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XIII

Es ging einige Wochen gut, und es hätte weiter gut gehen können, aber da geschah etwas, das Unordnung hineinbrachte. Nun, und dennoch ging es gut. Fräulein d'Espard lag auf der Bärenhaut; immerhin vermied sie es, ihren Kaffee im Bett zu trinken. Da es nichts gab, weshalb sie hätte aufbleiben sollen, legte sie sich früh am Abend ins Bett, und da sie sich zeitig niederlegte, stand sie früh am Morgen auf. Es lag vielleicht etwas Anormales darin; daß sie um sechs und nicht um elf Uhr aufstand; nach einiger Zeit aber war sie ein bißchen stolz darauf, als sei es gewissermaßen ganz tollkühn. Und Marta machte viel von ihr her und weissagte ihr, daß sie mit der Zeit eine großartige Frau für einen Sennen werden würde.

Vorläufig beteiligte sie sich kaum bei anderer Hausarbeit als bei der Wäsche. Sie zog einen von Martas Röcken an, wusch ihr eigenes Unterzeug, ihre Taschentücher, Kragen und Blusen. Die Waschtage waren nicht die langweiligsten für sie, im Gegenteil, hier über dem Waschzuber hatte sie mit Marta manche Unterhaltung, deren sie so sehr bedurfte.

Er ist so brav, wie man ihn sich nur wünschen kann, sagte Marta, ich kenne ihn, seit er geboren wurde. Es ist eine Schande von Helena, daß sie ihm aufgesagt hat.

Merkwürdig: Fräulein d'Espard war gegen Helena eingenommen, sie mochte sie nicht leiden, schien sogar eifersüchtig auf sie werden zu wollen. Soviel sie wußte, gab es sogar noch kein Anzeichen dafür, daß Helena ein Kind bekommen sollte, obwohl sie doch lange genug mit dem Gendarmen verheiratet war, sie war also immer noch junges Mädchen, war hübsch und unverändert – Wie anders ein anderes armes Menschenkind!

Ist sie hübsch – Helena? fragte sie.

Ach ja, antwortete Marta, blond und reizend, Bauerntochter.

Ist sie groß?

Ja, groß auch.

Es drängte Fräulein d'Espard, Daniel aufzusuchen. Er trug in dieser Zeit eine weiße Wolljacke mit blauen Kanten, Marta hatte sie gestrickt. Die Jacke war blendend weiß gebleicht und kleidete Daniel prächtig.

Hör', Daniel, sagte Fräulein d'Espard, es wird wohl Zeit, daß wir uns trauen lassen?

Stimmt! sagte Daniel. Ich habe schon längst daran gedacht, wollte aber nichts sagen. Wann hast du Lust dazu?

Das mußt du sagen.

Ja, nächste Woche ist Ostern, mit dem Aufgebot vergehen drei Sonntage. Aber zwischen Ostern und Pfingsten sind sieben Wochen, dann haben wir gut Zeit. Laß nur deine Papiere kommen, daß alles in Ordnung ist.

Du siehst so gut aus mit der hübschen Wolljacke, sagt das Fräulein.

Findest du? Sie ist aus meiner eigenen Wolle. Wir haben feine Wolle auf Torahus!

Und so weich, sagt das Fräulein und befühlt sie.

Du sollst auch eine solche Jacke haben!

Oh, du hättest sie wohl lieber Helena geschenkt?

Helena? fragt Daniel überrascht.

Hieß so nicht das Mädchen, das du haben wolltest? Ich weiß es nicht genau.

Helena – ich denke gar nicht mehr an sie. Auch nicht so viel.

Wie Fräulein d'Espard jedoch dastand, war sie nicht die Spur mehr hübsch, sondern sie war zahnlos, mit entstelltem Gesicht und geschwollenem Leib. Sie mochte sich unsicher fühlen und begann zu fragen und zu forschen: Wie ist sie? Kann ich sie nicht einmal zu sehen bekommen? Hast du sie oft geküßt?

Nie! sagte er. Wie – weshalb fragst du? Ich machte mich ja nicht lecker vor ihr und bettelte, daß sie heraufziehen sollte, ich sagte es nur so gelegentlich. Ich stamme von ebenso guten Leuten wie sie, ich bin Bauernsohn und hab' meinen Beruf gründlich gelernt, hab' selbst Hof und Haus, habe Fässer und Truhen, wie du gesehen hast. Und wenn die Zeit einmal kommt, so hab' ich meine Pläne, die Helena nicht kennt, nein, ich danke für sie; und ich denke auch nie an sie –

Er beruhigte das Fräulein mit einem langen Gespräch und fand auch hübsche und ehrliche Worte, daß sie – Julie – es sei, die Gott ihm bestimmt und mit der er ihn glücklich gemacht habe. Natürlich war es eine Frage der Eitelkeit, daß er sich jetzt keine andere als sie wünschen konnte und daß sie in seinen und in den Augen des ganzen Kirchspiels die Bauerntochter vielfach aufwog. Sie war fein und vornehm und konnte alle Dinge der Welt mit ihrem Köpfchen und mit ihren Händen.

Wahrlich, Fräulein d'Espard hatte keinen Grund zur Eifersucht, gar keinen. Daniel fing an, sich auf das Verheiratetsein zu freuen und gedieh dabei; hing er sich ein bißchen zu sehr an seine Dame, so mochte seine Verliebtheit ihn entschuldigen; sonst war er recht erträglich im täglichen Umgang.

Der Kaufmann zeigte mir weiße Gardinen für deine Fenster, aber ich hab' sie nicht mitgebracht, sagte er.

Geh und kauf sie, du bekommst das Geld von mir, antwortete das Fräulein. Bring' auch dichte mit, solche, durch die man nicht hindurchsehen kann.

Ach so, für die Zeit, wenn du liegen mußt?

Ja, das Fräulein machte kein Hehl daraus, sie sollten für die Zeit sein, wenn sie liegen mußte. Und bring auch einen Spiegel mit, einen größeren Spiegel für die Wand. Ich hab' nur einen Handspiegel.

Ja, sag nur, wenn du dir etwas wünschst, antwortete Daniel. Du brauchst es nur zu sagen, sagte er ...

Ostern kamen wieder verschiedene Leute ins Sanatorium, und einige der Gäste schlenderten hin und wieder nach der Sennhütte hinüber. Sie mochten von dieser jungen Dame, dieser Städterin, gehört haben, die sich hier niedergelassen hatte, sie wollten sie wohl sehen, aber es war vergeblich, sie zeigte sich nicht. Sie konnte jetzt ihre eigenen neuen Gardinen zurückschlagen und die neugierigen Feiertagsleute, Müßiggänger und Skiläufer beobachten; es war keiner vom ersten Schub dabei, kein Bekannter.

Aber eines Tages kam Fräulein Ellingsen, sie trat direkt in die neue Stube und grüßte; das Fräulein Ellingsen von früher, gut gekleidet, groß, ladylike und hübsch. Es war eine Überraschung. Es war Fräulein d'Espard nicht unlieb, sie zu sehen, sie kam sozusagen von ihrem eigenen Land und Volk, aus dem alten Milieu, das ihr jetzt neu und fern geworden war.

