen, wie jetzt in der Gesellschaft dieses Ehepaares. Dort lag vor ihren Füßen der Mittelpunkt der altehrwürdigen Welt, das ewige Häusermeer, das Rom des Romulus, des Numa Pompilius, des Cicero, des Horaz, des Nero, des Apostels Petrus, das Rom der ersten Christen, der Märtyrer, die man den Löwen preisgab, des mystischen Zeitalters von Byzanz, das ewige Rom der Päpste, der Borgias und jetzt Urbans VIII. Zweitausend Jahre Geschichte ruhten über diesem Panorama, das die blauen, silbernen und schwarzen Farben der Mondscheinnacht in unheimlicher Pracht vor ihren Augen offenbarte. Der weiß und klar leuchtende Mond zeichnete sichere und reine Konturen. Das mächtige Oval der Kuppel der Sankt-Peters-Kirche, der erzene Engel auf dem Gipfel der Engelsburg, hier und dort die schwarzen Flecken der Pinien, ganz im Hintergründe, am Rande des Monte Mario, silberglänzende Zypressen. Galilei holte tief Atem. Er suchte nach alten Bekannten. Er entdeckte die Kuppel des Pantheon, und daneben suchte er nach den Umrissen der Sopra Minerva, der Kathedrale der Inquisition.
»Vielleicht sieht der Papst jetzt auch wie wir auf diese Stadt herab«, sagte er nachdenklich.
»Das glaube ich kaum«, erwiderte Niccolini, »er ist berühmt dafür, daß er sich sehr früh zur Ruhe begibt. Er muß aber auch zeitig schlafen gehen, da er mit der Sonne aufsteht. Sobald es zu dämmern beginnt, erhebt er sich und unternimmt seinen täglichen Ausritt. Er reitet sehr gerne und ist auch ein sehr guter Reiter.«
»Muß das schön sein, so früh am taufrischen Morgen zwischen singenden Vögeln zu reiten …«
»Auch das trifft nicht zu«, erwiderte Niccolini lächelnd, »in seinen Gärten gibt es keinen Vogel. Sie störten die Träume Seiner Heiligkeit, und da befahl er, die Vogel aus den Gärten auszurotten. Zu Tausenden wurden sie erledigt. Jetzt kann sich höchstens einmal aus Versehen eine von weither geflogene Amsel dorthin verirren, zu ihrem Unglück; denn sobald man im Palast nur einen einzigen Vogellaut hört, rennt ein ganzes Heer, um den Vogel zu fangen.«
»Mein Gott, wie sind sie doch goldig hier am Pincio!« sagte die Frau des Gesandten. »Jeden Morgen weckt mich das Vogelgezwitscher. Ich würde diese Tierchen um keinen Preis der Welt hergeben.«
»Meine Frau«, entgegnete der Gesandte, »müßt Ihr wissen, ißt keine Singvögel. So etwas gibt es in unserer Küche nicht. Wenn ich eine gute Amsel essen will, muß ich schon in ein Wirtshaus gehen.«
Sie lachten. Galilei aber lachte nur gezwungen mit. Der Papst, der Singvögel verfolgte und sie ausrottete, rief ein sonderbares Gefühl in ihm hervor. Merkwürdig, daß ein Mann, der Dichter ist und Verse macht, das Vogelgezwitscher nicht verträgt! Sofort verteidigte er aber den Papst innerlich. Seinen Schlaf hat er gewiß nötig, die Sorgen der Christenheit, der ganzen Welt ruhen auf seinen Schultern. Er ist verpflichtet, dem Allmächtigen über die ganze Welt Rechenschaft abzulegen, und da ist es wahrlich seine Pflicht, früh am Morgen mit klarem Kopf zu erwachen …
Sie genossen noch eine Weile das Bild Roms, das einer silbernen Märchenstadt glich, bis die nächtliche Kälte sie erschauern ließ. Hier konnten die Nächte empfindlich kühl sein. In Rom war es nicht so wie in Florenz: dort spürte man oft noch nachts um zwei Uhr Lust, aus dem Hause zu laufen, um sich in den Fluten des Arno abzukühlen. Sie wünschten einander gute Nacht und angenehme Ruhe, und Niccolini überzeugte sich noch persönlich, ob man seinem Gast zur Nacht auch alles bereit gelegt hätte. Der Gast konnte noch lange nicht einschlafen. Er lauschte auf die Vögel und dachte an den Papst. Frühmorgens wachte er bei Vogelgesang auf, und abermals mußte er an den Papst denken.
Sein erster Weg führte ihn zum Kardinal Carlo Medici, dessen pompösen Einzug er seinerzeit noch miterlebt hatte. Er übergab dem Kardinal den eigenhändig geschriebenen Brief seiner Mutter, der Großherzogin Christina, und überreichte ihm ein Exemplar der » Goldwaage«. Ehrfurchtsvoll beantwortete er die Fragen des Kardinals, die dessen Heimat betrafen, dann küßte er den Saum des Ornats des jungen Kirchenfürsten und ging, um sich dem Kardinal Hohenzollern vorzustellen, an den er auch einen Empfehlungsbrief hatte.
»Vom Hörensagen seid Ihr mir wohlbekannt«, sagte der deutsche Kardinal. »Schon seit Jahren höre ich Euren Namen nennen. Aber wenn ich ihn auch bislang noch niemals vernommen hätte, so würde ich ihn jetzt durch Unseren Herrn kennen. Der Heilige Vater gedenkt Eurer stets sehr warmherzig.«
»Das ist schon eine sehr alte Zuneigung«, erwiderte er glückselig, »Seine Heiligkeit hat seinerzeit eine Ode an mich gedichtet.«
»Ich weiß, ich habe schon öfter davon reden hören. Schließlich erleben wir es noch, daß Ihr als Kardinal hierbleibt.«
»Dazu ist es für mich zu spät. In meiner Kindheit hatte ich keinen heißeren Wunsch, als Priester zu werden. Jetzt kann ich damit nicht mehr beginnen, obwohl meine Karriere als ziemlich gesichert angesehen werden könnte.«
»Aber natürlich könntet Ihr das tun. Tretet bei den Jesuiten ein. Denen gehört doch jetzt die ganze Welt. Ach ja, jetzt fällt mir ein: Ihr steht nicht auf besonders gutem Fuße mit den Jesuiten. Warum seid Ihr denn so böse aufeinander?«
»Ich bin ihnen keineswegs böse. Es gibt sogar welche unter ihnen, die ich sehr hoch schätze und liebe. Sie zürnen mir. Sie beehren meine bescheidene Person mit der Anschuldigung, ich sei der Antichrist, der die weltliche Herrschaft der Kirche gefährde.«
»Wie solltet Ihr denn das machen?«
»Mit der Lehre des Kopernikus, eines Landsmannes von Monsignore, die ich meinem Verstande gemäß umgeformt habe.«
»Natürlich, ganz richtig. Nach soviel Redereien kann ich endlich etwas über diese Dinge von einer zuständigen Stelle hören. Das freut mich! Erklärt mir doch wenigstens in kurzen Sätzen, worum es sich eigentlich handelt.«
Galilei holte beglückt Atem und begann die Grundsätze seines neuen Weltsystems darzulegen. Der Kardinal Hohenzollern hörte ihm aufmerksam zu. Er richtete auch einige Fragen an ihn, aus denen hervorging, daß er ein sehr intelligenter Mensch mit schneller Auffassungsgabe war. Sie vertieften sich derartig in ihr Gespräch, daß sie eineinhalb Stunden lang bei diesem Thema blieben. Noch immer tief versonnen sagte endlich der Kardinal:
»Ich muß aufrichtig sagen: das alles klingt recht überzeugend. Aber ich muß darüber noch weiter Nachdenken, und wenn Ihr mir noch mehr von Eurer wertvollen Zeit widmen wollt, so habe ich sicherlich noch allerlei wichtige Fragen an Euch zu stellen.«
»Herzlich gerne! Aber ich mache Euch aufmerksam, Monsignore, daß wir jetzt im Schatten des Kirchenbannes lustwandeln. Papst Paul hat durch ein Dekret verkündet, daß man diese Lehre weder stützen noch verkünden darf, da sie der Bibel widerspricht. Auch ich stelle das Ganze nur als Hypothese hin. Vorläufig. Denn ich habe einen sehr großen Plan: ich möchte durch Seine Heiligkeit dieses Dekret widerrufen lassen. Würden Monsignore mir darin helfen, wenn ich Euch darum ergebenst ersuche?«
»Da müßtet Ihr mich zuvor noch mehr überzeugen. Aber ich bin, wie gesagt, sehr dazu geneigt, das möchte ich nicht verschweigen. Wenn ich darüber erst länger nachgedacht habe, werde ich auch mehr dazu sagen können.«
Von dem Kardinal Hohenzollern, dem er gleichfalls ein Exemplar der » Goldwaage« widmete, trennte sich Galilei wie ein erfolgreicher Missionar.
Nachdem er diese beiden wichtigen Besuche hinter sich hatte, wollte er die große Freude sogleich den »Luchsen« mitteilen. Die Mitglieder der Akademie erwarteten ihn schon vollzählig in der Wohnung Stellutis. Mit wahrem Siegesjubel empfingen sie die weltberühmte Leuchte der Akademie, die es fertiggebracht hatte, den Angriff der Jesuiten abzuwehren. In diesem großen Kampfe identifizierten sich die Mitglieder der Akademie, ohne zu zögern, mit Galilei: das für die Drucklegung der » Goldwaage« notwendige Geld hatte der Herzog Cesi beschafft, während die »Luchse« die Korrekturen, die Titelzeichnungen, den Versand und alles übrige auf sich nahmen. Ihre überwiegende Mehrheit war kopernikanisch, nunmehr besser gesagt galileisch, da die Gläubigen der neuen Weltordnung sich in zwei große Parteien gespalten hatten, wie dies meistens nach einer Religionsstiftung zu geschehen pflegt. Die andere Partei war die der Keplerianer. Er und Galilei entfernten sich immer weiter voneinander. Über die Bahn der Planeten, die sich um die Sonne bewegten, waren sie vollkommen verschiedener Meinung. Alle aber betrachteten die » Goldwaage« als ihren ureigensten persönlichen Sieg, und dem, der diesen Angriff so siegreich geführt hatte, jubelten sie begeistert zu.
»Euer Gnaden mögen sich einmal vorstellen«, sagte der eine, »ich erhielt von dritter Seite die Nachricht, Pater Grassi habe das Buch bereits gelesen und solle sich schon geäußert haben.«
»Nun und?«
»Er soll erklärt haben, daß es eine zwar gefährliche, aber gute und kluge Arbeit sei. Er soll außerdem auch betont haben, daß ihn der gemäßigte Ton des ganzen Werkes sehr überrascht habe. Er wäre auf die gewähltesten Grobheiten vorbereitet gewesen, wie das eben bei wissenschaftlichen Disputationen üblich sei, statt dessen habe er eine sachliche Beweisführung vorgefunden. Das hätte so stark auf ihn gewirkt, daß er Euer Gnaden persönlich kennenlernen möchte. Ich würde das für recht nützlich halten. In guter Freundschaft können wir vielleicht mit den Jesuiten viel leichter vorwärtskommen.«
»Nichts da von Freundschaft!« rief heftig ein anderer Luchs. »Das ist nur ein Vorwand, ich kenne sie! Sie locken einen in die Freundschaft, und während sie einen umarmen, versetzen sie einem den tödlichen Dolchstich. Kämpfen wir nur ruhig so weiter! Wir haben bis jetzt wirklich keinen Grund, uns zu beschweren.«
Ein Dritter vertrat wieder die Meinung, daß man mit Hilfe eines guten gemeinsamen Bekannten sich vergewissern müsse, ob und wieweit es der Pater aufrichtig meine. Ein Vierter wollte dringend an den Herzog Cesi schreiben. Schließlich schrien alle durcheinander. Galilei hörte schweigend zu und überlegte. Für eine Sekunde tauchte in ihm der Gedanke auf, ob es nicht möglich wäre, sich mit den Jesuiten zu einigen, sie von der Unhaltbarkeit der alten Weltanschauung zu überzeugen und mit ihnen ein Bündnis zu schließen. Mit einer Weltorganisation würde es zweifellos leichter sein, das Dekret widerrufen zu lassen. Dann fiel ihm aber gleich wieder ein: warum sollte er die Zeit mit unnützen und unerquicklichen Bekehrungsversuchen vergeuden, wenn er die ganze Angelegenheit selbst ganz allein in Ordnung bringen konnte.
