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I

Die Bucht entwickelt sich.

Es gab etliche gute Heringsjahre hintereinander, und fremdes Volk strömte in diesen neuen Ort. Pauline vom Kramladen machte ein gutes und gleichmäßiges Geschäft, sie war tüchtig und wußte sich in allem zu helfen, es steckte Kaufmannsgeist in ihr. In der Äußeren Bucht lagen nun viele Netzmannschaften vor Anker, und was sollten diese Netzmannschaften an Sonn- und Feiertagen mit sich anfangen? Sie gingen eben zum Landhändler und lasen und studierten die Plakate, die dort an der Wand rings um einen roten Briefkasten angeschlagen waren, sonst gab es für die Ärmsten keinerlei leibliche Genüsse dort. Pauline bat ihren Bruder Joakim, doch eine Bretterbude zu bauen, in der sie Kaffee verkaufen könnte, und Joakim konnte ihr diese Bitte auf die Dauer nicht abschlagen, denn Pauline war nicht nur seine Schwester und Haushälterin, sondern er hatte ihr auch sehr viel zu verdanken. Voll Widerstreben ging er an diesen Plan, aber eines Tages traf wirklich eine mit Holz beladene Jacht aus Namsen ein, und Joakim fing an, eine Fuhre nach der andern vom Strand unten heraufzuschaffen. Was er denn mit all diesem Bauholz vorhabe? fragte Pauline. Ja, nun solle sie also ihr Hotel bekommen, gab er zur Antwort.

Das hatte sich Joakim nun angewöhnt: wenn er eine Sache anpackte, so sollte es auch etwas Ganzes sein; diesen Grundsatz hatte der Weltumsegler August der Bucht als eine Lehre hinterlassen. August, dieser Wanderer zu Lande und zu Wasser, er, der die Leute vieles und vielerlei lehrte und nichts dafür nahm. Er lehrte Ezra auf der Neusiedlung das Moor entwässern, und er lehrte Joakim einen Stall bauen, bei dem von vornherein mit einem Zunehmen des Viehbestandes gerechnet wurde, ohne August hätte Joakim nicht einmal ein Pferd und auch keinen Stall für das Pferd gehabt. Ein merkwürdiger Kerl, dieser August Weltumsegler, Joakim mußte zugeben, daß er viel von ihm gelernt hatte, Gutes und vielleicht auch Schlechtes.

Dazu kam noch, daß Joakim Bürgermeister geworden war, keine geringe Sache für einen so jungen Mann. Zwar wurde er dadurch etwas von seiner Feldarbeit abgehalten, aber die erhöhte Achtung, die er nun genoß, hatte doch auch ihren Vorteil, er fing an, sich immer männlicher zu fühlen, es ging ihm lind ein, daß alte Männer aus der Gemeinde sich mit ihren Bitten und Forderungen an ihn wenden und ihn über ihr Wohl und Wehe entscheiden lassen mußten. Und was nun diesen Schuppen anbetraf, in dem Kaffee ausgeschenkt werden sollte, – konnte ein Bürgermeister Schiffern und Netzmeistern eine Bretterbude zumuten?

Es wurde mehr als nur eine Bude, es wurde ein Café, und darüber entstand eine Herberge mit zwei Zimmern, in denen man Gäste für die Nacht aufnehmen konnte, wenn es sie gelüstete. Und Pauline nahm mit diesem neuen Gebäude gar manchen Schilling ein.

Sie hätte sich auch noch eine Bäckerei wünschen können. Unter den Schiffern und Netzmeistern entstand mit der Zeit auch die Frage nach Brot. Aber daran war nicht zu denken, zu einer Bäckerei gehörte ein Bäcker, und sie selber konnte nicht backen. Nein, Pauline konnte nicht noch mehr Arbeit bewältigen, als sie bereits tat; sie war die Haushälterin ihres Bruders und bereitete das Essen, sie hatte die ganze Wäsche zu besorgen und die Zimmer instand zu halten, sie versorgte das Vieh im Stall und leitete den Kramladen, jetzt hatte sie auch noch die Agentur für eine Versicherungsgesellschaft übernommen, alles miteinander viel Arbeit für Kopf und Hände, sie rackerte sich ab. Weshalb konnte Bruder Joakim sich nicht verändern und eine Familie gründen wie andere Leute? Er schien ein für allemal den Mut verloren zu haben. Er hatte ein hübsches Mädchen im Süden liebgehabt, und alles war scheinbar zwischen ihnen fest abgemacht und verabredet, eines Tages aber fuhr das Mädchen nach Amerika. Die Geschichte war aus. Pauline wäre sehr entlastet worden, wenn das Mädchen ins Haus gekommen wäre.

