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Weligama. – Tagesanbruch in den Tropen. – Fahrt von Punto-Galla nach Belligemma. – Feierlicher Empfang durch die Singhalesen. – Die Häuptlinge. – Das Rasthaus. – Sokrates. – Ganymedes. – Die Rodiay-Kaste. – Der Koch Babna. – Der Dolmetscher William.
Bella gemma! »Schöner Edelstein«! Wie oft gedenke ich dein! Wie oft taucht jetzt schon, wenige Monate, nachdem ich von dir scheiden mußte, dein unvergeßliches Bild vor mir auf und zaubert mir eine Fülle der schönsten Erinnerungen vor! Wie herrlich wird dieses Bild mir erst später in wachsendem Reize erscheinen, wenn der blaue Duft der geheimnisvollen Ferne mehr und mehr sich über deine lieblichen Formen legt. Fürwahr, wenn man Ceylon das Diadem von Indien nennt, dann darfst du als einer der schönsten Edelsteine in diesem Diademe gepriesen werden: Bella gemma della Taprobane!
Der geneigte Leser wird mir hoffentlich verzeihen, wenn ich hier gleich das Geständnis einschalte, daß der Name Belligemma eigentlich anders geschrieben wird und etwas ganz andres bedeutet als »Bella gemma«. Der singhalesische Name des Dorfes heißt ursprünglich Weligama und bedeutet: Sanddorf ( Weli = Sand, Gama = Dorf). Allein die Engländer sprechen den Namen beständig »Belligemm« aus, und so brauchen wir bloß ein a an die Stelle des i zu setzen, um zu dem italienischen Worte zu gelangen, das die seltene Schönheit des Ortes treffend bezeichnet. In meiner Erinnerung wenigstens bleibt das Bild von »Bella-Gemma« immer mit der Vorstellung eines auserlesenen Edelsteins von Naturpracht verknüpft; während der sandige Strand, der »Weligama« seinen Namen gegeben hat, ganz darin zurücktritt.
Natürlich hatte ich in Punto-Galla und Colombo mich möglichst gut über die Verhältnisse von Belligemma zu unterrichten gesucht, nachdem ich einmal den Entschluß gefaßt hatte, dort für ein paar Monate mein zoologisches Laboratorium aufzuschlagen. Allein trotz vielen Umherfragens hatte ich nicht viel mehr erfahren, als daß die Lage des Dorfes mitten im Kokoswalde sehr schön, das geschützte Hafenbecken reich an Korallen und das Regierungsrasthaus leidlich gut sei: in negativer Hinsicht wurde mir mitgeteilt, daß weder irgendein Europäer noch irgendeine Spur von europäischem Komfort und gewohnter Zivilisation daselbst existiere. Alles das hatte, wie ich bald erfuhr, seine Richtigkeit. Jedenfalls schwebte also über meiner nächsten Zukunft der mystische Schleier des Abenteuerlichen und Seltsamen; und ich bekenne, daß ich nicht ohne ein gewisses unheimliches Gefühl der Unsicherheit und der völligen Isolierung am 12. Dezember in Punto-Galla der europäischen Kultur Valet sagte. Ich hatte schon in Colombo und noch mehr in Kandy erfahren, wie merkwürdig nahe auf Ceylon die unberührte Urnatur der europäischen Firniskultur auf den Leib rückt, und wie die Distanz weniger Meilen den dichten Urwald von der bevölkerten Stadt trennt. Hier im südlichsten Teile der Insel konnte ich das noch in erhöhtem Maße erwarten. Meine ganze Hoffnung beruhte also einerseits auf der Wirksamkeit der offiziellen Regierungsempfehlung, anderseits auf meinem erprobten Reiseglück, das mich bei derlei abenteuerlichen Wagnissen noch niemals in: Stiche gelassen hatte.
