Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVIII

Edevart kam nicht mit auf den Fischfang. Er wäre der Kräftigste unter der Mannschaft gewesen, aber Joakim verlangte, daß er daheim bleibe und Hof und Stall bewache. Man konnte nicht wissen, auf was für Tollheiten die Leute noch verfallen würden.

August sollte seine Unvorsichtigkeit mit einem ernsthaften Rückfall büßen. Seine Idee mit dem Fischfang und das Kopfzerbrechen, das er sich gemacht hatte, um den Widerstand der Männer zu überwinden, taten ihm nichts, das war leichte Arbeit für sein Gehirn. Nicht einmal, daß er Teodor anstellte und mit einem im Namen des Bürgermeisters Joakim Andreassen verfaßten Eiltelegramm fortschickte, kostete ihn Mühe. Nein, was ihn angriff, war seine Begegnung mit der Kälte und der feuchten Luft.

Ja, hab ich's nicht gleich gesagt? murrte Pauline.

Du hast gesagt, und er hat gesagt, und alle haben gesagt, – schweig still, Pauline! knurrte August zurück. Er war verbittert und verärgert über diesen schändlichen Rückfall, er ihn so von Verschiedenem und Wichtigem abhielt, wieder würde nun eine Zeit mit Husten und schlimmen Nächten kommen, und vor allem eine Zeit, in der er sich die notwendigen und von Edevart so geizig gehüteten Tropfen erbetteln mußte. Sei du nur ganz still, Pauline! sagte er. Was meinst du wohl, wie alles abgelaufen wäre, wenn ich nicht zu den Leuten herausgekommen wäre? Du hättest ein Tier nach dem andern aus dem Stall verloren.

Pauline schnaubte: Schließlich haben wir doch wohl noch Lensmänner und Behörden im Lande!

Nein, sagte August müde und gelangweilt von ihrer Rechthaberei. Pauline, du mußt mir jetzt recht oft eine Kanne mit kochend heißem Wasser geben. Das will ich trinken.

Oh, er war zäh, trotzig und zäh, er wollte kochend heißes Wasser trinken und eine ganz große Menge von Erkältung aus dem Körper herausschwitzen.

Er nahm den Plan wegen eines Marktes in der Bucht wiederum auf und besprach ihn mit Edevart. Er versprach sich viel von einer Schießbude und wollte eine Reihe von Salongewehren und Revolvern zum Verleihen anschaffen, damit die jungen Leute lernen konnten, mit Schießwaffen umzugehen. Hätte ich nicht zuerst schießen können, so wäre ich schon oft auf der Stelle umgebracht worden, sagte er.

Edevart nickte.

Man sollte also meinen, ich wüßte Bescheid. Aber nun zu der Schießbude, – wir nehmen eine Krone für die Eintrittskarte und außerdem noch eine Gebühr für die Patronen. Laß sie die Kenntnisse nur bezahlen, die sie erwerben wollen, das haben wir alle gemußt. Ein gutes Karussell brauchen wir auch, das können wir beide bauen, du und ich, ich werde dir die ganze Invention erklären.

Edevart nickte.

Schauen wir einmal, was wir sonst noch brauchen. Seiltanz, – was meinst du dazu?

Ja, sagte Edevart.

Seiltanz. Die Pauline hatte dünne und dicke Taue. Es ist ein Jammer, daß ich nicht selber gelernt habe, auf dem Seil zu tanzen, bei all dem, was ich sonst in der Welt gelernt habe. Aber ich werde es den Pflegesöhnen von Karolus beibringen, die sind gerade groß genug dazu.

Wird man sie dir geben, meinst du? fragte Edevart.

Ob man sie mir geben wird, – wieso?

Nun ja, Ane Maria wird es dir abschlagen. Es sind doch ihre Augensterne.

Ich werde ihnen kein Leid tun.

Sie könnten doch herunterfallen.

Sie fallen nicht. Wir fangen unten auf der Erde an. Im übrigen habe doch ich ihr die Buben verschafft, und es tut ihnen nur gut, etwas zu lernen. Was meinst du zu einer so ausgezeichneten Sache wie Boxen, das man jetzt in England und Amerika treibt? Aber daran ist hier nicht zu denken, so fortgeschritten sind wir noch nicht.

