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Der heimgekehrte Amerikaner Edevart Andreassen wanderte seine eigenen Wege und war meistens allein. Traf er Leute auf seinen Wanderungen, so grüßte er zwar und ging nicht stolz vorbei, ohne ein kurzes Gespräch, aber er sprach keine tiefen und seltenen Ansichten aus und bediente sich keinerlei köstlicher und englischer Wörter. Was hatte es da für einen Sinn, ging irgendein Glanz von ihm aus? Er machte nichts aus sich, und wenn er weiterwanderte, verabschiedete er sich ebenso ruhig und tot, wie er einen begrüßt hatte. Kameraden und Bekannte konnten ihm von dem Schicksal gleichaltriger Leute aus der Gegend erzählen, einige waren gut vorwärtsgekommen, andere hatten Pech gehabt oder waren gestorben, Edevart nahm jede Nachricht mit Ruhe auf, alles ging ihn gleich wenig an.
Er war auf der Neusiedlung bei Ezra und Hosea gewesen und hatte sich dort auch nicht anders gegeben, war still und schwerfällig, ohne die leiseste Heiterkeit, fast stumpf. Hosea hatte ihn an verschiedenes aus der Kindheit erinnert, an ein Ereignis, an eine erinnerungswürdige Begebenheit, und er lächelte wohl sein armseliges Lächeln dazu und schien sich zu erinnern, aber es hatte keinerlei Interesse mehr für ihn. Nein, es war nichts mehr los mit ihm.
Was trieb er eigentlich, wenn er so umherging? Er kam nicht einmal immer zu den Mahlzeiten heim, sondern wanderte nur in der Gegend herum, setzte sich hin, hielt lange Zeit Umschau, stand auf und wanderte an einen neuen Ort und setzte sich wiederum hin. Bei der Furt weiter drinnen im Weideland standen fünf Espen in einer Gruppe beisammen, große Bäume jetzt, die üppig wucherten, mit langen, ewig zitternden Blättern, – es schien ihm zuzusagen, mitten in dieser Gruppe zu sitzen und dem leisen seidigen Geräusch zitternder Espenblätter zu lauschen.
Träumerei, Untätigkeit.
In Lovise Magrete steckte mehr Leben und Humor. Solange sie neu war, war es ganz lustig, ihren Erzählungen aus Amerika zuzuhören, all den wunderbaren Dingen, die dort geschahen, und zu hören, wie ganz anders das alles war im Vergleich zu der kleinen, armseligen Bucht. Hier redete man von einem Heringsfang bei der Vogelinsel und war glücklich darüber, aber lieber Gott, was bedeutete das gegen meilenweite Rebenäcker in Kalifornien und gegen hundertstöckige Häuser in Neuyork! Einzelne fingen wohl an, Lovise Magrete ermüdend zu finden, aber sie war doch gesprächig und gewandt, und sie unterhielt sich meistens mit Männern, denn die Frauen waren hausbacken und wollten am liebsten nur von den riesigen amerikanischen Kühen und Schweinen hören und wissen, was das Pfund Kaffee kostete. Oh, solche Dinge beschäftigten Lovise Magretes Gedanken ja nicht mehr, sie war davon abgekommen und sehnte sich nicht mehr danach zurück. Sie war ein Mensch der Stadt geworden. Das stand allerdings nicht in Einklang damit, daß sie mit nur zwei Kleidern nach Norwegen heimgereist kam, aber solchen Kleinlichkeiten war sie entwachsen; was sollte sie mit mehr Kleidern in der Bucht anfangen? Sie war ja auch jeden Tag sehr gut angezogen, daran gab es nichts auszusetzen, sie sah für ihre Jahre sogar gut aus, verwendete Puder auf der Nase und einen Schimmer von Rot auf den Lippen und richtete sich schön her. Aus diesem Grunde führte sie auch mehrere kleine Flaschen und Töpfe mit Medikamenten mit sich, Töpfe, von denen jeder einzelne Arznei für eine Mehrzahl von aufgezählten Krankheiten enthielt. Gleichzeitig aber wurde auch ernsthaft vor Nachahmungen dieser Salben und Tropfen gewarnt, die nicht echt seien ohne gerade diesen Namenszug ...