Ist Bertelsen mitgekommen? platzte sie heraus. Oh, sie war so ungebildet und geradezu geworden und bereute gleich ihre Frage.

Fräulein Ellingsen machte keine Umschweife. Nein, antwortete sie still und ohne zu seufzen, er hat sich ja mit Frau Ruben verlobt.

Nicht möglich!

Haben Sie die Anzeige nicht in der Zeitung gelesen?

Nein, ich lese hier keine Zeitungen!

Schweigen.

Ja, das ist das Ende! sagte Fräulein Ellingsen.

So was hab' ich aber noch nicht gehört! Ihr Mann ist ja eben erst tot?

Ja. Und Gott weiß, wie es eigentlich mit dem Todesfall zusammenhing.

Wie meinen Sie das?

Ich meine nichts, sagte Fräulein Ellingsen, aber sie sah aus, als dächte sie an Chloroform und Verbrechen. Ich werde der Dame vielleicht eines Tages zeigen –!

Fräulein d'Espard: Ja, aber Bertelsen ist doch noch schlimmer.

Nein, Bertelsen – nein, die Dame war mannstoll. Fräulein Ellingsen nickt mehrmals und sagt: Aber ich werde schon noch einmal –!

Bertelsen hat Sie doch angeführt?

Ja, antwortete Fräulein Ellingsen traurig. Aber ihre Bewegung war für einen Kummer nicht besonders groß.

Wissen Sie was, rief Fräulein d'Espard aus, Sie waren zu gut für ihn!

Dies erörterten sie nun eine Weile, und es war viel darüber zu sagen. Fräulein Ellingsen stimmte ihr übrigens nicht bei, nein, sie war nicht zu gut, keineswegs. Und endlich bekannte sie auf eine direkte Frage, daß der Holzhändler ihr nie einen Antrag gemacht hatte.

Das veränderte ja die Sache. Habe er sie nur als Dame bei der Hand gehabt, um nicht damenlos zu sein?

Nein, sagte Fräulein Ellingsen wieder wahrheitsgemäß, er hätte wirklich jede Dame haben können, die er wollte, der Sohn von Bertelsen & Sohn, Millionenhaus. Aber er wollte gern mit mir ausgehen, sagte sie.

Ja, ich hätte ihm was gepfiffen! sagte Fräulein d'Espard und nahm stark Partei.

Fräulein Ellingsen hatte so viel Gleichgewicht, daß sie sich nicht übereilte und nicht auf jemand pfiff, Frau Ruben hingegen prophezeite sie nichts Gutes. Sie soll nur warten! sagte sie drohend, ich bin noch nicht fertig mit ihr!

Was wollen Sie tun?

Nein, nichts, sagte sie und schwatzte weiter. Ich werde schon darüber hinwegkommen, ich habe ja doch noch genug, wofür ich leben kann: meinen Beruf und meine Aufzeichnungen. Wenn ich aus dem Dienst komme, gehe ich heim, und da ist es herrlich! Es ist, als sei mein Zimmer ganz voll von Menschen.

Immer noch dieselben Torheiten in dem hübschen Köpfchen! Fräulein Ellingsen, der ruhige Mensch mit der verwirrten Phantasie, mochte wohl in einer Narkose, einem Rausch befangen sein; so wurde sie die, die sie war, widersprechend in ihrer Natur, geschlechtlich indifferent, langweilig und unfruchtbar.

Wenn Sie keine Zeitungen lesen, so wissen Sie wohl auch nicht, daß ich eine Sammlung herausgebe? fragte sie.

Eine Sammlung? Nein.

Meine Aufzeichnungen. Es hat jetzt in den Blättern gestanden. Skizzen, oder wie Sie es nennen wollen, Geschichten. Sie sind auf wirklichen Geschehnissen aufgebaut.

Wirklich!

Alle, die sie gelesen haben, sagen, daß sie interessant sind.

Ich müßte sie nur zu Ende bringen, sagen sie. Ich verstehe nicht, daß Sie das fertigbringen konnten.

Nein, das sagen alle. Aber es kommt ja in erster Reihe darauf an, daß man berufen ist. Daß man die Begabung hat. Dann kommt die Übung.

Ja, weiß Gott, Übung gehört dazu! ruft Fräulein d'Espard aus. Das sehe ich, wenn ich nur Französisch lese. Es geht doch nicht, daß ich die Sprache vergesse, nicht wahr?

Ich schreibe seit zehn Jahren, sagt Fräulein Ellingsen. Ich gebe meine erste Sammlung heraus, wenn ich Jubiläum habe.

Und vielleicht war sie hauptsächlich gekommen, um diese Neuigkeit zu erzählen; sie sprach so lange darüber, wie Fräulein d'Espard sie anhören wollte. Daß es in der Zeitung gestanden, beschäftigte sie offenbar mehr als alles, was sie bis jetzt erlebt hatte, mehr als der Verlust Bertelsens. Erst kurz bevor sie ging, fiel ihr ein, daß sie Fräulein d'Espard ins Sanatorium einladen sollte.

Ins Sanatorium – ich?

Es seien einige vornehme Gäste gekommen, die vielleicht gern Französisch sprechen wollten, ein Generalkonsul mit Frau und zwei erwachsenen Töchtern.

Ich kann nicht kommen, antwortete Fräulein d'Espard hilflos.

Warum nicht? fragte Fräulein Ellingsen verständnislos. Der Direktor bittet Sie zu kommen, Rechtsanwalt Rupprecht.

Fräulein d'Espard dachte nach und fragte, ob viele Gäste da seien?

Ja, eine Menge, so viel, wie noch nie. Merkwürdig übrigens, es seien so viele ungeheuer dicke Menschen da, wo man gehe und stehe, könne man vor Bäuchen und wieder Bäuchen fast nicht durchkommen. Die Skiläufer seien natürlich dünn und blau, aber die andern – es sei widerlich anzusehen. Fräulein d'Espards früherer Chef vom Geschäft aus der Stadt sei auch da.

Andresen? fragte Fräulein d'Espard.

Ja, und viele andere fette Leute, Damen und Herren.

Das Interview mit Frau Ruben hätte wohl das Sanatorium gefüllt. Die unglücklichen Menschen wollten einen Aufenthalt auf Torahus versuchen, um ihr Fett loszuwerden; das merkwürdige Wasser hier, hieß es, eine gewisse Kur und besondere ärztliche Behandlung veränderten die Leute in kurzer Zeit!

So, Andresen! sagte Fräulein d'Espard. Sie überlegte nicht länger, es fiel ihr auch nicht ein, noch zu überlegen, sie sagte: Wollen Sie dem Rechtsanwalt sagen, daß ich verhindert bin.

Als Fräulein Ellingsen sich verabschiedete, tat sie es ohne Lächeln, ohne Gefühl, und sagte: Ich werde Ihnen einige von den Zeitungen schicken, in denen es gestanden hat.

Fräulein d'Espard: Sagen Sie nicht, daß ich verhindert bin, sondern daß ich zu tun habe. Also nicht, daß ich verhindert bin.

