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Der Samen, den August und Roderik ausgesät hatten, ist aufgegangen. Das ganze Beet ist mit Blättern an Stielen bedeckt, eine grüne Decke, eine aparte Grasdecke, mystisch und unglaublich vielversprechend. Was wohl daraus wurde?
Er beobachtete seine Plantage jeden Tag, ging aus wie ein Herr, mit seinem Stock in der Hand, als wolle er sich nach seinen Besitztümern umschauen, aber der tatendurstige Mann stellte den Stock bald beiseite und fing an, diese kleinen Geschöpfe zu pflegen. Überall zog er heraus und pflanzte um, einigen Pflänzchen half er mehr in die Höhe, indem er sie von ein paar überflüssigen Blättern an der Wurzel befreite. Eine unendlich genaue und feine Arbeit, die nicht mit dem Auslichten von Rüben verglichen werden konnte, weit entfernt.
Er war stolz auf seinen Acker und musterte ihn: Schauen wir einmal nach, geht es ihnen allen gut? Stehen diese Gewächse hier nicht in der Erde und werden buschig, wie sie sollen? Diese Plantage drohte ja geradezu zu glücken!
Leute kamen herbei und sahen ihm bei der Arbeit zu. Er trat nicht mehr barhaupt auf, aber trotzdem kam ihm keiner zu nahe, er beantwortete keine Frage, er hielt Abstand. Es war sicher nicht nur ein dummer Spaß von ihm, daß er sich so geheimnisvoll gebärdete, er tat dies, um seinen Acker vor den Buchtbewohnern in Frieden zu haben.
Teodor kam. Teodor hat sich einen neuen gelben Südwester gekauft und geht nun umher und läßt sich damit sehen. Er schlägt ihn vorn auf und läßt ihn wieder herunter, er schlägt ihn hinten auf und läßt ihn wieder herunter, er setzt ihn schief auf, nimmt ihn von Zeit zu Zeit ab und bläst Staub und Schmutz weg. Herrgott, dieser alte Kindskopf, er hat nur die Eitelkeit eines Huhnes, aber er vermißt ja auch nichts Höheres. Er ist noch nicht erwachsen, aber er tut so, als sei er es. Er ist nicht sehr hell im Kopf, er weiß nicht alles, was für und gegen Gott und das Schicksal und das Leben und den Tod gesagt werden kann, über solche Dinge kann Teodor nicht reden, ohne das allerdümmste Zeug zu sagen. Aber er ist auch nicht gekränkt, wenn man keine Notiz von dem nimmt, was er sagt; nicht im mindesten. Es ist, als bewahre er in sich die tiefe Weisheit, daß er eine Ameise ist, daß manche Ameisen Flügel haben und fliegen können, daß er selber aber eine Ameise zu Fuß ist, eine Wanderameise. Oh, Teodor ist nicht geringer, als er von Natur aus sein muß. Er hat gelernt, Buchstaben zu lesen, und kann in anderer Leute Briefen stöbern, er ist langfingrig und hat ein gewisses Talent zum Mausen, aber man kann ihn unmöglich einen Dieb von Klasse nennen. Allerdings hat er auch noch nie eine Aufmunterung für seine Langfingrigkeit in Form einer größeren Beute bekommen.
Teodor paßt ganz gut unter die Menschen. Wenn er so mit seinem neuen gelben Südwester einherkommt und im übrigen mit der ganzen Neugier einer Frau in seiner witternden Nase, ist es, als komme er mit einem bestimmten Anliegen zu August. Ach, aber dieser August versteht ihn nicht, August versteht nur Mechanik und all das andere moderne Zeug bei den Menschen, darum mußte es Teodor jetzt schlimm ergehen.
Er sagte – und immer noch war er höflich und sagte Ihr: Ich hätte Lust, zu wissen, was Ihr hier gesät habt.
Keine Antwort.
Es könnte ja sein, daß Ihr es nicht allen sagen wollt, aber mir könnt Ihr es doch sagen.
August hört nicht darauf, was Teodor sagt.
Es sieht beinahe wie Kartoffeln aus, rät Teodor.
Keine Antwort.
Aber vielleicht ist es eine Art von Rüben?
August wacht plötzlich auf und antwortet: Nein, es sind Kartoffeln.