»Die Herren disputieren über etwas«, erklärte er schließlich, »was im Grunde genommen nur meine ureigenste persönliche Angelegenheit ist. Mein Standpunkt steht bereits fest. Wenn Pater Grassi sich mit mir befreunden will, so steht dem nichts im Wege. Die Reihe ist an ihm, gut, er möge mich besuchen. Zunächst aber erhielt ich weder eine Nachricht noch eine Anfrage, auf die ich eine Antwort zu erteilen hätte. Wenn die Absicht, sich zu versöhnen, bei Pater Grassi ehrlich ist, wird er schon Mittel und Wege finden, daß ich auch offiziell davon Kenntnis erlange. Ich werde auf alle Fälle auf dem bereits eingeschlagenen Wege weitergehen. Ich werde mit Seiner Heiligkeit sprechen.«
Daraufhin nahm die allgemeine Unterhaltung eine ganz andere Wendung. Erregt begannen sie die Möglichkeiten der päpstlichen Audienz zu erörtern. Galilei hob lächelnd die Schultern.
»Mir macht die ganze Angelegenheit nicht allzuviel Sorge. Seine Heiligkeit hat mir sein persönliches Wohlwollen, ja ich wage zu sagen, seine Freundschaft so oft schon auf das liebenswürdigste bekundet, daß ich bei ihm unzweifelhaft alles, was man nach menschlichem Ermessen erreichen kann, schneller erreichen werde, denn irgendein anderer. Noch heute will ich den Sekretär Monsignore Ciampoli besuchen, der ein guter Freund von mir ist. Ich werde mich zur Audienz melden. Auch Riccardi werde ich besuchen, der als Zensor die Druckerlaubnis erteilte. Er ist ja zugleich ein Verwandter des Gesandten von Toskana, denn die Frau des Gesandten ist eine geborene Riccardi. Wegen Verbindungen brauche ich also wirklich nicht in Verlegenheit zu kommen. Wissen die Herren vielleicht, wie hoch im Augenblick Ciampoli und Riccardi in der Gunst des Heiligen Stuhles stehen? Wer sind eigentlich die wichtigsten Persönlichkeiten am päpstlichen Hofe?«
Eine wahre Sturmflut von Belehrungen überschüttete ihn. In wenigen Minuten schwirrten so viele Namen durcheinander, daß es keinen Zweck gehabt hätte, sie überhaupt aufzuschreiben. Manche meinten, daß der kürzeste Weg zum Papst über den Kardinal Maurizio führe; denn der stamme aus dem Geschlecht derer von Savoyen und sei außerdem ein ausgesprochener Vertreter der französischen Außenpolitik. Der Kardinal Barberini sei durch Befürwortung des französischen Hofes Kardinal geworden, und habe während seiner Nuntiatur in Paris der französischen Politik den Vorzug gegeben gegenüber der spanischen. Andere behaupteten wieder, daß er noch niemandem jemals so zugetan gewesen wäre wie dem Kardinal Aldobrandini. Wieder andere waren der Meinung, daß der Weg zum Herzen des Papstes nur über die Kunst führe. Zum Beispiel halte sich jetzt der Bildhauer Bernini aus Neapel in Rom auf, den der Kardinal Borghese entdeckt habe und der Heilige Vater über alle Maßen schätze. Er solle zu ihm gesagt haben: »Ihr habt Glück, Ritter Bernini, daß Maffeo Barberini Papst wurde, aber auch ich bin nicht minder glücklich, daß ich zu einer Zeit Papst werden konnte, wo ein Bernini für mich arbeitet.«
»Das hat er gesagt?« fragte Galilei bestürzt.
Er empfand plötzlich Eifersucht, ein Gefühl, das er bisher noch nicht gekannt hatte. Monatelang hatte er sich in der wonnigen Hoffnung gewiegt, daß er der Liebling des Papstes sei, er, der weltberühmte Gelehrte, dem der Papst eine Ode gewidmet hatte. Kardinäle und andere Kirchenfürsten mochten getrost seine Freunde sein; wenn es sich aber um Wissenschaft und Kunst handelte, war er der ausgesprochene Liebling des Herrn aller Christen. Und jetzt stellte sich heraus, daß auch er nur einer unter vielen war. »Ich bin glücklich, daß ich zu einer Zeit Papst sein kann, wo für mich ein Bernini arbeitet.« Es war nur gut, daß er an den wenigstens kein Gedicht geschrieben hatte …
»Nein«, entschied er, »zunächst wende ich mich an niemanden. Ich will es erst aus eigener Kraft versuchen. Alles andere wird sich dann schon finden. Jetzt gehe ich in den Vatikan.«
Monsignore Ciampoli, der junge Sekretär und einstmalige Schüler aus Padua, empfing seinen Meister mit aufrichtiger Freude.
»Wie sehr sich Unser Herr freuen wird!« rief er aus.
Als Florentiner erkundigte er sich dann sogleich nach den Intimitäten des Hofes zu Toskana. Keiner ließ den anderen ausreden während ihres begeisterten Redeschwalles. Endlich kamen sie aber doch auf das Wichtigste zu sprechen.
»Wie stehen die Jesuiten bei Seiner Heiligkeit angeschrieben?« erkundigte sich Galilei.
»Das ist ganz gleichgültig!« erwiderte Ciampoli achselzuckend. »Hier gibt es keinen anderen Willen als den Unseres Herrn. Er ist ein unbeeinflußbarer, mißtrauischer Mann, von ungeheuer starkem Willen. Manchmal kann einem bange werden, wenn man sieht, mit welch elementarer Kraft er etwas durchzusetzen weiß. Sich seinem Herzen zu nähern, ist vollkommen ausgeschlossen; es sei denn, daß er die Initiative ergreift. Neulich hat er zum Beispiel den Kardinal Ludovisi folgendermaßen behandelt: er empfing ihn in Audienz und wollte seine Meinung über eine kirchenrechtliche Frage hören. Ludovisi aber fürchtete, etwas zu sagen, was Unserem Herren mißfallen könnte. Um deshalb also zunächst die Ansicht des Papstes zu erfahren, entgegnete er: ›Ich kenne die Angelegenheit nicht, sie ist meiner Aufmerksamkeit entgangen. Ich bitte Eure Heiligkeit daher, mir kurz den Sachverhalt darzulegen.‹ Aber der Verstand Unseres Herrn ist scharf wie eine Klinge. Er läutete nach mir, ließ den Sachverhalt von mir vortragen und sagte kein einziges Wort dazu. Als ich geendet, wandte er sich an Ludovisi: ›Bitte, nun lasset Eure Meinung hören.‹ Der arme Ludovisi, der gewöhnt war, unter seinem Onkel, dem Papst Gregor, tonangebend zu sein, begann jetzt stammelnd seine Auffassung auseinanderzusetzen. Bei jedem Wort beobachtete er ängstlich die Gesichtszüge Seiner Heiligkeit.«
»Aber Hochwürden erfreuen sich doch noch immer großer Gunst, nicht wahr?«
»Gott sei Dank, ich kann nicht klagen. Wer Gedichte verfaßt wie ich, der erfreut sich am Hofe schon deshalb einer gewissen Beliebtheit. Unser Herr fährt täglich mit dem Wagen aus und ladet hierzu abwechselnd die Mitglieder des päpstlichen Hofes ein, die sich aufs Dichten verstehen. Meistens mich oder Cesarini …«
Kaum war sein Name gefallen, da trat Cesarini auch schon ein. Er war müde und klagte wie immer über Kopfschmerzen. Trotz seiner schlechten Stimmung freute aber auch er sich über den großen Lehrer. Cesarini war ein Geistlicher von zierlicher Figur, mit einer leisen Stimme, der dritte in der Familie des Fürsten Giulio Cesarini, den man hatte Geistlichen werden lassen und der die ganze Degeneration eines überzüchteten aristokratischen Geschlechtes in sich trug. Er war mehr krank als gesund, und in seinen Gedichten sprach er so sehr im elegischen Tone Ovids, daß man ihn von seinem dichterischen Vorbild fast gar nicht zu unterscheiden vermochte. Die mannigfachen körperlichen Leiden verbanden ihn besonders mit dem großen Gelehrten. Und er war wohl gar nicht einmal so sehr aus wissenschaftlicher Einsicht, denn aus einer gefühlsmäßigen Anhänglichkeit zu seinem Meister ein hartnäckiger Kopernikaner geworden.
Nunmehr berieten sie zu dritt über die Möglichkeiten des großen Planes von Galilei. Beide Priester waren der Meinung, daß, falls Papst Urban VIII. von der neuen Lehre überzeugt werden könnte, alles in Ordnung sei; denn dann könnten das gesamte Kardinalkollegium, die vollzählige Jesuitenpartei und sämtliche Peripatetiker sagen, was sie wollten, er würde einfach der Inquisition befehlen, von nun an die Erde als einen sich bewegenden Planeten anzusehen und nicht mehr die Sonne. Wenn er hingegen von der neuen Lehre nicht überzeugt werden könnte, dann gäbe es keine irdische Kraft, die ihn zu irgend etwas zu bewegen vermöchte.
»Nun, wir werden ja sehen«, sagte Galilei hoffnungsvoll, »wann kann ich mit der Audienz rechnen?«
»Morgen ganz bestimmt. Haltet Euch bereit. Unser Herr wird eher eine andere Angelegenheit von seinem Tagesplan absetzen lassen, nur um Euch empfangen zu können. Ich erstatte ihm sofort Meldung, wenn er wieder zurück ist. Er hält sich im Augenblick in der Kirche Santa Maria della Valle auf, wo sich die Familienkapelle der Barberinis befindet. Dort ruhen die Gebeine des heiligen Sebastian, und Unser Herr betet dort am liebsten. Es ist möglich, daß ich Euch noch heute abend Nachricht zukommen lassen kann.«
Wirklich, noch am selben Tage erhielt er Bescheid in die Villa Medici: Seine Heiligkeit sehe mit besonderer Freude der Begegnung mit dem großen Gelehrten entgegen. Galilei unterhielt sich den ganzen Abend mit dem Ehepaar Niccolini über den Papst.
»Wie beurteilen Eure Exzellenz den Papst?« erkundigte er sich.
