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Siebentes Kapitel.

Der frisch rasierte, rosigstrahlende Adrian sah forschend, mit etwas zweifelnder Miene über die mit Rosen gefüllte Schale hinweg, die mitten auf dem Frühstückstische stand.

»Die Gemütsverfassung eines Menschen wie du ist und bleibt mir völlig unverständlich,« verkündete er schließlich in überlegenem Ton, wobei er das Löffelchen in sein erstes Ei tauchte.

»Es ist unerhört, es ist geradezu heimtückisch,« dachte Anthony während er seinen Toast knabberte, »wie sie einen verfolgt, von einem Besitz ergreift. Ich sehe sie vor mir, ich höre ihre Stimme, ihr Lachen, gerade als ob sie da wäre. Ich kann sie nicht bannen – ich kann sie nicht loswerden.«

Da Adrian auf seine Mitteilung keine Antwort erhielt, verkündigte er noch einmal: »Die Gemütsverfassung eines Menschen wie du ist und bleibt mir völlig unverständlich!«

»Natürlich,« stimmte Anthony freundlich zu, wobei er dachte: »Es wird wohl daher kommen, daß sie das ist, was man eine ausgesprochene Persönlichkeit nennt – was zwar keine schmeichelhafte Charakterisierung ist. Ich glaube, sie hat magnetische Kraft.«

Adrian wählte sich ein zweites Ei aus und setzte es in seinen Eierbecher.

»Du lebst, du bewegst dich, du bist eine Art Wesen,« sagte er, indem er das Ei köpfte, »und lebst allem Anschein nach sogar befriedigt. Aber lasse es dir von mir gesagt sein: du lebst wie eine Tierart, die am Aussterben ist. Denn alles was Daseinsberechtigung verleiht: Lebenszweck, Lebensziel und Lebensarbeit ist für dich gar nicht vorhanden.«

»Die Arbeit habe ich einem ganz hervorragend tüchtigen Geschäftsmann übertragen,« erwiderte Anthony mit einer Verbeugung. – »Sie ist so köstlich, lebensfrisch,« dachte er dabei, »die weiße Haut, die roten Lippen mit den weißen Zähnen, das üppige schwarze Haar und die leuchtenden, strahlenden Augen – wie sie mich anlachten, ehe sie wegging! Das alles erweckt das Gefühl von unverbrauchter Lebensfülle, von verhaltener Kraft und noch unbekannten Fähigkeiten.«

Mittlerweile löste Adrian mühsam den Rückgrat aus einer gerösteten Sardine.

»Es wäre besser, die Köchin würde diese Kinder der trügerischen Welle entgrätet auf die Tafel schicken, meinst du nicht? Labor et amor. Arbeit und Liebe. In der Arbeit liegt das Recht zum Leben, und Liebe ist der Endzweck des Lebens.«

»Wende dich mit deinem Tadel doch lieber an die Köchin selbst,« riet Anthony. »Darin liegt's,« dachte er weiter, »unbekannte Fähigkeiten! Ihr Wesen läßt so vieles ahnen und verrät doch nichts. Es wäre ein Ding der Unmöglichkeit, sie jemand zu schildern, der sie noch nie gesehen hat.«

»Ein oder zwei Tropfen Worcestersauce verbessert sie wesentlich,« versicherte Adrian mit vollem Mund. »Ist dir noch nie aufgefallen, in wie unvorhergesehener, romantischer Weise die Irrpfade des Lebens manchmal ganz Entgegengesetztes zusammenführen? Hier diese Fische aus dem Meere des Südens und diese Sauce aus einer nordischen Fabrikstadt!«

»Und ihre Gestalt,« dachte Anthony, »diese stolze, schlanke, biegsame Gestalt – ihre Bewegungen – diese Vereinigung von Kraft und Anmut.«

»Auch auf die längste Nacht folgt ein Morgen,« versicherte Adrian und ließ drei Stücke Zucker in seine Teetasse fallen. »Gott sei Dank soll es jetzt wieder Mode sein, Zucker zum Tee zu nehmen. Gott allein weiß, was ich gelitten habe in all der Zeit, wo man dies unschicklich fand. Nun antworte aber einmal: Arbeitest du? Liebst du?«

»Liebe ist so ein unklarer Begriff!« erwiderte Anthony verdrossen, während seine Gedanken ihre bisherige Richtung weiter verfolgten. – »Ja, sie ist jung, kräftig und schön und dabei so zart und so hochgebildet, als es eine Frau nur irgend sein kann.«

»Das Leben,« erklärte Adrian, »ist etwas, das ein Mensch sich ehrlich erwerben, dessen er sich würdig erweisen und das er verdienen sollte.«

»Wie ich mir habe sagen lassen,« entgegnete Anthony, »soll es manche bevorzugte Menschen geben, die dieses köstliche ›Etwas‹ von ihren Ahnen geerbt haben.«

»Pah! Unsre Ahnen können meine These höchstens insofern erschüttern, als sie selbst nichts geahnt haben. Sie haben dann nur den unbedeutenden äußeren Anstoß gegeben, aber all das ungewisse, abenteuerliche, interessante Zubehör müssen wir selbst beisteuern. Erst müssen wir uns unser Leben verdienen und dann dadurch verschwenden, daß wir es in vollen Zügen genießen. Also: wir verdienen unser Leben durch Arbeit, und dann verschwenden wir es, göttergleich, in Liebe. Dafür könnte ich eine Unmenge Dichter zitieren – sogar einen Deutschen, dessen Name mir auf der Zunge liegt.«

»Jawohl, du könntest,« unterbrach ihn Anthony rasch, »aber du wirst es um Gottes willen nicht tun. Es ist ja wunderschön, Riesenkräfte zu haben, aber es ist grausam und gewalttätig, Gebrauch davon zu machen.«

