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II. Die Geburt Naomis.

Israel kümmerte sich weder um Juden noch um Mauren, sondern machte sich sofort daran, für sich und Ruth ein Haus zu bauen, in dem sie viele Jahre behaglich miteinander leben könnten. Er baute es an der Südostecke der Mellah, halb in maurischem, halb in englischem Stil, mit einem offnen Hof und Korridoren, Marmorpfeilern und Marmortreppen, Mosaikwänden und Decken von Stalactit, aber auch mit Fenstern und Thüren. Und als sein Haus gerichtet war, that er keine Haitis (Wandbehänge von Seide) hinein und breitete keine Polster auf den Boden, sondern ließ sich Stühle, Tische und Sofas aus England kommen; und alles was er in dieser Richtung that, erweiterte die Kluft zwischen ihm und seinen Landsleuten, Mauren sowohl wie Juden.

Endlich fest ansässig und sein eigner Herr im eignen Hause, außer Gefahr, von seinen Feinden je wieder auf die Straße gesetzt zu werden, kam ihm plötzlich und zum ersten Mal der vernichtende Gedanke, daß das neuerbaute Haus zwar für ihn selbst eine Zufluchtstätte, für seine Frau aber kaum etwas anderes als ein Gefängnis werden mußte. Indem er Ruth heiratete, hatte er den Kreis seiner Vertrauten um ein treu liebendes Herz erweitert, aber indem sie ihn heiratete, hatte sie ihre Freunde bis auf ihn, den einen, verloren. Ihr Vater war tot. Wenn sie auch die Tochter des obersten Rabbi war, so war sie doch das Weib eines Ausgestoßenen, die Gefährtin eines Paria, und war mit ihm ein für allemal allein. Sogar ihre Sklavinnen sprachen noch einen fremdartigen Dialekt, und sie konnte sich mit ihnen nur durch Zeichen verständigen.

Indem er dies selbstquälerisch überdachte, tröstete ihn nur ein Gedanke – die Hoffnung nämlich, daß Ruth bald ein Kindlein bekommen möchte. Dann würde ihre Einsamkeit verscheucht werden durch die liebste Gesellschaft, die es für eine Frau auf Erden gibt. Und wenn er ihr ein Unrecht zugefügt, so sollte sein Kind das sühnen.

Immer und immer wieder weilte er bei diesem Gedanken. Die köstliche Hoffnung verfolgte ihn förmlich. Es war sein Geheimnis, das er nie laut werden ließ. Aber die Zeit verging, und kein Kind wurde geboren. Ruth selbst erkannte, daß sie unfruchtbar sei, und begann vor ihrem Gatten den Kopf sinken zu lassen. Israel hielt länger an seiner Hoffnung fest, endlich aber konnte er sich der Wahrheit nicht mehr verschließen. Da, als er merkte, daß sein Weib sich schämte, überkam ihn eine große Zärtlichkeit. Er hatte nur an sie gedacht, als er der Hoffnung Raum gab, ein Kind solle ihr Trost sein, und sie hatte derweile nur an ihn gedacht und gehofft, ein Kind solle sein Stolz sein. Seitdem kam er nie nach Haus ohne Geschichten von Frauen zu erzählen, die auf dem Friedhofe an den Gräbern ihrer Säuglinge wehklagten, von Männern, deren Herz über dem Verlust ihrer Söhne gebrochen war, und er schloß daraus, wie Gott deshalb mit denen am gnädigsten verführe, denen keine Kinder geschenkt würden.

So gelang es seiner großen Seele, eine Zeit lang seine Enttäuschung vor sich selbst zu verbergen und sich wie auch Ruth dadurch zu hintergehen. Aber eines Tages begegnete ihm die Prophetin Rebekka wieder an der Straßenecke neben seinem eignen Hause, und sie wies auf sein Antlitz mit ihrem dürren Finger und schrie: »Israel ben Oliel, das Gericht des Herrn ist über dir, und wird es nicht zulassen, daß du Kinder aufziehst zu einer Schmach und zu einem Fluch unter deinem Volke!«

»Pfui über dich, Weib!« schrie Israel, und in der ersten Raserei seines Schmerzes hätte er fast die Hand erhoben, um sie zu schlagen. Ihre anderen Weissagungen waren an ihm abgeglitten, diese zerschmetterte ihn. Er ging heim, schloß sich in sein Zimmer, und den ganzen Tag hindurch ließ er niemand zu sich.