Da seht Ihr's, ich habe es erraten! ruft Teodor ganz zufrieden. Ich sah doch gleich die Ähnlichkeit. So, da ist es wohl eine neue Sorte von Kartoffeln?
Ja.
Nun hatte es Teodor nicht gut getan, daß er überhaupt eine Antwort bekommen hatte, er nützte die Gelegenheit aus und redete weiter, redete noch lange weiter. Und schließlich hat er »Lust zu wissen, ob sich schon Knollen gebildet haben«.
Keine Antwort.
Ihr wollt mich wohl nicht hereinkommen lassen, damit ich bei ein paar Pflanzen die Wurzeln anschauen kann?
August steht einen Augenblick wie ratlos da, dann packt er den Stock, zieht die Klinge heraus und springt mit einem Satz auf den Sünder los. Er ist wütend und stößt zu. Ein Glück, daß er wütend war, er zielte schief und traf nicht. Er stößt immer weiter und weiter über den Stacheldrahtzaun hinaus, je mehr Teodor zurückweicht, endlich gibt er es auf und schreit: Ja, trau dich nur hereinzukommen, – trau dich nur, – hu!
Teodor geht heimwärts. Es macht ihm nicht viel aus, daß er weggejagt worden ist, nein, das bedeutet nicht viel. Wie unvernünftig böse er war! denkt er wohl. Er hat ein Messer in seinem Stock. Teodor kommt jedenfalls mit der großen Neuigkeit in die Gemeinde, daß August Kartoffeln in seinem Acker gesät hat, eine neue Sorte von Kartoffeln, wie Pulver gesät, es wird den ganzen Nachmittag in Anspruch nehmen, bis er diese Neuigkeit von Haus zu Haus getragen hat.
Ein gelber Südwester und eine große Neuigkeit beschäftigen Teodor. Er ist sicher der einzige Mann in der Bucht, der am wenigsten tiefunglücklich ist.
Und er, der auf dem Platz zurückgeblieben ist? August ist vielleicht eine Ameise mit Flügeln und kann fliegen, aber er ist weniger zu beneiden als der andere. Er segelt nicht auf seinen Schwingen, er flattert mit ihnen herum, und es ist schwer und mühsam, zu flattern, das strengt oft an.
August begegnet Schwierigkeiten, und wäre sein Gemüt nicht so herrlich leicht, so könnte er nicht immer auf Verantwortung und Sorgen pfeifen. So mußte er zum Beispiel jetzt bereits vor Pfingsten erleben, wie ein Mann die jungen Tannen vor seinem Haus wieder ausgrub. Warum tust du das, du Rohling? fragte August verbissen. Was bleibt mir denn übrig, erwiderte der Mann, ich habe ja kein anderes Stück Land als diesen Streifen, und so muß ich denn in Gottes Namen hier einige Kartoffeln setzen! Es waren zehn Tannen, sagte August, ich werde mich hüten, dir noch einmal Bäume bei deinem Haus anzupflanzen!
Aber den gleichen Anblick mußte August auch bei den anderen kleinen Häusern am Weg zum Meer hinunter erleben: die Männer waren eifrigst dabei, seine jungen Tannen auszureißen und statt dessen Kartoffeln zu setzen. Es waren die gleichen Männer, die gesehen hatten, wie er barhaupt den heiligen Samen aussäte. Sie waren also nicht vom Ernst der Stunde erfaßt worden, sie hatten wohl dabeigestanden und ihn der Gaukelei und des Komödienspiels verdächtigt. Ein Wilder aus Patagonien hätte begriffen, daß er hier eine religiöse Handlung beging, er wäre platt auf die Nase gefallen vor Ehrfurcht.
Er hatte keine Gewalt über die Leute in den Hütten. Sollen sie sich doch selber ruinieren! denkt er wohl. Von mir bekommen sie keine Zierbäume mehr!
Betrachtet dagegen diese Ameise Teodor! Er hat keine Schwierigkeiten dieser Art, denn er hat auch keine Pläne. August trifft ihn im Lauf des Tages, Teodor ist dabei genau wie immer, geht mit seinem Südwester und seiner Neuigkeit von Haus zu Haus, eine wandernde Ameise, die einen Auftrag zu haben scheint. Da und dort bekommt er Kaffee, da und dort schneidet er jemand die Haare, Teodor glaubt deshalb überall willkommen zu sein.