So bestieg ich denn voll hochgespannter Erwartung am Morgen des 12. Dezember in Galla den leichten Wagen, der mich längs der Südküste nach Belligemma bringen sollte. Es war morgens 5 Uhr und also noch ganz dunkel, als ich das Fort verließ und durch die Pettah längs des Hafens nach Süden fuhr. Sanft schlafend lagen die Singhalesen, in weiße Baumwolltücher gehüllt, auf den Palmenmatten in ihren dunklen Hütten. Kein Laut war zu hören. Die tiefste Stille und Einsamkeit lagerte über der schönen Landschaft. Diese verwandelte sich aber mit einem Schlage, als der Zauberstab der aufgehenden Sonne sie plötzlich berührte. Ihre ersten blinkenden Strahlen weckten Leben und Bewegung in dem schlafenden Palmenwald. Einzelne Vögel ließen ihre Stimme in den Gipfeln der Bäume ertönen; die niedlichen Palmen-Eichhörnchen verließen ihr Nest und begannen ihre Morgenpromenade an den Kokosstämmen auf- und abwärts, und die träge »Cabragoya«, die grüne Rieseneidechse ( Hydrosaurus), streckte am Rande der Wassergräben ihre faulen Glieder. In den Gärten draußen, entfernter von der Stadt, sprangen muntere Affen auf den Fruchtbäumen umher, von denen sie sich soeben ihr Frühstück gestohlen hatten. Nun fingen auch die Singhalesen an, munter zu werden, und ganze Familien nahmen ihr Morgenbad ungeniert an der offenen Landstraße.
Zu den fremdartigsten Eindrücken, welche den Europäer in der Mitte der Tropenzone, so nahe dem Äquator, überraschen, gehört der Mangel der Dämmerung, jener duftigen Übergangsperiode zwischen Tag und Nacht, die in unsrer Naturanschauung und Poesie eine so große Rolle spielt. Kaum ist abends die strahlende Sonne, die noch soeben die ganze Landschaft vergoldet hatte, in den blauen Ozean gesunken, so breitet auch schon die schwarze Nacht ihre sanften Fittiche über Land und Meer, und ebenso plötzlich weicht die letztere morgens wieder dem anbrechenden Tage. Aurora, die rosenfingerige Eos, hat hier ihre Herrschaft verloren. Um so größer erscheint freilich auch der Glanz des jungen Tages und um so prachtvoller das frische Morgenlicht, das tausendfach gebrochen zwischen den feinen Fiedern der Palmwedel glitzert. Die zahllosen Tautropfen hängen gleich Perlen überall an der Spitze der Blattfiedern, und die glatten Flächen der breiten frischgrünen Bananen- und Potosblätter werfen das Licht gleich tausend Spiegeln zurück. Der sanfte Morgenwind vom Meere her setzt die zierlichen Formen in lebendige Bewegung und bringt zugleich erfrischende Kühle. Alles atmet ein frisches und junges Leben voll Glanz und Pracht.
Die fünfzehn Meilen guten Weges zwischen Punto-Galla und Belligemma zeigen ganz denselben Charakter, der früher von der Galla-Colombostraße geschildert wurde; sie bilden die direkte südliche Fortsetzung dieser herrlichen Küstenstraße. Nur erscheint hier, weiter gen Süden, der prachtvolle Kokoswald womöglich noch glänzender und reicher als dort; insbesondere bilden zahlreiche Schlingpflanzen zwischen den Palmensäulen reizende Girlanden, und die Bananengruppen, die Papaya- und Brotfruchtbäume rings um die Hütten, die zierlichen Manihot- und Yamsstauden an deren Verzäunung, die riesenblättrigen Kaladien und Kolokasien am Wege erschienen mir großartiger und kräftiger als je vorher. Dabei wird der Kokoswald häufig durch kleine Weiher belebt, die mit Lotosblumen und andren Wasserpflanzen bedeckt sind; und dann wieder von reizenden Bächen durchflossen, deren Ränder dicht mit den zierlichsten Farnen geschmückt sind. Dann kommen dazwischen felsige Hügel mit Schraubenpalmen oder duftigen Pandangs bedeckt, und damit wechselnd lachender Sandstrand voll der schönsten roten Windlinge, weißer Lilien und andrer prächtiger Blumen. An den Mündungen der kleinen Küstenflüsse, die unsre Straße überschreitet, erscheinen wiederum die herrlichen Bambusen und die dunkeln Mangroven; auch die seltsame, stammlose Nipapalme ragt mit ihren zierlichen Fiederkämmen aus dem Wasser.
