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XI

August ging wiederum zu Ezra und Hosea auf die Neusiedlung.

Es sei ein Großnetzbesitzer gekommen, der sich in der Bucht ankaufen wolle, sagte er. Der Mann sei der gleiche, der den größten der letzten Fischzüge draußen gemacht habe, also ein Mensch, wie man ihn gerne als Mitglied der Gemeinde sähe. Er heiße Ottesen.

So, sagte Ezra gleichgültig, Ottesen.

Ja. Und nun wäre die Sache die, daß er gerne ein kleines Stück von Ezras Moor kaufen wolle, um dort zu bauen.

Ezra hatte nur ein schiefes Lächeln für diese Unmöglichkeit.

Ja, sagte August vollkommen vernünftig, ich begreife wohl, daß dies das Schlimmste ist, was ich dir sagen kann, aber –

Ja, meinte Ezra ebenfalls. Und wärst nicht du es, der das sagt, so wüßte ich wohl, was ich mit dir anfangen wollte.

Na, du bist also ganz schwachsinnig geworden!

Ihr sollt nicht anfangen zu raufen, warf Hosea lachend dazwischen.

August: Ist es nicht großartig mit manchen Idioten? Da kommen nun Leute aus anderen Distrikten und Landesteilen und wollen sich hier niederlassen, aber sie können kein Stück Land als Bauplatz bekommen. Karolus ist der einzige, der sich auf seinen Vorteil verstanden hat, er zahlte gestern Siebentausend gegen Zinsen ein, außer den Fünftausend, die er schon vorher auf der Bank liegen hatte.

Zwölftausend! brach Hosea aus.

Ja, aber er hat seinen ganzen Grund verkauft, entgegnete Ezra trocken.

Aber er hat Zwölftausend! rief August. Verstehst du, was ich sage? Soll ich es dir vorbuchstabieren?

Ezra unverändert ruhig und kalt: Ich möchte nicht mit ihm tauschen.

August schüttelte hoffnungslos den Kopf: Es hilft nichts, du hast weniger Verstand als ein Kind. Wäre es nicht ein Jammer um die ganze Bucht, so würde ich in dieser Sache nicht einmal den kleinen Finger rühren, denn es hilft nichts. Ich habe ein Postamt errichtet, ich habe eine Bank gegründet, ich habe einige Häuser gebaut, die sich ansehen lassen können, ich habe die Bucht zu einem großen Ort und zu einer kleinen Stadt gemacht, bald werden wir eine Heringsmehlfabrik bauen und außerdem ein Bankgebäude und ein Gemeindehaus, – alles was du dir nur denken kannst. Aber gewisse Leute greift ja nichts an!

Was wollt ihr mit der Bank? fragte Ezra unbeirrt.

Hör einer her! In diese Bank wollen wir Geld einzahlen und es wieder ausleihen und dadurch aneinander verdienen, auf der ganzen Welt wird das nicht anders gemacht, da muß es doch wohl richtig sein. Aber wir sollen das ja nicht tun, findest du, wir sollen nicht der Zeit folgen und sollen keinen Umsatz und keine Industrie haben und sollen Norwegen keinen Kredit in der Welt draußen verschaffen! Und wenn dann das Land eine Anleihe machen will? Dummes Geschwätz, Blödsinn! Sag mir doch nur eines: Was fängst du mit deinem Geld an, Ezra, legst du dich damit zu Bett?

Haha, lachte Ezra verächtlich, es sind ja nicht gerade Zwölftausend!

Nein. Und das ist deine eigene Schuld.

Nein, so großartig ist die Summe nicht. Ezra blickt auf und sagt: Ich glaube, es liegt dort oben irgendwo auf dem Regal, in Packpapier eingewickelt.

Schön. Aber ist es denn nicht besser, es auf der Bank einzuzahlen, und Zinsen dafür zu bekommen?

Nein, August, davon verstehst du nichts. Du verstehst nur etwas von großen Dingen und Betrieben und Silberminen und Fabriken. Die paar Schillinge, die ich habe, habe ich für die Steuer zusammengespart; wenn ich die bezahlt habe, bin ich das Geld wieder los.

