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IX. Israels Reise.

Mohammed von Mekines, der Mann, welchen Israel aufsuchen wollte, war ein Kadi gewesen und der Sohn eines Kadi. Er war noch ein Kind, als sein Vater starb, und wurde von zwei Oheimen, seines Vaters Brüdern, erzogen, beides Männern in noch höherer Stellung, der eine Naïb es-Sultan oder Minister des Auswärtigen in Tanger, der andere Großvezier des Sultans von Marokko. So war in einem Lande, in welchem es eigentlich nur einen Edelmann gibt, nämlich den Sultan, in welchem das Empor- und Abwärtssteigen so frei ist wie in einer Republik, Mohammed gewissermaßen doch dem Adel des Landes entsprungen. Trotzdem verzichtete er auf Rang und Reichtum, als der Ruf der Pflicht und der Schrei des Elends zu ihm drangen.

Ohne Bedenken trennte er sich von seinen Verwandten, gab sein Richteramt auf und ging hinaus in die Einöde. Die Armen und Ausgestoßenen, die Elenden und Zertretenen im Volke, die der Schande, der Verwahrlosung und Entehrung Preisgegebenen verließen die Städte und folgten ihm. Er gründete eine Sekte. Ihre Glieder sollten den Reichtum verachten und die Armut lieben. Keiner unter ihnen durfte mehr besitzen als der andre. Untereinander durften sie weder kaufen noch verkaufen, sondern jeder sollte dem Bedürftigen geben, was er hatte. Schwören war verboten, aber das Wort des Mannes sollte fester stehen als ein Eid. Sie sollten Frieden verkünden und sich der Gewaltthätigkeit nicht widersetzen. Trotzdem sollte es ihnen an Mut nicht fehlen, sondern sie sollten der Feinde, die sie quälten, spotten, bei ihren Schmerzen lächeln und keine Thräne vergießen. Den ruhmvollen Tod sollten sie höher schätzen als das Leben, weil nur ihre Leiber vergänglich, ihre Seelen aber unsterblich seien und – einst von den Banden des Fleisches erlöst – zum Himmel schweben würden. Nicht Abtrünnige vom Koran wollten sie sein, sondern strengere Beobachter desselben; nicht Nazarener und nicht Juden, dennoch in ihren Sitten Nachfolger Jesu und in ihren Glaubenslehren Jünger Mosis.

Und Mauren und Berber, Araber und Neger, Moslemin und Juden gehorchten dem Rufe Mohammeds von Mekines, und er nahm sie alle auf. Von den Straßen und Marktplätzen, von den Thoren der Gefängnisse, aus dem Dienst harter Herren und aus dem zerlumpten Heere des Sultans kamen sie zu Hunderten hervor und scharten sich um ihn. Sie brauchten kein Abzeichen, als das der Armut, keine Fürbitte, als die Stimme des Elends. Die meisten brachten gar nichts mit; viele trugen auf dem Rücken die Striemen ihrer Peiniger. Nur wenige besaßen Herden, die sie vor sich hertrieben, andere besaßen Zelte, die sie mit ihren Genossen teilten; und einige hatten Flinten und erlegten damit den wilden Eber, um mit seinem Fleisch den Hunger zu stillen, und die Hyäne, um sich vor ihr zu schützen. Wenig besitzend und nichts begehrend, ohne Häuser, ohne Äcker, nur durch ihre gänzliche Armut vor ihren Machthabern gesichert, so wanderte diese Gesellschaft zerschlagener Menschentrümmer, deren Lebenskraft gebrochen, die mit Verbrechen beladen war, und Schiffbruch an allem erlitten hatte, unter ihrem Führer von Ort zu Ort in der um Mekines sich ausbreitenden öden Heide. Und er, arm wie sie, ob er wohl hätte reich sein können, sprach ihnen Mut zu und blieb geduldig, selbst wenn sie gegen ihn murrten. Wie Absalam seine kleine Schar vor Tetuan getröstet, so sprach auch er zu ihnen: »Gott wird uns ernähren, wie er die Vögel unter dem Himmel nährt, und unsre Kleinen kleiden, wie er die Felder kleidet.«

