Friedrich Wilhelm Hackländer
Handel und Wandel
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Dreiunddreißigstes Kapitel.

Ruhe sanft!

Unten im Hause herrschte die grenzenloseste Verwirrung; die Prinzipalin, schon entsetzt durch den Gedanken, der Gemahl habe einen Dieb mit seinem Messer niedergestreckt, rang die Hände, als sie entdeckte, daß dieser vermeintliche Dieb niemand anders als der Buchhalter Herr Specht sei. Die sonst so ruhige Frau war außer sich, und dicke Tränen rollten unter ihren grauen Wimpern hervor. Der Verwundete lag in dem Zimmer an der Tür, in demselben, wo ich durch den Professor vorgestellt worden war. Den Hausknecht, der gerade zum Doktor stürzen wollte, hielt ich noch zur rechten Zeit auf, indem ich ihm bedeutete, eben der Herr, welcher den Buchhalter hereingeführt, sei ein Arzt. Madame Stieglitz war durch dies sonderbare glückliche Zusammentreffen beruhigt, denn sie war überzeugt, daß es noch mehr Aufsehen gegeben hätte, wenn man den Kreisphysikus, den alten Hausarzt, mitten in der Nacht hätte wecken müssen. Auch benahm sich der Doktor Burbus mit solcher Umsicht und Ruhe, daß er das Vertrauen der Madame Stieglitz gewann; glücklicherweise hatte er auch sein Verbandzeug in der Tasche, und nachdem die laut schluchzende, untröstliche Ladenjungfer und der Hausknecht entfernt waren, begab er sich ans Geschäft; auch mich wollte die Prinzipalin wegschicken, doch meinte Burbus, der junge Mensch könnte ihm das Wasserbecken halten, und so durfte ich dableiben.

Die Verwundung des Herrn Specht war nicht gefährlich. Das Messer, von sicherer Hand, aber in Dunkelheit geworfen, hatte sein Ziel um wenige Zol1 verfehlt und die linke Seite etwas stark zerschnitten. Es war mehr der Schrecken, verbunden mit der Aufregung, in der sich der Buchhalter ohnehin befand, welche ihn niederwarfen. Bald war der Verband kunstgerecht angelegt, der Kranke bekam ein niederschlagendes Pulver, und somit wäre alles in Ordnung gewesen.

Doktor Burbus erzählte der Prinzipalin, daß er zufällig an der Tür des Gasthofes gewesen, als die Szene in der Straße vorfiel. »Madame,« setzte er hinzu, »ich brauche Ihnen nicht die Versicherung zu geben, daß ich eine Hauptpflicht des Arztes, Verschwiegenheit, genau kenne und befolge. Die Sache ist ein Unglück, ein Versehen, und man braucht darüber vor der Welt keine Geschichte zu machen, und wenn Sie,« sagte er leise, und deutete auf mich, »in jenen jungen Menschen vollkommenes Vertrauen setzen, so schicken Sie ihn auf die Straße und lassen ihn jenes unglückselige Messer holen.« – »Ganz recht,« entgegnete Madame Stieglitz, gab mir den Auftrag, und ich sprang auf die finstere Gasse. Emsig mit Augen und Händen suchend, hatte ich bald das Instrument entdeckt: es war das gewöhnliche Taschenmesser des Prinzipals, das er abends, wenn er auszugehen pflegte, einsteckte. Es hatte eine ungefähr vier Zoll lange Klinge, und ich schauderte, als ich es in die Hand nahm, mir schien das Eisen feucht, weshalb ich es an meinem Taschentuch abwischte und alsdann sorgfältig zusammenlegte. Mir kamen die Vorfälle des heutigen Abends wie ein wirrer, gespenstiger Traum vor: jene Altane, auf welcher mir der Buchhalter und der Kandidat gedroht, mich ins Wasser zu werfen, dann die Worte des Prinzipals, der uns nicht kannte, und der, um mich vor meinen Verfolgern zu retten, meinem Angreifer das Messer in die Rippen zu schleudern versprach, was nun später, wenn auch durch ganz andere Veranlassung, wirklich geschah.