Schließlich verstehe ich mich doch nicht nur auf Silberminen und Fabriken, sagte August gekränkt. Wenn ich mich nicht falsch erinnere, war ich mit dabei, als dein Moor entwässert wurde, und habe dir zu deiner Neusiedlung verholfen.

Hosea: Ja, das ist wirklich wahr!

Wozu kommen sie hierher in die Bucht, alle diese Menschen? fragte Ezra ohne Übergang. Können sie denn nicht daheim bleiben?

August: Ja, wir sollten sie wohl wieder zurückjagen? Aber dann würde die Bucht sich ja nicht vergrößern. Hat man so etwas schon gehört! Hat nicht jeder Mensch in der Welt sein Heim und sein Haus und seinen Landbesitz, wo er sein kann? Sie kommen doch hierher, weil sie hier alljährlich bestimmt auf Heringsschwärme rechnen können, sie bauen und siedeln sich hier an und verdoppeln die Einwohnerzahl. Für dich bedeutet das wohl nichts? Aber es hat dennoch seine große Wirkung: du kannst dadurch an mehr Menschen Milch und Butter und Käse und Fleisch verkaufen, es gibt ein Gereiße um deine Erzeugnisse, der eine überbietet den anderen, und du bekommst immer mehr und mehr Geld dafür –

Aber woher sollen sie denn immer mehr und mehr Geld nehmen, die Leute, die meine Erzeugnisse brauchen? Da müssen sie doch nur immer mehr und mehr von einem anderen bekommen, sagte Ezra nachdenklich, und dann muß ich mehr und mehr für das geben, was ich wiederum brauche. So ist es und nicht anders. Aber wird dadurch nicht einfach alles mehr in die Höhe getrieben?

Ja, da kann ich nun nicht widersprechen, erwiderte August ein wenig betroffen. Aber schließlich geht dich das doch nichts an, wenn nur du zu deinem Geld kommst! August war sichtlich selber nicht mit seiner Antwort zufrieden, er lachte verlegen, sah zu Hosea hinüber. Dann brach er ab: Aber es ist, wie ich sage, da hilft alles Reden nichts! Wie geht es dir und den Kindern? fragte er Hosea.

Ja, ich danke dir, gab sie zur Antwort. Man lebt eben so dahin.

Bei dir ist ja schon wieder eins unterwegs, soviel ich sehe, wie viele sind es jetzt?

Das wage ich gar nicht zu sagen, meinte sie lachend. Er ist ein Troll!

Plötzlich sagt Ezra sehr ernsthaft: Hier gibt es nicht genug zu leben für so viele Menschen, August!

August stutzte bei seinem Ton und sagte: So?

Nein. Es gibt nicht einen Menschen auf der ganzen Welt, der von Banken und Industrie lebt. Nicht einen einzigen Menschen auf der Welt.

So. Wovon leben sie dann?

Von drei Dingen und nichts weiter, erwiderte Ezra: von dem Getreide auf dem Acker, von den Fischen im Meer und von den Tieren und Vögeln im Wald. Von diesen drei Dingen. Ich habe darüber nachgedacht.

Es gibt immerhin eine ganze Reihe von Menschen, die von Geld leben –

Nein, sagte Ezra, nicht eine Seele!

Schweigen.

August: Hm! Was webst du denn da, Hosea, ich sehe, du haspelst Garn?

Nichts besonders Feines, nur Stoff für Unterwäsche.

Hast du denn Zeit zum Weben?

Ach ja, dann und wann, antwortete Hosea. Aber ich stelle ja auch hauptsächlich die kleinen Mädchen dazu an.

Es müßte doch bei deiner Schwester im Kramladen genug Stoffe und Unterwäsche geben.

Nein, das ist nichts für uns. Das ist zu fein und zu weich. Zuviel Baumwolle.

Wenn alle so dächten, würde Pauline nichts verkaufen und kein Geld sparen können.