»Ich halte ihn für einen geborenen Herrscher, für eine außerordentliche politische Begabung und für einen unerbittlichen Tyrannen. Er ist ein Musterbeispiel dafür, wie ein Staatsmann sich selbst erziehen kann. Von Natur aus hat er eine sehr heftige Natur, das Blut schießt ihm sehr schnell in den Kopf, aber ebenso schnell gibt er sich auch wieder zufrieden. Und er hat sich daran gewöhnt, nichts zu beschließen, wenn er erregt ist. So schnell, wie sein Gemüt Schwankungen unterworfen ist, ebenso langsam entschließt er sich und hört auf niemanden in dieser Welt.«
»Ist er ein guter Mensch?«
»Das kann man nicht gerade behaupten. Gegen diejenigen, die seinen Zorn auf sich ziehen, ist er unerbittlich und imstande, mit der größten Grausamkeit vorzugehen. Es läuft einem manchmal kalt über den Rücken, wenn man hört, wie gefühllos er sein kann. Aber auch Güte muß in ihm wohnen …«
»Natürlich, er ist doch ein Dichter«, unterbrach Frau Katharina.
»Das hat noch nichts zu sagen, mein Liebling. Auch Nero war ein Dichter. Wer Gedichte verfaßt, spricht zwar alle seine Neigungen in seinen Versen aus, das ist schon wahr, aber mehr auch nicht. Ich weiß, daß auch Güte in ihm wohnt, weil seine unmittelbaren Untergebenen ihn anbeten und für sein gutes Herz schwärmen. Deswegen sage ich aber gerade, daß er ein geborener Herrscher ist: solange sich ihm jemand nicht unterwirft, kann er fürchterlich sein. Mit denen aber, die ihn anerkennen, ist er unendlich gut.«
Jetzt ergriff Frau Katharina das Wort.
»Ich bewundere seine alles in den Schatten stellende Bildung. Bei offiziellen Empfängen und auch in Privatgesellschaft habe ich mich öfters mit ihm unterhalten. Stets war ich verwundert darüber, wie er in der klassischen Literatur bewandert ist. Ganz gleich, welche Stelle man aus Virgil, Ovid oder Horaz zitiert, er fällt sofort ein und kann endlos interpretieren.«
»Er hat noch eine Eigenschaft«, fügte Niccolini hinzu, »das Mißtrauen. Possevino, der Gesandte von Mantua, behauptet, daß es keinen Menschen gebe, über dessen Eigenschaften sich Papst Urban nicht schon nach der ersten Begegnung im klaren wäre. Ich will gar nicht in Abrede stellen, daß er ein guter Menschenkenner ist. Er ist aber kein sachlicher Menschenkenner. Auf seine Macht und sein Ansehen ist er dermaßen eifersüchtig, daß er in allem und jedem eine versteckte Insubordination sucht. Deswegen ist es außerordentlich schwer, mit ihm auszukommen. Er fordert unbedingte Ergebenheit und verachtet und verfolgt, wen er für einen Schmeichler hält. Wer hinwiederum Rückgrat zeigt, ist in seinen Augen ein sich gegen die päpstliche Autorität auflehnender Rebell. Kurz und gut, ich möchte behaupten, daß Seine Heiligkeit ein sehr schwer zu nehmender Mensch ist. Aber was wollen wir Euch viel erklären, Euch, einem seiner ältesten Bekannten, seinem Liebling –«
Galilei kannte den Papst in der Tat recht gut, und er durfte auch behaupten, ein Liebling des Papstes zu sein. Jetzt aber, wo er sich auf diese große Begegnung vorbereitete, von der eine ganz neue Epoche der astronomischen Wissenschaft abhing, mußte er einsehen, daß er alles andere als ein Menschenkenner war. Nur seine Kinder und seine nächsten Anverwandten waren seiner innerlichen Anteilnahme sicher, die übrigen Mitglieder der Menschheit nahm er bloß zur Kenntnis und teilte sie schlicht in zwei Gruppen ein: ob sie ihm liebenswert erschienen oder nicht. Ein einziger winziger Stern auf der Milchstraße bedeutete ihm mehr als Millionen seiner Mitmenschen zusammen. Wenn er die Eigenschaften, Fähigkeiten und Instinkte eines Menschen mit Hingabe erforscht hatte, so allein bei sich selbst. Hier brachte er den notwendigen Mut und auch die notwendige Ehrlichkeit auf. Er hatte nie Angst gehabt, in sich hineinzuschauen, nie befürchtet, er könnte da unschöne Dinge erblicken. Wenn ich so bin, dann bin ich eben so, pflegte er im geheimen zu sich selbst zu sagen. Seine eigenen Fehler kannte er sehr wohl. Die der anderen Menschen zu erforschen, war er viel zu bequem. Er wußte, daß er vielleicht zu ruhmsüchtig war. Er wußte, daß er seiner Genußsucht und seinem unstillbaren Durst nach den Freuden des Lebens nicht befehlen konnte. Und ebenso war er sich darüber im klaren, daß in seinem merkwürdig geschaffenen Gehirn zwei gegensätzliche Eigenschaften nebeneinander Platz hatten: ein nach den höchsten Erkenntnissen strebender, genialer Geist und ein ganz kindlich einfältiges Gemüt. Während er klar und deutlich die Irrtümer der seit zweitausend Jahren feststehenden Denkweise der Menschheit erkannte, war er den einfachsten Alltagsdingen gegenüber so gutgläubig, daß man ihn wie einen unerfahrenen Knaben über das Ohr hauen konnte. Auch jetzt nickte er nur hoheitsvoll zur Bemerkung des Gesandten, aber innerlich war er sich im klaren darüber, daß er von dem Charakter und den Eigenschaften des Menschen, den er in einer so wichtigen Angelegenheit aufsuchen wollte, nicht die geringste Ahnung hatte.
Der Augenblick war gekommen. Die breite Flügeltür tat sich vor ihm auf, und mitten in seinem Arbeitszimmer stand in seiner ganzen athletischen Figur, mit dem viereckig geschnittenen schwarzen Bart, dem wachsamen, klugen Blick der wasserblauen Augen Urban VIII., der Statthalter Christi auf Erden. Galilei ging auf ihn zu, sank in die Knie und küßte die Schnalle seines weißen Schuhs. Dann fühlte er, wie die Arme des Papstes ihn emporhoben. Ganz wie einst Papst Paul V. Persönliche Freude und rückhaltlose Freundschaft strahlten aus dem lächelnden Gesicht des Papstes.
»Mit aufrichtiger Freude haben Wir Euch erwartet.« Er duzte ihn nicht. »Wir wollen hoffen, daß Ihr die beschwerliche Reise gut überstanden habt.«
»Ich habe sie gut überstanden, Eure Heiligkeit; denn die Freude hielt mich aufrecht, meine Knie vor dem Herrn der Welt als altem Bekannten beugen zu dürfen.«
»Ja, zu Unserer größten Freude kennen wir uns schon seit langer Zeit. Auch jetzt erinnern Wir uns noch deutlich jenes Abends an der Tafel Seiner Hoheit, des seligen Cosimo, als über die im Wasser schwimmenden Gegenstände eine große Debatte entstand. Der gute Kardinal Gonzaga war nicht zu überzeugen, erinnert Ihr Euch noch? Aber bleiben wir doch nicht hier stehen, nehmen wir doch Platz, um behaglich plaudern zu können. Wir freuen uns so sehr über Euer Hiersein, daß Wir Euch nicht sobald wieder entlassen werden …«
Sie setzten sich. Die Stimme des Papstes klang freundlich. Mit der Vertrautheit eines alten Bekannten redete er zu ihm. Galilei war bestrebt, sich diesem Ton anzupassen, trotzdem aber ehrfurchtsvoll zu bleiben. Er verneigte sich im Sitzen und entgegnete:
»Eure Heiligkeit machen mich glücklich, daß sie sich noch an diesen Abend erinnern. Monsignore Gonzaga brachte in der Tat wesentlich weniger Verständnis auf als Eure Heiligkeit.«
Der Papst lachte vergnügt.
»Wie zornig war er doch darüber, daß Eis leichter sein sollte als Wasser, wißt Ihr noch?«
»Natürlich«, Galilei lachte mit, »und erinnert sich Eure Heiligkeit, daß wir nicht wagten, ihm das Gedicht von Berni vorzutragen?«
Innerhalb einer Sekunde war der Papst wie ausgewechselt. Sein Gesicht erstarrte, in seinem harten Blick funkelte Zorn.
»Sprecht mir nicht von diesem Berni! Ein unverschämter, unehrerbietiger Kerl! Wie kann jemand vom Papst in einem solchen Ton reden, wie er das wagte? Papst Clemens einen Tölpel zu nennen! Wenn er jetzt lebte, würde ich ihn ohne Erbarmen vor die Inquisition stellen!«
Erschrocken schwieg Galilei. Die etwas hohe Stimme des Papstes überschlug sich vor Wut. Er hieb mit der Faust auf den Tisch.
»Solche Kerle, die die Autorität untergraben, sind noch gefährlicher als die Protestanten. Ich habe sein Buch nur deshalb nicht verbrennen lassen, weil ich die allgemeine Aufmerksamkeit gar nicht erst auf ihn lenken wollte. Ein niederträchtiger Patron!«
Eine tiefe Stille entstand. Galilei hatte das Gefühl, als müsse er mit seinem Stuhl sogleich in die Erde versinken. Er sah, daß er einen großen Fehler begangen hatte. Die Brust des Papstes ging auf und ab wie der Blasebalg eines Schmiedes. Ein Papierschnitzel, das in seine Hand geriet, zerknüllte er zornschnaubend, als ob dieses unschuldige Fetzchen auch ein Feind der päpstlichen Autorität gewesen wäre. Aber bald war der Wutausbruch verraucht. Verächtlich warf der Papst das zerknüllte Papier weg und lächelte schon wieder.
»Aber sprechen wir doch nicht von Dingen, die uns nur ärgern. Freuen wir uns Eurer liebenswürdigen Anwesenheit! Vor allem sagt mir, wie es um Euer für die Wissenschaft so wichtiges Wohlbefinden bestellt ist?«
Er war wieder ausgeglichen und freundlich, während Galilei kaum seinen Schreck überwunden hatte und stammelnd von seinem Gesundheitszustand berichtete. Er klagte über sein Gelenkleiden, sein Nierenleiden, seinen Bruch und die Qualen monatelanger Krankheit. Aus dem Blick des Papstes strahlte zärtliche und aufrichtige Anteilnahme.
»Das hören Wir aber nicht gerne. Wie alt seid Ihr denn jetzt?«
»Sechzig, Eure Heiligkeit.«
»Das ist kein Alter. Wahrscheinlich lebt Ihr unvernünftig, macht Euch nicht genug Bewegung und seid nicht mäßig genug. Seht Uns an! Wir sind sechsundfünfzig Jahre alt und kerngesund. Wir können dem Allmächtigen nicht genug dafür danken, aber Wir leben auch danach! Könnt Ihr Französisch? Nein? Wir haben es noch als Nuntius in Paris gelernt. Die Franzosen haben ein Sprichwort: ›Hilf dir selbst, so hilft dir Gott.‹ Ein sehr kluger Spruch! Wir dürfen nicht jede Gnade von der Vorsehung erwarten und untätig bleiben, sondern wir müssen sie uns auch verdienen. Eurer Gesundheit wegen werden Wir unter allen Umständen zum Allmächtigen beten, und der Herrgott wird seinem Diener, dem Papst Urban, sicherlich Gehör schenken. Aber nun wollen wir uns einmal ein wenig von der › Goldwaage‹ unterhalten. Wir haben es Uns vorlesen lassen. Es ist eine meisterhafte Arbeit und Eurer würdig! Wie ist denn eigentlich dieses ganze Hin und Her entstanden, was will dieser Grassi von Euch?«
Galileis Herz begann heftiger zu schlagen. Jetzt endlich konnte er von seinem Anliegen sprechen.