Das war der Mann, den Israel aufsuchen wollte. Aber Israel kannte seine Leute zu gut, als daß er ihnen das Ziel seiner Reise hätte nennen sollen. Es gab ohnedies Schwierigkeiten genug für ihn. Das Jahr war noch jung, aber die Tage waren schon heiß; ein flimmernder Dunst zitterte beständig in der Luft; Gras und Ginster hatten das staubige müde Aussehen des Herbstes. Dazu war es der Fastenmonat Ramadhan, und Israels Leute waren Muselmänner. Um sich daher vor der doppelten Plage der drückenden Hitze und der beständigen Zänkereien seiner verschmachtenden Leute zu bewahren, fand es Israel notwendig, bei Nacht zu reisen. Auf diese Weise verkürzte er zwar die Reise durch die Beseitigung einiger Hindernisse, aber die Zeit wurde ihm nur um so länger.

Wie er nun seinen Reiseplan den Männern seiner eignen Karawane verschwiegen hatte, so verbarg er ihn auch den Bewohnern des Landes, durch welches er zog. Da waren denn die Vermutungen, die sie darüber hegten, von der mannigfachsten Art, oft sehr spaßig, zuweilen für sie beängstigend. Als er durch seine Provinz Tetuan zog, dachten die armen Leute nicht anders, als daß er gekommen sei, eine neue Abschätzung ihrer Ländereien und Meiereien vorzunehmen, um sie von neuem noch gründlicher zu besteuern. Um nun seine Gnade im voraus zu erkaufen, kamen viele aus ihren Häusern, als er sich näherte, knieten vor seinem Pferde nieder, küßten den Saum seines Kaftans und seine Kniee, sogar seinen Fuß im Steigbügel, nannten ihn Sidi (Herrscher, gnädiger Herr), ein Titel, der noch nie einem Juden gegeben war, und boten ihm Geschenke aus ihren mageren Vorräten an.

»Eine Gabe für den gnädigen Herrn,« sagten sie, »von dem wenigen, was uns Gott gegeben hat, gelobt sei sein heiliger Name ewiglich!«

Dann schoben sie ihm ein Schaf oder eine Ziege hin, oder hängten ihm ein paar an den Beinen zusammengebundene Hühner über den Sattel, und eine alte Frau, die allein von einem elenden Streifchen Land in einer öden Gegend lebte, brachte ihm in beiden zitternden Händen eine Schale Buttermilch.

Die angstvollen Befürchtungen des Volkes rührten Israels Herz, aber er ließ es sich nicht merken.

»Behaltet eure Sachen,« rief er den armen Leuten zu, »behaltet sie, bis ich wiederkomme.« Auf dem Rückwege wollte er ihnen dann sagen, daß sie ihre armseligen Gaben ganz und gar behalten möchten.

Als er die Provinz Tetuan hinter sich und das Paschalik von El Kasaar betreten hatte, eilten ihm die barhäuptigen Bewohner des Koosthales voraus zu dem Kaid jener gleichnamigen, aus Backsteinen erbauten grauen Stadt der Störche, Palmbäume und – der üblen Gerüche, und der Kaid, welcher dem Reiseplan Israels ganz andere Gründe unterlegte, kam am frühen Morgen an die baufällige Brücke, um ihn dort ehrerbietig zu empfangen.

»Friede sei mit dir!« sagte der Kaid. »Also mein gnädiger Herr reiset wieder zu dem Sherif nach Weßan; möge ihn die Barmherzigkeit des Allgütigen beschützen!«

Israel antwortete weder ja noch nein, sondern verfolgte schweigend seinen Weg durch das Labyrinth winkliger Gäßchen nach dem Quartier, welches in der Nähe des Marktplatzes für ihn bereitet war. An demselben Abend verließ er, beladen mit Geschenken des Kaid, die Stadt. Zu beiden Seiten bildeten halbverhungerte und halbnackte Bettler, welche ihn mit fieberisch glänzenden Augen anstarrten, ein trauriges Spalier.

Am folgenden Tage, als die Sonne aufging, gelangte er auf die Höhen von Weßan, einer heiligen Stadt der Marokkaner, welche mit ihren Oliven-, Wacholder- und immergrünen Eichbäumen am Fuße des hohen zweigipfligen Bu-Hallal gelegen ist. Dort am Thor seiner duftigen Orangengärten stand der jugendliche Groß-Sherif selbst, um Israel zu begrüßen. Dieser hatte wieder eine andere Vermutung über den Zweck seiner Reise.