 

Die Jahre vergingen, die Zeit verging, die Bewohner der Bucht, die den älteren Jahrgängen angehörten, bekamen allmählich alle runzlige Gesichter, einige starben auch und schieden ganz aus, die Jahre und die Zeit zehrten an den anderen weiter, sogar Pauline vom Kramladen war welk und flachbrüstig geworden, obgleich sie sich geflissentlich aufrecht hielt und sich kein Nachgeben erlaubte. Rings um Pauline wuchs ein Wald von Jugend heran, und sie verfolgte ihn vom ersten Tag an, sie wußte Bescheid über Geburten und Todesfälle, besser als irgendeiner im weiten Umkreis, und sie kannte einen jeden von der Wiege an.

Weshalb sollte sie nun so schwer arbeiten, was gewann sie denn dabei? Sie sagte selbst, daß sie ja keineswegs ihren eignen Laden, sondern den ihres großen Bruders Edevart betrieb. Gut, aber wo war der große Bruder Edevart? Irgendwo in Amerika, über allen Meeren, vielleicht in die Erde versunken während eines Zyklons, über den sie in Joakims Zeitung gelesen hatten. Selbstverständlich betrieb Pauline ihren eigenen Laden, und außerdem, selbst wenn der große Bruder Edevart wieder heimkehrte, sah es ihm doch nicht ähnlich, das zurückzufordern, was er einmal abgegeben hatte, so kleinlich war er nicht. Es war nur eine Redensart von Pauline, wenn sie sagte, sie arbeite nicht für sich selber, sie war tüchtig genug und wußte, was sie tat. Sie dachte dabei irgendwie an die Steuer, – oh, dieses Blutgeld, das ihr jedes Jahr abgezapft wurde.

Aber Pauline war weder geizig, noch litt sie unter Nahrungssorgen, sie war nur sparsam, war verständig und sonst nichts. Sie kleidete sich, ihrer Stellung entsprechend, etwas besser als andere, gerade so vornehm, wie es sich geziemte, trug einen Ring mit einer Perle am Finger, einen weißen Streifen am Kragen und ein Haarnetz. In letzter Zeit, seit der Kirchspielpfarrer abgereist und der Kaplan an seine Stelle gekommen war, geschah es auch manchmal, daß sie eine silberne Nadel ansteckte und mit einem Schal über den Schultern in die Kirche ging, – Gott mochte wissen, welchen Zweck dieser Aufwand hatte. Allerdings war der Stiftskaplan Tweito Junggeselle und war auf einem Rundgang im Kirchspiel in den Laden an der Bucht gekommen und hatte Kautabak gekauft, aber so etwas Geringfügiges konnte das kluge Mädchen doch unmöglich in Aufregung versetzt haben. Es war dann folgendes Gespräch geführt worden:

Ja, Sie halten es wohl für sehr wenig achtbar, daß ich als Pfarrer Tabak kaue?

Pauline verständnislos und schwerfällig: Wieso – ach –

Es ist nämlich eine bedauerliche Gewohnheit aus der Zeit, da ich auf Fischfang ausfuhr. Also ehe ich studierte.

So, habt Ihr früher Fischfang betrieben? Da seid Ihr also Nordländer?

Helgeländer.

Großartig! entfuhr es Pauline. Dieser Pfarrer verheimlichte seine niedere Herkunft nicht, das war demütig, beinahe wie wenn man in einer Krippe zur Welt gekommen wäre.

Ich habe Sie in der Kirche gesehen, sagte er. Was kostet der Tabak?

Er hatte sie in der Kirche gesehen, das war merkwürdig, und es war beinahe zuviel, sie wurde wieder unbeholfen und antwortete: Der Tabak? Ist schon in Ordnung.

Ich möchte ihn aber bezahlen.

Nein, das sollt Ihr keinesfalls. Eine schäbige Rolle Tabak!

Na, sagte er und lächelte dazu richtig gut und freundlich. Ja ja, dann sage ich also vielen Dank!

Nichts zu danken!

Bei der Tür fuhr er fort: Nun, jetzt bin ich ja gut ausgerüstet und kann meine Pilgerfahrt wieder antreten.