Die beiden Damen trennten sich, jede mit ihren Gedanken beschäftigt.

Nein, natürlich konnte Fräulein d'Espard sich jetzt nicht mehr im Sanatorium zeigen, wo obendrein ihr alter Chef wohnte, daran war nicht zu denken; ihr entging diese gute Gelegenheit, mit Leuten von Welt zusammenzusein und Französisch zu sprechen. Es war nicht lustig, aber sie konnte eigentlich Daniel nicht dafür verantwortlich machen, es war Schicksal, und als sie Daniel aufsuchte, ließ sie auch nicht ihre schlechte Laune an ihm aus. Sie erzählte ihm nur, was geschehen war, und daß sie die Einladung hatte ablehnen müssen.

Du solltest gehen! sagte er.

Das ist wohl nicht dein Ernst? So, wie du mich zugerichtet hast.

Was tut das! sagte Daniel leichtsinnig.

Es hatte keinen Zweck, mit ihm zu diskutieren. Er hatte seine Anschauung von der Sache, die verschieden von der ihren war. Übrigens war er beschäftigt und dachte an seine Arbeit. Er saß in der Küche und schnitt lederne Hosenträger zu, und das, obwohl Ostern war. Auch jetzt unterbrach er seine Arbeit nicht, sondern maß und merkte ab und war ganz bei der Sache. Er sagte stolz: Leder von meinem eigenen Vieh!

Was wird das?

Hosenträger.

Das! rief sie wie aus den Wolken gefallen.

Sie mußte wohl an ein gewisses anderes Paar Hosenträger denken, aus Seide und Gummi, delikat, Herrn Flemings Hosenträger. Aber Daniel dachte wohl anders: Jedermann weiß, daß Hosenträger ganz aus Leder sein müssen, wenn sie halten sollen. Wie er so dasaß, diese Hosenträger zuschnitt und genau maß, begann sie zu kichern, und Daniel sah sie fragend an. Es sei gutes, dickes Leder, Rindleder, gut gegerbt, es sei kein schlechtes Leder, also nichts zum Lachen. Seine Hände waren nicht sauber, aber sie waren stark und fest, sie konnten zupacken. Mit denselben Händen konnte er aber auch verschiedene nette Sachen mit Messer und Hohleisen machen. Er zeigte ihr einen Holzschemel, den er verfertigt hatte, mit einer kleinen Schnitzerei am Ende der Lehne; er zeigte ihr den Mehlzuber, der an der Wand hing; den hatte er oben mit einem gut gelungenen, sich bäumenden Pferd ausstaffiert. Er war ein Talent aus der Vergangenheit, als ein Tischler noch Schnitzer und Künstler und angesehener als ein Beamter war.

Daniel ist sehr beschäftigt, er setzt sich wieder zu seinen Hosenträgern und glättet das Leder jedesmal erst, bevor er das Messer gebraucht. Inzwischen redet er und erklärt, daß der ganze Riemen von guter und fester Beschaffenheit sein muß, namentlich an den Knopflöchern. Daniel war derselbe, heute wie gestern, fleißig und genügsam, zufrieden mit sich, stolz auf sich. Er arbeitete auf seine Weise sogar im Müßiggang des Sonntags, er spintisierte, bedachte sich, hob umgefallene Dinge wieder auf, schlug einen Nagel ein, wo es nötig war, oder schnitt sich Weidenruten für einen Pferch. Er verschleuderte seine Sachen nicht und ließ sie nicht verkommen, im Gegenteil, er war sparsam und genau, das war ihm angeboren und er hatte sich dazu erzogen. Er war kein großer Kenner von Kristall und Porzellan, und wenn einmal – selten genug – ein Teller in der Küche zerbrochen wurde, schüttelte er lange den Kopf über die angerichtete Zerstörung.

Fräulein d'Espard vegetierte, sie nähte auch hin und wieder ein bißchen, wenn es sich so traf, versteckte aber ihre Arbeit sofort, wenn jemand kam. Das geschah wohl, weil sie so ungeschickt mit Nadel und Faden war. Sonst begab sie sich aus der neuen Stube in die Küche und wieder zurück, lag ein wenig rücklings im Bett, saß neben Daniel, wenn er an irgend etwas bastelte. Zuweilen las sie ihm aus ihren französischen Romanen vor, und das machte ihm viel Vergnügen: er saß mit einem einzigen verwunderten Lächeln da und sah sie an. Es ging wie geschmiert, denn da er kein Wort verstand, kam es nicht so genau darauf an, ob sie richtig las, wenn es nur schnell ging. Er durfte nicht den Eindruck bekommen, daß sie buchstabiere. – Aber hier steht etwas, konnte sie sagen, das müßtest du verstehen, Daniel, hier sagt er, daß er sie liebt! – Na, so was brauchen sie da auch! fragt er. – Ach Gott, ja, niemand läßt sich träumen, wie fein diese Franzosen so etwas sagen! ...

Aber jetzt kam der Frühling, die Tage wurden lang, die Mittagssonne war weiß und scharf und brannte in den Augen; Marta legte gewebten Wollstoff zum Bleichen hinaus. Es gehörte zum Orte, zur Jahreszeit und zu einem wohlgeordneten Leben, in der zeitigen Frühlingssonne Wolle zu bleichen und das Zeug ganz fertig zu machen. Die Zeit ging immer weiter, und die Sonne begann zu wärmen, das Eis auf den Seen wurde blau und brüchig am Rande, der Schnee taute auf den Wegen, und die Hühner wateten in den Pfützen und bekamen Rheumatismus.

Es hätte eine Zeit für erwachende Hoffnung und lichte Gedanken sein können, aber Fräulein d'Espard bekam der Frühling in den Bergen wohl nicht gut, sie wurde unruhig, schlief schlecht, aß weniger als zuvor und verlor ihre Zuversicht. Was hatte das Fräulein, war es nicht warm und friedlich und geradezu lieblich hier? Nein. Und sie klagte ihr Leid Daniel, der nichts verstand.

Sollte ich nicht hinuntergehen und das Aufgebot besorgen? fragte er.

Ja, antwortete sie, wenn es je geschehen soll, so –

Ich tue es jetzt, wir haben ja die Papiere. Ich will mich nur ein bißchen waschen!

Als er sich feingemacht hatte, sagte sie: Nein, laß es, warte noch ein wenig!

Was ist los? –

Warte noch ein wenig, übereil' dich nicht.

So was hab' ich noch nie gehört!

Kannst du nicht ein wenig warten damit! rief sie gereizt.

Daniel nahm es von der scherzhaften Seite und sagte: Dann hätte der Teufel sich waschen sollen! Mitten in der Woche das alles!

