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Inzwischen rüstete sich Tetuan auf den Besuch seiner Sherifianischen Majestät, des Sultans Abderrahman. Ihm voraus war die Nachricht gegangen, er habe mit seinen Ministern, einem Teil seines Harems und einer Heeresabteilung vier Stunden von der Stadt am Fuße des Beni Hosmar sein Lager aufgeschlagen. Sein Einzug war auf acht Uhr früh am nächsten Tage angesetzt, und überall waren Vorbereitungen dazu im Gange. Alle anderen Geschäfte stockten, und nichts war zu hören und zu sehen, als der Lärm und das Gerassel bei der Straßenreinigung und das Aushängen der Fahnen und Teppiche.
Ganz früh am folgenden Morgen ging der Ausrufer in den Straßen umher, schlug seine Trommel und schrie mit krächzender Stimme: »Wacht auf! Wacht auf! Kommt und grüßt euren Gebieter! Wacht auf! Wacht auf!«
In kürzester Frist wimmelten die Straßen von einer bunten, lärmenden Menge. Die Sonne war aufgegangen, rot und nebelumwoben, und das junge Licht strömte wie durch einen vergoldeten Tunnel das Wiesenthal herab, und von der See herüber; die südwärts liegenden Orangengärten des Sultans erglühten purpurn, und die schneeigen Kronen der Berggipfel tauchten sich in Rosenglanz. In der Stadt selbst hing die kleine rote Fahne, das maurische Wahrzeichen, aus jedem Hause, und vielfarbige Teppiche schmückten die Front vieler Häuser.
Noch stand die Sonne nicht hoch, als die Armee des Sultans in die Stadt einzurücken begann. An der Spitze zog eine gemischte, lärmende Schar, eine Art von arabischem Lumpenregiment. Sie trugen lange Flinten, deren Überzüge sie um den Kopf gewickelt hatten – eine große Bande wilden Landvolkes, das erst vor kurzem zum Kriegsdienst ausgehoben war. In wüster Unordnung strömten sie durch das Westthor in die Stadt; drängten, schoben und stießen sich durch die engen Straßen, feuerten zwischenein ihre Flinten ab und schrieen laut: »Abderrahman kommt! Der Sultan kommt! Hunde! Männer! Gläubige! Ungläubige! Kommt heraus, kommt heraus!«
So zogen sie staubbedeckt, im Schweiß gebadet dahin und verpufften ihr Pulver. Bei jedem Schuß und jedem neuen Juchzer, den sie ausstießen, wurde das Gedränge in den Straßen dichter. Wie ein grimmer Hohn auf ihre zügellose Loyalität erschien es aber, daß ihnen auf dem Fuße nicht der Sultan folgte, sondern ein Trupp seiner Gefangenen aus den Bergen. Zehn Männer waren es, von Soldaten begleitet. Sie boten ein trübseliges Schauspiel dar. Man hatte sie zusammengekettet, Mann an Mann, alle hintereinander, aber nicht Hand an Hand oder Bein an Bein, sondern Hals an Hals. So waren sie dreißig Meilen gewandert, nie getrennt, weder bei Tag noch bei Nacht, weder im Schlafen noch im Wachen ohne Rücksicht auf ihre Ermattung und Schwäche. Ihre Füße waren bloß, zerschunden, bluttriefend; ihre Angesichter schwarz von Schmutz, durch den der Schweiß tiefe Furchen zog. So schleppten sie sich durch die Straßen unter Gottes hellem Morgenlicht, unter den roten Landesfarben Marokkos, an den bunten Teppichen aus Rabat vorbei, über den Marktplatz nach der Kasbah. Es waren Rifer, deren Wohnungen der Sultan soeben ausgeplündert, deren Dörfer er verbrannt und deren Weiber und Kinder er ins Gebirge getrieben hatte. Und sie gingen jetzt hin, um in seinen Kerkern zu sterben.
Es war mittlerweile sieben Uhr geworden, und das Gerücht verbreitete sich, daß des Sultans Zug sich das Thal hinab in Bewegung setze. Von den Dächern der Häuser konnte man in der Ferne etwas sehen, was dem Gewimmel eines riesigen menschlichen Ameisenhaufens glich. Dann folgten einige rasche Umwandlungen der Straßenscenen. Zuerst verschwand jeder anständige blaue Dschellab und jeder reine, weiße Turban aus dem Gesichtskreise, um in kurzem auf den Dächern der Hauptstraße wieder zu erscheinen, wo Gruppen von Weibern, dicht in ihre Haiks gehüllt, bereits mit ihren dunklen Dienerinnen sich versammelt hatten. Dann bezog eine Schar von Städtern, welche Feuerwaffen besaßen, eine freiwillige Wache auf den Mauern, um ihre Stadt vor der Zügellosigkeit der großen Armee, welche im Anzuge war, zu schützen. Zuletzt kam aus ihrem besonderen mauerumschlossenen kleinen Viertel eine Schar Juden in schwarzen Talaren und Käppchen, Männer, Frauen und Kinder, welche Banner mit loyalen Inschriften trugen. Sie zogen ungeordnet daher, klimperten auf ihren Tamburins und schrieen unmelodisch durcheinander: »Gott segne unsern Herrn! Gott gebe unserm Herrn Sultan Sieg!«
Die armen Juden ernteten geringen Dank für solche Huldigung, die sie dem letzten der Kalifen des Propheten darbrachten. Jeder maurische Lumpenkerl auf der Straße begrüßte sie mit Drohungen und Äußerungen des Abscheus. Sogar der blinde Bettler, der am Thor kauerte, hob seine Stimme auf und verfluchte sie.