Jetzt endlich erkannte Israel sein innerstes Herz. Er zürnte über die Unfruchtbarkeit seines Weibes, zürnte wie ein stolzer Mann, dessen Stolz gedemütigt worden war. Was half es ihm am Ende, daß er das Schicksal, welches ihn anfänglich niederschlug, besiegt hatte? Was nutzte es ihm, daß er die Welt unter seine Füße gezwungen hatte? Über ihm waltete der Himmel, und der ärmste Mann in der Mellah, welcher Vater eines Kindes war, durfte verächtlich auf ihn herabblicken.

In dieser Nacht floh der Schlummer seine Lider; seine Lippen brannten, und sein Herz war voll Bitterkeit. Zuweilen warf er sich tausenderlei Sünden vor. Dann wieder forschte er in der Schrift, um sich zu überreden, daß er untadelig vor dem Herrn gewandelt habe in den Geboten und Satzungen Gottes.

Inzwischen hatte Ruth in ihrer Einsamkeit daran gedacht, daß es nun drei Jahre her war, seit sie Israel vermählt wurde, und daß nach den Gesetzen ihres Volkes und ihres Landes ein Weib, das lange unfruchtbar gewesen ist, sofort von ihrem Gatten geschieden werden darf.

Am folgenden Morgen kam eine Botschaft vom Kalifa, dem höchsten Beamten des Statthalters, aber Israel wollte nicht darauf antworten. Dann kam ein Befehl vom Statthalter selber, doch er achtete des nicht. Endlich vernahm er ein leises Klopfen an seiner Zimmerthür. Es war Ruth, sein Weib. Ihr öffnete er, und sie trat ein.

»Schicke mich fort von dir!« rief sie. »Schicke mich fort!«

»Nicht um den Thron des Kaid,« antwortete er fest, »nein, auch nicht um den des Sultans!«

Da fiel sie ihm um den Hals und küßte ihn, und ihrer beider Thränen flossen zusammen. Doch endlich tröstete er sie und sprach: »Blick auf, Liebste! blick auf! Ich bin wohl ein stolzer Mann unter den Männern, aber mir geschehe, wie der Herr will! Und wer darf wider Gott murren?«

Bei diesen Worten hob Ruth den Kopf von seiner Brust, und in ihren Augen leuchtete ein plötzlicher Gedanke auf:

»So laß uns den Herrn anrufen!« flüsterte sie dringend. »Er wird sicherlich unser Gebet erhören!«

»Das ist des Herrn Stimme!« rief Israel, »und heute noch soll es geschehen!«

Um die Zeit des Abendgebets gingen Ruth und Israel Hand in Hand miteinander nach der Synagoge, die in einem schmalen Gäßchen lag, welches auf den Sôk el Fôki mündete. Ruth kniete an ihrem Platz auf der Galerie dicht unter dem eisernen Gitter und den Kerzen darüber, und sie betete: »O Herr, habe Erbarmen mit deiner Magd und nimm von ihr die Schmach unter den Weibern. Laß sie Gnade finden vor deinem Angesicht, o Herr, auf daß ihr Mann sich nicht schämen dürfe. Gib ihr ein Kind durch deine Barmherzigkeit, auf daß sein Auge ihr zulächle. Doch nicht wie sie will, sondern wie du willst, o Herr, und deine Magd wird zufrieden sein!«

Aber Israel stand lange unten, die Hand aufs Herz gedrückt, die Augen zu Boden gesenkt, und rief Gott an, wie ein Gläubiger, der sich nicht abweisen lassen will, und sprach: »Wie lange willst du meiner vergessen, o Herr? Meine Feinde triumphieren über mich und prophezeien dein Gericht über mich. Sie sitzen heimlich beisammen in den Straßen, um meiner zu spotten. O Herr, mache zu Schanden meine Feinde und mache zu nichte ihre Anschläge. Gedenke an Ruth, ich bitte dich; siehe an ihre Geduld und die Demut ihres Herzens. Gib ihr Kinder von deinem Knecht, und ihr Erstgeborener soll dir geheiligt sein. Gib ihr nur ein Kind, und es soll dein sein – wenn es ein Sohn ist, um ein Rabbi zu werden in deinen Schulen. Höre mich, o Gott, und vernimm mein Schreien, denn siehe, ich schwöre es vor dir. Ein Kind, nur eins, ein einziges, Sohn oder Tochter! Herr, vor dir ist alle meine Begierde, und mein Seufzen ist vor dir! Wie lange willst du meiner vergessen, o Herr!«

Die Botschaft des Kalifa So viel als Unterpräfekt (Rohlfs)., welche Israel in seinem Schmerze nicht beantwortet hatte, war eine Aufforderung des Sherif von Wessan, ohne Zögern nach jener Stadt zu kommen, um seinen Erbzins zu berechnen und seine Steuern abzuschätzen. Diese Aufforderung hatte der Statthalter in einen Befehl verwandelt, denn der Sherif war ein Fürst des Islam in seinem Lande, und in vielen Provinzen zahlten ihm die Gläubigen Tribut. So machte sich denn Israel in drei Tagen reisefertig; Diener und Maultiere und mit Zelten beladene Kamele standen vor seiner Thür, seiner Befehle gewärtig.