August zweifelte nicht daran, daß sein Markt trotz allem ein großes Erlebnis für die Jugend sein würde. Es fiel ihm noch verschiedenes ein, unter anderem eine Lotterie. Nur ein Affe fehlte ihnen. Über den Handel, die Waren, die auf dem Markt umgesetzt werden sollten, schwieg er still.

Die ganze Zeit lag er da und zählte die Stunden, bis eine Nachricht von der Netzmannschaft kommen könnte. Welchen Weg das Boot wohl genommen hatte, ob längs der Küste in westlicher Richtung oder direkt nach Norden zur Vogelinsel? Er fing an zu schwitzen bei seiner Heißwasserkur, wurde naß und matt, verlor den Appetit und wurde noch magerer, aber er arbeitete mit dem Kopf. Es wird nicht lange dauern, sagte er zu Edevart, dann werden wir etwas von den Männern hören. Der Joakim hat eine glückliche Hand, ich bin froh, daß es mir geglückt ist, ihn zum Fortfahren zu bewegen. Wenn er auch nicht mehr als zwei-, dreitausend Scheffel Heringe einschließt – oder, um nicht zu übertreiben – ich hätte beinahe gesagt, fünfhundert oder ein paar Hundert Scheffel Heringe, so trifft doch auf jeden Mann ein recht beträchtlicher Anteil. Wie viele sind ihrer?

Edevart wußte es nicht.

An welchem Tag sind sie fortgefahren?

Edevart wußte es nicht, er mußte nachdenken.

Ach, du weißt aber auch schon gar nichts!

Edevart saß schwer und wenig überzeugt da, und August hatte Fieber und ärgerte sich über den Kameraden. Er stieß verächtlich die Luft durch die Nase und äußerte sich über ihn: Mit dir ist es schlimmer als mit mir, denn du hast dein Leben verloren. Kannst du mir nun wenigstens sagen, ob wieder jemand im Stall eingebrochen hat?

Nein. Sie zehren wohl noch von ihrem großen Stier und leben herrlich und in Freuden.

In dir ist es finster, Edevart. Warum ist es in dir nicht gerade so hell wie in mir? Demnächst wird es hier Heringe geben und alles miteinander!

Woher weißt du das?

Ja, seht, das war wohl Augusts helles Geheimnis, er erwidert nur, daß er es eben wisse. Hing es vielleicht damit zusammen, daß er so oft nach Windrichtung und Sturm im Atlantischen Ozean gefragt und vielleicht von dieser losen Grundlage seine Überzeugung abgeleitet hatte? Denn eine Überzeugung war es, er erwartete das Wunder, und zwar sehr bald. Nein, für ihn gab es nichts Zufälliges, nichts, das ebensogut auch anders hätte sein können, keine Rede von etwas Schwankendem, von einem Zufall, einem Zwölften oder Zwanzigsten. Für ihn stand es fest. Eine Aufgabe war gegeben, und er hatte sie gelöst. Demnächst wird es hier Heringe geben! sagte er. Gib mir jetzt meine Tropfen!

Edevart entzieht sich, er geht in seine eigene Kammer. August: Hast du nicht gehört? Ich dächte doch, es wären meine Tropfen!

Da kommt ein Boot die Bucht herein, sagt Edevart.

Ein Boot?

Mit drei Mann. Es ist Roderiks Boot.

Da haben wir's! ruft August. Ist es beladen?

Zum Sinken voll!

Ja, da haben wir's! Ich habe es für heute oder morgen erwartet.

Edevart berichtete weiter: Es sieht beinahe so aus, als wäre jemand vom Großnetz dabei. Jetzt gehen Leute zu den Schiffshütten hinunter.

August spricht dicht hinter ihm: Sie haben einen Schwarm eingeschlossen! Was habe ich gesagt?

Edevart drehte sich um, starrte den Kameraden einen Augenblick an, packte ihn dann aber ohne weiteres und trug ihn wieder zum Bett zurück.

August: Ich wollte nur sehen –!

Edevart, indem er zu seinem Fenster zurückgeht: Was fällt dir denn ein, so naß und verschwitzt, wie du bist!

Das geht doch dich nichts an! schreit August plötzlich wütend. Was hast du mit dem Boot zu schaffen? Ich habe doch die Netzmannschaft ausgesandt!

Edevart berichtet ruhig: Jetzt wird es allmählich schwarz von Frauen bei den Schiffshütten. Jetzt geht Ane Maria mit ihren Pflegesöhnen hinunter.