Aber durch das Warten wurde es nicht besser, ein Druck ruhte auf dem Fräulein und machte sie düster und ungeduldig. Sie fing an, allein sein zu wollen, verließ die neue Stube, schlich sich in den Wald, setzte sich auf einen Stein und überließ sich ihren Gedanken. Hatte das einen Sinn? Ihr graute abends um die Schlafenszeit, die letzten Nächte waren voll von Träumen und Schrecken gewesen: Doktor Öyen kam Nacht auf Nacht und wollte die Tischdecke wiederhaben. Sie erwachte in einer Angst, die ihr Herz hämmern ließ. Früher war Fräulein d'Espard mutig und entschlossen gewesen, wenn sie in eine Enge geraten war, jetzt war sie schwach und kläglich geworden, sie wagte nicht, die Lampe anzuzünden, wagte nicht, die Hände von der Pelzdecke zu heben; ein Toter, ein Leichnam war ja auch nicht dasselbe wie ein Insekt.

Sie stöhnte und klagte wieder vor Daniel.

Was ist los? fragte er. Haben wir nicht Wasser im Bach?

Wasser? fragte sie.

Und Brennholz gerade neben der Haustür. Gute Luft, Wärme in der Stube, Fleisch und Eier. Gerade jetzt kannst du's gackern hören.

Ach, du bist nicht zum Aushalten – Unsinn, Unsinn –

Was fehlt dir denn?

Ich weiß nicht.

Ich auch nicht.

Ich träume so gräßlich jede Nacht.

Laß mich bei dir liegen, sagte Daniel. Dann wirst du wieder wie ein Stein schlafen.

Das Fräulein fauchte: Du denkst nur an dich!

Daniel schlug wieder vor, das Aufgebot zu bestellen und die Trauung anzukündigen, und das Fräulein dachte auch daran und nickte, daß es jetzt geschehen müsse. Aber hatte sie die Kraft dazu? Sie war schwach und elend geworden, sah sich kaum imstande, den weiten Weg zur Kirche und wieder zurück zu gehen. Daniel erbot sich, einen Wagen von Helmer zu leihen, die Stute vorzuspannen, die sollte sie schon ziehen – oh, Gott behüte, und wenn du zehn Zentner schwer wärst!

Aber das Fräulein war mutlos und bat ihn, noch ein wenig zu warten, ihr müsse doch wohl bald besser werden ...

Daniel steckte die Papiere ein und wanderte ins Kirchspiel hinunter, er traf Kameraden und Bekannte, trank ein Gläschen und ging dann auf eigene Faust geradeswegs zum Pastor. Es schadete jedenfalls nichts, daß er in der Kirche aufgeboten wurde, er hatte lange genug auf diesen Augenblick gewartet, da er das Kirchspiel in Erstaunen setzen wollte. Natürlich hatte er schon längere Zeit bei den Leuten durchblicken lassen, daß er verlobt war, aber etwas Sicheres und Festes hatte er nicht ausgesprochen. Jetzt sollte der Pastor selbst es tun! Das konnte nicht heißen, gegen den Wunsch des Fräuleins, Julies Wunsch, zu handeln, den Zeitpunkt für die Trauung mochte sie selbst später bestimmen, wenn sie wieder munter und froh geworden war.

Er brachte die Sache mit dem Pastor ins reine. Er brachte auch alles wegen des Wagens mit Helmer ins reine, und es endete damit, daß Helmer, der den ganzen Tag mit ihm zusammen gewesen war, ihn auch nach der Sennhütte begleitete. Sie waren beide ganz froh, außerdem hatten sie eine Flasche mit, und Daniel war eitel und wollte das Fräulein, Julie, zeigen. Wo war sie?

Marta meinte, sie sei nicht weit fort.

Sie warteten eine Weile in der Küche, aber Daniel schlug vor, daß sie, wenn das Fräulein heimkomme, in die neue Stube gehen sollten. Sie sitze wohl nur auf einem Stein im Walde, wie sie zu tun pflege.

Helmer murmelte schließlich, daß er wieder gehen müsse. Könnte Daniel ihm die neue Stube nicht gleich zeigen? Er hätte sie nicht gesehen, seit sie gebaut wurde.

Sie stärkten sich mit einem neuen Schnaps und gingen in die neue Stube.

Es war ja wirklich gemütlich drinnen, mit Gardinen und Spiegel, französischen Büchern und einer Tischdecke in vielen Farben; Helmer sagte, es sei großartig.

Ja, ich hab' ja versucht, es so nett wie möglich zu machen, sagte Daniel. Und in seinem Hochgefühl und seinem kleinen Rausch begann er sich zu zeigen und gebildet zu sprechen und gebrauchte das Wort »vortrefflich« in bezug auf mehr als ein Ding. Und Helmer imponierte das.

Daniel sagte: Sieh die Tischdecke! So was macht sie selber, das ist eine Kleinigkeit für sie.

Helmer betrachtete sie genau und rührte sie nicht an.

Faß sie nur an, sagte Daniel, du brauchst keine Angst zu haben! Was mich betrifft, so faß ich alles an, was es hier drinnen gibt, das fehlte auch nur! Er brüstete sich, legte herrisch die Romane um und stieß verächtlich gegen einen Stuhl. Das darf ich gern, sagte er, sie beißt nicht.

Du hast schon Glück gehabt, Daniel! sagte Helmer.

Daniel nickte und war mit ihm einig. Sie heißt Julie, sagte er und sah seinen Freund stolz an. Ich weiß nicht mehr, wie es auf französisch heißt.

Ein extrafeiner Koffer, prahlt Helmer, Messingbänder kreuz und quer!

Aber Daniel prahlt noch mehr: Ja, und ich will gar nicht davon reden, was drinnen ist, du kannst mir glauben, er ist bis oben voll von feinen Dingen, Kleidern und aparten Sachen aus der Stadt. Wäre sie nur gekommen, so würde ich sie schon dazu gebracht haben, daß sie dir alles gezeigt hätte.

Ist sie nett zu dir? fragte Helmer.

Nett? Wie ein Kind, ich mache mit ihr, was ich will. Ein guter Mensch, verschenkt alles, was du begehrst. Geh und kauf dir ein Pferd, geh und kauf dies und das, du kriegst das Geld von mir! sagt sie.

Hat sie Geld? fragte Helmer gespannt.

Geld? Es ist nicht so merkwürdig, daß du fragst, wo du sie nicht kennst, aber ich habe gesehen, wie sie ein Geldpaket aus der Bluse nahm, das hast du nicht. Hättest du das Paket gesehen, so würdest du nicht gefragt haben. Es war das dickste Geldpaket, das ich mein Lebtag gesehen hab'.

Es ist schon, wie ich sage, du hast Glück gehabt! wiederholte Helmer voll Verwunderung über das Märchen, das er hörte. Ich hätte mich gefreut, sie aus der Nähe zu sehen.

Daniel: Ja, du meinst vielleicht, sie sei ein häßliches altes Frauenzimmer, das keiner haben wollte? Hoho, nun will ich dir mal was sagen, Helmer: Ostern wurde vom Sanatorium nach ihr geschickt. Ja. Es war voll von Reisenden und feinen Herren, die nach ihr schickten, um mit ihr reden zu können. Ja. Aber sie kümmerte sich auch nicht so viel darum. Komm, jetzt wollen wir hinausgehen und sie rufen!

Sie gingen hinaus und Daniel rief, und kurz darauf kam sie aus dem Walde.

