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Botanischer Garten. – Eisenbahn von Colombo nach Kandy. Blühende Talipotpalmen. - Doktor Trimen. – Gummibäume. – Botanisches Paradies. – Doktor Marshall Ward. – Botanische und zoologische Stationen. – Riesenbambus. – Palmen. – Landblutegel. – Andre Plagegeister. – Farngarten. – Flederfüchse. – Brillenschlange.
In der Zentralprovinz von Ceylon liegt 1500 Fuß über dem Meere deren Hauptstadt, die frühere Königsstadt der Insel, das berühmte Kandy, und nur wenige Meilen davon entfernt ein kleiner Ort, Peradenia, der vor 500 Jahren ebenfalls für kurze Zeit Residenz eines alten Königs war. In diesem Orte wurde 1819 von der englischen Regierung ein botanischer Garten angelegt, und Dr. Gardner mit dessen Direktion betraut. Sein Nachfolger, Dr. Thwaites, der verdienstvolle Verfasser einer ersten » Flora ceylanica«, tat während 30 Jahre alles, um diesen Garten seinen besonderen klimatischen und lokalen Vorzügen entsprechend auszubauen und zu heben. Als er vor wenigen Jahren zurücktrat, wurde Dr. Henry Trimen zum Direktor ernannt, und von diesem erhielt ich, kurz nach meiner Ankunft auf Ceylon, eine überaus freundliche Einladung. Ich folgte derselben um so lieber, als ich von der seltenen Pflanzenpracht Peradenias schon in Europa viel gelesen und gehört hatte. Und meine hohen Erwartungen wurden nicht getäuscht. Wenn Ceylon in Wahrheit für den Botaniker wie für jeden Pflanzenfreund ein Paradies ist, so darf Peradenia wieder das Herz dieses botanischen Paradieses genannt werden.
Peradenia und Kandy sind durch eine Eisenbahn (die erste in Ceylon) mit Colombo verbunden. Die Fahrzeit zwischen beiden Endpunkten beträgt 4–5 Stunden. Ich fuhr am 4. Dezember morgens 7 Uhr von der Zentralstation Colombos ab und war um 11 Uhr in Peradenia. Gleich allen echten »Europäern« in Ceylon mußte ich erster Klasse fahren ( Couleur blanche oblige). Zweiter Klasse fahren nur die gelben und gelbbraunen »Burger und Half-Casts«, die Nachkommen und Mischlinge der Portugiesen und Holländer. Und dritter Klasse fahren natürlich die »Natives«, die braunen Singhalesen und die schwarzbraunen Tamils. Mich wundert nur, daß man für die letzteren nicht noch eine vierte, und für die niedersten, am meisten verachteten Kasten, die »Low-Casts«, eine fünfte Wagenklasse eingerichtet hat. Die Natives sind übrigens große Freunde des Eisenbahnfahrens, des einzigen Vergnügens, für das sie viel Geld ausgeben, um so mehr als es billig ist. Gleich nach Eröffnung der Eisenbahn und bis auf den heutigen Tag fahren viele Eingeborene tagtäglich auf der wunderbaren Bahn hin und her, bloß des Vergnügens halber! Die Wagen sind luftig und leicht, diejenigen erster Klasse mit guten Schutzmaßregeln gegen das heiße Klima, breiten Schutzdächern und Jalousien versehen. Die Zugführer und die weißgekleideten, durch Sonnenhelme geschützten Schaffner sind Engländer. Gute Ordnung und Pünktlichkeit herrscht, wie auf allen englischen Bahnen.
Die ersten beiden Stunden der Eisenbahnfahrt von Colombo nach Peradenia führen durch Flachland, das großenteils mit sumpfigem Dschungel, abwechselnd mit Reisfeldern und Sumpfwiesen bedeckt ist. Auf letzteren liegen zahlreiche schwarze Büffel, halb im Wasser; zierliche weiße Reiher lesen ihnen die Insekten ab. Weiterhin tritt die Bahn allmählich näher an das Gebirge heran, und bei der Station Rambukkana beginnt sie dasselbe zu erklimmen. Die einstündige Strecke zwischen dieser und der nächstfolgenden Station, Kadugannawa, gehört in landschaftlicher Beziehung zu den schönsten, die ich kenne. Die Bahn windet sich in vielen Krümmungen an dem steilen nördlichen Felsengehänge einer mächtigen weiten Talmulde aufwärts. Anfänglich wird der Blick noch vorzugsweise durch den mannigfaltigen Wechsel des nahen Vordergrundes gefesselt; mächtige graue Gneisblöcke erheben sich mitten aus den üppigen Massen dichtesten Waldes, der die engen Seitenschluchten erfüllt; Lianen in den zierlichsten Formen verschlingen die Wipfel der hoch daraus hervorragenden Bäume; reizende kleine Wasserfälle stürzen von den Höhen herab, und in der Nähe der Bahnlinie ist oft die schöne, jetzt selten besuchte, früher dicht befahrene Landstraße sichtbar, welche die englische Regierung von Colombo nach Kandy anlegte und die ihr die dauernde Herrschaft über letzteres erst ermöglichte.