»Das ist der Zorn der Peripatetiker, mein Heiliger Vater. Seit meiner frühesten Jugend kämpfe ich, um die Wissenschaft aus dem Kerker zu befreien, in den Aristoteles sie eingesperrt hat. Auf meiner Seite stehen natürlich nur die Mutigen und jene, die mit ihrem eigenen Kopf denken. Solche gibt es aber leider allzu wenige. Alle anderen hüten entsetzt ihre sichere Bequemlichkeit am Troge der Wissenschaft. Ich bin es, der ihre ganze Welt durcheinandergerüttelt hat. Sie hassen mich und wollen mich zum Schweigen bringen. Aber ich schweige nicht!«
»Vortrefflich! Recht so! Laßt Euch nicht unterkriegen!«
»Wenn ich den Herrscher der Welt auf meiner Seite weiß, werde ich mit noch größerer Begeisterung weiterkämpfen. Aristoteles war ein kluger Kopf, aber seine Irrtümer müssen richtiggestellt werden.«
»Worin hat er sich denn zum Beispiel geirrt?«
Galilei frohlockte vor Freude. Das ging ja alles wie befohlen. Er zählte die Irrtümer auf, die er bei Aristoteles festgestellt hatte. Er berichtete, wie er die Gesetze des freien Falles entdeckt hatte. Er sprach von seiner neuen Theorie der Bewegung, und daß er auch vollkommen neue Lehrsätze über die Wärme geschaffen habe. Er setzte dem Papst auseinander, daß man das ganze System der bisherigen wissenschaftlichen Forschungen verwerfen müsse, da es schlecht sei, und an Stelle dessen das seinige setzen; denn er habe sonderbar neuartige Dinge zutage gebracht, während die Peripatetiker seit zweitausend Jahren immer nur auf ein und demselben Fleck stünden. Alles dies trug er nicht zusammenhängend vor, sondern unterbrochen von unzähligen Fragen des Papstes. Er achtete streng darauf, nicht allzu wissenschaftlich zu werden, damit der Heilige Vater den Faden nicht verlöre. Auf die Zeit achtete er gar nicht. Eben war er im Begriff; die Theorie von Flut und Ebbe zu erläutern, um dann geschickt, wenn er dies beendet haben würde, auf die Wunder des Sternenhimmels überzuleiten. Somit wäre er dann bei dem großen Thema Kopernikus angelangt. Da erhob sich aber der Papst plötzlich.
»Unser Herz blutet«, erklärte er, »daß wir scheiden müssen. Diesen unglaublich fesselnden Gedankenaustausch könnte man bis spät abends fortsetzen. Jetzt müssen Wir Euch entlassen, aber innerhalb der nächsten Tage werden Wir Euch abermals bitten, hier zu erscheinen. Unserem liebwerten Anhänger Niccolini senden Wir Unsere Grüße.«
Vertraulich legte er seinen Arm um Galileis Schulter und geleitete ihn so bis zur Tür. Draußen schlug Ciampoli die Hände über dem Kopf zusammen.
»Eine und dreiviertel Stunde! Sämtliche Herrscher würden Euch darum beneiden. Nun, sagt schnell, was habt Ihr erledigen können?«
»Nichts!« erwiderte er. »Ich habe damit noch gar nicht beginnen können. Aber aufgeschoben ist natürlich nicht aufgehoben. Seine Heiligkeit ist wirklich zu gütig zu mir. Vor Freude möchte ich am liebsten tanzen, wenn es meine Füße zuließen.«
Er vereinbarte noch mit Ciampoli, daß er auf der Gesandtschaft stets hinterlassen würde, wo er sich gerade aufhielte, damit er dem Papst jederzeit sofort zur Verfügung stehen könne. Er machte noch bei Ginetti, dem päpstlichen Majordomus, seine Aufwartung und vereinbarte auch mit jenem eine Möglichkeit der Verständigung, für den Fall, daß ihn Seine Heiligkeit sehen wolle. Dann eilte er zu den »Luchsen«. Mit Siegesmiene verkündete er, was vorgefallen war. Endlich ging er nach Hause und berichtete auch dem Gesandten. Tags darauf machte er bei dem Kardinal Barberini Besuch. Denn wenn auch sein Kardinal Barberini zum Papst erhoben worden war, so gab es doch jetzt noch einen zweiten dieses Namens: der Papst hatte seinem Neffen, dem sechsundzwanzigjährigen Francesco Barberini, den Kardinalshut verliehen. Mit ihm mußte er sich also gut verstehen. Der jugendliche Kardinal war hinwiederum der Ansicht, daß es nichts schaden könne, zu dem Günstling seines Onkels auch seinerseits recht freundlich zu sein. Dann besuchte er noch den Kardinal Hohenzollern, um ihn noch mehr von der neuen Weltordnung zu überzeugen.
Und dann wartete er auf eine Einladung des Papstes. Nach Ablauf einer Woche hieß man ihn kommen. Aufgeregt eilte er in den Vatikan. Die Audienz währte diesmal aber nur wenige Minuten. Während Galilei im Vatikan weilte, überbrachte man dem Papst wichtige Nachrichten. Er mußte wieder gehen. Trotzdem hatte sich der Papst freundschaftlich mit ihm unterhalten, sich erkundigt, wie er seine Tage verbrächte und ob er etwas nötig habe. Dann hatte er ihm wohlwollend auf die Schulter geklopft und versprochen, bei der nächsten Gelegenheit die Türen abschließen zu lassen, damit sie nicht gestört würden.
Galilei wartete abermals. Er füllte seine Zeit mit Besuchen aus, er beriet sich mit den »Luchsen« und disputierte mit dem Kardinal Hohenzollern. Diese Unterredungen waren aber schon keine Debatten mehr, da sich der Kardinal als überzeugt erklärt hatte. Er versprach, wenn es erforderlich sein würde, auch vor dem Papst für Kopernikus einzustehen.
»Monsignore sind außerordentlich liebenswürdig zu mir. Vor allem aber mutig genug, die Partei der Wahrheit zu ergreifen.«
»Ich glaube, Ihr habt auch andere Anhänger außer mir in Hülle und Fülle, ist es nicht so?«
»Doch, das kann ich nicht leugnen. Die Mehrheit der ›Luchse‹. Cesarini, Ciampoli. Mein Schüler Guiducci, der mir aus Florenz nachgereist ist, Michelangelo Buonarroti, der Vetter des großen Michelangelo, ein guter Freund von mir, er hält sich zur Zeit in Rom auf. Mein Schüler Castelli, der jetzt Professor in Pisa ist. Ich will nichts sagen, einige habe ich schon. Da ist zum Beispiel auch noch dieser liebenswürdige Riccardi. Kennt Ihr ihn, Monsignore?«
»Den Pater Ungeheuer? Natürlich kenne ich ihn. Wer kennt ihn in Rom nicht!«
»Wieso Pater Ungeheuer?«
»Als er in Madrid war, nannte ihn der spanische König immer so, weil er so unglaublich dick ist. Oder habt Ihr jemals einen dickeren Menschen gesehen als ihn?«
»Nein, gewiß nicht! Dieser Pater Ungeheuer war die gütige Seele, die mir die Erlaubnis zur Drucklegung meiner › Goldwaage‹ seitens der päpstlichen Zensur übermittelte. Er schrieb eine so begeisterte Meldung, daß er über Aristoteles nicht hätte besser reden können. Ich war überzeugt, daß er mit Leib und Seele ein Anhänger der neuen Weltordnung ist, und für den Fall, daß es erforderlich sein sollte, mir auch beim Papst helfen würde. Gestern habe ich ihn nun besucht. Und was denken Monsignore, was er über die Weltordnungen gesagt hat? Er wäre von keiner ein Freund. Seiner Meinung nach würden sämtliche Sterne auf das Geheiß Gottes von je einem Engel bewegt. Andere mögen lehren, was sie wollten, er glaube nur daran, und daraus könnten nie Schwierigkeiten entstehen. Ich bin Euch unendlich dankbar, Monsignore, daß Ihr nicht auch eine so bequeme Lösung vorgezogen habt. Wenn ich wieder bei Seiner Heiligkeit zur Audienz erscheinen darf, werde ich Euch unverzüglich darüber Bericht erstatten.«
Erst nach zehn Tagen kam die Reihe wieder an ihn. Abermals war Galilei aufgeregt. Der Papst hielt Wort: er gab Befehl, jeden warten zu lassen, sie dürften nicht gestört werden. Sie machten es sich bequem, und Galilei wollte dort fortfahren, wo er neulich aufgehört hatte. Daraus wurde aber nichts. Der Papst nahm die Manuskripte seiner Gedichte hervor. Jedes einzelne Gedicht besprachen sie, manche las der Papst sogar laut. Gute anderthalb Stunden dauerte dies, dann entließ das Oberhaupt der Kirche den Gelehrten in Gnaden und erklärte, ihn in wenigen Tagen wiedersehen zu wollen.
Aber zwei Wochen lang bekam er keine Nachricht. Von der Aufregung abgesehen, die ihm seines großen Planes wegen innewohnte, lebte er wie ein Fisch im Wasser. Oft war er in vornehmen Häusern eingeladen, und auch der Gesandte veranstaltete größere Festlichkeiten ihm zu Ehren. Er liebte aber jene Abende vor allem, wo sie zu dritt zu Hause waren. Frau Katharina spielte wunderbar auf der Harfe, bei seinem Gepäck hingegen fehlte niemals die Laute. Während der letzten Jahre hatte er allerdings nur selten gespielt, da er seine linke Hand kaum bewegen konnte. Aber jetzt hatte er keinerlei Schmerzen, und die Sache ging ganz gut. Vom offenen Erker schwebten die Klänge in die Stille der ewigen Stadt hinaus, und sie fanden Gefallen daran, alte florentinische Lieder zu singen. » O Rosa, mia gentile« war das Lieblingslied des Gesandten, » Leggiadra damigèlla« das Lieblingslied seiner Frau. Harfe und Laute klangen wunderschön zusammen und Frau Katharina sang leise dazu. Galilei sah sie unentwegt an und lauschte schweigend. Noch nie war ihm eine Frau so liebenswert erschienen.
»Das war so schön, Exzellenz, daß ich zum Dank auch etwas vorsingen will.«
Er nahm seine Laute, griff in die Saiten und begann mit wohlklingendem Bariton zu singen:
Vicin, vicin, vicin,
Chi vuoi spazzar' camin' …
Das Ehepaar stimmte sogleich mit ein. Lachend sangen sie miteinander wie drei gutgelaunte Kinder bei einem Ausflug. Dann blickten sie vom Erker nochmals auf das schlafende Rom hinab, und Galilei legte sich mit dem Bewußtsein zur Ruhe, daß sein Herz von Katharinas Lieblichkeit ganz erfüllt war.
Nach zwei Wochen folgte eine neuerliche Audienz, nunmehr die vierte. Galilei bat diesmal sogleich um die Erlaubnis, seinen Gedankengang dort fortsetzen zu dürfen, wo er bei seinem ersten Besuch aufgehört habe.
»Es interessiert Uns außerordentlich, Wir genießen es schon im voraus.«
Er begann damit, daß alle Irrtümer des Aristoteles neben den grundlegenden Irrtümern der peripatetischen Astronomie überhaupt nicht in die Waagschale fielen. Sobald er durch sein Fernrohr den Sternenhimmel betrachtet habe und durch die besondere Gnade Gottes als erster Mensch seit der Erschaffung der Welt Dinge habe entdecken dürfen, die bis dahin keiner gesehen, habe sich sofort herausgestellt, daß die Grundlehre des Aristoteles falsch sei: der Sternenhimmel ist nicht unveränderlich, im Gegenteil, er verändert sich dauernd. Auch jene irrten, die der Ansicht wären, der Mond sei eine ausgehöhlte Kugel. Und auch die hätten nicht recht, die die Ansicht verträten, die Sonne sei eine fleckenlose Vollkommenheit. Die ganze auf Aristoteles aufgebaute ptolemäische Weltanschauung sei unhaltbar!