Wollten dieser Mann und diese Frau aus Amerika sich jetzt hier in der Bucht niederlassen? Sie waren nun seit einem Monat hier, und keines von ihnen erwies sich als besonders liebenswert, von einer besonderen Achtung innerhalb der Gemeinde war gar keine Rede. Etwas anderes wäre es gewesen, wenn sie mit viel Geld und Macht angekommen wären und Häuser und Höfe in der Bucht aufgekauft hätten. Aber geschah etwas dergleichen? Die Frau allerdings trat ganz großartig auf, in Wirklichkeit aber hatte das Paar wohl nicht mehr zum Leben, als was es für den nächsten Tag brauchte. Was hatten sie nun gewonnen durch ihre Landstreicherei, durch ihr unruhiges Leben in der Fremde während zwanzig Jahren? Wo wohnten sie in Amerika und wo hatten sie ihr Heim? Da und dort und in einer Stadt nach der andern, erwiderte die Frau, ohne zu zögern. Aber sie hatten eine Tochter, die mit einem steinreichen Mühlenbesitzer in Buffalo verheiratet war, und als er verarmte, errichtete er eine Bank und war jetzt reicher denn je, die Tochter tat nichts weiter als Klavier spielen und jeden Tag die Kleider wechseln. So konnten feine Leute dort drüben leben –
Gut! dachten die Leute in der Bucht. Aber wenn nun diese Tochter so reich war, weshalb kamen dann ihre Eltern so schäbig und fast arm wieder heim? Das wunderte gar manchen, der darüber nachdachte.
Ebenso schienen sie untereinander keineswegs so sehr einig zu sein, diese beiden, daß sie ein Beispiel hätten sein können für die Ehepaare in der Bucht, die wie Hund und Katze miteinander lebten; manchmal wollte der eine etwas und der andere das gerade Gegenteil, nein, sie schienen nicht so gut zusammenzupassen wie in jüngeren Tagen. So kam es zum Beispiel vor, daß Edevart seinem Bruder einmal etwas von dem täglichen Leben auf der Farm in Dakota erzählen wollte, da aber saß Lovise Magrete daneben, griff ein und verbesserte ihren Mann in einemfort. Ja, sie hatten eine Zeitlang eine Farm betrieben, aber es ging aus verschiedenen Bemerkungen hervor, daß die Frau es müde geworden war, die Kühe zu melken –
Ja, es war eine Schinderei! sagte sie, auf den anderen Farmen mußte nämlich der Mann melken.
Wir hatten nicht so sehr viel Land, fuhr Edevart fort, nur vierzig acres, aber wir hätten damit zurechtkommen können. Wir hatten uns drei Kühe angeschafft und zwei Maultiere –
Maultiere? fragt Joakim.
Ja, eine Art Esel. Man hat dort fast lauter Maultiere.
Lovise Magrete: Oh, es gibt auch Pferde dort. Auf den anderen Farmen hatten sie große Pferde, mit denen sie zum Picknick und in die Stadt fuhren. Aber wir hatten nur Maultiere, und mit denen konnten wir ja nicht in Gesellschaften fahren.
Edevart wartete, bis seine Frau fertig war, dann fing er wieder an: Sie sind ausgezeichnete Arbeitstiere, diese Maultiere. Ich weiß viele kleine Farmen, die nur ein Ochsengespann hatten und damit zurechtkommen mußten, und es ging auch, aber Maultiere sind schon das beste. Wenn man sie gut behandelt, können sie lange leben, sie sind genügsam im Futter und äußerst ausdauernd und zähe, ich hätte sie nicht um vieles gegen Pferde ausgetauscht, sie waren genau das, was ich brauchte.