Weiterhin schweift aber der Blick bald über den weiten grünen Talkessel, der zu unsren Füßen sich immer großartiger öffnet, bald zu den hohen blauen Bergketten, die sich an seiner jenseitigen, südlichen Wand stolz und starr erheben. Obwohl im ganzen die Gestalten der Hochlandberge einförmig und nicht sehr malerisch sind (meistens flachgewölbte Kuppen von Granit und Gneis), so machen sich doch einzelne hervorragende Höhen besonders bemerkbar, so hier der abgestutzte Tafelberg, der den Namen des Bibelfelsen führt ( Bible-Rock). Eine der großartigsten und überraschendsten Ansichten bietet aber der »Sensation-Rock«. Hier läuft die Bahn, nachdem sie durch mehrere Tunnels hindurchgetreten, unter überhängenden Felsen unmittelbar am Rande eines Abgrundes hin, der fast senkrecht 1200–1400 Fuß in die grüne Tiefe hinabstürzt. Brausende Wasserfälle, die links von der hohen Felsenwand herabschäumen, gehen unter Brücken des Bahnkörpers hindurch und lösen sich rechts, mit gewaltigem Sprunge, in nebelhafte Staubbäche auf, ehe sie den Fuß des Abgrundes erreichen; im auffallenden Sonnenschein bilden sie schimmernde Irisbogen.
Der grüne Talgrund tief zu unsren Füßen ist teils mit Dschungel, teils mit Kulturland bedeckt, in dem sich viele zerstreute Hütten, Gärten und terrassenförmig abgestufte Reisfelder erkennen lassen. Über dem niederen Gebüsch ragen allenthalben die Riesenstämme der mächtigen Talipot-Palme hervor, der stolzen Königin unter den Palmen von Ceylon ( Zorypha umbraculifera). Ihr ganz gerader weißer Stamm gleicht einer schlanken Marmorsäule und erreicht über 100 Fuß Höhe. Jedes einzelne von den fächerförmigen Blättern der mächtigen Gipfelkrone bedeckt einen Halbkreis von 12–16 Fuß Durchmesser, einen Flächenraum von 150–200 Quadratfuß; sie finden gleich allen Teilen der Pflanze vielfache Verwendung, namentlich als Schutzdach, sind aber besonders berühmt, weil sie bei den Singhalesen früher die Stelle des Papiers ausschließlich vertraten und auch jetzt noch vielfach als solches dienen. Die alten »Puskola«-Manuskripte in den Buddhaklöstern sind alle mit eisernen Griffeln auf solches »Ola«-Papier geschrieben, auf schmale Streifen von Talipotblättern, die gekocht und getrocknet wurden. Die stolze Talipot-Palme blüht nur einmal in ihrem Leben, gewöhnlich zwischen dem 50. und 80. Lebensjahre: der stattliche, pyramidenförmige Blütenbusch, auf dem Gipfel unmittelbar oberhalb des Blätterschopfes, erreicht die Länge von 30–40 Fuß und setzt sich aus Millionen kleiner, gelblich weißer Blüten zusammen; sind die Nüsse derselben gereift, so stirbt der Baum ab. Ein glücklicher Zufall fügte es, daß gerade während meiner Anwesenheit eine seltene Menge von Talipotpalmen in Blüte standen: zwischen Rambukkana und Kadugannawa zählte ich deren über 60, auf der ganzen Bahnstrecke über 100. Viele Exkursionen wurden von Colombo hierher gemacht, um das seltene und großartige Schauspiel zu betrachten.
Auf dem Passe von Kadugannawa, nahezu 2000 Fuß über dem Meere, hat die Eisenbahn sowohl, wie die benachbarte Landstraße ihren höchsten Punkt erreicht; zu Ehren des Erbauers der letzteren, Kapitän Dawson, steht hier eine leuchtturmartige Denksäule. Wir befinden uns hier zugleich auf einer Wasserscheide. Die zahlreichen Bäche, die wir vorher gleich Silberfäden den grünen Samtgrund des Tales durchziehen sahen, laufen sämtlich entweder zum Kelany-Ganga oder zum Maha-Ohia, die beide auf der Westküste münden. Die Bäche dagegen an dem östlichen Sattel des Kadugannawa ergießen sich alle in den unweit südlich entspringenden Mahawelli-Ganga, den größten Fluß der Insel, der 134 englische Meilen lang ist und an der Ostküste bei Trinkomalie mündet. Längs der Ufer des letzteren, neben denen sich Pflanzungen von Zuckerrohr ausdehnen, führte uns die Bahn in einer Viertelstunde nach Peradenia hinab, der letzten Station vor Kandy.