Ezra hat wie gewöhnlich dagesessen und gegrübelt, er ist wohl seinem eigenen Gedankengang nachgegangen und hat den anderen nicht zugehört, jetzt schüttelt er den Kopf und wiederholt: Nein, hier ist kein Lebensunterhalt für so viele fremde Menschen, uns fehlt das Hinterland.

August gereizt: Du mußt es ja wissen, Ezra! Aber solange uns der Herrgott Heringsschwärme schickt, solange brauchst du dir keine Sorgen zu machen wegen des Hinterlandes und wegen der Nahrungsmittel in der Bucht. Und jetzt will ich dir eines sagen, mein lieber Ezra, du bist einer von denen, die die ganze Zeit mit sich selber hadern und die ganz einseitig schuften und arbeiten und keinen Rat annehmen wollen. Du wirst nur ganz verblendet und einsam, du hast keinen Menschen in der ganzen Bucht, der zu dir hält.

Ich arbeite an meinem Hof, erwiderte Ezra. Bisher ist es noch nicht abwärts mit uns gegangen, es geht aufwärts. Er lächelte und fuhr fort: Für jede neue Kuh ein neues Kind. Schließlich werden es wohl viele Kühe sein, denn Hosea läßt nicht locker.

Hosea ging nicht auf den Scherz ein, sie seufzte und sagte: Ja, wir sind einsam. Die Nachbarn mögen uns nicht.

Das tut nichts, tröstete Ezra.

Sie glauben, wir bekommen Hilfe von den Unterirdischen.

Ja, das glauben sie, und in diesem Punkt müssen sie es eben halten, wie sie wollen. Wo wird uns denn geholfen? Sowohl du wie ich, Hosea, wir arbeiten, was wir nur können, wir haben unsern Hof, und es gelingt uns von Jahr zu Jahr immer noch, ihn beisammen zu halten, wir schulden niemand etwas, und wir säen jedes zweite Jahr einen neuen kleinen Acker an. Das ist nicht zuwenig. Die Kinder sind jetzt groß, und die Kleinen wachsen heran, der Älteste kommt jetzt bald von Drontheim zurück und wird uns helfen. Es war einmal ein alter Mann hier in der Bucht, der Martinus hieß, – ja, du erinnerst dich seiner wohl, August? Er lehrte mich, mit meinem Los zufrieden zu sein –

Das war alles nur Gerede und Geschwätz, nicht ein Wort von Umsatz und Verkehr, August wand sich und fragte: Du willst also dem Ottesen keinen Bauplatz verkaufen, wenn ich dich recht verstehe?

Nein, erwidert Ezra.

Du bekämst ein schönes Stück Geld dafür.

Hosea unterbricht ihn: Ihr sollt jetzt nicht mehr von dieser Sache reden, es kommt doch nichts weiter heraus als Unverträglichkeit.

August hartnäckig: Ich sage nur, daß er viel Geld bekäme.

Ja, meint Ezra darauf, aber zunächst einmal habe ich genug für Steuern. Und wir gehören nicht zu den Leuten, die so viel neumodisches Zeug aus dem Laden brauchen.

Nein, das soll Gott wissen! ruft August aus. Die Zeit und die neuen Moden und der Fortschritt, das hat alles nichts mit dir zu tun. Du wirst vielleicht nicht einmal unser Heringsmehl kaufen, das wir fabrizieren werden?

Doch, das kann gut sein, sagt Ezra. Wenn es besser und billiger ist als das Verfüttern von Fischen in unverarbeitetem Zustand. So wie ich es jetzt mache.

August schloß mit einer unzufriedenen Äußerung über die Denkart und die kleinliche Gesinnung bei gewissen Leuten: Es sei eine Schande, daß so ein angesehener Mann wie der Großnetzbesitzer Ottesen keinen Bauplatz bekommen könne, August könne das nicht auf sich sitzen lassen, lieber wolle er sein eigenes Wiesengrundstück hergeben. Er habe nun also diese Wiese, sie sei zu etwas sehr Wichtigem und Nützlichem für die Bucht ausersehen gewesen, er habe sie pflügen und eggen lassen, um etwas anzusäen –

Was willst du säen? fragte Ezra.