Ich eilte ins Haus zurück, händigte der Prinzipalin das Messer ein, ohne daß es der Buchhalter bemerkte, der gerade im Begriff war, über sein spätes Nachhausekommen eine artige, aber recht fromme Lüge vorzubringen, die auch der Doktor mit dem gläubigsten Gesicht der Welt anhörte. »Ich nehme,« sagte der Herr Specht, »diese leichte Verwundung aus der Hand meines verehrten Prinzipals als eine Züchtigung Gottes für begangene Sünden; ach, es ist ja kein Mensch fehlerfrei, und mein größter Schmerz ist, daß ich Ihnen, geschätzte Frau Prinzipalin, eine unruhige Stunde bereitet sowie jenem fremden, guten Arzte und meinem kleinen Freunde da.« Er sah mich mit einem forschenden Blicke an und war sichtlich beruhigt, als ich ihm erwiderte: »Was mich anbelangt, verehrter Herr Buchhalter, so versichere ich Ihnen, daß es mir ein aufrichtiges Vergnügen macht, Ihnen einen kleinen, unbedeutenden Dienst leisten zu können. Ich bin überzeugt, daß Ihre Wunde in wenigen Tagen geheilt ist, und dann,« setzte ich mit Betonung hinzu, »denkt gewiß kein Mensch mehr an die Vorfälle dieser Nacht.« – »Amen,« sagte der Buchhalter gerührt, Burbus lächelte ein klein wenig, und Madame Stieglitz nickte mir freundlich zu.

Von Burbus und mir unterstützt, erhob sich der Herr Specht, um zu Bett zu gehen. Madame Stieglitz, vollkommen zufrieden, daß die Sache nicht schlimmer ahgelaufen sei, rückte ihre Haube zurecht und ermahnte mich, mit einem innigen Gebet dem Höchsten zu danken, daß er vom Hause ein schlimmes Unglück abgewendet, und bat den Doktor Burbus, doch morgen nach seinem Kranken zu sehen – da öffnete sich langsam die Tür, und hereintrat der Prinzipal, angetan mit einem braunen, sonderbar aussehenden Schlafrock, die rote Mütze auf dem Kopfe. In einer Hand trug er ein Licht, in der andern einen türkischen Säbel. Ich, der zunächst der Tür war, fuhr bei diesem Anblick zurück, und der Doktor, der die seltsame Gestalt erstaunt betrachtete, ließ den Buchhalter auf einen Stuhl niedersitzen. Madame Stieglitz faßte die Tischecke, denn die arme Frau schien zu ahnen, was sich begeben würde. Man mußte den Prinzipal genau kennen, um in diesem langgezogenen, leichenblassen Gesicht seine Züge wiederzufinden; starr blickte er uns an, und seine Augen glänzten von einem unheimlichen Feuer.

»Es ist mein Mann, der Herr Stieglitz,« sagte die erschütterte Frau mit kaum vernehmbarer Stimme zu dem Doktor, der sie fragend ansah.

»Ja, Madame,« sprach der Prinzipal mit einer Stimme, deren Ton mir durchs Herz drang, »es ist vielmehr Ihr Herr, – dessen starke Hand die Räuber und Mörder von dem Eingange Ihres Gezeltes abwehrte, sie darniederstreckend mit mächtiger Hand. Mir aber sagte die Stimme in meinem Innern, daß man den Verbrecher hineingezogen in meine geheiligten Wände, und wenn ich auch gern Barmherzigkeit übe an jedermann, so kann ich doch nimmermehr zugeben, daß der Missetäter, den mein Schwert niederwarf, mit seinem Blut meine reine Schwelle besudle. – Wo ist der Tote?«

Nach dieser Anrede faßte sich der Doktor zuerst und entgegnete: »Verehrter Herr, Sie sind im Irrtum, Sie warfen Ihr Messer und glaubten, einen Räuber zu treffen, und verletzten Ihren eigenen Buchhalter, der im Begriff war, nach Hause zurückzukehren.« – »Wo ist der Tote?« fragte aufs neue der Prinzipal und schaute sich im Kreise ringsum.

