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Achtes Kapitel.
Der Lohn der Treue.

. Als der letzte von allen Schiffbrüchigen hatte der Kapitän das Wrack verlassen, dessen starke Rippen krachend unter dem Wogendrange erzitterten; an eine Bergung der Ladung war nicht zu denken, denn in wenigen Stunden war das Schiff vollständig zerstört, und während sich der Strand mit Schiffstrümmern, mit Fässern und Kisten bedeckte, welche die Brandung an die Küste schleuderte, verschwand die letzte Spur des Wracks vor den Augen der Menschen.

Retter und Gerettete ruhten nun zunächst aus von den Schrecknissen der Nacht, dann brachen die Seeleute auf, um sich nach der großen Handelsstadt zu begeben, wo ihre Vernehmung beim Seeamte stattfinden sollte, um die Ursache des Schiffbruchs festzustellen. Auch die Fahrgäste erholten sich allmählich von allem, was sie durchgemacht hatten, und verließen ihre freundlichen Wirte im Laufe der nächsten Tage. Nur Doktor Hagen befand sich noch in Flundersdorf, da sein Fuß noch sehr der Ruhe und Schonung bedurfte. Doch erklärte der Arzt, daß er unter Beobachtung aller Vorsicht in nicht zu langer Zeit die Reise machen könne, und so war beschlossen worden, daß er bleiben solle, bis die junge Gesellschaft am Ende ihrer Ferien wieder zurückkehrte; Heinrich und Günther erwiesen sich als so eifrig und geschickt in der Pflege des Verletzten, daß ihnen seine Überführung wohl anvertraut werden konnte.

Am zweiten Tage nach dem Schiffbruch stellte sich der alte Jakob ein, dem das Verlangen, die Bibel ihren eigentlichen Besitzern zurückzubringen, nicht länger Ruhe gelassen hatte. Er hatte sich Urlaub von Mr. John Jansen erbeten und den Schulzen bewogen, mit ihm in seinem Wagen nach Flundersdorf zu fahren, was nicht schwer fiel, da dieser mit dem Besuch bei der alten Herrschaft auch die volle Befriedigung seiner Neugier über den Schiffbruch, der in der ganzen Gegend das Tagesgespräch bildete, verbinden konnte.

Voll Freude und Dankbarkeit nahm die ganze Familie das Geschenk der so lieben, hochgeschätzten Bibel auf, besonders war Christine sehr glücklich, weil sie sich immer Vorwürfe darüber gemacht, daß ein so teures Andenken durch ihre Vergeßlichkeit verloren gegangen war. Der alte Jakob war in froher Stimmung; wie behaglich und wohl fühlte er sich bei seiner alten Herrschaft! Es kostete viele Mühe, ihm begreiflich zu machen, daß er jetzt hier Gast, nicht Diener sei; bei jeder Gelegenheit versuchte er seine alten Verrichtungen auszuüben, und Christine ließ ihn endlich lächelnd gewähren, da sie einsah, daß es für ihn das größte Vergnügen war.

Als der Schulze gegen Abend an die Rückfahrt dachte, wurde Jakob sehr verlegen; endlich brachte er mit Mühe die Frage hervor, ob er noch bleiben dürfe; er habe sich von Mr. Jansen die Erlaubnis zu einer dreitägigen Abwesenheit erbeten, und wenn er nicht störe, so würde er diese gar zu gern ausnützen.

Mit aufrichtiger Freude wurde diese Mitteilung begrüßt und Jakob versichert, daß er stets und für jede Zeitdauer willkommen sei; war ihnen doch allen, als brächte seine Gegenwart die guten alten Zeiten zurück. Christine war sein Besuch ganz besonders angenehm, denn je mehr Menschen im Hause waren, desto mehr verringerte sich das Peinliche, was in ihrer Begegnung mit Doktor Hagen nicht zu vermeiden war. Sie wußte ja, daß die Sehnsucht nach ihr ihm keine Ruhe gelassen und ihn über das Meer getrieben hatte; sie wußte auch, daß sie ihm mit treuer, fester Liebe ihr ganzes Leben lang angehören würde, aber dies alles vermochte nicht, ihr Pflichtgefühl zu erschüttern; sie hatte das Rechte erkannt und mußte es auch durchführen.

Endlich kam der von ihr gefürchtete Moment; als sie sich zum ersten Male allein befanden, benutzte dies der Doktor, um ihr seinen heißen Wunsch auszusprechen und zu beteuern, daß ihr Vater und ihre Geschwister von ihm wie seine Eigenen angesehen sein würden und es ihm daher als eine teure Pflicht erschiene, von nun an gemeinsam mit ihr für diese zu sorgen.