»Willkommen! willkommen!« sagte der Sherif. »Alles was du siehst, ist dein, bis Allah es fügt, daß du mich – nur zu früh – verlassen mußt, um deine glückselige Botschaft unserm Herrscher, dem Sultan in Fes auszurichten – Gott segne ihn und gebe ihm langes Leben!«

»Gott gebe dir Freude!« sagte Israel, aber er antwortete nicht auf die Frage, welche die Begrüßung des Sherifs in sich schloß.

»Zwanzig Jahre und darüber sind vergangen, Herr,« fuhr der Sherif fort, »seit mein Vater dich aus Tetuan herrief, und mannigfaltig ist das Auf und Ab des Lebens, sind die Wechselfälle des Daseins nach Allahs Willen in dieser Zeit hier gewesen; aber nichts hat in diesen vergangenen Jahren so segensreich gewirkt, als die Erhebung von Israel den Oliel, und nichts kann für die Zukunft erfreulicher sein, als die Gunstbezeugungen, welche der Sultan (Gott erhalte unsern Herrscher Abder-Rhaman!) noch für ihn aufgehoben hat!«

»Das wird Gott zeigen!« sagte Israel.

Kein Jude war je vorher in dies marokkanische Mekka eingeritten, aber jetzt stieg der Sherif von seinem Pferde, bot es Israel an, schwang sich statt dessen auf das Tier des Juden, und so ritten sie nebeneinander über den Marktplatz, vorbei an der alten in Trümmer gesunkenen und von Falken bewohnten Moschee, an der neuen Moschee der Aïßawà und an den drei unsaubern Fondaks Nach Rohlfs: Funduks = Karawanserai oder Gasthof., worin die Juden wie das Vieh eingepfercht sind. Ein Schwarm Araber in zerfetzten, schmierigen Lumpen folgte ihnen auf den Fersen, ein Haufe barfüßiger Juden kam an ihnen vorbei, und an den Mauern des Gefängnisses lehnten ein paar schmutzbespritzte Renegaten, welche die Mützen von ihren struppigen Haaren zogen und sich verbeugten.

Während an diesem Tage die armen Leute in der Stadt nach der Vorschrift des Ramadhan fasteten, durfte Israels kleines Gefolge von Muselmännern – als Gäste im Hause der Nachkommen des Propheten – mit ausdrücklichem Dispens des Sherif, weil sie Reisende waren, nach Belieben essen und trinken. Unmittelbar vor Sonnenuntergang machten sich Israel und seine Leute wieder auf die Reise, während die schwarze Leibgarde des Sherif als Führer und Ehrengeleit vor ihnen herritt. Auf dem lärmenden Marktplatz wartete eine große Volksmasse Hungernder und Dürstender mit wilden, schmutzigen Gesichtern unter einer Woge bebender Gluthitze und inmitten dichter Wolken heißen Staubes auf den Kanonenschuß, welcher das Ende dieses Fasttages verkündigen sollte. Wasserträger standen an den Brunnen, bereit, ihre leeren Ziegenschläuche zu füllen; Frauen und Kinder saßen am Boden mit Näpfen voll fettiger Suppe zwischen den Knieen nebst Kügelchen, welche sie mit den Fingern aus Körnern zusammengeknetet hatten, und die Männer lagen umher, ihre mit Kief Etwas Ähnliches wie der aus den Blütenblättern des Hanf gewonnene Haschisch. gestopften Pfeifen in den Händen, Feuerstein und Zunder in Bereitschaft, um sie anzuzünden. Der Mudin aber stand auf dem Minaret und schaute nach dort hinüber, wo die rote Sonne langsam hinter der Ebene versank.

Der tiefste Ekel ergriff Israels Seele, denn er wußte ja, daß diese verschwenderischen Ehren ihm von den Reichen aus Selbstsucht, von den Armen aus Furcht erwiesen wurden. So lange sie glaubten, daß der Sultan nach ihm gesandt habe, küßten sie ihm, der keine Huldigung verlangte, die Füße, und beluden ihn, der keine Gaben brauchte, mit Geschenken. Aber ein Wort aus seinem Munde, nur ein kleines Wort, ein anderer Name, und was wurde dann aus diesem Lippendienst, dieser hohen Ehrerbietung?

