Friedrich Wilhelm Hackländer
Handel und Wandel
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Fünftes Kapitel.

Die Schreibstube.

Wie dieser erste Tag, den ich im Spezereiladen zugebracht, vergingen nach und nach mehrere, die sich alle glichen wie ein Ei dem andern, selbst in den unbedeutendsten Kleinigkeiten, sogar in Sachen, die eigentlich gar nicht zum Geschäft gehörten, so unter anderm im Vorzug, den die Jungfer Barbara meinem Kollegen vor mir und selbst vor dem Prinzipal gab. Anfänglich hatte mich das, wie gesagt, ein wenig geärgert, als ich aber an einem Feiertage und bald darauf auch an einem Sonntage bemerkte, daß Philipp, während ich meine Großmutter besuchte, zu Hause bleiben mußte, um der Jungfer Barbara aus einem Erbauungsbuche vorzulesen, als ich sah, daß er mir einen sehnsüchtigen Blick nachwarf, und er mir am Abend anvertraute, er wäre gern mit mir ein wenig spazieren gegangen, und seufzend hinzusetzte, er habe so wenig freie Stunden, da beneidete ich ihn nicht mehr und konnte ein gelindes Lachen nicht unterdrücken, wenn er von der Jungfer Barbara zum Kaffee gerufen wurde oder wenn er abends ins Nebenzimmer ging, um daselbst ohne Zweifel eine bessere Abendmahlzeit einzunehmen als die meinige, welche gewöhnlich aus Butterbrot und Bier bestand. Aber dieses Lachen mochte Jungfer Barbara ein und das andre Mal bemerkt haben; sie nahm es sehr ungnädig auf, und ich merkte bald, daß ich in ihrer Gunst keine Fortschritte machte. Vielmehr entdeckte mir die Jungfer Schmiedin eines Tags, und wie gewöhnlich unter einem Strom von Tränen, Barbara habe mich für leichtsinnig und unzuverlässig erklärt. Ganz unrecht hatte sie nicht, denn es war unter anderem vorgekommen, daß ich statt eines Pfundes ein Gewicht von anderthalb in die Wagschale gelegt hatte. Was sie besonders empört hatte, war ein Kredit, in fünf Silbergroschen für Oel bestehend, den ich einer armen Schustersfrau eigenmächtig bewilligt; und als diese den andern Tag das Geld richtig brachte, und ich es meinerseits der Jungfer Barbara triumphierend zeigte, so erbitterte sie meine Rechthaberei, wie sie es nannte, nur noch mehr.

Gleich am zweiten Tage hatte ich mir einen großen Fehler gegen sie zu schulden kommen lassen. Sie verwahrte den Ladenschlüssel bei Nacht; morgens mußte ich ihn aus ihrem Schlafgemach abholen, und da fand ich sie im Zimmer in einer nichts weniger als gewählten Toilette. Indessen verfehlte ich nicht, ihr einen guten Morgen zu wünschen, worauf ich aber keine Antwort erhielt. Als sie nun später, wohlfrisiert und angezogen, mit schwarzem Haar anstatt des grauen, herunterkam, sagte ich ihr natürlich nichts mehr und wunderte mich nicht wenig, als sie mich fragte, warum ich ihr keinen guten Morgen biete? Ohne entfernt an Spott zu denken, versicherte ich ihr aufs freundlichste, ich habe sie nicht nur heute morgen schon gesehen, sondern ihr auch einen guten Morgen gewünscht. Mochte sie nun den lustigen Ausdruck in meinem Gesicht für eine Erinnerung an ihre Toilette halten, genug, sie verzieh mir das nie, und ich durfte ihr Heiligtum nicht mehr betreten; Philipp mußte den Schlüssel bei ihr abholen und ihn mir draußen einhändigen.

Es dauerte nicht lange, so sah ich ein, daß ich mir die Reize des Spezereihandels allzu groß vorgestellt hatte, und begann zu fühlen, daß dies nicht der Weg sei, um eine kaufmännische Karriere zu machen. Doch was war zu tun? Meine Großmutter, der ich eines Sonntagnachmittags etwas derartiges vertraute, legte erstaunt die Brille des alten Generals auf ihr Gebetbuch und meinte, es sei ein Unglück, daß die Eier immer klüger sein wollten als die Henne; aller Anfang sei schwer, und alle Wege führten zuletzt nach Rom. Die Jungfer Schmiedin dagegen konnte mir aus meine Klagen über die Barbara aus allzu großer Rührung gar nichts antworten. Sie schüttelte betrübt ihr Haupt, weinte etwas weniges und brachte später, als sie sich gesammelt, mühsam die Worte hervor: »O Gott, o Gott, wenn nur der selige Herr noch lebte!«