Du bliebst so lange weg, ich fing schon an, mich um dich zu ängstigen, sagte Daniel.

Seltsam, seltsam die Jugend! Sie erinnerte sich, Helmer unter den vielen andern gesehen zu haben, die im Winter den Schnee von der Eisbahn fegten. Jetzt beantwortete sie seinen Gruß und begann sogar gleich ein freundliches Gesicht zu zeigen. Daniel konnte zufrieden sein.

Mir scheint, du hast Gäste mitgebracht, sagte sie.

Helmer. Er hat mich die ganze Zeit begleitet, wir waren beim Pastor und haben das Aufgebot bestellt. Helmer hat mir den Wagen versprochen; nun wollte er dich gerne sehen.

Mich – mich sehen? Gott, was für Einfälle ihr tollen Jungen habt!

Sei nur still, ich konnte nicht anders, er wollte nicht gehen, bevor er dich gesehen hatte.

Ob es ihr nun schmeichelte oder nicht, jedenfalls lächelte sie wirklich nett und ohne die Zahnlücke zu zeigen. Zum Glück war sie auch so gekleidet, daß sie draußen sitzen konnte: in einen weiten Mantel, der vom Munde bis zu den Knöcheln reichte und ihre Unförmlichkeit verbarg.

Wir haben zu dir hineingeguckt, gestand Daniel, Helmer wollte die neue Stube sehen.

Nun ja, antwortete sie, immer gutgelaunt, dann hat er ja nun mich sowohl wie die Stube gesehen.

Helmer, artig und zurückhaltend, sagte nichts.

Hat Marta Helmer Kaffee gegeben? fragte sie und wollte die Hausfrau spielen.

Daniel antwortete: Nein. Aber er hat was Besseres gekriegt – wir hatten etwas in einer Flasche.

Oho, ihr seid auf dem Bummel! Ihr seid ja ein paar schöne Burschen!

Das ist nun kein großer Bummel, antwortete Helmer lachend, wurde aber rot übers ganze Gesicht.

Es dämmerte und ging auf den Abend zu, sie schwatzten eine Weile, das Fräulein bat Helmer nicht hinein – nein, denn dann hätte sie den Mantel abnehmen müssen, und das wollte sie nicht.

Als Helmer ging, sagte Daniel: Komm bald wieder, besuch' uns, wir wohnen hier!

Ja, sagte das Fräulein auch und nickte ihm zu.

Daniel hatte jetzt vielleicht eine schwere Stunde vor sich, weil er ohne Einwilligung seiner Liebsten das Aufgebot bestellt hatte, und als sie ihn bat, mit hineinzukommen, zog er eine Zigarre heraus, die er in Bereitschaft hatte. Aber es lief sehr glimpflich ab, seine Liebste zeigte ihm weiter kein Mißvergnügen, aber sie fragte doch spöttisch, ob er auch gedächte, sich auf eigene Faust trauen zu lassen. Hier begann Daniel seine Zigarre anzufeuchten, gut mit Spucke anzufeuchten. Es schadet nichts, daß wir aufgeboten werden, sagte er: Die Trauung kommt nachher, wann du selbst es bestimmst.

Darin hatte er im Grunde auch recht, sie wurde besänftigt und fragte ihn mit Interesse über alles aus, was der Pastor gesagt, und ob er ihren französischen Namen richtig eingetragen hätte.

Ja, der Pastor habe sich sehr gewundert und gefragt, ob sie eine Dame von Adel sei.

Sie wollte wissen, warum er so an seiner Zigarre herumklebte.

Wisse sie das nicht? Eine Zigarre müsse außen angefeuchtet und eigentlich auch zwischen den Fingern gedreht werden, sonst hielte sie nicht lange. Er habe sich diese Zigarre gekauft und mit nach Hause gebracht, um bei ihr zu sitzen und ihr etwas vorzurauchen.

Na, dann darfst du sie dir auch anstecken! sagte sie.

Daniel rauchte guten Zigarrenrauch in die Stube, und das Fräulein atmete ihn ein und machte es sich bequem. Sie gingen beide in die Küche und aßen Abendbrot, und da das Fräulein sich im Dunkeln fürchtete und von trüben Gedanken geplagt wurde, nahm sie Daniel wieder mit in die neue Stube. Und diese Nacht schlief sie wirklich ruhig, weil Daniel sie behütete.

 

Erst am Montag ging Daniel wieder ins Kirchspiel. Er lief mitunter und hatte Eile, er war sehr gespannt: jetzt war es geschehen, sie waren von der Kanzel aufgeboten. Was sagte nun das Kirchspiel? Oh, das Kirchspiel war sicher sprachlos, und dazu hatte es auch Ursache.

Er ging zum Handelskontor, wo immer viele Leute, Bekannte und Freunde waren, von denen er etwas erfahren konnte. Er tat, als hätte er eine notwendige Besorgung, und trat an den Ladentisch. Als die Leute sahen, wer es war, zogen sie sich zurück und ließen ihn durch, noch nie war er so geachtet worden. Er benahm sich denn auch wie ein erwachsener Mann und mit großer Würde. Dann streckte einer die Hand aus und beglückwünschte ihn, hierauf noch einer und schließlich kamen alle. Daniel genoß den Augenblick und schwoll. Eine Frau sagte: Ich hab' immer gesagt, es würde noch mal was Großes aus dir, Daniel. Du bist von guten Leuten, deine Mutter und ich waren gleichaltrig und wurden zusammen konfirmiert, ach ja, sie ruht jetzt in ihrem Grabe!

Hier waren die Leute nun von verschiedenen Seiten zusammengekommen, sie wünschten ihm alle Glück, es war klar: das Kirchspiel fand, daß er einen Haupttreffer gemacht hatte. Es hatte einen mächtigen Eindruck in der Kirche zurückgelassen, daß der Pastor Fräulein Julie d'Espard gesagt hatte. Daniel merkte auch, daß Helmer am Werk gewesen war und in diesen Tagen nach seinem Besuch in der Sennhütte über die neue Stube wie über das Fräulein geprahlt hatte.

Ohne zwingende Notwendigkeit ging Daniel vom Handelskontor geradeswegs zum Schulzen: er wollte eine kleine Steuer oder sonst was bezahlen; im Innersten hatte er wohl die Absicht, sich vor Helena zu zeigen und über sie zu triumphieren. Ach, die Jugend und das lebendige Herz! Es genügte ja nicht, Besitzer einer Sennhütte zu sein und Tiere, eine Liebste und Essen für den Tag zu haben, auch anderes tauchte in ihm auf und verlangte Nahrung.

Selbst der Junge von der Räucherkammer hatte sein inneres Leben, auf das er achten mußte, oh, ein starkes, verwickeltes Leben, dessen Forderungen er nachgeben mußte. Eitelkeit? Warum nicht. Helena hatte ihn einst verschmäht –

Sie erschien nicht, kam nicht angelaufen, betrachtete ihn nicht mit nassen Augen und bereute, durchaus nicht, sie war nicht zu sehen. Da sollte der Teufel –, aber glückliche Reise!

