Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.
Kämpfe.

. Heinrich und Elschen wurden von den Verwandten aufs freundlichste empfangen und als Glieder ihres Familienkreises betrachtet; dennoch fanden sie sich sehr schwer in die neuen Verhältnisse. Sie waren an ein inniges Familienleben gewöhnt, hier ging jeder seinen eigenen Weg. Man sah sich oft nur bei den Mahlzeiten; dann war der Onkel häufig zerstreut oder verstimmt, die Tante fühlte sich angegriffen, die beiden jungen Damen führten die Unterhaltung und sprachen von Gesellschaften und Vergnügungen, die den Kindern langweilig waren; die Engländerin saß steif und stumm da und erhob nur den Finger, oder ließ einen warnenden Laut hören, wenn eins der ihr anbefohlenen kleinen Mädchen etwas sagte oder that, was nicht mit ihren strengen Anstandsregeln im Einklang stand, und die beiden Knaben waren froh, wenn die steife Sitzung vorüber war und sie wieder in ihr Reich, das im obersten Stocke des hohen Hauses lag, hinaufkonnten.

Günther warf sich auf die lange, mit einem harten Lederpolster versehene Bank, welche ihr Sofa vorstellte. »Na, das wäre glücklich überstanden,« sagte er, »nun wollen wir unseren freien Nachmittag genießen. Cigarre gefällig?«

»Nein, ich danke,« erwiderte Heinrich.

»Famoses Kraut, ich rauche nur gute Sorten,« redete ihm Günther zu, indem er alles herbeiholte.

Heinrich schüttelte energisch den Kopf. »Ich habe noch nie geraucht.«

»Kolossal! Und bist schon fünfzehn Jahre alt und sitzest in Ober-Tertia,« sagte sein Vetter. »Na, du bist vom Lande und das entschuldigt dich. Sei nur nicht bange, einmal muß ein Anfang gemacht werden, und ich suche dir eine ganz leichte aus, die du schon vertragen wirst.«

»Es ist nicht darum,« sagte Heinrich mit rotem Kopf; »fürchten thue ich mich nicht.«

»So hast du wohl Angst, mein Vater könnte dahinter kommen?« fragte Günther. »Keine Sorge darum. Der sitzt fest in seinem Kontor. Zu uns kommt niemand herauf, als das Stubenmädchen, welches uns den Kaffee bringt, und das spicke ich gut, das verrät uns nicht. Sonst sind wir ganz ungestört. Also,« und mit einer einladenden Gebärde hielt er ihm das Kistchen mit den Cigarren hin.

»Ich will doch lieber nicht,« wehrte Heinrich.

»Aus dir wird nie ein rechter Kerl, wenn du nicht rauchen willst,« hielt ihm Günther vor.

»O, ich will schon, nur jetzt noch nicht.«

»Was hast du für einen Grund dafür?« drang Günther wieder in ihn, »einen vernünftigen sicher nicht. Alle Jungen rauchen, sogar schon die Quartaner. Man muß sich nur nicht ertappen lassen.«

»Nein, ich thue es nicht,« sagte Heinrich nun sehr entschieden. »Gieb dir keine Mühe, mich zu überreden. Es ist doch vergeblich. Ich würde das niemals Christinen anthun.«

»Na, da haben wir's,« spottete Günther. »Ich hatte so eine Ahnung, daß dich Christine am Schürzenbande hielte, aber ich wollte dich doch nicht so beleidigen, daß ich etwas sagte. Du bist mir ein schöner Held.«

»Christine will nur, was recht und gut ist, mein Lieber,« rief Heinrich dunkelrot vor Zorn. »Ich wünschte dir nur solche Schwester.«

»Danke, ich habe zwei,« sagte Günther kurz.

»Die sind auch danach!« rief Heinrich in voller Wut. »Zehn von solchen Modepuppen wiegen noch nicht eine Christine auf.«

Günther war im Herzen derselben Meinung; aber sein brüderlicher Stolz war doch zu tief verletzt und er konnte den Schimpf nicht auf seinen Schwestern sitzen lassen.

