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17

Am nächsten Tag der gleiche Regen, das gleiche dunkle, schwere Wetter. Es schien, als wolle all das Wasser, das unaufhörlich gegen die Scheiben schlug und durch die Dachrinnen floß, niemals ein Ende nehmen. Stunde auf Stunde, der ganze Vormittag verging, und der Himmel wurde nicht klarer. In dem kleinen Hotelgarten, der hinter dem Haus lag, war alles niedergebogen und geknickt, alle Blätter waren zu Boden gedrückt, mit Schmutz und Nässe bedeckt.

Nagel hielt sich den ganzen Tag im Zimmer auf, er las, auf und ab gehend, wie er zu tun pflegte, und sah beständig auf die Uhr. Es war ein endloser Tag! Mit der größten Ungeduld erwartete er den Abend.

Als es acht Uhr war, begab er sich sofort zu Martha. Er selbst ahnte nichts Böses; sie empfing ihn jedoch mit einem leidenden und ganz verweinten Gesicht. Er versuchte, mit ihr zu sprechen, aber sie antwortete kurz und ausweichend und sah ihn nicht an. Mehrere Male bat sie ihn, ihr zu verzeihen und nicht böse zu sein.

Als er sie bei der Hand nahm, begann sie zu zittern und wollte sich zurückziehen; schließlich aber ließ sie sich doch auf einen Stuhl neben ihm nieder. Dort blieb sie sitzen, bis er nach einer Stunde wieder ging. Was war geschehen? Er drang mit Fragen auf sie ein, bat um eine Erklärung, aber sie vermochte nicht recht Rede und Antwort zu stehen:

Nein, sie sei nicht krank. Sie habe nur über alles nachgedacht …

Bereute sie denn ihr Versprechen, konnte sie ihn vielleicht nicht liebhaben?

Ja, das ist es … Aber verzeihen Sie mir und seien Sie mir nicht böse! Sie habe heute nacht darüber nachgedacht, die ganze, ganze Nacht, und habe es immer unmöglicher gefunden. Ja, sie habe auch ihr Herz zu Rate gezogen und fürchte, daß sie ihn nicht so gern haben könne, wie sie sollte.

Na, gut! … Pause … Aber glaubte sie nicht, daß sie ihn später doch noch gern haben könnte? Er hatte sich gefreut, mit ihr ein neues Leben in der Welt beginnen zu dürfen. Oh, er wollte so gut gegen sie sein! Das rührte sie, sie preßte die Hand gegen die Brust, sah aber beständig nieder und sagte nichts.

Ja, sie glaube also nicht, daß er es erreichen könnte, später, wenn sie immer zusammen lebten, ihre Liebe zu gewinnen.

Sie flüsterte Nein. Aus ihren langen Wimpern tropften ein paar Tränen.

Sein Körper zitterte, die blauen Adern auf seinen Schläfen schwollen stark an.

Ja, ja, Liebste, dann ist also nichts dabei zu machen! – Dann solle sie nicht mehr weinen. Das ändere an der Sache nichts. Sie möge ihm verzeihen, daß er mit seinen Bitten auf sie eingedrungen sei. Er habe doch das Beste gewollt …

Sie griff schnell nach seiner Hand und hielt sie fest. Er wunderte sich ein wenig über diese plötzliche Heftigkeit und fragte:

Ob etwas Besonderes an ihm sei, das sie abstieße? Er würde sich danach richten, es wiedergutmachen, wenn es in seiner Macht stünde. Liebte sie vielleicht nicht, daß er …

Sie unterbrach ihn rasch:

Nein, nichts, nichts! Aber alles ist so undenkbar, und ich weiß nicht einmal, wer Sie sind, zum Beispiel. Ja, ich weiß, Sie wollen mir wohl, allerdings; verstehen Sie mich nicht falsch …

Wer ich bin, zum Beispiel, wiederholte er und sah sie an. Plötzlich fährt ihm eine Ahnung durch den Kopf, er begreift, daß jemand ihr Vertrauen zu ihm untergraben, daß etwas Feindliches sich zwischen sie und ihn gedrängt hat; er fragt:

Ist heute jemand bei Ihnen gewesen?

Sie antwortet nicht.

Entschuldigen Sie, es ist ja auch gleich, ich habe kein Recht mehr, Sie zu fragen.

Oh, ich war heute nacht so glücklich! sagte sie. Mein Gott, wie wartete ich darauf, daß es Morgen werden sollte, und wie habe ich auch auf Sie gewartet! Aber heute sind mir nur lauter Zweifel gekommen.