Mittlerweile dachte er: »Komisch, daß ich mir eigentlich gar nicht vorstellen kann, was sie ist! Sie ist Witwe und doch kommt sie mir gar nicht vor wie ein Weib, das verheiratet gewesen ist! Nicht als ob sie den bewußten gänseblümchenhaften Mädcheneindruck auf mich machte – im Gegenteil: sie ist › une femme faite‹, aber trotzdem kann ich mir nicht denken, daß sie die Erfahrungen der Ehe hinter sich hat. Sie hat so etwas blumenhaft Frisches, so etwas Unberührtes, Reines an sich – man fühlt ihre Unerfahrenheit in gewissen Dingen heraus. Und doch belehrt mich ein Blick auf ihre Karte, daß ich mich täusche!«

Adrian streute mit liebevoller Sorgfalt Zucker über einen Teller mit dunkelroten Erdbeeren und begoß sie darauf mit Sahne.

»Das ist der Himmel auf Erden,« flüsterte er andächtig.

Das rosige Antlitz und die blauen Augen leuchteten begeistert auf, als er kostete, doch sofort legten sich tiefe Schatten über sie.

»Betrüger!« rief er entrüstet und drohte mit der Faust nach der Glasschale, aus der er sich bedient hatte; »schön wie Hyperion und falsch wie die Schwüre eines Spielers! – Sauer und wässerig – ein wahres saures Bad! Na, die kannst du alle allein aufessen.« – Er schob die Schale zu Anthony hinüber. »Vermutlich ist es für gute Erdbeeren noch zu früh in der Jahreszeit. – Dafür lobe ich mir die biederen, echten, schottischen Marmeladen!« Bei diesen Worten häufte er Butter und Eingemachtes auf seinen Teller. – »Doch halt! Von was haben wir denn eigentlich gesprochen? Ach ja! Ich sagte, ich könne die Gemütsverfassung eines Mannes wie du durchaus nicht begreifen. Und das ist deshalb merkwürdig, weil für gewöhnlich der Größere den Kleineren begreift. Doch meine Augen ruhen auf dir und ich denke! Ich denke, ob du, der du doch ein lebendes Wesen zu sein scheinst, ob du – denke ich – jemals, jemals ergriffen wirst von dem Gefühl – – – welches Gefühl glaubst du eigentlich, daß ich meine?«

»Keine Ahnung,« sagte Anthony wenig entgegenkommend.

»Von dem Gefühl, daß du eigentlich hier sitzen und dein Haupt über ein Blatt hübsch liniertes Notenpapier beugen und dieses mit Punkten und Strichen und Schlüsseln und sonstigen Krackelfüßen verschönern solltest! Das denke ich bei mir, und dieser Gedanke raubt mir den Atem. Ich kann deine Gemütsverfassung absolut nicht begreifen.«

»Im günstigsten Fall kann ich sie am nächsten Sonntag wiedersehen, und heute ist erst Freitag!« klagte Anthony innerlich.

»Apropos,« sagte er laut zu seinem Freund, »du hast doch behauptet, der Freitag sei ein Unglückstag?«

»Ta – ta,« entgegnete dieser, »das ist durchaus kein Apropos!«

»Aber du hast es behauptet, und ich bestreite diese Behauptung, denn sie widerspricht meiner eigenen Erfahrung gänzlich!«

»Das kommt nur daher, daß du ›Thony‹ getauft worden bist,« erklärte Adrian. »Der Freitag und der noch viel mehr gefürchtete ›Dreizehnte‹ sind Glückstage für jeden, dessen Paten so gescheit waren, ihn Thony zu benamsen. Und warum? Weil der heilige Antonius von Padua an einem Freitag geboren worden und an einem Dreizehnten zur ewigen Seligkeit eingegangen ist – es war der dreizehnte Juni, der Dreizehnte dieses Monats. Aber für uns andre,« hier nahm seine Stimme einen ernsteren Ton an, »für uns andre – na – unberufen! – Nimm zum Beispiel mich an: einen intelligenten jungen Kerl, der sein reichlich Tagewerk auf sich hat und zu dessen Erfüllung seiner regelmäßigen Nahrungszufuhr bedarf! Der Freitag kommt heran, und während vierundzwanzig geschlagener Stunden ist er gezwungen, sich mit Fischen und Gemüsen und ähnlichem Zeug aufrecht zu erhalten, während jede Faser seiner irdischen Hülle nach Fleisch, nach schönem rötlichem Fleisch schreit. – Und nun,« damit schob er seinen Stuhl zurück, »sei tapfer, liebes Herz! Stähle deinen Mut und ertrage dein Mißgeschick wie ein Mann! Einen Schmerz mit Fassung ertragen, heißt, ihn schon halb bezwungen haben. Ich muß dich nämlich für einige Zeit der Wonne meiner Gegenwart berauben.«

Mit tänzelndem Schritt ging er zur Tür. Auf der Schwelle sagte er noch: »Wenn du dich etwa eine halbe Stunde vor dem Gabelfrühstück in mein Geschäftszimmer bemühen willst, werde ich hoffentlich auch die letzten Takte vollends gefeilt haben und dir etwas singen können, was süßer klingt, als je ein Lied geklungen hat. Lebe wohl!«

»Ja, ja,« dachte Anthony, als er allein war, »ja, ja, wenn nicht ein glücklicher Zufall dazwischen kommt, werde ich wohl bis Sonntag warten müssen.«

Und dann ging er in den Park, um Patapuff zu befreien. Das rote Halsband ließ er dem Kater um den Hals, aber den Rest des zerschnittenen Seidenstreifens wickelte er sorgsam zusammen und verwahrte ihn in seinem Taschenbuch.


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