Hier unterbrach ihn der Papst:
»Nur von diesem Kopernikus erzählt Uns gar nicht erst, denn mit ihm können Wir Uns sowieso nicht einverstanden erklären.«
»Und gerade darüber wollte ich doch sprechen, mein Heiliger Vater.«
»Hört mich an! Vor sieben Jahren waren Wir gern bereit, Euch aus den Schwierigkeiten zu helfen. Mit Unserem armen, seligen Bellarmin haben Wir Uns damals ausführlich darüber unterhalten. Er vertrat in dieser Hinsicht keine feste Meinung. Ihm sei es gleichgültig, was sich bewege und was sich nicht bewege, ihm sei nur die Unversehrtheit der Kirche und des Glaubens wichtig. Aber Wir haben Unseren Standpunkt. Wir halten die kopernikanische Auffassung für eine Unmöglichkeit. Wir waren bestrebt, Euch bei Unserem Vorgänger, dem Papst Paul, zu helfen, soweit es ging; dies galt jedoch nur Eurer Person, die Uns lieb ist. Was aber dieser Deutsche behauptet, halten Wir auch heute noch für vollkommen unmöglich.«
»Ich bitte um Vergebung, aber dürfte ich Eurer Heiligkeit einmal eine Bitte vortragen?«
»Aber gerne, natürlich! Ihr könnt verlangen, was Ihr wollt.«
»Ich bitte um nichts weiter als um Geduld und Gehör. Ich kann beweisen, daß sich nicht die Sonne um die Erde bewegt, sondern die Erde sich um die Sonne dreht, die kleine Kugel um die riesengroße Kugel, wie das auch ganz natürlich ist.«
»Kugel? Wieso Kugel? Es steht doch noch gar nicht fest, ob die Erde eine Kugel ist.«
»Aber Heiliger Vater, Kolumbus …«
»Euer Kolumbus segelte einst gegen Westen, um nach Osten zu gelangen, ich weiß, ich weiß! Nach Osten zu wollte er Indien erreichen. Hat er es erreicht? Nein! Was er erreichte, war ein neuer Erdteil, aber nicht Indien. Was wissen aber wir, was sich dahinter befindet? Und was wissen wir, was sich auf der anderen Seite hinter Japan befindet? Ich habe mit Missionaren gesprochen, die von dorther kamen. Sie wissen es auch nicht. Niemand weiß etwas Bestimmtes.«
»Ich, Heiliger Vater, ich! Ich weiß bestimmt, daß die Erde rund ist. Laßt mich erklären, warum das so ist!«
Der Papst nickte zustimmend. Galilei hielt eine regelrechte Unterrichtsstunde ab. Der Papst hörte gespannt zu. Man sah ihm an, daß sein Geist rege arbeitete.
»Großartig«, sagte er schließlich, »Ihr seid ein wundervoller Mensch! Wir haben Euch nicht umsonst so hoch eingeschätzt. Eure Argumente sind überzeugend. Wir können nichts dagegen sagen. Und doch! Warum steigt uns dann das Blut nicht zum Kopfe, wenn wir uns auf dem unteren Teil der Erdkugel befinden?«
Ein neuerlicher Vortrag folgte. Im Weltall gäbe es kein »Oben« und »Unten«. Diese Worte seien Relativitätsbegriffe. Der Körper eines Menschen stünde immer in einer Linie mit dem Radius der Erde, und wie jeder andere Körper strebe er infolge seines Gewichtes der Erde entgegen. Auch das Blut habe Gewicht. Auch das Blut könne nicht aus den Füßen in den Kopf dringen, wenn es der Pulsschlag nicht dorthin zwingen würde.
»Bravo!« rief der Papst und seine klugen Augen funkelten. »So oft wir miteinander sprechen, eröffnet Ihr immer wieder eine neue Welt vor Uns. Fahrt fort, Wir hören Euch mit Vergnügen zu.«
Jetzt begann Galilei in fiebernder Hast zu reden. Das erste Mal in seinem Leben hatte er Lampenfieber. Er wußte, daß von dem, was er sagte, das Schicksal der Wissenschaft für zwanzig, vielleicht sogar für hundert Jahre abhing. Vorsichtig und klar fing er an, den kopernikanischen Gedanken aufzurollen. Eine Zeitlang hörte ihm der Papst zu, dann schüttelte er den Kopf.
»Nein, nein, das ist unmöglich! Bislang haben Wir Euch folgen können, aber weiter geht es nicht. Das ist Unsinn! Wir brauchen doch bloß an den Himmel zu sehen. Wir können doch mit Unseren eigenen Augen feststellen, was dort vor sich geht.«
»Haben Eure Heiligkeit denn schon einmal von einer Brücke in einen Strom hinuntergesehen?«
»Natürlich! Als Wir noch Kind waren. Vom Ponte Vecchio in den Arno. Sehr oft sogar.«
»Und haben Eure Heiligkeit da nicht vielleicht empfunden, daß die Brücke dem Strome entgegengeht und das Wasser selbst steht?«
»Doch, das haben Wir gesehen. Das war aber ein Irrtum. Wenn Wir auf das Ufer blickten, ging diese Vorstellung vorüber.«
»Und könnte das nicht auch am Himmel so sein, wenn der Himmel seine Ufer hätte?«
Der Papst sann nach. Sein scharfer Verstand erwog diese Möglichkeit. Dann aber verwarf er sie.
»Nein!« rief er, den Kopf hin und her wiegend, »das ist unmöglich. Es widerspricht auch meinem nüchternen Verstand, etwas Unkompliziertes durch etwas Kompliziertes zu ersetzen. Statt an das, was ich sehe, an etwas glauben sollen, was ich nicht sehe!«
»Sollten wir deshalb die Fata Morgana für bare Münze nehmen, nur weil ihre optische Erklärung so schwierig ist?«
»Möge Euch der Teufel holen«, lachte der Papst, »Ihr habt auf alles eine Antwort. Der liebe Gott hat Euch mit einem sehr scharfen Verstand beschenkt. Mit Uns werdet Ihr aber nicht so schnell fertig! Aber erklärt zunächst einmal weiter.«
Galilei fuhr fort. Jetzt hatte ihn schon der Eifer der Debatte ergriffen. Er stand auf, ging zum Schreibtisch, nahm den Gänsekiel zur Hand und sagte, der stelle die Sonne dar; dann hob er das Petschaft hoch und sagte, es stelle die Erde dar. Und so erläuterte er anschaulich die zwei Bewegungen der Erde. Aber wenn er auch noch so gut argumentierte, Papst Urban war nie um eine Entgegnung verlegen. Galilei mußte still für sich anerkennen, daß in diesem Schädel kein alltäglicher Geist wohnte. Schließlich war der Papst in astronomischen Fragen doch vollkommen unbewandert, trotzdem brachte er immer wieder neue Einwände, die jedem gelehrten Peripatetiker zur Ehre gereicht hätten.
»Nein, nein, jetzt sehen Wir schon ganz klar! Es wird Euch nicht gelingen, Uns davon zu überzeugen. Und es wäre besser, wenn Ihr Eure Zeit und Euren Verstand einer würdigeren Aufgabe widmetet als dieser Vorstellung.«
»Für diese Vorstellung lebe und sterbe ich, Heiliger Vater. Wenn Ich Eure Heiligkeit nicht habe überzeugen können, so schmerzt mich das unendlich. Aber ich bitte Eure Heiligkeit, mir wenigstens diese Überzeugung zu lassen.«
Der Papst zog lächelnd die Schulter hoch.
»Wir können Uns in niemandes Glauben einmischen. Wenn Ihr dies glauben wollt, so glaubt es! Wir machen Euch aber darauf aufmerksam, daß Ihr vor sieben Jahren bereits die Antwort der Kirche erhalten habt. Die Kirche hat diese Lehre nicht verdammt, und Wir werden sie auch nicht verdammen, weil Wir darin keine besondere Ketzerei zu erblicken vermögen. Aber Wir erinnern Uns noch ganz deutlich, daß das Kardinalkollegium sie seinerzeit als verwegen bezeichnet hat.«
Sein Herz schlug ihm bis in den Hals: der Papst erinnerte sich an dieses Dekret also nicht mehr; das heißt, er erinnerte sich wohl, aber ungenau.
»Kurz und gut«, fragte er mit gespannter Aufmerksamkeit, »ich habe mich demnach daran zu halten, daß diese Lehre zwar verwegen, aber doch nicht ketzerisch ist?«
»So ist es. Danach möget Ihr Euch richten! Und Ihr werdet sicherlich entdecken, daß Ihr Euch irrt, wenn Ihr mit dem Fernrohr weiter fleißig den Sternenhimmel betrachtet … Aber jetzt fällt mir etwas ein! Eine sehr interessante Sache. Geduldet Euch einen Augenblick …«
Er läutete und ließ den Majordomus kommen. Ginetti war sogleich zur Stelle.
»Hört einmal zu, Ginetti. Vor zwei Jahren war ein Deutscher aus Köln hier. Er wollte dem Papst Gregor wohl einen Vergrößerungsapparat oder so etwas Ähnliches vorführen, die Audienz wurde jedoch von Tag zu Tag hinausgeschoben, und dieser Kölner starb schließlich hier in Rom, noch bevor er vor dem Papst erscheinen konnte.«
»Ich erinnere mich, Heiliger Vater.«
»Sein Instrument hat er aber hier gelassen. Niemand konnte es seinerzeit zusammensetzen. Gelehrte Patres aus dem Jesuitenkollegium kamen hierher, aber auch die wurden damit nicht fertig. Sucht Uns sogleich die Akte heraus und auch jenes eigenartige Instrument. Wenn es jemanden auf der Welt gibt, der dieses Ding zusammensetzen kann, so ist es Seine Gnaden Galilei.«
Ginetti verbeugte sich tief und entfernte sich. Sie begannen abermals von Kopernikus zu sprechen. Zäh begann Galilei von neuem. Er schilderte die Erscheinung von Ebbe und Flut. Er erklärte, daß die auf der Oberfläche der sich wie eine Kugel drehenden Erde befindliche Wassermenge, das Meer, durch den Schwung dieser Drehung seinen Platz verändere. Das sei doch klar und das könne man doch einsehen. Aber der Papst sah es nicht ein. Darüber stritten sie wieder eine ganze Weile, bis schließlich der Heilige Vater die ganze Argumentation niederriß:
»Und das war nicht möglich, daß Gott Ebbe und Flut ebenso schuf wie die Erde? Dies in Zweifel zu ziehen, würde doch bedeuten, an der Allmacht Gottes zu zweifeln.«
Wie vor den Kopf geschlagen saß Galilei da. Von einem vernünftigen Menschen hatte er eine derartige Beweisführung nicht erwartet. Aber Papst Urban war nicht nur klug, sondern auch rechthaberisch. Jetzt bewies er ihm, daß er recht haben mußte und in bezug auf die Waffen nicht wählerisch war. Darauf konnte der Gelehrte wahrlich nur schweigen. Eine Pause trat ein. Der Papst sah zum Fenster hinaus und seufzte.