August begegnet Edevart, und auch der dient ihm nicht zur Aufmunterung. Edevart kommt schwerfällig von den Schiffshütten heraufgestapft, wo er im Auftrag der Netzmannschaft Boot und Tauwerk instand halten soll.
Soll die Fabrik keinen Schornstein haben? fragt er offen heraus.
August bleibt stehen. Er ist jetzt schon von vornherein gereizt und leicht zu ärgern: He, – die Fabrik einen Schornstein? Bist du nun endlich dahintergekommen? Ja, du bist wirklich sehr scharfsinnig, daß du das schon herausgefunden hast!
Edevart murmelt: Ich habe schon lange gesehen, daß sie keinen Schornstein hat.
Und da hast du nun gemeint, ich hätte ihn vergessen? Aber willst du mir vielleicht sagen, ob ich einen Schornstein für die Fabrik bauen konnte, ehe ich wußte, mit welchem Material ich feuern würde? Gesetzt den Fall, daß ich eines Tages den Entschluß faßte, die Maschinen elektrisch zu betreiben, denn damit kenne ich mich ja auch aus. Was sollte ich dann mit einem Schornstein?
Nein, sagt Edevart.
Siehst du wohl! Aber ein Dach mußte ja auf dem Haus sein, und eher durfte ich nicht aufhören. Ach Edevart, Edevart, du glaubst, ich hätte den Schornstein vergessen!
Edevart will gehen.
Aber, sagt August, es hat den Anschein, als käme ich nicht um den Schornstein herum, und er wird anderthalbhundert Fuß hoch werden.
Womit willst du denn schüren?
Zum Teufel noch einmal, wie meinst du denn, daß ich Elektrizität herbekommen soll? Ich muß wohl notgedrungen einen Schornstein bauen. Aber es ist ja eine Kleinigkeit, das Dach wieder aufzumachen, darüber mache ich mir keine Sorgen.
Edevart will wieder gehen.
Ich werde Torf brennen, sagt August.
Torf?
Torf. Du glaubst vielleicht nicht, daß Torf genau so viel Rauch macht wie Kohle, aber darin irrst du dich. Der Torf wird einen fabelhaften Rauch machen. Ich habe schon alles ausgerechnet, es wird ein enormer und ungeheurer Torfstich werden, wir haben hier ja Torfmoor bis zur Äußeren Bucht hinaus, und ich habe von einem Moor an einer anderen Stelle gehört, das so groß sein soll wie ein halbes Kirchspiel.
Edevart: Brauchst du denn so viel Torfmoor?
August ist milder gestimmt. Es war bereits ein Erfolg, Edevart so weit gebracht zu haben, daß er den Mund zu ein oder zwei Fragen auf tat; jetzt ergreift August die Gelegenheit, alles zu erklären: Fabrikation für Torfstreu im großen Stil, – das Heringsmehl würde daneben nur eine Lappalie sein und würde überdies nur in besonders guten Heringsjahren hergestellt werden. Nein, Torfstreu zum Verschiffen, ein Artikel für den Weltmarkt, die Düngermenge verdoppelt, eine enorme Produktion, kein norwegisches Schiff mehr, das keine Ladung hätte; was Edevart von der Sache halte?
Ja, sagte Edevart.
August: Ich baue eine kleine Eisenbahn zum Transport bis zur Äußeren Bucht hinaus, kann sein, daß ich darauf Aktien ausgeben muß, und da muß wohl ganz Norwegen zeichnen, glaubst du nicht?
Doch.
August war aufgemuntert und froh, endlich hatte sich alles zum Guten gewendet, selbst Bürgermeister Joakim, der die ganze Zeit sowohl der Bank als auch der Fabrik gegenüber so blind gewesen war, mußte jetzt wohl sehend werden: was würde doch zum Beispiel Argentinien für ein Kunde für Torfstreu werden! Heringsmehl war äußerst nützlich, dagegen ließ sich nichts sagen, aber die Kühe mußten eben bis auf weiteres den Hering im ganzen fressen, wie sie es schon gewohnt waren, Torfstreu dagegen war die Rettung aus einem Zustand der Not in der Landwirtschaft, jawohl, eine Antwort auf ein SOS aus der ganzen Welt. Was hinderte übrigens August daran, später noch einige Heringsmehlfabriken zu bauen?