Hoh! stieß Lovise Magrete erregt hervor und ging zur Tür.
Jawohl, sie wurde ungeduldig. Der gute Edevart war ja auch wirklich nicht unterhaltsam, er erzählte langsam und schwerfällig, vielleicht wollte er seine Frau auch ärgern mit seiner Gründlichkeit, denn als sie endlich draußen war, wußte er nichts mehr über das Leben auf der Farm in Dakota zu berichten.
Wie ging es dann? fragte Pauline.
Wie es ging? Es ging so, daß wir, als wir abreisten, das Vieh und verschiedene andere Dinge verkauften und knapp das Geld für die Fahrkarten bekamen.
Und die Farm? fragte Joakim.
Die Farm konnte ich nicht verkaufen. Die liegt noch da, bis jemand kommt und sie nimmt. Es sind einige Häuser darauf und außerdem drei Jahre Arbeit an der Erde.
Langes Schweigen.
Ja ja, sagte Pauline, dieser tüchtige Mensch. Nimm es jetzt nur nicht so schwer, Edevart! Du brauchst dich doch wirklich nicht zu sorgen, denn du hast ja hier genug Geld.
Ich? Was meinst du damit?
Edevart begreift nicht, er zieht die Brauen hoch und schaut Pauline scharf an, er fährt zurück, als sie antwortet: Ich habe deinen Laden jetzt doch zwanzig Jahre lang betrieben, nun sollst du ihn wiederhaben, denn ich bin müde.
Meinen Laden? Red doch nicht so dumm daher!
Denn ich habe jetzt zu vielerlei zu tun, ich kann nicht alles bewältigen. Ich habe die Kühe und das Haus und das Café und den Laden, und jetzt habe ich auch noch die Post bekommen.
Jawohl, das war in Ordnung gebracht, die Poststelle in der Bucht unter Paulines Verwaltung. Pauline war vergangenen Sonntag in ihre hohe Würde eingesetzt worden, hatte jedoch bis jetzt darüber geschwiegen.
Donnerwetter! rief Joakim aus.
Pauline munter: Ja, jetzt brauchst du dich nur hinzusetzen und an den Amtmann und das Storting zu schreiben, dann werde ich alles stempeln und einschreiben und den Postsack versiegeln. Ich brauche zwei Mann, die die Post mit dem Boot zum Dampfer bringen, wen sollen wir dazu nehmen?
Joakim denkt darüber nach: Teodor und Roderik, Vater und Sohn.
Das habe ich auch gedacht. Dem Teodor traue ich ja nicht allzu weit, aber dafür ist der Sohn dabei. Das bedeutet einen festen Verdienst während des ganzen Jahres. Roderik hat ein Boot. Einmal wöchentlich eine Fahrt.
Wann fängt es an?
Am Ersten.
Wiederum Schweigen. Die drei Geschwister dachten darüber nach, was sich zugetragen hatte, es war nichts Geringes, es war etwas Großartiges, und ihre Gedanken blieben bei dem Mann stehen, der das alles veranlaßt hatte. August wußte es noch nicht, er war verreist, er war mit dem Dampfer nach dem Süden gefahren, vielleicht nach Namsen, um Baumaterial für sein neues Haus zu kaufen. Niemand wußte etwas Näheres.
Was, meinst du wohl, wird er sagen, wenn er das erfährt?
Pauline lachend: Ja, er wird nicht dazu schweigen!
Nein nein, warnt Joakim, der Bürgermeister, du darfst dich jetzt in dieser Sache nicht über August lustig machen. Die Ehre gebührt doch wirklich ihm!
Pauline: Das weiß ich wohl! Sie wandte sich an den großen Bruder und fuhr fort: Du siehst also, Edevart, daß mir all das, was dir gehört, dein Handel und dein Laden und alles miteinander, über den Kopf wächst.
Meinetwegen mach was du willst mit deinem Geschäft, gibt Edevart störrisch zur Antwort.