»Es tut Uns wirklich leid, daß Wir diese lehrreiche Unterhaltung abermals abbrechen müssen, aber Wir haben sehr viel zu tun. Der Krieg macht Uns viel zu schaffen. Aber es lohnt sich auch.«
»Haben Eure Heiligkeit gute Nachrichten?«
»Ausgezeichnet! Seit 1618 dauert der Krieg, also seit nahezu sechs Jahren, und schon war es Uns vergönnt, den Ketzern bedeutende Landstriche wegzunehmen und sie wieder dem Reiche des alleinseligmachenden Glaubens anzugliedern. Die Pfalz gehört wieder dem Katholizismus. Die wirklichen Kämpfer, die Jesuiten, folgen den Soldaten allerorts auf dem Fuß. Wir erobern alles wieder zurück, Galilei, alles! Wenn Uns der Allmächtige Kraft und Gesundheit gibt, dann werden wir auch in die entlegensten Teile der Welt Unsere Fahne mit dem Lamm Gottes tragen lassen. Und der kirchlichen Macht schieben wir gleich die weltliche nach.«
»Denken Eure Heiligkeit an eine Erweiterung der weltlichen Macht des Papsttums?«
»An was denn sonst? Ist das nicht geradezu Unsere Pflicht? Hat Uns denn Unser Herr Jesus Christus mit seinem Wort ›Eine Herde und ein Hirte‹ nicht ein Ziel gesetzt? Wir fügen Uns gehorsam seinem Gebot. Wir lassen Kanonen gießen, mein Lieber, wenn es nicht anders geht, aus dem Kupfermaterial der Kunstschätze. Die Engelsburg lassen Wir ausbauen, Unser Heer sorgfältig organisieren. Der Papst ist nicht auf Rosen gebettet, das könnt Ihr mir glauben. Es sind der Sorgen viele und nur wenige, die helfen. Daheim werdet Ihr bei Hofe erwähnen können, daß auch das Herrschergeschlecht der Medici Unser väterliches Herz betrübt hat. Erst gestern sagte ich zu Kardinal Carlo Medici …«
»Um Gottes willen, mein Heiliger Vater, was ist denn mit den Medicis?«
»Ludwig XIII. ist ein Medicisproß. Und er nimmt von diesem Richelieu, den Ihr vielleicht nur vom Hörensagen kennt, ich aber um so besser, sehr schlechte Ratschläge an.«
Plötzlich riß ihn wieder der Zorn hin. Abermals pochte er mit der Faust auf den Tisch:
»Aber Wir werden es ihnen schon zeigen! Val Tellina werde ich ihnen wieder wegnehmen! Nichtsnutziges Hugenottenpack! Und wenn sie Uns noch länger reizen, werden sie auch noch etwas anderes von Uns erleben können. Wir haben Kanonen!«
Sein Atem ermüdete von dem Wutanfall. Er holte tief Atem und beruhigte sich wieder. Den jetzt eintretenden Ginetti empfing er bereits mit liebenswürdigem Lächeln.
»Recht so, Ginetti, Wir sehen, Ihr könnt Ordnung halten. Also wollen wir einmal sehen, was da drinnen steckt. Kommt, Messer Galilei, Ihr könntet Euch hierher neben mich stellen und gleich einmal die Akte lesen.«
Ginetti entfernte sich, nachdem er eine Akte mit allerlei Schriftstücken und ein großes Paket auf den Tisch gelegt hatte. Aus der Akte ging hervor, daß dieses Paket der Nachlaß eines Deutschen aus Köln namens Jakob Kuppler sei, der in Rom verstarb, ohne diesen Gegenstand, den er mitgebracht hatte, dem Papst vorführen zu können; nämlich die Erfindung eines Verwandten von ihm, eines Holländers namens Drebbel. Ein weiteres Dokument besagte, daß die vom Papst herangezogenen Sachverständigen die einzelnen Teile dieses neu erfundenen Vergrößerungsapparates nicht hätten zusammensetzen können.
Sie öffneten das Paket. Eine ganze Anzahl Kupferteile und starke Vergrößerungsgläser fielen durcheinander. Gierig griff Galilei danach. Er nahm nacheinander die einzelnen Stücke in die Hand, und sein Erfindergeist begann sofort zu arbeiten. Noch konnte er sich aber kein Bild machen.
»Zeigt einmal, was Ihr könnt, und setzt dieses Ding hier zusammen. Zur nächsten Audienz bringt Ihr dann das Ganze fix und fertig mit. Wir zweifeln nicht daran, daß Ihr diese Aufgabe meistert. Jetzt erbitten wir den Segen Gottes für Euch.«
Galilei hatte noch drei wichtige Besuche machen wollen, aber nun schob er sie auf. Er eilte nach Hause in die Gesandtschaft, sagte nicht einmal dem Gesandten Bescheid über den Ausfall der Audienz, sondern begab sich in sein Zimmer und machte sich unverzüglich daran, den Apparat zusammenzusetzen. Schon lange hatte er keine Aufgabe mehr unter den Händen gehabt, die ihm dermaßen zusagte. Es war Wissenschaft, gleichzeitig aber auch Spielerei. Als ob man ihm ein Rätsel aufgegeben hätte. Und während der sechzig Jahre seines Lebens war er noch niemandem begegnet, der Rätsel hätte besser lösen können als er. Die Natur hatte seinen Verstand so geschärft, daß er auf einmal mehrere Kombinationen zugleich übersehen konnte. Einfache Rätsel, mit denen sich die Gesellschaft am Hofe zu belustigen pflegte, brauchte er nur anzusehen, und schon hatte er die Auflösung.
Dies hier aber war kein leichtes Rätsel. Er wußte ja nicht einmal genau, was er aus diesen feinen Messingteilen und Vergrößerungslinsen zusammenstellen sollte. Nur daß das Ganze zur Vergrößerung diente, wußte er. Ob es ein Rohr war wie sein Fernrohr, oder ein kleiner Kasten, ob man es hochhalten mußte oder was sonst, das alles ahnte er vorerst noch gar nicht. Auf alle Fälle ging er von zwei Standpunkten aus, von der Theorie und der Praxis. Theoretisch suchte er den optischen Sinn des Instrumentes zu ergründen. Praktisch aber war er bemüht, festzustellen, welcher Teil zu welchem paßte. Langsam stellte er kleine Gruppen zusammen. Die Arbeit ging gut vonstatten, und noch am selben Abend wurde er damit fertig. Er hatte die Erfindung zusammengesetzt! Ein interessanter Apparat war daraus geworden, den man auf den Tisch stellen mußte. Die Gegenstände, die man betrachten wollte, mußten unter die Linse gelegt werden und dann mußte man von oben in den Apparat hineinschauen. Bei künstlichem Licht war er nicht zu gebrauchen. Er legte ein winziges Papierstückchen unter die Linse, konnte aber nur eine fasrige, rauhe, große, helle Fläche erkennen; das Bild selbst war vollständig verschwommen.
Abends war er zum Kardinal Santa Susanna geladen. Er fand dort eine große Gesellschaft vor. Es fiel ihm nicht leicht, die Erfindung nicht zu erwähnen, aber er wollte sich zunächst von der Verwendbarkeit des Instrumentes überzeugen, und dann dachte er auch daran, daß es gewiß unschicklich wäre, die Kunde von diesem unglaublich interessanten Apparat in der Stadt zu verbreiten, ehe ihn der Papst selbst gesehen hätte.
Am nächsten Morgen wachte er viel früher als gewöhnlich auf. Seine erregte Neugierde hatte ihn nicht schlafen lassen und weckte ihn auch frühzeitig. So wie er war, im Nachthemd, eilte er, um das Instrument von neuem zu untersuchen. Er schob den Tisch an das Fenster und legte ein Brotkrümelchen unter die Linse. Er sah hinein und schrie laut auf vor Staunen. An Stelle des Brotkrümelchens erblickte er einen kleinen Felsblock. Er sah zwar alles sehr verschwommen, aber er sah es. Die Vergrößerung schätzte er auf das Hundertfache. Ein anerkennender Neid schlich sich in sein Herz, daß dieser Drebbel das erfunden hatte. Ebenso hätte er es erfinden können. Der Grundgedanke dieses Instruments unterschied sich in nichts von seinem Fernrohr.
Kaum konnte er erwarten, daß der Gesandte und seine Frau erwachten. Er ließ ihnen ausrichten, daß er sie gern beim Frühstück begrüßen würde, da er eine sehr interessante Sache zu zeigen hätte. Er brachte die Erfindung mit in das Frühstückszimmer und stellte sie auf das Fenstersims. Mit der Spitze seines Messers schob er einen Grassamen unter die Linse. Dann sahen sie alle drei nacheinander in den Apparat. Die Vergrößerung gab eine große Bohne wieder. Frau Katharina klatschte begeistert in die Hände, der Gesandte aber schüttelte den Kopf.
»Menschen, die sich mit Euch befreunden«, sagten sie voller Achtung, »erleben nur Wunder.«
Eine ganze Stunde lang unterhielten sie sich damit, allerlei winzige Gegenstände durch den Vergrößerungsapparat zu betrachten. Dann schrieb Galilei einen Brief an Ginetti, er möge Seiner Heiligkeit melden, daß es ihm gelungen wäre, den Apparat zusammenzustellen, der außerordentlich merkwürdig sei. Er bat den Gesandten um Geheimhaltung und zog sich auf sein Zimmer zurück, um sich noch länger mit dieser Erfindung zu befassen.
Das Instrument war in seiner jetzigen Gestalt noch unvollkommen. Das Bild, das der Apparat wiedergab, war ziemlich verschwommen. Das konnte aber auch gar nicht anders sein: die Augen eines jeden Menschen benötigten andere Linsen. Dann störte auch noch der Umstand, daß die Konturen des Gegenstandes, der unter der Linse lag, in den Farben des Regenbogens aufgingen. Es war ferner unbequem, den zu vergrößernden Gegenstand unter der Linse hin und her zu schieben; denn dazu war nicht genügend Platz vorhanden.
»Wochenlang werde ich zu tun haben«, dachte er vergnügt bei sich, »bis ich das in Ordnung gebracht habe.«
Zwei Tage darauf ließ ihn der Papst rufen. Er erschien mit dem Instrument. Der Statthalter Christi sah neugierig in den Apparat. Galilei hatte einen Mohnsamen mitgebracht, den er unter die Linse legte.