Christine blieb fest, so schweren Kampf es sie auch kostete; sie hatte alles zu reiflich erwogen und war durch die flehentlichen Bitten des Mannes, der so treu an ihr hing, nicht umzustimmen.

»Ich darf Ihr Leben und Streben nicht durch so schwere Verpflichtungen, wie sie auf mir ruhen, hemmen,« sagte sie. »Sie werden mit der Zeit anders denken, Sie werden eine andere Gattin finden, welche Sie beglücken wird; dann werden Sie mir diese zuführen, ich will sie als liebende Schwester empfangen und in treuer Freundschaft werden wir zusammenstehen.«

»Das wird nie geschehen,« erwiderte der Doktor ernst; »ich will jetzt nicht weiter in Sie dringen, da ich sehe, daß ich Ihnen Schmerz bereite. Aber die Hoffnung auf die Zukunft gebe ich nicht auf und auf bessere Zeiten, in denen alle Hindernisse leichter zu beseitigen sind und uns doch das Glück blühen wird, das ich so sehnlich erstrebe.«

Christine schwankte zwischen Freude und Schmerz; eine so treue Liebe mußte sie beglücken, und doch teilte sie seine Hoffnungen nicht und bedauerte sein vergebliches Hoffen und Harren. –

Es war am Abend dieses Tages. Die Familie saß wieder gemütlich um den runden Tisch beisammen, und die aufregenden Erlebnisse der letzten Zeit hätten ihnen wie ein Traum erscheinen können, wenn nicht Doktor Hagens Anwesenheit, der auf einem Ruhebett ausgestreckt lag, um seinem schlimmen Fuße Schonung zu gewähren, sie an die Wirklichkeit des furchtbaren Ereignisses erinnert hätte. Jakob saß bescheiden in einiger Entfernung auf einem Stuhl; um keinen Preis hätte er dem Verlangen Herrn Jansens und den Bitten der übrigen nachgegeben, sich mit ihnen in Reih und Glied zu setzen, empfand er doch schon seinen jetzigen Platz als eine Ehrung, die ihm zu teil geworden.

Auf dem Tische lag die Bibel des Großvaters in ihrem Überzug von grauem Leinen; neben dem Schiffbruche, der sie noch alle beschäftigte, bildete die Wiedererlangung der Bibel, sowie das Leben und Wirken des Großvaters den Gegenstand der Unterhaltung. Jakob erzählte mit Rührung und Stolz von seinem alten Herrn, dem er so viel verdankte.

»Du hast es ihm auch redlich gelohnt, Alter,« sagte Herr Jansen, »durch die treuen Dienste, die du ihm geleistet, und durch deine unerschütterliche Anhänglichkeit an unsere Familie.«

»Das war ja nur meine Schuldigkeit,« entgegnete Jakob und setzte mit einem tiefen Seufzer hinzu: »Ja, wenn es mir gelungen wäre, den Schein aufzufinden, dann könnte ich dereinst ruhig meine Augen schließen! Wenn ich oben zu meinem Herrn käme, dann hätte ich ihm doch sagen können: ›Es ist alles in Ordnung, und Schönwiese gehört uns wieder‹. Aber ich habe aufgehört, dies zu hoffen. Kein Tag ist vergangen, ohne daß ich gesucht, und kein Winkel und keine Ritze ist im ganzen Hause, die ich nicht ausgespäht hätte.«

»Wenn du selbst die Hoffnung auf das Wiederfinden des Scheins aufgegeben hast, so könntest du unsern Wunsch erfüllen und nun wieder zu uns kommen,« sagte Herr Jansen.

Jakob schüttelte sein weißes Haupt. »Das geht doch nicht, lieber Herr, so gern ich auch möchte,« sagte er wehmütig. »Der Gedanke, daß ich etwas versäume, würde mir keine Ruhe lassen. ›Sei getreu bis in den Tod‹, war der Wahlspruch meines Herrn und dem muß auch ich folgen. Wenn nun der Schein doch da wäre – und er muß es ja sein – und ich hätte nicht ausgehalten, wie sollte ich da vor ihm bestehen?«

Alle schwiegen; die einfachen Worte des alten Dieners, die von so unerschütterlicher Treue zeugten, hatten sie tief bewegt.