Ja, du mußt es selber übernehmen.
Edevart wütend und blaß: Du – du redest wie ein Stück Vieh, Gott verzeih mir meine Sünden!
Endlich war es ihr gelungen, den schweren und geduldigen Mann in Erregung zu versetzen. Es käme jetzt nicht oft vor, daß er seinem angeborenen maßlosen Zorn nachgäbe, er habe im Lauf der Jahre gelernt, Messer und Hocker und andere Wurfgeschosse mit einer einigermaßen normalen Wut zu handhaben, aber Pauline dürfe ihn nun auf keinen Fall mehr wieder so aus dem Gleichgewicht bringen!
Schaut doch dieses Pulverfaß an! sagte Joakim im Spaß. Siehst du, wie er Gift und Galle speit!
Geschäft, – er wollte ihr Geschäft nicht übernehmen. Er war von solchen Dingen abgekommen, er war Arbeiter, seine großen Hände waren voller Narben. Schweig still, Pauline! Er wollte einmal zu Ezra gehen und ihn fragen, ob der ihn auf seiner Neusiedlung brauchen könnte. Er mußte das Geld zur Rückreise verdienen –
Willst du wieder hinüber? rief Pauline.
Ja, was soll ich hier tun? Du verstehst das nicht, Pauline.
Joakim schwieg. Pauline schwieg ebenfalls, aber sie kniff die Lippen zusammen und dachte plötzlich an August, und daß sie ihn um Rat fragen wollte, wenn er heimkäme, er pflegte doch einen Ausweg zu wissen. Da saß nun Joakim, leiblicher Bruder und Bürgermeister und alles miteinander, aber er schlug nicht auf den Tisch und zähmte den Landstreicher. Was sollte denn der große Bruder wieder in Amerika? War er nicht schon genügend zerstört von den zwanzig Jahren in der Fremde? Und da sitzt Joakim, ein Mensch aus Stein, ohne Herz für seinen Bruder! Pauline war richtig böse.
Später am Tag machte Edevart sich auf den Weg nach der Neusiedlung.
Joakim fragte: So, du hast dir also vorgenommen, dich bei Ezra zu verdingen?
Edevart nickte, ja, er wolle es versuchen.
Joakim: Ich muß ja sagen, ich sähe es am liebsten, wenn du dich wie ein vernünftiger Mensch benähmst, Edevart, und nicht schon wieder von uns fortgingst, ehe du dich erholt hast. Du bist doch zwanzig Jahre weggewesen.
Red doch keinen Unsinn, antwortete Edevart. Bin ich nicht ganze fünf Wochen hier gewesen? Soll ich etwa mein Leben lang hier herumgehen und faulenzen und nicht einmal den kleinen Finger rühren?
Pauline kommt hinzu, sie schont den großen Bruder nicht, sie ist bitter: Ja ja, du hast nun also gehört, wie die Sachen stehen, daß ich nicht mehr mit allem fertig werde, aber dir ist das ja ganz gleichgültig! Ja, fang du nur wieder an herumzustreunen! Ich wäre froh, du hättest einmal ausgestreunt. Wenn wir nun alles liegenlassen sollen und den Laden schließen, dann steht unser altes Heim öde und verlassen da. Du machst dir ja freilich nichts daraus, aber wenn Mutter und Vater das noch erlebt hätten!
Du verstehst das nicht, sagt Edevart und geht ...
Doch, sie verstanden es, sie hatten es längst verstanden, Lovise Magrete war es, die so schnell wie möglich wieder zurück wollte. Zwar fühlte sie sich auch in Amerika nirgends glücklich, sie zog auch dort in ewiger Unruhe von einer Stadt zur andern, löste ihren kleinen Haushalt ebenso leicht auf, wie sie ihre Schuhlitze band, und zog in jede neue Stadt ein, ohne den Vorsatz, sich dort fürs Leben niederzulassen. Jedenfalls aber war die Bucht nicht der Ort für sie, das war ja nicht einmal eine kleine Stadt, das war ja schlimmer als die Farm. Sie bekam abends Grütze, die ihr nicht schmeckte, Porridge, sagte sie und schüttelte sich, sie war diesem Gericht entwachsen und aß kaum davon. War es ein Wunder, daß sie mager wurde von der Kost des Landes in der Bucht und daß ihr Aussehen nachließ und grau wurde?