Halt deinen Mund! schreit August wieder. Legt das Boot denn nicht einmal an?

Es hat angelegt. Es sind Karolus und die beiden Postboten.

 

Jawohl, es stellte sich heraus, daß das Boot Heringe brachte, und es herrschte große Freude und Herrlichkeit in der Bucht. Aber es waren keine Heringe von dem großen Fischzug, die das Boot brachte, es waren Heringe, die mit kleinen Netzen gefangen worden waren, – um so besser, feine Netzheringe, Fettheringe, ausgewählte Ware.

Nein, das Großnetz hatte keinen Fang gemacht, hierin irrte August sich, es war der alte Karolus, der diese Bootslast zusammengekauft und damit die Bucht gerettet hatte. Er ging ja wie gewöhnlich mit einer dicken Brieftasche herum und kam in eine Gegend, vier Kirchspiele weiter nördlich, wo sie noch Nahrung aus dem Meer hatten und wo das Geld noch seinen Wert besaß. Hier kaufte er bei sämtlichen Fischern ringsum den Fang des Tages auf und bezahlte schweres Geld dafür. Das war eine Situation, in der der alte Karolus sich wieder großtun konnte, nie war er in strahlenderer Laune gewesen als jetzt. Als die Fischer anfingen, den Preis in die Höhe zu schrauben, sagte Karolus: Hier handelt es sich nicht um den Preis, ich will mein Boot voll bekommen! Und solltet ihr den Karolus in der Bucht noch nicht kennen, so seht ihr ihn jetzt hier! Er zerschmetterte die Fischer, sie sagten Ihr zu ihm und Kapitän zu ihm und machten eine märchenhafte Gestalt aus ihm: Gott steh mir bei, wie reich muß der Mann sein! sagten sie.

Die Verhältnisse besserten sich mit einem Schlag, der Himmel über der Bucht hellte sich auf, Kinder, Frauen und Männer sahen wieder etwas Eßbares, sie kauten Heringe und tranken Wasser, nährten sich, bekamen Kräfte und neues Leben. Als Roderik und sein Vater einige Tage lang gegessen und verdaut hatten, nahmen sie wieder die Postbeförderung von und zur Haltestelle auf, man sah wieder Leute auf dem Wege zur Kirche, nirgends mehr wurde ein Zerstörungswerk verübt. Noch eine merkbare Veränderung: die Menschen richteten den Kopf auf, ja sie fingen wieder an zu lächeln, und die Psalmensingerei beim Bach hörte auf. Die einzige, die noch bei der Verinnerlichung und Gottesfurcht blieb, war Teodors Ragna, sie schien einen dauerhaften Knacks bekommen zu haben. Die Leute schüttelten den Kopf über sie und fanden, daß sie übertrieb.

Natürlich enttäuschte es August tief, daß es nicht ein großer Heringsfang war, der die Bucht gerettet hatte. Was ging mit Joakim vor, daß er keinen Heringsschwarm einschloß? Es gab doch Heringe im Meer, daran fehlte es nicht, sie fanden sie nur nicht. Als er durch Erkundigungen erfahren hatte, wo die Netzmannschaft lag, schickte er einen telegraphischen Befehl, weiter oben im Norden zu suchen, so weit hinauf, wie es nur ging, und dann wieder zurückzukommen. Er äußerte zu Edevart: Nein, siehst du, ich hätte selber mitkommen sollen, aber wenn ich doch hier krank liege –! Aber wie dem nun auch ist, so wäre doch kein Boot mit Heringen in die Bucht hereingekommen, hätte ich nicht das Großnetz mitsamt der Mannschaft ausgesandt. Es ist wirklich sehenswert, wie lange es dauert, bis man wieder gesund wird. Ich will ja nicht klagen, denn das ist unchristlich, aber so etwas habe ich doch noch nicht erlebt. Gib mir jetzt die Tropfen!

Ein paar Tage darauf ereignete sich etwas, was August als eine persönliche Genugtuung betrachtete: Das Postboot kam mit Getreide. Nicht übermäßig viel Getreide, aber immerhin zwölf Säcke, und weitere zwölf Säcke Kartoffeln lagerten noch bei der Haltestelle. Als August diese Nachricht erhielt, wurden seine Augen verwaschen blau, töricht wasserblau vor Freude und Rührung: Da hast du nun die Antwort auf mein Telegramm an den Amtmann, sagte er zu Edevart. Ich wußte, daß das helfen würde!