»Ob dir unsere Mädel gefallen, oder nicht, ist gleichgültig,« schrie er; »ich mag nun wieder die Landpomeranzen nicht. Übrigens, wenn du ein solcher Waschlappen bist, so thust du mir leid. Für mich bist du dann kein Umgang. Ich will lieber zu meinen Freunden.«

Damit steckte er eine kleine Cigarrentasche zu sich, ergriff seine Schülermütze und stürmte davon; sein Vetter blieb mit sehr gemischten Gefühlen zurück. Es war richtig, er hatte der Versuchung widerstanden, hatte gethan, was recht war, aber – auch in der rechten Weise? War es Günther zu verdenken, daß er böse wurde, wenn man ihm seine Schwestern herabsetzte? Da hatte er natürlich auf Christine wieder gescholten, und so trug Heinrich im Grunde die Schuld, daß es zum Zank gekommen war.

Er holte nun seine Bücher und Hefte hervor und machte sich ans Arbeiten. Eigentlich war er recht schwach in die Klasse gekommen, er hatte große Lücken und wenn er sich nicht tüchtig dranhielt und wie ein Löwe arbeitete, dann kam er nicht mit und mußte noch ein Jahr in derselben sitzen. Das durfte aber nicht sein. Wozu hatte man seinen Kopf, der gar nicht schlecht war, scharfe Augen und eine gute Gesundheit! Da konnte man sich auch etwas anstrengen.

Einige Stunden vergingen, Günther ließ sich nicht sehen; Heinrich fühlte sich endlich doch ermüdet und klappte seine Bücher zu. Wo nur Günther blieb? Wie hübsch wäre jetzt ein Spaziergang mit ihm gewesen! Heinrich trat ans Fenster. Da ging eben die Miß mit Martha über die Straße; sie riefen eine Droschke an und stiegen ein, gewiß machten sie eine Spazierfahrt, und Elschen war nicht dabei. Wie ging das zu! Da mußte er doch das Nähere wissen. Schon war er auf der Treppe und jetzt stand er vor der Thüre des Schulzimmers.

Ein herzbrechendes Schluchzen ließ sich vernehmen, und als er eintrat, da fand er sein kleines Schwesterchen am Tisch sitzend, den Kopf auf den Arm gelegt und in großem Jammer.

»Elschen, mein liebes, kleines Ding, was haben sie dir gethan?« fragte er voll mitleidiger Teilnahme.

Erst rührte sie sich nicht; nur durch langes Bitten und Schmeicheln konnte sie der Bruder endlich bewegen, daß sie sich in die Höhe richtete und ihn ansah. Aber war das denn sein kleines Elschen? Ein böser, trotziger Ausdruck lag auf den verweinten Zügen und die sonst so freundlichen Augen blickten finster unter den zusammengezogenen Brauen.

»Ich will fort! Ich bleibe nicht hier!« rief sie nun und stampfte mit dem Fuße. »Bring mich nach Hause, Heinrich! Wir wollen fortlaufen!«

»Aber, Else, so habe ich dich noch nie gesehen,« sagte Heinrich erstaunt.

»Ja, so bin ich auch noch nicht behandelt worden,« schluchzte sie. »Miß Davis kann mich nicht leiden; den ganzen Tag tadelt und schilt sie mich, und wenn ich den Kopf ein wenig drehe, oder statt ins Buch ein bißchen aus dem Fenster sehe, oder einmal ihre Fragen nicht gehört habe, oder eine falsche Antwort gebe, so ist sie gleich böse und thut, als wäre das größte Unglück geschehen. Der Herr Kandidat war immer so geduldig und gut zu mir.«

»Ja, weißt du, er sah dich nie für voll an,« schaltete Heinrich ein, »und dachte, für solch kleines Ding käme es nicht so sehr darauf an, wenn sie auch etwas zerfahren und faul wäre, das würde sich schon geben, wenn du erst größer und verständiger würdest.«

»So klein bin ich auch nicht mehr, daß ich nicht verständig sein und lernen und aufpassen könnte, wenn ich nur wollte!« rief Elschen entrüstet.

»Ah!« sagte der Bruder.

Nun erschrak die Kleine; das hatte sie ja eigentlich gar nicht sagen wollen. »Ich meine nur so,« setzte sie kleinlaut hinzu.

Heinrich schwieg beharrlich.

»Ja, Miß Davis war sehr streng gegen mich,« fing Elschen nun wieder zu klagen an; »sie hatte uns für heute nachmittag eine Spazierfahrt versprochen, und nur weil ich – weil ich schlecht geübt hatte und die Vokabeln nicht ordentlich konnte« –

»Und –«, sagte Heinrich.

»Nun, und nicht aufpaßte, als sie uns die Exempel diktierte,« fuhr Elschen fort.