Bis jetzt hatte ich die Schreibstube des Prinzipals nur ausnahmsweise betreten dürfen, wenn er eine Rechnung quittierte, oder wenn ich ein altes Briefpaket, das er nötig hatte, vorher abstäuben mußte. Als ich aber etwa vierzehn Tage im Hause war, berief er mich eines Tages vor sein Pult und erklärte mir mit vieler Feierlichkeit, daß ich jetzt anfangen müsse, mich in das Theoretische des Geschäfts einzuschießen. Zu dem Zwecke bekam ich Briefe zu kopieren. Ach, der erste dieser Briefe ist mir noch immer sehr gut im Gedächtnis! Er lief nicht nach einem berühmten See- und Handelsplatz, es war nicht von Schiffsladungen die Rede; er ging an einen benachbarten Müller, dem sich mein Prinzipal auf dessen Geehrtes vom so und so vielten mit Unwillen zu erwidern gezwungen sah, daß sich in dem mit Faktura vom gleichen Tage übersandten Sack Graumehl, gezeichnet H. H. Nr. 6, eine Unzahl Mäusedreck vorgefunden habe. Schließlich bemerkte er, das Mehl habe weit unter dem Preise an das Militärspital verkauft werden müssen, und darauf empfahl er sich achtungsvoll und ergebenst Johann Peter Reißmehl. – Das schrieb ich ab, und um es sehr gut zu machen, wie ich meinte, malte ich am Schlusse die Unterschrift des Prinzipals merkwürdig genau nach, was mir aber eine gelinde Nase eintrug, indem Herr Reißmehl versicherte: »Es schickt sich ganz und gar nicht für einen Lehrling, die Handschrift des Prinzipals nachzumachen.«

Diese Schreibstube des Prinzipals hatte, wie das ganze Haus, des Sonderbaren und Merkwürdigen genug. Das Pult war ebenfalls mit Schnitzwerk und Figuren versehen, wie oben die Dachbalken, unter denen ich schlief. Davor standen für den Prinzipal und für Philipp ein Paar hohe Schreibböcke ohne Schrauben, und für mich befand sich am oberen Teile des Pultes ein Klapptischchen mit einem kleinen Rohrschemel. Hier saß ich nun und schaute aufwärts in das ernste, ehrfurchtgebietende Gesicht des Herrn Reißmehl und in die melancholischen, langweiligen Züge Philipps, der gewöhnlich hier im Bunde der Dritte war und schon zu großartigen Geschäften gebraucht wurde, z. B. zu Eintragung der Posten in das Journal von einer großen Rechentafel, auf welche sie im Gewölbe geschrieben wurden. Da ich in der Schreibstube zuweilen sehr viel müßige Zeit hatte, so kann man sich denken, daß ich mitunter auf mancherlei Torheiten verfiel. Schon in der Schule hatte ich eine merkwürdige Fertigkeit darin gehabt, aus einem Federkiel wie aus einem Blaserohr kleine Brotkugeln zu schießen, ein Studium, das ich auch hier wieder vornahm. Ich begann damit, meinen Kollegen Philipp zu necken, indem ich ihm eins auf die Nase schoß. Aber dieser Edle war viel zu phlegmatischer Natur, als daß mich das Spiel mit ihm lange unterhalten hätte. Mochte er kein Gefühl haben oder wollte er aus Respekt vor dem Prinzipal sich nichts merken lassen, genug, wenn ich ihn auch noch so empfindlich traf, fuhr er wohl schreckhaft zusammen, sah aber dann den Herrn Reißmehl mit einem ängstlichen Blicke an, als wollte er sehen, ob dieser auch bemerkt habe, daß er es gewagt, sich zu bewegen.

Nun befand sich aber in der Schreibstube außer uns dreien, und zwar in der Ecke des Gemachs, gerade vor meinen Augen, ein Wollsack, auf dem Fanny, der Mops, seine Schlummerstunden, so ziemlich vierundzwanzig des Tages, hielt. Mit welcher Zärtlichkeit, ja mit welcher Ehrfurcht behandelte Philipp diesen Hund! Ich habe oft bemerkt, daß, wenn im gleichen Augenblick der Prinzipal rief und Fanny bellte, Philipp zu ihr hinstürzte, um zu sehen, was ihr fehle. Das war nur ein Sporn mehr für mich, um dem faulen Vieh zuweilen meine Kugeln zuzusenden. Ich traf den Hund vortrefflich, bald auf den dicken Leib, bald auf die Nase, und da er zu faul war, sich vom Wollsack zu erheben, so brach er in ein kläglich heiseres Gebell aus, ein Ton, so schrecklich für Philipp, daß er fast von seinem Bock herunterstürzte. Auch der Prinzipal ging hin, um nachzusehen, was dem Tier fehle, und Jungfer Barbara stürzte aus der Küche herein. Letztere aber fand einmal, als sie ihren Liebling genau untersuchte, einige der verschossenen Kugeln. Natürlich warf sie im Augenblick ihren Verdacht auf mich; da ich mich aber sehr unschuldig benahm, wagte sie es nicht, mich anzuklagen, und paßte hierzu einen günstigeren Augenblick ab, der auch bald erschien.