Als ich um 11 Uhr in Peradenia anlangte, fand ich auf dem Bahnhofe bereits Dr. Trimen vor, der mich auf das freundlichste bewillkommnete und in seiner Kalesche nach dem eine englische Meile entfernten botanischen Garten führte. Unmittelbar vor letzterem überschreitet die Straße den schäumenden Fluß auf einer schönen Brücke von Satin-Wood, deren einziger Bogen über 200 Fuß Spannweite hat. Bei gewöhnlichem Wasserstande liegt dessen höchste Spannung etwa 70 Fuß über dem Flusse. Man bekommt aber eine Vorstellung von den ungeheuren Wassermassen, die nach heftigen Regengüssen in die Flüsse von Ceylon herabstürzen, wenn man erfährt, daß dann bisweilen der Wasserstand des Stromes um 50 bis 60 Fuß steigt und der Spiegel desselben nur 10–20 Fuß unter der Brücke liegt.
Zum Eingang in den Garten führt eine Allee von prachtvollen alten Gummibäumen ( Ficus elastica). Das ist derselbe indische Baum, dessen eingedickter Milchsaft das Kautschuk liefert und von dem man bei uns im kalten Norden sehr häufig junge Pflanzen im geheizten Zimmer sieht, um an dem üppigen Saftgrün des dicken lederartigen eiförmigen Blattes sich zu erfreuen. Während aber bei uns solche Gummibäume, wenn ihre fingerdicken Stämme die Decke des Zimmers erreichen und einige fünfzig Blätter auf ihren paar Ästen tragen, bereits bewundert werden, entwickelt sich hier im heißen Vaterlande dieselbe Pflanze zu einer riesigen Baumgestalt ersten Ranges, die mit unsren stolzesten Eichen wetteifert. Eine ungeheure Krone von vielen tausend Blättern bedeckt mit ihren mächtigen 40–50 Fuß langen und horizontal ausgestreckten Zweigen den Flächenraum eines stattlichen Palastes, und von der Basis des dicken Stammes geht unten eine Wurzelkrone aus, die oft zwischen 100 und 200 Fuß Durchmesser hat, weil mehr als die Höhe des ganzen Baumes beträgt. Diese erstaunliche Wurzelkrone besteht meistens aus 20–30 Hauptwurzeln, die von ebenso vielen vortretenden Rippen des unteren Stammendes abgehen und gleich kriechenden Riesenschlangen sich über den Boden ausbreiten; der Gummibaum heißt daher auch bei den Eingeborenen »Schlangenbaum« und ist von Dichtern mit dem von Schlangen umwundenen Laokoon verglichen worden. Häufig erheben sich dabei zugleich die Wurzeln über den Boden gleich starken senkrecht stehenden Brettern und bilden so mächtige Stützpfeiler, auf denen der Riesenstamm unbewegt dem Sturm Trotz bietet. Die Zwischenräume zwischen den Stützpfeilern bilden förmliche Kammern oder Schilderhäuser, in denen sich ein aufrecht stehender Mann verstecken kann. Ähnliche Pfeilerwurzeln entwickeln sich übrigens hier auch bei andren Riesenbäumen aus verschiedenen Familien.
Kaum hatte ich meinem Erstaunen über diese Allee von Schlangenbäumen Ausdruck gegeben, als bereits, unmittelbar nach dem Eintritt in das Gartentor, ein andrer wunderbarer Anblick das Auge fesselte. Da stand zur Begrüßung des Ankömmlings ein riesiges Palmenbukett, in dem neben allen einheimischen Palmen der Insel auch eine Anzahl ausländischer Vertreter dieser edelsten Tropenbäume versammelt waren; alle bekränzt mit blumenreichen Schlingpflanzen und den Stamm geschmückt mit den zierlichsten Farnparasiten. Eine zweite, ähnliche, aber noch schönere und größere Palmengruppe stand weiterhin am Ende der Eingangsallee und war zudem noch von einem herrlichen Kranze von Blütenpflanzen umgeben. Unser Fahrweg bog hier nach beiden Seiten ab und führte links eine kleine Anhöhe zum Bungalow des Direktors hinauf. Das beneidenswerte Daheim desselben ist gleich den meisten Villen in Ceylon ein niedriges, einstöckiges Gebäude, von einer luftigen Veranda umgeben, deren weit vorspringendes Schutzdach von einer weißen Säulenreihe getragen wird. Säulen und Dach sind mit einer Fülle der schönsten Kletterpflanzen, großblütigen Orchideen, duftenden Vanillen, prächtigen Fuchsien und andren bunten Blumen geschmückt; und eine auserlesene Sammlung der schönsten blühenden Prachtpflanzen und Farne ziert die Beete, die das Haus umgeben. Darüber erheben sich die schattenspendenden Kronen der edelsten indischen Bäume. Zahlreiche bunte Schmetterlinge und Käfer, Eidechsen und Vögel beleben das reizende Bild. Besonders niedlich nehmen sich darin aber die zierlichen, kleinen, dreistreifigen Eichhörnchen aus, die in den Gärten von Ceylon überaus häufig und sehr zutraulich sind ( Sciurus tristriatus).