So wird das Auge nicht müde, an den schönsten Gestalten der Tropenflora sich zu weiden, und ich bedauerte es fast, als nach mehreren Stunden schneller Fahrt mein schwarzer Tamilkutscher auf ein entferntes, im Bogen vorspringendes Felsenvorgebirge hinwies, mit den Worten: »Dahinter Weligama«. Bald wurden die zerstreuten Hütten am Wege zahlreicher und gruppierten sich zu einer Dorfstraße; beiderseits frischgrüne Reisfelder, vom schönsten Walde unterbrochen. Die Steine der Mauern bestanden großenteils aus prächtigen Korallenblöcken. An einer Biegung des Weges erschien links auf einer Anhöhe ein stattlicher Buddhatempel mit Namen: Agrabuddha-Ganni, seit alten Zeiten ein berühmter Wallfahrtsort. Gleich darauf zeigte sich zur Rechten des Weges, von Kittulpalmen überschattet, die kolossale, in dem schwarzen Felsen ausgemeißelte Reliefstatue eines altberühmten Königs, Cutta Raja. Sein gewaltiger Leib ist mit einem Schuppenpanzer bedeckt und mit einer Mitra gekrönt. Er wird in alten Chroniken nicht nur als Eroberer, sondern auch als Wohltäter der Insel gepriesen; namentlich soll er zuerst den Gebrauch der Kokosnuß eingeführt haben. Bald darauf fuhren wir durch einen kleinen Basar, und nach wenigen Schritten hielt mein Wagen vor dem spannungsvoll erwarteten Rasthause von Belligemma.
Eine dichte braune Volksmenge stand voller Neugierde vor dem Tore, das die Umzäunung des Rasthausgartens schließt, versammelt. Unter ihnen bemerkte ich eine Gruppe von vornehmen Eingeborenen im höchsten Staate. Der Präsident der Südprovinz (– oder der »Gouvernements-Agent«, wie sein bescheidener Titel lautet –) hatte dem Befehle des Gouverneurs zufolge dem Gemeindevorstand des Dorfes meine bevorstehende Ankunft angezeigt, ihn angewiesen, mich bestens zu empfangen und mir in jeder Weise behilflich zu sein. Der erste Häuptling oder der »Mudlyar«, ein stattlicher Mann von etwa 60 Jahren, mit gutmütigen, freundlichen Mienen und starkem Backenbarte, trat auf mich zu und begrüßte mich mit einer feierlichen Anrede in gebrochenem Englisch; er versicherte mir in höflichster und würdigster Form, daß sein ganzer »Korle« oder Dorfbezirk sich durch meinen Besuch hochgeehrt fühle und daß die 4000 braunen Bewohner desselben sich bemühen würden, mir den Aufenthalt recht angenehm zu machen; er selbst sei jederzeit zu meinem Dienste bereit. Ein kräftiger Pauken- und Trommeltusch, ausgeführt von mehreren im Hintergrunde kauernden Tamtamschlägern, bekräftigte am Schlusse der feierlichen Empfangsrede deren offizielle Bedeutung.
Nachdem ich geantwortet und gedankt hatte, folgte die Vorstellung der Honoratioren, welche das feierliche Gefolge des Mudlyar bildeten: des zweiten Häuptlings (Aretschi), des Zolleinnehmers oder Kollektors und des Doktors; an diese wichtigen Regierungsbeamten schlossen sich dann noch mehrere der angesehensten Einwohner des Dorfes an, alle in liebenswürdigster Weise mich ihres guten Willens und ihrer hilfsbereiten Unterstützung versichernd. Ein Trommeltusch der Tamtamschläger am Schlusse jeder Rede diente dazu, ihre schönen Versprechungen zu besiegeln. Der Doktor und der Kollektor, die beide geläufig englisch sprachen, dienten mir als Dolmetscher zum Verständnis der singhalesischen Reden. Die umgebende Volksmasse hörte mit stiller Spannung zu und musterte meine Person und meine Reiseeffekten mit größtem Interesse.