Voraussichtlich mußte er mehrere Monate von Tetuan abwesend sein, und Ruth konnte ihn unmöglich begleiten. Nie waren sie bisher getrennt gewesen, und nun sollte die Trennung eine so lange sein. Das war Ruths Kummer, aber Israels Kummer ging tiefer.

»Ruth,« sagte er, als die Zeit zur Abreise gekommen war, »ich muß dich verlassen, aber meine Feinde bleiben hier. In all meinem Thun sehen sie Übles, und auch diese Reise werden sie verdammen. Versprich mir, daß, wenn sie dich verspotten, du um deines Mannes willen nicht auf sie blicken, wenn sie dich schmähen, du nicht auf sie hören, und wenn sie dich über mich ausfragen, du ihnen nicht antworten wirst.«

Und Ruth versprach ihm, daß, wenn seine Feinde ihren Spott mit ihr trieben, sie dafür blind, wenn sie sie schmähten, taub, und wenn sie nach ihrem Gatten fragten, stumm sein würde. Darauf schieden sie mit vielen Thränen und Umarmungen von einander.

Israel hatte sechs Monate lang in der Stadt und Provinz Wessan zu thun. Als er die ihm aufgetragene Arbeit vollendet hatte, sandte ihn der Sherif nach Tetuan zurück, mit reichen Geschenken beladen und begleitet von Soldaten und Dienern, welche ihn erst vor der Thür seines eigenen Hauses verließen.

Und dort in ihrem Gemache saß Ruth und wartete auf ihn. Ihre Augen waren feucht von Freudenthränen, ihr Herz pochte zum Zerspringen, und auf ihren Lippen zitterte eine große Neuigkeit.

»Liebster,« flüsterte sie; »ich habe dir etwas zu sagen –«

»Ach, ich weiß,« rief er; »ich weiß es schon. Ich lese es in deinen Augen!«

»So höre doch,« flüsterte sie wieder, während sie mit dem Kragen seines Kaftans spielte und tief errötend ihm nicht ins Gesicht zu sehen wagte.

Ihr Gebet in der Synagoge war erhört, und das Kind, um das sie gebetet hatten, sollte kommen.

Israel geriet außer sich vor Freude. Er unterbrach die Mitteilung seines Weibes und drückte sie unter heißen Küssen wieder und wieder an sein Herz. Lange hielten sie so einander umarmt. Dabei erzählte er ihr von allem, was er während seiner Abwesenheit von ihr erlebt, und sie erzählte ihm von der nur durch die armselige Gesellschaft Fatimas und Habibas unterbrochenen Einsamkeit der sechs langen Monate, in denen sie für jedermann sonst blind und taub und stumm gewesen war.

Während der nun folgenden Monate, bis Ruths Zeit gekommen war, saß Israel fast beständig bei ihr. Er konnte es kaum übers Herz bringen, sie auf Augenblicke zu verlassen. Er füllte ihr Zimmer mit Blumen und Früchten. Kein Wunsch ihres Herzens blieb unerfüllt. Und sie berieten liebevoll miteinander, wie sie das Kind nennen wollten, wenn die Zeit dazu gekommen wäre. Israel beschloß, daß wenn es ein Sohn sei, es David heißen solle, und Ruth wieder wollte, wenn es ein Mädchen sei, es Naomi nennen. Und sobald es entwöhnt war, wollte sie es nach der Synagoge bringen und sprechen: »O Herr! Ich bin das Weib, das vor dir auf den Knieen gebetet hat. Um dies Kind bat ich, und du hast mein Gebet erhört!« Dann setzte ihr Israel auseinander, wie sein heranwachsender Sohn ein Rabbi werden und vor dem Herrn dienen sollte, und wie es sich eines Tages begeben würde, daß die Kinder der Feinde seines Vaters vor ihm im Staube kriechen und um eine Silbermünze oder ein Stück Brot betteln würden. So bauten sie Luftschlösser für die Zukunft des Kindes, dessen Geburt sie erwarteten.