»Und –«, sagte Heinrich wieder, obwohl sie ihm leid that.

»Und mit meinen Puppen spielte, als sie mich ins Schlafzimmer geschickt hatte, um mir mein Haar zu bürsten, und –«

Nun hatte Heinrich doch Erbarmen mit der kleinen Sünderin.

»Ich denke, es könnte genug sein,« sagte er.

»Es ist aber noch nicht genug,« flüsterte Elschen sehr verschämt.

»Na, ich sehe doch ein, daß du eine Belohnung verdient hattest, und die hat dir diese garstige englische Miß nicht zu teil werden lassen. Es ist unerhört.«

»Ach, rede doch nicht so etwas,« sagte Elschen sehr verwirrt. »Ich bin ja nicht gewesen, wie ich sein sollte.«

»Deshalb müssen wir nun nach Hause,« fuhr Heinrich fort. »Wann soll es losgehen? Doch am besten bei Nacht? Ich werde mit einer Strickleiter erscheinen und dich, wenn ich dich glücklich aus diesem Gefängnis herausgeholt habe, in einen Sack stecken, um dich so unerkannt zu befördern.«

Elschen machte ein entsetztes Gesicht.

»Ist dir die Mitternachtsstunde recht?« fragte Heinrich.

»Ach nein, lieber Heinrich,« sagte sie ängstlich, »da bleibe ich lieber hier.«

»Aber bedenke, wie dich diese grausame Miß quälen wird. Vielleicht kann ich dir später nicht mehr helfen,« sagte Heinrich mit sehr ernstem Gesicht.

»So schlimm wird es wohl nicht werden,« meinte Elschen nun. »Siehst du, Heinrich, wenn ich thue, was ich soll, ist Miß Davis gar nicht so böse.«

»Dann würde ich's auf die Weise versuchen,« schlug Heinrich vor. »Nimm dich einmal zusammen, Elschen; im Grunde bist du gar nicht mehr so jung und klein, wie der Kandidat dachte; schicke die dummen Gedanken fort, die dich vom Lernen abhalten, und zeige dieser Engländerin, was ein deutsches Mädchen kann, wenn es will. Wird die Augen machen!«

»Glaubst du Heinrich, daß es gehen wird?« fragte Elschen zaghaft.

»Natürlich! Da sollte ich dich nicht kennen! Du brauchst nur zu wollen. Ein bißchen sauer wird es dir wohl werden, doch das verliert sich mit der Zeit. Nachher kannst du gar nicht mehr anders.«

»Was Martha wohl dazu sagen wird?« frohlockte die Kleine. »Sie macht alles viel besser, als ich. Wird sich die ärgern!«

»Ich glaube eher, sie freut sich,« sagte Heinrich, »und die Miß auch. Es wird euch allen gefallen.«

»Dann will ich nur gleich anfangen,« rief Elschen aus. »Ich werde recht gut üben und alles lernen, bis sie nach Hause kommen. Nun muß ich mich beeilen.«

»Ich will dich also nicht länger stören,« sagte Heinrich. »Willst du es der Miß nicht sagen, daß es dir leid thut? Sie hat sich doch gewiß über dich geärgert.«

»Ich möchte lieber nicht,« meinte das kleine Mädchen zögernd. »Muß es denn sein?«

»Ich glaube ja,« erwiderte Heinrich sehr entschieden; »Schwester Christine würde es auch denken.«

»Nun, dann will ich es nur thun,« erklärte Elschen nach einigem Besinnen; »und dann werde ich mir große Mühe geben, damit ich, wenn ich an Christel schreibe, ihr Gutes berichten kann. Hiervon brauche ich doch nichts mehr zu sagen?« setzte sie ängstlich hinzu.

»Wenn Miß Davis bis dahin mit dir zufrieden ist, wohl nicht,« entgegnete Heinrich. Dann küßte er sein Schwesterchen und stieg wieder nach oben.

»Der habe ich den kleinen Kopf glücklich zurechtgesetzt,« dachte er, »selbstverständlich muß ich mit meinem dicken Schädel dasselbe thun. Um Verzeihung bitten ist für niemand angenehm, aber was das kleine Ding kann, das darf mir doch nicht zu schwer sein. Ich habe Günther tüchtig geärgert, und er hat Ursache, böse auf mich zu sein.«

Oben stand Günther am Fenster, wandte aber den Kopf nicht, als sein Vetter eintrat. Dieser ging auf ihn zu, schlang ihm den Arm um seine Schulter und sagte treuherzig: »Du, Günther, hier ist meine Hand, schlag ein. Ich war ein grober Flaps, verzeih mir das!«

Günther blickte ihn überrascht an und wurde sehr rot. »Du hattest eigentlich recht,« sagte er zögernd.