Die ganze Empfangsfeierlichkeit war um so seltsamer, als die Tracht der meisten Standespersonen von Belligemma ein komisches Gemisch von europäischem und singhalesischem Kostüm zeigte: das erstere für die obere, das letztere für die untere Hälfte des Körpers bestimmt. Fangen wir von oben an, so erfreut unser Auge zunächst ein hoher englischer Zylinderhut, unter allen Kopfbedeckungen unzweifelhaft die häßlichste und unpraktischste. Da die Singhalesen aber sehen, daß bei allen feierlichen Gelegenheiten die Europäer dieses Zylinderepithel als ein unentbehrliches Emblem des höheren Gentleman betrachten und dasselbe selbst bei der größten Hitze nicht fehlen darf, so würden sie es für einen gewaltigen Etikettefehler halten, auf diese sonderbare Zierde zu verzichten. Das gutmütige, braune Gesicht, das dieser schmalkrempige Schornstein nur wenig beschattet, wird von einem stattlichen, schwarzen Backenbart eingerahmt: dieser ist am Kinn in der Mitte ausgeschnitten und beiderseits von mächtigen weißen, oben spitz vorspringenden »Vatermördern« überragt: darunter ein buntseidenes Halstuch in zierlicher Schleife. Endlich fehlt nicht der schwarze Frack mit schmalen Schößen, ebensowenig wie die weiße Weste darunter, mit bunten Steinen und Goldschmuck verziert. Dagegen prangt nun an Stelle der Beinkleider die echt nationale Bedeckung der unteren Körperhälfte der Singhalesen, der rote oder rotbunte Komboi – eine breite Schürze, die an den roten Rock der deutschen Bauernmädchen erinnert. Die zierlichen kleinen Füße, die darunter hervorschauen, entbehren jeder Bedeckung oder sind nur durch Sandalen geschützt.
Nach dem ersten freundlichen Empfange, der alles gute versprach, führte mich mein neuer Beschützer in feierlichem Zuge durch das Tor in den lieblichen, von einer niedrigen weißen Mauer umschlossenen Garten des Rasthauses. Der erste Anblick des letzteren übertraf meine Erwartungen: ein stattliches, einstöckiges, steinernes Gebäude, von einer Veranda umgeben, deren weiße Säulen ein weit vorspringendes rotes Ziegeldach tragen. Der weite grüne Rasenplatz vor seiner breiten Ostfront ist in der Mitte mit einem prachtvollen Tiekbaume geziert, dessen säulengleicher runder Stamm wohl 80 bis 90 Fuß Höhe erreicht. Die kletternden Leguminosen, die denselben umschlingen, lassen oben an den aufstrebenden Zweigen reizende Festons herabfallen. An der Südseite des Rasthauses weideten ein paar Kühe friedlich auf dem grünen Rasen, der hier von einem halben Dutzend der prachtvollsten alten Brotfruchtbäume überschattet ist, während der knorrige dicke Stamm der letzteren und die mächtige Krone mit ihren weithinragenden Ästen an die schönsten Prachtexemplare unsrer deutschen Eichen erinnern, verleihen ihnen dagegen die kolossalen, dunkel glänzenden und tief eingeschnittenen Blätter, sowie die gewaltigen hellgrünen Früchte, ein weit stolzeres und imposanteres Aussehen.
Zwischen den dunklen Kronen dieser herrlichen Artocarpusriesen öffnet sich die freundlichste Aussicht auf das sonnige, fast kreisrunde Hafenbecken von Belligemma, auf dem soeben zahlreiche Boote mit vollen Segeln vom Fischfange zurückkehren; das langgestreckte felsige Vorgebirge gegenüber, im Süden, ist teils mit Dschungel, teils mit Kokoswald bedeckt; die Hütten des Fischerdorfes Mirissa schimmern von seinem weißen Strande herüber. Unmittelbar vor dem Rasthause aber, kaum zwei Minuten entfernt liegt eine liebliche kleine Felseninsel, Gan-Duva, ganz mit den schönsten Kokospalmen geschmückt.