Sie konnte unsere Schreibstube vom viel besprochenen Nebenzimmer aus durch ein rundes Fensterchen übersehen und mich von da belauern, was sie auch redlich tat. Seit jener Stunde nun, da mich Fanny durch ihr Geheul fast verraten hätte, hatte ich eine andere Zielscheibe entdeckt, und diese war nichts Geringeres, als der Hut des Prinzipals, der an einem großen Nagel neben dem kleinen Fenster hing. Da Jungfer Barbara bei ihrem Lauschen nur auf den Mops schaute, so hätte sie mein neues Ziel nicht so bald entdeckt, wenn nicht eine meiner Kugeln, statt den Hut zu treffen, an das Fenster gefahren wäre. Es erfolgte ein gellender Schrei, Philipp ließ erstarrt die Feder fallen und sah bestürzt den Prinzipal an, der aber ganz ruhig sitzen blieb und sich nur mit lauter Stimme erkundigte, was es gäbe. Mir ahnte es wohl, als Jungfer Barbara zornglühend hereinstürzte und, anfangs keines Wortes mächtig, nur einige Gestikulationen gegen mich machte. Es dauerte aber nicht lange, so war ihr Mundwerk wieder in voller Arbeit, und die Wände der Schreibstube hallten wider von der gräßlichen Klage, die gegen mich erhoben wurde. Ich suchte mich zu verteidigen, aber Barbara hatte mit einem kühnen Griff sich des Federrohrs bemächtigt, und ich mußte auf ihren Befehl die Hand öffnen, in welcher sich leider als unumstößlicher Beweis meiner Untat noch einige Freikugeln vorfanden. Auch nützte es mir nichts, daß ich am Ende versicherte, ich habe nur nach dem Hute geschossen; sie blieb fest dabei, ich habe nach ihrem Gesicht gezielt, um sie in den Tod hinein zu erschrecken.

Der Prinzipal schüttelte den Kopf und warf mir einen sehr unfreundlichen Blick zu. Philipp, der durch diesen Frevel ganz betäubt war, faltete die Hände über dem Pult und sah mich verächtlich an, und Jungfer Barbara führte den Zipfel ihrer Schürze vor die Augen, indem sie schluchzend sagte: »Noch so jung und doch so boshaft!«

Nachdem mir der Prinzipal eine, wenn auch ernste, doch nicht scheltende Strafpredigt gehalten hatte, mußte er dem Verlangen seiner Schwester nachgeben und die ganze Untat meiner Großmutter brieflich mitteilen, was denn auch alsbald geschah, und ich mußte diese Depesche, ein zweiter Urias, eigenhändig hintragen. – Wenn auch meine Verwandten so vernünftig waren, im Vorgefallenen mehr einen Akt des Mutwillens als der Bosheit zu sehen, so hielt mir die Großmutter dennoch eine stattliche Standrede, und aus den sinnreichen Sprüchen, die sie dabei anbrachte, wie: »Der Gerechte erbarmt sich auch seines Viehs« und »Quäle nie ein Tier zum Scherz«, konnte ich ersehen, daß Herr Reißmehl in seinem Briefe mehr das Attentat gegen Fanny, als das gegen seine Schwester hervorgehoben hatte. Als ich wieder in den Laden kam, affektierte Jungfer Barbara noch eine große Abspannung und würdigte mich erst wieder beim Abendessen eines Wortes, indem sie mich fragte, was denn die Großmutter zu der Unart gesagt, die ich gegen die Schwester meines Prinzipals begangen? O, hätte ich in diesem Augenblick meinen Kopf gesenkt und wie zerknirscht vor Scham nur undeutliche Worte gemurmelt! Aber nein, ohne etwas Arges dabei zu denken, versicherte ich der Jungfer Barbara, meine Großmutter habe gesagt, man solle nie ein Tier zum Scherz quälen, und der Gerechte erbarme sich auch seines Viehs.

Das hatte ich in der Tat gut gemacht, und wenn ich nicht schon am unendlichen Zornblick, den mir die Jungfer zuwarf, meinen Schnitzer erkannt hätte, so hätte ich's am veränderten Betragen Philipps ersehen müssen, der heute abend kein Wort mit mir sprach, sondern sich stillschweigend in seinem Schlafzimmer an den Tisch setzte und in tiefes Nachdenken versank, wahrscheinlich über all die Schändlichkeiten, die ich begangen.


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