Endlich unterbrach Doktor Hagen die Stille. »Es muß ein seltener Mann gewesen sein, dieser Großvater,« sagte er; »sein Beispiel wirkt über das Grab hinaus.«

Er streckte die Hand aus und zog die Bibel an sich, öffnete sie und betrachtete das Flugblatt derselben, auf dem in der steifen, altmodischen Handschrift des Großvaters die Ereignisse seines Lebens kurz verzeichnet waren. Obenan stand: »Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.«

Als letzte Aufzeichnung hatte der Großvater hineingeschrieben unter Datum und Jahreszahl: »Heute wurde ich hoch erfreut durch die Geburt meiner ersten Enkelin. Der Herr sei mit ihr und lasse sie erwachsen zum Segen für viele.«

»Das ist sie geworden,« sagte der Vater leise, und der junge Gelehrte fügte zwar kein Wort hinzu, doch sagte sein Blick mehr, als die Zunge vermocht hätte.

Unter dieser letzten Aufzeichnung befand sich ein Kreuz, und dann folgte eine Bemerkung, von anderer Hand geschrieben: »Heute ist mein lieber Vater sanft und selig in dem Herrn entschlafen im sechs und siebzigsten Jahre seines Lebens, welches reich an Mühen und reich an Segen gewesen. Friede seiner Asche!«

»Warum trägt die Bibel eine solch häßliche Umhüllung?« fragte Günther.

»Die hat ja mein alter Herr selbst darum gemacht,« erklärte Jakob; »er gebrauchte das Buch sehr viel, denn er verlebte keinen Tag ohne seine Morgen- und Abendandacht, und weil er so eigen und ordentlich in allen Dingen war, that es ihm leid um den schönen Einband von gepreßtem Leder, der sonst vielleicht gelitten hätte.«

»Die Bibel hat doppelten Wert,« sagte Doktor Hagen, »als Familienerbstück und durch ihr Alter; es ist eine seltene und schöne Ausgabe. Ich möchte wohl den Deckel sehen.«

»Wir könnten ja die Hülle abnehmen,« schlug Christine vor. »Eine Unterlage von weichem Stoff wollen wir dann für unser liebes Buch arbeiten, nicht wahr, Elschen?«

»Ach ja, eine recht schöne Stickerei, um es zu ehren,« stimmte diese bei. »Das ist dann fast, als thäten wir noch etwas für den guten Großvater. Aber ich muß dabei helfen, Christelchen.«

»Versteht sich, wir machen die Arbeit gemeinsam,« sagte diese.

»Und ich werde ein hübsches Bort schnitzen mit aller Kunstfertigkeit, über die ich verfüge, darauf soll die Bibel fortan ihren Platz erhalten,« setzte Heinrich hinzu.

»Dann darf also mit allgemeiner Zustimmung die graue Hülle entfernt werden, die entschieden nicht würdig genug ist,« sagte Doktor Hagen. »Ich bitte um ein erwärmtes Messer, zur Ablösung der Siegel ohne Schädigung für das Buch.«

Das Messer wurde herbeigebracht und unter der Teilnahme aller machte sich der Doktor vorsichtig ans Werk, bei der Rückseite beginnend, weil eine etwaige Beschädigung hier nicht so ins Auge fallen würde. Es gelang indes sehr gut, die Siegel lösten sich leicht und glatt ab; nun wurde die Hülle zurückgeschlagen und ein sehr schöner Lederband mit in Gold gepreßten Ornamenten kam zu Tage. Jetzt wurde das Buch umgedreht und die Arbeit von der Vorderseite mit noch größerer Sorgfalt wiederholt. Als auch hier die Leinwand fortgenommen wurde, kam ein Papier zum Vorschein, mit ungelenken, geschnörkelten Buchstaben beschrieben, am Rande mit großen Stempeln versehen.

»Was ist denn das?« sagte der Doktor unbefangen. »Wohl ein Schriftstück, das dem Großvater besonders teuer war?«

Ein Jubelschrei ertönte hinter ihm; da stand Jakob zitternd, leichenblaß, mit von Thränen überströmten Augen. Alle Zurückhaltung, die er sonst so streng beobachtete, vergessend, streckte er die alten, dürren Hände aus, ergriff das Papier und führte es an seine Lippen.