Zwei Tage später erreichten Israel und seine Begleiter vor Tagesanbruch die schlangenartig gewundenen Wälle von Mekines, der »Stadt der Mauren«. Nachdem sie sich in der Dunkelheit über die kahle Ebene und den Gürtel von verwesendem Aase, der die Stadt umgibt, durch die Hitze und die Dämpfe dieses übelriechenden Ortes mühsam durchgearbeitet hatten, kamen sie unter dem wütenden Gebell der Hunde, welche nachts hier herumstreifen und für die Reinigung der Gegend durch Vertilgung des Aases sorgen, im Morgendämmer an das Stadtthor. Es war verschlossen, und die Wächter, die es hüten sollten, schnarchten in ihren Lumpen unter dem inneren Thorbogen.

»Selám! M'barak! Abd-el-Kader! Abd-el-Karim!« schrieen des Sherifs schwarze Leibwächter die verschlafenen Thorhüter an. Sie waren Israel zu Ehren soweit mitgekommen, und sollten nicht eher nach Weßan zurückkehren, als bis sie ihn vor sein Quartier geleitet hatten.

Von der anderen Seite des Thores ertönten durch das Düster und den Nebel Gähnen, unterbrochenes Schnarchen, dann Gekeife und Gefluche. »Daß dein Vater brennen möge! Ist das ein Spektakel mitten in der Nacht!«

»Selám!« schrie einer von der Leibwache. »Du Hund von einem Hunde! Deinen Vater hat eine Hyäne behext! Ich will dich lehren, deinen Vorgesetzten zu fluchen! Schnell, steh auf! oder ich werde dich über den Löffel barbieren! Mach auf! oder der Esel soll dir auf den Kopf trampeln! So! – und so! und wieder so!« und bei jedem Wort erdröhnte der Kolben seiner langen Flinte gegen das alte eichene Thor.

»Hamed el Weßáni!« murmelten mehrere Stimmen innerhalb des Thores.

»Ja,« schnaubte der Mann des Sherifs. »Und der gnädige Herr Israel von Tetuan ist da, auf seinem Wege zum Sultan, Gott gebe ihm Sieg! Hört ihr, ihr Hunde? Sidi Israel el Tetawani, der hier im Dunkeln sitzt, derweil ihr schnarcht und schlaft in euerm Unflat!«

Drinnen folgte nun eine geflüsterte Beratung, dann Schlüsselrasseln, und endlich knarrte das Thor in seinen Angeln und die Flügel thaten sich auf. Im nächsten Augenblick lagen die Thorwächter zu Israels Füßen und erflehten um der Gnade Allahs und seines Propheten willen seine Vergebung. Inzwischen waren die anderen beiden nach der Kasbah gerannt, und ehe Israel weit in die Stadt geritten war, kam der Kaid angelaufen – dem Ceremoniell sowohl wie seiner Stellung entgegen – zu Fuß, ohne Pantoffeln, mit nichts bekleidet als dem Selham und Fes, ganz außer Atem, und doch den Mund voller Entschuldigungen.

»Ich hörte, daß du kommen würdest,« stieß er hervor, »– auf Befehl des Sultans – Allah erhalte ihn! – Hätte ich aber gewußt, daß du so bald hier sein würdest – dann – das heißt –«

»Friede sei mit dir!« unterbrach ihn Israel.

»Gott gebe dir Frieden! Der Sultan – Dank sei dem barmherzigen Gotte!« fuhr der Kaid fort, sich bis auf Israels Steigbügel herabneigend – »kam gestern bei Sonnenuntergang von Marakesch in Fes an; du kommst gerade zur rechten Zeit.«

»Das wird Gott zeigen,« sagte Israel und wollte seinen Weg fortsetzen.