»Fort mit dir, Jude! Gott wolle deinen Vater verbrennen! Hunde, zieht die Schuhe aus – Abderrahman kommt!«
So von allen Seiten gescholten und mißhandelt, gestoßen, gepufft, gedrängt und gequetscht, wurden sie endlich fast erstickt. Ihre Banner wurden ihnen weggerissen, ihre Tamburins zerbrochen, ihre Stimmen überschrieen, und zum Schluß wurden sie in ihre Mellah zurückgetrieben, dort eingeschlossen, und ihnen verboten, den Einzug des Sultans überhaupt mit anzusehen, nicht einmal von ihren Dächern aus.
Nachdem die Strolche und Landstreicher unter den Rechtgläubigen die Ungläubigen aus den Straßen hinausgedrängt hatten, wurde es ihnen nicht leicht, untereinander Frieden zu halten. Sie stießen und drängten, tobten und schrieen, lachten und lärmten, indem sie die Hauptverkehrsader der Stadt, durch welche der Zug des Sultans kommen mußte, zu behaupten suchten. Es waren Männer und Knaben, auch Weiber und junge Mädchen, Packesel, magere Maultiere, und sogar ein schmutziges und sehr verängstigtes Kamel! Zornige schwarze Gesichter stierten in weiße, funkelnde Augen, blitzende weiße Zähne und drohend geballte Fäuste. Menschenstimmen, die wie Hundegebell und Hyänengeheul schrill und tief, durchdringend und schneidend klangen, Bitten und Betteln, Zanken und Fluchen!
»Arrah! Arrah! Arrah!«
»O Erbarmer! O Geber alles Guten!«
»Allah! Allah! Allah!«
»Verflucht sei dein Großvater!«
»Bálak! Bálak! Bálak!«
So tönte es wild und wirr durcheinander.
Jetzt plötzlich entstand Ordnung und Schweigen unter der wüsten Menge. Das Thor der Kasbah flog auf, und eine Reihe berittener Soldaten trabte heraus, geführt von dem Kaid von Tetuan, und bewegte sich nach der Stadtmauer zu. Der Pöbel wurde zurückgedrängt, die Krieger bildeten auf beiden Seiten Spalier, und der Kaid, Ben Abu selbst, nahm seine Aufstellung am Westthor.
Inzwischen war auf den Stadtmauern unter den dort befindlichen Bürgern eine Bewegung entstanden. Das Heer des Sultans nahte; eine wirre, unordentliche Menschenmasse, rückte es von der Ebene drüben heran. Als die Scharen sich den Mauern näherten, konnte man sie von den Dächern deutlich unterscheiden und auch ihr gellendes Geschrei und ihre Verwünschungen hören, als sie den Befehl empfingen, am Flusse zu lagern.
Als nun dieser buntscheckige, lärmende Troß in seine Biwaks getrieben war, wurden die Stadtthore weit geöffnet, denn der Sultan selbst nahte heran.
Zuerst kamen zwei Fußsoldaten, dann folgten vier Artilleristen, die ihre kleinen Feldschlangen auf Maultiere gepackt bei sich führten. Hierauf kamen acht Fahnenträger zu zwei und zwei, einige rot, einige blau, und andere grün gekleidet. Diesen folgten die Läufer und Lanzenschwinger, und dann die sechs Handpferde des Sultans. Endlich aber mit dem großen, roten Sonnenschirm, dem Zeichen der Königswürde, der über sein Haupt gehalten wurde, kam der Sultan selbst, ein ältlicher Wollüstling, mit dunkel gebräunten Wangen, verschwommenen Augen, aufgeworfenen Lippen und aufgeblähten Nasenflügeln. Der wohlbeleibte Vater des Islam ritt an diesem Tage einen schneeweißen, prunkvoll geschmückten Zelter. Sein Zaumzeug war von goldgestickter grüner Seide. Salomos Siegel prangte an seinem Kopfschmuck, und ein Eberzahn – ein Amulett gegen den bösen Blick – hing an seinem Halse. Der Sattel aber war von goldgelbem Seidendamast mit starken seidnen Gurten und die Steigbügel von getriebenem Silber. Des Sultans eigener Anzug war von der Farbe seines Rosses. Seinen Kaftan von weichem weißen Stoff umschloß ein gestickter Ledergürtel, und seine Kisa Eigentlich K'sá, ein der Rida der Frauen ähnliches Gewand. sowohl wie sein Turban bestanden aus weißem, durchsichtigen Muslin.