Der Buchhalter erhob sich mühsam von seinem Stuhl, und sein Gesicht war fast so bleich wie das seines Chefs. »Ich bin nicht tot,« sagte er weinerlich, »nur eine leichte Verwundung, Herr Prinzipal.« – »Nicht tot?« entgegnete dieser, schrecklich lachend, »ei, ei, Spechtlein, Spechtlein, meine Hand ist alt geworden, oder du hast ein zähes Leben; schade darum! Doch fliehe mein Haus, Räuber!« – »Um Gottes willen!« schrie Madame Stieglitz und faßte die Hand ihres Mannes, in der er langsam und feierlich seinen Säbel erhob, »was soll das alles bedeuten? – Es ist ja Herr Specht, unser getreuer und guter Buchhalter, den du in unverantwortlicher Wut verwundet.«

Der Prinzipal schüttelte lächelnd den Kopf. »Unser getreuer Buchhalter?« sagte er. »Schau, schau, meine Hand zuckte niemals nach einem Getreuen und Gerechten; mein Messer ist ein verständiges und fühlendes Messer, und wo ich es nach einer menschlichen Brust warf – und das kam schon mehrmals vor, meine Liebe – da war diese menschliche Brust falsch und treulos wie diese.« Das letztere stieß er in gellendem Tone hervor; der Doktor faßte ihn aber jetzt mit starker Hand und hielt ihn an der Tür zurück. »Gehen Sie ihm aus den Augen,« flüsterte er eilig dem Buchhalter zu, und dieser, der infolge seiner begreiflichen Angst vor allen scharfen Instrumenten in der Hand seines Prinzipals, nun plötzlich allein gehen konnte, entfloh eiligst durch eine Seitentür; wir alle sprangen vor den Herr Stieglitz, um ihn nötigenfalls mit Gewalt zu halten, da wir fürchteten, er werde dem Verwundeten nacheilen. Doch ruhig, fast groß blickte er einen Augenblick auf die Tür, durch welche der Herr Specht verschwunden, und sagte: »Er fliehe, sein Schicksal ereilt ihn doch, mir komme er aber nie mehr vors Angesicht!« Er reichte mir die Waffe, die er in der Hand trug. »Nimm dies Schwert, mein Page,« sprach er, »folge mir in mein Gezelt!« Darauf wandte er sich um und ging nach seinem Zimmer. Den Doktor hatte er bei der Hand gefaßt und zog ihn mit sich; ich folgte, den Säbel in der Hand, der Prinzipalin, die mit gefalteten Händen und wankenden Schritten hinter ihnen drein ging.

In seinem Zimmer angekommen, war der unglückliche Mann still und folgsam. Der Doktor brachte ihn zu Bett, ließ ihm zur Ader, verordnete ihm Umschläge und erklärte, die Nacht bei dem Kranken bleiben zu wollen. Madame Stieglitz kannte ich nicht wieder, sie hatte sich im Vorzimmer auf einen Lehnstuhl niedergelassen und saß da regungslos und nachdenklich, den Kopf tief auf die Brust gesenkt. Bald entschlief der Kranke, und auf einen Wink des Doktors ging ich auf mein Zimmer.

Den andern Tag durfte niemand zu dem Prinzipal, und selbst der Kreisphysikus, der von dem Apotheker etwas von dem Unfalle gehört hatte, wurde nicht vorgelassen und nur von der Prinzipalin empfangen, welche ihm sagte, gestern abend sei der Herr Stieglitz von einem Schlaganfall getroffen worden, und da ihn zufälligerweise ein junger Arzt, der sich seit kurzem hier niedergelassen, nach Hause begleitet, so wollte er niemand anders, als diesen, um sich sehen. »Sie kennen ja,« setzte die Frau hinzu, »die sonderbare Gemütsstimmung meines Mannes und wissen wohl, daß da nichts zu machen ist.«

Der Kreisphysikus war ein alter, aber gutmütiger Mann, kinderlos und sehr reich, der die besten Häuser der Stadt nur noch so aus alter Gewohnheit beibehielt, und weil er, als starker Schnupfer, in fast jedem derselben eine große Schnupftabakdose stehen hatte. Bei seiner schwachen Gesundheit war er des Nachts kaum zu bewegen, seine Patienten zu besuchen, er hielt sich deshalb mehrere junge Aerzte zur Aushilfe und war aus diesen Ursachen auch über den neuen Eindringling im Stieglitzschen Hause nicht ungehalten. Der Verwundung des Buchhalters wurde gar nicht erwähnt, und nachdem sich der Kreisphysikus eine halbe Stunde mit der Prinzipalin unterhalten, die aber seinen lustigen Geschichten diesmal nur ein halbes Ohr lieh, entfernte er sich wieder.