Da die Villa auf dem höchsten Hügel des Gartens liegt und unmittelbar unter derselben ein weiter sammetgrüner Rasenteppich sich herabsenkt, so umfaßt der Blick von der offenen Säulenhalle einen großen Teil des flacheren Gartens, mit einigen der schönsten Baumgruppen und mit einem Kranze hoher Bäume, der den Wiesengrund einschließt. Über diesen Parkwald erheben sich die bewaldeten Häupter der Bergkette, von denen der Talkessel von Peradenia umgeben ist. Der reißende Mahawellifluß strömt in weitem halbkreisförmigen Bogen um den ganzen Garten und trennt ihn von jener Bergkette. Der Garten liegt demnach eigentlich auf einer hufeisenförmigen Halbinsel; auf der Landseite, wo er an den Talgrund von Kandy anstößt, ist er durch eine hohe und undurchdringliche Hecke von dichtem Bambusgestrüpp, bewaffnet mit der dornigen Rotangpalme und andren Kletterpflanzen, vollständig geschützt. Da nun auch das Klima (bei 1500 Fuß Meereshöhe) außerordentlich günstig ist, und die tropische Hitze des eingeschlossenen Talkessels im Verein mit großer Regenmenge, die sich an den benachbarten Bergen niederschlägt, aus dem Peradeniagarten ein natürliches Riesentreibhaus ersten Ranges macht, so läßt sich begreifen, daß hier die Tropenflora ihre wunderbare Schöpfungskraft im allerhöchsten Maße entfaltet.
Schon die erste Wanderung durch den Garten an der Hand des kenntnisreichen Direktors überzeugte mich davon, daß das in der Tat der Fall sei; und obschon ich soviel von allen besonderen Reizen der üppigsten tropischen Vegetation gelesen und gehört, so lange ihren Anblick ersehnt und herbeigewünscht hatte, so übertraf doch jetzt der unmittelbare Genuß der fabelhaften Wirklichkeit in der Tat meine höchsten Erwartungen – und zwar, nachdem ich bereits in Bombay und in Colombo, sowie in der Umgebung dieser beiden Städte die wichtigsten Formen der Tropenflora hatte kennen lernen! In den vier Tagen, die ich jetzt in Peradenia verleben durfte, gewann ich für meine Anschauungen vom Leben und Wesen der Pflanzenwelt mehr, als durch das eifrigste botanische Studium zu Hause in ebensovielen Monaten. Ja, als ich zwei Monate später den Garten von Peradenia zum zweiten (und leider letzten!) Male betrat, und als ich noch drei glückliche Tage in diesem Paradiese verweilen durfte, da empfand ich beim endlichen Scheiden zuletzt noch dasselbe hohe Entzücken, wie damals beim ersten Anblick desselben – nur mit ungleich tieferem Verständnis und gereifter Erkenntnis. Ich kann daher meinem lieben Freunde Dr. Trimen für seine gütige Gastfreundschaft und seine reiche Belehrung nicht dankbar genug sein; die sieben Tage in seinem reizenden Bungalow waren für mich sieben wahre Schöpfungstage!
Zur Zeit war in Peradenia auch noch ein andrer englischer Botaniker anwesend, Dr. Marshall Ward, der größtenteils in Deutschland seine Studien vollendet hatte, mit seinem offiziellen Titel: »Royal Cryptogamist«. Die englische Regierung hatte ihn vor zwei Jahren hierhergeschickt, um die »Coffee-Leaf-Disease« zu studieren, die furchtbare Pilzkrankheit der Blätter des Kaffeebaumes, die seit einer Reihe von Jahren mit zunehmender Heftigkeit in den Kaffeepflanzungen wütet, einen großen Teil dieser kostbarsten Kulturpflanze der Insel zerstört und ungeheure Summen von Nationalvermögen vernichtet. Dr. Ward hatte eine Reihe vortrefflicher Beobachtungen und Experimentaluntersuchungen über dieselbe angestellt und die Naturgeschichte des mikroskopischen rostähnlichen Pilzes ( Hemileja vastatrix) vollständig bearbeitet; es war ihm aber leider nicht gelungen, irgendein radikales Heilmittel dagegen zu finden. Zum Dank für seine mühseligen Arbeiten wurde er daher in der Presse – insbesondere von vielen Kaffeepflanzern – scharf angegriffen! Als ob es den Hunderten von Naturforschern, die in Europa bei derartigen Pilzepidemien mit den genauesten Untersuchungen beschäftigt sind, jedesmal gelungen wäre, auch gleich nach der genauen Erkenntnis der Krankheit ein Heilmittel für dieselbe zu finden! Bekanntlich ist das nur höchst selten der Fall. Überhaupt ist unter den vielen albernen Vorstellungen, denen man in unsern »gebildeten Kreisen« alltäglich begegnet, sicherlich eine der törichtsten die, daß es »gegen jede Krankheit auch ein Mittel geben müsse!« Der erfahrene Arzt und Naturforscher, der die tatsächlichen Verhältnisse kennt, weiß, daß das nur sehr selten vorkommt, und wundert sich im Gegenteil eher darüber, daß überhaupt radikale Mittel gegen einzelne Krankheiten existieren (wie z. B. Chinin gegen Fieber).