»Mit den Cigarren wohl, aber nicht mit meiner Art und Weise,« gestand Heinrich. »Na, bist du wieder gut? Ich will mich in Zukunft zusammennehmen und nicht wieder so unmanierlich sein.«

Günther schlug herzhaft ein und sah sehr vergnügt aus. »Ich bin froh, daß wir wieder Freunde sind,« sagte er.

Beim Abendessen trafen sich nun die jüngeren Familienglieder unter Miß Davis' Vorsitz, Herr und Frau Jansen waren, wie dies meist der Fall, mit ihren erwachsenen Töchtern in Gesellschaft. Es ging sehr heiter her; Heinrich und Elschen nickten sich verstohlen zu, sie waren jetzt beide mit sich zufrieden.

Günther suchte seinen Vetter nicht wieder zum Rauchen zu überreden, obwohl seine Freude an diesem Genuß gering war, wenn jener ihm nicht Gesellschaft leistete. Heinrich sagte nichts wieder dagegen, dennoch empfand Günther selbst sein Schweigen als einen Vorwurf, die beste Cigarre schmeckte ihm nicht mehr und ärgerlich pflegte er sie nach einigen Minuten fortzuschleudern. Das machte ihn verdrießlich und gereizt gegen Heinrich, der sich redlich Mühe gab, trotzdem seine gute Laune zu bewahren.

Viel besser ging es mit den kleinen Mädchen. Es fehlte zwischen ihnen zwar auch nicht an Reibereien und kleinen Mißhelligkeiten, doch währten diese meist nur kurze Zeit. Elschen kämpfte tapfer gegen ihre Zerstreutheit und Trägheit an, und Martha, die die bessere Schülerin war, bemerkte das wohl und sah es mit stiller Bewunderung. Sonst hatte sie sich gern etwas überhoben und es die Cousine empfinden lassen, daß sie mehr wußte, als jene, jetzt that sie das nicht mehr, sondern sie suchte ihr freundlich und geduldig beizustehen, und wenn Elschen etwas, was die Miß auf Englisch oder in ihrem gebrochenen Deutsch sagte, nicht verstand, so ruhte Martha nicht eher, als bis sie ihr alles erklärt hatte.

»Wie gut du bist, liebe Martha,« sagte Elschen eines Tages und umfaßte die Freundin zärtlich. »Wenn du nicht wärest, würde ich doch nicht viel lernen trotz meines guten Willens. Ach, ich glaube, ich hielte es gar nicht aus, obwohl ich es Heinrich versprochen habe.«

Martha sah die Cousine erstaunt an, in deren Augen Thränen standen. »Was hast du nur?« fragte sie.

»Ach, ich habe solch Heimweh,« schluchzte das kleine Mädchen, »und ich sehne mich so nach meiner Christel. Sie ist so lieb und gut, ich kann gar nicht ohne sie leben.«

»Armes Elschen,« sagte Martha mitleidig und setzte reuig hinzu: »Ich habe dir deinen Kummer noch schwerer gemacht, weil ich oft so garstig und unfreundlich gegen dich war. Aber von nun an will ich so gut sein! Du hast wohl deine Schwester sehr lieb?«

»O, so sehr, daß ich es gar nicht beschreiben kann,« versicherte Elschen, deren Augen schon wieder strahlten. »Aber es giebt auch nur eine Christel auf der ganzen Welt! Sie ist so gut wie eine Mutter zu mir.«

»Christine hat mir auch sehr gefallen,« meinte Martha nachdenklich; »da kann ich es mir vorstellen, daß du sie so liebst. Früher dachte ich immer, erwachsene Schwestern wären nur zur Plage für die kleineren da, die für sie laufen und springen müßten und doch nur gescholten und als eine Last behandelt würden. Weißt du, ich bin sehr froh, daß sich Hilda und Charlotte verlobt haben und nun nicht mehr lange im Hause bleiben; zum Frühjahr wird wohl ihre Hochzeit sein, wenn sie ihre Aussteuer eingekauft und alles fertig haben. Wenn sie erst fort sind, dann wird es viel schöner bei uns werden.«