Was hast du geschrieben? fragte Edevart.

Ich schrieb, daß ich, wenn das nun nichts hülfe, an den König telegraphieren würde. Und ich hätte mich auch nicht gescheut, dies zu tun.

Und jetzt hatte die Bucht Nahrung für alle Münder, es war Getreide aus dem Gultal, ja bis von Toten her, und Kartoffeln von Hedemarken und der Gegend um den Mjössee, das Getreide wurde gemahlen und das Mehl mit Kartoffeln vermischt, um es ausgiebiger zu machen. Das Brot, das aus dieser Mischung gebacken wurde, hatte die unangenehme Eigenschaft, rasch zu schimmeln, aber es hatte einen guten Geschmack, solange es frisch war, es stillte den Hunger besser als Gerstenbrot und ersparte außerdem noch das Fleisch. Nicht daß es daran gefehlt hätte; solange es Heringe gab, gab es auch sozusagen Fleisch, Karolus ging persönlich von Haus zu Haus und erkundigte sich nach den Verhältnissen, und noch lange, ehe wieder Mangel an Heringen eintrat, rüstete er sich reichlich mit Geld aus und zog wieder auf den Heringshandel. Das war ein Vergnügen für ihn.

Ja, wahrhaftig, es wurde noch einmal lustig, in der Bucht zu leben.

Sogar dem kranken Weltumsegler ging es besser und besser, wenn auch langsam. Es ließ sich nicht leugnen, daß es unverschämt lange dauerte, bis er wieder ganz gesund wurde und auf die Beine kam und die Stadt regieren konnte. Jetzt lag er Tag für Tag demütig und ehrbar still da, die sechs Monate, die ihm der Doktor noch als eine Art Hausarrest verordnet hatte, nahmen rasch ab, bald war nur noch soviel davon übrig, daß er unter anderen Umständen darüber hinweggesprungen wäre, aber hier lag er nun, und es bestanden gar keine Anzeichen dafür, daß er ausschweifen würde. Allerdings fingen seine Gedanken allmählich an, sich wieder in die Höhe zu schwingen, aber er redete immer noch gern von religiösen Dingen und blieb bei seiner Behauptung, daß er ein großer Sünder sei, ja, eines Tages gestand es sogar einige Morde da und dort in der Welt ein. Einige Morde, sagte er. Edevart zuckte zusammen: Du hast doch gesagt, daß du niemand umgebracht hättest? August: Jawohl, ist das so merkwürdig? Ich sagte das doch nur, weil ich Angst hatte. Ich wagte es nicht, ich war zu krank und dem Tod zu nahe. Warum solltest du es wissen? Du warst doch so viel besser als ich, du hattest nichts Schlimmes begangen. Das, was ich dir erzählt habe, war mehr als genug. Jetzt ist es eine andere Sache, jetzt, mitten am hellichten Tag glaube ich nicht, daß es auf den Tod zugeht, und da bin ich frecher. Im übrigen, – warum findest du es so schrecklich, daß man jemand umbringt? Ist es denn besser, wenn du selber umgebracht wirst?

Solche Reden konnten ja darauf schließen lassen, daß seine religiöse Aufrichtigkeit allmählich erlahmte, auch sein ungeheures Entsetzen vor dem Tod nahm ab, und er dachte nicht mehr mit Schauder über die jenseitigen Verhältnisse mit der siebenfältigen Hitze nach.

Aber außerhalb der Gefahr fühlte er sich nicht.

Hast du etwas von Mrs. Andrews gehört? fragte er Edevart.

Nein, antwortet Edevart.

Wäre es nicht doch ganz gut für dich, sie hier zu haben?

Sie hier zu haben? Sie ist doch in Amerika.

Ich begreife nicht, wie du ohne sie zurechtkommen kannst, sagte August.

Wieso?

Nein, mehr sage ich nicht. Ein kranker Mann sollte nicht einmal soviel sagen, Gott verzeih mir meine Sünden!

Er liegt da und betrachtet seine Hände, er sagt nichts zu ihnen, aber er streichelt sie freundlich und schlingt die Finger ineinander. Es ist wirklich gemein, wie lange es dauert, bis ich wieder auf die Beine komme! sagt er zum zwanzigsten Male. Eigentlich möchte ich wissen, was es für eine Wirkung hätte, wenn ich einmal beten würde. Was meinst du?