»Ja wahrlich – jawohl – sicherlich – der gnädige Herr ist müde,« pustete der Kaid, sich von neuem tief verneigend. »Nun, deine Wohnung ist bereit – die beste in Mekines – und deine Mona Das Gericht, welches vom Statthalter oder von der Stadt für vornehme Gäste bereitet wird. kocht schon – das Köstlichste, was die Berberei bietet – und wenn unser allergnädigster Abderrahman dich zu seinem Großvezier gemacht hat –«

So schnatterte der Mensch weiter, wie eine Elster, und verneigte sich fast bei jedem Wort bis auf die Erde, bis sie zu dem Hause kamen, worin Israel und sein Gefolge bis Sonnenuntergang bleiben sollten; und immer klang es wie ein Refrain durch seine Worte: – »der Sultan, der Sultan, der Sultan, und Abderrahman, Abderrahman!«

Israel konnte das nicht länger ertragen. »Pascha,« sagte er, »es ist ein Mißverständnis; der Sultan hat nicht nach mir geschickt, und ich gehe auch nicht zu ihm.«

»Gehst nicht zu ihm?« sprach ihm der Kaid ausdruckslos nach.

»Nicht zu ihm, sondern zu einem anderen,« sagte Israel; »und du wirst mir am besten sagen können, wo dieser andre zu finden ist. Ein großer Mann, der sich neuerdings erhoben hat – aber ein armer Mann – der junge Mahdi Mohammed von Mekines.«

Ein langes Schweigen folgte diesen Worten.

Israel blieb an diesem Tage nicht bis Sonnenuntergang in Mekines. Bald nach Sonnenaufgang ritt er aus dem Thor, durch das er vor kurzem eingezogen war, wieder hinaus, und kein Mensch gab ihm das Ehrengeleit. Die schwarzen Leibwächter des Sherifs von Weßan waren schon vor ihm kichernd und grinsend vor Abscheu abgezogen, und hinter ihm zog nur seine eigne kleine Karawane von Soldaten, Führern, Maultiertreibern und Zeltträgern, welche gleich ihm weder geschlafen noch gegessen hatten, und sich grollend weiterschleppten. Der Kaid hatte sie aus der Stadt hinaus gewiesen.

Als später am Tage Israel und seine Leute im Schutz ihrer Zelte auf der Ebene von Sais am Flusse Nagar ausruhten, in der Nähe des Duar, eines Zeltdorfes, und des Palmenbaumes neben der Brücke, kamen in brennendem Sonnenschein zwei Männer in marokkanischer Kriegertracht an ihnen vorüber. Sie ritten in wütendem Galopp aus der Richtung der Stadt Fes her und riefen jedermann zu, der ihnen begegnete, aus ihrem Pfade zu weichen. Es waren Boten vom Sultan, die Briefe an den Kaid von Mekines mit sich führten, mit dem Befehl, sich ohne Säumen nach dem Palast zu begeben, um Rechenschaft von seinem Haushalte abzulegen, oder aber sein Vermögen auszuliefern und ins Gefängnis geworfen zu werden für die Veruntreuungen, die das Gerücht ihm zur Last legte.

Solches war der Auftrag der Soldaten, nach den Berichten des Landvolkes, das sich mühsam hinter ihnen herschleppte, auf dem Heimwege von den Märkten von Fes; und groß war die Schadenfreude von Israels Leuten, die sich mit Bitterkeit daran erinnerten, wie gemein sie der Kadi zuletzt in seiner falschen, heuchlerischen Fürstentreue behandelt hatte.

Israel selbst, der sich von dem wunderlichen Spiel des Schicksals zu nahe berührt fühlte, konnte sich über diese neue launenhafte Grille desselben nicht freuen, obgleich ihr Opfer ihn ganz vor kurzem von seiner Thür gewiesen hatte. Unselig ist der Mann, dessen Schatz der Geldbeutel ist und der sein Glück auf die Gunst der Fürsten baut! Wenn der eine ihm genommen und die andere ihm entzogen wird, wo bleibt dann eines solchen Mannes Hoffnung auf Seligkeit, sei es im Diesseits, sei es im Jenseits? Der Kerker, die Kette, die Peitsche, der hölzerne Dschellab Ein enger, hölzerner Kasten, der inwendig die Spitzen von scharfen Nägeln zeigt, und in welchem der Eingesperrte nur gebückt sitzen kann: eine Marter, die meist mit dem Tode endet., was bleibt ihm außerdem? Nur die Wehklagen der Armen, die er ärmer gemacht, der Fluch der Waisen, die er vaterlos gemacht, und die Verwünschungen der Zertretenen, die er unterdrückt hat. Diese folgen ihm ins Gefängnis, und ihr Geschrei mischt sich mit dem Klirren seiner Eisenlast, denn dies sind Stimmen, die ihren Urheber noch niemals verlassen haben, sondern die, je näher dem Ende, desto lauter lärmen und das Todesröcheln in seiner Brust übertönen!