Indem wir weiter um das Rasthaus herumgehen, treten wir in den Fruchtgarten voll lachender Bananen und Manihotstauden, der sich westwärts hinter demselben ausdehnt und an einen dichtbewaldeten Hügel anlehnt. Ein Nebengebäude an seinem Fuße enthält die Küche und einige Vorratsräume, die mir für meine Sammlungen sehr zu statten kamen. Der erwähnte Hügel erhebt sich an der Nordseite des Rasthausgartens zu einer steilen Lehne, über der sich der dichteste, von Affen und Papageien bevölkerte Waldpark ausdehnt, während ihre Gehänge mit dem üppigsten Buschwerk verziert und von meinem Teppich dichter Kletterpflanzen überwuchert sind.
Von der reizenden Lage und der idyllischen Umgebung des Rasthauses gleich beim ersten Anblick entzückt, wollte ich voll Spannung über die breite Freitreppe an der Ostfront in das Innere eintreten. Da empfing mich unten an der Treppe mit einer neuen Begrüßungsrede (– halb Englisch, halb Pali –) der Verwalter meines neuen Wohnsitzes, der alte »Resthauskeeper«. Beide Arme über der Brust gekreuzt, den braunen Oberkörper tief übergebeugt, fast knieend, näherte sich mir der würdige alte Greis mit der unterwürfigsten Miene und bat mich, mit dem einfachen Unterkommen in Belligemma fürlieb zu nehmen; was das Dorf von Reis und Curry, von Früchten und Fischen biete, das wolle er mir reichlichst spenden; an Kokosnüssen und Bananen sei kein Mangel. Im übrigen solle ich alles erhalten, was überhaupt hier zu bekommen sei; und am bereitwilligsten Dienste solle es nicht fehlen. Diese und andre schöne Dinge versprach mir der alte Mann in wohlgefügter Rede, die sogar mit einigen philosophischen Sentenzen gewürzt war. Indem ich nun dabei in sein gutmütiges breites Gesicht sah und unter den kleinen Augen die kurze, breite, aufgestülpte Nase betrachtete und unter den dicken Lippen den langen, wirren Silberbart, fiel mir plötzlich die bekannte Büste des alten Sokrates ein, die in manchem Stück an einen Satyrkopf erinnert; und da ich den langen singhalesischen Namen meines philosophischen Wirtes nicht behalten konnte, nannte ich ihn schlechtweg Sokrates. Diese Umtaufung rechtfertigte sich später um so mehr, als der weise Alte in der Tat sich vielfach als Philosoph erwies; auch stand er mit der Reinlichkeit auf sehr gespanntem Fuße, was – wenn ich nicht irre – nicht minder bei seinem griechischen Vorbilde der Fall war.