Er hatte die ganze Zeit seine Zigaretten gespart und sie nicht verschwendet, indem er sie ohne Zuschauer verpaffte.
Jetzt zündet er eine an, weil er Ragna gewahr wird, die beim Bach Wasser holt. Er wird sofort guter Laune, schwenkt den Stock und richtet sich auf: Kikeriki!
Aber August merkt bald, daß diese Sache hoffnungslos für ihn ist, soviel er sich auch aufspielt, Ragna wendet das Gesicht ab und zeigt keine Freude bei seinem Anblick, sie füllt nur ihre Eimer und will gehen. Was blieb ihm da anderes übrig, als lustig und frech zu sein, wie auch sonst immer – killekille, kleine Ragna! –, und hier am Bach keineswegs irgendwelche ernsthafte Absichten erkennen zu lassen.
Ragna ist jetzt ungefähr wieder so wie früher. Arm und zerlumpt, aber wieder mit runden Formen und dem gleichen schönen Gesicht. Sie hat sich gut erholt nach der Krisis im Winter.
Ich soll dir einen Gruß von Ester ausrichten, sagt August.
Ragna kann nur durch die Nennung des Namens ihrer Tochter gewonnen werden: Hast du sie getroffen?
Und ob ich sie getroffen habe! Ich war doch in der Gemeinde und habe dem Doktor ein paar Aktien verkauft. Sie war rosenrot und frisch, weiße Zähne im Mund und die Augen wie Samt. Ich kenne keine zweite wie Ester, es fehlte nicht viel, so wäre ich ihr um den Hals gefallen, als sie mich anschaute, so wunderbar sind ihre Augen. Sie sagte, ich solle vielmals grüßen.
Wann war das? Denn ich war selber vergangene Woche bei ihr.
August interessiert: Hast du den Doktor gesehen? War seine Wunde verheilt?
Seine Wunde? Ich merke schon, wo du hinauswillst, aber nimm dich nur in acht! antwortete Ragna, sie nahm die Eimer und wollte gehen.
Eine Wunde, die sechs weiße Vorderzähne hinterlassen haben. Es heißt, daß sie Kohle damit kaut.
Ragna stellte ihre Eimer energisch wieder hin: Das ist denn doch die ärgste Lüge, die ich je gehört habe! Sie kaut genau sowenig Kohle wie ich! Soll denn dem Kind sein ganzes Leben lang das Schlimmste nachgesagt werden?
Genau sechs Vorderzähne, murmelte August. Da hat er sie doch wohl küssen wollen?
Ragna sieht sich nach einem Wurfgeschoß um und droht: Ich schütte dir den ganzen Kübel voll Wasser ins Gesicht!
August: Aber wie dem auch sei, es wird wohl ein Paar aus ihnen werden, soviel habe ich gesehen. Und er findet keine, die gegen sie aufkommen kann, das werde ich ihm offen ins Gesicht sagen. Ich wüßte gerne, wer ihr Vater ist!
Du kriegst den Eimer noch über dich, verlaß dich drauf!
August zündet eine neue Zigarette an und brüstet sich: denn der Teodor ist es natürlich nicht, das mußt du mir nicht weismachen, soviel taugt er nicht.
Wir haben gerade ein Bild von Johanna bekommen, die mit der Pfarrersfamilie nach dem Süden gegangen ist, erzählt Ragna. Sie sieht ihrer Schwester so ähnlich, wie zwei Tropfen Wasser einander gleich sind, und sie ist genau so schön.
So, da haben sie wohl denselben Vater?
Ja, das haben sie, weiß Gott, sagt Ragna. Steh doch nicht da und führe solch lästerliche Reden! Alle meine Kinder haben denselben Vater.
August lacht: Ja, da widerspreche ich nicht!
Ich will gar nicht mehr auf dich hören, schließt Ragna und packt die Eimer.
Wie war es doch, fragt August, dann bekomme ich also wohl die Johanna?
Du?
August hat zwar seine Zigarette noch nicht zu Ende geraucht, wirft sie jedoch trotzdem weg und zündet eine neue an, um sich ein wenig großartig zu machen. Und da stand nun Ragna, und sie war weiß Gott richtig weltlich und verführerisch und war mit einem Trottel verheiratet. Nein, sagte er, ich hätte ja auch am liebsten dich selber, Ragna. Denn das ist eine alte Liebe, die ich über die ganze Erdkruste mit mir herumgetragen habe. Du aber bist hingegangen und hast einen Zwitter geheiratet.