Es würde natürlich viel zu weit führen und den geneigten Leser nur ermüden, wenn ich hier den vergeblichen Versuch wagen wollte, ihm ohne Beihilfe von Abbildungen eine ungefähre Vorstellung von dem botanischen Paradiese in Peradenia zu geben; selbst die zahlreichen Aquarellskizzen und Zeichnungen, die ich dort entworfen, würden dafür keine genügende Aushilfe liefern. Ich muß mich daher hier auf einige allgemeine Bemerkungen und Hervorhebung von einigen der wichtigsten Hauptformen beschränken. Weit entfernt davon, gleich den meisten unsrer botanischen Gärten die Pflanzen in steifen Beeten, gleich Soldaten in Reihe und Glied, dem Besucher vorzuführen, ist die ganze Anlage des Gartens (der einen Flächenraum von mehr als 150 Acres umfaßt) vielmehr parkartig und ebenso auf ästhetische und physiognomische Wirkung, wie auf wissenschaftliche und systematische Belehrung berechnet. Die Hauptgruppen der Bäume, sowie der zusammengehörigen Pflanzenfamilien sind sehr anmutig auf schönen Rasenflächen verteilt, und gute Fahrwege führen von einer zur andern. In einem mehr versteckten Teile des Parks finden sich die weniger anziehenden Zuchtbeete und Pflanzschulen für die nützlichen Gewächse. Fast alle die zahlreichen Nutzpflanzen der Tropenzone (beider Hemisphären) sind hier vertreten, und von vielen werden Samen, Früchte und Ableger an die Pflanzer und Gärtner der Insel verteilt. Der Garten hat dadurch seit vielen Jahren auch eine sehr bedeutende praktische Wirksamkeit entfaltet und sowohl als Versuchsstation wie als Akklimatisationsgarten sehr großen Nutzen gestiftet.
Die überaus günstigen klimatischen und topographischen Verhältnisse, unter denen der Garten gedeiht, würden ihn aber auch ganz vorzüglich zu einer weiteren, rein wissenschaftlichen Verwertung eignen, zu einer botanischen Station. In ähnlicher Weise, wie unsre jungen Zoologen gegenwärtig in den neuerdings eingerichteten zoologischen Stationen an der Meeresküste (in Neapel, Roscoff, Brighton, Triest usw.) unschätzbare Hilfsquellen für ihre tiefere wissenschaftliche Ausbildung und Tätigkeit finden, würde auch ein junger Botaniker in der »botanischen Station« zu Peradenia in einem Jahre mehr lernen und arbeiten können, als daheim unter viel ungünstigeren Verhältnissen in zehn Jahren! Bis jetzt ist gerade in der Tropenzone, der reichsten von allen, für solche Unterrichts- und Arbeitsanstalten noch sehr wenig getan. Wenn die englische Regierung in Peradenia eine botanische Station und in Galla (z. B. in dem reizenden, vorzüglich geeigneten Bungalow von Kapitän Bayley) eine zoologische Station errichten und unterhalten wollte, so würde sie damit, wie mit der Challenger-Expedition und mit ähnlichen großen wissenschaftlichen Unternehmungen, der Naturwissenschaft einen wichtigen Dienst leisten; sie würde damit aufs neue die Kontinental-Staaten von Europa beschämen, die ihr Geld hauptsächlich für Hinterlader und Kanonen verwenden!