»Der Schein! Der Schein!« jauchzte er; »gottlob, er ist gefunden! Ich kann nun mit Freuden vor meinen alten Herrn hintreten.«

Herr Jansen war blaß geworden und seine Hände zitterten, als er dem alten Diener das Dokument abnahm. Christinens erste Sorge galt daher dem Vater; sie umfaßte ihn und bat: »Rege dich nicht auf, lieber Vater, denke an deine Gesundheit!«

»Kind, die Freude schadet keinem Menschen,« erwiderte Herr Jansen. »Nun hat alle Trübsal ein Ende, unser gutes Recht ist jetzt klar erwiesen.«

»Hurra! Schönwiese gehört uns wieder und der Amerikaner muß sich trollen!« schrie Heinrich und sprang im Zimmer umher.

»O, wie froh bin ich!« rief Elschen aus, die zwar nicht genau wußte, welche Bewandtnis es mit dem Schein hatte, aber doch begriff, daß sich etwas sehr Gutes zugetragen hatte.

Christine saß still da mit gefalteten Händen; ein großes Glücksgefühl durchströmte sie, als seien nun aller Kampf und alle Not zu Ende, der Blick, den Doktor Hagen mit ihr ausgetauscht hatte, sagte mehr als alle Worte und verriet die freudige Gewißheit, die ihn erfüllte.

Nun drängten sie sich alle um den Vater, der das Dokument nicht aus seinen Händen ließ; jeder wollte selbst sehen, selbst lesen, selbst prüfen. Es war ein altertümliches Schriftstück auf grobem, dickem Papier; die altmodische Handschrift, die etwas verblaßte Tinte, darunter die Namen der Zeugen und die schwarzen Stempel, alles wurde von jedermann aufs genaueste betrachtet.

»Was steht denn eigentlich darin?« fragte Günther nun, denn die Ruhe zum Lesen hatte ihnen noch allen gefehlt.

»Lesen Sie,« sagte Herr Jansen, indem er Doktor Hagen das Dokument überreichte; »ich bin es noch nicht im stande.«

Der junge Gelehrte las, während die übrigen ihm aufmerksam zuhörten. »Hiermit bekenne ich vor den hier anwesenden und mit unterzeichneten Zeugen, daß am heutigen Tage die Teilung der Erbschaft unseres in Gott ruhenden Vaters zwischen mir und meinem lieben Bruder in aller Liebe, Treue und Freundschaft erfolgt ist. Nach dem Willen unseres seligen Vaters und unter unserer beiderseitigen Zustimmung erhält mein Bruder das Gehöft Schönwiese mit allem, was dazu gehört, nachdem er mir die zwischen uns vereinbarte und gerecht befundene Summe von – hier folgte die Nennung derselben – bar und richtig ausgezahlt hat. Ich begebe mich daher allen und jeden Anspruchs an meinen lieben Bruder und erkläre mich vollständig befriedigt. Nur um dem Gesetz zu genügen, nicht weil es dessen zwischen uns bedürfte, haben wir die erfolgte Teilung amtlich bestätigen lassen in der Hoffnung, daß auch unsere dereinstigen Nachkommen sich in guter und wohlwollender Gesinnung zugethan bleiben werden.«

Darunter standen die Namen der beiden Brüder und dann folgten die Unterschriften des Pfarrers und des Schulzen und ihnen beigedrückt die schwarzen Stempel des Kirchen- und des Ortssiegels.

»Das kann sich der Herr Amerikaner zu Herzen nehmen,« frohlockte Heinrich; »er hat sich wahrhaftig wenig genug an den Willen seines Ahnherrn gekehrt. Nun mag er sich schämen!«

»Er hat in der Überzeugung seines Rechts gehandelt,« sagte Herr Jansen entschuldigend; »das deutsche Gemüt ist ihm dort drüben verloren gegangen, aber ich halte ihn doch für einen ehrenhaften, wenn auch kaltherzigen Menschen.«

»Der Großvater war aber doch so klug, warum hat er den Schein wohl so versteckt gehalten?« meinte Günther.

»Auch das läßt sich leicht erklären,« erwiderte der Vater. »Der Großvater war ein einfacher und biederer Mann, der in seiner Bibel, in dem Buche der Natur und in den Seelen der Menschen mit hellem Blicke las, aber Weltweisheit besaß er nicht. In der Einfalt seines Herzens war ihm das Schriftstück weniger als Rechtskunde wichtig, als vielmehr lieb und teuer als Andenken an den bald darauf verstorbenen Bruder, und er hatte dafür keinen besseren Aufbewahrungsort gewußt, als die Bibel, die täglich in seinen Händen war und die ihm als teures Heiligtum die treueste Hüterin des Scheines zu sein schien.«

»Ja, und vielleicht hat ihn der Tod, der ihn so schnell und unerwartet erreichte, verhindert, das Geheimnis zu offenbaren,« fügte Christine hinzu; »sicher war es ihm nie in den Sinn gekommen, daß noch einmal Ansprüche an sein rechtmäßiges Erbe erhoben und die Teilung bezweifelt werden könne.«

Der alte Jakob war mit großer Aufmerksamkeit den Reden gefolgt und neigte jetzt in froher Zustimmung sein greises Haupt; es that seinem treuen Herzen wohl, die Handlungsweise seines geliebten Herrn in das rechte Licht gestellt zu sehen.