Der Herr sei mit Euch! wünschte Pauline und war ganz im Stil.

Das ist er wohl! antwortete der Pfarrer voll Zuversicht. Sehen Sie nur, welch klassisch schönes Wetter er gewährt! –

Selbstverständlich war das keineswegs ein erschütterndes Gespräch, aber Pauline hatte etwas Derartiges noch nicht erlebt, und sie bezeichnete diesen Tag mit einer Busennadel und einem Schal auf dem Weg zur Kirche.

 

Manchmal kam ihr Bruder, der Bürgermeister, in den Laden, kaufte irgend etwas oder heftete ein Plakat an die Wand. Bruder und Schwester hielten gut zusammen und neckten einander nur in aller Freundschaft. Wenn er mit seinem Plakat ankam und es dann an allen vier Ecken mit Nägeln befestigte, lachte die Schwester ihn aus und sagte zu den Umstehenden: Schaut doch nur, er hält sich wahrhaftig für die Obrigkeit! – Ja, genau so gut, wie du dich für ein gnädiges Fräulein hältst, entgegnete Joakim, du trägst einen gestärkten Kragen und redest gebildet mit dem Pfarrer. – Haha! Was hast du denn dieses Mal für ein Plakat? fragt sie. – Diesmal berufe ich das Storting ein, gibt Joakim zur Antwort.

Manchmal kam Ezra, der Großbauer, klein und grau, im Gesicht gealtert, im übrigen aber immer noch ein knorriger Kerl. Er hatte viele Kinder, aber noch mehr Kühe auf seinem Hof und dazu Pferde und eine ganze Herde von Schafen und Ziegen. Das eine Mal kauft er einen Spaten für den Hof, das andere Mal einen Satz Hufeisen oder eine Holzsäge, und er macht ein Bündel daraus und nimmt es mit, – der große Bauer, aus dem Nichts hervorgegangen, jetzt aber ein mächtiger Mann.

Es war so eigentümlich an Ezra, sehr schwer zu verstehen, wie er sich aus dem Nichts herausgearbeitet hatte und jetzt der größte Hofbesitzer in der Bucht war. Sein Fleiß war bekannt und anerkannt, aber trotzdem, sein Erfolg war überwältigend und hatte etwas Mystisches an sich. Anfangs, seinerzeit als er sein großes Moor urbar machte, ging die Rede davon, daß man rings um seine Neusiedlung Notrufe höre, Gott weiß, was das bedeutete, es war ja einmal in seinem Moor eine Untat verübt worden, zwar war es lange her, aber die Schreie aus dem Moor lebten im Gedächtnis der Leute und verfolgten Ezra und seine Familie heute noch. Er hatte sich trotz den Rufen beim Moor angebaut, hatte das Land urbar gemacht, sich Vieh angeschafft und das Weideland um ein Vielfaches ausgedehnt, jawohl, vielleicht hatte er sogar Hilfe vom Moor bekommen, von der Unterwelt. Ihm haftete der Ruf der Unheimlichkeit an. Obgleich er mit Hosea, der Schwester des Bürgermeisters Joakim und der Pauline vom Kramladen, verheiratet war, alle beide wohlangesehene Menschen, besonders seit sie zu Wohlstand und Vermögen gekommen waren, – obgleich also Ezra in diese achtbare Familie hineingeheiratet hatte, half alles nichts. Weshalb hatte er solches Glück, hatte er sich denn jemand verschrieben? Ezra wurde mehr gemieden als aufgesucht, seine Frau hatte Schwierigkeiten, eine Dienstmagd zu finden, und seine Kinder mußten in der Schule vieles durchmachen.

Es war ein Jammer um Ezra und seine Familie, sie wurden ausgeschlossen. Jetzt steht er hier im Laden und kauft einen Spaten, einen Satz Hufeisen, eine Holzsäge oder so etwas, prüft alles genau, spricht jedoch nur wenige Worte, und die andern Kunden im Laden schweigen und ziehen sich zurück, solange Ezra bedient wird.

Wie geht es daheim? fragt Pauline.

Dank für die Nachfrage, es geht gut, antwortet er.

Auch Hosea und den Kindern?

Ja, sehr gut. Komm doch einmal zu uns heraus.

Ja, das werde ich tun.