Joakim sagte: Und wenn wir ihn nun bei Ezra nur für eine Fahrkarte das Geld verdienen ließen und nicht mehr?
Die Geschwister schlugen beide die Augen nieder.
Der heimgekehrte Amerikaner war auf der Neusiedlung gelandet, er arbeitete auf dem Hof und auf den Feldern und im Wald. Gott mochte wissen, was er dafür bekam, denn Ezra war nicht dafür bekannt, daß er übertrieben viel Lohn bezahlte, aber Edevart stellte wohl auch keine übertriebenen Forderungen. Die beiden Schwäger kamen gut miteinander aus, Edevart war wie ein starkes Pferd bei der Arbeit und außerdem geduldig und hilfsbereit gegen die Kinder. Es waren ihrer drei kleine und drei halbwüchsige, außer den beiden erwachsenen, die bereits in Drontheim waren. Acht Kinder hatten Ezra und Hosea, und wer konnte wissen, wie das noch enden würde! Deshalb war es Ezra auch so sehr darum zu tun, viel Land für so viele Münder zu haben.
Im übrigen aber hatte Edevart die Gewohnheit, nicht gut mit der Erde umzugehen. Er war zu heftig. Ezra machte alles zierlich und sozusagen sparsam, sammelte Torf, eggte sorgfältig, ging vorsichtig mit dem Futter um, las Ähren auf, nein, Edevart ging rasch vor und schrecklich derb, machte es nach amerikanischer Art, schaffte mit Heftigkeit, hauste geradezu. Ezra mußte ihn zurückhalten: He, he, Edevart, wenn du so weiter machst, arbeitest du mich noch von Haus und Hof! Wieso? fragt Edevart. Nun, er pumpte ja das Pferd vollkommen aus, zerbrach beinahe das Gerät, ließ zuviel ungepflügte Erde am Ackerrand stehen, lud zuviel frisches Birkenholz auf einen schwachen Holzschlitten, stieß mit der Axt gegen Steine. –
Ja, Edevart lächelte und gab ihm recht. Er hatte sich angewöhnt, die Axt in die Erde zu schlagen, auf der Farm gab es keine Steine und keinen Sand, und die Axt wurde sogar scharf davon, daß man sie in die Erde hieb. Aber er wollte es in Zukunft nicht mehr tun, und alles andere würde er auch besser machen. Es war gut mit ihm umzugehen, er stand bei einem viel jüngeren Mann in der Arbeit, als er selber war, der kleine Ezra war obendrein einmal Edevarts Küchenjunge an Bord eines Schiffes gewesen, jetzt aber war der Diener der Herr.
Das war die Sache: Edevart, der Herr, war Diener geworden. Nach zwanzig Jahren hatte er nichts weiter erreicht. Seine Kameraden aus der Gemeinde erinnerten sich seiner noch, wie er gleichmäßig aufstieg, vom Hausierer zum großen Schiffer der Jacht Hermine, vom Fischaufkäufer auf dem Lofot zum Besitzer eines Hofes auf Fosenland, schließlich zu einem achtenswerten Kaufmann in der Bucht mit nicht geringen Mitteln, – und jetzt Tagelöhner bei seinem früheren Küchenjungen. Solches Pech können manche Menschen haben. Jetzt war es seine Familie, Joakim, der Bürgermeister, und Pauline vom Kramladen, die dem großen Bruder Glanz verlieh, – ihm, der einmal so strahlende Aussichten gehabt hatte!