Eine düstere Stunde wartet eines jeden Menschen unfehlbar, ob im Kerker oder im Palast – eine einsame Stunde, in der niemand ihm Gesellschaft leisten kann – und was sind dann Reichtümer und Schätze für seine unsterbliche Seele? Was ist Macht und Ruhm für sie über die Erde hinaus? O Herrlichkeit der Erde – was kann sie mehr sein als ein Irrlicht, dem man bei dunkler Nacht nachjagt! O Gut an Gold und Silber – was war es je anders als ein betrügliches Sumpffeuer im Abenddämmer! Das Reich dieser Welt ist böse, und böse ist der Dienst ihres Fürsten.

Dann gedachte Israel Naomis, seines fernen süßen Herzblättchens. Ob auch alles andere von ihm abfiele, wie trockner Sand aus loser Hand herabrinnt – wenn nur durch Gottes Gnade das Los des Sühnopfers von seinem Kinde hinweggenommen werden könnte, so wollte er zufrieden und glücklich sein. Naomi! Sein Herzblatt! Sein Liebling! Seine holde, um seiner Übertretungen willen heimgesuchte Blume! O mochte er doch alles verlieren, alles und jedes was die Welt und alles was der Teufel ihm gegeben hatte, wenn nur der Fluch von seinem hilflosen Kinde genommen würde! Denn was ist Gold ohne Frohsinn, und was Überfluß ohne Frieden?

Israel fand den Mahdi endlich im Lande der Verbenen und Muskathyacinthen, welches um die Mauern von Fes her sich ausbreitet. Der Prophet war ein junger Mann von ungewöhnlich hohem Wuchse, aber von keiner großen Körperkraft. Das Haupt trug er etwas gesenkt gleich einer Blume, doch in seinen Augen lohte die Begeisterung. Sein Volk, eine zusammengelaufene, gewaltige Menschenmenge, bedeckte die Ebene, einen Feldweg im Geviert, und schloß eine Unzahl Weiber und Kinder in sich. Israel hatte sie zur bösen Stunde angetroffen.

Das Volk murrte wider seinen Führer. Sechs Monate war es nun her, seit sie ihre Häuser verlassen hatten und ihm gefolgt waren. Von Mekines nach Rabat, von Rabat nach Messagan, von Messagan nach Mogador, von Mogador nach Marakesch und endlich von Marakesch durch die trügerische Beni Magild nach Fes waren sie gezogen. Bei jedem Schritt hatte ihre Zahl sich vermehrt, aber ihre Habe sich vermindert, denn nur die Besitzlosen hatten sich ihnen angeschlossen. Trotzdem hatten sie ihre Entbehrungen – die ermüdenden Wanderungen, Hunger und Blöße, die Regengüsse des Frühjahrs und die sengende Sommerhitze geduldig ertragen, solange sie ihre Viehherden besaßen. Aber die Soldaten der Kaids, durch deren Gebiete sie zogen, hatten ihnen dieselben unter dem Namen des Tributes weggenommen. Der letzte Raubzug gegen ihre Armut war gerade an diesem Tage vom Kaid von Fes unternommen worden, und jetzt hatten sie weder Ziegen, noch Schafe, noch Rinder, auch nicht einmal mehr Gewehre, um Wild zur Nahrung zu schießen, und ihre Kinder weinten und schrien nach Brot.

So wurden die Angesichter der armen Leute finster, und sie schauten einander voll ohnmächtiger Wut in die Augen. Hatte man sie darum aus den Städten gelockt, damit sie nun in der Einöde verschmachteten? Wäre es nicht besser gewesen, dort zu bleiben und zu leiden, als zu fliehen und umzukommen? Was war aus den eitlen Verheißungen geworden, die man ihnen gemacht hatte, daß Gott sie ernähren würde, wie er die Vögel unter dem Himmel nährte? Gott war Zeuge aller ihrer Not. Er sah es ja mit an, wie sie Tag für Tag beraubt wurden, er sah es, wie sie Stunde um Stunde Hunger litten. Er sah sie dahin sterben. Sie waren zum Narren gemacht! Ein ruhmrediger Mensch hatte es gethan, der sich durch sie den Weg zur Macht bahnen wollte. Er pflügte ihn sich durch ihre Leiber! »Wir werden Hungers sterben! – Unsre Kinder verschmachten! – Schaffe uns Brot! – Brot! – Brot!«