Ein neuer Kunde tritt ein, Ane Maria, keineswegs niedergedrückt, obgleich sie im Gefängnis gesessen hat, etwas faltig um die Augen, aber immer noch schön, halb trotzig, um sich zu behaupten, selbstbewußt und sicher. Was meinte sie denn, sollte man ihr Platz machen? Sie dachten ja nicht daran! Einige Zeit nach ihrer Heimkehr hatte sie versucht, religiös und weltabgewandt zu sein, aber es dauerte nicht lange, da hörte sie wieder auf. Für einen Menschen wie sie paßte es auch viel besser, sich an das Irdische zu halten. War es denn nicht etwa Ane Maria gewesen, die seinerzeit die ganze Aufregung in die Bucht gebracht hatte? Sie hatte kalten und verhärteten Blutes einen Jachtschiffer aus Hardanger sich in Ezras Moor verirren lassen und hatte nicht eher Hilfe geholt, als bis er erstickt war. Sie kam ins Gefängnis, das wohl, aber was weiter? Rief nicht immer noch eine gequälte Seele aus dem Moor heraus und bat darum, in geweihter Erde ruhen zu dürfen? Eine Hexe, ein verruchtes Frauenzimmer! Jahr und Tag waren seitdem vergangen, aber nichts war vergessen, und der arme Ezra und seine Familie mußten bis auf den heutigen Tag noch darunter leiden. Ane Maria hatte gar keinen Grund, selbstbewußt zu sein, dieser Auswurf, der einzige Mensch in der Bucht, der eine Gefängnisstrafe hatte verbüßen müssen, und sie kam nun in den Laden herein und spielte sich auf? Sie war wohl verrückt.

Ich möchte ein halbes Pfund Kaffee, sagte sie.

Pauline kümmert sich nicht darum, sie will erst Ezra zu Ende bedienen. Sie fragt ihren Schwager ein paarmal nach der Familie und erhält Antwort darauf.

Ich möchte nur ein halbes Pfund Kaffee, wiederholt Ane Maria.

Ich habe gehört, antwortet Pauline.

Ja, kann ich es denn nicht bekommen?

Hat es solche Eile? fragt Pauline ärgerlich.

Ane Maria ändert den Ton: Gib es mir doch, sei so gut. Daheim hängt der Topf schon über dem Feuer.

Auf Wiedersehen, sagt Ezra und geht.

Nein, Ane Maria sollte wahrhaftig ihre Nase nicht so hoch tragen, es gab genug Menschen, die ihr einen Dämpfer aufsetzen konnten. Aber sie war eine tüchtige Hausfrau und eine unternehmende Frau für Karolus, der mit den Jahren ein nach innen gewandter und untätiger Mann geworden war. Ane Maria kannte sich auch gut aus mit kleinen Kindern und Geburten und anderen Dingen, die sie sich aus Büchern herausgelesen hatte, obgleich sie selber keine Kinder besaß, – jawohl, in solchen Sachen konnte man Ane Maria fragen, und sie wußte auch Rat. Das mußte man ihr lassen. Aber dabei sollte sie bleiben und nicht höher hinausstreben.

 

In Paulines Laden kommen viele Leute aus der Umgebung, sowohl Kunden, die wirklich etwas kaufen wollen, ein Pfund Grütze oder ein halbes Pfund Schmierseife, als auch Müßiggänger und Tagediebe, die nur kommen, um andere Leute zu treffen und Neuigkeiten zu erfahren. Der schlimmste aller Tagediebe ist wohl Teodor. Er war früher nichts und hat es auch jetzt zu nichts gebracht, ist nur ein Taugenichts, der stundenlang am Ladentisch lehnt, heute noch wie in früheren Zeiten, mit Pauline schwätzt, die beinahe nie eine Antwort gibt, jeden, der hereinkommt, nach Neuigkeiten fragt, nach den Ernteaussichten in der Gegend des andern, nach dem Fischfang. Er fragt wie ein Erwachsener und spuckt manchmal männlich aus, aber er ist kindisch und tölpelhaft, überdies nicht besonders ehrlich, Pauline beobachtet ihn immer heimlich, damit er nicht irgend etwas aus den Fächern erwischt und an sich nimmt. Ein paarmal hatte sie verschiedenes Diebesgut aus seiner Jackentasche hervorgeholt, – übrigens zu Teodors eigener größter Verwunderung, er begriff nicht, wie die Sachen dorthin gekommen waren, sicher hatte sie ihm einer im Spaß zugesteckt.