Er bezahlte seine Abgabe im Bureau und steckte die Quittung des Gendarmen ein, als sei sie nichts, als zünde er sich mit solchen Papieren die Zigarre an. Gemessen nickte er, und gemessen sagte er diesmal Adieu statt Auf Wiedersehen. Und als er zum Amtmannshofe hinausging, guckte er sich nicht einmal um.

Fertig.

Aber jetzt geschieht etwas: er trifft sie im Walde, trifft Helena, sie wandert ihm entgegen, nähert sich ihm und nickt. Beide bleiben stehen, beide erröten. Und jetzt begannen sie wahrhaftig zu diskutieren, mit seltsamen Gründen und in einer seltsamen Sprache, jedes auf seine Weise. Auch sie, die Frau des Gendarmen, hatte wohl ihr inneres Leben, und wenn auch still und ein wenig beschränkt, so war es für sie doch ebenso wichtig und gültig. Sie geht gleich auf die Sache los, reicht ihm die Hand und wünscht ihm Glück. Ja, das war eine große Neuigkeit, meinte sie dann, und hätte der Pastor es nicht gesagt, so würden wir es nicht geglaubt haben, sagte sie dann.

Ich hätte dich vielleicht erst fragen sollen? sagte er bissig. Sie bedeutete ihm ja nicht die Spur mehr; daß er errötete, war nur die Spannung.

Seine Antwort betäubte sie. Ich hab' dich lange nicht gesehen, äußerte sie dann.

Daniel, der Reue und Traurigkeit bei ihr zu spüren meinte, antwortete fest: Ja, es ist lange her, daß du verschwandest.

Oh, sagte sie und lächelte demütig, ich bin nicht gerade verschwunden, ich wohne im Kirchspiel.

Kann sein. Aber ich pflege nicht ins Kirchspiel zu gehen, ohne dort etwas zu tun zu haben. Und mit dir hatte ich nichts mehr zu tun.

Nein, das ist wohl so.

Ja, das ist so und bleibt so! sagte Daniel. Oh, er war ein forscher Kerl, er war nicht süß und verbindlich, er wollte ihr schon antworten, ihr zeigen –

Aber nun wollte auch sie wohl nicht weitergehen, sie fragte plötzlich: Was ist das für ein Fräulein, das du da erwischt hast?

Daniel bleich und heftig: Mußt du das wissen? Ist es nicht genug, wenn ich es weiß?

Ja, aber du weißt es?

Wenn ich mehr über sie wissen will, werde ich zu dir kommen, sagte er und machte Miene, vorbeigehen zu wollen. Du hast solche Schnüffelnase gekriegt, seit du Schulzenfrau geworden bist!

Das ist nun mal so, antwortete sie, daß der Schulze jeden verhören muß. Es ist einmal nicht anders.

Na, fragt er spöttisch, dann hat er sie wohl auch verhört?

Ja, das hat er, antwortete sie.

Daniel betrachtet sie mit offenem Munde, auch sie ist blaß, und ihre Lippen beben ein wenig. Vielleicht schießen ihm ein paar Gedanken durch den Kopf: So – so – der Schulze hatte das Fräulein, Julie, verhört, wann? Er wußte nichts davon, war nicht dabei gewesen – sonst wäre er schon mit dem Amtmann fertig geworden, hätte ihn zu einem unendlich kleinen Amtmann gemacht –

Ich dachte, ich sollte es dir erzählen, sagte Helena.

So, dachtest du. Und weswegen hat er sie denn verhört? Ist sie nicht die, für die sie sich ausgibt? Willst du ihre Papiere sehen? fragt er und knöpft auf: Impfschein, Taufschein, Konfirmationsschein? Ich hab' sie bei mir.

Das ist es nicht! sagt Helena.

Was für ein Wunder, daß er zu fluchen begann, daß er auf sie und den Gendarmen pfiff, und sie solle nur nach Hause gehen und ordentliche Leute in Frieden lassen, das riete er ihr. Sei sie zu guter Letzt Gesindel geworden, gedächte sie ihn zu allem andern jetzt noch zu verfolgen –? Dann hält er inne; nach einem schmerzlichen und leidenden Ausdruck in ihrem Gesicht glaubt er sie besser zu verstehen: sie war eifersüchtig auf das Fräulein, ertrug es nicht, daß er seinen Kummer von sich warf, eine andere liebte und heiraten wollte, er hätte in seiner Sennhütte bleiben und sich über eine Helena, die er nicht bekam, zu Tode grämen sollen! Das wollte er gerade tun, im Gegenteil: er wollte sie ordentlich quälen –

Kümmere dich nur nicht um sie, sagte er mit großem Nachdruck. Sie ist die einzige, die ich je geliebt habe, das will ich dir nur sagen.

So, sagte Helena. Nun ja, meinte sie, ich kümmere mich auch nicht um sie, das darfst du nicht glauben, daß sie aber verhört und ausgefragt ist wegen Geld, das beiseite gekommen war – das heißt nicht, sich um sie kümmern.

Geld? Was für Geld? Hat sie es genommen?

Das sage ich nicht.

In diesem Augenblick ist Helena die Überlegene, Daniel hatte eine kleine Unruhe, einen Stich verspürt: Was nun? Geld beiseite, ein Umschlag mit Geld –? Er sagt: Das ist nur ein Unsinn, den dein Mann zusammengerührt hat!

Glaubst du? Er hat nichts zusammengerührt. Er bekam Befehl, sie zu verhören, und das tat er. Sie war die Braut oder sonst was von einem Finnen gewesen, und dieser Finne hatte viel Geld in einer Bank gestohlen. Dann wurde er festgenommen, aber er hatte nur einige hundert Kronen bei sich. Wo war das Geld?

Und da sollte das Fräulein – Julie also –?

Nein, das sage ich nicht. Das sagt mein Mann auch nicht.

Daniel macht sich barsch, obwohl er böse Ahnungen bekommen hat: Das sagt dein Mann auch nicht, nein? Daran tut er auch am besten!

Aber er sagt, daß sie – daß dieses dein Fräulein sicher mehr von dem Geld weiß, als sie gestehen wollte. Das sagt er.

Daniel nachdenklich: Ich werde sie fragen.

Pause.

Ich fand nur, ich müßte es dir erzählen, sagt Helena wieder.

Sie ist ein guter und wahrhafter Mensch, ich werde sie fragen, wiederholt Daniel. Nein, sie war nicht die Braut des Mannes; er war ein großer Graf, und es ist nichts als Lüge, daß er Geld in einer Bank genommen hätte. Er hatte ein ganzes Schloß daheim, du hättest den Ring an seinem Finger sehen sollen, ja, für den Ring hättest du das ganze Kirchspiel mit Höfen kaufen können! Aber der Graf war krank, er hatte Auszehrung und Lungenbluten, und das Fräulein war bei ihm und gab ihm Medizin und Tropfen. Und es versteht sich, daß er ihr wohl gutes Geld, schweres Geld dafür gab, das konnte er auch tun. Sie hat mir alles erzählt. Sie pflegten zu mir in die Sennhütte zu kommen und saure Milch zu essen, und manchmal lag der Graf in meinem Bett, schlief eine Stunde und erholte sich, ehe er wieder ins Sanatorium ging. Ich kenne jedes Tüttelchen vom Grafen und ihr, sie erzählte mir alles am ersten Tage, und das war lange, bevor sie zu mir kam und bei mir wohnte, denn damals kannte ich sie gar nicht. So ist es von Anfang bis zu Ende, es hilft dir und deinem Mann nicht, wenn ihr euch Geschichten ausdenkt, schloß Daniel.