Als er unter dem Gewölbe des Stadtthors hindurchritt, dröhnte der Salut von den Geschützen der Kasbah herüber. Ben Abu stieg ab, küßte des Sultans Steigbügel, und die versammelte Volksmenge brach in lautes Jubelgeschrei aus.
»Gott segne unsern Gebieter!«
»Sultan Abderrahman!«
»Gott lasse unsern Herrn lange leben!«
Er schien es kaum zu hören. Einmal berührte seine Hand die Brust, als der Kaid sich ihm näherte, danach blickte er weder nach rechts noch links, und gab kein Zeichen von Freude oder Anerkennung. Trotzdem hörten die Leute nicht auf, ihn mit betäubendem Zuruf zu grüßen.
»Es ist alles gut, alles,« sagten sie zu einander und wiesen auf das weiße Roß – das Sinnbild des Friedens – welches der Sultan ritt, und auf den reiterlosen schwarzen Hengst – das Sinnbild des Kampfes – der hinter ihm herschritt.
Sogar die Weiber in den Häusern in ihren Kapuzenmänteln bewillkommneten den Sultan mit schrillem Geheul: »Ju – ju – ju – ju – ju – ju!«
Nicht zufrieden mit diesem bei ihrem Volk und Geschlecht üblichen Gruße warfen einige, die bisher dicht verschleiert waren, ihre Muslinhüllen zurück, entblößten ihre Angesichter seinen Blicken und begrüßten ihn mit mehr artikulierten Rufen.
Der Sultan gönnte ihnen aber weder Blick noch Lächeln, sondern ritt gleichgültig weiter. Neben ihm wandelten die Fliegenwedler, die mit langen Seidenschärpen dicht vor seinen Hängebacken in der Luft herum fuchtelten, und hinter ihm ritten seine glattzüngigen Staatsminister, die täglich seinem Geiergelüst frönten, damit sein Kopf seinem Magen gleichen und ihre Macht über ihn um so größer sein möchte. Hinter den Staatsministern folgte ein Teil des königlichen Harems. Die Damen ritten auf Maultieren und wurden von Eunuchen begleitet.
Das war Sultan Abderrahmans Einzug in Tetuan. Freute sich das Volk wirklich von Herzen über diesen Besuch? Keineswegs. Sie wußten nur zu gut, daß der Tyrann noch nie etwas anderes für seine Unterthanen gethan, als ihnen Steuern ausgepreßt hatte. Kein Mann, den er vor Ungerechtigkeit beschützt, keine Frau, die er vor Entehrung bewahrt hatte. Nicht einer unter den reichen Wucherern des Landes, der nicht bei einer Botschaft von ihm gezittert, kein armer Kerl, der nicht seine Kerker gefürchtet hätte. Sein Gesetz existierte nur für seine eigene Person. Seine Regierung hatte keine andere Aufgabe, als die Abgaben für ihn einzuziehen. Und dennoch empfing ihn sein Volk mit lauten, vielstimmigen Willkommensrufen.
Furcht! Furcht! Furcht war es im Herzen des Reichen auf dem Dache, dessen Gelder versteckt waren, ebenso sehr, wie in der verdüsterten Seele des blinden Bettlers am Thor, dessen Augen vorlängst ausgestochen worden waren, weil er das Geheimnis seiner verborgenen Schätze nicht zu enthüllen gewagt hatte.
Am frühen Abend dieses selben Tages aber lief eine heimliche Botschaft von zwiefacher Bedeutsamkeit von Mund zu Mund. An stillen Straßenecken, in den bedeckten Gängen, an den Thüren der Bazare, zwischen den in den Fondaks angebundenen Pferden – wo nur immer zwei Männer beisammen stehen und ungehört und unbeobachtet von dritten miteinander reden konnten, da flüsterte man sie sich mit unterdrückter Freude zu. Und so lautete sie: –
»Sie ist wieder in der Kasbah!«
»Ben Oliels Tochter? Gott sei Dank! Aber warum? Hat sie widerrufen?«
»Sie ist erkrankt.«
»Und Ben Abu hat sie ins Gefängnis geworfen?«
»Er denkt wohl, das sei der Arzt, der sie am schnellsten heilen wird.«
»Allah erbarme sich! Der viehische Hund! Aber Gott sei gelobt, wenigstens ist sie vor dem Sultan gerettet.«
»Für jetzt, nur für jetzt!«
»Ein für alle Mal, Bruder, ein für alle Mal! Horch! dein Ohr! Eine andere Neuigkeit für die deinige: der Mahdi kommt! Der Knabe hat ihn geholt!«
»Bismillah! Ben Oliels Junge?«
»Ali. Er ist wieder in Tetuan. Und höre noch dies! Hinter dem Mahdi kommt die –«
»Ya Allah! nun?«
»Horch! ein Fußtritt auf der Straße! – es kommt jemand!«
»Schnell also! Hinter dem Mahdi – was?«
»Gott bringt es an den Tag. In Frieden, Bruder, in Frieden!«
»In Frieden.«