Die Frau bewahrte mehr Haltung, nahm keinen entsprechenden Dienst auf einem Hof an, sondern ging untätig umher. In letzter Zeit hatte sie ihre Zuflucht zu der vornehmen Welt in der Inneren Gemeinde genommen, sie suchte den Lensmann und seine Frau auf und die Junggesellen, Doktor und Pfarrer, – wollte die Herrschaften nur begrüßen, da sie nun doch schon nach Norwegen und in die Bucht gekommen sei, wolle sie aber gar nicht aufhalten – käme aus reiner Höflichkeit – habe nur den Wunsch, dem Brauch in der Welt draußen zu folgen –
Arme Lovise Magrete! Sie hatte ihr Kleid sorgfältig ausgebürstet und das Haar schön aufgesteckt, sie erschien mit frisch gemaltem Gesicht und mit Emailschmuck in den Ohren, sie hatte zu ihrer Zeit viel gehört und gesehen und verstand es, ihr Mundwerk gehen zu lassen, – freilich, sie war willkommen, doch, bitte schön, Mistreß, setzen Sie sich und nehmen Sie mit unserem bescheidenen Mittagessen vorlieb! Oh, aber es war sicherlich besser, wenn der Gast aus Amerika nicht allzuoft kam, vielleicht sollte er den Besuch nicht einmal wiederholen, nein, denn so war nun einmal die vornehme Welt in der Inneren Gemeinde, sie waren hier an eine mehr ebenbürtige Feinheit bei allen gewöhnt, Lovise Magretes Gedankengang war zu unverschnörkelt, ihr fehlte der gesellschaftliche Hintergrund, ihre Sprache von Fosenland war mitunter mit Niggerworten untermischt –
So kam schließlich der Tag, an dem sie auch die Vornehmheit der Inneren Gemeinde satt hatte. Da saßen sie und rauchten lange Pfeifen in Anwesenheit einer Dame, so etwas tat man in der Welt draußen nicht; sie fluchten manchmal, sie spielten Karten, und auf dem Tisch neben ihnen standen Getränke, alles in Anwesenheit einer Dame. So sah hier die Vornehmheit aus, und sie war nicht von der Art, wie Lovise Magrete sie gelernt hatte; das sagte ihr nicht zu.
Nein, freilich, Lovise Magrete Doppen war auf eine andere Ebene gestellt worden, das Leben hatte sie herumgeworfen und gänzlich verändert. Sie paßte jetzt nirgends mehr in der Welt hin, sie versagte, wo sie auch hinkam, sogar im Haus ihrer Tochter und des Schwiegersohnes, des Dampfschiffagenten.
Teodor und Roderik brachten die Post zum erstenmal von der Bucht zur Dampferhaltestelle. Dies war ein ernsthafter Augenblick und ein Gedenktag. Die Post war geringfügig und leicht, nur ein paar Briefe von der Posthalterin selber an ihre Kaufleute, weder Geld noch andere Werte, nur diese paar Briefe in einem großen Sack, und der Sack wurde in eine mächtige Ledertasche gelegt, die mit dem Schloß des Staates verschlossen wurde.
Es waren ein paar Leute zu den Schiffshütten gekommen, um der Abfahrt beizuwohnen. Post wegbringen war nicht das gleiche wie aus irgendeinem anderen Anlaß in die Äußere Bucht rudern, dieses Amt adelte seinen Mann. Teodor trug die Ledertasche feierlich an Bord und band den Achselriemen um die Mastbank, wie es die Vorschrift verlangte. Glücklicherweise rief Ragna, seine Frau, laut vom Ufer herüber: Warum tust du das? Teodor erwiderte: Warum ich die Posttasche festbinde? Weil es so im Gesetz steht! Für den Fall nämlich, daß wir, die Beamten, verunglücken sollten, soll doch die Post nicht verlorengehen, sie soll am Boot hängenbleiben.
Teodor hatte zwar keine goldene Schnur am Südwester, aber er war trotzdem nichts Geringes.