Das Schriftstück wanderte nun von Hand zu Hand, nachdem es der Doktor prüfend durchlesen und nach Form und Inhalt für rechtskräftig befunden hatte, so weit er das so schnell zu beurteilen vermochte.

»Ja, ja; es ist alles, wie ich gesagt und immer behauptet habe,« jubelte Jakob. »Da ist das Kirchensiegel, das der Herr Pfarrer mitgebracht und darauf gedrückt hatte, und da ist die Unterschrift des Schulzen und sein Amtsstempel. Ich sehe die Herren noch am Tisch sitzen, ich mußte ihnen ja das Licht bringen, weil es inzwischen dunkel geworden war, und der Herr sagte zu mir: ›Bringe den Armleuchter, Jakob, bei so etwas Wichtigem muß man gut sehen können.‹ O, ich wußte ja, daß der Schein sich finden mußte!«

»Ja, und durch dich hat er sich gefunden,« sagte Herr Jansen.

»Wieso?« fragte der alte Diener verwundert.

»Hast du uns nicht die Bibel wiedererworben?« fuhr Herr Jansen fort. »Wäre sie ohne dein treues Ausharren je wieder in unsern Besitz gelangt? Dir haben wir alles zu verdanken.«

»Ach, das ist zu viel,« stammelte Jakob. »Wie soll ich solch Glück ertragen?«

»Und nun darfst du auch nicht wieder fort, nun mußt du immer bei uns bleiben,« rief Heinrich aus.

»Aber ich möchte doch in Schönwiese, in der Nähe meines Herrn begraben sein,« sagte Jakob.

»Das sollst du ja auch,« versicherte Christine. »Schönwiese gehört doch nun wieder uns, und alle Not hat ein Ende.«

»Ja, alle Not hat ein Ende und das Glück kehrt bei uns allen ein,« fügte Doktor Hagen hinzu, indem seine Hand die ihre suchte. Christine ließ es geschehen, ja – sie erwiderte seinen Druck.

Er wußte jetzt seinen Vorteil gut wahrzunehmen und in dem allgemeinen Glück für sein besonderes geschickt zu sorgen. Ohne ein weiteres Wort zog er einen kleinen goldenen Reif hervor und legte ihn vor Christine auf den Tisch. Mit einem Blick, in dem alle ihre treue Liebe lag, steckte sie ihn errötend an den Finger.

Heinrich und Günther hatten sich bisher, wie alle Anwesenden, musterhaft benommen und sich gar nicht um die Beziehungen zwischen Christine und dem Doktor bekümmert; jetzt aber war es um ihre Selbstbeherrschung geschehen und sie stimmten ein Hurra an, das den Kannibalen alle Ehre gemacht hätte, ja, sie sprangen auf, faßten sich gegenseitig an den Schultern und führten vor Freude einen wahren Kriegstanz auf.

.

Zum Glück war es schönes Wetter, der Mond stand hell und klar am Himmel; ein leichter Frost hatte die Wege in guten Zustand versetzt, und so ließ es sich ermöglichen, was die beiden Knaben sehr energisch ausführten, nämlich im Dorf einen willigen Mann und einen wahrscheinlich sehr unwilligen Klepper aufzutreiben, welche die Freudenbotschaft nach der nächsten Bahnstation brachten. Von dort übermittelte der Telegraph in kurzer Zeit Herrn Steffen Jansen und seiner Frau die frohe Kunde, sowie die dringende Aufforderung, sofort aufzubrechen, um die Verlobung von neuem feiern zu helfen, was sie auch ohne Zögern ausführten.

Wieder war es Sylvester, wieder waren die beiden Familien vereint und wieder klangen die Gläser zusammen in der Hoffnung auf alles Gute, was das neue Jahr bringen würde. Ein Zeitraum von zwei Jahren lag zwischen dem Damals und dem Jetzt; für jedes von ihnen war er reich gewesen an Kampf und Arbeit, aber auch an Sieg und Lohn, und mit Dank gegen Gott gedachten sie seiner wunderbaren Fügungen, durch die sie gelernt, in Liebe und Treue zusammenzustehen und sich gegenseitig zu helfen und zu fördern.