Wollen Sie mir wenigstens eines sagen: Sie glauben also nicht, daß ich ehrlich gegen Sie gewesen bin, Sie mißtrauen mir also trotzdem und trotzdem?

Nein, nicht immer. Lieber, seien Sie nicht böse auf mich! Sie sind so fremd hier, ich weiß nichts von Ihnen, außer dem, was Sie mir sagen; vielleicht meinen Sie es jetzt ehrlich, bereuen aber später alles. Ich weiß nicht, welche Gedanken Ihnen später kommen werden.

Pause.

Da faßt er sie unters Kinn, hebt ihren Kopf ein wenig und sagt:

Und was sagte Fräulein Kielland noch?

Sie wurde verwirrt, warf ihm einen scheuen Blick zu, der ihre Bestürzung verriet, und rief aus:

Das sagte ich doch nicht, nein, tat ich das denn? Das sagte ich nicht!

Nein, nein, Sie sagten es nicht. Er fiel in Gedanken; seine Augen starrten auf einen Punkt, ohne etwas zu sehen. Nein, Sie sagten nicht, daß sie es war, Sie erwähnten ihren Namen nicht, beruhigen Sie sich nur … Aber Fräulein Kielland ist also doch tatsächlich hier gewesen, sie ist durch diese Tür hereingekommen und den gleichen Weg wieder hinausgegangen, nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt hatte. Diese Angelegenheit war ihr so wichtig, daß sie heute, trotz dieses Wetters, ausging. Wie merkwürdig ist das! … Liebe, gute Martha, gute Seele, ich knie vor Ihnen nieder, weil Sie so gut sind! Glauben Sie mir aber dennoch, glauben Sie mir nur heute abend, dann will ich Ihnen später beweisen, wie wenig ich im Sinn habe, Sie zu betrügen. Nehmen Sie Ihr Versprechen jetzt nicht zurück. Denken Sie noch einmal darüber nach, wollen Sie das? Denken Sie bis morgen darüber nach, und lassen Sie mich dann wieder zu Ihnen kommen …

Nein, ich weiß nicht, unterbrach sie ihn.

Sie wissen nicht? Sie möchten mich also heute abend am liebsten ein für allemal loswerden? Ja, ja.

Ich möchte lieber einmal zu Ihnen kommen, wenn Sie … ja, wenn Sie verheiratet sind und alles fertig haben … das Haus … ich meine, wenn … ich möchte lieber Magd bei Ihnen sein. Ja, das möchte ich lieber.

Ihr Mißtrauen gegen ihn hatte bereits tiefe Wurzeln geschlagen, er konnte es nicht mehr überwinden, vermochte nicht mehr, ihr Vertrauen wiederzugewinnen. Und mit Kummer fühlte er, wie sie, je mehr er sprach, ihm immer weiter und weiter entglitt. Aber warum weinte sie denn? Was quälte sie? Und warum ließ sie auch seine Hand nicht los? Er kam noch einmal auf Minute zurück. Das war eine Probe; er wollte sie so weit bringen, daß sie ihm morgen eine Begegnung erlaubte, wenn sie das Ganze noch einmal überlegt hatte. Er sagte:

Verzeihen Sie, wenn ich noch einmal, zum letztenmal, Minute vor Ihnen erwähne. Nein, bleiben Sie ruhig, ich habe meine Gründe, wenn ich so spreche. Ich will nichts Schlechtes über diesen Menschen sagen, im Gegenteil, Sie werden sich erinnern, daß ich sogar Ihnen gegenüber so gut wie nur irgend möglich von ihm gesprochen habe. Ich nahm an, daß er mir bei Ihnen im Wege stehen könnte, deshalb erwähnte ich seiner, ich behauptete unter anderem, daß er ebensogut wie jeder andere eine Familie versorgen könne, und glaube heute noch, daß er das kann, wenn ihm im Anfang ein wenig dabei geholfen wird. Aber Sie wollten gar nicht darauf hören, Sie hätten nichts mit Minute zu tun, Sie baten mich sogar, nicht mehr von ihm zu sprechen. Gut! Aber mein Verdacht ist noch nicht ganz beseitigt, Sie haben mich noch nicht vollständig überzeugt, und ich frage Sie wiederum, ob zwischen Ihnen und Minute etwas besteht. In diesem Fall ziehe ich mich sofort zurück. Ja, Sie schütteln den Kopf; aber dann verstehe ich nicht, warum Sie sich weigern, die Sache bis morgen zu überlegen und mir dann Bescheid zu geben. Das wäre nur gerecht. Und Sie, die Sie sonst so gut sind!