»Was sehen Eure Heiligkeit?«
»Ich sehe eine große, schwarze Kugel mit einem regenbogenfarbigen Rand. Was ist denn das?«
»Ein gewöhnlicher Mohnsame, Heiliger Vater. Die Regenbogenfarben gehören nicht dazu, die verursacht der Apparat nur, weil er noch unvollkommen ist. Aber ich werde ihn schon in Ordnung bringen. Ich verpflichte mich, daß man innerhalb weniger Wochen bereits ganz scharf damit wird sehen können, und zwar ohne die Regenbogenfarben.«
»Ihr seid ein Genie! Was könnte man noch darunter legen?«
»Das ist ganz gleich. Zum Beispiel dieses Fädchen, das von meinem Wams herunterhängt.«
Er riß es ab und legte es darunter. Einen unregelmäßig gedrehten, groben Strick sahen sie unter der Linse. Voller Verwunderung rief der Papst:
»Und heute muß Sonnabend sein!«
»Was hat es damit auf sich, Heiliger Vater?«
»Jeden Sonnabend gehen Wir in die Kirche Santa Maria Maggiore beichten und hören danach die Litanei an. Mit dieser wundervollen Erfindung werden Wir Uns also erst morgen so richtig befassen können. Aber Ihr könnt jetzt irgend etwas von mir verlangen; denn was Ihr aus diesem Instrument gemacht habt, ist wirklich hervorragend, und ich bin entzückt! Die berühmtesten Gelehrten der Jesuiten haben das nicht zustande gebracht.«
»Ich hätte schon eine Bitte, Eure Heiligkeit. Für Eure Heiligkeit bedeutet es nur einen Federstrich, für mich die Krönung meines Lebens.«
»Nun? Heraus damit! Bittet, um was Ihr wollt. Wenn Wir richtig unterrichtet sind, habt Ihr einen Sohn, der studiert. Wollt Ihr ein Stipendium für ihn haben?«
»Auch das würde ich dankbar annehmen, Heiliger Vater. Aber das liegt mir im Augenblick nicht am Herzen. Mögen Eure Heiligkeit doch erlauben, daß sich die Erde um die Sonne drehen darf.«
»Nein«, erwiderte der Papst hart und ohne zu zögern, »das lassen Wir nicht zu! Wir sagten schon einmal, daß diese Lehre nach der Meinung der Kirche verwegen ist. Dieses Urteil ist bereits verkündet, darüber gibt es nichts mehr zu reden. Verlangt etwas anderes.«
»Laßt sie doch verwegen sein, Heiliger Vater. Nur ich soll darüber schreiben dürfen. Nur ich soll es beweisen und verkünden dürfen.«
»Wartet nur! Was hattet Ihr damals mit Bellarmin vereinbart?«
»Wir waren übereingekommen, daß ich diese Lehre als untrügliche Wahrheit nicht aufrechterhalten dürfe. Es wurde mir aber gestattet, sie als Hypothese zu kommentieren.«
»Lügt Ihr auch nicht? Hat Bellarmin das tatsächlich gesagt?«
»Ich kann Eurer Heiligkeit den heiligsten Eid darauf ablegen!«
»Also was wollt Ihr dann noch? Dann behandelt sie doch als Hypothese. Was seinerzeit die Meinung des Kardinalkollegiums war, war auch Unsere Meinung. Und was Wir einmal erklärt haben, halten Wir auch aufrecht.«
»Eure Heiligkeit, dies ist aber eine ungeheure Behinderung für die Wissenschaft. Es ist unendlich schwer, in dieser Form etwas zu schreiben. Stundenlang muß ich über jeden Satz nachdenken, damit daraus ja kein Unheil entstehen kann. Als ich in der › Goldwaage‹ Kopernikus erwähnte, habe ich für dieses Kapitel ebensoviel Zeit gebraucht wie für zehn andere.«
»Habt Ihr ihn denn auch in der › Goldwaage‹ erwähnt? Das ist Unserer Aufmerksamkeit entgangen. Aber es ist schade um jedes Wort. Die Debatte ist geschlossen. Quod dixi, dixi. Haltet Euch danach, was die Kirche befiehlt.«
Galilei wußte, daß er sich auf sehr gefährlichem Boden bewegte. Der Papst erinnerte sich an das vor acht Jahren verfaßte Dekret nicht mehr. Er entsann sich nicht mehr, daß die Inquisition diese neue Lehre als im Widerspruch zur Heiligen Schrift stehend bezeichnet hatte. Und alles das hatte er jetzt vor dem Papst verschwiegen. Wäre es nicht besser, diese Niederlage hinzunehmen und an dem Dekret nicht mehr zu rütteln? Wenn dem Oberhaupt der Kirche einfällt, den Inhalt dieser Beschlußfassung nochmals hervorsuchen zu lassen, wird sich sofort herausstellen, daß diese Lehre nicht verwegen, sondern streng verboten ist. Und das ist ein großer Unterschied. Dann wird seine Unkorrektheit zutage treten: das Wesentliche des Dekretes hat er dem Papst verschwiegen. Aber sofort fand er auch einen Ausweg für diesen Fall: er wird ein unschuldiges Gesicht machen und so tun, als ob er sich gleichfalls schlecht erinnert hätte. Es ist doch recht, den Kampf weiterzuführen! Vielleicht gelingt es doch noch!
»Heiliger Vater«, fuhr er zäh fort, »ich füge mich. Das ist doch selbstverständlich. Wenn aber Eure Heiligkeit den Kardinal Bellarmin erwähnt haben, so sei mir gestattet, noch etwas dazu zu bemerken. Ich besitze einen Brief mit der Unterschrift des seligen Kardinals, in dem er ausführt, daß mich keine kirchliche Behörde zum Widerruf dieser Lehre zwingen könne.«
Hier wurde es dem hartnäckigen Gelehrten wieder ein bißchen unheimlich. Vielleicht wollte der Papst dieses Schriftstück sehen! Daß er nicht gezwungen war, seine Lehren zu widerrufen, stand tatsächlich darin. Aber Bellarmin hatte in diesem Brief auch geschrieben, daß es verboten sei, diese Lehre aufrechtzuerhalten oder zu verkünden. Von einer Hypothese war in diesem Schreiben überhaupt nicht die Rede, das hatte Bellarmin ihm nur mündlich mitgeteilt. Und er war tot und konnte dafür nicht mehr zeugen. Der Papst interessierte sich aber nicht für diesen Brief. Er zog plötzlich einen ganz anderen Schluß.
»Widerstrebt es Euch denn gar nicht, denselben wissenschaftlichen Standpunkt zu vertreten wie die Ketzer? Da ist zum Beispiel noch dieser Kepler, mit dem Ihr in ein Horn tutet. Das ist doch ein Protestant! Und wie ich höre, hat Kepler in den protestantischen Ländern viele Anhänger. Findet Ihr denn soviel Gefallen an dieser Gesellschaft? Was für ein Mensch ist denn dieser Kepler?«
»Eure Heiligkeit mögen ihm nichts tun! Mit tausend Sorgen büßt er für die Sünde, daß er Protestant ist. Erst neulich hatte man seine alte Mutter bei der Inquisition angezeigt, sie sei eine Hexe. Zum Glück erfuhr er dies noch rechtzeitig. Wenn er nicht in der letzten Minute zu ihr geeilt wäre, hätte man die alte Frau auf dem Scheiterhaufen verbrannt.«
»So. Und worin bestand die angebliche Hexerei der alten Frau?«
»In nichts, Eure Heiligkeit. Man wollte sie erpressen.«
»Sehr bedauerlich! Dieses Rezept kennen Wir. Wenn das Opfer zahlt, wird die Anzeige widerrufen. Zu Unserem aufrichtigen Leidwesen haben Wir schon zahlreiche derartige Beschwerden vernommen. Das Santo Offizio ist in der Tat eine heilige Institution, eine tragende und erhabene Säule der Kirche. Nur die Menschen sind schlecht, die es fertig bringen, solch eine heilige Einrichtung wie die Inquisition zu Erpressungsversuchen zu mißbrauchen. Aber Ihr habt noch nicht auf Unsere Frage geantwortet. Findet Ihr es denn nicht unangenehm, mit dem Protestanten in ein Horn zu tuten?«
»Dazu möchte ich etwas erzählen dürfen, Eure Heiligkeit. Als ich noch Professor in Padua war, hatte ich einen Kollegen, Cesare Cremonini mit Namen, ein seelensguter Mensch, aber ein halsstarriger Peripatetiker. Wegen des Aristoteles war er so zornig auf mich, daß er, wie ich später erfuhr, einen seiner Schüler als Spion in meine Vorlesungen schickte und dann aus Rache in seinen nächsten Stunden genau das Gegenteil dessen lehrte, was ich gesagt hatte. Ich möchte nicht in diesen Fehler verfallen. Wenn ein Ketzer zufällig die Wahrheit verkündet, so möchte ich sie nicht Lügen strafen nur deswegen, weil er ein Ketzer ist.«
»Natürlich habt Ihr auf alles eine Antwort«, erwiderte der Papst lachend, »aber auch Wir haben eine. Die Sonne bewegt sich um die Erde und damit punktum! Wie Ihr nun mit Euren Hypothesen fertig werdet, das ist Eure Sache. Und jetzt geht schön nach Hause und überlegt Euch in Ruhe, was Ihr von Uns für dieses Instrument erbittet.«
Der Heilige Vater umarmte Galilei wieder freundlich und geleitete ihn bis zur Tür. Dort blieb ihm nichts anderes übrig, als niederzuknien und sich zu verabschieden. Der unerbittliche Papst legte liebevoll die Hand auf die Schulter des Gelehrten. Dann schloß sich die Tür. Draußen wartete Ciampoli auf ihn. Er hob neugierig den Kopf. Galilei schüttelte langsam und resigniert sein Haupt.
Noch einmal versammelte er die »Luchse« um sich. Er berichtete ihnen genau über alle seine Audienzen beim Papst. Sein Bericht erweckte natürlich keine helle Begeisterung, aber auch keinerlei Niedergeschlagenheit. Sie beleuchteten die Lage von allen Seiten und fanden sie zufriedenstellend. Die Möglichkeit, daß Galilei seine Gedanken als Hypothese darstellte, bestand nach wie vor. Es sei ein gutes Omen, daß sich der Papst an den Inhalt des Dekretes nicht mehr erinnere, meinten sie. Daraus könne man ersehen, daß die ganze Frage für ihn von sekundärer Bedeutung sei. Und da er gewöhnt sei, auf niemanden zu hören, würden aller Wahrscheinlichkeit nach die Versuche der Jesuiten fehlschlagen, diese Frage als primäre hinzustellen. Und schließlich sei es für die vorwärtsstrebende Wissenschaft auch ein unabschätzbarer Vorteil, daß der Papst Galilei so zugetan sei. Dieser Umstand war in Rom sehr bekannt geworden, und auch die leidenschaftlichsten jesuitischen Peripatetiker würden es sich wohl überlegen, ob sie den Günstling des Papstes angreifen sollen oder nicht.
»Da fällt mir übrigens ein«, sagte Guiducci, »ich bekam unlängst eine Nachricht von Grassi, er möchte mich kennenlernen und sich mit mir befreunden.«
»Das gilt mir«, erwiderte Galilei lachend, »ich bin auch gar nicht abgeneigt. Werdet nur gute Freunde, ich folge dann schon nach. Wir werden es noch erleben, daß wir aus ihm einen Kopernikaner machen.«
»Das wäre auch nur recht und billig!« fuhr Guiducci munter fort. »Wie ich mich zuerst mit Grassi herumstreiten mußte, damit Ihr die » Goldwaage« schreiben konntet, genau so werde ich jetzt den Frieden einleiten. Ich glaube, im allgemeinen sind diese Jesuiten gar keine solchen Bestien, wie man ihnen schlechthin nachsagt.«
»Ganz bestimmt nicht!« antwortete Galilei, »ich fange an zu glauben, daß Grassis Angriff kein offizieller Angriff des Jesuitenordens war. Es wird nur eine persönliche Plänkelei gewesen sein. Die Jesuiten kümmern sich jetzt überhaupt nicht um Kopernikus, sondern beschäftigen sich ausschließlich mit dem großen Kriege.«
So beschlossen sie ihre Beratungen mit großer Zuversicht. Dann erklärte Galilei, daß er nun noch von einer äußerst wichtigen Erfindung berichten wolle. Er erzählte die Geschichte des neuen Instruments. Den Vergrößerungsapparat selbst könne er allerdings nicht vorführen, da dieser beim Papst geblieben sei. Er bäte die Mitglieder der Akademie jedoch, ihm Handwerker zu nennen und Optiker, die gut, genau, billig und sehr schnell arbeiteten. Außerdem benötigte er noch einen Zeichner. Diese Mitteilungen riefen große Erregung hervor. Mit hunderterlei Fragen stürmten sie auf ihn ein. Er antwortete geduldig, zeichnete und erklärte ununterbrochen. Sofort fanden sich auch schon vier oder fünf »Luchse«, die ihm wegen guter Mechaniker behilflich sein wollten.