Soll ich nun unter den vielen botanischen Wunderdingen von Peradenia wenigstens einige der wichtigsten kurz hervorheben, so muß ich wohl mit dem berühmten Riesenbambus beginnen, dem allgemeinen Erstaunen aller Besucher. Wandern wir vom Eingang des Gartens links nach dem Flusse hin und weiter an dessen reizendem Ufer entlang, so erblicken wir schon von fern ungeheure lichtgrüne Büsche von mehr als 100 Fuß Höhe und ebenso viel Breite, die ihr gewaltiges Haupt – gleich dem wallenden Federbusche eines Giganten – hoch über den Fluß und über den benachbarten Weg hinüber neigen, Schatten und Kühlung über beide verbreitend. Nähern wir uns, so sehen wir, daß jeder dieser Büsche aus zahlreichen (oft 60–80) zylindrischen schlanken Stämmen von einem Fuß Dicke besteht. Unten dicht nebeneinander gedrängt und aus gemeinsamer Wurzel als Ausläufer eines kriechenden Stammes entsprossen, strahlen sie oben büschelförmig auseinander und tragen auf zarten nickenden Seitenzweigen eine dichte Fülle der zierlichsten Laubblätter. Und diese Riesenbäume sind nichts andres als Gräser! Gleich allen Grashalmen ist der mächtige hohle Rohrstamm in Knoten gegliedert; aber die Blattscheide, die bei unsren zarten Gräsern ein dünnes kleines Schüppchen am Grunde des Blattes darstellt, ist hier beim Riesenbambus eine feste, holzartige, vertiefte Platte, die ohne weitere Zubereitung als fester Panzer die ganze Brust eines starken Mannes decken kann. In einem einzelnen Stengelgliede kann ein dreijähriges Kind sich verstecken! Bekanntlich gehört der Bambus zu den nützlichsten Pflanzen der Tropenzone, und über die Anwendung, die alle einzelnen Teile dieser Baumgräser bei den Eingeborenen finden, ließe sich eben so wie über diejenige der Palmen in der Tat ein ganzes Buch schreiben!
Nächst den Bambusen – oder auch vor diesen! – sind es natürlich wieder die Palmen, die unser Interesse vor allem fesseln. Außer den einheimischen Arten der Insel – die alle in Prachtexemplaren vertreten sind – finden wir da eine Menge von andren Palmenspezies, die teils dem Festlande von Indien, teils den Sundainseln und Australien, teils Afrika oder dem tropischen Amerika angehören: so z. B. die Livistonia von China mit ihrer riesigen Krone von Fächerblättern, die berühmte Laodicea von den Seschellen mit ihren kolossalen Blattfächern, die Elaeis oder Ölpalme von Guinea mit außerordentlich langen Fiederblättern, die berühmte Mauritia von Brasilien, die stolze Oreodoxa oder Königspalme von der Havanna usw. Von der letzteren hatte ich 1866 auf Teneriffa ein prachtvolles Riesenexemplar bewundert und gezeichnet, und war daher nicht wenig überrascht, hier in eine ganze stattliche Allee derselben einzutreten. Nicht minder interessant waren herrliche Gruppen von stacheligen Kletterpalmen oder Rotangs ( Calamus) mit zierlich geschwungenen Fiederblättern; ihr dünner, aber sehr fester und elastischer, fingerdicker Stamm klettert hoch in die Gipfel der höchsten Bäume hinauf und kann 300–500 Fuß Länge erreichen; sie gehören zu den längsten aller Pflanzen!
Aber der Mensch soll bekanntlich »nicht ungestraft unter Palmen wandeln!« Während ich entzückt im hohen Grase am Flußufer unter der Riesenkrone einer Ölpalme umherwandelte und die Verschlingungen einer rankenden Kletterpalme aufmerksam verfolgte, fühlte ich plötzlich einige Stiche an den Beinen; beim Entblößen entdeckte ich ein paar kleine Blutegel, die sich an denselben festgebissen hatten, und zugleich über ein halbes Dutzend flinker Genossen, die mit erstaunlicher Schnelligkeit gleich Spannraupen an den Stiefeln emporkrochen. Ich hatte hier zum ersten Male die persönliche Bekanntschaft des berüchtigten Landblutegels von Ceylon gemacht, jener schrecklichen Landplage der schönen Insel, die unter den zahlreichen Plagen derselben eine der größten bildet und von der ich später noch so viel leiden sollte. Diese Blutegelart ( Haemobdella ceylanica) gehört zu den kleinsten ihres Geschlechts, aber zugleich zu den unangenehmsten. Mit Ausnahme der Seeküste und des höheren Gebirgslandes sind sie überall auf der Insel in Busch und Wald milliardenweise verbreitet, und in manchen Wäldern (besonders an den Flußufern und im feuchten Dschungel der Hügellandschaft und der niederen Berge) kann man keinen Schritt tun, ohne von ihnen angefallen zu werden. Sie kriechen nicht allein auf dem Boden allenthalben beutegierig umher, sondern auch auf Gesträuch und Bäumen; von da lassen sie sich häufig auf Kopf und Nacken des Wanderers herabfallen, während sie gewöhnlich allerdings an den Beinen heraufklettern; sie können sogar im Sprunge ihre Beute erreichen; vollgesogen erreichen sie die Größe eines kleinen medizinischen Blutegels; in nüchternem Zustande hingegen sind sie fadendünn, kaum ½ Zoll lang, und bohren sich mit großer Geschwindigkeit durch die Maschen der Strümpfe hindurch. Oft fühlt man den Biß sofort, oft aber auch nicht; einmal in einer Abendgesellschaft bemerkte ich ihre Anwesenheit erst an den roten Blutstreifen, die an den weißen Beinkleidern herunterliefen.