Sie blieben bis zum nächsten Tag fort und kamen dann mit der Post für die Bucht zurück, außerdem kam August als Passagier mit.
August kam mit. Er war jetzt ganz auf der Höhe und fragte Pauline, wem sie dieses letzte Ereignis zu verdanken hätten. Die Gemeinde konnte ihm wirklich einen Gedenkstein für dieses Postamt errichten, das war doch eine Mannestat von ihm, was hatten dagegen der Lensmann oder der Pfarrer ausgerichtet!
Vor dem Ladentisch riefen ein paar: Kein Brief für mich, Pauline? Ich erwarte schon so lange einen Brief. Sieh gut nach! – Aber es war eine spärliche Post für die Gemeinde, einige wenige Briefe in einem riesigen Sack. August äußerte sich: Keine schlechte Post für den Anfang, die Leute waren ja töricht, wie konnte man große Post erwarten, wenn nichts geschrieben wurde! Aber sieh doch, hier war ja noch ein Brief und noch einer und eine Zeitung für Joakim, nächste Woche würde es sicher mehr werden, natürlich; wenn die Leute erst Geschmack am Briefschreiben finden, schreiben sie über das Wetter und über jeden kleinsten Dreck, und es würde einen erfreulichen Aufschwung des Postamtes in der Bucht mit sich bringen –
Pauline ist gerade damit beschäftigt, ein kleines versiegeltes Päckchen zu öffnen, und stößt plötzlich einen Ruf aus.
Was gibt es? fragt August.
Nein, du hast recht, antwortete sie, es ist keine schlechte Post für den Anfang! Dein Geld von der Versicherung ist gekommen!
August fühlte vielleicht ein kleines Schluchzen aufsteigen, wollte es aber nicht eingestehen, es machte sogar fast den Eindruck, als wollte er uninteressiert gähnen. So, ist es gekommen? sagte er. Es hätte ja keine Eile gehabt!
Aber August wurde doch für eine Zeitlang still, sicherlich fuhren ihm viele Gedanken durch den Kopf. Er bestätigte den Empfang des Geldes, zählte es nach und steckte es in die Tasche. Es war viel Geld, und Pauline konnte nicht an sich halten, sondern mußte darüber reden.
August: Viel Geld, das hier? Ach nein, man kann nicht sagen, daß etliche Tausend viel Geld für mich wären, ich kann sie gut brauchen und noch mehr, ein Teil soll nach Hamburg. Ich hatte einmal viel Geld, das war in einem Land, das Peru heißt, in Südamerika. Die Herde hättest du dort sehen sollen, Pauline, Hunderttausende von Tieren! Nun ja, sie gehörten nicht alle mir, du brauchst nicht zu grinsen, meine liebe Pauline –
Ich grinse nicht.
Denn ich will nicht übertreiben und zuviel sagen, ich besaß nur die Hälfte, und die andere Hälfte gehörte dem Präsidenten des Landes. Du weißt nicht, was das ist, in jenem Teil der Welt haben sie nämlich einen Präsidenten als König, und ich sage dir, dieser Präsident ist ein feiner Mann. Ich kam gut zurecht mit ihm, und zuletzt brachte er mich auf einer seiner Silberminen unter, er hatte drei Silberminen, und ich hatte zweitausend Mann unter mir – Tausende und aber Tausende gingen durch Augusts Kopf und entflogen seinem Mund. Auf dem Ladentisch stand eine Dezimalwaage, und August fiel es ein, daß er das Lohngeld für alle seine Arbeiter des Silberbergwerks nicht abgezählt, sondern abgewogen hatte, Tausende, Zehntausende –
Aber was geschah mit der Herde? fragte Pauline maliziös.
August: Mit der Herde? Ja, hast du denn nicht von dem Unwetter gelesen, das man Katastrophe nennt, vor zwölf Jahren, – oder, damit ich nicht zuviel sage, es ist vielleicht erst zehn oder elf Jahre her. Es war ein Gewitter mit Donner und Erdbeben, wobei die Sterne vom Himmel herunterstürzten, so etwas hast du überhaupt noch nicht erlebt –
Warst du dabei?