Fürs erste blieb alles beim alten; Herr Steffen und seine Frau reisten bald wieder ab, begleitet von ihren Kindern, von Heinrich und Elschen und Doktor Hagen, der keinen Tag verlieren wollte, um sich seine Zukunft zu begründen. Christine und ihr Vater führten nun wieder ihr gewohntes Stillleben, aber in wie hoffnungsfreudigerem Geiste! Jakob hatte sie nicht wieder verlassen. Er hatte sich förmlich verjüngt durch die Erfüllung, welche sein Herzenswunsch gefunden, aber in seinem demütigen Sinne begehrte er nur als treuer Diener der Familie seines Herrn bis zum letzten Augenblicke seine Dienste zu weihen.

Der Schein hatte sich auch bei der strengsten Prüfung von seiten der Rechtsgelehrten als gültig und unantastbar erwiesen, und so wurde Mr. Jansen davon in Kenntnis gesetzt und zur Herausgabe des Gutes und Vermögens aufgefordert. Er fügte sich auch ohne weiteres und ließ es nicht erst auf einen Prozeß ankommen, dessen Ausgang nicht zweifelhaft sein konnte. Er war ein echter Amerikaner, Herz und Gemüt durften bei ihm nicht mitsprechen, aber als streng rechtlicher Mann dachte er nicht daran, etwas zu begehren, was ihm nicht zukam. Bei seinem sonstigen großen Reichtum konnte er den Verlust leicht verschmerzen; wohl hatte er sich auf dem Gute nie gefühlt, weil man ihn überall nur zu deutlich merken ließ, daß man in ihm einen Eindringling sah, der den alten Besitzer verdrängt hatte, und so verzichtete er gutwillig auf alles und kehrte in die neue Welt zurück.

Vorher glaubte er aber noch eine Pflicht erfüllen zu müssen, die ihm allerdings nicht angenehm war, der er sich jedoch nicht entziehen wollte. So erschien er eines Tages in Flundersdorf und verlangte Herrn Jansen zu sprechen.

»Wird dich diese Begegnung nicht aufregen, lieber Vater?« fragte Christine, die noch immer für dessen Gesundheit zärtlich besorgt war.

»Gewiß nicht! Ich bin doch neugierig, was der sonderbare Kauz jetzt von mir will,« erwiderte Herr Jansen; »du bist natürlich zugegen.«

Jansen stand, die Hände auf dem Rücken, am Fenster des Empfangszimmers und starrte auf das Meer hinaus, beim Eintritt von Vater und Tochter wandte er sich um und kam ihnen mit einer leichten Verbeugung entgegen.

»Well,« begann er, ohne eine Ansprache abzuwarten, »ich nicht weiß, ob Sie nehmen meine Hand. Sie werden sein sehr böse mit mir.«

Herr Jansen streckte ihm lächelnd die Hand entgegen. »Sie glaubten im Recht zu sein und handelten danach; ebenso haben Sie jetzt offen die Grundlosigkeit Ihrer Ansprüche anerkannt und jede Verzögerung der Entscheidung vermieden. Damit ist aller Groll bei uns geschwunden!«

»Ich Sie danken,« sagte der Amerikaner. »Ich finde, Sie sein serr gud. Ich bin gewesen hartherzig und gefühllos wie ein Tier, es kann nicht geholfen werden, aber es thut mich leid. Sie sind nun der Herr und ich gehe. Aber ich bitte Ihre Verzeihung.«

»Die ist Ihnen vollständig gewährt,« versicherte Herr Jansen. »Die Prüfungszeit, welche durch Sie über uns kam, hat uns viel Gutes gebracht, und wir werden gern und oft an dieselbe zurückdenken. Aber es freut mich auch, daß Sie sich uns noch näherten. Im Geist des Urgroßvaters ist es nicht, daß die Zweige seiner Familie kalt und unfreundlich aneinander vorübergehen; lassen Sie uns als Freunde scheiden.«

Der Amerikaner sah sehr erstaunt aus, dann gewannen seine Züge einen ganz andern Ausdruck; etwas wie Rührung zog über dieselben.