Beten?

Es fiel mir jetzt eben ein, während ich die Finger ineinander verschlang. Aber das hat wohl gar keinen Wert? Nein, bestätigt Edevart.

Nein, das einzige, was hilft und was einigermaßen Sinn hat, wäre, zu einem katholischen Pfarrer zu gehen und sich für alle alten Sünden Absolution geben zu lassen und ein neues Leben anzufangen. Das hat einen Sinn. Sie haben eine ungeheure Macht bei Gott, diese Burschen, das habe ich selber gesehen. So, also du entbehrst Mrs. Andrews gar nicht? Großartig, wie es doch in manchen Leuten innerlich ausschaut! Wenn ich das wäre!

Edevart sagt nichts.

Es ärgert August, daß er keine Antwort bekommt, sein Leichtsinn ist wohl erwacht, und er fühlt sich dazu aufgelegt, über gefährlichere Freuden zu sprechen. Dich soll noch einer verstehen, Edevart! ruft er aus. Du bist ja schon gar kein Mensch mehr, du stirbst sicher bald, nimm mir's nicht übel, daß ich das sage! Was warst du früher für ein toller Kerl, und jetzt bist du rein wie ein Schaf oder wie eine beliebige Leiche! Als auch dieser Ausspruch Edevart nicht dazu brachte, den Mund zu öffnen, ließ August eine Bemerkung fallen, als könnte er schon längst gesund sein, wenn der Kamerad ein Mann gewesen wäre, mit dem man reden könnte. Aber jetzt dürfe Edevart ruhig gehen, er brauche ihn nicht mehr –

Keine Rede davon, Edevart ging nicht. Er war schwerfällig und treu, er hatte mit Pauline darüber geredet und hatte mit ihr beschlossen, auszuhalten. Hatten sie etwa nicht Erfahrung darin, daß der Kranke einfach aus dem Bett aufstehen und in Wind und Wetter hinausgehen konnte, ohne gesund genug dazu zu sein? Außerdem mußte Edevart den närrischen Patienten dauernd beobachten, damit er nicht auf eigene Faust eine größere Menge von den Tropfen nahm. Pauline sagte: Hat man je so einen dummen Kerl gesehen, er glaubt, er könnte es sich leisten, einfach zu tun, was er will! Es zeigte sich, daß Pauline ein Interesse daran hatte, August zu beruhigen, ihn zu zähmen, gleichviel, welche Absicht sie damit verfolgte.

Sie ging zu ihm und sagte: Wie geht es dir? Und hier ist nun ein neuer Brief.

Aus dem Ausland?

Nein, wieder von der Zementfabrik, soviel ich sehe.

Ja, leg ihn dort hin. Wir haben den Zement bekommen.

Sie werden wohl ihr Geld haben wollen.

Geld? sagte August und sah zufrieden aus. Mach ihn auf und sieh nach, ob es wirklich das ist. So, also sie wollen Geld. Gib mir meine Brieftasche, Edevart!

Er erhielt die Brieftasche und fing an, in vielerlei Papieren und Prospekten mit vielen Farben und großen Zahlen zu blättern. Was grinst du denn? fragte er Pauline.

Ja, warum meinst du wohl? gab sie die Frage zurück.

August: Wenn nun diese Zementfabrik gescheit genug wäre, sich auf ausländisches Geld zu verstehen, so brauchte ich ihr ja nur einen einzigen dieser Scheine zu schicken und hätte dann sogar noch etwas gut bei ihr. Aber wie die Dinge nun liegen, – mußt du den Zement bezahlen, Pauline. Wieviel macht es? Schau einmal nach, wieviel es macht. So, schlimmer ist es nicht? Ja, bezahle die Rechnung.

Pauline sträubte sich nicht und machte sich nicht kostbar, sie könne den Zement gut bezahlen, sagte sie, aber sie mache darauf aufmerksam, daß dann wohl sehr wenig von seinen Aktien übrigbleiben würde.

Was für Zeug, – Aktien?

Seine Aktien von der Bank.

Da lächelte August zu so viel Unschuld, und er sah sie innig an, als sei sie seine Braut.

Pauline erklärend: Es ist doch eine große Rechnung.

Es ist aber auch eine große Menge Zement, erwiderte August darauf.

Ja, gab Pauline zu. Aber wenn du den ganzen Zement bezahlen willst, so bleibt dir nur wenig oder nichts von deinen Aktien übrig. Das ist es, was ich meine.