Um sich der Blutegel zu entledigen, genügt ein Tropfen Zitronensaft, weshalb man auf den Spaziergängen im Unterlande stets eine kleine Zitrone in die Tasche steckt. Statt dessen wandte ich eben so oft einen Tropfen Karbolsäure oder Spiritus an, den ich zum Sammeln kleiner Tiere stets bei mir führte. Die Folgen des Bisses sind sehr verschieden. Personen mit sehr empfindlicher Haut (– zu denen ich leider auch gehöre! –) haben noch mehrere Tage nach dem Bisse an heftigem Jucken der Wunde zu leiden, und nicht selten folgt eine mehr oder weniger unangenehme Entzündung der betreffenden Hautstelle. Da nun gerade an solchen entzündeten und erhitzten Stellen nachfolgende Blutegel gern wieder von neuem anbeißen, verschlimmert sich die beständig gereizte Wunde oft so, daß sie gefährlich werden kann. Als die Engländer 1815 Kandy eroberten, mußten sie sich vorher wochenlang durch das dichte Dschungel des vorliegenden feuchten Hügellandes hindurcharbeiten und verloren dabei eine große Anzahl Soldaten durch die unaufhörlichen Angriffe zahlloser Blutegel. In Gegenden, wo sie besonders häufig sind, tragen die Europäer zum Schutze besondere »Leachgaiters«, Strümpfe oder Gamaschen von Gummi oder von sehr dichtem Zeug, die unten über den Schuhen und oben über den Knien festgebunden werden. Ich schützte mich im Dschungel dadurch, daß ich vor dem Ausgehen um meine hohen Jagdstiefel oben einen Ring von Karbolsäure strich, den die Blutegel niemals überschritten. In einigen Teilen der Insel machen sie aber durch ihre Masse – ebenso wie in andren Teilen die Zecken oder Holzböcke ( Ixodes) – den längeren Aufenthalt fast unmöglich.
Andre kleine Plagegeister im Garten von Peradenia (wie an allen wasserreichen Orten der Insel!) sind die Scharen der Moskitos und Stechfliegen; Moskitonetze über den Betten sind daher allgemein gebräuchlich. Viel gefährlicher aber als diese lästigen Insekten sind die giftigen Skorpione und Tausendfüßler, von denen ich hier Prachtexemplare sammelte; erstere einen halben, letztere einen ganzen Fuß lang!
Zu den schönsten Teilen von Peradenia gehört der Farngarten. Unter dem dichten Schatten hoher Baumkronen und am kühlen Ufer eines rieselnden Baches findet sich da eine Gesellschaft von kleinen und großen, zarten und mächtigen, krautartigen und baumartigen Farnen versammelt, wie man sie nicht reizender und anmutiger denken kann. Der ganze Reiz der Gestaltung, der die zierlichen gefiederten Wedel unsrer heimischen Farnkräuter auszeichnet, findet sich hier in einer unendlichen Mannigfaltigkeit verschiedener Arten variiert vor, von den einfachsten bis zu den höchst zusammengesetzten; und während einige niedliche Zwergfarnkräuter fast mit einem zierlichen kleinen Moose zu verwechseln sind, erreichen die riesigen Baumfarne, deren schlanke schwarze Stämme eine schöne Fiederkrone am Gipfel tragen, den stolzen Wuchs der Palme.
Gleich den Farnen sind auch die Farnpalmen oder Cycadeae, und nicht minder die zierlichen Selaginellen und Lykopodien, in Peradenia durch eine reiche Auswahl der interessantesten Arten vertreten, von sehr zarten, moosähnlichen Formen an bis zu robusten strauchartigen Riesenarten, die fast an die ausgestorbenen Baumlykopodien der Steinkohlenperiode erinnern. Überhaupt riefen mir viele Pflanzengruppen in diesem Garten die fossile Flora der Vorwelt ins Gedächtnis, wie sie der geniale Unger in seinen Bildern aus der Urwelt so trefflich dargestellt hat. Der Botaniker kann hier fast alle charakteristischen Familien der Tropenflora in ihren wichtigsten Repräsentanten lebend beobachten.