»Well, uas Sie sagen, liebe ich,« erwiderte er, »und ich uill uinschen, daß Sie mir brauchen in Glück oder Unglück; Sie uerden finden ein guter Freund in mich.«

So schieden sie versöhnt und in freundlicher Eintracht und Mr. Jansen, der den Tag über bei ihnen verweilte, versicherte noch oft: »Es thut mich so leid, ein zweites Mal würde ich sein ganz anders.«

Zu Christinens Hochzeitstag gab er seinen neu erwachten verwandtschaftlichen Gefühlen Ausdruck durch die Übersendung eines prachtvollen Armbandes, das von einem in ungewöhnlich warmen Worten abgefaßten Glückwunschschreiben begleitet war. –

Günther und seine Schwester hatten zwar mit inniger Freude die Verwandlung im Geschicke ihrer Verwandten begrüßt, waren aber nicht ohne tiefe Betrübnis im Hinblick auf ihre eigene Vereinsamung, denn daß ihre lieben Gefährten nun in das Vaterhaus zurückkehren würden, war ihnen zweifellos.

»Wie soll ich nun ohne dich fertig werden!« klagte Günther. »Du erst hast mich gelehrt, das Rechte zu thun. Daß ich ein anderer geworden bin, daß meine Lehrer mit mir zufrieden sind, daß die Eltern Freude an meiner Gesinnung haben, danke ich dir. Ich war leichtsinnig und urteillos und that nur immer das, was mir für mich das bequemste schien.«

»Nun, lieber Freund, jammere nicht,« tröstete Heinrich. »Wenn du wirklich durch mich ein bißchen zur Einsicht gekommen bist, so brauchst du sie nicht gleich zu verlieren, wenn ich nicht mehr da bin. Ich denke doch auch, die besseren Manieren, die ich dir verdanke, zu behalten. Weißt du wohl, wie ungeschliffen ich manchmal war und wie ich dich geärgert habe?«

»Nein, das habe ich ganz vergessen,« versicherte Günther. »Ich weiß nur, daß du mir jeden Tag fehlen wirst und daß ich mich immer nach dir sehnen werde. Es war eine so schöne Zeit, die nun vorüber ist.«

»Aber unsere Freundschaft ist geblieben,« sagte Heinrich, »und die soll uns durch unser ganzes Leben begleiten.«

Nicht minder traurig war Martha über den Verlust der Freundin, und Elschen hatte sie so lieb und hatte sich im Hause des Onkels so wohl gefühlt, daß sie selbst ins Vaterhaus mit aus Schmerz und Freude gemischten Gefühlen zurückkehrte. Sie wußte wohl, daß sie an Marthas Beispiel sich aufgerichtet hatte, wenn Zerfahrenheit und Trägheit über sie Gewalt gewannen, ahnte aber kaum, wie in dem Herzen der Cousine alle Quellen warmer Liebe und zärtlicher Rücksichtnahme, die bisher verborgen geschlummert, durch sie geweckt worden waren.

Auch Herr und Frau Jansen sahen die Geschwister ungern scheiden; ihr Liebeswerk an ihnen war ihnen reich gelohnt worden durch alles, was ihr Haus und ihre eigenen Kinder durch sie gewonnen hatten, und so wurde die Lösung, welche die nächsten Monate brachten, von allen Beteiligten mit hoher Freude begrüßt. Doktor Hagen hatte seine Reise so sehr im Interesse der Wissenschaft ausgenutzt, brachte so bedeutende Sammlungen, die glücklicherweise auf einem anderen Schiffe nach Deutschland kamen, heim, daß sich die Blicke der ganzen Gelehrtenwelt auf ihn richteten und man Großes von ihm für die Zukunft erwartete. In der bedeutenden Handelsstadt, in welcher die Familie Jansen lebte, war ein Museum für Völkerkunde und Naturwissenschaften erbaut worden, das seiner Vollendung entgegenging. Man bot ihm die Stelle als Direktor an, setzte ihm ein bedeutendes Gehalt aus, und durch die Anstellung von anderen tüchtigen Kräften gewährte man ihm auch Muße für wissenschaftliche Arbeiten, so daß er voll Freuden die ehrenvolle Berufung annahm.