Teodor hatte sich mit zunehmendem Alter keineswegs zu einem wertvollen und prächtigen Menschen entwickelt; das war auch bei Ragna, seiner Frau, nicht der Fall, sie waren beide die am geringsten angesehenen Menschen in der ganzen Bucht. Aber sie hatten mehrere prächtige Kinder, drei eigenartige Kinder, einen Jungen und zwei Mädchen. Zwar hatten sie in der Zeit des Heranwachsens viel zuwenig zu essen bekommen, und um ihre Kleider war es sehr kläglich bestellt gewesen, aber das hatte ihnen nichts geschadet, sie waren groß und gesund geworden, der Bub war schneidig und hatte kräftige Fäuste, von Kenntnissen war er nicht geplagt, aber er hatte einen hellen Kopf und viel Unternehmungsgeist; die beiden Schwestern waren hübsch und glichen der Mutter, Schönheiten, fehlerfrei wie Vögel und Blumen, alle beide standen schon in Diensten, obgleich sie kaum erwachsen waren. Oh, sie hatten gearbeitet und waren so frühzeitig entwickelt, diese Schwestern, sie gingen als Dienstmädchen in Stellung, die ältere fing bei Ezra und Hosea an, die andere kam gleich nach der Konfirmation auf den Pfarrhof und half dort im Haushalt, sie bekamen mehr zu essen und hatten es besser in der Fremde, sie verdienten ein wenig Geld für Kleider, sie lachten, arbeiteten und waren glücklich.

Und dies waren Teodors und Ragnas Kinder, eine prächtige Jugend, obgleich sie von geringen Eltern stammten und aus einem ärmlichen Heim kamen. Die Eltern waren aber auch stolz auf ihre Kinder, die sich so gut aufführten und es wirklich zu etwas brachten, die Mutter war selbst einmal schön gewesen und war es noch, Teodors arme Frau. O Gott, – freilich waren sie schlechte Menschen, dieser Mann und diese Frau, aber so schlecht waren sie doch nicht, daß man sie als Auswurf betrachten konnte, sie waren schlapp und vom Schicksal unterdrückt, mißhandelt, es ging ihnen schlecht, aber sie wurden nicht gemieden, im Gegenteil. Ragna war immer noch so schön, daß ihr Mann sie behüten mußte. –

Karolus kommt. Er ist schwerfällig und grüblerisch geworden und lebt still zwischen den Nachbarn dahin. Er ist noch ein geachteter Mann, teils weil er einmal Bürgermeister war, und teils weil sein Wohnhaus ja das größte in der Gegend ist und der Weihnachtstanz deshalb jedes Jahr bei ihm abgehalten werden muß. Karolus ist nicht mehr der gleiche wie früher, er hat seine Tüchtigkeit verloren und ist nachlässig geworden, er fährt immer noch auf den Lofotfischfang und ist Anführer seines Bootes wie früher, aber sein Wagemut ist fort, er fürchtet sich auf dem Meer und fühlt sich am wohlsten, wenn sie an Land liegen müssen. Das Leben ist für Karolus wohl in Unordnung geraten, er kennt keinen Ehrgeiz mehr, hat nur noch gerade soviel Arbeitseifer, wie nötig ist, um sich und seine Frau durchzubringen. Weshalb soll er fleißiger sein als notwendig? Er hat keine Kinder, er und Ane Maria bilden die ganze Familie. Bei einem Mann wie Ezra auf der Neusiedlung war das etwas ganz anderes, der war wild versessen auf neues Land und plagte sich von früh bis spät auf seinen Äckern und Wiesen, er hatte aber auch jemand, dem er alles hinterlassen konnte, Kinder im Überfluß, Erben! Nein, Ane Maria hatte in ihrer Jugend keine Kinder und bekam sie auch nicht nach ihrer Rückkehr von dem Aufenthalt in Drontheim. Merkwürdig, sie war geschaffen wie die andern und gut geschaffen, aber trotzdem. Sie war während ihrer Abwesenheit auch nicht zur alten Jungfer abgekühlt, im Gegenteil, sie war aufgelegt wie früher, und ihr Mann hatte ordentlich Mühe, sie sich vom Leib zu halten. Im übrigen aber war Ane Maria eine ausgezeichnete Frau, sie packte oft dort an, wo Karolus versagte, und ließ nichts verfallen. Ohne sie hätte er sich sicherlich daheim hingelegt und wäre nicht einmal auf den Winterfischfang ausgezogen, und womit hätten sie dann die Steuern und Abgaben und die notwendigen Waren aus dem Laden bezahlen sollen? Ja, man darf ruhig sagen, daß Ane Maria ihre Religiosität und Frömmigkeit aus dem Gefängnis nicht so merkwürdig schnell aufgegeben hätte, hätte sie nicht für den Mann und das Haus und alle diese weltlichen Dinge sorgen müssen. –