– aber nun müsse er also einen Bauplatz daraus machen, schloß August.

 

Merkwürdig, – der seltsame Fall trat ein, daß August von einem leisen Zweifel befallen wurde: sollte wirklich etwas Wahres daran sein, daß zu viele Menschen in die Bucht kamen? Er dachte darüber nach und geriet in eine scheußliche Laune; Ezras Dummheiten regten ihn auf, sollte es wirklich nicht möglich sein, von Bank und Industrie und Fortschritt zu leben? Aber darüber waren sich doch alle einig, so weit er auf dem Erdball herumgekommen war. Sollte die Bank nicht etwa einen Geldschrank und ein Gebäude haben? Das war doch eines der allerersten Dinge für eine Bank. Das heißt, das allererste war ja der Bauplatz, – wo war das Grundstück? Voller Verbitterung mußte er sich wieder mit diesem Gedanken beschäftigen, der ihn in letzter Zeit gequält hatte, er kannte keinen weiteren Bauplatz mehr als den, den er selbst an der Hand hatte. Selbstverständlich war auch dies wieder eine Übertreibung, und er knirschte mit den Zähnen über seine Neigung, zuviel zu sagen, es gab wirklich noch einen Streifen Land neben der Scheune von Karolus. Aber war das ein passender Bauplatz für eine Bank? Und selbst wenn er die Scheune niederreißen ließ, weil Karolus ja jetzt keine Scheune mehr brauchte, so blieb der Bauplatz trotzdem noch unmöglich, weil er sich in einer ganz ungeziemenden Nähe der Nebengebäude befand. Ohne Übergang geriet er nun in Gedanken über das Gemeindehaus; wo sollte das errichtet werden? Auch hier meldete sich wieder der gleiche Mangel an Bauplätzen. Zum Teufel, sobald er ein paar hundert Meter aus der Ortschaft hinausging, gab es massenweise Grundstücke, aber schließlich sollte ein Gemeindehaus denn doch in der Bucht selber stehen und stattlich wirken, mit dem Turm auf dem einen Giebel, wie er sich's selber ausgedacht hatte. August hatte Schwierigkeiten, – nicht daß er ratlos gewesen wäre, er hatte schon größere Schwierigkeiten überwunden, er würde auch hier einen Rat finden, wo kein anderer mehr einen Ausweg sah, nur keine Angst! Im Augenblick aber verwünschte er innerlich alles, die Verhältnisse und die Menschen, es würde wohl doch noch so kommen, daß die Bucht, mit der er so Großes vorgehabt hatte, nur ein kümmerliches Nest unter den Städten sein würde, mit höchstens fünfhundert Menschen, – was sag ich, hundert Menschen, fünfzig Menschen, fünfzig Idioten, Stumpfböcken und armen Teufeln. Der Gemeinderat versammelte sich in der Stube des Bürgermeisters und beschloß wichtige Dinge in einem privaten Ofenwinkel. Pfui Teufel! Und wenn nun die Bank den Geldschrank bekam, den er telegraphisch bestellt hatte, so war kein Haus dafür da –

Ein Haus mußte her! Er würde sich weiß Gott nicht hinsetzen und darüber wachen, daß die Leute hier ihre Nachtruhe behielten und sich im übrigen nicht rührten ...

Als er in den Kramladen trat, stand Ane Maria mit ein paar anderen Kunden beisammen. Sie waren in eifriger Unterhaltung, und Ane Maria führte das Wort. Gut, daß du kommst, August, sagte sie, da kann ich dich um Hilfe bitten!

August, der seine schlechte Laune noch nicht verloren hatte, erwiderte kurz: Ich kann nicht allen helfen. Was willst du?

Doch, sagte sie, er könne allen helfen, und sie könnten nichts ohne ihn tun. Aber nun solle er hören, worüber sie gerade gesprochen hätten: sie habe doch keine Kinder, und nun sei sie so hoffärtig geworden, daß sie zwei arme Kinder als ihre eigenen annehmen wolle. Das sei es, was sie vorhabe.