Ragna geht.
Er geht mit, wirklich, aber er erreicht nichts. Bei der Türschwelle fragt er: Darf ich mit hineinkommen und das Bild von Johanna anschauen?
Nein, antwortet sie, ich habe es Edevart geliehen! Damit schließt Ragna die Tür hinter sich ...
August ging heim, mit Aufruhr im Gemüt. Hat es dem Edevart geliehen, – meinetwegen, das hatte wohl seinen Grund. Aber sie ging hinein und schloß die Tür hinter sich, als stünde niemand draußen. Mord war so gut wie nichts im Vergleich mit dieser Behandlung! Er war bitter und hätte am liebsten mit den Zähnen geknirscht und einen Schuß abgefeuert. Mußte er nicht dauernd Ungerechtigkeit erleiden? Hier ging er, jung und toll und wieder gesund und alles miteinander, er hatte große Fähigkeiten in sich, hatte mehr gelernt als irgendein anderer, er lechzte nach dem Leben, liebte, und was half das alles? Was hatte er doch alles in der Bucht zustande gebracht, wer wäre berechtigter gewesen, vierspännig zu fahren? Er war in der Welt draußen gewesen und hatte sich seine Schärpe verdient, zum Teufel noch einmal, er war der einzige Buchtbewohner mit blauem Blut. Als er im Winter krank lag, war er der wichtigste Patient des Ortes gewesen, der viele Schicksale in der Hand hielt, nach einem Millionär hätte man sich nicht häufiger erkundigen können. Was half das alles? Edevart konnte sie heute noch haben, obgleich er tot war wie irgendein Leichnam in einem Sarg: Hier bitte, ein Bild von unserer Johanna! Begriff dieser Dummkopf, weshalb sie kam? Ich hätte es begriffen! ruft August laut aus und schwenkt den Stock. Ich hätte an seiner Stelle sein sollen!
Er ging zum Kramladen, wohin sollte er sonst gehen? Der Kramladen war der Marktplatz der Bucht, wo die Leute zusammenkamen. Es waren einige Kunden da, aber es wurde fast nichts gekauft, Kristofer war da, ein paar Frauen, ein paar Männer lehnten am Tisch und unterhielten sich und tauschten Neuigkeiten aus. August kam herein, niemand rückte beiseite und machte ihm Platz, nein, sie kannten ihn, es war August. So benahmen sie sich gegen ihn, waren für ihn oder gegen ihn, je nachdem er in ihrer Gunst stand. Aber selbst in seiner Erniedrigung war er doch immer der gleiche, und ein Coup, ein neuer Einfall von ihm hätte sie augenblicklich demütig gemacht, dieses Gesindel.
Edevart kam herein und ließ sich einen Bogen Papier und einen Umschlag geben. So, willst du einen Brief schreiben? fragte August. Du solltest lieber telegraphieren!
Kristofer beachtete niemand, er drehte sich nur halb herum, um zu sehen, wer hereinkam, und nahm dann wieder seine alte Stellung ein. Er lag halb über dem Tisch, rauchte Kardustabak und redete einmal mit ein paar Frauen, einmal mit ein paar Männern, schimpfte und redete. Er scherte sich den Teufel um den Weltumsegler August und um den heimgekehrten Amerikaner Edevart, Kristofer war ein Mordskerl und hatte keinen Funken Respekt vor ihnen! Er ging davon aus, daß er sich alles leisten könne, denn man hatte ihn nicht angezeigt wegen des Einbruchs auf der Neusiedlung im Winter und auch nicht wegen des aus dem Stall des Bürgermeisters geraubten Stiers, – nein, man hütete sich wohl vor ihm, mit ihm war nicht zu spaßen! Augenblicklich wetterte er gegen die Armenverwaltung der Gemeinde, gegen den schlechten Finnmarksfischfang im Frühjahr, gegen die Honoratioren in der Inneren Gemeinde und gegen den armen Arbeiter, den Gott, in seinem Himmel sitzend, an einem Ring durch die Nase auf der Erde herumzieht –
Pauline verträgt es nicht, etwas Unvorteilhaftes über Gott zu hören, der ihren Kramladen doch wahrhaftig reich gesegnet hat, sie schnaubt zornig: Geschwätz!