Karolus macht keinen großen Handel, er kauft ein wenig Schreibpapier. Er tut so, als habe er immer noch amtlich irgend etwas zu tun, obgleich er nicht mehr Bürgermeister ist, sondern nur Schulaufseher, und im übrigen nie hat schreiben können. – Gib mir das steifste Papier, das du hast, sagt er zu Pauline, bei dem dünnen Schleier, den du mir das letztemal gabst, stach ich jedesmal mit der Feder durch! – Er sieht Ragna unter den Kunden und will nach alter Gewohnheit aus der Zeit seines Bürgermeisteramtes freundlich und väterlich gegen die Leute sein, auch gegen die kleine magere Ragna, das war auch eine Art Hoffart bei ihm. Er sagt:

Ist dein Teodor daheim, Ragna?

Ja, Teodor ist daheim. Warum?

Sag ihm doch, daß ich ihn gerne an den Siilstrand Siil oder Sil = Tobiasfisch oder Sandaal (Ammodytes Tobianus). mitnehmen möchte.

Ragna erfreut: Das werde ich ihm sagen. Wann willst du fahren?

So bald wie möglich. Wir brauchen auf nichts zu warten.

Ragna ist dankbar, es war wirklich ein Segen, daß Karolus an den Siilstrand fahren und Teodor mitnehmen wollte. Das bedeutete Fische zu den Kartoffeln, das bedeutete Essen im Haus, gutes Essen. Du weißt doch immer einen Rat für uns, die wir bedürftig sind! sagt sie zu Karolus.

Er wehrt ab, hat jedoch im übrigen nichts dagegen, ein gutes Wort zu hören, so hoffärtig ist er: Na, gar so bedürftig werdet ihr wohl doch nicht mehr sein, du und dein Teodor. Ihr habt doch so prächtige Kinder.

Ja, das haben wir, gibt Ragna zu und möchte gleich eifrig über ihre Kinder weitersprechen. Ja ja, jetzt sind ja nur noch zwei von ihnen hier.

Wieso? fragt Karolus.

Ja, die Johanna ist nämlich mit den Pfarrersleuten nach dem Süden gereist.

So.

Ja, das war eine Sache! Johanna bettelte und weinte und wollte einfach nicht fort von hier, aber die Pfarrersfrau wollte sie um keinen Preis hergeben, schließlich hat sie ihr sogar den Lohn erhöht.

Karolus nickt: Na, so gut hat sich das Kind also herausgemacht. Ja, da siehst du's.

Ah, das tat wohl und war ein großes Glück, solche Worte zu hören, und Ragna fing zu weinen an.

Wo ist denn Roderik?

Er hat weiter unten in der Gemeinde einen Dienstplatz gefunden.

Ein tüchtiger Junge. Er hätte in der Bucht bleiben können. Ich hätte ihn auf meinem Hof brauchen können.

Ja, hättest du ihn denn haben wollen?

Das ist nicht ausgeschlossen. Denn so wie die Dinge bei mir liegen, habe ich ja meine Schreiberei und verschiedene andere Dinge zu tun, und allmählich komme ich auch in das Alter, wo einem die schwere Arbeit nicht mehr so leicht fällt.

Karolus verläßt den Laden und stapft heimwärts, und unterwegs wird er wieder in sich gekehrt. Er denkt darüber nach, was er gesagt hat, und daß er geprahlt und mit falscher Zunge geredet und sich schamlos aufgespielt hat. Das war nicht recht, und er bereute es. Wollte er denn Roderik als Knecht anstellen? Das konnte er sich doch gar nicht leisten, und nicht einmal Ezra mit seinem großen Hof hatte einen Knecht. Das Schreibpapier, das er hier in der Hand trug, war ja gar nicht für ihn selber, Ane Maria hatte ihn gebeten, es zu kaufen, sie schrieb noch dann und wann einen Brief an das Gefängnis in Drontheim. Und was den Siilstrand betrifft, – hatte er doch erst in dem Augenblick an den Siilstrand gedacht, als er Ragna sah und sich in ihren Augen großartig machen wollte. Aber das war nun abgemacht, diese Fahrt mußte unternommen werden.


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