So –?

Ja. Und was August dazu meine, und wen er vorschlagen würde?

August lebte auf, als er sich auch in diese Angelegenheit hineingezogen sah, es gab doch tatsächlich nichts, wobei nicht er hätte helfen müssen. Du bist wirklich ein Muster und ein braver Mensch, Ane Maria, du denkst mehr an andere als an dich selber! sagte er.

So, findest du?

Ane Maria hatte nichts gegen dieses Lob einzuwenden, nein, auch sie war töricht geworden. Sie hätte es wohl versuchen können, sich auf eigene Faust zwei Kinder zu verschaffen, aber sie mußte diese Sache soviel wie möglich aufbauschen, mußte damit in den Kramladen gehen, die Neuigkeit verbreiten und darüber sprechen hören. Das bin nicht nur ich allein, sagte sie, Karolus ist das auch.

Ja, ihr seid alle beide ein Segen für uns, entschied August. Ohne euch bestünde die Bucht heute noch aus sieben Häusern und zwei Scheunen.

Halt, du darfst dich selber nicht ganz und gar vergessen! protestierte sie voller Anmut.

Oh, sie einigten sich über die gegenseitigen Verdienste und waren beide hingerissen. Auch Pauline schloß sich jetzt dem Lob über Ane Maria an, sprach sie mit Ihr an und erwies ihr alle Ehren. Nicht alle denken so an die unschuldigen Kleinen, wie Ihr das tut, sagte Pauline, – sagte also diese vertrocknete, verknöcherte alte Jungfer Pauline, die sich gar nichts aus Kindern machte.

Zwei arme Kinder, prägte August sich selber ein und dachte scharf nach. Sollen es Geschwister sein?

Ja, was meinst du?

Doch. Sollen es ledige Kinder sein?

Das weiß ich nicht, antwortete Ane Maria etwas verletzt.

August aber ging gründlich und wissenschaftlich vor und fragte: Sollen sie klein sein?

Ja, gerne ganz winzig. Ich bin zufrieden, wie ich sie auch bekomme.

Soll es ein Bub und ein Mädel sein?

Ja, ich muß es wohl nehmen, wie es kommt, antwortete Ane Maria müde. Die Hauptsache ist ja, daß wir mit unsern Mitteln etwas Gutes tun wollen, darum haben wir uns das ausgedacht.

Ja, bei Euch haben sie es sicher gut! sagte der eine Kunde am Ladentisch, und der andere überbot diese Bemerkung und wiegte den Kopf: Ganz, als wenn man von den Engeln im Paradies reden würde!

Und Ane Maria strich alles ein und wurde geschwollen und konnte sich gar nicht genug tun mit der Versicherung, daß die Kinder bei ihr wahrhaftig in keiner Beziehung Not leiden würden.

Wie sollen sie übrigens sein? fragte August, dachte tief nach und machte sich wichtig. Es war, als könne er jedes Kind in der Bucht an den Fingern herzählen, obgleich er kein einziges mehr kannte. Woher sollte er die Kinder der Bucht kennen! Er war nun über zwanzig Jahre fortgewesen und kannte nicht einmal mehr alle die Erwachsenen wieder. Ich meine, ob sie lieber braune oder blaue Augen, helles oder dunkles Haar haben sollen? fragt er.

Wie es eben trifft, antwortet Ane Maria, sie sollen mir alle gleich willkommen sein.

Wenn ich so an mich denke, habe ich ja alle Arten von Menschen auf der Erdkruste gesehen, meinte August mit Würde. Und einige hatten schwarze Augen und die anderen gewöhnliche weiße Augen, die Schlimmsten aber sind doch die, die rote Augen haben, so wie Kupfernägel, mit denen ist es gefährlich zusammenzugeraten. Mir geschah es doch einmal, daß drei- bis vierhundert solcher Kupfernägel mich ansahen, aber da hat hinterher alles wie Kupfer für mich geschmeckt, was ich auch gegessen habe.