Kristofer merkte, daß er die anwesenden Zuhörer wunderbar belustigte. Geschwätz? fragte er angespornt. Du kannst da nicht mitreden, Pauline, denn du lebst ja herrlich und in Freuden von den armseligen Sparpfennigen und dem Blutgeld, das wir Armen dir zutragen –
Edevart unterbricht ihn plötzlich: Du hältst jetzt sofort dein Maul, Kristofer! Er wandte sich wieder an Pauline und bat um einen zweiten Briefumschlag, »für den Fall, daß mir die Adresse nicht recht geraten sollte«.
Kristofer muckt auf: Verzeihung, großer Herr und Präsident von Amerika! Ich wußte nicht, daß ich dir im Weg stehe!
Die Umstehenden kicherten boshaft und fanden es sehr lustig.
Aber gegen Edevart aufzumucken, hieß auch gegen Pauline aufmucken. Sie sagte ärgerlich: Mach, daß du heimkommst, Kristofer, wir haben dich nicht gerufen!
Ich gehe heim, wann es mir selber paßt, antwortete Kristofer. Er erblickte Augusts Stock und wiegte den Kopf hin und her: O August, du Mann zu Land und Meer, du bist ja die reine Polizei und Obrigkeit geworden, gehst schon mit dem Spazierstock unter uns herum.
August zog nicht blank, er erwiderte: Mir tut der eine Fuß weh.
Nur ein einziger Fuß? Mir tut es oft an vielen Stellen weh, aber ich brüste mich deswegen noch nicht mit einem langen Spazierstock. Weißt du, was wir mit deinen Tannen gemacht haben? Wir haben sie auf den Misthaufen geworfen.
August: Und du für dein Teil hast statt ihrer nicht einmal Kartoffeln gesetzt?
Was sollte ich machen? fragte Kristofer. Wir haben die Saatkartoffeln aufgegessen.
Warum hast du dann die Tannen herausgerissen?
Warum ich sie herausgerissen habe? Das will ich dir ganz genau sagen: ich habe sie nur herausgerissen, weil ich mich so über deinen ganzen Blödsinn geärgert habe. Das war der Grund.
Ja ja, sagte August.
Denn es war nichts anderes als Blödsinn, was du hier in der Bucht angefangen hast. Jetzt willst du ja schon wieder hingehen und Nummern an unseren Häusern anbringen. Aber ich rate dir, melde dich erst vorher an, wenn du zu mir kommen willst, damit ich dich auch richtig empfangen kann!
Die paar Männer und die paar Frauen aus der Gemeinde lachten jetzt offenkundig, hielten sich jedoch den Mund zu. Die Sklaven belustigten sich hinter dem Rücken des Herrn.
Pauline ärgerlich: Aber August war gut genug dafür, den Stier zu bezahlen, den du aus unserm Stall gestohlen hast, nicht wahr?
Dabei war ich nicht allein, erwiderte Kristofer.
Nein, du warst nur der Anführer.
Gleichviel, glaub nur ja nicht, daß ich Angst vor dir hätte, Pauline. Ihr bildet euch ja alle miteinander so unverschämt viel ein, aber mich sollt ihr nicht ins Bockshorn jagen können. Laß mich einmal deinen Stock anschauen, August!
August schafft sich Ellbogenfreiheit und zieht im selben Augenblick die Klinge heraus. Er ist leichenblaß – und hemmungslos, hat scheinbar ganz den Verstand verloren, – er, der nie einen Menschen kalten Blutes getötet hat. Edevart fängt seinen Arm mitten im Stoß auf.
Jetzt kicherte niemand mehr, Kristofer war selber blaß und klein geworden, er wollte gehen, wollte sich davonmachen. An der offenen Tür, mit der Aussicht auf die Freiheit, kam ihm noch einmal der Mut zu sagen, daß hier kein Aufenthalt für anständige Leute sei, er wolle seinen Fuß nicht mehr hierher setzen. Es gäbe ja auch andere Kaufleute, in der Inneren Gemeinde und an der Haltestelle –
Die andern Kunden nahmen ihre kleinen Pakete und ihre Tüten und verabschiedeten sich, es gab nichts mehr zu kichern, man konnte sich keinen Spaß mehr erwarten. Aber schön hatte er es ihnen gesagt, der Kristofer! Ja, der Kristofer ließ sich nicht einschüchtern, weder vom Vogt noch von sonst irgendeinem!