Endlich kam Ruths Stunde, und es war zugleich das Passahfest im Monat Nisan. Das war eine besondere Freude für Israel, denn er lechzte danach, über seine Feinde von Angesicht zu Angesicht zu triumphieren, und er konnte nicht noch acht Tage länger warten bis zum Feste der Beschneidung. So machte er denn ein wahrhaft königliches Mahl: den Vorderschenkel eines Schafes und den Vorderschenkel eines Rindes, das in der Asche geröstete Ei, die Kugeln von Charoseth, die drei Mizvoth und den Wein. Inzwischen war die Hebamme herbeigerufen worden, und die Nacht des Seder, des ersten Passahabends, nahte heran.

Darauf sandte Israel Boten aus, um seine Gäste einzuladen. Nur seine Feinde lud er ein, seine bittersten Gegner, unter ihnen die drei gemeinen Wucherer, Abraham den Ferkler, Juda ben Lolo und Ruben Maliki. »Sie fluchten mir,« dachte er, »und ich will ihre Beschämung sehen!« Sein Herz lechzte danach, auch Rebekka Bensabbot zu laden, aber er wußte wohl, daß ihre hochmütigen Herren nicht mit ihr zu Tische sitzen würden.

Als nun die Feinde die Einladung erhielten, entschuldigten sie sich alle und lehnten ab: »Es sei das Passahfest,« sagten sie, »an dem niemand anderswo, als in seinem eigenen Hause und an seinem eigenen Tische sitzen solle.« Aber Israel setzte sein Stück durch. Er ging selbst zu ihnen und sprach: »Kommt, laßt die Vergangenheit abgethan sein! Es ist das Fest unseres Volkes. Laßt uns miteinander essen und trinken.« So ließen sie, teils durch sein Drängen, noch mehr aber durch ihre eigne Verblüfftheit sich ganz gegen Regel und Sitte dazu verleiten, mit ihm zu gehen.

Als sie nun aber in sein Haus gekommen waren und an seinem Tische im Patio saßen, als er seine Hände gewaschen und den Wein genommen, ihn gesegnet und ihn herum gehen lassen, als sie miteinander getrunken hatten, konnte er seiner Zunge nicht länger wehren, sie zu höhnen und sie zu verspotten. Darauf, als er sich wieder gewaschen hatte und den Sellerie in Essig getaucht, und sie noch einmal von dem Weine getrunken hatten, höhnte er sie von neuem und lachte. Aber noch verstanden sie seine Absicht nicht, und sie sahen einander an und fragten: »Was bedeutet das?«

»Wartet! Wartet nur!« antwortete Israel, »ihr werdet schon sehen!«

In diesem Augenblick sandte Ruth nach ihm, und er ging zu ihr.

»Ich bin ein betrübtes Weib,« sagte sie. »Irgend ein Unglück wird sich begeben – ich weiß es, ich fühle es.«

Aber er neckte sie nur, lachte und prophezeite ihr Freude für den Morgen. Dann kehrte er nach dem Patio zurück, wo die Passahkuchen inzwischen gebrochen waren, ließ die Abendmahlzeit auftragen und nötigte seine Gäste, zu essen und zu trinken nach Herzenslust.

Allein sie konnten weder das eine noch das andere, denn Furcht überkam sie beim Anblick der tollen Lustigkeit Israels. Die drei alten Wucherer Abraham, Juda und Ruben standen auf, um zu gehen, aber Israel rief: »Bleibt! Bleibt und sehet, was kommen wird!« Da gaben sie der Übermacht seines Willens nach und setzten sich wieder.

Und weiter trank Israel, und lachte und verhöhnte sie. In seiner wie ein Bergstrom dahinbrausenden Tollheit nannte er sie mit Namen, die sie kannten und mit Namen, die sie nicht kannten, – Harpagon, Shylock, Bildad, Elihu – und bei jedem neuen Namen lachte er laut auf. Während er sich so im äußeren Hofe gebärdete, kam die Sklavin Fatima aus den inneren Gemächern mit der Nachricht, das Kind sei geboren.

Darüber geriet Israel vollends außer sich. Er sprang vom Tische auf, ließ den Blick voll über seine Gäste schweifen und rief mit erhobener Stimme: »Nun wißt ihr, was es bedeuten soll, und wißt, weshalb ihr zu diesem Abendmahl geladen seid! Ihr seid hier, um mit mir zu frohlocken über meine Feinde! Trinkt! Trinkt! Verderben über sie alle!« Und er erhob seinen Becher und leerte ihn bis auf die Neige.

Bestürzt standen sie auf und versuchten sich leise aus dem Patio auf die Straße zu flüchten; aber er stellte sich mit dem Rücken vor den Ausgang und sah sie fest an.