Großartig!

Es ist also keineswegs gleichgültig, was für Augen die Menschen haben, betont August. Aber da du nun die Sache in meine Hände gelegt hast, werde ich mich einmal erkundigen. Es wird nicht leicht sein, zwei Kinder von der Art zu finden, wie du sie haben willst. Denn sie müssen doch so sein, daß sie dir auch Ehre machen, wenn sie in den schönen Kleidern und Anzügen gehen, die du ihnen spendest. Und außerdem sollen ihre Eltern als anständige und sittsame Leute geachtet und geehrt sein, alle beide, ich werde sie mir schon genau anschauen, hab nur keine Angst! ...

Die Angelegenheit konnte von keinem betriebsameren Menschen übernommen werden als von August, er machte sich sofort daran, ein paar passende Kinder zu finden. Dies stellte sich jedoch als ziemlich schwierig heraus. Die Zeiten waren zu gut, auf dem Meer draußen wurden Heringsschwärme eingeschlossen, die Leute verdienten, Geld war keine rare Sache, es schien nicht leicht, ein paar Leute zu finden, die arm genug waren, ihre Kinder an Fremde abzutreten. Er mußte weit in die Nordgemeinde hinein, ehe er überhaupt nur ans Suchen denken konnte; aber auch in der Nordgemeinde hatte sich das Heringsgeschäft der Äußeren Bucht wohltuend ausgewirkt, auch hier gab es keine wirkliche Armut, und August mußte sich sogar allerhand Spott gefallen lassen: Was für Zeug? Glaubte er denn, daß die Leute in der Nordgemeinde Kinder machten, um sie abzuliefern?

August kehrte heim, setzte sich hin, um den Schweiß abzuwischen, und erstattete Ane Maria Bericht. Er hatte sein Bestes getan, hatte sich wirklich ins Zeug gelegt und sich nicht geschont, der Erfolg war nur Spott und Hohn.

Ane Maria nahm die Botschaft mit Erstaunen auf: Um alles in der Welt, war denn die ganze Gegend reich geworden? Gewöhnlich gab es doch genug Kinder, einen richtigen Überfluß an Kindern, sie hatte in all den vergangenen Jahren aus Gewohnheit und aus Freude an Kindern solch schmächtige und verfrorene kleine Wesen zu sich hereingerufen und ihnen etwas zu essen oder etwas anderes Gutes zugesteckt, nun stand sie heute mit offenen Armen da und konnte niemand an sich ziehen!

August war nicht ganz ratlos, er dachte ungeheuer heftig nach und sagte schließlich: Nein, wenn du die Kinder nicht unbedingt jetzt sofort haben mußt, so könnten wir wohl jemand dazu bringen, ein paar Kinder zu machen.

Ane Maria warf ihm einen blitzschnellen Blick zu, ob er sie vielleicht zum Narren halte, August aber redete nicht im Spaß, er saß ganz ernsthaft da, ja gleichsam religiös. Ich verstehe nicht, wie es gegenwärtig ist, sagte sie dann, die Leute haben kein Schmalz mehr. In meiner Jugend wimmelte es von Kindern ringsum, in drei Jahren zwei Kinder war die Regel. Aber jetzt!

August verfolgt seinen Gedankengang: Aber du willst wohl nicht ein Jahr warten?

Ane Maria: Ach nein, ich möchte sie am liebsten jetzt haben. In einem Jahr, – wer weiß, wer in einem Jahr noch lebt. Und da wir doch jetzt so viel Geld haben –

August fing an, sich über die ganze Sache zu ärgern, und er warf ihr plötzlich folgende Frage hin: Zum Teufel noch einmal, warum bekommst du denn die Kinder nicht selber, Ane Maria? Das muß ich doch wirklich fragen.

Ich? sagte sie. Das möchte ich ja mehr als gerne. Aber es gibt sich nicht so!

Wieso, – was ist denn mit euch beiden los?

Karolus kann nicht mehr tun, als er schon tut, aber zu einem Kind reicht es nicht.