»Ich glaube nicht, daß es recht ist, wenn man so von seinen Schwestern denkt,« sagte Elschen. »Christine würde es gewiß für unrecht finden.«

»Ich möchte eure Christine doch gar zu gern näher kennen lernen,« meinte Martha altklug. »Da fällt mir etwas Schönes ein. Im Sommer bekommen wir Ferien, Miß Davis reist dann nach England, und wir bitten Papa und Mama, daß sie uns zu deiner Christine lassen. Du willst mich doch mitnehmen?«

»O, wie gern!« rief Elschen und umarmte die Cousine stürmisch. »O, wie freue ich mich darauf! Wenn es doch nur erst Sommer wäre!«

»Nun weinst du nicht mehr vor Heimweh,« bat Martha.

»Ich will mir gewiß Mühe geben, es zu überwinden,« versprach Elschen.

»Und ich will so gut gegen dich sein, wie ich nur kann,« versicherte Martha. »Es soll dir gewiß bei mir gefallen.«

Als sie am Nachmittag Zeit zum Spielen hatten, weigerte sich Martha nicht, sich mit den dummen Puppen, wie sie diese sonst nannte, abzugeben; ja, sie verfuhr ungewöhnlich sanftmütig mit ihnen und legte alles, was sie hervornahm, wieder in die kleinen Schubfächer und Schränke, wie es Elschen liebte, die durch Christine an peinliche Ordnung gewöhnt war.

So wurden aus den kleinen Mädchen nach und nach wirkliche Herzensfreundinnen, die sich gegenseitig unterstützten und beistanden, und es konnte niemand im Hause verborgen bleiben, welch guten und heilsamen Einfluß sie aufeinander ausübten. –

»Jedes Unglück hat auch etwas Gutes im Gefolge,« sagte Herr Steffen Jansen zu seiner Frau. »Unsern Kindern konnte nichts Besseres widerfahren, als daß wir die beiden andern ins Haus bekamen. Sie haben durch diese ein treffliches Beispiel vor Augen.«

»Ja, Heinrich und Elschen sind vorzüglich erzogen,« stimmte Frau Jansen bei. »Es ist zu bewundern, wie sehr sie an der Schwester hängen und auch wieder solchen Respekt vor ihr haben.«

»Die Christine ist ein Prachtmädchen,« versetzte Herr Jansen. »Ich bin überzeugt, sie schlägt sich mit dem Vater ganz ohne meine Unterstützung durch. Es liegt fast zu viel auf ihr. Ein bißchen Zerstreuung würde ihr gut thun. Wir wollen sie zur Hochzeitsfeier einladen.«

Frau Jansen war mit diesem Vorschlage sehr einverstanden, um so weniger erfreut waren aber ihre beiden stolzen Töchter. Sie ärgerten sich, wenn ihr Vater Christine lobte, und so wenig sie sich Mühe gaben, die Liebe der jüngeren Geschwister zu gewinnen, so empfanden sie doch Neid und Eifersucht, wenn sie jene mit solcher Begeisterung von Christine sprechen hörten.

»Laß mich nur machen, ich werde den Einladungsbrief an Christine schreiben,« sagte Hilda, »und ihn so einrichten, daß sie sich nicht hertraut.«

Damit war die Sache vorläufig erledigt, die Schwestern klingelten und bestellten den Wagen, um in die Läden zu fahren und dort Aufträge für die Aussteuer zu geben. Sie thaten es in sehr großartiger Weise, denn ihr Vater war ja reich genug, um ihre großen Ansprüche zu befriedigen. Außerdem rechneten sie stark auf eine entfernte Verwandte, ein altes Fräulein, die ein sehr großes Vermögen besaß und ihre Patin gewesen war. Fräulein Ellinger wurde sicher zur Hochzeit erwartet; sie wollten sich nicht blöde zeigen und sie um den herrlichen Schmuck von Brillanten und Türkisen bitten, den sie sich beim ersten Juwelier aussuchten. Die alte Dame war sehr seltsam – geizig nannten es Hilda und Charlotte – und wohl in der Lage, ihnen Silber oder Damast zu schenken, wie sie es schon von den Eltern erhielten. Und Christine brauchte Fräulein Ellinger auch nicht kennen zu lernen, die schmeichelte sich ja bei allen Menschen ein; nein, hier sollte das schon verhütet werden.


 << zurück weiter >>