Nicht so leicht abzuweisen war der Pfarrer Sproßer, welcher seinen geistlichen Beistand mit aller Gewalt auf- und mit salbungsvollen Worten in das Krankenzimmer eindrang. – »Ist auch unser Wort,« sagte er mit siegreichem Lächeln zur Madame Stieglitz, »bitter für manche Herzen und will nicht eindringen in manches Ohr, so ist es doch für die Seele gesund und stärkend, und muß dem Kranken oftmals wie eine widerwärtige Arznei mit Gewalt eingeflößt werden; namentlich ist mein teurer Freund, der verehrte Chef dieses Hauses,« setzte er listig hinzu, »schon längere Zeit kränker an der Seele, als er es an seinem Leibe je werden kann.« Die Prinzipalin zuckte die Achseln und ließ ihn sein Heil versuchen. Es dauerte aber nicht lange, so kam der Geistliche wieder zurück, etwas blaß und verstörten Angesichts. Der Doktor Burbus war gerade bei der Prinzipalin. »Ich muß,« sagte Sproßer, sonderbar lächelnd, »eine günstigere Zeit abwarten, dann aber mit aller Kraft dahintergehen, eine Seele, die kräftiglich gefaßt ist von den Krallen des Bösen, vom ewigen Verderben zu erretten. O Frau,« setzte er mit erhobenem Blick hinzu, »ich habe gotteslästerliche Reden gehört und wäre fast ein Opfer meines Berufes geworden; die Hand des Bösen regierte den Kranken, und eine silberne Gabel, mit welcher derselbe eingemachte Früchte verspeiste, warf er nach meinem Haupte. Doch der Schirm des hohen Gottes, der beisteht den Gerechten, lenkte sie von mir ab. Laßt uns beten, meine Freunde!«

Ein Lächeln zuckte über das Gesicht des Doktors, um aber gleich darauf dem grimmigsten Ernst Platz zu machen. »Man hat Ihnen, Hochverehrtester, bemerkt,« sagte er, »daß der kranke Mann heute nicht zu sprechen ist, und wenn man zu jemand eindringt, der gestern beinahe einem heftigen Schlaganfall unterlag, so muß man sich nicht wundern, wenn die aufgeregten Nerven dem unwillkommenen Besucher nicht gerade angenehme Dinge sagen; der Herr Stieglitz selbst hat befohlen, niemand vor ihn zu lassen.«

Erstaunt sah der Prediger auf den Sprecher und wandte seinen Blick auf die Prinzipalin; diese zuckte abermals die Achseln.

»Ich bin der Arzt,« sagte Doktor Burbus, »und muß bitten, daß niemand mehr zu dem Kranken gelassen werde, bis ich es erlaube.«

Herr Sproßer faltete die Hände und sprach in bitterem Tone: »Ei, Madame Stieglitz, in Ihrem Hause macht sich ein sonderbarer Geist bemerkbar – in diesem Hause, das bis jetzt der Sitz der holdseligsten Frömmigkeit war! – – Wie ich höre,« setzte er lauernd hinzu, »liegt auch mein teurer, gottgefälliger Freund, der Herr Specht, an einer sonderbaren Verwundung darnieder.« –»Allerdings,« versetzte der Doktor, »Verwundung, ja – sonderbar, nein; doch darf derselbe Besuche annehmen und sich der Gegenwart Eurer Hochwürden so lange erfreuen, als es ihm beliebt.« Damit öffnete er die Tür, und da die Prinzipalin, deren Geist sehr beschäftigt war, in ihrer Sofaecke sitzen blieb und den Geistlichen mit keinem Worte aufzuhalten versuchte, schoß derselbe mit einem Giftblick zur Tür hinaus und schritt nach dem Gemach des Buchhalters.

Indessen ging im Laden und Geschäft sowie in der Wiegkammer alles seinen gewohnten Gang fort, obgleich das Faktotum des Hauses, der Herr Specht, außer Tätigkeit war. Ich gab mir alle Mühe und war ungeheuer fleißig; bis spät in die Nacht hinein saß ich über den Büchern, trug ein, korrespondierte, machte im Auftrag der Prinzipalin Bestellungen und hatte das ganze Geschäft in der Hand. Der kranke Prinzipal hatte mir sogar den Schlüssel zu der Schublade eingehändigt, in welcher sich sein Buch, sein Harem, befand, und welches er mir dringend auf die Seele band. Auch mußte ich ihm alle paar Tage Vorträge darüber erstatten, und sah ihn auf diese Weise hie und da.