Ich sollte an seiner Stelle sein! rief August aus. Und diesmal war es vielleicht wirklich nicht nur Aufschneiderei und Prahlerei, er wurde rot und rückte aufgeregt auf seinem Stuhl hin und her. Selbstverständlich spielte er sich auch ein wenig auf und meinte, daß Ane Maria mit ihm, August, genug von der Art bekommen hätte, die man Kinder heißt.

Meinst du das im Ernst? fragt sie.

Ja, bestätigte er, so meine er es und nicht anders. Denn sie könne sich fest darauf verlassen, daß er auf der ganzen Erdkruste seinen Mann gestellt habe, und niemand habe sich über etwas von seiner Seite her beklagen können.

So, bist du so ein Kerl gewesen?

Ja, versicherte er wiederum, seinesgleichen könne man suchen gehen.

Dann wäre ich froh, wenn wir beide zusammengekommen wären! sagte sie. Aber jetzt ist es zu spät für uns.

Zu spät, – wieso? Hielt sie ihn denn für einen von denen, wie sie in der Türkei und in Ägypten lebten? Das fehlte denn doch!

Eine Zeitlang redeten sie ausführlich über diese Dinge, als aber August die Türkei und Ägypten erwähnte, geriet seine Phantasie in Schwung, und er fing an, von den Erlebnissen in der Welt draußen zu berichten, seine Erregung schien sich zu legen, und er gab sich ganz dem Geschichtenerzählen hin: Gegenwärtig stünde es ja so mit ihm, daß er allem abgeschworen habe, was Liebe und Weiber heißt, und das käme daher, daß er einmal in einem großen Königreich gewesen sei, wo er sich in eine feine Dame verliebt habe. Es war nicht gerade die Prinzessin, aber vielleicht die Schwester oder irgend jemand anderes, sie war sehr hochgestellt und hatte fünf oder vielleicht drei Sklavinnen, um die Fliegen abzuwehren, wenn es heiß war. Aber wie es nun auch zuging, ob der Minister sie gezwungen hatte oder sonst irgendein Grund war, jedenfalls betrog sie mich, sagte August, und seit dem Tag sei er ein ruheloser Märtyrer und habe den Weibern abgeschworen.

Das wird sich wohl geben, tröstete Ane Maria.

August fährt fort: Ja, sie war nicht ganz weiß am Körper, nicht gerade schwarz, aber doch auch nicht nur schneeweiß, und sie hatte ungeheuer viel Geld und Reichtümer, sie schenkte mir einmal eine Handvoll Perlen, gerade als wäre das nichts, große Perlen von der Art, wie man sie im Stillen Ozean fischt, und wie sie teuerer sind als irgendein Diamant –

Ane Maria wollte zur Sache zurückkommen und fragte: Hast du ihr etwas getan?

Ja, versteht sich, antwortete er.

Wie lange ist das her?

Das ist lange her, lange, lange her. Weshalb fragst du?

Nun, wenn es so lange her ist, so könntest du das vielleicht jetzt nicht mehr tun?

August wiederum in Glut: Warum nicht? Glaubst du, daß ich seitdem zu nichts mehr tauge? Willst du's mit mir probieren? He? Darauf gibst du keine Antwort –

Was hast du gefragt? Ich hörte nicht. Ich will ganz so, wie du willst –

Jetzt tat August etwas, was für Ane Maria unbegreiflich war, er stand mit einem Ruck auf und machte zwei große Schritte zur Tür, wo er stehenblieb, die Hände rang und stöhnte. Sie glaubte, er habe durchs Fenster jemand kommen sehen, und fragte: Kommt Karolus?

Karolus? Nein, antwortete August und fiel nach und nach ab. Er nahm sich sogar noch die Zeit, ein paar Worte zu sagen, ehe er ging, übrigens ohne daß etwas unendlich Schmelzendes und Unvergleichliches in seinem Blick lag: Wenn du so willst wie ich, dann brauchst du dir keine Sorgen zu machen, daß du Kinder zum Aufziehen bekommst! sagte er.


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