Seiner Verbindung mit Christine stand nun nichts mehr im Wege und die Vorbereitungen zur Hochzeit wurden eifrig betrieben. Daß Herr Steffen Jansen und seine Frau dieselbe ausrüsteten, geschah auf ihren dringenden Wunsch; war ihnen doch Christine, die sie durch ihren segensreichen Einfluß auf die jüngeren Familienglieder erst recht schätzen gelernt, lieb wie eine Tochter. Es sollte aber kein rauschendes Fest werden, sondern eine stille, glückliche Feier im Kreise der Familie, darin stimmten sie alle überein. Der einzige ferner stehende Gast war Fräulein Ellinger, aber auch sie hatte Christine so lieb, als wäre sie ihr durch die engsten Verwandtschaftsbande verknüpft gewesen. Hilda und Charlotte, die als reiche Frauen ein Leben voll glänzender Zerstreuungen aber innerer Hohlheit führten, hatten ihre Abneigung gegen Christine nicht überwunden, deren stilles, pflichtgetreues Walten ihnen wie ein Vorwurf gegen die eigene selbstsüchtige Haltlosigkeit erschien; sie fanden auch einen Vorwand, um der Hochzeit fern zu bleiben und ihre Abwesenheit wurde nicht vermißt, denn sie wären nur störend gewesen unter diesen glücklichen Menschen, die so ganz anderen Zielen entgegenstrebten, als sie selbst.

Daß Vater und Geschwister Christine in ihr neues Heim begleiteten, verstand sich von selbst; so wurde den beiden Freundespaaren die gefürchtete Trennung erspart, denn wie Heinrich und Günther dasselbe Gymnasium besuchten, so blieben die beiden Mädchen Schulgefährtinnen, und außerdem herrschte zwischen beiden Häusern der innigste Verkehr. Diese Freundschaft, die so reich an guten Früchten war, blieb ihnen fürs ganze Leben; wie die Väter treu zu einander gestanden in guten und bösen Tagen, werden es auch die Kinder thun; vor allem aber wetteiferten sie miteinander in dem Streben nach dem Rechten und Edlen. Wie Herr Steffen Jansen früher geseufzt hatte, wenn er seinen Vetter glücklich pries wegen seiner Kinder, so lächelte er jetzt dabei und blickte mit väterlichem Stolz auf Günther und Martha; wenn ihn der erstere zu den schönsten Erwartungen für seine Laufbahn berechtigte, so war aus Martha der Sonnenschein des Hauses geworden, der das Leben den alternden Eltern verschönte und sie die Enttäuschungen vergessen ließ, welche ihnen die beiden anderen Töchter bereitet hatten.

Schönwiese blieb im Familienbesitz; es wurde zwar verpachtet, aber das alte Herrenhaus hatte Raum genug, um noch oft die beiden Jansenschen Familien aufzunehmen. Hier tummelten sich Heinrich und Günther in ihren Ferien fröhlich umher und die beiden Freundinnen Elschen und Martha verlebten hier glückliche Tage.

Herr Jansen hatte seine frühere Gesundheit zwar nicht völlig wiedererlangt, doch reichten seine Kräfte aus für das ruhige, beschauliche Leben, welches er jetzt führte, und wenn er in Schönwiese den Vetter und seine Frau als liebe Gäste bei sich aufnehmen konnte, dann fehlte ihm nichts zu seinem Behagen. In Flundersdorf verweilten dann Christine mit ihrem Mann in dem lieben kleinen Häuschen, und zwischen den beiden Orten herrschte natürlich ein reger Verkehr. Bald vervollständigte das junge Ehepaar den in Schönwiese versammelten Familienkreis, bald hatte Frau Christine in Flundersdorf ihren klugen Kopf anzustrengen, um für all ihre lieben Gäste eine gute Unterkunft ausfindig zu machen. Daß Fräulein Ellinger mit zu diesen gehörte, verstand sich von selbst; hatte sie sich in der Not als treue Freundin bewährt, so durfte sie im Glück nicht fehlen.

Dem alten Jakob war es vergönnt, sich noch lange an dem Wohlergehen seiner Herrschaft zu freuen. Als Direktor Hagen mit seiner jungen Frau von der Hochzeitsreise in sein geschmücktes Haus heimkehrte, da hatte der treue Diener für seine neue Herrschaft alles aufs schönste gerüstet und empfing das junge Paar, dem die andern den ersten Abend im eignen Heim allein gönnten, auf der Schwelle mit einem Segenswunsch. Mit freudigen Blicken begrüßte er die Glücklichen, aber sein Auge strahlte noch heller, als er sah, wie sie an allem, was sich Schönes und Behagliches in ihrer jungen Häuslichkeit fand, vorüberschreitend, zuerst nach der Bibel des Großvaters ausschauten, der ein Ehrenplatz angewiesen war und die für sie der höchste Schatz und der Grundstein ihres Glückes blieb.


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