Sein Anfall von jenem Abend, jener eigentlich unbedeutende Rückfall des Wahnsinns, an dem er früher gelitten, war durch die Kunst des Doktor Burbus niedergehalten worden, doch konnten die Spuren desselben nicht mehr ganz verwischt werden. Sein Gesicht war und blieb wie umflort, und wenn auch selten heftige Auftritte vorkamen, so waren doch die lichten Stunden, die er zuweilen hatte, beständig schattiert mit einer tiefen Schwermut oder mit einem verwirrten Andenken an seinen Aufenthalt im Morgenlande. Alsdann war ich sein Page und mußte ihm häufig ein Kapitel aus dem Koran vorlesen, der Doktor war sein Leibarzt, Ibrahim Efendi, und zum großen Entsetzen der Prinzipalin, die sich allmählich wieder gefaßt hatte, verlangte er, die Damen seines Harems zu sehen.

Ibrahim Efendi, welcher einen Teil des Tages um den Kranken sein mußte, war klug und taktvoll genug, schon den ersten Tag nach dem traurigen Ereignisse den Kreisphysikus aufzusuchen, ihm über den Zustand des Kranken genau zu referieren und dem alten Manne zu schmeicheln, indem er seinen Rat verlangte. Der Alte, ein jovialer Mann, gewann den offenherzigen und geschickten jungen Arzt bald außerordentlich lieb, und da ihm ein guter Operateur abging, so benutzte er ihn bald zu den schwierigsten Geschäften und verhalf ihm um so lieber zu einer guten Kundschaft, als der Pfarrer Sproßer, den er mit seiner ganzen frommen Richtung bis in den Tod haßte, alles anwandte, um dem Doktor Burbus das Zutrauen der Leute zu entziehen.

Der Buchhalter aber genas rasch von seiner Wunde, und es trieb ihn um so schneller von dem Krankenzimmer ins Geschäft zurück, als er wohl bemerkte, wie ich von Tag zu Tag mehr in die Gunst der Prinzipalin stieg, und wie es mir nicht schwer wurde, die Geschäfte des Hauses auch ohne ihn zu führen. –

Der Prinzipal dagegen ging langsam dem Grabe zu, und seine Krankheit, eine schnell fortschreitende Auszehrung, erlaubte ihm nicht mehr, sein Zimmer zu verlassen. Der Name des Buchhalters durfte nie vor ihm genannt werden, und auch er sprach ihn nur noch ein einziges Mal aus, das war nämlich an seinem letzten Lebenstage, wo er mit klarem Geiste eine lange Unterredung mit seiner Frau hatte. Dabei bat er, sie möge ihm nicht nachtragen das Unrecht, das er ihr zugefügt, und ihm verzeihen den Kummer, den er ihr während seines Lebens oft gemacht. Dagegen warnte er sie vor dem Buchhalter und starb mit der Versicherung, derselbe sei ein schlechter und heuchlerischer Mensch! – – –

In dem Geschäft änderte sein Tod vorderhand nichts, wenigstens nichts, was mir zum Vorteil gereicht hätte, wohl aber zum Nachteil. Die Prinzipalin zog sich mehr und mehr zurück und überließ dem Buchhalter, von dessen Redlichkeit und Frömmigkeit sie überzeugt war, alle Anordnungen. Ich wurde auf ein paar unbedeutende Bücher und die Wiegkammer beschränkt. – Die Prinzipalin redete mich schon seit längerer Zeit mit »Sie« an, auch hatte sie mir ein kleines Salair ausgesetzt, von dem ich meine notwendigen Bedürfnisse bestreiten konnte. Der Pfarrer Sproßer kam mehr als je ins Haus, und ich besuchte jetzt mit ihrer Erlaubnis fast jeden Abend das Haus meines Vetters. Daß ich den Doktor Burbus dort eingeführt, und daß er bald Freund des Hauses und Hausarzt war, kann man sich leicht denken; das Stieglitzsche Haus dagegen hatte er verloren, denn nach dem Tode des Prinzipals sandte ihm der Buchhalter Herr Specht im Namen der Prinzipalin ein bedeutendes Honorar und bemerkte ihm dazu, man würde sich erlauben, es ihn wissen zu lassen, sobald man seiner Kunst wieder bedürfe. Der Kreisphysikus schnupfte bei dieser Nachricht eine halbe Dose leer und schwur zornig, er wolle gehenkt werden, wenn er je wieder in dies Pietistenhaus ginge.


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