Und am Tage darauf schon waren der Zeichner, der Optiker und der Mechaniker pünktlich zur Stelle. Jetzt befaßte er sich von früh bis abends nur noch mit diesem Instrument. Als letzten Versuch, um sich nicht den geringsten Vorwurf machen zu müssen, besuchte er nochmals den Kardinal Hohenzollern und bat ihn, beim Papst zu intervenieren. Der Kardinal versprach bereitwilligst, beim Papst vorstellig zu werden. Galilei überließ also alles dem Kardinal, und widmete seine ganze Zeit ausschließlich dem Vergrößerungsapparat. Schon nach drei Tagen hatte er die Erfindung ganz wesentlich verbessert: er brachte zustande, daß das Instrument von jedem gebraucht werden konnte, indem er die Entfernung von zwei Linsen mittels einer Schraubenvorrichtung regulierte. Die Versuche gelangen glänzend. Alsbald fand er auch die Einstellung heraus, die seinem Auge entsprach, und er selbst war von der Schärfe des Bildes am meisten überrascht, als er eine Tabakfaser unter die Linse legte. Auch dafür brachte er noch eine Verbesserung an: für das zu untersuchende Objekt ließ er eine kleine Platte unterhalb der Linse anfertigen. Endlich beriet er stundenlang mit dem Optiker, bis sie schließlich erreichten, daß die regenbogenfarbig schimmernde Umrandung der Gegenstände verschwand. Als der erste fertige Drebbelsche Vergrößerungsapparat in der Galileischen Verbesserung den Mitgliedern der Akademie vorgeführt wurde, konnten diese nicht genug Worte des Lobes finden. Wegen des Geldes brauche er sich keine Sorgen zu machen, das legten die Mitglieder der Akademie schon zusammen. Gleichzeitig bestellten sie mehrere Exemplare von diesem wundervollen Instrument.
»Jetzt werdet Ihr dieser Sache wohl ganze Jahre widmen«, meinte Stelluti.
»Ich denke nicht im geringsten daran. Ich werde damit zu Hause in Florenz alles Mögliche untersuchen und es dann, wenn ich es satt bekomme, zur Seite legen. Ich habe etwas viel Wichtigeres zu tun.«
»Was denn?«
»Ich muß ein Buch über mein eigenes Weltsystem schreiben. Das wird keine leichte literarische Aufgabe sein, da ich so schreiben muß, als ob ich daran nicht glaubte, aber das Werk muß wiederum auch sinngemäß besagen, daß ich daran glaube.«
»Wenn es sich um das Schreiben handelt, habe ich keine Angst um Euch.«
»Wirklich? Hat Euch die › Goldwaage‹ gefallen? War sie gut geschrieben?«
Zehnmal mindestens hatten sie sich schon darüber unterhalten, aber er hätte auch zum hundertsten Male wieder darauf zurückkommen können. Wenn er hören konnte, daß seine Arbeit Beifall fand, verspürte er jedesmal eine unbeschreibliche Freude. Kurz darauf konnte er sich noch mehr freuen; denn als er auf die Gesandtschaft zurückgekehrt war und Frau Katharina begrüßte, begann sie zufällig auch davon zu reden.
»Ich habe mich geärgert«, sagte die schöne Frau des Gesandten, »weil ich ein so schlechtes Buch gelesen habe. Jetzt werde ich die › Goldwaage‹ hervorholen.«
»Wirklich? Hat es Euch so sehr gefallen? War es so gut geschrieben?«
»Fragt Ihr das nun im Ernst oder verspottet Ihr mich?«
»Ich? Euch verspotten? Wie können Exzellenz so etwas fragen! Ich frage im Ernst, ob Euch dieses Buch gefallen hat.«
»Ich finde es unerhört. Anders kann ich mich nicht ausdrücken. Man wird in Hunderten von Jahren Euch noch für einen der größten Stilisten der italienischen Sprache halten. Noch italienischer kann niemand sein. Der Allmächtige möge Euch segnen, daß Ihr es nicht in lateinischer Sprache geschrieben habt.«
»Und Euch, Exzellenz, möge die besondere Gnade Gottes zuteil werden, daß Ihr mir diesen Wunsch auf den Weg gebt.«
»Was? Sagt doch nicht so etwas! Ihr wollt doch nicht etwa schon fort?«
»Doch, Exzellenz. Es ist Zeit. Meine Angelegenheiten habe ich schlecht und recht erledigt, und jetzt sehne ich mich danach, meine Töchter wiederzusehen. Meine Hand beginnt zu schmerzen, und ich hüte das Bett lieber zu Hause, wenn es schon sein muß … Aber was ist denn? Ihr weint ja?«
»Ach, ich bin gewiß albern«, lächelte Frau Katharina unter Tränen, »aber ich kann nicht leugnen, daß wir Euch von Herzen liebgewonnen haben. Wir hatten uns fast schon mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß Ihr immer hier bleibt. Ich muß gestehen, daß ich Euch lieb habe, als ob … als ob …«
Galileis Herzschlag drohte auszusetzen, seine Kehle war mit einem Male wie zugeschnürt. Etwas begann in seinem Innern zu rumoren, was er bis jetzt nicht einmal sich selbst einzugestehen gewagt hatte. Er sah die schöne, liebliche Frau an und wartete mit angehaltenem Atem auf die Vollendung ihres Satzes.
»… als ob Ihr mein eigener Vater wäret.«
Der greise Gelehrte nickte. Seine Mundwinkel zuckten ein wenig. Dann küßte er ihr zärtlich und ergebungsvoll die Hand.
»Erlaubt mir, daß ich mich von Euch wie von meiner dritten Tochter verabschiede. Denn ich muß gehen. Ich warte noch ab, bis ich mich von Seiner Heiligkeit verabschieden kann, dann geht es zurück in meine Heimat, um zu arbeiten.«
Der Gesandte selbst überbrachte dem Papst die Meldung, daß der Gelehrte wieder abreisen wolle. Sofort nahm sich Urban VIII. für diesen Abschied Zeit. Ciampoli staunte:
»Wißt Ihr denn, daß dies noch keinem gekrönten Haupt zuteil wurde? Sechs solch lange Audienzen hintereinander! Ganz Rom wird davon sprechen. Ich werde sofort veranlassen, daß man Euch meldet.«
Der Papst ließ den Gelehrten diesmal nicht einmal niederknien. Mit ausgebreiteten Armen faßte er ihn um die Schultern.
»Muß es denn wirklich sein? Wollt Ihr Uns tatsächlich verlassen? Ihr wißt ja gar nicht, welche Erholung Ihr Uns raubt. Aber wenn es durchaus sein muß, können Wir Euch aus Egoismus nicht zurückhalten. Aus Dankbarkeit für die unvergeßlich wertvollen Stunden haben Wir Euch dieses Bild zugedacht. Es stellt die Heilige Familie dar, Cigoli hat es gemalt. Unsere Wahl ist deswegen auf das Bild gefallen, da Wir hörten, daß Euch mit diesem leider so frühzeitig verstorbenen Maler, der auch Uns sehr lieb war, eine aufrichtige Freundschaft verband. Aber wartet noch einen Augenblick. Wir haben noch zwei Gedenkmünzen, die Wir als Erinnerung an Eure Reise haben gravieren lassen. Die eine aus Gold, die andere aus Silber. Außerdem, hier, nehmt diese heiligen Bilder! Sie stellen allesamt das Lamm Gottes dar. Wir haben sie alle innigst gesegnet. Gebt sie Euren Kindern oder wem Ihr wollt. Sodann wollen wir Eurem Sohne ein Stipendium gewähren. Saget Ciampoli, er möge Uns erinnern, wenn Wir es vergessen sollten. Und nehmt diesen Brief von Uns entgegen, den Wir an Euren Herrscher gerichtet und in dem Wir Euch gepriesen haben. Vor allem aber erteilen Wir Euch Unseren apostolischen Segen und versichern Euch Unserer herzlichsten Liebe.«
Galilei ließ sich auf die Knie nieder, um den Segen entgegenzunehmen. Als er sich erhob, bedankte er sich innigst für die Geschenke. Dann fragte er zögernd:
»Von dieser bestimmten Bitte darf keine Rede mehr sein?«
»Nein. Nicht im geringsten! Der Kardinal Hohenzollern wurde gestern schon deswegen vorstellig, aber auch ihm haben Wir erklärt, daß diese Lehre verwegen sei. Wir haben dem nichts mehr hinzuzufügen. Wir wünschen Euch eine recht gute Reise und legen. Euch besonders ans Herz, auf Eure für Uns so wertvolle Gesundheit zu achten!«
Galilei sank abermals auf die Knie und küßte die Schuhschnalle. Dann umarmte ihn der Papst und klopfte ihm liebevoll auf die Schulter. Einem Mathematiker war wohl kaum im Vatikan jemals ein solcher Abschied zuteil geworden, und noch dazu dem Freunde Keplers und Fra Paolo Sarpis.
Den letzten Abend verbrachte Galilei mit der Familie des Gesandten in gerührter Abschiedsstimmung. Noch ein letztes Mal traten sie in den Erker hinaus und blickten auf die märchenhaft schöne Stadt hinunter. Der weite Sternenhimmel funkelte überwältigend über ihnen in dieser Juninacht. Frau Katharina schob ihren Arm unter den Arm Galileis und sagte plötzlich:
»Francesco?«
»Ja, meine Liebe?«
»Erlaubt Ihr mir, daß ich Messer Galilei einen Kuß gebe?«
»Ja, gerne. Auch ich will ihm einen Kuß geben.«
Beide umarmten und küßten ihn. Den Gesandten umarmte er herzlich, Frau Katharina hielt er nur die Wange hin. Sorgfältig achtete er darauf, daß er sie nicht mit einer Bewegung berührte, die seine tiefsten Gedanken verraten könnte.
Am nächsten Morgen ganz früh fuhr er von Rom ab. In dem gemieteten Wagen nahmen zwei Reisegefährten Platz: ein Bischof und Michelangelo Buonarotti. Als sie über die Piazza dei Spagni fuhren, stutzte Galilei.
»Was gibt es?« erkundigten sich seine Reisegefährten.
»Da geht ein Bekannter, den ich seit meiner Jugend nicht wiedergesehen habe. Scipione Chiaromonte. Ein Gelehrter, wenn es erlaubt ist, für einen Esel diese Bezeichnung zu benützen. Ein großer Peripatetiker. Erst neulich hat er Kepler stark angegriffen. Einstmals, aber das ist schon sehr, sehr lange her, gerieten wir miteinander im Hause des Marchese del Monte derartig in Streit wegen Aristoteles, daß wir uns beim Abendessen um ein Haar geprügelt hätten. Interessant, daß er sich seit dieser Zeit nicht im geringsten verändert hat und ich ihn sogleich erkannt habe – Wie lange ist das doch schon her? Tatsächlich, sechsundzwanzig Jahre … Welche große Zeitspanne umfaßt doch mein Leben. Die damals geboren wurden, sind schon heute Familienväter. Alt und kränklich …«
Er sah lange vor sich hin, hielt seine Hand unwillkürlich gegen seinen schmerzenden Bruch und sagte eine ganze Weile gar nichts. Auch seine Reisegefährten schwiegen, während die Häuser von Rom immer mehr und mehr hinter ihnen zurückblieben.