Nun schien es, als ob ich gleich beim Eintritte in mein idyllisches Daheim die vertrauten Eindrücke des klassischen Altertums nicht los werden sollte. Denn als mich Sokrates über die Freitreppe in den offenen Mittelraum des Rasthauses hineinführte, stand da mit erhobenen Armen, in einer betenden Stellung, eine reizende, nackte, braune Figur, die nichts andres sein konnte, als die berühmte Statue des betenden Knaben, des »Adoranten«. Wie erstaunte ich aber, als die zierliche Bronzestatue plötzlich lebendig wurde, die Arme senkend vor mir niederkniete, die schwarzen Augen bittend zu mir aufschlug, und dann stumm in demütigster Weise das schöne Haupt neigte, so daß die langen schwarzen Locken auf den Boden herabfielen. Sokrates belehrte mich, daß dieser Knabe ein Paria sei, ein Angehöriger der niedersten Kaste, der »Rodiah«, der frühzeitig seine Eltern verloren, und dessen er sich daher aus Mitleid angenommen habe. Er sei ausschließlich für meinen persönlichen Dienst bestimmt, habe den ganzen Tag nur auf meine Wünsche zu achten und sei ein guter Junge, der sicher seine Pflicht ordentlich üben werde. Auf die Frage, wie ich meinen neuen Leibpagen denn zu rufen habe, antwortete mir der Alte, daß er Gamameda (oder »Mittendorf«) heiße (Gama = Dorf, Meda = Mitte). Natürlich fiel mir dabei sofort Ganymedes ein; denn einen edleren Körperbau, ein feineres Ebenmaß der zierlichen Glieder konnte der schöne Liebling des Zeus wohl nicht besessen haben. Da nun Gamameda gerade als Mundschenk eine vorzügliche Fertigkeit entwickelte, und es sich nicht nehmen ließ, mir jede Kokosnuß selbst zu öffnen, jedes Glas Palmwein selbst einzuschenken, so war es gewiß nur gerechtfertigt, daß ich ihn Ganymedes nannte.
Unter den vielen schönen Figuren, die in meiner Erinnerung das Paradies von Ceylon beleben, ist Ganymedes mir eine der liebsten und wertesten geblieben. Denn nicht allein erfüllte er seine Dienstpflichten mit der größten Aufmerksamkeit und Gewissenhaftigkeit, sondern entwickelte auch bald eine besondere Anhänglichkeit und Dienstwilligkeit für meine Person, die mich wahrhaft rührte. Der arme Junge, war bisher, als unglückliches Glied der Rodiahkaste schon von Geburt an der tiefsten Verachtung seiner Landsleute geweiht, Gegenstand vielfacher Roheiten und selbst Mißhandlungen gewesen: mit Ausnahme des alten Sokrates (– der ihn übrigens auch ziemlich barsch behandelte –) hatte sich vielleicht noch niemand seiner angenommen. Es war daher offenbar für ihn ebenso überraschend als beglückend, daß ich ihm von Anfang an freundlich entgegenkam. Ganz besonders dankbar aber erwies er sich für folgenden kleinen Dienst. Wenige Tage vor meiner Ankunft hatte er sich einen Dorn tief in den Fuß gestochen; beim Herausziehen desselben war ein Stück abgebrochen und in der Wunde stecken geblieben. Ich entfernte denselben durch eine ziemlich mühsame Operation und behandelte die schmerzhafte Wunde mit Karbolsäure so glücklich, daß sie schon nach kurzer Zeit geheilt war. Seitdem folgte mir der dankbare Ganymed wie mein Schatten und suchte mir alle Wünsche an den Augen abzusehen. Kaum hatte ich mich früh von meinem Lager erhoben, so stand er schon vor mir mit der frisch geöffneten Kokosnuß, aus der er mir den kühlen Labetrunk des Morgens kredenzte. Bei Tisch verwendete er kein Auge von meinen Bewegungen und wußte immer schon im voraus, was ich begehrte. Zur Kühlung der Hitze zog er unermüdlich die Punka. Beim Arbeiten putzte er mir die anatomischen Instrumente und die Gläser für das Mikroskop. Glücklich aber war Ganymed, wenn es hinaus in den Kokoswald oder an den Seestrand ging, zum Malen und Sammeln, zum Jagen und Fischen. Wenn ich ihm dann erlaubte, den Malkasten oder die photographische Kamera zu tragen, das Jagdgewehr oder die Botanisiertrommel umzuhängen, dann schritt er mit strahlendem Antlitz hinter mir her, stolz herabblickend auf die verwunderten Singhalesen, die in ihm nur den unwürdigen Rodiah gesehen hatten und eine derartige Auszeichnung unbegreiflich fanden. Besonders ärgerlich war darüber mein Dolmetscher, der neidische William: er suchte den guten Ganymed bei jeder Gelegenheit anzuschwärzen, überzeugte sich aber bald, daß ich meinem Liebling kein Leid antun lasse. Viele hübsche und wertvolle Erwerbungen meiner Sammlung verdanke ich nur dem unermüdlichen Eifer und der Geschicklichkeit des letzteren. Mit dem scharfen Auge, der geschickten Hand und der flinken Behendigkeit der singhalesischen Kinder wußte er sich ebenso des fliegenden Schmetterlings wie des schwimmenden Fisches zu bemächtigen, und bewunderungswürdig war seine Gewandtheit, wenn er auf der Jagd katzengleich einen hohen Baum erkletterte oder in das dichte Dschungel sprang, um die Jagdbeute herauszuholen.