August stand da und erholte sich nach und nach von seiner Aufregung, er war wohl etwas verlegen, etwas überflüssig, er sah an den Wänden hinauf und musterte die Waren, die dort hingen, eiserne Haken, Galoschen, Viehglocken, Bündel von Netzgarnen. Er nahm eine Ziegenglocke, betrachtete sie und hängte sie wieder hin.
Was war denn in dich gefahren? fragte Pauline.
Was in mich gefahren war? Ich wollte ihm nur einen Schrecken einjagen.
Du sahst aber nicht gerade zum Spaßen aus.
Da hatte er nun gehofft, Pauline würde ihm ersparen, darüber zu reden, sie hatte doch vorher seine Partei ergriffen und daran erinnert, daß er den Stier bezahlt hatte, jetzt stand sie aufrecht vor ihm und verhörte ihn ohne den leisesten freundlichen und hinreißenden Ausdruck im Gesicht.
Hast du vorgehabt, ihn umzubringen? fragte sie.
Bist du verrückt? Für was hältst du mich?
Nun, du sahst immerhin so aus, meinte sie beharrlich. Und ist es nicht gut, daß wir nun wissen, von welcher Art er ist, Edevart?
Er war nur zornig geworden, sagte Edevart.
August: Ja, das leugne ich nicht, und das sage ich euch, wären wir in einem anderen Teil der Welt gewesen –! Aber was faselst du da, Pauline? Es ist nicht meine Art, so etwas zu tun.
Pauline schaudernd: Deine Augen waren unheimlich!
Ach, Geschwätz, wies August sie ab. Wenn ich nur immer so unschuldig wäre! Er wandte sich an Edevart: Wenn du mir folgst, Edevart, so schreibst du keineswegs einen Brief, sondern telegraphierst augenblicklich und erhältst zur Antwort, daß sie sofort kommt. Du wartest und wartest hier in Ewigkeit und wirst rein zum Trottel.
Aber er bringt wenigstens niemand um, warf Pauline trotzig ein. Oh, sie sah so aus, als wollte sie ihn bitten, seiner Wege zu gehen, weit fort zu gehen und nie wiederzukehren, sie konnte ihn für den Rest ihres Lebens entbehren! So hart sie auch war, – ihn zu zähmen und einen anständigen Buchtbewohner aus ihm zu machen, gelang ihr nicht. Es war nichts Harfenähnliches in ihrer Stimme, die Ziegenglocke klang süßer für seine Ohren, obgleich diese doch nur schepperte. Glück zu mit ihr, er bettelte sie nicht um ihre Rosinen an! Schaut nur, wie sie dasteht und vornehm und geschmückt ist mit einem weißen Streifen am Halskragen und einem Perlenring an der Hand, als ob er nicht schon Tausende von Perlen gesehen hätte! Sie war nirgends auch nur ein bißchen gut und voll, nur bitter und im übrigen doch ziemlich liebenswert im Gesicht, aber eine Blume aus Eisen –
Was hast du übrigens gesagt, fragte Edevart und lenkte ab, tut dir der Fuß weh?
Ach, woher doch, mir tut nichts weh! antwortete August. Ich habe das nur gesagt, um mich nicht mit meinem Stock zu brüsten und mir nicht das Lügen und Prahlen anzugewöhnen.
Dieser Zug an ihm interessierte Pauline, ja, schien sie milder zu stimmen. Du bist ein netter Mensch, sagte sie. Wieso?
Nun, du hast dich doch gering gemacht und die Schuld auf dich selber genommen.
August erkannte hierin vielleicht kein eigenes Verdienst, aber er nützte die Gelegenheit aus: Ja ja, sagte er. Das ist wohl besser, als andern Mord und Blutbad vorzuwerfen, wie du es tust.
Pauline, ordentlich und rechtschaffen bis ins äußerste, wandte sich an den großen Bruder und fragte: Was meinst du, Edevart, was geschehen wäre, wenn du ihm nicht in den Arm gefallen wärst? Hätte es dann nicht ein Blutbad gegeben?
Edevart: Nein, das hätte es nicht. Er war ja nur zornig geworden.