Da gab sie nach, ja sie stand sogar auf, ihre Erregung ging mit ihr durch, und lächelnd und weinend strich sie ihm über das Haar, wie schon früher einmal. Gut, sie wolle ihn morgen wieder treffen, ja, das wolle sie gerne; er möchte nur ein wenig früher kommen, um vier Uhr, fünf Uhr, solange es hell sei, dann könne niemand etwas sagen. Aber jetzt müsse er gehen, es sei am besten, er ginge sofort. Ach ja, dann sähen sie sich also morgen wieder, sie würde gewiß daheim sein und auf ihn warten …

Dieses merkwürdige Kind von einem alten Mädchen! Wegen eines Wortes, einer halben Bemerkung flammte ihr Herz auf und riß sie zu Zärtlichkeiten, zu Lächeln hin. Sie hielt ihn bei der Hand, bis er ging, begleitete ihn an die Türe und hielt ihn immer noch an der Hand. An der Treppe sagte sie sehr laut Gute Nacht, als könne jemand in der Nähe sein, dem sie trotzen wollte.

Der Regen hatte aufgehört, hatte endlich beinahe aufgehört; hie und da sah man schon zwischen den trüben Wolken ein Stück blauen Himmels, und nur manchmal noch fiel ein Regentropfen auf die nasse Erde.

Nagel atmete freier. Ja, er würde ihr Zutrauen wiedergewinnen; weshalb sollte es ihm nicht gelingen?

Er ging nicht heim, sondern schlenderte an den Speichern vorbei, am Meer entlang, vorbei an den letzten Häusern der Stadt und kam auf den Weg zum Pfarrhof. Kein Mensch war zu sehen.

Als er noch einige Schritte gegangen war, erhebt sich plötzlich jemand vom Wegrande und geht vor ihm her. Es ist Dagny; der helle Zopf hängt über den Regenmantel herab.

Es durchschüttelte ihn vom Kopf bis zum Fuß, und einen Augenblick stand er still; er war höchst erstaunt. War denn auch sie heute nicht auf dem Basar? Oder ging sie nur ein wenig spazieren, bevor die lebenden Bilder begannen? Unendlich langsam bewegte sie sich vorwärts, blieb sogar ein paarmal stehen und sah nach den Vögeln in der Luft, die wieder zwischen den Bäumen zu fliegen begannen. Hatte sie ihn gesehen? Wollte sie ihn auf die Probe stellen? War sie bei seinem Kommen aufgestanden, um zu versuchen, ob er es noch einmal wagte, sich ihr zu nähern?

Sie konnte sich beruhigen, er würde sie jetzt nie mehr belästigen! Und plötzlich erwachte in ihm ein Zorn, ein blinder und dumpfer Zorn gegen dieses Mädchen, das ihn vielleicht noch einmal in Versuchung führen wollte, nur um der Befriedigung willen, ihn hinterher demütigen zu können. Sie war imstande, den Leuten oben im Basar noch einmal zu erzählen, daß er ihr begegnet sei. War sie nicht eben bei Martha gewesen und hatte auch dort sein Glück vereitelt? Konnte sie jetzt nicht einhalten und aufhören, ihm Böses in den Weg zu legen? Sie hatte ihm nach Verdienst heimzahlen wollen, gut, aber sie bezahlte derber, als notwendig war.

Beide gehen gleich langsam, einer hinter dem andern, es war beständig ein Abstand von fünfzig Schritten zwischen ihnen. Dies dauerte mehrere Minuten. Plötzlich verliert sie ihr Taschentuch. Er sieht es fallen, sieht, wie es an ihrem Mantel herunterflattert und auf dem Weg liegenbleibt. Wußte sie, daß sie es verloren hatte?

Und er sagt sich, daß sie ihn auf die Probe stellen wollte, ihre Wut gegen ihn hatte sich noch nicht gelegt, sie wollte ihn veranlassen, dieses Taschentuch aufzuheben und ihr zu bringen, damit sie ihm ins Gesicht sehen und sich über seine Niederlage bei Martha richtig ergötzen konnte. Sein Zorn steigt, er preßt die Lippen zusammen und zieht seine Stirne in leidenschaftliche Falten. Hehe, ja, nicht wahr, er hätte sich vor sie hinstellen, sich ihr preisgeben und von ihr auslachen lassen sollen! Sieh, sieh, dort ließ sie ihr Taschentuch fallen; es liegt auf dem Weg, mitten auf dem Weg, es ist weiß und sehr, sehr fein, ein Spitzentaschentuch sogar, man könnte sich bücken und es aufheben …

Er ging gleichmäßig langsam weiter, und als er zu dem Taschentuch kam, trat er darauf und setzte seinen Weg fort.