Er nickt und geht.

Jetzt weint Helena und ruft ihm nach: Daniel!

Was ist?

Die paar Schritte, die er sich entfernt hatte, kam sie ihm zögernd nach und blieb wieder stehen, gebrauchte das Taschentuch, schwieg.

War etwas?

Nein, sagte sie. Du tust mir nur leid.

Mach dir nur keine Sorgen um mich!

Nein. Aber wenn sie so viel Geld hat, so weißt du, wo es herkommt.

Daniel bedachte sich: Hat sie viel Geld? Das ist mehr, als ich weiß.

Helmer sagte es, als er von dir kam.

Daniel verlegen und wütend: So, na ja. Aber es ist schon so, wie ich sagte, du hast eine Schnüffelnase bekommen, ich will nicht mehr mit dir reden –

Er geht nachdenklich heim. Natürlich mußte er ernsthaft mit seiner Liebsten reden, und das gleich, das war nicht zu vermeiden.

Es ging anders, als er dachte.

Als er nach Hause kam, war Marta fort. Er guckte vorsichtig in die neue Stube: da lag das Fräulein auf dem Bett mit verstörtem Ausdruck, mit wahnsinnigen Augen. Was hatte sie, es war doch nicht schon losgegangen? Nein, sie war von einer Kreuzotter gebissen worden. Von einer Kreuzotter – wo? Hier! Sie streckt die Hand und den Arm mit dem blauen, aufwärts laufenden Streifen aus; Marta hatte ihn abgebunden, die Finger waren weiß und welk von dem strammen Band, und jetzt war Marta nach dem Sanatorium gelaufen, um den Doktor zu holen.

Ich will die Wunde aussaugen! sagte er.

Aber es war zu spät, er stach sogar die Wunde mit einer Nadel wieder auf und sog aus aller Kraft daran, aber es half nichts, bis der Doktor kam. Das war ein Zustand! Das Fräulein war außer sich, sie begann zu schreien. Aus Angst hatte sie einen Chok bekommen. Als der Doktor fertig war und schließlich einen Umschlag auf die Hand gelegt hatte, sagte er, daß sie entkleidet und ordentlich ins Bett gelegt werden sollte – aus verschiedenen Gründen, sagte er. Ach Gott, was ist? fragte das Fräulein. Gehen Sie nicht!

Er ging nicht, blieb die kurze Weile, bis alles vorüber war. Es war nicht einmal Zeit gewesen, Daniel ins Sanatorium zu schicken, um nach fachkundiger Hilfe zu telephonieren, es war ein Wunder, wie schnell es ging, eine Kreuzotter hatte alles besorgt.

Als der Doktor fertig war und auf die Treppe hinaus trat, stand Daniel da, er war blaß und gespannt und sagte: Ich denke, daß alles überstanden ist? Wie kann das zugehen?

Ja, antwortete der Doktor, das kam plötzlich. Aber jetzt werden wir sehen –

Ist Gefahr?

Gefahr kann immer sein, wenn es vor der Zeit ist. Ja, und so lange vor der Zeit! Aber das Kind schreit doch, sagte Daniel. Ist es ein Junge?

Der Doktor nickte und sagte: Nun, ich komme heute abend wieder. Ihr altes Mädchen ist sicher tüchtig, aber ich will doch nach einer Hilfe telephonieren.

Gewiß schrie das Kind, der Junge; Daniel fand auch, daß er das nicht schlecht machte, und hätte es gern der Mutter gesagt. Durfte er hineingehen? Das Kind schwieg, es war bei der Mutter zur Ruhe gekommen, und Daniel schlüpfte hinein.

Hei, der Kerl kann aber schreien! sagte er ein bißchen verlegen.

Ja, aber er ist so klein, soviel zu früh geboren! hört er vom Bett.

Armes, kleines Fräulein d'Espard; sie lag da und hatte ihr Geheimnis zu hüten. Das war nicht gut für sie, aber sie war umsichtig und tüchtig. Sie hatte auch im geheimen verschiedene kleine Sachen in den letzten Wochen gearbeitet und stand also nicht ganz unvorbereitet da, weil sie aber reichlich ungeschickt mit Nadel und Faden war, konnte sie keinen Staat mit den kleinen Hemdchen machen. Wozu auch? Es waren immerhin feine Sachen, einige waren wahrhaftig aus Seidenblusen gemacht und weich wie Luft. Sonst hatte Marta genug von gröberem Zeug für die äußeren Hüllen, ja sogar neuen, schneeweißen Wollstoff.

Daniel sah sich um und stellte sich dumm: Ist er wieder gegangen? fragte er.

Wer?

Das Kind, der Junge. Ich hab' doch ganz genau Weinen gehört.

Da mußte die junge Mutter lächeln, sie schlug einen Zipfel der Pelzdecke beiseite und zeigte das Wunder. Er ist soviel zu früh gekommen, sagte sie, und legte großen Nachdruck darauf.

Ha, sagte Daniel, er ist nun gar nicht so klein, wie ich sehe, glaub das nicht. Ich selbst war viel kleiner, als ich geboren wurde, nicht wahr, Marta?

Marta vermied es, hierauf zu antworten, und sagte: Ja, Gott sei Dank, es ist ein hübsches Kind!

Das Fräulein hatte sich beruhigt, sie dachte nicht mehr an den Kreuzotternbiß; wäre es auf sie angekommen, so hätte sie gleich den Umschlag von der Hand gerissen – sonst könnte sie nicht mit dem Kinde hegen, wie sie müßte, sagte sie. Sie war auch imstande, mit großer Ruhe zu erzählen, wie es zugegangen war, daß sie gebissen wurde: Ja, sie hatte wie gewöhnlich auf einem Stein auf der Wiese gesessen, die Sonne schien, und sie war schläfrig geworden. Da spürte sie etwas Kaltes an der Hand und schreckte zusammen. Im selben Augenblick glitt die Schlange fort, aber sie spürte fast augenblicklich, daß sie gebissen worden war, und lief nach Hause.

Es ist eine Schweinerei mit den Kreuzottern, sagte Daniel. Ich habe einmal eine in die Hosentasche bekommen, als ich auf der Wiese schlief.

Hast du sie getötet?

Nein, ich hab' sie nicht getötet. Und darüber ärgere ich mich heute noch. – Drollige Fingerchen hat er, laß mich einmal sehen! Siehst du, er bewegt sie!

Jetzt mußt du gehen, sagte Marta.