August: Aber, Gott steh mir bei, kleine Pauline, ich habe doch fünftausend Kronen für die Fabrik einbezahlt.

Ja, du hast fünftausend Kronen einbezahlt. Und die sind da.

Fünftausend Kronen, ehrliches und redliches Geld von dem Großnetzbesitzer Ottesen für die Heringsmehlfabrik! donnerte August.

Ja, sagt Pauline. Aber siehst du, August, das war eine Einzahlung, und ich gebe nichts von den Einzahlungen her.

August sieht sie nicht mehr mit den gleichen Augen an, er begreift sie nicht. Ihre seltsame Erklärung ist ihm ein Rätsel. So, du gibst nichts von den Einzahlungen her? fragt er nachsichtig.

Nein, antwortet sie fest. Was die Leute in die Bank einbezahlt haben, sollen sie wiederbekommen und auch nicht einen Schilling daran verlieren.

Hahaha! lachte August. Das ist doch das Merkwürdigste, was ich je gehört habe! Es ist vielleicht besser, vom Aktienkapital auszubezahlen, um nichts zu verlieren?

Ja, erwiderte Pauline und nickte nur.

Ja ja, meinte August müde. Dann bezahle eben die Rechnung von meinen Aktien.

Dann bleibt dir aber nichts mehr übrig, August! warnt Pauline beinahe mitfühlend.

August stutzt: Da hast du dich wohl verrechnet?

Ich glaube nicht. Aber du kannst ja kommen und selber einmal nachrechnen.

Ich habe fünfzig Aktien, soviel ich mich erinnere? fragt er.

Pauline: Du hast mehr, du hast sechzig Aktien, fünfzig, die zuerst auf Bruder Edevarts Namen standen, und außerdem zehn, die du selber gezeichnet hast.

Richtig, ich vergaß meine eigenen zehn. Siehst du, Paulinchen, das macht im ganzen sechstausend Kronen. Sollte ich in so kurzer Zeit so viel ausgegeben haben?

Es sieht so aus, sagt Pauline. Du erinnerst dich wohl selber, daß du ziemlich weitherzig mit dem Geld warst. Ich weiß von mindestens drei verschiedenen Leuten, denen du zu einem Haus verholfen hast, vielleicht sind es sogar noch mehr.

Nichts als Lüge! unterbricht August sie.

Dem Roderik, dem Nikolai und dem Mann von Flaten, ich weiß nicht, wie er heißt.

Das ist ja nicht der Rede wert, sagt August, etliche hundert Kronen. Das macht im ganzen keine tausend Kronen.

Pauline fährt fort: Du machst teure Reisen nach dem Süden.

August lacht: Was noch?

Du kaufst Stiere –

Stiere? Nein, jetzt übertreibst du, Pauline! Einen einzigen Stier! meint August verächtlich. Du hättest nur all die Hunderttausende von Ochsen und Kühen sehen sollen, die ich in einem Land, das Peru genannt wird, an der Hand hatte! Und einmal war ich Chef und Kapitän über zwei Millionen Stiere. Das war in Australien. Da ging ich nicht einen Schritt zu Fuß, sondern ritt immer, hatte zehn Pferde für meinen eigenen Bedarf, Silber am Sattel –

Schweig still! sagt Pauline.

Stillschweigen? Du kommst daher und erzählst mir etwas von einem einzigen Stier!

Nun ja, für dich ist das freilich nicht viel! gibt sie spöttisch zu. Aber eins kommt zum andern! Und als letztes ist hier etwas, was noch schlimmer ist als alles miteinander; weißt du, was ich meine?

Nein, entgegnet August äußerst munter. Vielleicht habe ich zuviel Rosinen in deinem Laden gekauft?

Pauline ernsthaft: Nein, aber du hast für so viele schlechte Anleihen in der Bank gebürgt.

August denkt nach, runzelt die Stirn und denkt nach. So, sagt er Ja, das ist leicht möglich, daran habe ich nicht gedacht. Soll ich nun bezahlen?

Was meinst du selber? Du bist dafür verantwortlich –

August denkt noch mehr nach, wird finster, leuchtet dann aber wieder auf und sagt: Ich pfeife auf die ganze Verantwortung, Pauline!

Wenn aus dem Pfeifen nur nicht Tränen werden! warnt sie.