In dieser Weise schritten sie beide weiter; er bemerkte, daß sie plötzlich auf die Uhr sah und auf einmal umkehrte. Sie kam gerade auf ihn zu. Hatte sie ihr Taschentuch vermißt? Da kehrte auch er um und ging langsam vor ihr her. Als er wieder zu dem Taschentuch kam, trat er abermals darauf, zum zweitenmal, und dies vor ihren Augen. Und er ging weiter. Er fühlte, daß sie dicht hinter ihm war, und beeilte sich doch nicht. So wanderten sie eines vor dem anderen her, bis sie in die Stadt kamen.

Sie nahm, wie er vermutet hatte, den Weg zum Basar. Er ging nach Hause.

In seinem Zimmer angelangt, öffnete er ein Fenster, lehnte sich auf den Ellbogen hinaus, gebrochen, vernichtet vor Erregung. Sein Zorn war jetzt vorbei, er krümmte sich zusammen und begann, den Kopf auf die Arme gelegt, zu schluchzen, schluchzen, stumm, mit trockenen Augen und bebendem Körper. So war das abgelaufen! Oh, wie er es bereute, wie er es ungeschehen wünschte! Sie hatte ihr Taschentuch fallen lassen, vielleicht absichtlich, vielleicht, um ihn zu demütigen; aber was weiter? Er hätte es aufheben können, es stehlen und sein Leben lang auf der Brust tragen können. Es war schneeweiß gewesen, und er hatte es in den schmutzigen Weg getreten. Sie hätte es ihm vielleicht gar nicht mehr weggenommen, wenn er es erst in den Händen gehabt hätte; vielleicht hätte sie es ihm gelassen, Gott mag das wissen! Hätte sie aber trotzdem die Hand danach ausgestreckt, würde er sich niedergeworfen und darum gebeten haben, mit aufgehobenen Händen gebeten, es als ein Andenken, eine Gnade behalten zu dürfen. Was hätte es geschadet, wenn sie ihn wieder verhöhnt hätte?

Plötzlich fährt er auf, in zwei Sprüngen ist er die Treppe hinunter, stürmt auf die Straße hinaus, durchläuft die ganze Stadt in ein paar Minuten und ist wieder auf dem Weg zum Pfarrhof. Vielleicht konnte er das Taschentuch noch finden! Und richtig, sie hatte es liegengelassen, obwohl er bestimmt wußte, daß sie gesehen hatte, wie er zum zweitenmal darauf getreten war. Welches Glück hatte er trotz allem noch! Gott sei Dank! Klopfenden Herzens steckt er es zu sich, eilt heim und wäscht es, wäscht es unzählige Male in frischem Wasser und breitet es vorsichtig aus. Es war bös zugerichtet, in der einen Ecke sogar von einem Absatz zerrissen; aber was tat das! Oh, wie glücklich war er, weil er es gefunden hatte!

Erst als er sich wieder ans Fenster setzte, entdeckte er, daß er ohne Mütze durch die Stadt gelaufen war. Ja, er war verrückt, er war verrückt! Wenn sie ihn nun gesehen hätte! Sie hatte ihn auf die Probe stellen wollen, und eigentlich war er auch tatsächlich jämmerlich dabei durchgefallen. Nein, das mußte jetzt ein rasches Ende haben! Ruhigen Herzens, erhobenen Hauptes und mit kaltem Blick, ohne sich zu verraten, mußte er ihr in die Augen sehen können. Ja, er wollte es versuchen! Er wollte wegreisen und Martha mitnehmen. Sie war zu gut für ihn, ach, aber er wollte sie sich verdienen; niemals rasten, niemals sich eine Stunde der Ruhe gönnen, bevor er sie sich verdient hatte.

Das Wetter hellte sich immer mehr auf, leise Windstöße führten den Duft von frischem Gras und feuchter Erde durch das Fenster herein und belebten ihn immer mehr. Ja, morgen würde er wieder zu Martha gehen und sie so demütig bitten, nachzugeben …


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