Ob ich dabei war! Wenn ich doch dastand und zusah! Aber der Sohn des Präsidenten, der hatte nicht die geringste Angst, er stand da und rauchte Zigaretten und lächelte und machte von Zeit zu Zeit einen Witz, und zu mir sagte er: Ja ja, August, du brauchst dich nun auch nie wieder um die Herde zu kümmern! Und das war die reine Wahrheit gewesen. Die Herde? Gott steh mir bei, es fielen doch nicht weniger als etwa vierhundert Sterne vom Himmel herunter, und so winzig sie auch waren, so steckten sie doch die ganze Herde in Brand, und jedes einzelne Tier verbrannte. Tausende von Meilen weit roch es nach gebratenem Fleisch, und der Rauch machte viertausend Menschen in einem Nachbarland, das Ecuador heißt, fürs Leben blind, weil der Wind dorthin stand. Ich erfuhr das später, ich kenne mich dort überall gut aus. Ja, ich habe dort vielerlei erlebt, aber ein solches Wunder, – es ist doch unglaublich, daß du seinerzeit nicht in der Zeitung davon gelesen hast, ich will daran denken und einmal den Joakim fragen –
Pauline kann wohl nicht mitfolgen, und sie langweilt sich, sie zieht August wieder auf die Erde herab, indem sie fragt: Wo hast du denn in den letzten Tagen gesteckt?
August geistesgegenwärtig: Ich mußte doch nach dem Süden und mit den guten Leuten reden! Die Sache mit der Post wurde zu langatmig, da machte ich mich auf den Weg zum Amtmann und zur Polizei –
Ich glaube gar, du hast ihnen ordentlich eingeheizt?
Das kannst du dir denken! Warum mußten sie auch so trödeln? Ich hatte alle Papiere und Unterschriften eingesandt und ihnen die Sache klargemacht, was brauchten sie da noch mehr? Die sollen nur nicht meinen, daß sie mir etwas vormachen könnten!
Pauline ist mit ihren Gedanken beschäftigt: Edevart will wieder nach Amerika, sagt sie.
Edevart? So. Ja, das kann wohl sein.
Ja, aber du mußt uns nun helfen, ihn zurückzuhalten, August! Joakim und ich haben uns überlegt, daß wir mit dir darüber reden wollen, denn du würdest wohl einen Rat finden, dachten wir. Was soll er denn in Amerika? Wenn er jetzt wieder hinfährt, so wird er uns ganz aus den Augen verschwinden, und er bringt es nie mehr zu etwas Richtigem auf dieser Welt. Was meinst du, August?
Er fährt nicht! sagt August.
Er fährt nicht?
Nein. Denn das wird nie geschehen! sagt August mit Nachdruck. Habe ich hier etwa nicht genug für ihn zu tun? Gerade jetzt habe ich verschiedene Pläne, und gesetzt den Fall, daß ich von Zeit zu Zeit vielleicht ins Ausland muß, so habe ich doch keinen anderen, der meine Geschäfte hier an meiner Stelle fortführen könnte, als eben Edevart.
Pauline widersprach ihm nicht. Ihr konnten seine Prahlerei und seine Lügengeschichten gleichgültig sein, wenn es ihm nur gelang, den großen Bruder zurückzuhalten. Im übrigen, – was war Prahlerei und Lüge und was war Wahrheit bei August? Er erhielt dann und wann Briefe aus dem Ausland, und wenn er auch nie zurückschrieb, so telegraphierte er um so mehr und ging mit seinen Telegrammen stets selbst auf das Telegraphenamt, als seien sie sehr wichtig. Was sollte Pauline da glauben? Auf seinen Briefen hatte sie mit eigenen Augen den Stempel von Hamburg, Kopenhagen oder Madrid gelesen.