Tränen, – bei mir? Du bist wohl nicht recht bei Trost!

 

Je mehr Augusts Genesung fortschritt, desto unmöglicher wurde es, ihn im Bett zu halten, sein Tätigkeitsdrang ließ ihm keine Ruhe, er setzte es gewaltsam durch, sich anziehen und außerhalb des Bettes bleiben zu dürfen, obgleich sein Zimmer undicht war und es durch Tür und Wände hereinzog. Er bekam dann Schnupfen und fluchte unreligiös über seine neue Krankheit, aber er hörte deshalb doch nicht auf, sich mit dem einen oder anderen Plan zu beschäftigen. Die Apotheke und der Markt in der Bucht wurden jetzt auf später verschoben, die Fabrik lag näher. Er wollte Edevarts und Paulines Meinung darüber hören.

Nein, Edevart erhob keinen Einwand gegen die Fabrik. Aber der Zement lag bei der Haltestelle, und wie sollte man ihn herschaffen, ohne das größte Boot aus der Bucht, ohne das Netzboot?

Kleinigkeit für August: er wollte die Netzmannschaft sofort von Senjen zurückrufen.

Pauline ärgerlich: Ja, du bist mir der Rechte, August, du meinst wohl, du kannst die Netzmannschaft nur so einfach in der Welt herumschicken? Gerade als hätten die Männer überhaupt nichts zu sagen.

Das haben sie auch nicht, antwortete August. Sie sind mit meinem Netzgerät unterwegs.

Haben sie es nicht vor langer Zeit gekauft?

Doch. Aber sie haben bis heute noch nicht einen roten Heller dafür bezahlt.

Na, sagte Pauline geschlagen. Es war wirklich verflixt schwer, diesen Burschen, diesen närrischen Kerl kleinzukriegen, er wußte immer einen Ausweg, wohin er sich auch drehte. Zwar war der große Bruder da, aber er stand nur dabei und hörte zu, wie sie geschlagen wurde, Joakim war fort, sie selber wurde mit diesem Schwätzer nicht fertig. Wie wäre es, wenn sie Ezra einmal auf ihre Seite bekäme? Oh, Ezra war ein Teufelskerl, ein Wunder, er konnte den ganzen Schwätzer zu einer Schnur zusammendrehen, sie glaubte es förmlich vor sich zu sehen –

Sie wollte Zeit gewinnen und sagte: Das ist nun gleichgültig, aber jedenfalls solltest du mit der Fabrik so lange warten, bis du wieder einigermaßen auf den Beinen bist.

Das will ich auch, antwortete er. Aber es ist noch viel zu tun, ehe wir mit dem Bauen anfangen können. Edevart, du mußt jetzt den Teodor suchen, damit er schnell zwei Telegramme für mich fortbringt: das eine geht an die Netzmannschaft, daß sie sofort heimkommen soll, und das andere ist eine Bestellung auf Verschalungsmaterial, wie wir es nennen! Er sah sich um, geschwollen von Fachkenntnissen: Du glaubst wohl nicht, daß ich meine Sache verstehe, Pauline?

Pauline meinte mürrisch, daß sie sich nicht die Mühe nehme, darüber nachzudenken, ob er seine Sache verstehe oder nicht. Er solle sich doch nicht so viel einbilden! Aber sie gäbe ihm den Rat, etwas sachte zu tun. Ob er denn Geld hätte, um die Fabrik zu bauen?

Geld wie Heu! antwortete er. Zunächst einmal Fünftausend in der Bank, und später sollten Aktien für die Fabrik gezeichnet werden. Die Bank würde zeichnen, die Gemeinde würde zeichnen, er würde eine Fahrt nach dem Süden machen und versuchen, ob nicht der Bezirk mittun wollte, er selber wollte eine größere Anzahl von Aktien übernehmen –

Schweig still, August! Es ist ja gut, wenn man einen mächtigen Glauben hat, aber von denen, die du jetzt aufzählst, wird nicht ein einziger eine Aktie für deine Fabrik zeichnen.

Hör doch nur zu, Edevart, nicht einmal ich will Aktien zeichnen!

Doch, du willst wohl, sagt Pauline darauf. Aber du kannst nicht.