Die Rodiahkaste, zu der Gamameda gehörte, ist zwar rein singhalesischen Ursprungs, wird aber von allen Bewohnern der Insel (– trotzdem hier das Kastenwesen lange nicht so schroff als auf dem indischen Festlande entwickelt ist –) als eine sehr tief stehende verachtet, gleich den Paria. Die Angehörigen derselben treiben meistens nur Gewerbe, die als verächtlich gelten; dazu gehört sonderbarerweise das Waschen. Kein Indier höherer Kaste wird mit einem Rodiah in nähere Gemeinschaft treten. Als ob aber die gütige Mutter Natur das schwere Unrecht, das so einem ihrer Kinder geschieht, wieder gut machen wollte, hat sie die armen verstoßenen Rodiah nicht allein mit der großen Glücksgabe der Zufriedenheit und Genügsamkeit ausgestattet, sondern ihnen auch das anmutige Geschenk eines besonders schönen Körperbaues verliehen, und da sie nur die notdürftigste Kleidung tragen, hat man stets Gelegenheit, denselben zu bewundern. Sowohl die Knaben und die Jünglinge als auch die jungen Mädchen sind durchschnittlich von stattlicherem Wuchs und edlerer Gesichtsbildung, als die übrigen Singhalesen; vielleicht ist es gerade dieser Umstand, der den Neid und Haß der letzteren erregt.
Im allgemeinen ist auf Ceylon überhaupt das starke Geschlecht zugleich das schöne; und ganz besonders zeichnen sich die Knaben durch einen gewissen schwärmerischen Ausdruck der edlen arischen Gesichtszüge aus. Vorzüglich spricht sich dieser in dem feingeschnittenen Munde und in dem tiefdunklen, seelenvollen Auge aus, das mehr verspricht, als das Gehirn hält: dazu ist das schöne Oval des Gesichts von einer dichten Fülle langer rabenschwarzer Locken eingerahmt. Da die Kinder beiderlei Geschlechts (wenigstens auf den Dörfern) bis zum achten oder neunten Jahre ganz nackt gehen oder nur einen schmalen Lendenschurz tragen, so bilden sie die passendste Staffage zu der paradiesischen Landschaft; oft meint man, lebendige griechische Statuen vor sich zu haben. Ransonnet hat auf Taf. IV seines Werkes über Ceylon in der Abbildung eines vierzehnjährigen Knaben Siniapu jene charakteristischen Züge sehr gut wiedergegeben. Diesem ganz ähnlich war auch Gamameda, nur hatten seine Züge noch etwas Weicheres und Mädchenhafteres, erinnernd an Mignon.
Im Alter verliert sich der Reiz jener milden und anmutigen Gesichtsbildung ganz, besonders beim weiblichen Geschlecht, und es tritt eine gewisse Härte oder Stumpfheit und Ausdruckslosigkeit an deren Stelle. Oft springen auch die Knochenteile des Gesichts dann sehr unangenehm hervor. Ein auffallendes Beispiel solcher Häßlichkeit bot der alte Babua, die dritte Persönlichkeit, die sich mir im Rasthause vorstellte, und zwar als dessen Koch. Der hagere Alte mit seinen dürren Gliedern entsprach keineswegs dem behaglichen Bilde, das wir uns gewöhnlich von einem wohlbeleibten Koch machen; vielmehr erinnerte er an die vierhändigen älteren Vorfahren des Menschengeschlechts; und wenn er den breiten Mund seines hageren, dunkel bronzegelben Gesichts zu einem grinsenden Lächeln verzog, bekam er viel Ähnlichkeit mit einem alten Pavian. Es war daher ein komischer Zufall, daß der Name Babuin in der Tat der systematische Name einer bronzefarbigen Pavianart ist ( Cynocephalus Babuin). Im übrigen war der alte »Hundskopf« mit seinem mächtigen Unterkiefer und der niedrigen Stirn (– vielleicht mit einem Anteil Negerblut in seinen Adern –) ein sehr harmloser und gutmütiger Gesell. Sein Ehrgeiz war befriedigt, wenn er mir zu dem tagtäglich zweimal aufgetragenen Reis irgendeine neue Curryart als Würze vorsetzte, und ich dieselbe lobte. Etwas mehr Reinlichkeit in seiner primitiven Küche wäre freilich bei ihm ebenso wie bei Sokrates sehr erwünscht gewesen.