Mit solchem Geschrei, in das sich wilde Flüche mischten, hatte die hungernde Volksmenge in ihrer wahnsinnigen Erregtheit Mohammed von Mekines umringt, als Israel mit seinem Gefolge sich ihnen näherte. Und Israel vernahm ihr Schreien und auch die Stimme ihres Führers, als er ihnen antwortete.

Zuerst erhob sich der junge Prophet unter seinem Volke mit flammenden Augen und zuckenden Nasenflügeln. »Glaubt ihr, ich sei Moses,« rief er, »daß ich sollte an den Felsen schlagen und ein Wunder für euch thun? Wenn ihr hungert, bin ich satt? Wenn ihr nackt seid, bin ich bekleidet?«

Aber im nächsten Augenblick war das Feuer des Zornes aus seinem Antlitz geschwunden, und er sprach mit bewegter Stimme:

»Ihr guten Leute, die ihr mir gefolgt seid durch all dieses Elend, ich weiß, daß eure Lasten schwerer sind, als ihr tragen könnt, daß euer Leben kaum zu ertragen ist, und daß der Tod euch eine Erlösung sein würde. Und trotzdem, wer kann wissen, ob Allah nicht schon einen Ausweg bereit hat, diese Trübsal von seinen Knechten abzuwenden, und daß er, uns allen verborgen, schon in diesem Augenblick seinen barmherzigen Willen vollzieht! Habt Geduld, ich bitte euch! Geduld, armes Volk – Geduld und Vertrauen!«

Auf diese Worte schwieg das Murren der Unzufriedenen. Israel aber erinnerte sich der Geschenke, mit denen der Kaid von El Kasar und der Sherif von Weßan ihn beladen hatten. Es waren Juwelen und Kleinodien wie sie oftmals ungesetzlicherweise von eitlen Männern jenes Landes getragen werden – silberne Siegelringe und Ohrringe, Halsketten und Salomos Siegel vor der Brust zu tragen als Amulett gegen den bösen Blick – auch eine Menge Goldfiligran, wie die Männer es ihren Weibern schenken. Israel hatte alles in eine Schachtel gepackt und dieselbe in einen der Blätterkörbe gelegt, die über dem Rücken eines Maultiers hingen, und nicht weiter daran gedacht. Jetzt rief er den Maultiertreiber, der sie in Verwahrung hatte, herbei und sagte zu ihm: »Bringe dies schnell dem guten Manne dort, und sage: Ein Geschenk für den Mann Gottes und für sein Volk in ihrer Not.«

Als der Diener das mit Gold und Silber gefüllte Kästchen offen zu den Füßen des jungen Mahdi niedergesetzt und gesprochen hatte, wie ihn Israel geheißen, da war es dem Propheten und seinen Genossen nicht anders, als habe der Himmel sich aufgethan und Manna auf ihre Häupter regnen lassen.

»Unser Gebet ist erhört!« rief er. »Ein Engel vom Himmel hat dies gebracht!«

Sobald seine Anhänger sich das gute Glück, das ihnen zugefallen war, recht vergegenwärtigt hatten, gaben sie seinen Freudenruf zurück und riefen aus ihren verschmachtenden Kehlen:

»Prophet Allahs, wir wollen dir folgen bis ans Ende der Welt!«

Und dann fielen sie rings um ihn her auf die Kniee, die vielen Männer und Weiber, alle grinsend wie Affen vor Hunger und Freude zugleich, alle in einem Atem schluchzend und lachend wie die Kinder, und sandten ein gebrochenes Dankgeschrei empor zu Gott, daß er ihnen Hilfe gesandt und sie nicht sterben durften. Endlich, als sie wieder aufgestanden waren, blickten die Männer einander an und sagten einer zum anderen voll Scham: »Ich hätte es selbst wohl ertragen können, als aber die Kinder zu mir um Brot schrieen, wurde ich ein Narr!«


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