Konnte ihn nicht einmal so ein ernsthafter Schlag auf den Kopf zum Nachdenken bringen? Woher doch! Er hatte einen Schlag aufs Ohr bekommen, so daß ihm der Kopf ein wenig schief hing, er knirschte deshalb nicht mit den Zähnen, aber er sagte mit besonderer Freundlichkeit: Mir ist doch so, Pauline, als ob du nicht darüber nachdenken wolltest, was ich kann oder was ich nicht kann?

Verbittert versuchte sie ihm noch einmal eins draufzugeben: sie setzte ein großes Fragezeichen hinter die Fünftausend; konnte er über sie verfügen? Nein, mein lieber August, das war nicht sicher. Das hing davon ab, wieviel Bankschulden von anderen Leuten er unter Umständen einlösen mußte. Tu sachte, August!

Nun wohl, aber dieser Schlag auf das andere Ohr hatte nur den Erfolg, daß er den Kopf jetzt keineswegs mehr schief hängen ließ, im Gegenteil, er trug ihn wieder ganz gerade. Sein Gesicht leuchtete von Geistesgegenwart, und er sagte sorglos: Gut! Aber dann müssen Bürgermeister Joakim und Karolus und die andern mir wohl einmal mein Netzgerät bezahlen. Dann haben wir ja wieder Geld!

Pauline rief: Willst du denn alles, was du verdienst, bis auf den letzten Heller aufbrauchen und nichts für dich selber behalten? Bist du denn ganz verrückt?

Ich mache mir nichts aus Geld, das in der Truhe liegt, sagte er.

So viel solltest du wenigstens behalten, daß du ein christliches Begräbnis bekommst.

August ist in wenigen Tagen einigermaßen gesund und im gleichen Maße weltlich und frech geworden, er fragt den Teufel nach dem Christentum, tut großartig und erwidert: Ich lasse mich nicht begraben, ich will verbrannt werden.

Pauline schnappt nach Luft. Sie hat durch Bruder Joakim aus der Zeitung von Leichenverbrennung und vielen anderen Gottlosigkeiten gehört, sie schauderte dabei und vermochte nicht an die Menschen zu denken, die ihre unsterbliche Seele so fortspekulierten.

Das verstehst du nicht, sagte August. Ich kenne das von Indien her, da verbrennen wir unsere Toten und werden genau so selig wie irgendein Buchtbewohner.

Pauline wendet sich an den großen Bruder: Ist das nun nicht eine Schmach und eine Sünde, solchen Reden zuzuhören? Gerade als wenn er aus Indien wäre!

Das bin ich auch, sagte August beharrlich. Ich bin ebensoviel von dort wie von hier, ich bin von allen Orten auf der Erdkruste und will es auch bleiben. Was nun Indien betrifft, so bin ich auch dort gewesen und bin gut bekannt mit dem Großmogul und all seinen Prinzessinnen, hab keine Sorge. Es stehen sogar noch zehn Koffer und Kisten von mir im Palast – wenn es nicht sechzehn sind –, und die Schlüssel habe ich.

Schweig still, August! unterbricht sie ihn verzweifelt. Und sie weint fast vor Wut und Hilflosigkeit: Bist du überhaupt noch ein Mensch, daß du so lügen kannst? Ja, das muß ich dich wirklich fragen. Oder bist du ein böser Geist, der in eine Schweineherde fuhr, wie wir lesen können? Aber nun will ich, so wahr ich hier stehe, jedem sein Geld ausbezahlen, der etwas für seine Aktien haben will, darauf kannst du dich verlassen! Und wenn ich den letzten Mann ausbezahlt habe, dann gibt es keine Aktien mehr und dann gibt es keine Bank mehr. Verstehst du: keine Bank mehr. Ich werde dir dein närrisches Maul schon zubinden und dir heimleuchten für das ganze Narrenspiel, das du mit uns treibst. Dann kannst du meinetwegen hingehen und auf Gemeindekosten leben, das kümmert mich nicht, – oh, du wirst sicher noch einmal auf Gemeindekosten leben müssen, das sag ich dir, aber ich werde darüber keine Träne vergießen, ich denke ja nicht daran, bilde dir nur ja nichts ein –

Pauline lief hinaus. Wie aufgeregt und töricht war sie doch, ganz außer sich, und wild im Gesicht. Die Tür ließ sie hinter sich weit offen.

Sie ist verrückt, sagte August. Kurze Zeit darauf bat er Edevart, hinauszugehen, um zu sehen und nachzuschauen, damit ihr nichts zustoße.


 << zurück weiter >>