Zu diesen drei ständigen Bewohnern des Rasthauses kam nun noch als vierter dienstbarer Geist mein Dolmetscher, namens William. Ich hatte denselben (zunächst für einen Monat) in Punto-Galla engagiert. Meine englischen Freunde hatten mir dort zwar, der Landessitte entsprechend, geraten, mehrere Diener für den Aufenthalt in Belligemma zu mieten: einen als Dolmetscher, einen zweiten als Jäger, einen dritten als Leibdiener usw. Ich hatte aber schon zu viel von der Last und dem Ärger der vielen Diener in Indien kennen gelernt, um an dieser übertriebenen Arbeitsteilung Gefallen zu finden, und war daher froh, in William einen Mann zu treffen, der sich bereit erklärte, die Funktionen des Dolmetschers, des Leibdieners und des Assistenten gemeinschaftlich auszuüben. Er war mehrere Jahre Soldat und Offiziersbursche gewesen, besaß gute Zeugnisse darüber und war ein leidlich gewandter und gutwilliger Gehilfe. Als echter Vollblut-Singhalese hatte er allerdings eine ausgesprochene Scheu vor Arbeit im allgemeinen und vor harter Arbeit im besonderen; auch hielt er es für zweckmäßig, für jede Arbeitsleistung so viel Zeit und so wenig Kraft als möglich aufzuwenden. Das Hauptinteresse des Tages konzentrierte sich für ihn, wie für jeden singhalesischen Jüngling, in der kunstgerechten Herstellung seiner Frisur. Die langen schwarzen Haare zu waschen und zu kämmen, dann zu trocknen und mit Kokosöl zu salben, darauf in einen regelrechten Zopf aufzuwinden und diesen mit einem großen Schildpattkamm zu befestigen, das war für William das wichtige Drama in sechs Akten, zu dessen Aufführung er jeden Morgen mehrere Stunden brauchte. Um sich von dieser Anstrengung zu erholen, hatte er dann wieder mehrere Stunden Ruhe nötig. Seine Hauptaufgaben als Dolmetscher und als Wärter der Kleider und Wäsche erfüllte er mit großer Gewissenhaftigkeit, hingegen wies er mit großer Indignation jede Zumutung zu anstrengender mechanischer Arbeit von sich, indem er würdevoll versicherte, daß er kein »Kuli« sei. Im übrigen besorgte er seine leichte Hausarbeit mit ziemlicher Geschicklichkeit und half namentlich gern beim Arbeiten mit dem Mikroskop.
Die schöne Leserin wird nun vermutlich neugierig nach den weiblichen Bewohnern des Rasthauses von Belligemma fragen; ich muß aber bedauern, von diesen nichts melden zu können, aus dem einfachen Grunde, weil keine vorhanden waren. Nicht allein die Köchin Babua und das Zimmermädchen William, sondern auch die Waschfrau, die jede Woche meine Wäsche abholte, um sie auf Steinen im Flusse weiß zu klopfen, – sie alle waren männlichen Geschlechts, wie überhaupt fast alle Dienstboten in Indien. Auch sonst war in Weli-Gama vom schönen Geschlechte fast nichts zu sehen; doch darüber später.