Aber nun war die Geschichte mit dem Geld und dem Grafen gekommen, und im Laufe der Woche fing er an, mit ihr davon zu sprechen. Es begann damit, daß sie am liebsten getraut worden wäre, ehe das Kind geboren war – ach, es war schlimm, daß es so gekommen war, aber Daniel meinte, das sei einerlei. Dagegen, sagte er, gäbe es etwas anderes, und er wollte es im übrigen nur erwähnen und der Sache keinen Gedanken weiter schenken: es handelte sich um den Grafen, den mit der sauren Milch. Sei der ein Spitzbube?

Der Graf – wie? Nein, nein, an ihm war nichts auszusetzen!

So. Aber er hatte doch Geld gestohlen und war verhaftet worden?

Das Fräulein überlegte: Es konnte ja gern sein, daß er ein Spitzbube war, das wußte sie nicht, sie kannte ihn nicht so gut –

Was hattest du mit ihm vor?

Ich? Nichts. Rien du tout.

Ja, aber weißt du von dem Geld, das er gestohlen hatte, hast du es?

Ich? schreit das Fräulein. Bist du verrückt!

Nein, ich wußte es ja, sagte Daniel.

Ich hab' das Geld, das er mir gab, – jaja, es war etwas Geld, und das habe ich. Erzählte ich es dir nicht?

Ja, das tatest du wohl. Aber wenn es eine größere Summe war, so hättest du sie doch dem Schulzen ausliefern sollen?

Was? Nie in aller Welt!

Er war ja da und verhörte dich?

Der Schulze? Jawohl. Hab' ich dir das nicht auch erzählt?

Ich glaube, du hast was davon gesagt.

Er verhörte alle im Sanatorium und mich auch. Warum fragst du das alles?

Sie behaupten beim Schulzen, daß du mehr vom Grafen und dem Geld wüßtest, als du sagen willst.

Ich glaube, alle Menschen sind verrückt, sagte das Fräulein. Was sollte ich wissen? Übrigens hat der Graf kein Geld gestohlen und ist auch nicht richtig verhaftet gewesen, das erzählte mir der Rechtsanwalt im Sanatorium. Die Polizei hatte sich geirrt, und sie brachten ihn statt dessen ins Krankenhaus, weil er schwindsüchtig war. Frag' nur den Rechtsanwalt selber.

Daniel hätte nicht kräftiger überzeugt werden können, sein eigener Glaube und sein Vertrauen wurden bestätigt, und er entfernte sich, völlig befriedigt von der Erklärung des Fräuleins. Ha, es sollte Helena nicht glücken, ihn Hals über Kopf in eine neue Situation zu bringen. Arme Helena übrigens, sie bereute sicher und war verzweifelt, sie ging noch eines Tages zu den Seen und ertränkte sich. Aber das konnte er jedenfalls nicht kalten Blutes mit ansehen, er mußte sie retten –

 

Jetzt rutscht der Schnee von den Dächern, und auf den Wegen schmilzt er schmutzig und unschuldig von Tag zu Tag. Die dumpfen Schläge, die man rings um die Häuser hört, sind feuchter Schnee, der zusammensinkt, auf den Matten und den »Fels« hinauf wird es immer nackter. Da, gerade vor Pfingsten, kommen Sturm und Regen, und es ist gut, im Haus zu sein und genug für sich und die Tiere zu essen und zu trinken zu haben. Es dauert eine Nacht, Donner und Fanfaren rollen in die Höhe, und dies unermeßliche Falleralla währt bis vier Uhr morgens, dann werden Himmel und Erde allmählich ruhig. Und am Tage darauf ist Frühling.

Und welch ein Frühling es in den Bergen wurde! Er kam nicht wie etwas Wohldurchdachtes, sondern wie eine wunderbare Idee, schnell und toll, hingeschleudert. Marta legte verschiedene Kleidungsstücke ab.

Als Fräulein d'Espard aufstand und hinauskam, war es ja äußerst seltsam für sie: da lag die weite Welt hinunter bis zum Kirchspiel ganz anders als früher, alles grün, sonnig und reich, der Wald um die Alp im Ausschlagen, schon grünes Gras auf den Ackerrainen, und es duftete stark nach Erde. Es dauerte nicht lange, bis sie wieder völlig gesund war, sie trug das Kind mit sich hinaus, setzte sich mit ihm auf die Türschwelle und gab ihm die Brust, und Daniel setzte sich neben sie.

Wenn es nur nicht so klein wäre, sagte sie und unterstrich es wieder, wenn wir es nur am Leben erhalten können! Sagte der Doktor nicht, daß es zu früh gekommen sei?

Er hat wohl etwas davon gesagt.

Ja, siehst du! Es war viele Wochen zu früh, du weißt ja selbst, wann wir uns trafen! Oh, aber das Fräulein mußte der Kreuzotter wohl sehr dankbar sein, sie hätte nie einen besseren Vorwand dafür finden können, daß es zu früh passierte.

Er ist nicht klein, behauptete Daniel und war stolz auf das Kind. Das glaubst du nur, sagte er.

Alles in Ordnung, nicht ein Mißklang in der kleinen Familie. Gedieh der Junge nicht? Gab es seinetwegen Streit von morgens bis abends? Nie! Als Daniel das nächste Mal im Kirchspiel war, kaufte er ein Taschentuch mit Tieren darauf für den kleinen Burschen und schenkte es ihm gutherzig. Was war also im Wege? Nichts. Eine barmherzige Blindheit hatte sich über Daniel gelegt, er betrachtete sich und das Seine ohne Erkenntnis; seine Bedürfnisse waren gering, sein Familienleben zusammengelogen, aber seine Zufriedenheit war groß und gut.

Fräulein d'Espard schätzte ihn auch, er war keineswegs zu verachten, wenn nur alles blieb wie jetzt, dann war nichts zu befürchten! Sie saß da mit dem Kinde und wurde wieder frisch und gesund, Daniel sollte nie ein böses Wort von ihr zu hören bekommen: Daniel, glaubst du, daß wir ihn behalten werden? Wir haben es vielleicht nicht verdient, aber dennoch! Sie fühlte sich wieder sehr mutig und aufrecht, sie sagte: Wenn man heute vom Sanatorium nach mir schickte, so nähme ich das Kind auf den Arm und ginge!

Zusammengelogenes Familienleben? Jawohl – es können schöne Wahrheiten in der Lüge sein. Machte das Leben die Lüge nicht notwendig, so existierte sie nicht.

Die Trauung wurde immer wieder hinausgeschoben; das geschah nicht aus Unlust von einer Seite, die Verhältnisse waren schuld daran, nicht das Fräulein. Konnte sie das Kind mit auf die Fahrt nehmen? Keine Rede davon, es zu Spott und Schanden zu machen und bei der Gelegenheit vorzuzeigen! Aber konnte sie es zu Hause lassen, wenn es noch so klein war? Unmöglich. Marta konnte ihm doch nicht die Brust geben. Was war da zu tun?

Als der Sommer kam, war es jedenfalls Marta, die mit dem Kinde fortzog und es taufen ließ, die junge Mutter und das Kind konnten sich ja vorläufig nicht zusammen vor aller Welt Augen zeigen.


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