Soll ich schließlich noch zwei Erscheinungen hervorheben, die mir ganz besonders imponierten, so sind es erstens die Lianen und zweitens die Benyanen. Obgleich Kletter- und Schlingpflanzen auf der Insel überall in größter Fülle und Mannigfaltigkeit zu finden sind, so enthält doch der Peradeniagarten einzelne Prachtexemplare, wie sie sonst wohl selten vorkommen, so z. B. ganz kolossale Stämme von Vitis, Cissus, Purtada, Bignonia, Ficus etc. Ebenso gehören einige Benyanen ( Ficus indica) mit ungeheuren Luftwurzeln und einige verwandte Arten der Feigenbäume ( Ficus galaxifera etc.) zu den gewaltigsten und schönsten Baumgestalten, die ich in Ceylon sah.
Einer der ältesten Benyanenbäume, dessen mächtige Krone auf zahlreichen Pfeilerstämmen ruhte, bot einen ganz merkwürdigen Anblick: er war seines grünen Blattschmucks großenteils beraubt, und seine kahlen Äste schienen mit großen braunen Früchten behängt zu sein. Wie erstaunte ich aber, als ich mich ihm näherte und als einzelne dieser Früchte sich ablösten und flatternd davonflogen! Es waren riesige Flederfüchse ( Pteropus), aus jener merkwürdigen Gruppe der früchtefressenden Fledermäuse, die auf die Tropenzone der alten Welt (Asien und Afrika) beschränkt sind. Einige wohlgezielte Schüsse brachten ein halbes Dutzend derselben herab, worauf der ganze Schwarm (einige hundert Stück) sich auflöste und unter lautem Kreischen davonflog. Diejenigen herabgefallenen Tiere, die nicht tödlich getroffen waren, wehrten sich auf das heftigste mit ihrem scharfen Gebiß und den spitzen Krallen, und es kostete einige Mühe, ehe ich sie mit Hilfe meines Jagdmessers vollständig bewältigt hatte. Der Körper dieser »fliegenden Hunde« oder »fliegenden Füchse« hat in bezug auf Gestalt, Größe und Farbe viel Ähnlichkeit mit einem Fuchse, namentlich auch der Kopf. Aber die Gliedmaßen sind, wie bei allen Fledermäusen, durch eine große Flughaut verbunden, mittels deren sie sehr geschickt und schnell umherfliegen. Der Flug ist sehr verschieden von demjenigen unsrer Fledermäuse und gleicht vielmehr dem der Krähen. Die Flederfüchse nähren sich von Früchten und werden dadurch sehr schädlich: mit besonderer Vorliebe trinken sie den süßen Palmwein, und in den Gefäßen, welche die Singhalesen zum Sammeln desselben oben in den Palmkronen aufhängen, finden sie morgens beim Einsammeln nicht selten betrunkene Flederfüchse. Diese Neigung erklärt sich wohl hinlänglich aus der nahen Blutsverwandtschaft, die der phylogenetische Stammbaum der Säugetiere zwischen ihnen und den Affen – also auch dem Menschen – nachweist.
In dem fuchsroten Pelze der Flederfüchse fand ich große parasitische Insekten ( Nycteribia) von seltsam spinnenähnlicher Form aus der Gruppe der Pupipara oder »Puppengebärer«. Das sind (gleich den Flöhen) Dipteren oder Fliegen, die infolge ihrer parasitischen Lebensweise sich das Fliegen abgewöhnt und durch Nichtgebrauch ihre Flügel eingebüßt haben. Ihre Larven (oder Maden) entwickeln sich innerhalb des mütterlichen Körpers so weit, daß sie gleich nach der Geburt sich verpuppen und bald nachher ausschlüpfen. Die großen Nykteribien der Flederhunde liefen sehr behende auf dem Körper ihrer Wirte umher, und auch auf meine Hand herüber, als ich sie zu fangen versuchte; sie verkrochen sich dann rasch in den Kleidern oder hakten sich mit ihren großen Krallen fest an der Haut an.
Aber auch noch eine interessante zoologische Bekanntschaft gefährlicherer Art sollte ich an demselben Tage machen. Als am Nachmittag ein heftiger Regen losbrach, und ich eben beschäftigt war, einen riesigen schwarzen Tausendfuß in die Spiritusbüchse zu stecken, kroch eine große Brillenschlange, die gefürchtete » Cobra di capello« (Naia tripudians) durch die offene Gartentür in mein Schlafzimmer. Ich hatte sie nicht bemerkt, obgleich sie kaum einen Fuß von mir entfernt war, und wurde erst aufmerksam, als mein Diener mit dem lauten Geschrei: »Cobra, Cobra!« hereinstürzte. Mit seiner Hilfe wurde ich der stattlichen Giftschlange (von mehr als einem Meter Länge) bald Herr, und sie wanderte in dieselbe Spiritusbüchse, in der vorher eines der merkwürdigen schlangenähnlichen Amphibien, die Blindwühle ( Caecilia), Platz genommen hatte. –