»Ihr wollt nicht trinken?« sagte er. »So hört mir zu!« Er schleuderte den Becher aus seiner Hand, so daß er auf dem Steinboden zerschellte. Sein Lachen war verschwunden, sein Antlitz glühte und seine Stimme klang schrill und gellend. »Ihr habt Gottes Gericht über mich geweissagt, ihr habt mich erniedrigt, ihr gabt mich der Schande preis; aber siehe da, der Herr hat mich erhöhet! Ihr habt eure Weiber angestiftet zu prophezeien, daß Gott nicht zugeben würde, daß ich Kinder aufzöge, um eine Schmach und ein Fluch unter meinem Volke zu sein; aber Gott hat mir heute einen Sohn gegeben, wie dem Besten unter euch. Noch mehr – noch mehr – mein Sohn soll noch sehen –«

Die Sklavin berührte seinen Arm. »Es ist ein Mädchen,« sagte sie, »ein Mädchen!«

Einen Herzschlag lang stammelte Israel, und hielt inne. Dann rief er: »Was thut's! Sie soll sehen eure Kinder vaterlos, es sei niemand da, der Barmherzigkeit an ihnen thue! Sie soll sehen, wie die Missethat ihrer Väter ihnen vergolten wird. Sie soll sie sehen nach Brot gehen und es in wüsten Örtern suchen! – Und jetzt könnt ihr gehen! Geht! Geht!«

Er war beiseite getreten, als er so redete, und wies sie mit einer gebieterischen Armbewegung hinaus, der sie stumm wie eine Herde Schafe mit zu Boden gesenkten Augen folgten, als plötzlich aus dem inneren Gemach ein leiser Schrei laut wurde.

Es war Ruth, die nach ihrem Manne rief. Israel drehte kurz um und eilte zu ihr, und seine Feinde, wie von einem gemeinsamen arglistigen Instinkte getrieben, folgten ihm und lauschten auf der Schwelle.

Ruths Antlitz trug den Ausdruck zuckender Angst – ihre Lippen bewegten sich, aber kein Laut entquoll ihnen.

Und Israel sprach: »Wie geht es dir, du mein Teuerstes, Wonne meiner Wonne, Stolz meines Stolzes?«

Da hob Ruth den Säugling von ihrer Brust und sagte: »Der Herr hat mir mein Gebet als Sünde angerechnet – schau her, das Kind ist beides, stumm und blind.«

Bei diesem Worte ging ein Stich durch Israels Herz, aber er stieß heiser hervor: »Nein, nein, das glaube du nicht!«

»Wahr, wahr, es ist wahr,« stöhnte sie, »das Kind hat keinen Schrei ausgestoßen, und seine Augenlider zwinkerten nicht im Licht.«

»Es ist nicht wahr, sage ich!« ächzte Israel, und er nahm das Kleine in seine Arme, um es zu prüfen.

Aber als er es gegen das Fenster hielt, dasselbe Fenster, durch welches man auf die Straße blickte, wo die sogenannte Prophetin ihn verflucht hatte, in das verglühende Abendlicht, da schlossen sich die Augen des Kindes nicht, noch wurden seine Pupillen kleiner. Da begann er an allen Gliedern zu zittern, so daß die Hebamme das Kind aus seinen Armen nahm und es wieder an seiner Mutter Brust legte.

Und Ruth ließ ihre Thränen über das Kind rinnen und sprach: »Selbst wenn es ein Sohn wäre, könnte es nie in der Synagoge dienen! Niemals! Niemals!«

Da begann Israel zu fluchen und zu schwören. Seine Feinde aber hatten sich jetzt in das Zimmer gedrängt und riefen: »Still! Still!« und der alte Juda ben Lolo, der Älteste der Synagoge, sprach zürnend: »Steht nicht geschrieben, daß kein von Gott Geschlagener soll des Amts walten in seinem Tempel?«

Israel stierte stumm in die ihn umgebenden Gesichter, erst in das seines Weibes, dann in die seiner Feinde, die er geladen hatte. Dann fing er fürchterlich an zu lachen und rief: »Was thut's! Ist nicht jeder Affe für seine Mutter eine Gazelle?« Aber dann versagten ihm seine Kniee den Dienst, er schwankte halb vorwärts, halb seitwärts wie ein zusammenbrechendes Roß, und tief aufstöhnend fiel er mit dem Angesichte zur Erde.

Die Hebamme und die Sklavin hoben ihn auf und befeuchteten seine Lippen mit Wasser, aber seine Feinde wandten sich und verließen ihn, indem sie unter einander murmelten: »Der Herr tötet und macht lebendig, er schlägt nieder und erhebet, und in die Grube, die der Gottlose für einen andern gräbt, läßt er seinen Fuß gleiten.«


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